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"Ich träumte vom Chirugen" ist eine rasante Achterbahnfahrt, die niemals aufhört, dem Leser mit Mysterien, Action und Offenbarungen den Schädel einzuschlagen, spielend vor einer Kulisse, in der Genmanipulation und die totale Überwachung zum Alltag gehören. Es ist eine Welt, in der sich der amerikanische Traum in einen genetischen Albtraum verwandelt hat. In einem vom Krieg zerrissenen Amerika der Zukunft arbeitet Rhys Faulkner tagsüber als Polizist für die Regierung und nachts als freischaffender Privatdetektiv am Rande der Legalität. Doch sein neuster Job wird ihn an seine Grenzen bringen. Es sah so einfach aus: Dem untreuen Ehemann nachspüren und das Geld abkassieren. Doch dann steht er plötzlich vor einer verstümmelten Leiche und findet sich gejagt von der gesamten Macht des Staates. Währenddessen sammeln sich die mysteriösen Ereignisse immer weiter an: Die Bewohner des Landes werden von perversen Visionen heimgesucht, tödliche Aufstände toben in den Straßen und hinter all dem steckt etwas so Furchterregendes, das sich keine unschuldige Seele jemals hätte ausdenken können; ein Übel, entstanden in den Laboren des grenzenloses Fortschritts, das vor nichts zurückschrecken wird, bis es nicht die Seelen aller Menschen verdorben hat...
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Seitenzahl: 219
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Mein Name ist Rhys Faulkner und ich bin am Leben. Das sind wahrscheinlich die beiden besten Dinge, die ich derzeit über mich sagen kann.
Unter mir befinden sich die Vereinigten Staaten von Amerika, dieser Tage ein gigantisches Ungetüm, welches unsere Kehlen mit jedem neuen Atemzug, den wir nehmen, immer weiter zudrückt. Die Straßen der Stadt in der ich wohne und die wir liebevoll St. Fallen nennen sind Raubtiere, denen es nach unschuldigen Seelen giert. Aber wenn man sich die derzeitigen Bewohner so ansieht, müssen sie wohl ziemlich hungern dieser Tage. Dreizehn Millionen Menschen, nicht eine Unze Hoffnung.
Der Soundtrack der unsere Zeit begleitet ist nicht eine von Beethovens Symphonien, nein, es ist ein 8 Bit Track der aus einem uralten Spielautomaten dröhnt. Die Bevölkerung entfremdet sich zunehmend voneinander, versteckt sich tiefer und tiefer in ihren Wohnungen, die sie mehr und mehr in Festungen verwandeln. Unsere Seelen wurden befallen von düsteren Geistern, die uns in laufende und atmende kognitive Dissonanzen transformiert haben und das Böse hervorbringen, obwohl wir uns stets vormachen, eine besseres Morgen zu erschaffen.
Im Laufe der letzten Tage bin ich ein paar Mal gestorben, nur um immer wieder wiedergeboren zu werden. Ich habe unfassbaren Schmerz und Verlust erfahren, aber auch große Erlösung.
Dies ist eine ferne Zukunft, eine nahe Vergangenheit, je nachdem. Vielleicht ist es gestern, vielleicht heute. Und nun lasst mich die Uhr ungefähr eine Woche zurückstellen und mich meine Geschichte erzählen, eine Geschichte aus einer Welt, in der der amerikanische Traum zu einem genetischen Albtraum wurde...
...aber nun genug der einleitenden Worte...
Was zur Hölle ist das schon wieder?
Ich bin irgendwie in dieser gottverdammten Stadt.
Ich höre die Sirenen eines Krankenwagens.
Nicht so weit entfernt von mir...
Warte mal...
ICH BIN in diesem Krankenwagen.
Ich höre diese schrecklichen Schreie.
Aber es sind nicht meine. Ich bin nicht der Patient.
Jetzt beginne ich klarer zu sehen.
Vor mir sind zwei Sanitäter, die mir die Sicht versperren.
Wer ist der Patient? Ich muss es wissen!
Eine Frau... Sie sitzt dort... schwitzend. Die Beine auseinander. Flüssigkeiten am Boden vor ihr.
Sie kommt mir bekannt vor. Ich sehe in ihre Augen. Sie hat Schmerzen.
Ich versuche ihr Alter zu erraten. Anfang 20, vielleicht?
Diese Gesichtszüge...
Haare schwarz wie Pech. Die Haut so braun. Diese Augen. Wie Mandeln, eingefärbt durch die finsterste Nacht.
So selten dieser Tage. So einzigartig mittlerweile in diesem Land.
MEINE SCHULD!
Jetzt begreife ich. Ich kenne ihren Namen. Ich liebe sie!
Was passiert mit ihr?
Ich verstehe. Sie gebärt!
Ich schließe kurz meine Augen.
Plötzlich... Schreie!
Aber sie kommen nicht von ihr.
Diese verdammten Sanitäter sind schon wieder in meinem Blickfeld!
Ich schleudere sie zur Seite. Ich MUSS es sehen.
Die Sanitäter übergeben sich. Mehrmals. Warum?
Ich gehe vorwärts... immer vorwärts...
Da...
Ein neues Leben liegt auf dem sterilen Boden. Doch es ist zerfetzt...
Eine Ratte frisst die Reste! Die Reste des unschuldigen Säuglings!
Eine Ratte! Ratte... Ratte...
Dieser Traum schon wieder!
Ich schreie so laut wie nie zuvor in meinem Leben, mal wieder...
“Wach verdammt nochmal auf!“
Die Worte schlugen auf meinen Kopf ein wie ein Hammer.
“Rhys, verfickte Scheiße, wach verdammt nochmal auf du fauler Hurensohn oder ich zertrümmer dir dein hässliches Gesicht!“
Ich öffnete meine Augen. Scheinbar war ich auf dem Weg zu unserem Auftrag eingeschlafen. Die liebliche Stimme eines menschlichen Bären erkannte ich trotz alles Verwirrtheit sofort- Weijn!
“Langsam, Junge, langsam. Du weißt nicht, wo ich gerade wieder war,“ brummte ich zurück.
Der Boden bebte. Ich begann mich zu erinnern. Ich war in diesem großen Fahrzeug. Ein gepanzerter Van voller gefährlicher Leute und schweren Waffen, alle vereint durch eine Mission, die Gerechtigkeit in diesem Land wieder einmal herzustellen. Oder so...
“Ich weiß es genau. In einem deiner kranken Träume schon wieder. Rhys, werd' endlich mal ein Mann und vergess' die ganze Scheiße! Es ist zwölf Jahre her! Zwölf verfickte Jahre!“, fuhr Rhys mit seiner Lektion fort.
Tief in meinem Inneren akzeptiere ich die Weisheit dieses feingeistigen Philosophen, kam ich doch schon vor einigen Jahren zu der gleichen Erkenntnis. Was nichts an meinen Albträumen änderte. Deshalb hatte ich einen Plan gefasst, der dieses Problem ein für alle Mal ändern würde, auf eine kreative Art und Weise. Ich musste darüber hinwegkommen. Aber dazu brauchte ich einen Haufen Geld. Geld durch Jobs wie diesen.
Obwohl es für den Außenstehenden sicherlich nicht so wirkte, war Weijn ein guter Freund von mir. Wobei Freund durchaus nicht das beste Wort ist, aber er war einer der wenigen Leuten, die ich wirklich respektierte und überhaupt leiden konnte.
Plötzlich kam der Wagen zum Stillstand. Weijn gab uns noch die letzten Informationen, alle sechs schlüpften in unsere schusssicheren Westen und Helme und dann griffen wir uns noch die Sturmgewehre. Die hintere Tür des Transportbereichs öffnete sich automatisch und entließ uns in unser tödliches Unternehmen.
Der Van befand sich verdeckt hinter einem alten, verfallenden Gebäude, so dass uns unsere Ziele nicht bemerken würden. Die Sonne begann sich bereits zu erheben und spiegelte sich in den stillen Wellen des atlantischen Meeres vor uns. Dieser Teil des gigantischen Hafens war schon lange verlassen und so bewegten wir uns durch die Einsamkeit, einstudiert durch langes Training, zielgerichtet auf eine Lagerhalle direkt an den Docks. Dahinter, direkt am Wasser, würden sie sein, die Ziele. Vollkommen ahnungslos. Und wahrscheinlich bald vollkommen tot.
Wir nahmen unsere Positionen ein. Ich platzierte mich direkt an der Ecke und holte meinen elektronischen Spiegel hervor. Ich erblickte die zwei dicken Kisten in der Mitte sofort, die Steine des Anstoßes, sozusagen. Um sie herum befanden sich fünfzehn Männer. Ein anderer am Kontrollpult eines kleinen Krans, der im Zementboden fixiert war. Er fuhr den Haken nach unten, so dass ein anderer Kerl auf eine der Boxen kletterte und ihn dort an einer Halterung fest machte.
Die Kiste begann seltsam zu wackeln. Scheinbar war dort etwas drin... etwas Lebendiges... Wir hatten ja keine Ahnung, da uns niemand etwas darüber sagte. Der Auftrag war ganz simpel formuliert: Diesen Transport aufhalten. Das beinhaltete alle Mittel. Alle.
Wenigstens waren wir rechtzeitig gekommen. Als ob wir es bestellt hätten, erhob sich etwas aus dem Meer vor uns und presste das schleimig grüne Wasser zur Seite. Die Konturen wurden mehr und mehr sichtbar.
Diese Hurensöhne - ein U-Boot!
Weijn gab uns das Signal, dass wir uns vorbereiten sollten. Es war ein kleiner Buchstabe, der im elektronischen Display unserer Helme aufleuchtete. Dann hörten wir seine dröhnende Stimme und deren Echo über den ganzen Hafen hinweg, verstärkt durch die Technologie, die in seine Ausrüstung eingebaut war: “Hier ist die Stadtpolizei. Ihr seid verhaftet. Ergebt euch und keiner wird verletzt. Die Rechte lese ich euch nicht vor, Beschwerden bitte an die Disziplinarsverwaltung.“
Wie einstudiert zuckten alle Schmuggler kurz. Dann, wie aufgescheuchte Insekten begannen sie wild umher zu rennen, dazu zogen sie ihre Waffen aus Taschen. Diese Idioten, sie hatten doch keine Chance.
Die Kugeln flogen in unsere Richtung. Ich drehte mich aus der Ecke heraus und drückte den Abzug. Ich zielte nicht lange, nutze auch keine elektronische Hilfe - ein Schuss, ein zerplatzender Kopf. Das war eine meiner speziellen Gaben. Ich war so ein guter Schütze, aus jedem Winkel, in kürzester Zielphase, egal welche Größe, egal welche Bewegung des Ziel hatte oder machte. Ich konnte jeden Kopf treffen, es war so als hätte man mir dies in die Wiege gelegt! Bemerkt hatte ich das erst während des Krieges. Scheinbar dachte Gott, dass so ein Talent genug für mich war und verweigerte mir im Gegenzug alles andere, was das Leben so zu bieten hatte...
Aber es war nicht die Zeit für nutzloses Nachdenken! Die Kugelregen hielten an. Einige unserer Gegner waren klugerweise endlich in Deckung gegangen. Es würde nichts nützen. Das U-Boot war nun komplett aufgetaucht und öffnete seine obere Klappe. Groß war es, sicherlich gebaut dazu, größere Transporte zu übernehmen. Einer der bösen Buben versuchte sich in es hinein zu retten.
Aber nicht so schnell, mein Junge, dachte ich und drückte den Abzug - ein anderer lag jetzt am Boden.
Hinter ihm fiel der Kerl, der den Kran gesteuert hatte, aus seiner Kanzel und brach sich wohl einige Knochen am harten Boden. Wenn er Glück hatte, wurde er bereits Sekunden vorher durch den süßen Kuss des Bleis aus dieser Welt gerissen. Ich wunderte mich kurz, wer von meinen Kollegen ihn erwischt hatte. Ich beneidete ihn.
Dann wurde es kritischer. Einer der Schmuggler warf etwas. Rauch stieg auf, ich musste den speziellen Sichtmodus in meinem Helm aktivieren und konnte nur noch nach Hitzesignaturen Ausschau halten. Meine Mitstreiter waren nicht so klug und feuerten einfach disziplinlos in die Wolke. Ein paar von ihnen mussten die Kisten getroffen haben. Aus ihnen folgte ein seltsames Geräusch. Ja, definitiv lebendig, dachte ich mir.
Ein Mann erschien aus der Bootsklappe. In seiner Hand war das was uns jetzt noch gefehlt hatte: ein riesiger Raketenwerfer. Heilige Scheiße.
Ich wollte die Anderen warnen - zu spät. Der Bastard schoss ziellos zurück und sein Geschoss schlug auf dem Dach des nahestehenden Lagerhauses ein und hinterließ totale Vernichtung. Trümmer und Rauch wurden durch die Gegend geschleudert. Ein paar meiner Kollegen waren dort oben positioniert.
WEIJN!, hämmerte mir durch den Kopf. Ich hoffte er hatte überlebt - aber irgendwie erwartete ich das auch von ihm.
Dann begann die Groteske. Die Detonation hatte kurze Zeit für eine seltsame Ruhe gesorgt, doch diese wurde nun jäh unterbrochen. Ein Mark erschütternder, animalischer Schrei hallte durch die vergehende Nacht - etwas hatte sich aus den Boxen befreit. Oder war zumindest auf dem Weg dorthin.
Ich zählte die noch lebenden Schmuggler. Fünf Stück. Alle hatten sich gut verschanzt, zwar waren sie vor uns wie auf dem Präsentierteller, doch der Rauch und die Deckung, die diverse Objekte boten waren gut genug, um uns die Möglichkeit zum Anvisieren zu nehmen. Sie bewegten sich kaum, scheinbar waren ihre Augen durch den Staub und das Gas gereizt. Dumme Amateure, man geht nicht ohne Gasmaske aus dem Haus, dachte ich und lachte innerlich über diese dämliche Bemerkung.
Dann passierte es. Gerade als meine Sicht wieder besser wurde, erblickte ich eine der Kisten. Sie war ramponiert und wurde jetzt von innen zerrissen. Der Bösewicht hinter ihr zuckte, bevor eine dicke Tentakel aus der Box herausgriff, ihn nahm und auf den Boden hämmerte. Gedärme und Blut spritzten herum.
Heilige Scheiße, was war das?
Im Augenwinkel über das Chaos hinweg sah ich, dass das U-Boot seinen Deckel schloss. Da wollte wohl jemand abhauen. Kluge Idee, aber nicht mit mir, dachte ich und sprang heldenhaft aus der Deckung und feuerte ein paar Kugeln gegen das abtauchende Ungetüm. Danach verschoss ich die einzige Granate, die zum Abschuss unter dem Lauf meines Sturmgewehrs angebracht war.
Jedoch verfehlte ich mein Ziel. Die Granate prallte vom Kran ab und flog direkt in die Gaswolke, wo gerade eine undefinierbare Monstrosität ihren Schabernack trieb.
Der Sprengsatz explodierte und erzeugte zusätzlich noch Agonie gefüllte Schreie. Ein paar von ihnen waren menschlich, aber andere absolut nicht. Ich sah es; die andere Box war nun auch kaputt. Wie in Zeitlupe kam die Surrealität auf mich zu... gigantische Elefanten, immer sichtbarer werdend. Ihre Geschwindigkeit war enorm und unnatürlich. Pure Entartung auf vier Beinen! So sollte niemand seinen Dienstag Morgen verbringen!
Sie kamen unaufhaltsam. Ich drehte mich um und rannte, begleitet von den Klängen weiterer Kugeln. Nach ein paar Metern warf ich meinen Körper auf den Boden und drehte mich um, die Hitze brennenden Feuers des Infernos spürend. Ich sah noch einmal hin. Zwei arme Kreaturen, überzogen mit Brand- und Kugelwunden brachen zusammen, als sie gerade dabei waren, die Rauchschwaden zu verlassen. Wie in Zeitlupe krachten sie auf den Boden. Sie waren weitere Opfer dieses gnadenlosen Schlachthauses geworden.
Es war dennoch vorbei. Alle Bösewichter waren tot. Oder zumindest lagen sie am Boden und ihre Ungefährlichkeit erschien uns glaubwürdig genug.
Alle Mitglieder des Teams kamen heraus und schauten sich ihr Werk nochmals an. Leichen, Blut, zerfetztes Holz.
Ich schaute mir diese Elefanten nochmal gründlich an. Sicherlich waren das nicht die gleichen putzigen Viecher, die ich als Kind im Zoo gesehen hatte. Vermutlich waren sie einfach weitere Exemplare aus der nie endenden Produktlinie der MFI. Mir war nicht klar, was irgendjemand auf der Welt mit so etwas wollte, aber der Export von biologischer Technologie und Erzeugnissen war dieser Tage ein großes Verbrechen. Wie man an dieser ganzen Operation sehen konnte - bestraft oft mit dem Tod. Die Agentur kannte da keine Gnade.
Weijn erschien hinter mir und legte mir seine Pranken auf die Schulter. Er gratulierte mir für die Abschüsse, die mir der Computer angerechnet hatte. Ja, der alte Bastard hatte überlebt. Ich dachte aber immer noch über diese armen Dickhäuter nach. Ich war traurig. Zumindest ein bisschen.
Törööö! Törööö!
Es war Zeit, die Beute einzufahren - Credits, um genau zu sein. Ein weiterer Schritt auf dem langen Weg zum Chirurgen. Und das war eigentlich alles was zählte in diesen Tage. Wundert euch nicht. So sah die Welt damals aus. Und es wird noch viel bizarrer, bitte achten Sie auf alle Details!
Eine Stunde später stand ich am Ende der langen Treppe, die hoch zu der zentralen Stadtpolizeistation führte.
Polizeistation. Das war ein Euphemismus. In Wahrheit lauerte hinter mir ein Behemoth, erschaffen aus der puren Ablehnung gegen Bescheidenheit, gesalzen mit einer großen Prise androgyner Hässlichkeit, jeden Tropfen Schönheit ausquetschend. Und um die Sache perfekt zu machen: jeden verdammten Tag fast musste ich diese verdammten tausenden Stufen nach oben gehen.
Einige Autos fuhren an mir vorbei und brachten meinen Mantel zu wehen. Viele von ihnen waren Überbleibsel einer alten Zeit, da die neueren Modelle für die meisten Leute schlicht zu teuer waren. Selbst hier sah man sie nicht: die jüngsten Vehikel, ausgestattet mit automatischer Fahrfunktion und - das war der neuste Schrei - der Eigenschaft, die mir Weijn gleich mal wieder vorführen würde.
Wo war der Bastard überhaupt? Ich hatte lange genug gewartet. Um mir die Zeit weiter zu verkürzen, entschloss ich den Himmel zu beobachten. Der Vollmond schwebte über mir, weit entfernt, und erleuchtete die Skyline dieser verrottenden Stadt. Keine Wolke weit und breit, die Sterne hatten also die ganze Bühne für sich allein, um mit ihrer Schönheit zu kokettieren. Zumindest war es wohl das was der Romantiker jetzt denken würde - nicht ich!
Ich bemerkte sie ebenfalls mal wieder: diese seltsamen Lichter, die die schwarze Nacht von Zeit zu Zeit erhellten. Begonnen hatte dies erst vor ein paar Monaten. Es lief fast immer gleich ab: eine Art rote Explosion, dreimal, im exakt konstanten Intervall. Jeden Abend sah man ein paar von ihnen und ich war mir ziemlich sicher auch tagsüber. Aber da war es natürlich kaum zu erkennen.
Wie auch immer, es gab viele skurille Gerüchte über ihre wahre Natur in den Nachrichtenheften und auf den Straßen, aber unsere Regierung hatte uns ja bereits offiziell schon erklärt, dass dies durch seltsamen Sternenstaub erzeugt würde, der die Erde derzeit regelmäßig bombardiere. Natürlich absolut ungefährlich. Wenn unsere oberen Herrscher das sagten, musste es ja auch stimmen und all das war ja immer noch besser als eine Ladung 70.000 Tonnen schwerere Meteoriten. Aber um die Wahrheit zu sagen - irgendwie war mir das auch alles scheißegal.
Meine Ausführungen wurden jäh unterbrochen, als mir beschleunigter Wind ins Gesicht peitschte und meine Kleidung verwehte, diesmal in verdoppelter Intensität. Wie ein hässlicher Engel kam er herunter, Weijn in seinen neuen experimentellen Fahrzeug, wobei das einfach das falsche Wort war. Schließlich konnte es fliegen. Ja, es war eines dieser futuristischen Autos, die einen Anti-Schwerkraft-Motor hatten. The future is now, schoss mir durch meinen schönen Kopf. Er landete genau vor meiner Nase. Das Vehikel sah aus wie ein teurer Sportwagen, nur ohne Räder - natürlich!
Das war wohl das Privileg eines Polizeigruppenführers, der gute Beziehungen zu den noch höheren Stellen hatte, da durfte man so etwas schon mal früher und billiger abgreifen, während es für den kleinen Mann von der Straße unerschwinglich war.
Der Engel hob seine Flügel; die Passagiertür ging von selbst auf. Weijn begrüßte mich mit einem fetten Gewinnerlächeln. In diesem Moment fiel mir das erste Mal auf, dass, immer wenn er saß, sich sein Körperfett schön gegen sein Kinn presste und diesen Teil seiner Anatomie verdoppelte! Nun, er versuchte sich in Form zu halten, aber zu diesem Zeitpunkt war er natürlich bereits schon zehn Jahre älter als ich.
Ich sprang hinein, Weijn drückte einen Knopf und wir hoben ab. Kurzzeitig wunderte ich mich noch, ob es bereits neue Verkehrsbestimmungen gab, um diese Art des Reisens abzudecken. Letztendlich waren aber nur wir und diese automatisierten Überwachungsdrohnen hier im Luftraum, die Drohnen, die hier 24 Stunden, 7 Tage die Woche, über uns sausten und wachten.
Von hier oben sah der sogenannte zivilisierte Distrikt, also der, in dem die wichtigsten Geschäftsund Regierungsinstitutionen untergebracht waren, und die Cops regelmäßig patrollierten, regelrecht geheilt aus. Geheilt von den Narben der Vergangenheit. Niemals würde heute jemand anhand dessen, was man gerade wahrnehmen konnte, denken, dass gerade mal fünfzehn Jahre vorher unsere Feinde massive Luft- und Raketenangriffe gegen die ganze Stadt durchführten, und so ziemlich alles in gigantische Trümmerfelder, die mit zerfetztem, menschlichen Gewebe aller Altersklassen garniert waren, verwandelt hatten. Alles war neu aufgebaut, auch wenn sie viele zerstörte Gebäude und ihren klassischen, guten alten amerikanischen Stil ersetzt hatten, durch eine moderne und neutrale Architektur. Ich vermutete ebenfalls, dass sie auch viele alte kulturellen Artefakte niedergerissen hatten, die man eigentlich noch hätte retten können.
Wir verließen dieses Gebiet der Reichen und flogen tiefer in den Abgrund, der diese Stadt geworden war. Ein einst strahlender Diamant, der jetzt mit der widerlichsten Scheiße besprüht war, die sich ein menschlicher Geist ausdenken konnte.
Ein einst strahlender Diamant? Warum war ich an diesem Tag so melancholisch, wenn es um das alte Amerika ging? Alles in allem, war es doch Schuld an meinem ganzen Leid. Es war der Bösewicht, der mir alles nahm. Alles, was mir wichtig war. Auf der anderen Seite: diese neue Welt, die unerbittlich aus den Überresten hervorwuchs, angetrieben von einem rastlosen Verlangen, wirklich alles zu verschlingen und verändert auszukotzen, war auch alles andere als eine Wohlfühloase für mich bisher.
Die Sonne war nun mittlerweile untergegangen und ließ diesen Ort in der Finsternis zurück, die er verdiente. Unter uns war eine Kloake, gefüllt mit den wertlosesten Kreaturen, die Gott erschaffen hatte, durchgehend auf der Jagd nach den wenig anständigen Leuten, die alle auf diese neue tolle Zukunft hofften, die uns die Medien und die Regierung seit Jahren versprachen.
Es war der Distrikt, den ich meine Heimat nannte. Ich streckte meinen Nacken und blickte weit in die Ferne. Dort war das krasse Gegenteil: hinter festen Grenzposten und Barrieren waren Drohnen und Polizisten, die die reichen Leute beschützten, alles strukturiert wie ein Damm, der das Eindringen der Ratten aus meiner Gegend verhindern sollte - menschlicher Ratten!
Mein Gedankenstrom wurde endlich jäh durch eine tiefe Stimme unterbrochen.
“Hast du mitbekommen, dass der kleine Wichser tatsächlich überlebt hat?“
“Wirklich?“, antwortete ich ohne die Spur von Enthusiasmus.
“Yeah. Was für eine harte Sau. Gerade eben ist er wohl im Krankenhaus mit schweren Verbrennungen und einer großen Schusswunde im Bauch und versucht zu überleben!“
“Na dann: viel Glück“, sagte ich. Vermutlich sah der Typ im Moment aus wie ein widerlicher Fleischschneemann. Das hatte er verdient. Immerhin war er der einzige Überlebende unserer kleinen abendlichen Operation. Sah wirklich putzig aus, als wir ihn fanden.
Weijn lachte. “Und natürlich müssen wir ihm auch danken, dass er uns beide unseren kostspieligen Zielen näher gebracht hat.“
“Yup.“
“Willst du es immer noch machen?“, sagte er.
“Ich schätze mal. Fehlt aber immer noch viel.“
“Was du nicht sagst...“, murmelte Weijn und seine Stimme wurde mit jeder Silbe leise.
Es war einer der wenigen Momente, wo ich so etwas wie einen Einblick in seine Seele spürte. Manchmal fragte ich mich, ob ich ihm nicht einfach mein Geld geben sollte, um ihn den Schmerz zu nehmen. Für einen Vater gab es kaum etwas Schlimmeres. Vielleicht - nur vielleicht - dachte ich, waren meine Probleme wirklich Lächerlich im Vergleich, nur ausgelöst durch meine Schwäche, nicht loslassen zu können, geboren aus meiner Selbstgerechtigkeit. Aber nur kurz. Dann verließ mich mein Altruismus wieder.
Ich wollte diese Diskussion jetzt einfach nur abbrechen. Stattdessen schaute ich mir jetzt diese riesigen, leuchtenden Werbeplakate an, die überall an den höheren Gebäuden klebten und sich beständig, dank der digitalen Projektionstechnik, änderten.
HÖR AUF ZU RAUCHEN. NICHT TRINKEN UND AUTOFAHREN. HELFT DEN ARMEN.
Und so weiter, und so weiter, alles ausgeschmückt mit netten Bildern. Alles so überzeugend und manipulierend, letztendlich vermutlich nur dazu da, um Schuld und kognitive Dissonanzen in der einfachen Bevölkerung zu erzeugen, um diese auf ihre Sünden festzufahren, und so leichter manipulieren zu können. Aber sie wollten es ja nicht anders und die jährlichen Wahlen bewiesen dies immer wieder aufs Neue.
GEHE ZUM CHIRURGEN UND WERDE WIEDER FREI!, blinkte jetzt auf einmal. Ja, ich hatte es unzählige Male gesehen. Alles dazu gelesen. Es war das große Ziel. Er konnte es tun. Aber es war noch so fern, so fern. Der Schmerz war erst mal noch da um zu bleiben...
Nachdem ich wieder vom Himmel zurückgekehrt war, verabschiedete ich mich noch von Weijn, der sich dann weiter auf den Weg zu seiner Familie, mit der er in dem Easter District lebte, machte. Ich gab ihm noch Grüße an seine Lieben mit, seine Frau und seine Kinder. Er war schlicht und einfach ein Familienmensch. Das hätte ich vielleicht auch sein können, aber nein, lassen wir das...
Meine edlen Lederschuhe landeten in einer kleinen Pfütze, scheinbar hatte es hier vor kurzem geregnet und vom aufziehenden Wind ausgehend, würde es bald wahrscheinlich weiter gehen. Also sollte ich schnell weiterziehen.
Über den zerfallenden Asphalt ging ich voran, links und rechts von mir die kaputten Zäune und Fassaden eines Zementalbtraums. Der Wind wurde stärker, stark genug, dass ich meinen Fedora-Hut festhalten musste. Es wäre auch zu Schade gewesen, wenn er den dreckigen Boden geküsst hätte. Es war eine teure und seltene Ausgabe. Ich hatte aber keine Credits für ihn ausgegeben. Aber das war eine andere Geschichte.
Links von mir war eine Bar, die Versager und Alkoholiker der Gegend magisch anzuziehen. Zum Rauchen mussten sie dennoch raus und deshalb standen sie da alle herum, in ihrer unrasierten und stinkenden Pracht. Aber immerhin folgten sie den Regierungsauflagen - kein Rauchen in geschlossenen, öffentlichen Räumen. Yay, Prioritäten!
Ein paar Meter weiter war das HardBody Gym. Durch das durchsichtige Glas konnte ich meinen Blick auf ein paar heiße Mädels in ihren engen und freizügigen Outfits richten. Sie zeigten wirklich alles. Ärsche, Arme, Beine. Gleichzeitig hatten sie lange weiße Socken an. Das musste die neue Mode sein. Vor dem Fenster standen ein paar junge Männer. Wahrscheinlich von den Inseln in der Nähe der Küste, die illegal eingereist waren. Rein physiognomisch war das zu erkennen. Egal, die Polizei verhaftete diese Art Leute nicht mehr. Warum auch immer.
Ich musste auch zugeben, dass diese Girls recht saftig aussahen - aber ich hatte der Damenwelt lange abgeschworen. Und ich hatte auch keine Lust hier zu lange herumzustehen und als Perverser zu gelten, zudem waren die Kerle hier ja laut Vorurteilen recht bekannt für ihr lebhaftes Temperament, oft unterstützt durch ihre ziemlichen langen Messer.
Ich ging also weiter. An einer dunklen Seitenstraße sah ich einen Schatten langsam näher kommen. Oh Gott, nicht wieder einer dieser gewalttätigen Bandenmitglieder, dachte ich, die Sorte, die die Gegend hier immer wieder terrorisierten. Wisst schon: Raub, Mord, Vergewaltigung. Mich beunruhigte das nicht so sehr, schließlich war ich ein großer Junge und einer der wenigen, mit einer Lizenz eine Schusswaffe moderater Größe zu tragen - aber ich hasste die Bürokratie, die immer anfiel, sobald man sie dann genutzt hatte.
Aber dann fiel das dimme Straßenlampenlicht auf das Gesicht des Mannes. Es war vollkommen klar: einer der Zombies. Ja, so nannten wir diese armen Seelen in diesen Tagen. Es waren gewalttätige oder einfach nur nutzlose Jugendliche, die von der Regierung mithilfe von Drogen in einen Trance-artigen Dauerzustand verfrachtet wurden. Eine billige Methode und das beste daran: Eine Injektion hielt von der Wirkung her etwa zehn Jahre an!
Er schwankte als er näher kam. Seine blauen Augen wirkten förmlich tot. Er war lebendig und doch irgendwo in einem metaphorischen Sarg. Seine Jeans und blauer Blazer zerrissen. Für einen Zombie wirkte er auch seltsam alt, was vermutlich an den fehlenden Haaren lag - eine bekannte Nebenwirkung.
Der Anblick erinnerte mich dann an Drake. Weijns Sohn. Er war einer von diesen verirrten Geschöpfen. Eine Dummheit begangen und zack - weg. Natürlich kämpfte seine Familie darum, dieses Schicksal zu verhindern, aber es war auf legalem Weg sinnlos. Trotz Weijns Standing. Deshalb sparte er, um sich das Gegenmittel zu besorgen. Illegal. Die Ironie. Aber es war anders nicht möglich. Aber es war auch förmlich unerschwinglich. Die Gesetze des Marktes. Wenig da, viel Nachfrage. Vermutlich verdiente sich damit auch unser Geheimdienst ein paar Credits dazu, aber das war nur Spekulation von meiner Seite.
Er kam immer näher, nur noch ein paar Schritte weg. Er schaute mir direkt in die Augen. Adern die platzten, alles so weißlich. So finster und kalt. Aber irgendetwas in ihm brannte. Er hielt an und sein Mund bewegte sich. Er versuchte etwas zu sagen!
“Tu-Turan-Turanid,“ krächzte er heraus. Immer wieder. Ich schob ihn zur Seite und sah ihm im Augenwinkel weitergehen. Wahrscheinlich war er zusätzlich besoffen oder high. Aber vielleicht konnte er so wenigstens etwas fühlen. Die Injektionsscheiße raubte einem jede Emotion und Empfindung.
Wie auch immer. Ich schaute auf meine Uhr. 1730. Noch eine halbe Stunde bis mein Büro offiziell öffnete. Ja, damals hatte ich zwei Teilzeitjobs, sozusagen. Als freischaffender Kopfgeldjäger - Entschuldigung: Polizeisöldner - der von der Bullerei für spezielle Aufträge engagiert wurde und nebenbei zusätzlich als Privatdetektiv.