Dramatische Rundschau 03 - Caren Jeß - E-Book

Dramatische Rundschau 03 E-Book

Caren Jeß

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Beschreibung

Das Theater weiß um die Macht von Sprache. Nicht ohne Grund hat es den Dialog zum Kern seiner literarischen Identität gemacht - die Dramatik. Wenn das Gespräch das Herz des Theaters ist, dann ist die zeitgenössische Dramatik sein Blutkreislauf. In der Dramatischen Rundschau 03 geben Theatertexte von Caren Jeß, Fiston Mwanza Mujila, Yade Yasemin Önder, Falk Richter, Lukas Rietzschel und Olivia Wenzel davon Zeugnis. Folgende Stücke sind in der Dramatischen Rundschau 03 nachzulesen: Caren Jeß: Die Katze Eleonore / Fiston Mwanza Mujila: Der Garten der Lüste / Yade Yasemin Önder: Die Worte gehören uns / Falk Richter: Fünf gelöschte Nachrichten / Lukas Rietzschel: Widerstand / Olivia Wenzel: mais in deutschland & anderen galaxien.

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Dramatische Rundschau 03

Herausgegeben von Friederike Emmerling, Oliver Franke, Stefanie von Lieven, Barbara Neu und Bettina Walther

FISCHER E-Books

Inhalt

DEUTSCHLANDS DRAMAIllustrationIllustrationCaren JeßDie Katze EleonoreAKT I – Die Niederkunft der Katze1.|BildLECKEN2.|Bild[waʊ]3.|BildDAS FELL4.|BildDA5.|BildBENIGNER PAROXYSMALER LAGERUNGSSCHWINDEL6.|BildTRINKEN7.|BildMOLKE8.|BildDER BAUM9.|BildINTENSITÄT10.|BildDAS ENDE DER ARBEITAKT II – HERRN WILDBRUCHS NÄHERUNG1.|BildDIE SCHICKE LADY2.|BildKATZENMINZE3.|BildDAS ENDE DER THERAPIE4.|BildKRATZBAUM5.|BildMUTTER6.|BildDER VOGEL7.|BildPROTEIN8.|BildMASTURBATION9.|BildDAS COACHING10.|BildMETHODIK11.|BildOHNE DIE REALITÄT FUNKTIONIERT DIE FIKTION NICHT12.|BildDEKADENZ13.|BildDEAKTIVIERUNG14.|BildELEVATE YOUR VIBRATION15.|BildDER BRIEFAKT III – ELEONORES ALLNACHT1.|BildKACKEN2.|BildDIE DORNEN WERDEN ROSEN TRAGEN3.|BildGLEICHGEWICHT4.|BildDIE SELBSTORGANISIERTE STRUKTUR DER ALLNACHT5.|BildBLUT UND PHLOX6.|BildDIE ABHÄNGIGKEIT DER TECHNIK VON DER BETREUUNG DURCH DEN MENSCHENIllustrationIllustrationFiston Mwanza MujilaDer Garten Der Lüste1. Monolog eines werdenden Gärtners2. Fragmente einiger Protagonisten3. Leute der Welt4. Die wunderbare Bevölkerung5. Die Erprobung6. Die Erfindung der Maschinen und anderer kleiner und großer Abscheulichkeiten7. Ein Land ohne Eintritt8. Der Gärtner verzichtet9. Rede an Ausländer und Ausländerinnen – unabhängig ihres Alters, ihrer Morphologie, ihrer Staatsbürgerschaft und ihrer Herkünfte10. Ehrenrettung der ungeliebten Tiere (insbesondere der großen Haussäugetiere): Schuppentiere, Fledermaus, Schwein, Ungeziefer, Spinne und Schlange11. Der Garten ist der andere Name für die Hölle12. Werneriums EinsamkeitIllustrationIllustrationYade Yasemin ÖnderDie Worte gehören unsPersonenSzene 01 Das stumme ğ2 Mama3 Fast der nächste Streit4 Das Meer aus Worten5 Alles verschwindet6 Alles außer Mama ist wieder da7 Die Reise8 Erinnerungen9 Alles außer Herr Couch ist wieder daIllustrationIllustrationFalk RichterFünf gelöschte NachrichtenPersonen1. Böses Erwachen2. Noch wenige Stunden bis zur Ausgangssperre3. Telefonat mit einer Ex-Freundin/ Nackt vor dem Kühlschrank4. Plötzlich war da diese Wut5. Terra X6. K im Schlachthof/Traum7. Fünf gelöschte Nachrichten/ Kontaktaufnahme mit einer Ex-FreundinIllustrationIllustrationLukas RietzschelWiderstandPersonenSzene 1Szene 2Szene 3Szene 4Szene 5Szene 6Szene 7Szene 8Szene 9Szene 10Szene 11Szene 12Szene 13Szene 14Szene 15Szene 16Szene 17Szene 18Szene 19Szene 20Szene 21Szene 22Szene 23Szene 24IllustrationIllustrationOlivia WenzelMais in Deutschland & anderen GalaxienPersonenBILD 1//MaisfeldNOAH I//kaffee & kuchen. ersatzvater. alptraum. lichtpunkt.BILD 2//ÜberraschungDOKUMENT: Bereuen.NOAH II//sekte. ab-kobra. ferienlager.BILD 3//MONDKRATERDOKUMENT: Auffallen.NOAH III//winseln. marlene. ausziehen.DOKUMENT: Kontrolle.BILD 4//lilaDOKUMENT: Kontrolle.NOAH IV//plastikrose. glatzen. lsd.BILD 5//Halbe StundenNOAH V//stifte. kaffee & kuchen 2. wichsen.BILD 6//HAUSBOOTNOAH VI//arche. planetarium. céline.DOKUMENT: Abgeben.NOAH VII//versagen. absagen.BILD 7//POZZONOAH VIII//spiegelung. späte rache. marktforschung.BILD 8//REALTALKDOKUMENT: Auseinandergehen.NOAH IX//durchbruch. beerdigung. hinterbliebene.BILD 9//EndstationIllustrationIllustrationQUELLENHINWEISE UND ERSTAUFFÜHRUNGSDATENWeitere Publikationen der Autorinnen und Autoren bei S. FISCHER und FISCHER TaschenbuchIllustrationIllustration

DEUTSCHLANDS DRAMA

Warum die deutschsprachige Dramatik so einzigartig ist, und nur die wenigsten sich dessen bewusst sind.

Deutschland ist – dramatisch betrachtet – eine echte Überraschung. Denn die vom Rest der Welt eher als spröde und sparsam wahrgenommenen Deutschen leisten sich eine Theaterlandschaft, die mindestens als opulent zu bezeichnen wäre. Die Opulenz bezieht sich dabei weniger auf den Prunk einzelner Inszenierungen als auf die üppige Vielzahl der zu sehenden Inszenierungen. Fast jede mittelgroße Stadt besitzt ein eigenes Theater, in größeren Städten sind gleich mehrere nebeneinander zu finden. Der Deutsche Bühnenverein zählte 2018 allein 140 Stadt-, Staats- oder Landestheater. Außerdem 220 Privattheater, 150 Theater ohne festes Ensemble, 100 Tourneetheater und darüber hinaus eine große Anzahl an freien Theatergruppen. Doch damit noch nicht genug: Ein Großteil der deutschen Theater spielt im Repertoirebetrieb. Das heißt, dass nicht »am Stück« – also zum Beispiel acht Wochen hintereinander – gespielt, sondern jeden Abend eine andere Vorstellung gezeigt wird. Erfolgreiche Inszenierungen können dadurch jahrelang im Programm bleiben, jede Spielzeit kommen zahlreiche Premieren und Uraufführungen dazu. Das deutsche Theaterpublikum kann aus einem prallen Reichtum unterschiedlichster und anspruchsvoller Theatererlebnisse schöpfen. Repertoiretheater ist eng verbunden mit dem Ensembletheater – einer weiteren Eigenart der deutschen Theaterlandschaft: Ensembletheater engagieren Spielerinnen und Spieler fest für ihre Ensembles, um sie mehrere Jahre an das Haus binden zu können. Erst dadurch kann die enge Taktung eines anspruchsvollen Repertoirebetriebs ermöglicht werden. Zum Ensemble im weiteren Sinne zählen auch Technik, Werkstätten und Administration. Nicht weniger als 39000 Menschen sind in Deutschland an Theatern und Opern direkt angestellt. Indirekt arbeiten noch weitaus mehr für das Theater, wie zum Beispiel Dramatikerinnen und Dramatiker. Ermöglicht wird dieses weltweit einmalige Modell durch Bund und Länder, die die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft mit großem Einsatz subventionieren. Mit sichtbarem Erfolg. 2021 soll darüber abgestimmt werden, ob diese kulturelle Ausnahmelandschaft ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wird. Und gerade deshalb muss das Theater auch bereit sein, sich und seine Strukturen radikal und immer wieder selbst zu befragen. Sind die gewachsenen Strukturen noch zeitgemäß, sind sie gleichberechtigt, respektvoll, transparent, machen sie sich auf den Weg in die Zukunft? Gerade das Theater besitzt ausreichend Erfahrung und Kreativität, um mit innovativen Modellen für Zusammenarbeit und Dialog arbeiten zu können. Jede Inszenierung entsteht aus einem Zusammenspiel der Künste. Kunst, die im Vertrauen auf ihr Gegenüber entsteht, erfordert Mut, Selbstbewusstsein und Flexibilität. Genau hier wird deutlich, was Theater so bemerkenswert macht: sein unermüdlicher Glaube an die Kraft des Miteinanders. Warum nicht die Idee des Gemeinsamen noch viel konsequenter und weit über künstlerische Zusammenhänge hinaus anwenden, das Publikum in Veränderungsprozesse miteinbeziehen und die Suche selbst zum Gegenstand des Gesprächs machen? Zahlreiche Theater haben sich bereits auf den Weg gemacht. Vieles wird ausprobiert. In der Luft liegt eine Aufbruchsstimmung, die neugierig auf das Theater der Zukunft macht.

Rein literarisch gesehen kann die deutschsprachige Dramatik aus dem Vollen schöpfen. Mit lustvoller Neugier – frei von streng wirtschaftlichen Zwängen – durchbricht sie sämtliche Gattungsgrenzen. Von der Lyrik übers Essay bis zur Prosa vermischen sich in der Dramatik die Formen des Literarischen. Die Übergänge sind fließend, es geht nicht mehr nur um Inhalte und auch nicht mehr nur um Sprache, sondern auch um das Experiment mit der Form. In der Dramatik passiert viel, und es entsteht auch viel. Dadurch besteht aber die Gefahr einer Durchlauferhitzung. Theater interessieren sich viel zu oft für das noch nicht Geschriebene, die Verheißung des noch Unbekannten, das Spiel mit der Möglichkeit. Uraufführungen versprechen pressewirksame Aufmerksamkeit, wohingegen das Nachspiel selten Aufmerksamkeit erregt. Doch seitdem das Theaterfeuilleton schrumpft, geht auch diese Rechnung kaum noch auf. Es ist gar nicht mehr möglich, von allen Uraufführungen zu berichten. Dem Publikum ist das Label Uraufführung ohnehin relativ egal. Und trotzdem wird ungerne nachgespielt. Das ist bedauerlich. Noch vor fünfzehn Jahren gab es aufregende Wettstreite unter den Theatern, welchem Haus es gelingen würde, die denkwürdigste Inszenierung rauszubringen. Heute ist daran kaum noch zu denken. Die Theater zucken förmlich zurück, wenn sie hören, dass die Uraufführung schon vergeben ist. Dabei wäre das erfolgreiche Nachspiel eine der unaufwendigsten und effektivsten Möglichkeiten zur Unterstützung deutschsprachiger Dramatik. Denn erst das wiederholte Nachspielen eines Stückes gäbe den Autorinnen und Autoren Zeit und Raum und finanzielle Sicherheit für das Schreiben neuer Werke. Wie überall geht es auch hier um Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung. In dieser Hinsicht macht die Coronazeit Hoffnung. Es sind zarte Pflanzen des Miteinanders unter den Theatern gewachsen, die in dieser Form früher nicht denkbar gewesen wären. Uraufführungen werden geteilt, oder Theater spielen freiwillig nach, um einem anderen Theater die Möglichkeit einer früheren Uraufführung zu lassen. Vor Corona wäre das häufig ein Grund gewesen, das Stück gar nicht mehr auf den Spielplan zu setzen. Doch etwas hat sich verschoben. Es scheint, als ob eine Sorgfaltspflicht gegenüber den Autorinnen und Autoren entstanden ist. Es geht nicht mehr nur um die eigene Profilierung, sondern auch um die gemeinsame Sorge für den Fortbestand zeitgenössischer Dramatik. Viel zu lange konnten Autorinnen und Autoren im Lockdown gar kein Geld mehr verdienen, weil Tantiemen nur verdient werden können, wenn Theater offen sind. Vielleicht bedeutet diese Entwicklung ja einen Befreiungsschlag im Uraufführungstaumel? Vielleicht spielen in Zukunft viele Theater aufregende Stücke einfach nacheinander, nebeneinander, miteinander? Neuinterpretationen, starke Regiehandschriften, spektakuläre Bühnenbilder, Musik, Kostüme, Video können jede Inszenierung eines Stücks zu einem völlig anderen Erlebnis werden lassen. Gerade für die vielfältige Abbildung unterschiedlicher Inszenierungsansätze bietet die deutsche Theaterlandschaft mit ihrem Repertoire- und Ensembletheater optimale Voraussetzungen. Zeitgenössische Dramatik muss den Nischen entwachsen, um einen inhaltlich-diskursiven Nährboden für das Große und Spektakuläre bieten zu können. Dazu muss sie strapaziert werden und getestet und durch viele Körper an vielen Theatern wandern. Das wird sie groß machen und begehrenswert. Nach wie vor wird das Potenzial deutschsprachiger Dramatik an deutschen Theatern unterschätzt. Viele Theater denken, dass »das Internationale« im Zweifel mehr zu bieten habe, dass die Avantgarde aus dem Ausland komme. Was für ein Trugschluss. Es gibt noch immer zu wenig Bewusstsein für den außergewöhnlichen, unangepassten Reichtum und den avantgardistischen Charme deutschsprachiger Dramatik, für die Vielzahl vibrierender Theaterstücke, die beständig auf der Suche nach Visionen und Rhythmus, Klang, Dissonanz, Humor und Poesie sind, nach schmerzhafter Schönheit und kantiger Klarheit. Es gibt noch immer zu wenig Bewusstsein für deutschsprachige zeitgenössische Dramatik, die nicht einfach, sondern im besten Sinne irritierend ist, die erarbeitet werden muss – und erspielt. Vom Theater. Denn ohne Theater wäre Dramatik obsolet. Und ohne Dramatik bliebe das Theater still.

Was diese Stille bedeutet, haben wir 2020/21 erlebt, als die Theater geschlossen blieben. Das Spektrum der Farben im Kopf hat sich verringert. Dabei braucht es Anregungen und Auseinandersetzungen, Impulse, Diskussionen, Radikalität, Provokation und Spielfreude, Lust am Experiment, Tragik, Katharsis und viele, viele Komödien. Weil irgendwann einfach auch wieder laut gelacht werden muss – als Teil eines Publikums, das in der Lage ist, ein einfaches Lachen zu vertausendfachen. Es braucht diese Momente voll flüchtiger Schönheit, um zu verstehen, wie kostbar die lustvolle Verschwendung des Augenblicks ist. Es braucht die Gewissheit, dass Theater vergänglich ist und sich gleichzeitig immer wieder neu erschafft. Es braucht Theater, um zu wissen, dass wir nicht alleine sind. Und es braucht mutige Dramatik, um zu verstehen, dass das geformte Gespräch niemals aufhören darf, uns und unseren Geist im denkbar besten Sinne herauszufordern. Dafür bietet Deutschland die besten Voraussetzungen. Nutzen wir sie.

 

Friederike Emmerling

Caren Erdmuth Jeß, geboren 1985 in Eckernförde, studierte Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literatur in Berlin. Seitdem sie 2017 zum ersten Mal dramatisch in Erscheinung trat, häufen sich ihre Preise und Auszeichnungen. Für Bookpink erhielt sie 2018 den Münchner Förderpreis für deutschsprachigeDramatik; ein Jahr später wurde sie damit für den Autor*innenpreis des Heidelberger Stückemarkts nominiert und 2020 zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen. Außerdem gewann sie 2018 den Publikumspreis des open mike Berlin, wurde 2019 für den Retzhofer Dramapreis nominiert und 2020 für Der Popper mit dem Else-Lasker-Schüler-Stückepreis ausgezeichnet. Darüber hinaus war sie 2020 Stipendiatin beim Literarischen Colloquium Berlin, nahm an der neugegründeten StückeWerkstatt der Mülheimer Theatertage teil und wurde 2021 als eine von zehn für den Dramatiker:innen-Fonds des Berliner Ensembles ausgewählt.

Die Katze Eleonore ist der Monolog einer Frau, die eines Tages erkennt, eigentlich eine Katze zu sein. Sie lässt sich ein Fellkostüm nähen und kehrt der Welt den Rücken. Während sich ihre Sinne zunehmend verfeinern, wird Zwischenmenschliches immer lästiger. Mit einer Sprache, die in ihrer filigran eleganten Genauigkeit dem Wesen einer Katze sehr nahe kommt, beschreibt die Figur Eleonore ihren verlockend-irritierenden Rückzug aus Gesellschaft und Verantwortung.

Caren Jeß

Die Katze Eleonore

Monolog

Anmerkungen

Besetzung:

Zwar ist Die Katze Eleonore ein Monolog. Doch wird für seine Inszenierung zusätzlich eine männliche Stimme benötigt, die die Mailbox-Nachrichten des Psychologen Wildbruch (Szenen II/11 und III/6) einspricht. Eine weitere Stimme für die Nebentexte in AKT III ist optional. AKT III kann auch – bis auf den Mailboxtext – sprachlos eingerichtet werden. Die Zitate, die Eleonore in ihrem Monolog anbringt, werden von ihr selbst wiedergegeben.

 

Bühne:

Die Bühne bildet Eleonores Haus und Garten ab. In AKT I und AKT II befinden wir uns im Inneren des Hauses. Durch eine Klappe in der hinteren Wand gelangt man in den Garten, in dem AKT III spielt. Die hintere Wand muss sich öffnen oder die Bühne sich drehen können.

Das Haus ist clean, der Garten ist wild.

 

Die Katze Eleonore ist keine komische Figur.

AKT I – Die Niederkunft der Katze

/Im ersten Akt trägt Eleonore nur bei Nacht ihr Fell./

1.|BildLECKEN

/Nacht. Anfang September./

 

/Eleonore sitzt im Lichtkegel einer Lampe auf dem Boden. Sie leckt sich das Fell./

2.|Bild[waʊ]

/Tag. Einige Tage später, September./

 

/Eleonore bürstet ihren Mantel mit einer Fusselrolle. Sie geht dabei sehr bedacht vor./

 

Ich habe es erst vor einem Jahr richtig verstanden,

obwohl ich es schon immer wusste,

ich meine intuitiv,

ohne es in Worte fassen zu können.

Es war an einem Abend im September.

Ich sah aus dem Fenster

und beobachtete eine Katze.

Sie saß auf dem

gegenüberliegenden Trottoir

im Schein einer Straßenlaterne,

als hätte sie jemand für mich dort hingesetzt;

leckte sich die Pfote.

Und ich dachte an meine Mutter.

Und

wieso ich ihr passiert war.

Meine Gedanken an sie waren

ein autodynamisches Patchwork

ihres Geredes

über die Arbeit

die Nachbarn

 die Wahl

  der Spinat

 das Ozonloch

Prozentzahl

 war damals

  die Modernisierung

als dürfte man nicht mehr

    bin ich denn jetzt

     nie gehört

      Postpaket

     Eitelkeit

      Gruppenchat

     einfach wegen Geld

    ist das jetzt

   macht jetzt ein Update

  darf man doch

   ich denn jetzt schuld daran?

  Gisela

 Anne-Helene

  die geht auf die Straße

   nicht Prostitution

   nein Protest

  haha, das ist doch dummdreist

 komm ehrlich, ja?, ehrlich

   und Klaus sagt das auch

    wobei neulich, da hab ich

 eins, zwei, eins, zwei, allez hopp

      das war bestens, ich sag dir, du wärst

    hin und weg

 und am Flughafen

weißt ja, nie würd ich

 der Tante

 also deiner nicht meiner

  hahahahaha

   die wird sich noch wundern

  die rechnet ja nun wirklich am allerallerwenigsten damit

   ach, schau mal

aber ehrlich, das musst du ja selbst – na ja

     Eleonore

   das Hochzeits- guck an!

  auf keinen Fall werden wir ihr das Haus

     er sagte ja damals

    der Fisch war

  und Jodsalz

und Essig

und sagte ich schon?

igitt

wirklich ih

ih ih ih

ija

[v]ub

[w]ab

[w]ab[w]ab[w]ab [w]lab

[waʊ]

blaa blaa blaa

bääh bäääh

ääia

a.

Und dann,

unwillkürlich,

leckte ich mir den Teil meiner Hand

zwischen Daumen und Zeigefinger,

wo es weich ist,

wo Fleisch und Sehnen sind.

Und erst im Lecken

fiel mir auf, dass ich leckte.

Ich stutzte.

Die Worte im Kopf wurden breiig’breiiger’teigig’klebrig’hefig’eklig,

egal, waren

eigentlich völlig ereignislos.

Mein Magen knurrte.

Ich kreiste die Schultern und

sah geradeaus, und da blickte der Katze ich plötzlich direkt in die

      Augen.

Sie saß auf dem Fenstergesims.

Uns trennte

die Scheibe aus Glas.

3.|BildDAS FELL

/Tag. Ein Tag später, September./

 

Am nächsten Tag kaufte ich mir ein Fell.

Es ist schwarz,

samtig glatt,

Echthaar.

Ich brachte es

zu einer Schneiderin,

die nestelte an ihrer

Brille herum,

(SCHNEIDERIN:) Darf man fragen, für welchen Anlass?

kicherte sie,

süß oder so, sagte sie, fände sie Katzen.

Ich legte ihr

für die wirklich herausragend gearbeitete Spezialanfertigung zwei-

      tausendachthundertsechzig

      Euro auf den Tisch und

      sagte

Nein.

Ich trug das Fell heim

wie ein ohnmächtiges Tier,

das es zu reanimieren galt.

.

Ich dachte, es würde verwachsen

mit meiner erbärmlichen Menschenhaut.

Tut es aber nicht.

Nun gut,

man geht

Kompromisse ein.

Das bleibt auch als Katze nicht aus.

.

Es war unglaublich

wahr,

das erste Mal

in meinem

Fell und

ich leckte es,

schmiegte mich

reckte und

streckte und

lag in der Ecke

und dachte an nichts.

Da klingelte plötzlich das Telefon, klingelte’klingelte’klingelte

oh so erbarmungslos.

(WARANTSCHOW:) Eleonore?! In der Heinrichstraße 87 warten Kunden, was ist los, kommst du noch?

Warantschow,

sagte ich,

ruhig,

ich komme nie wieder.

4.|BildDA

/Nacht. Einige Nächte später, September./

 

/Eleonore liegt da in ihrem Fell. Sie döst./

5.|BildBENIGNER PAROXYSMALER LAGERUNGSSCHWINDEL

/Tag. Einige Tage später, September./

 

Frau Erdigenbach schob einen Stift durch die Luft,

und ich folgte ihm

mit meinem Blick.

(ERDIGENBACH:) Schildern Sie mal den Verlauf Ihrer Schwindelattacken?

Und so schilderte ich

meinen Schwindel,

kein Schmerz, nur

kein Gleichgewicht,

dreht, alles dreht sich, nur

ich dreh mich nicht,

dann erbreche ich,

kommt einfach über mich,

aus mir,

im Ernst,

vorher kannte ich

Schwindel nicht, ach

und

er kommt nach dem

Schlaf.

Erdigenbach machte Notizen,

der Schwindel sei

gutartig,

danke,

wie schön, was

kann besser sein, als sich einem Taumel ausgeliefert zu sehen,

    dessen Erträglichkeit spannt wie die Eihaut der

     Fruchtblase kurz vor dem Riss, und ist gutartig,

     gut, ist nicht böse dabei, gebt mir mehr

        davon

Erdigenbach stellte die Krankschreibung aus,

könne wieder passieren.

Gut, noch was anderes,

sagte ich,

ja?,

fragte sie, und ich sah

ihre Nägel,

perfekt manikürt,

blass rosé auf bedrucktem Papier,

Befreiungsmanöver stand oben, darunter

war etwas, das aussah wie Yoga.

Sie schob es mir rüber,

(ELEONORE:) Ich bin eine Katze.

.

Erdigenbach, bass erstaunt saß sie da wie Gelee,

Sekunden

vergingen,

dann fragte sie,

(ERDIGENBACH:) Was?

Eine Katze.

.

Weiß auch nicht,

es war ein Versuch,

dieser Frau zu erzählen,

was los ist

mit mir.

Und so fragte ich,

ob unter den Voraussetzungen

meiner menschlichen Physis

ein Leben als Katze

bedenklich sei.

Frau Doktor Erdigenbach überlegte,

zumindest

sah es so aus.

.

So ich mich mit Nährstoffen reichlich versorgte viel tränke Banane

   Brot Vitamin-C ist mein Eisengehalt denn in Ordnung

   Bewegung Beruhigung mal Gurke aufs Auge heraus-

      fordernd ja das Soziale das sei sicher sei

       so so ist das da sehe sie nun und beruf-

          lich wie wollen Sie das also ich

           meine nur meine als Katze?

Erdigenbach stieß ein Lachen auf.

Dass ich kündige, sagte ich,

schaute sie an,

die sich sammelte,

sammelte sich wie die matschigen

Pflaumen

vom Rasen,

doch leider

gelang es ihr nicht und sie

fing an

zu faseln:

Nun ja Frau Garazzo ach so ja verstehe wie ist das denn dann wenn

  dann äm also ja dann gut finanziell? für eine Er-

   werbsminderungsrente hm sei kompliziert sei die

    DRV pingelig Reha PT wird eventuell nun ja

     eventuell wissen Sie das kann nicht jeder

      für sich denn berufsunfähig das sei-

       en streng genommen seien Ver-

      sicherte deren Erwerbs-

     fähigkeit wegen Krankheit bla

    bla Behinderung körperlich geistig

   und seelisch das nun der die das die

   Erwerbsfähigkeit und da seh ich bei Ihnen

 nun ja keinen Grund

.

Ich brauch keine Rente, ich

habe Vermögen,

das

reicht für ein

Leben als Katze.

Ich binde mir doch

keine Extralast

Bürokratie ans Bein.

Da sagte sie, sie

begegne der Bürokratie

mit Humor, ob ich die

Sonatine Bureaucratique kenne,

Erik Satie,

nein, sagte ich,

nur die

Musique d’ameublement kenne ich,

fände ich

aber nicht witzig.

.

Also gut,

Frau Garazzo,

wenn Schwindel Sie plagt,

kommen Sie einfach

zu mir,

und ihr Blick war so

matt wie ihr

Nagellack,

aber

eins noch,

ergänzte sie,

(ERDIGENBACH:) Ich überweise Sie zu einem Therapeuten, Gerald Wildbruch. Vielleicht kann der Ihnen helfen.

Denn der kenne sich aus

mit Identitäts-

hier stockte die Ärztin,

-themen.

Mein Mundwinkel

bog sich, ich

gab ihr die Hand,

sie mir

Schweigepflicht,

warte nur,

Erdigenbach,

mit dem

Wildbruch

hab ich was

gemeinsam.

.

Ich hatte den Eindruck, sie schwankte, als ich sie verließ – vielleicht hat sie ja

auch diesen benignen paroxysmalen

Lagerungsschwindel,

wer weiß.

6.|BildTRINKEN

/Nacht. Eine Nacht später, September./

 

/Eleonore schleckt – mehr zur Übung denn aus Hunger – Milch aus einem Napf./

7.|BildMOLKE

/Tag. Einen Tag später, September./

 

Herr Wildbruch blickte mich an wie ein Hund.

(HERR WILDBRUCH:) Sie glauben – Sie sind eine Katze?

Ich blickte aus dem Fenster,

ignorierte ihn.

Ja, hatte ich

doch gerade gesagt.

.

(HERR WILDBRUCH:) Frau Garazzo – das müssen Sie mir erklären.

Ich will nichts erklären,

es reicht nicht und

langweilt mich.

Was sollen sie schon,

die Worte,

was können sie.

.

Wie anmaßend eitel wie altklug naiv ja wie wenig wie albern wie

   lächerlich lächerlich lachhaft die Menschen meinen

    sie würden Abwechslung schaffen durch ihre Worte

      ihre ach ach! ihre ach so mannigfachen Worte

       dabei erzählen sie immer das Gleiche

         c’est tout

(HERR WILDBRUCH:) Aber das Leben einer Katze ist doch noch viel gleichförmiger.

Ein Katzenleben gleichförmig?

Nicht im Geringsten.

Meine zarten Vibrissen nehmen Schwingungen wahr,

davon träumen Sie nur,

meine Sinne sind fein,

filigran.

Sie zittern.

Sie schnurren.

Sie beben.

Sie

elektrisieren.

Mein Instinkt unbeirrbar,

ich wittere Gefahr,

ich fühle das Wetter.

Durch mein Blut rauscht ein Heersturm lebendiger Sinne sie bäumen

   sich auf wie Satyrn deren feucht-süße Nüstern wie

    Blütensaft lecken und scharf wie ein Gift der

     Verführung sich ätzen wie Flusssäure tief in

      die Haut und darunter die Knochen zer-

       fressen und nagen an deinem

         Verstand

Meine Sinne sind Gold.

Ich spüre, wie

Sie

sich

fühlen,

und wenn ich mich rege,

dann nimm dich in Acht.

Mein Instinkt ist

gewaltig,

ich fange die Maus

nicht mit Käse und Speck.

.

Das sagte ich ihm natürlich nicht so ausführlich.

Ein Blick

reicht da.

Er hat mich verstanden,

er saß da,

Herr Wildbruch,

und starrte mich an wie

eine Doku

über sein Lieblingstabu.

Wie er da

saß,

sich die Haut von den Nägeln und

mich nicht durchdrang.

Da hatte er sich doch gerade ein Bild von mir gemacht –

Immobilien Geld Geltung Geld Vaterkomplex –

und jetzt wischte sie seine Analyse einfach vom Tisch

wie eine aus unzähligen Scherben mühsam zusammengeklebte Vase,

[mi:aʊ]

(HERR WILDBRUCH:) Also lassen Sie es sich gutgehen? Oder – beschreiben Sie das doch mal, was fühlen Sie, wenn Sie auf der Heizung liegen und sich das Handgelenk lecken?

Ich seufzte.

Die Uhr ging,

er sprach und

ich schwieg mich

um Kopf und

um Kragen,

doch dann,

ganz am Ende der Stunde,

da sagte ich ihm,

ich sei nicht Privatiere,

sei Katze,

ja?, das sei ein Unterschied.

Was er wolle, wisse ich nicht,

ich jedenfalls schüttle die

Bürokratie

ab

wie getrocknete Molke.

8.|BildDER BAUM

/Tag. Einige Tage später, September./

 

Einmal war da dieser Junge,

da hätte ich es eigentlich schon merken können.

Er trat einem morschen Baum die Äste ab

und hatte

offenbar Spaß daran,

aggressiven Spaß.

Spaß und Aggression liegen oft ja nicht weit auseinander.

Der Junge zertrat den Baum,

er trat, und er trat.

Der letzte Ast war kantig gegabelt.

Der Junge trat zu, und

der eine Astarm brach ab, und

der andere stach sich ihm heftig ins Bein.

Er schrie,

äußerst laut.

Ich sah, wie das Blut rann.

.

Und da schoss mir sehr plötzlich eine Erinnerung in den Kopf,

ein Erlebnis aus meiner Kindheit.

Witzig,

das hatte ich

völlig vergessen.

Auf dem Weg zur Schule,

ich war acht,

kam ich immer

an einer morschen

Eiche vorbei.

In ihrem Schoß

lag einst ein

schwangeres Kätzchen,

wartend,

erwartend

das Leben.

Sie warf sieben Junge,

und eines davon

befasste ich

mit meinem Handschuh.

Da nahm die Mutter es

nicht mehr zurück,

sie verstieß es,

es starb,

und ich schämte mich

sechs Tage lang.

Am siebten dann kam ich zurück zu ihr,

sagte,

liebe Katze, es tut mir so leid, dass ich dir ein Kind genommen

   hab, aber ich schwöre,

   versprech dir, ich mach’s

   wieder gut, du wirst sehn,

   Katze, warte nur.

Warte.

9.|BildINTENSITÄT

/Nacht. Ein paar Nächte später, September./

 

/Eleonore steigt durch die Klappe aus dem Garten ins Innere ihres Hauses, schleicht ein paar Schritte nach vorn. Reglos wie eindringlich starrt sie geradeaus. Wenn sie dabei zufällig den Blick eines Menschen im Publikum trifft, wird es sicherlich dieser sein, der zuerst wegschaut./

10.|BildDAS ENDE DER ARBEIT

/Tag. Ende September./

 

Mein Name ist Eleonore.

Dieses Jahr bin ich vierzig geworden.

Für eine Katze ist das sehr alt.

Ich habe zwölf Jahre als Maklerin gearbeitet,

Immobilien.

Mir hat der Job nie wirklich gefallen.

Aber andere,

da bin ich mir sicher,

In meinem Job ist mir niemand zu nah gekommen.

Bei einem hohem Aufkommen von Seriosität verhält sich der Mensch

   meist wie ein kastrierter

   Hund.

Ich sah immer gut aus,

ein Klischee

im Kostüm,

unter dem mich niemand erkannte.

Meine Nägel waren

immer lackiert

manchmal rot

rosa

beige

nude,

dass ich daran ja niemals kaute.

Es ist kein Jahr her,

da tat ich das noch.

Ich bog mit den Händen den Fuß an den Mund

und kaute mir sämtliche Nägel

ab.

Oft

war es blutig und manchmal entzündet sogar.

Doch meine Hände,

die musste ich schonen partout.

Was denken die Kunden, die

kaufen ja nichts

von einer mit krüppligen Nägeln.

Jetzt hab ich den Kratzbaum.

.

Mein Erscheinungsbild passte

zur Leere der Räume.

Ich hasste es,

belebte Räume zu vertreten

oder abzunehmen.

Und wenn da dann auch noch

Zeug herumlag,

Hefte

Geschirr

Zahnpasta

Druckerpapier

Haargummis

Tetrapaks

Mülleimer

Geige

Zigarettenfilter

Briefe mit Namen drauf

Hundenapf

Messer

Gabel

Blumentopf

.

Diese verzweifelten Dinge.

.

[w]ub

ist das komisch,

wenn ich daran denke,

wie albern das war,

diese Arbeit.

All die Verträge,

die Deals,

dieser Handschlag, der zwischen zwei Menschen ins Nichts fällt wie

   ein Hammer, dem gleich ist,

   ob er auf Stahl oder

   pulswarme Herzen schlägt.

.

Mensch,

was machst du beruflich?

Ich tu so, als ob, und

du tust so, als ob, und dann

kommen wir ins Geschäft.

Wer sich umdreht oder lacht,

wird gerügt und schreibt

hundertmal

Authentizität

an die Tafel.

.

.

.

Es geht mir so gut.

.

Ich schlafe auch nicht mehr

acht Stunden am Stück.

Wie seltsam auch.

/Lacht./

.

(HERR WILDBRUCH:) Also was mir noch einfiel zu Katzen: Die sind ja sehr beliebt.

Was mir noch einfiel,

was dir noch einfiel,

was mir noch einfiel,

die Katze tritt die Treppe krumm, krumm tritt die Katze die

   Treppe.

Die Katze verleiht dir Gefühle,

zum Beispiel die Zärtlichkeit.

Du gibst ihr Futter

aus Dosen,

glaub ja nicht,

sie wäre dir

dankbar

dafür,

Mensch, sie frisst das bloß,

kackt und

hat einfach nur

den

Mechanismus kapiert.

.

Ich sorge jetzt nur noch für mich.

Bei Licht mache ich es

mir schön,

sauge, wasche,

wische,

mal hier,

mal dort,

mal mehr, mal

weniger,

damit ich bei Nacht ich selbst sein kann.

Ich habe keinen Alltag mehr.

Für mich nur noch Allnacht.

AKT II – HERRN WILDBRUCHS NÄHERUNG

/Ihr Fell trägt Eleonore jetzt immer öfter auch tagsüber. Ihre zivilisierte Betriebsamkeit wird schwächer./

1.|BildDIE SCHICKE LADY

/Tag. Mitte Oktober./

 

Die Objekte waren es nicht,

die mich an meinem Job störten.

Aber die ständigen Menschen

und ihr

Verhalten,

ich meine,

na ja,

wollen dies,

wollen das

und riechen komisch.

.

(HERR WILDBRUCH:) Wie geht es Ihnen denn ohne Arbeit, Frau Garazzo?

Ach Wildbruch,

ich bin eine Katze,

wie soll es mir gehen –

gut.

(HERR WILDBRUCH:) Aber vielleicht könnte die Arbeit Sie ablenken.

Ich will keine

Ablenkung, will

an den Spitzen

meiner Vibrissen

spüren,

was vorgeht.

(HERR WILDBRUCH:) Aber, ich weiß nicht, ob ich das mit der, ich nenne das jetzt mal beruflichen oder sozialen Abstinenz auf Dauer für gut befinde, Frau Garazzo.

Das müssen Sie auch nicht,

Wildbruch,

so dachte ich, holte

aus meiner Tasche

die Scherbe

aus Stein –

dieser Stein hat die Form eines Fisches,

eines scharfen und

kantigen Fisches –

und feilte mir daran die Nägel,

den Blick latent auf Wildbruch

gerichtet.

Er faltete krampfig die Hände.

Bald sah er es ein und

gab nach.

Und im Nachhinein war es mir klar, völlig

klar,

weshalb ich dieses Spiel

gewann.

.

Instinkt sticht Vernunft.

.

Trotzdem

bekomme die Arbeit ich nicht aus dem Kopf.

Die Erinnerungen daran belasten mich

wie schmutzige Wäsche.

.

Es gab diesen Abend,

da lud Warantschow uns ein

ins Perroquet,

der Franzose Sperling Ecke Chopin.

Der ganze Champagner ging

auf ihn,

und Michaela hatte diesen Cousin mitgebracht.

.

Wir sprachen über

das Objekt, in dem

die Schicke Lady wohnte.

So nannten sie sie.

Die Schicke Lady,

die lebte zur Miete

in dieser Mansarde,

diesem Kämmerlein unterm Dach;

schlecht isoliert,

kein Geld

hatte die Lady,

die gerade mal

zwanzig war.

Kauzig

nannten sie sie.

Die Wohnung wurde verkauft

an uns und die

Lady, die musste dann raus.

Sie lachten so

quirlig und busy

wie die Perlen im Glas

über die wollenen Röcke,

ihr Barett,

diesen Geruch nach

Getreide

Acrylfarbe

Früchtetee,

vor allem aber über ihre Naivität.

Wir kamen ständig mit Interessenten vorbei,

auch unangemeldet,

und die Schicke Lady hielt stets

den Damen und Herren im Anzug

die Tür auf,

sehr artig und

schüchtern,

als wäre das Ganze ein

Märchen,

das ihr in die Stube weht und sicher gut ausgeht

am Ende,

dass die Armen und Hässlichen, Einsamen schließlich

gewinnen lässt.

Was auch immer mit deren Fantasie nicht stimmte,

das Objekt wurde modernisiert exklusives Design dieses Grauen von

  Teppich raus eins zwei drei Böden das Bad alle

   Türen Komplettpaket Sticker drauf nobel reprä-

    sentativ ein edles kleines Sahnehäubchen wie

     heißt dein Baby Rita Rendite Schicke Lady

      passé

und Warantschow

goss Champagner nach,

lachte,

wir lachten;

wenn das Gelächter

der Menschen

wie Urwald klingt,

Wilderness

zivilisiert.

Nur Elas Cousin

lachte nicht.

Er schaute sehr skeptisch,

und dann fing er an

über Dinge zu reden,

die Armut

die Künstler

und Autos

und Abgas

und Abgas

und Abgas

und Autos

Elektro

und Flieger

und Klima

und Heizung

die Künstler

und Erdgas

und Windkraft

und U-Bahn

und S-Bahn

und durch defekte Fahrstühle verursachte Einschränkung der

   Barrierefreiheit

Polizeiauto

Rettungsdienst

Einsatzkommando

scheuchte uns über seinen imaginären Autoteppich, der

Junge, was willst du,

Feuerwehrmann werden?

Warantschow knackte Pistazien,

stand sein Gerede aus

wie einen Schauer,

und Ela bestellte Pernod.

.

(HERR WILDBRUCH:) Da ging es jetzt sehr plötzlich um Autos, Frau Garazzo. Aber noch einmal zurück zu der Mieterin. Sie sagen, Ihre Kollegen hätten sich lustig gemacht. Aber wie fanden Sie denn diese Frau? Diese Schicke Lady?

.

Mutter, ich stopfe mir

Moos

in die Scheide,

wenn ich meine Tage hab.

.

2.|BildKATZENMINZE

/Tag. Einen Tag später, Oktober./

 

/Eleonore telefoniert./

Korrekt. Ja.

Das Geld kann ich sofort überweisen, das ist überhaupt kein Problem. Genau. Ja, das ist meine Privatadresse. Fasanenweg 7, nicht 17, das Haus am Ende der Straße. Klein, sachlich gebaut, nicht zu verfehlen. Sicher, ja. Ein Teil der Paletten kann im Keller, ein Teil im Wohnraum untergebracht werden, das habe ich alles ausgemessen, Sie können das alles hier abladen./Lacht souverän./

Ja.

Prima, dann hätten wir das.

Ja. Auf Wieder- nein, Moment! Bringen Sie bitte noch einen Topf Katzenminze mit. Zur Pflege der Zähne. Danke.

Wiederhören./Eleonore beendet das Telefongespräch./

.

It’s all about the ingredients.

Zuerst fraß ich Tierfutter,

doch

welch Tier zöge

kein

salzarmes

Wildragout vor.

3.|BildDAS ENDE DER THERAPIE

/Tag. Einen Tag später, Oktober./

 

Auf das Ende der Arbeit

folgte auch bald

das Ende der Therapie.

(HERR WILDBRUCH:) Ja, es ist im Grunde schade, dass wir das hier… abbrechen. Ich kann nur, ja. Also wenn Sie meine Hilfe brauchen. Melden Sie sich gern jederzeit, Frau Garazzo.

Hatte Herr Wildbruch mir

angeboten

und kritzelte auf ein Papier seine

Nummer,

privat.

Er rieb sich die Hand an der Jeans

und gab sie mir dann.

.

Ich rief ihn nie an.

.

4.|BildKRATZBAUM

/Nacht. Einige Nächte später, Oktober./

 

/Eleonore wetzt Finger- und Fußnägel an ihrem Kratzbaum./

5.|BildMUTTER

/Tag. Einen Tag später, Oktober./

 

Es ging dann ganz schnell

nach jenem Septemberabend,

an dem der Gedankenstrom meiner Mutter in meinem Kopf

meiner Identität auf die Sprünge half,

ich ihr bald darauf sagte,

ich sei eine Katze,

da

ging es ganz schnell,

sie wurde dement.

.

/Eleonore fasst sich an die Ohren, sie erleidet leichten Schwindel, sammelt sich bald wieder./

.

Ich kann keine Kinder bekommen.

Ich meine,

wie soll das gehen.

Was soll es.

Man kann nicht alles

haben,

so ist das Leben,

man muss es nehmen,

wie’s ist,

aber ach.

.

Wem erzähle ich das.

.

Ich denke an Mutter,

ich denke

[v]ub

[w]ab [w]ab[w]ab[w]ab [w]lab

ah

ach Mutter.

(HERR WILDBRUCH:) Wie geht es Ihnen mit der Erkrankung Ihrer Mutter?

Fragte mich Wildbruch.

Gut.

(HERR WILDBRUCH:) Vielleicht ist da zwischen Ihnen etwas ungelöst.

Was sollte da ungelöst sein, fragte ich ihn und dachte

an Knäule aus Wolle.

Meine Mutter ist endlich

erlöst,

ist ein Wunder,

dass sie eine Katze gebar,

und größeres Wunder, dass sie sich an nichts

erinnert.

Ich, kann ich sagen, ich

bin noch nicht so weit.

(HERR WILDBRUCH:) Vielleicht hätten Sie ihr genau das gerne gesagt.

Herr Wildbruch immer

mit seinen Gedanken,

dass Mensch da jeder Mutter,

jedem Kind

so viel Bedeutung beimessen muss.

Was ist denn das Leben und Tod dieser Mensch und der Schädel auch

   eine Blüte ist ein

   Phänomen.

.

Ich mochte die Gespräche mit ihm

trotzdem.

Irgendwie waren sie,

weiß ich nicht –

nett.

Aber jetzt ist auch gut.

Ich finde, Herr Wildbruch,

er muss mich nicht andauernd

anrufen.

36 Anrufe

zählt meine Mailbox nun schon.

.

Ich verstehe das

nicht.

Ich will doch nicht viel.

Nur ein Wurf Junge,

das muss ich gestehn,

wäre schon schön.

6.|BildDER VOGEL

/Nacht. Eine Nacht später, Oktober./

 

/Eleonore steigt durch die Klappe der Terrassentür ins Haus. Es ist still. Sie schleicht. Man kann sie kaum sehen, so schwach ist das Licht. Und doch erkennt man im Mondenschein den toten Vogel, den Eleonore aus ihrem Maul fallen lässt. Anschließend holt sie sich eine Dose Fleisch, das sie frisst, während sie den Vogel verschmäht./

7.|BildPROTEIN

/Tag. Einige Tage später, Oktober./

 

Ich habe im Juni Geburtstag.

Ich tanze als Kind durch den Garten,

die Tante ist da,

es gibt Küchlein

mit Erdbeeren,

ein weißes Laken

hängt an der Leine.

.

/Singt./ [uːːː]

.

Mein Vater pflegte zu sagen:

(VATER:) Rechne immer damit, dass andere klüger sind als du.

Er leitete einen Konzern,

Windkraftanlagen.

Und starb vor fünf Jahren an Krebs.

(VATER:) Ich hab mit den Bären getanzt.

Das erzählte er mir,

wenn er heimkam spätabends,

als ich noch ein Kind

war.

.

Ich mag diesen Laut.

[w]

.

[wa]

[waʊ̯]

[wa:ʊ̯]

.

(HERR WILDBRUCH:) Und haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihrem Vater irgendetwas beweisen wollten?

Herr Wildbruch, come on,

mein Vater tanzte mit Bären, bis

einer ihn fraß,

was

hätte ich ihm

beweisen sollen.

.

.

Reis mit Rosinen

dampfte einmal bei ihr auf dem

Tisch, durch den sich die

Holzwürmer bohrten.

Die hätt ich ja auch noch

hineingegeben.

Mehr Protein.

Die Schicke Lady,

wie fand ich sie.

.

Ich mag diesen Laut.

[w].

.

/Es schwindelt Eleonore./

8.|BildMASTURBATION

/Tag. Ende Oktober./

 

/Eleonore liegt da, mit Genuss in einer möglichst unbequemen Position. Sie masturbiert. In Eleonores Emanzipation vom sexuellen Abhängigkeitsverhältnis der Menschen einerseits, und der

Unmöglichkeit kopulativer Verhältnisse mit Artgenossen andererseits, liegt eine Spannung, die nur behelfsmäßig überbrückt werden kann./

9.|BildDAS COACHING

/Tag. Anfang November./

 

Luk Warantschow,

mein Chef,

war mir zugeneigt.

Ich bin ein Verlust

auf der Arbeit,

das ist mir

bewusst.

Ela mit ihrer

Haus-

staub-

allergie

hätte er fast

gekündigt.

Die menschliche Schleimhaut

oftmals sensibler

als seine

Moral,

[ɐ] was soll’s, ist

egal.

.

Wir hatten dies Coaching,

Kommunikation.

Das war letztes Jahr,

es war

Mai, glaub ich.

Warantschow,

er hatte es anberaumt.

Als Upgrade

unserer Skills,

adressatengerecht und profitorientiert,

support your certain stewardship.

Der Coach,

sie hieß Maligk,

verteilte ihr Wissen

auf Kärtchen

und Whiteboards

auf Post-its

in Rot

Blau

Gelb

Grün

und dann sagte sie

(MALIGK:) Kommunikation ist nicht möglich.

Sie sei immer gestört

durch die Unmöglichkeit

intersub-

jektiven Konsenses.

Unter Einfluss diverser Gefühle und aufgrund der Unzulänglichkeit

   unserer Sprache könnte der

  Mensch nie genau in Worte

  fassen, was er eigentlich

  ausdrücken will, etwa so

sagte sie

lächelnd –

sicher kein Zahnstein

in diesem

Gebiss.

Bravo, Maligk,

sie hat es verstanden.

Wieso zieht sie nicht

Konsequenzen daraus,

give it up,

friss deine

Post-its.

.

.

/Das Telefon klingelt. Eleonore nimmt den Anruf entgegen./ Ja?

Ah, guten Tag.

M-hm.

M-hm.

.

/Seufzt./

Haben Sie –

.

Nun beruhigen Sie sich mal.

Haben Sie es denn schon mal mit einer Zimmerverlegung versucht?

A ha, ja,

dann machen Sie das doch einfach mal.

Meine Mutter liegt doch immer noch in der 32, dritte Etage, das Zimmer rechts hinter diesem blattarmen Ficus, richtig?

Ja. Auf der Etage, quasi als Nachbar meiner Mutter, liegt auch ein Herr Brenning-Schach, richtig?