Ich will dich verstehen - Angelika Hutmacher - E-Book

Ich will dich verstehen E-Book

Angelika Hutmacher

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Beschreibung

Systemische Aufstellungen sind inzwischen weit verbreitet und werden in vielen Bereichen des Lebens zur Lösung festgefahrener Situationen eingesetzt. Dieses Buch zeigt wie die Aufstellungsarbeit für Pferde und mit Pferden Anwendung finden kann. Dabei stehen Schwierigkeiten im Umgang oder beim Reiten ebenso im Mittelpunkt wie Untugenden oder chronische Krankheiten.

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Angelika Hutmacher

Ich will dich verstehen

Familienaufstellung für Pferde

Inhalt

Wie alles begann

Aufstellungen – was ist das überhaupt ?

Grundlagen der Aufstellungsarbeit

Aufstellungen für Pferde

Ein Beispiel : Pura-Raza-Española-Wallach Milagro

Mögliche Anwendungsgebiete der Aufstellungsarbeit für Pferde

Mögliche Vorgehensweisen bei der Aufstellungsarbeit mit Pferden und für Pferde

Fallbeispiele für verschiedene Anwendungsgebiete

Problem beim Reiten : Florestano mangelt es an Schulterbeweglichkeit

Problem beim Reiten : Banjo geht beim Ausreiten durch

Problem beim Reiten : Rusty steigt

Problem im Umgang : Sam beißt

Traumatische Erfahrung : Ronny wurde sechs Jahre lang mit Rollkur geritten

Traumatische Erfahrung : Esparraguito hat Panikattacken

Krankheit und Heilung : Esperanza geht lahm

Krankheit und Heilung : Dario hustet

Krankheit und Heilung : Bobby ist kolikanfällig

Verhaltensauffälligkeiten : Orlando koppt

Abschied nehmen : Magic Boy verkaufen geht nicht

Abschied nehmen : Tango – zum Schlachter oder einschläfern ?

Weiterentwicklung im Alltag : Mehr Sicherheit für Ramiro

Aufstellung während des Reitens : Auf Star ist es unbequem

Der Ablauf einer einfachen Aufstellung zusammengefasst

Womit kann man aufstellen ?

Wie beginnt man eine Aufstellung ?

Wie fühlt man sich ein ?

Wie stellt man um ?

Wann ist eine Aufstellung zu Ende ?

Was ist , wenn ich nichts fühle oder keine Erkenntnisse erlange ?

Wie oft kann ich aufstellen ?

Für welche Themen sollte ich aufstellen ?

Welche Verfahren können Aufstellungen sinnvoll ergänzen ?

Ein paar Worte zum Schluss

Danke

Literaturtipps

Stichwortregister

Die Informationen in diesem Buch wurden sorgsam erwogen und zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/​oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Ratschläge und dargestellten Ansichten entstehen, kann von Autorin und Verlag dennoch keine Haftung übernommen werden.

Impressum

Copyright © 2013 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Gestaltung und Satz: Ravenstein + Partner, Verden

Lektorat: Maren Müller

Coverfoto und Fotos im Innenteil: Wilhelm Hutmacher, sofern nicht anders angegeben

Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

Deutsche Nationalbibliothek– CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

ISBN Print 978-3-8404-1041-3

ISBN Epub 978-3-8404-6145-3

ISBN Kindle 978-3-8404-6146-0

Wenn ich mich erinnere, scheint es bereits ewig, seit ich mit Aufstellungen arbeite. Mit 26Jahren bekam ich die Diagnose Krebs. Zu dieser Zeit war ich in allen Lebensbereichen unglücklich. Der Krebs tat nicht wirklich weh, aber ich hatte regelmäßig Rheumaschübe, Migräne und häufig heftige Koliken. Mein restliches Leben war schnell zusammengefasst: wenig Geld, stressige Beziehung, unglücklich im Beruf. Es schien fast, als würde mir die Diagnose zu Hilfe kommen, damit ich dieses freudlose Leben verlassen durfte. Da bereits einige Familienmitglieder trotz schulmedizinischer Behandlung qualvoll an Krebs verstorben waren, gab es für mich eine klare Entscheidung gegen jeden medizinischen Weg. Entweder fand ich eine Alternative oder ich würde so friedlich wie möglich sterben wollen. Ich öffnete mich daher den Ideen der Naturheilkunde. Auf Empfehlung ging ich zu einem Heilpraktiker, der mich nach den Grundsätzen der klassischen Homöopathie behandelte. Nach und nach setzten meine Organfunktionen wieder ein. Ich wurde immer schmerzfreier, doch mein Leben war weiterhin im emotionalen Chaos. Ich war mit meiner Situation ständig unzufrieden und gänzlich frustriert. Ohnmacht, Wut, Trauer und Depressionen wechselten sich stetig ab. Ich begann damals eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und nebenbei auch eine zur Rettungssanitäterin. Durch die Übernahme der Leitung einer Heilpraktikerschule im Bereich Organisation und Buchhaltung ergab sich außerdem die Möglichkeit, viele zusätzliche Ausbildungskurse gratis zu besuchen. So fügten sich die Dinge zu einer dicken Grundlage an Wissen.

Auf der Suche nach weiterer Hilfe für mich und meine ungeklärten Gefühle lernte ich Familienaufstellungen kennen, die damals völlig unbekannt waren und fast in die Schublade „Schwarze Magie“ gesteckt wurden. Ich erlebte diese Arbeit jedoch als unglaublich befreiend. Endlich verstand ich die Zusammenhänge meines Lebens. Endlich sah ich Auswege. Endlich bekam ich neuen Lebensmut. Familienaufstellungen überzeugten mich so tief gehend, dass ich die Aufstellungsarbeit selbst erlernte. Zusätzlich belegte ich viele Kurse im Bereich Psychologie und Einzelcoaching. All das war eine perfekte Ergänzung zu meinem Lieblingsbereich, der Homöopathie.

Die Aufstellungsarbeit ermöglicht es, dass wir uns auf die Ebene unseres Pferdes begeben. So können wir tief greifende Dinge über unser Pferd und uns selbst erfahren.

Nun konnte ich die gesamte Lebensenergie als Aufwärtsspirale und unglaubliche Dynamik in meinem Leben nutzen. Ich trennte mich von meinem ersten Mann, zog in eine winzige Wohnung und eröffnete meine erste Praxis, wobei ich mir weiterhin regelmäßig Zeit für Weiterbildung und Forschung nahm. Außerdem kooperierte ich mit einigen Homöopathenkollegen, die mir öfter Klienten zur Aufstellungsarbeit schickten, bei denen die homöopathischen Mittel nicht so durchgreifend wirkten wie gewünscht.

1996 schickte ein Kollege eine Pferdebesitzerin zu mir. Ihr Pferd hatte am ganzen Körper einen Ausschlag, war seit vielen Wochen blutig gescheuert. Weder Cortison noch andere medizinische Behandlungen schlugen an. Der Tierarzt riet zum erlösenden Einschläfern. Da die Besitzerin bereits Depressionen hatte und androhte, sich umzubringen, wenn ihr Pferd eingeschläfert werden müsse, sollte ihr die Aufstellungsarbeit einen Ablöseprozess von ihrem Pferd und damit einen friedlichen Abschied ermöglichen. Geplant war also eine klassische Familienaufstellung. Mir kam jedoch die Idee, nicht nur die Familienmitglieder der Klientin aufzustellen, sondern symbolisch auch einen Stellvertreter für das Pferd zu wählen. Nach dem Teil der familiensystemischen Arbeit war auf dem Platz des Pferdes eine deutliche Erleichterung zu fühlen. Ich war etwas überrascht und hoffte, dass die Klientin sich nun auf alle Fälle in Frieden mit der Realität von ihrem Pferd verabschieden konnte. Tatsächlich passierte jedoch etwas Wunderbares: Das Pferd entspannte sich und hörte von diesem Tag an auf, sich zu scheuern. Innerhalb weniger Wochen waren alle Wunden verheilt, das Fell begann wieder zu wachsen.

Für mich war ab diesem Tag klar: Wir haben und lieben Tiere als Familienmitglieder, also verhalten sich unsere Tiere systemisch betrachtet auch wie Familienmitglieder. Das war von nun an Grundlage meiner weiteren Forschungen.

In den folgenden Jahren stellte ich für alle möglichen Tiere auf, ob mit Fell, Federn oder Borsten. Oftmals handelte es sich um Tiere, die sterben sollten oder mussten. Nicht selten, weil die Behandlung teurer gewesen wäre als die Anschaffung eines neuen Tiers. Die Aufstellungen zeigten ganz unterschiedliche Familienthemen. Fast immer konnte das Tier gerettet werden, in wenigen Fällen erwies sich die Aufstellung als Sterbebegleitung und spendete dem Besitzer Trost und Beistand.

Meine besondere Liebe zu Pferden brachte es mit sich, dass häufig Pferdebesitzer meinen Rat suchten. Mein erstes eigenes Pferd kam 1999 in mein Leben – als „Ganzkörperbaustelle“ und hochgradig traumatisiert. Ich suchte nach einem geeigneten Stall, wo unser „Überleben“ gesichert und Heilung möglich war. Und wie es wahrscheinlich viele Pferdebesitzer schon erfahren haben: In der Not öffnen sich ungeahnte Türen. Meine Sehnsucht, meine Suche, mein Weg führten mich zu Barbara Heilmeyer, die damals ein Ausbildungszentrum in der Nähe von Karlsruhe leitete. Schnell ergänzte sich unsere Arbeit. In Dankbarkeit erinnere ich mich an die gemeinsamen Jahre und meine vielfältigen Ausbildungskurse bei ihr, von klassischer Dressur über Chironspringen, Tellington-Touch und Zirkuslektionen bis hin zur Arbeit am langen Zügel. Regelmäßig durfte ich für ihre Berittpferde aufstellen und Kursteilnehmer und ihre Pferde mit Aufstellungsarbeit begleiten. Mein Kurs „Aufstellungsarbeit für Mensch und Tier“ wurde ins Jahresprogramm des Zentrums aufgenommen.

2003 lernte ich meinen Mann kennen und zog nach wenigen Monaten auf seinen Hof in Nordrhein-Westfalen, wo ich mit ihm, seinen Kindern, unserer gemeinsamen Tochter und seinen Eltern bis heute lebe und arbeite. Internationale Kongressvorträge, viele Presseartikel sowie der erste Seminarfilm „Aufstellungen für Mensch und Tier“ folgten. Mit unseren umfangreichen Internetseiten mit vielen Gratishör- und -videodateien sowie gemeinsamen CD- und DVD-Produktionen konnte meine Arbeit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Als großes Geschenk in meinem Leben begegnete mir David de Wispelaere. Mit meinen Pferden bin ich seit 2009 seine Schülerin. Seine genaue Beobachtungsgabe, sein großer Erfahrungsschatz verbunden mit seiner herausragenden Fähigkeit, Mensch und Pferd mit großem Respekt, Souveränität und Wertschätzung zu begegnen, gehen für mich weit über Reitunterricht hinaus. Ich konnte und kann mein Pferde- und Reitwissen dort perfekt erweitern.

Mein Traum blieb, ein Buch über dieses mir sehr ans Herz gewachsene Thema zu veröffentlichen. Das Wunder kam im Sommer 2012: Während einer Wanderung mitten im Dachsteingebirge in Österreich begegnete mir eine Pferdeherde. Sie umringte mich und ich war von der Innigkeit und dem Zutrauen der Pferde so bewegt, dass mir die Tränen kullerten. Wie könnte ich mein Wissen über Pferde und Aufstellungsarbeit wohl weiter in die Welt tragen, um die Harmonie zwischen Mensch und Tier zu fördern? Am Abend öffnete ich mein Mailprogramm und traute meinen Augen nicht. Im Posteingang war eine Anfrage des Cadmos-Verlags, ob ich ein Buch über Aufstellungen für Pferde schreiben wolle. Wie die Liebe unseres Lebens uns doch führen kann!

Ich wünsche Ihnen beim Lesen dieses Buches viel Intuition. Fühlen und lassen Sie zu, was Sie berührt. Bewegen Sie es und lassen Sie das für Sie und Ihr Pferd Passende wirken. Ich wünsche Ihnen den Mut und die Kraft, Ihren ganz persönlichen Entwicklungsweg zu gehen und diesen mit Ihrem Pferd als liebevollem Begleiter zu genießen.

Herzlichst Angelika Hutmacher

Pferdemenschen können sich in der Regel gut in andere Lebewesen einfühlen.

Während meiner Ausbildung zur Homöopathin legte mein Ausbilder, der indische Arzt Ravi Roy, sehr viel Wert auf Genauigkeit. Er ließ uns zum Training unter anderem zwei Jahre lang Sherlock Holmes lesen. Wir sollten verstehen lernen und auch lernen die Essenz, die Ursache einer Krankheit zu finden, die bisher noch keiner gesehen hat. Wo ist der wunde Punkt, der dunkle Punkt? Was macht die individuelle Geschichte aus? Was ist die Ursache des Leidens bei diesem Menschen? Wie kann ich zur Lösung beitragen? Was hilft meinem Klienten wirklich?

Seit 20Jahren arbeite ich nun mit Aufstellungen und unterstütze in den letzten Jahren zunehmend Menschen dabei, für sich selbst aufzustellen. Auch in dieser Hinsicht wurde ich von meinem Lehrer Ravi Roy geprägt, der mir während meines dreijährigen Praktikums in seiner Praxis die elementare Botschaft vermittelte: In jedem Menschen ist alles Wissen über sich und seine Heilung enthalten. Es schläft, es wurde vergessen, unterdrückt, begraben aus unterschiedlichen Gründen. Wenn Hilfe von außen nötig ist, dann ist es der Job eines Heilers oder Coachs, den Klienten daran zu erinnern: „Ich helfe dir, dir selbst zu helfen.“ Wenn der Anfang des Weges gegangen ist, können viele Menschen schnell allein weitergehen. Das ist heute die Grundlage meiner Arbeit. Ich möchte diejenigen, die zu mir kommen, so schnell wie möglich unabhängig machen. Selbstverständlich darf sich jeder wieder bei mir melden, wenn er doch einmal nicht mehr weiterkommt.

Ich stelle Ihnen diese Gedanken hier vor, denn ich möchte Sie dazu ermutigen, die Technik des Aufstellens selbst auszuprobieren. Anhand der Beispiele werde ich Ihnen vermitteln, wie sich das für Sie anfühlen kann. Ich möchte Sie dazu motivieren herauszufinden, wie Sie diese Technik für sich und Ihr Pferd nutzen können. Ich glaube, dass gerade Reiter daran gewöhnt sind, in schwierigen Situationen neue Wege zu gehen. Pferdemenschen sind es gewohnt, sich einzufühlen, insbesondere in Lebewesen, die nicht sprechen können und die ihre Botschaften über Körpersprache und Gefühle mitteilen.

Ich glaube daran, aber dies ist meine Meinung, die, wie meine Erfahrung zeigt, längst nicht jeder teilt. Wenn Sie dieses Buch also gelesen haben und sich austauschen wollen, könnten sie von anderen Menschen abwertende oder negative Meinungen hierzu hören. Lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Gehen Sie vor wie beim Reiten: Probieren Sie selbst aus, fühlen Sie, schauen Sie genau hin und übernehmen Sie, was für Sie und Ihr Pferd passt.

Grundlagen der Aufstellungsarbeit

Zunächst möchte ich Ihnen hier einen allgemeinen Einblick in die Aufstellungsarbeit geben: Die Menschen einer Familie sind (oft unbewusst) in Liebe tief miteinander verbunden. Im heilen Zustand sind unsere Großeltern und Ahnen eine positive Kraftquelle für unser Leben. Wir können diese Kraft der Ahnen nutzen, um uns unserem Potenzial entsprechend zu entfalten.

Befinden wir uns im Hinblick auf unsere Familie im unheilen Zustand, dann wird dies in der Sprache der Aufstellungsarbeit „verstrickt“ genannt. Wir sind mit den Ahnen im Leiden verbunden. Wir wiederholen (wieder oft unbewusst) den Schmerz unserer Ahnen. Wir haben das Gefühl, unser Leben nicht zu leben. Häufig beschreiben Klienten, dass sie in ihrer Wahrnehmung mit angezogener Handbremse leben oder dass alles sehr schwer ist. Verstrickte Menschen leiden unter körperlichen und psychischen Problemen, die meist nicht erfolgreich therapiert werden können. Häufiger Ärger mit dem Chef, mit Kollegen oder dem Vermieter, Kontrollverlust in der Beziehung, plötzliche Arbeitslosigkeit, Geldverlust, Betrug, Verleumdung, Mobbing und vieles mehr sind ebenso häufig Anzeichen dafür, dass ein Mensch sich in verstricktem Zustand befindet. Wie aber kommt es dazu?

Warum gerade ein Kind in einer Familie besonders betroffen/​verstrickt ist und ein anderes Kind deutlich weniger, lässt sich nicht genau begründen. Es gibt jedoch bestimmte Schicksale, bei denen wiederholt beobachtet wurde, dass sie für eine Familie eine besondere Bedeutung haben. Insbesondere handelt es sich hierbei um Schicksale verstorbener Menschen, an die vielleicht gar nicht gedacht wird. Möglicherweise geht es um Kinder, die durch einen Unfall oder Krankheit früh starben und um die nicht oder nur wenig getrauert werden konnte. Aber auch wenn Eltern oder Großeltern als Kriegsgefangene traumatische Erlebnisse hatten, etwa Folter oder Gewalt, kann das bis heute große Auswirkungen im Familiensystem haben. Körperlicher und/​oder psychischer Missbrauch, Mord, Flucht, Heimatverlust, Scheidung, verheimlichte „Kuckuckskinder“, ungewollte Kinder und Abtreibungen sind ebenso Beispiele wie erlebte Ausgrenzung, etwa aufgrund religiöser Motive oder Homosexualität.

Diese Aufstellung zeigt einen unheilen, also verstrickten Zustand.

Im Grund kann alles belastend sein und große Wunden hinterlassen, was als schweres Schicksal erlebt wurde und nicht verarbeitet werden konnte, weil dafür keine Heilung, keine Worte gefunden wurden. Starke Gefühle wie Ohnmacht, Trauer, Wut und Angst prägen den Menschen, der ein solches Schicksal erlebt hat. Wir Kinder dieser Ahnen solidarisieren uns in Liebe. Wir wollen unbewusst zu unserer Sippe gehören. Wir leben das Schicksal nach oder versuchen, genau das Gegenteil zu leben.

Der Kern der Familienaufstellungsarbeit besteht meist darin, das Schicksal zu sehen und zu benennen. Durch die Anerkennung und Würdigung der jeweiligen Menschen und ihres Schicksals setzt Heilung ein. Dadurch entsteht Transformation im System und aus der Verstrickung wird heile Verbundenheit zu den Ahnen. Dann befindet sich der Betroffene in einer heilsamen und kraftvollen Aufwärtsspirale des Lebens. Das ist der Kern der Aufstellungsarbeit: Sie soll die Verstrickung in Verbundenheit verwandeln.

Diese Aufstellung zeigt einen geheilten Zustand– Verbundenheit.

Wie funktioniert diese Verwandlungsarbeit nun aber genau?

Wer zur Aufstellung kommt, hat ein besonderes Anliegen. Beispiele hierfür sind:

Ich habe immer Streit mit meiner Mutter.

Ich werde häufig betrogen. Wie kann das sein?

Ich habe Depressionen. Wo ist die systemische Grundlage dafür und wie kann ich Heilung erzielen?

Ich verliere trotz guter Leistungen immer wieder meinen Arbeitsplatz. Wie kommen Stabilität und Balance in mein Leben?

Nach der Formulierung des Anliegens wird im Erstgespräch ein sogenanntes Genogramm aufgenommen. Das bedeutet, der Therapeut notiert die Grundstruktur der Familie. Die Geschwisterreihe, die Eltern und Großeltern werden benannt. Ebenso wichtig ist in Erfahrung zu bringen, wer früh und mit einem besonderen Schicksal verstorben ist. Außerdem wird nach schwerwiegenden Erlebnissen und Besonderheiten in der eigenen und der Familiengeschichte des Klienten gefragt. Früher wurde überwiegend in Gruppen aufgestellt, während heute die Aufstellungsarbeit im Einzelgespräch sich weiterverbreitet. Ich möchte Ihnen die unterschiedlichen Techniken hier vorstellen.

Stellvertreter, die mit abgewandtem Blick positioniert werden, fühlen sich meist ausgegrenzt und nicht gesehen.

Bei der Aufstellung in der Gruppe bestimmt der Therapeut nach der Formulierung des Anliegens die Kernthemen. Bei Familienaufstellungen sind mit Kernthemen die jeweils relevanten Teile der Familie gemeint, also die Personen, mit denen das Problem in irgendeiner Form zu tun hat. Bei der systemischen Aufstellungsarbeit sind die Kernthemen die wichtigen Bestandteile des Anliegens. Bei einer Aufstellung für einen erkrankten Menschen können das beispielsweise der erkrankte Körperteil oder die Krankheitssymptome sein. Auch Gefühle, Gegenstände wie Geld oder Häuser oder, bei Aufstellungen für Unternehmen, die Kundengruppe, Marketingfragen und vieles mehr können solche Kernthemen sein.

Für die benannten Kernthemen wählt der Klient jeweils einen Stellvertreter aus der Gruppe sowie einen Stellvertreter für sich selbst. Diesen Stellvertretern weist er seinem Gefühl folgend einen Platz zu, wodurch eine räumliche Zuordnung entsteht. Die Stellvertreter können sich nun in ihre jeweilige Rolle einfühlen und dürfen die dabei aufkommenden Gefühle und Impulse schildern. Der Aufstellungsleiter fragt die Stellvertreter beispielsweise „Wie geht es dir?“ oder „Wie fühlst du dich?“. Dadurch können die einzelnen Schicksale betrachtet und essenzielle Botschaften der jeweiligen Person gefühlt und ausgesprochen werden. So ergeben sich Umstellungen, die der Aufstellungsleiter vornimmt. Neue Ordnungsstrukturen entwickeln sich, und meist werden Sätze der Heilung gefunden – harmonischere Konstellationen entstehen.

Menschen, die bisher noch nichts mit Aufstellungsarbeit zu tun hatten, empfinden es anfangs als etwas unheimlich, dass fremde Personen sich in ihre eigenen, vielleicht sogar verstorbenen, Familienmitglieder einfühlen können. Doch dieses Phänomen ist erklärbar, etwa damit, dass wir Menschen grundsätzlich ein herzliches Mitgefühl in uns tragen und, wenn wir uns ganz auf eine Person einlassen, in der Lage sind, tatsächlich „mit ihr zu fühlen“.

Ich selbst erlebte in meiner ersten Aufstellung, mit welch tiefer Liebe und Trauer die Person für mich reagierte, die ich als meine Stellvertreterin ausgewählt hatte. Sie schaute sehnsüchtig auf den Stellvertreter meines verstorbenen Bruders und weinte. Eine fremde Frau, die für mich weinte, weil ich meinen Bruder vermisste – das war wie eine Welle, die tief in mein Inneres reichte. Fast schon abrupt spürte ich die Wahrheit in mir, und dieses Gefühl wurde immer stärker: Ja, ich hatte nicht zufällig Krebs, ich wollte sterben. Und nicht nur, weil mein Leben zu diesem Zeitpunkt sehr schmerzhaft war, sondern weil mich da etwas zu rufen schien, es war wie eine Sehnsucht, die mich „nach drüben“ zog. Während der Aufstellung war ich bis ins Mark erschüttert. Nach den ersten Betrachtungen von außen durfte ich schließlich auch selbst auf meinem Platz stehen. Ich sprach die Sätze des Aufstellungsleiters nach, die ich als sehr passend empfand: „Mein lieber Bruder, du bist schon dort. Erst lebe ich mein Leben, dann komme ich zu dir.“ Es waren für mich keine einfach so dahergesprochenen Worte. Das Entdecken dieser Wahrheit stellte für mich eine Kehrtwendung vom Sterben zum Leben dar.