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Caren Jeß presst leuchtendes Leben aus dem grauen Alltag. Die weiblichen Figuren straucheln immer wieder, aber sie geben nicht auf. Im Gegenteil. Sie suchen sich ihre Nischen. Eleonore verkriecht sich im Katzenfell. Brünnhilde klettert zu den Walküren in schwindelige Höhen. Und Ann Kudann baut sich mit Sara Sams ein Heartship, um dem Patriarchat davonzusegeln. Sie alle wollen dieses Leben, aber eben »In geil!«. Die dramatische Emanzipation vom omnipräsenten Wahnsinn ist bei Caren Jeß – was für ein Glück – einfach nicht mehr aufzuhalten. Folgende Theaterstücke sind abgedruckt: Die Katze Eleonore Die Walküren Heartship
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Seitenzahl: 190
Veröffentlichungsjahr: 2025
Caren Jeß
Dramatische Emanzipation
Caren Erdmuth Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, studierte Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur in Freiburg und Berlin. Mit der Grazer Uraufführung ihres ersten Stücks Bookpink wurde sie 2020 für den Mülheimer Dramatikpreis nominiert und zur Nachwuchsautorin des Jahres erklärt. 2023 gewann sie mit Die Katze Eleonore den Mülheimer Dramatik- und Publikumspreis. Sie schreibt u. a. Auftragsarbeiten für das Schauspielhaus Zürich, das Thalia Theater Hamburg, das Deutsche Theater Berlin und das Residenztheater München. Caren Jeß lebt in Dresden.
Weitere Informationen zu Caren Jeß:
Instagram @c.e.jess
www.fischer-theater.de
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2025 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, 60596 Frankfurt am Main
Aufführungsrechte: S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
www.fischertheater.de
Covergestaltung: Sanaz HazeghNejad · [email protected]
Coverabbildung: Caren Jeß
ISBN 978-3-10-492319-2
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Die Katze Eleonore
Anmerkungen:
Akt I – Die Niederkunft der Katze
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10.
Akt II – Herrn Wildbruchs Näherung
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15.
Akt III – Eleonores Allnacht
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Hemerophile 3
Die Walküren
Prolog
Erster Aufzug
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Zweiter Aufzug
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Dritter Aufzug
Erste Szene
Zweite Szene
Dritte Szene
Vierte Szene
Vierter Aufzug
Erste Szene
Zweite und letzte Szene
Hemerophile 1
Heartship
[DRUCK]
love you
1. Dezember. Im Heartship, einer Kneipe, auf der Bühne.
2.
3.
4.
5. In einem Sportclub, Aerobic-Kurs. Sara kommt verspätet dazu, postiert sich neben Ann.
6.
7. Im Sportclub beim Aerobic.
love you
8. April. Im Heartship auf der Bühne.
9. Im Sportclub beim Aerobic.
10.
11. In einem Zoo.
12. Mai. Im Heartship auf der Bühne.
13.
14. Im Sportclub beim Aerobic, Sara enthusiastisch, Ann unsicher.
15. In einem Restaurant.
love you
16. In ihrer Wohnung erliegt Ann einem Dermatillomanieanfall, nach und nach drückt sie die Pickel an ihren Beinen aus – währenddessen denkt sie:
17. Im Sportclub beim Aerobic.
18.
19.
love you
20.
21.
love you
22.
23.
24.
25.
26.
love you
27. September. Im Heartship auf der Bühne.
love you
28.
Danke
Du erkennst mich dann an einer Nelke im Knopfloch
»Liebe ist nicht banal«
Erstaufführungsdaten
Weitere Publikationen
[Abbildung]
Monolog
Zwar ist Die Katze Eleonore ein Monolog. Doch wird für seine Inszenierung zusätzlich eine männliche Stimme benötigt, die die Mailbox-Nachrichten des Psychologen Wildbruch (Szenen II/11 und III/6) einspricht. Eine weitere Stimme für die Nebentexte in Akt III ist optional. Akt III kann auch – bis auf den Mailbox-Text – sprachlos eingerichtet werden. Die Zitate, die Eleonore in ihrem Monolog anbringt, werden von ihr selbst wiedergegeben.
Die Bühne bildet Eleonores Haus und Garten ab. In Akt I und Akt II befinden wir uns im Inneren des Hauses. Durch eine Katzenklappe gelangt man in den Garten, in dem Akt III spielt. Die hintere Wand muss sich öffnen oder die Bühne sich drehen können.
Das Haus ist clean, der Garten ist wild.
Die Katze Eleonore ist keine komische Figur.
/ Im ersten Akt trägt Eleonore nur bei Nacht ihr Fell. /
Lecken
/ Nacht. Anfang September. /
/ Eleonore sitzt im Lichtkegel einer Lampe auf dem Boden. Sie leckt sich das Fell. /
[waʊ̯]
/ Tag. Einige Tage später, September. /
/ Eleonore bürstet ihren Mantel mit einer Fusselrolle. Sie geht dabei sehr bedacht vor. /
Ich habe es erst vor einem Jahr richtig verstanden,
obwohl ich es schon immer wusste,
ich meine intuitiv,
ohne es in Worte fassen zu können.
Es war an einem Abend im September.
Ich sah aus dem Fenster
und beobachtete eine Katze.
Sie saß auf dem
gegenüberliegenden Trottoir
im Schein einer Straßenlaterne,
als hätte sie jemand für mich dort hingesetzt;
leckte sich die Pfote.
Und ich dachte an meine Mutter.
Und
wieso ich ihr passiert war.
Meine Gedanken an sie waren
ein autodynamisches Patchwork
ihres Geredes
über die Arbeit
die Nachbarn
die Wahl
der Spinat
das Ozonloch
Prozentzahl
Prozentzahl
war damals
die Modernisierung
als dürfte man nicht mehr
bin ich denn jetzt
nie gehört
Postpaket
Eitelkeit
Gruppenchat
einfach wegen Geld
ist das jetzt
macht jetzt ein Update
darf man doch
ich denn jetzt schuld daran?
Gisela
Anne-Helene
die geht auf die Straße
nicht Prostitution
nein Protest
haha, das ist doch dummdreist
komm ehrlich, ja?, ehrlich
und Klaus sagt das auch
wobei neulich, da hab ich
eins, zwei, eins, zwei, allez hopp
das war bestens, ich sag dir, du wärst
hin und weg
und am Flughafen
weißt ja, nie würd ich
der Tante
also deiner nicht meiner
hahahahaha
die wird sich noch wundern
die rechnet ja nun wirklich am allerallerwenigsten damit
ach, schau mal
aber ehrlich, das musst du ja selbst – na ja
Eleonore
das Hochzeits- guck an!
auf keinen Fall werden wir ihr das Haus
er sagte ja damals
der Fisch war
und Jodsalz
und Essig
und sagte ich schon?
igitt
wirklich ih
ih ih ih
ija
[v]ub
[w]ab
[w]ab[w]ab[w]ab [w]lab
[waʊ̯]
blaa blaa blaa
bääh bäääh
ääia
a.
Und dann,
unwillkürlich,
leckte ich mir den Teil meiner Hand
zwischen Daumen und Zeigefinger,
wo es weich ist,
wo Fleisch und Sehnen sind.
Und erst im Lecken
fiel mir auf, dass ich leckte.
Ich stutzte.
Die Worte im Kopf wurden breiig’breiiger’teigig’klebrig’hefig’eklig,
egal, waren
eigentlich völlig ereignislos.
Mein Magen knurrte.
Ich kreiste die Schultern und
sah geradeaus, und da blickte der Katze ich plötzlich direkt
in die Augen.
Sie saß auf dem Fenstergesims.
Uns trennte
die Scheibe aus Glas.
Das Fell
/ Tag. Ein Tag später, September. /
Am nächsten Tag kaufte ich mir ein Fell.
Es ist schwarz,
samtig glatt,
Echthaar.
Ich brachte es
zu einer Schneiderin,
die nestelte an ihrer
Brille herum,
(SCHNEIDERIN:) Darf man fragen, für welchen Anlass?
kicherte sie,
süß oder so, sagte sie, fände sie Katzen.
Ich legte ihr
für die wirklich herausragend gearbeitete Spezialanfertigung zwei-
tausendachthundertsechzig
Euro auf den Tisch und
sagte
Nein.
Ich trug das Fell heim
wie ein ohnmächtiges Tier,
das es zu reanimieren galt.
.
Ich dachte, es würde verwachsen
mit meiner erbärmlichen Menschenhaut.
Tut es aber nicht.
Nun gut,
man geht
Kompromisse ein.
Das bleibt auch als Katze nicht aus.
.
Es war unglaublich
wahr,
das erste Mal
in meinem
Fell, und
ich leckte es,
schmiegte mich
reckte und
streckte und
lag in der Ecke
und dachte an nichts.
Da klingelte plötzlich das Telefon, klingelte’klingelte’klingelte
oh so erbarmungslos.
(WARANTSCHOW:) Eleonore?! In der Heinrichstraße 87 warten
Kunden, was ist los, kommst du noch?
Warantschow,
sagte ich,
ruhig,
ich komme nie wieder.
Da
/ Nacht. Einige Nächte später, September. /
/ Eleonore liegt da in ihrem Fell. Sie döst. /
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
/ Tag. Einige Tage später, September. /
Frau Erdigenbach schob einen Stift durch die Luft,
und ich folgte ihm
mit meinem Blick.
(ERDIGENBACH:) Schildern Sie mal den Verlauf Ihrer
Schwindelattacken?
Und so schilderte ich
meinen Schwindel,
kein Schmerz, nur
kein Gleichgewicht,
dreht, alles dreht sich, nur
ich dreh mich nicht,
dann erbreche ich,
kommt einfach über mich,
aus mir,
im Ernst,
vorher kannte ich
Schwindel nicht, ach
und
er kommt nach dem
Schlaf.
Erdigenbach machte Notizen,
der Schwindel sei
gutartig,
danke,
wie schön, was
kann besser sein, als sich einem Taumel ausgeliefert zu sehen,
dessen Erträglichkeit spannt wie die Eihaut der
Fruchtblase kurz vor dem Riss, und ist gutartig,
gut, ist nicht böse dabei, gebt mir mehr
davon
Erdigenbach stellte die Krankschreibung aus,
könne wieder passieren.
Gut, noch was anderes,
sagte ich,
ja?,
fragte sie, und ich sah
ihre Nägel,
perfekt manikürt,
blass rosé auf bedrucktem Papier,
Befreiungsmanöver stand oben, darunter
war etwas, das aussah wie Yoga.
Sie schob es mir rüber,
(ELEONORE:) Ich bin eine Katze.
.
Erdigenbach, bass erstaunt saß sie da wie Gelee,
Sekunden
vergingen,
dann fragte sie,
(ERDIGENBACH:) Was?
Eine Katze.
.
Weiß auch nicht,
es war ein Versuch,
dieser Frau zu erzählen,
was los ist
mit mir.
Und so fragte ich,
ob unter den Voraussetzungen
meiner menschlichen Physis
ein Leben als Katze
bedenklich sei.
Frau Doktor Erdigenbach überlegte,
zumindest
sah es so aus.
.
So ich mich mit Nährstoffen reichlich versorgte viel tränke Banane
Brot Vitamin-C ist mein Eisengehalt denn in Ordnung
Bewegung Beruhigung mal Gurke aufs Auge heraus-
fordernd ja das Soziale das sei sicher sei
so so ist das da sehe sie nun und beruf-
lich wie wollen Sie das also ich
meine nur meine als Katze?
Erdigenbach stieß ein Lachen auf.
Dass ich kündige, sagte ich,
schaute sie an,
die sich sammelte,
sammelte sich wie die matschigen
Pflaumen
vom Rasen,
doch leider
gelang es ihr nicht, und sie
fing an
zu faseln:
Nun ja Frau Garazzo ach so ja verstehe wie ist das denn dann wenn
dann äm also ja dann gut finanziell? für eine Er-
werbsminderungsrente hm sei kompliziert sei die
DRV pingelig Reha PT wird eventuell nun ja
eventuell wissen Sie das kann nicht jeder
für sich denn berufsunfähig das sei-
en streng genommen seien Ver-
sicherte deren Erwerbs-
fähigkeit wegen Krankheit bla
bla Behinderung körperlich geistig
und seelisch das nun der die das die
Erwerbsfähigkeit und da seh ich bei Ihnen
nun ja keinen Grund
.
Ich brauch keine Rente, ich
habe Vermögen,
das
reicht für ein
Leben als Katze.
Ich binde mir doch
keine Extralast
Bürokratie ans Bein.
Da sagte sie, sie
begegne der Bürokratie
mit Humor, ob ich die
Sonatine Bureaucratique kenne,
Erik Satie,
nein, sagte ich,
nur die
Musique d’ameublement kenne ich,
fände ich
aber nicht witzig.
.
Also gut,
Frau Garazzo,
wenn Schwindel Sie plagt,
kommen Sie einfach
zu mir,
und ihr Blick war so
matt wie ihr
Nagellack,
aber
eins noch,
ergänzte sie,
(ERDIGENBACH:) Ich überweise Sie zu einem Therapeuten, Gerald Wildbruch. Vielleicht kann der Ihnen helfen.
Denn der kenne sich aus
mit Identitäts-
hier stockte die Ärztin,
-themen.
Mein Mundwinkel
bog sich, ich
gab ihr die Hand,
sie mir
Schweigepflicht,
warte nur,
Erdigenbach,
mit dem
Wildbruch
hab ich was
gemeinsam.
.
Ich hatte den Eindruck, sie schwankte, als ich sie verließ –
vielleicht hat sie ja
auch diesen benignen paroxysmalen
Lagerungsschwindel,
wer weiß.
Trinken
/ Nacht. Eine Nacht später, September. /
/ Eleonore schleckt – mehr zur Übung denn aus Hunger – Milch aus einem Napf. /
Molke
/ Tag. Einen Tag später, September. /
Herr Wildbruch blickte mich an wie ein Hund.
(HERR WILDBRUCH:) Sie glauben – Sie sind eine Katze?
Ich blickte aus dem Fenster,
ignorierte ihn.
Ja, hatte ich
doch gerade gesagt.
.
(HERR WILDBRUCH:) Frau Garazzo – das müssen Sie mir erklären.
Ich will nichts erklären,
es reicht nicht und
langweilt mich.
Was sollen sie schon,
die Worte,
was können sie.
.
Wie anmaßend eitel wie altklug naiv ja wie wenig wie albern wie
lächerlich lächerlich lachhaft die Menschen meinen
sie würden Abwechslung schaffen durch ihre Worte
ihre ach ach! ihre ach so mannigfachen Worte
dabei erzählen sie immer das Gleiche
c’est tout
(HERR WILDBRUCH:) Aber das Leben einer Katze ist doch noch
viel gleichförmiger.
Ein Katzenleben gleichförmig?
Nicht im Geringsten.
Meine zarten Vibrissen nehmen Schwingungen wahr,
davon träumen Sie nur,
meine Sinne sind fein,
filigran.
Sie zittern.
Sie schnurren.
Sie beben.
Sie
elektrisieren.
Mein Instinkt unbeirrbar,
ich wittere Gefahr,
ich fühle das Wetter.
Durch mein Blut rauscht ein Heersturm lebendiger Sinne sie bäumen sich auf wie Satyrn deren feucht-süße Nüstern wie
Blütensaft lecken und scharf wie ein Gift der
Verführung sich ätzen wie Flusssäure tief in
die Haut und darunter die Knochen zer-
fressen und nagen an deinem
Verstand
Meine Sinne sind Gold.
Ich spüre, wie
Sie
sich
fühlen,
und wenn ich mich rege,
dann nimm dich in Acht.
Mein Instinkt ist
gewaltig,
ich fange die Maus
nicht mit Käse und Speck.
.
Das sagte ich ihm natürlich nicht so ausführlich.
Ein Blick
reicht da.
Er hat mich verstanden,
er saß da,
Herr Wildbruch,
und starrte mich an wie
eine Doku
über sein Lieblingstabu.
Wie er da
saß,
sich die Haut von den Nägeln und
mich nicht durchdrang.
Da hatte er sich doch gerade ein Bild von mir gemacht –
Immobilien Geld Geltung Geld Vaterkomplex –,
und jetzt wischte sie seine Analyse einfach vom Tisch
wie eine aus unzähligen Scherben mühsam zusammengeklebte
Vase,
[mi:aʊ̯].
(HERR WILDBRUCH:) Also lassen Sie es sich gutgehen? Oder –
beschreiben Sie das doch mal, was fühlen Sie, wenn Sie auf
der Heizung liegen und sich das Handgelenk lecken?
Ich seufzte.
Die Uhr ging,
er sprach, und
ich schwieg mich
um Kopf und
um Kragen,
doch dann,
ganz am Ende der Stunde,
da sagte ich ihm,
ich sei nicht Privatiere,
sei Katze,
ja?, das sei ein Unterschied.
Was er wolle, wisse ich nicht,
ich jedenfalls schüttle die
Bürokratie
ab
wie getrocknete Molke.
Der Baum
/ Tag. Einige Tage später, September. /
Einmal war da dieser Junge,
da hätte ich es eigentlich schon merken können.
Er trat einem morschen Baum die Äste ab
und hatte
offenbar Spaß daran,
aggressiven Spaß.
Spaß und Aggression liegen oft ja nicht weit auseinander.
Der Junge zertrat den Baum,
er trat, und er trat.
Der letzte Ast war kantig gegabelt.
Der Junge trat zu, und
der eine Astarm brach ab, und
der andere stach sich ihm heftig ins Bein.
Er schrie,
äußerst laut.
Ich sah, wie das Blut rann.
.
Und da schoss mir sehr plötzlich eine Erinnerung in den Kopf,
ein Erlebnis aus meiner Kindheit.
Witzig,
das hatte ich
völlig vergessen.
Auf dem Weg zur Schule,
ich war acht,
kam ich immer
an einer morschen
Eiche vorbei.
In ihrem Schoß
lag einst ein
schwangeres Kätzchen,
wartend,
erwartend
das Leben.
Sie warf sieben Junge,
und eines davon
befasste ich
mit meinem Handschuh.
Da nahm die Mutter es
nicht mehr zurück,
sie verstieß es,
es starb,
und ich schämte mich
sechs Tage lang.
Am siebten dann kam ich zurück zu ihr,
sagte,
liebe Katze, es tut mir so leid, dass ich dir ein Kind genommen
hab, aber ich schwöre,
versprech dir, ich mach’s
wieder gut, du wirst sehn,
Katze, warte nur.
Warte.
Intensität
/ Nacht. Ein paar Nächte später, September. /
/ Eleonore steigt durch die Klappe aus dem Garten ins Innere ihres Hauses, schleicht ein paar Schritte nach vorn. Reglos wie eindringlich starrt sie geradeaus. Wenn sie dabei zufällig den Blick eines Menschen im Publikum trifft, wird es sicherlich dieser sein, der zuerst wegschaut. /
Das Ende der Arbeit
/ Tag. Ende September. /
Mein Name ist Eleonore.
Dieses Jahr bin ich vierzig geworden.
Für eine Katze ist das sehr alt.
Ich habe zwölf Jahre als Maklerin gearbeitet,
Immobilien.
Mir hat der Job nie wirklich gefallen.
Aber andere,
da bin ich mir sicher,
hätte ich weniger noch gemocht.
In meinem Job ist mir niemand zu nah gekommen.
Bei einem hohen Aufkommen von Seriosität verhält sich der
Mensch meist wie ein
kastrierter Hund.
Ich sah immer gut aus,
ein Klischee
im Kostüm,
unter dem mich niemand erkannte.
Meine Nägel waren
immer lackiert,
manchmal rot
rosa
beige
nude,
dass ich daran ja niemals kaute.
Es ist kein Jahr her,
da tat ich das noch.
Ich bog mit den Händen den Fuß an den Mund
und kaute mir sämtliche Nägel
ab.
Oft
war es blutig und manchmal entzündet sogar.
Doch meine Hände,
die musste ich schonen partout.
Was denken die Kunden, die
kaufen ja nichts
von einer mit krüppligen Nägeln.
Jetzt hab ich den Kratzbaum.
.
Mein Erscheinungsbild passte
zur Leere der Räume.
Ich hasste es,
belebte Räume zu vertreten
oder abzunehmen.
Und wenn da dann auch noch
Zeug herumlag,
Hefte
Geschirr
Zahnpasta
Druckerpapier
Haargummis
Tetrapaks
Mülleimer
Geige
Zigarettenfilter
Briefe mit Namen drauf
Hundenapf
Messer
Gabel
Blumentopf
.
Diese verzweifelten Dinge.
.
[w]ub
ist das komisch,
wenn ich daran denke,
wie albern das war,
diese Arbeit.
All die Verträge,
die Deals,
dieser Handschlag, der zwischen zwei Menschen ins Nichts fällt
wie ein Hammer, dem gleich ist,
ob er auf Stahl oder
pulswarme Herzen schlägt.
.
Mensch,
was machst du beruflich?
Ich tu so als ob, und
du tust so als ob, und dann
kommen wir ins Geschäft.
Wer sich umdreht oder lacht,
wird gerügt und schreibt
hundertmal
Authentizität
an die Tafel.
.
.
.
Es geht mir so gut.
.
Ich schlafe auch nicht mehr
acht Stunden am Stück.
Wie seltsam auch.
/ Lacht. /
.
(HERR WILDBRUCH:) Also, was mir noch einfiel zu Katzen: Die
sind ja sehr beliebt.
Was mir noch einfiel,
was dir noch einfiel,
was mir noch einfiel,
die Katze tritt die Treppe krumm, krumm tritt die Katze die
Treppe.
Die Katze verleiht dir Gefühle,
zum Beispiel die Zärtlichkeit.
Du gibst ihr Futter
aus Dosen,
glaub ja nicht,
sie wäre dir
dankbar
dafür,
Mensch, sie frisst das bloß,
kackt und
hat einfach nur
den
Mechanismus kapiert.
.
Ich sorge jetzt nur noch für mich.
Bei Licht mache ich es
mir schön,
sauge, wasche,
wische,
mal hier,
mal dort,
mal mehr, mal
weniger,
damit ich bei Nacht ich selbst sein kann.
Ich habe keinen Alltag mehr.
Für mich nur noch Allnacht.
/ Ihr Fell trägt Eleonore jetzt immer öfter auch tagsüber. Ihre zivilisierte Betriebsamkeit wird schwächer. /
Die schicke Lady
/ Tag. Mitte Oktober. /
Die Objekte waren es nicht,
die mich an meinem Job störten.
Aber die ständigen Menschen
und ihr
Verhalten,
ich meine,
na ja,
wollen dies,
wollen das
und riechen komisch.
.
(HERR WILDBRUCH:) Wie geht es Ihnen denn ohne Arbeit, Frau
Garazzo?
Ach, Wildbruch,
ich bin eine Katze,
wie soll es mir gehen –
gut.
(HERR WILDBRUCH:) Aber vielleicht könnte die Arbeit Sie
ablenken.
Ich will keine
Ablenkung, will
an den Spitzen
meiner Vibrissen
spüren,
was vorgeht.
(HERR WILDBRUCH:) Aber, ich weiß nicht, ob ich das mit der,
ich nenne das jetzt mal beruflichen oder sozialen Abstinenz
auf Dauer für gut befinde, Frau Garazzo.
Das müssen Sie auch nicht,
Wildbruch,
so dachte ich, holte
aus meiner Tasche
die Scherbe
aus Stein –
dieser Stein hat die Form eines Fisches,
eines scharfen und
kantigen Fisches –
und feilte mir daran die Nägel,
den Blick latent auf Wildbruch
gerichtet.
Er faltete krampfig die Hände.
Bald sah er es ein und
gab nach.
Und im Nachhinein war es mir klar, völlig
klar,
weshalb ich dieses Spiel
gewann.
.
Instinkt sticht Vernunft.
.
Trotzdem
bekomme die Arbeit ich nicht aus dem Kopf.
Die Erinnerungen daran belasten mich
wie schmutzige Wäsche.
.
Es gab diesen Abend,
da lud Warantschow uns ein
ins Perroquet,
der Franzose Sperling Ecke Chopin.
Der ganze Champagner ging
auf ihn,
und Michaela hatte diesen Cousin mitgebracht.
.
Wir sprachen über
das Objekt, in dem
die Schicke Lady wohnte.
So nannten sie sie.
Die Schicke Lady,
die lebte zur Miete
in dieser Mansarde,
diesem Kämmerlein unterm Dach;
schlecht isoliert,
kein Geld
hatte die Lady,
die gerade mal
zwanzig war.
Kauzig
nannten sie sie.
Die Wohnung wurde verkauft
an uns, und die
Lady, die musste dann raus.
Sie lachten so
quirlig und busy
wie die Perlen im Glas
über die wollenen Röcke,
ihr Barett,
diesen Geruch nach
Getreide
Acrylfarbe
Früchtetee,
vor allem aber über ihre Naivität.
Wir kamen ständig mit Interessenten vorbei,
auch unangemeldet,
und die Schicke Lady hielt stets
den Damen und Herren im Anzug
die Tür auf,
sehr artig und
schüchtern,
als wäre das Ganze ein
Märchen,
das ihr in die Stube weht und sicher gut ausgeht
am Ende,
das die Armen und Hässlichen, Einsamen schließlich
gewinnen lässt.
Was auch immer mit deren Phantasie nicht stimmte,
das Objekt wurde modernisiert, exklusives Design dieses Grauen
von Teppich raus eins zwei drei Böden das Bad alle
Türen Komplettpaket Sticker drauf nobel reprä-
sentativ ein edles kleines Sahnehäubchen wie
heißt dein Baby Rita Rendite Schicke Lady
passé
und Warantschow
goss Champagner nach,
lachte,
wir lachten;
wenn das Gelächter
der Menschen
wie Urwald klingt,
Wilderness
zivilisiert.
Nur Elas Cousin
lachte nicht.
Er schaute sehr skeptisch,
und dann fing er an,
über Dinge zu reden,
die Armut
die Künstler
und Autos
und Abgas
und Abgas
und Abgas
und Autos
Elektro
und Flieger
und Klima
und Heizung
die Künstler
und Erdgas
und Windkraft
und U-Bahn
und S-Bahn
und durch defekte Fahrstühle verursachte Einschränkung der
Barrierefreiheit
Polizeiauto
Rettungsdienst
Einsatzkommando
scheuchte uns über seinen imaginären Autoteppich, der
Junge, was willst du,
Feuerwehrmann werden?
Warantschow knackte Pistazien,
stand sein Gerede aus
wie einen Schauer,
und Ela bestellte Pernod.
.
(HERR WILDBRUCH:) Da ging es jetzt sehr plötzlich um Autos,
Frau Garazzo. Aber noch einmal zurück zu der Mieterin. Sie
sagen, Ihre Kollegen hätten sich lustig gemacht. Aber wie
fanden Sie denn diese Frau? Diese Schicke Lady?
.
Mutter, ich stopfe mir
Moos
in die Scheide,
wenn ich meine Tage hab.
.
Katzenminze
/ Tag. Einen Tag später, Oktober. /
/ Eleonore telefoniert. /
Korrekt. Ja.
Das Geld kann ich sofort überweisen, das ist überhaupt kein Problem.
Genau. Ja, das ist meine Privatadresse. Fasanenweg 7, nicht 17, das Haus am Ende der Straße. Klein, sachlich gebaut, nicht zu verfehlen.
Sicher, ja. Ein Teil der Paletten kann im Keller, ein Teil im Wohnraum untergebracht werden, das habe ich alles ausgemessen, Sie können das alles hier abladen. / Lacht souverän. / Ja.
Prima, dann hätten wir das.
Ja. Auf Wieder- nein, Moment! Bringen Sie bitte noch einen Topf Katzenminze mit. Zur Pflege der Zähne. Danke.
Wiederhören. / Eleonore beendet das Telefongespräch. /
.
It’s all about the ingredients.
Zuerst fraß ich Tierfutter,
doch
welch Tier zöge
kein
salzarmes
Wildragout vor.
Das Ende der Therapie
/ Tag. Einen Tag später, Oktober. /
