Ich will doch nur küssen - Carly Phillips - E-Book
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Ich will doch nur küssen E-Book

Carly Phillips

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Beschreibung

Liebe, Leidenschaft, Romantik – mit der neuen Barron-Serie zeigt sich Carly Phillips wieder einmal in Hochform

Von Männern hat Faith genug! Frisch geschieden kehrt sie in ihre Heimatstadt Serendipity zurück. Dort begegnet sie ausgerechnet dem Mann, den sie seit zehn Jahren nicht vergessen kann: Ethan Barron. Der attraktive Bad Boy stellt ihre Gefühlswelt gehörig auf den Kopf und lässt sie wieder von der großen Liebe träumen. Als dann aber Ethans Halbschwester auftaucht, wird alles schrecklich kompliziert ...

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CARLY PHILLIPS

Ich will doch

nur küssen

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Ursula C. Sturm

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe SERENDIPITY erschien bei Berkley Books, New York
Copyright © 2011 by Karen Drogin Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 2, 81673 München. Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München unter Verwendung eines Fotos von © Thinkstock Satz: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-07941-3 V003
www.heyne.de

Kapitel 1

Als Ethan Barron die Hauptstraße seiner Heimatstadt Serendipity entlangraste, hatte er nur einen Gedanken: Man kann vor der Vergangenheit nicht davonlaufen. Gerade er musste das wissen, schließlich hatte er es lange genug versucht.

Eigentlich machte er es immer noch, wenn man die Tatsache, dass er das alte Harrington-Anwesen unter einem Firmennamen gekauft hatte, dazuzählte. Aber dafür hatte er seine Gründe. Seine Brüder wollte er nur zu gerne wissen lassen, dass er wieder da war, aber die übrigen Bewohner von Serendipity sollten ruhig ein wenig rätseln, wer denn nun das Wahrzeichen der Stadt von der Börsenaufsichtsbehörde ersteigert hatte. Ethan hoffte, dass das Schicksal des Vorbesitzers kein schlechtes Omen für ihn sein würde. Sein neues Leben in der alten Heimatstadt sollte nämlich besser werden als das vorige.

Er war nach zehn Jahren zurückgekommen, um sich der Vergangenheit zu stellen und alles wieder ins Lot zu bringen – soweit das überhaupt möglich war. Bis jetzt hatten seine jüngeren Brüder keinerlei Interesse an einer Versöhnung gezeigt, obwohl er sich sehr darum bemühte. Er konnte es ihnen nicht verdenken – immerhin hatte er mit seiner Rücksichtslosigkeit ihr Leben zerstört. Und danach hatte er alles nur noch schlimmer gemacht, indem er sie einfach der Wohlfahrt überlassen und der Stadt den Rücken gekehrt hatte. Sie waren noch nicht bereit, ihm zu verzeihen.

Verständlicherweise.

Er hatte sich ja selbst noch nicht so richtig verziehen.

Nash und Dare waren inzwischen erwachsen und Ethan hatte so einiges an ihnen gutzumachen. Er würde ihnen beweisen, dass sie von jetzt an auf ihn zählen konnten, und dann würde ihr Groll ihm gegenüber – hoffentlich – allmählich schwinden. Er würde warten, ganz egal wie schwer es ihm fallen mochte und wie lange es dauerte. Der Kauf des auffälligsten Hauses der Stadt war nur der erste Schritt. Es war der Beweis, dass er etwas aus sich gemacht hatte und bereit war, sesshaft zu werden. Er war nicht mehr der egoistische Mistkerl, der mehr Schwierigkeiten verursacht hatte, als ihm heute lieb war.

Als er sich dem Haus näherte, in dem er seit drei Wochen wohnte, bemerkte er eine Frau, die mit dem Rücken zu ihm auf dem Rasen neben der langen Einfahrt stand. Er wendete den Wagen, parkte und stieg aus seinem Jaguar, der ein weiterer Beweis für seinen Erfolg war.

Während er auf die Fremde zuging, ließ er den Blick über ihr schulterlanges blondes Haar und ihre dunkle Denim-Jeans gleiten. Dazu trug sie eine kragenlose, teuer wirkende Jacke – und das bei diesen Temperaturen. Jetzt drehte sie sich zu ihm um. Eine große, schwarze Sonnenbrille verdeckte ihre Augen und die Hälfte ihres Gesichts. Sie kam ihm zwar nicht direkt bekannt vor, doch bei ihrem Anblick durchzuckte ihn ein unbestimmtes Gefühl.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich mache nur einen kleinen Spaziergang.«

IhreleiseStimmewecktetiefinihmeineErinnerung,diegenausoschnellverschwand,wiesiegekommenwar.

»Das hier ist aber ein Privatgrundstück.« Er deutete mit dem Kopf auf die Straße in der Hoffnung, dass sie den Wink verstehen würde.

Ihm war nicht nach Small Talk mit einer Fremden zumute, obwohl er zugeben musste, dass ihre attraktive Erscheinung sein Interesse geweckt hatte. Aber er war wegen seiner Familie hier, und er konnte bei seinen Bemühungen, seine Fehler wiedergutzumachen, keine Ablenkung gebrauchen, selbst wenn sie so sexy und vielversprechend war wie diese hier. Seiner Erfahrung nach waren gerade solche Frauen die gefährlichsten.

Sie hob die Sonnenbrille ein paar Zentimeter an und beäugte ihn mit ihren goldbraunen Augen lange und bedächtig, als könnte sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. Als würde sie sich ein Urteil über ihn bilden.

»Mhm,immernochdasselbearroganteAas«,brummte sie, und ihre Stimme klang jetzt nicht mehr sanft, sondern verärgert.

Vertraut.

Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf, straffte die Schultern und schlug den Weg zur Straße ein, wie er es von ihr verlangt hatte.

»Bleiben Sie stehen«, rief er ihr im Befehlston nach.

»Ich bin kein verdammtes Jo-Jo«, blaffte sie ihn über die Schulter hinweg an und ging weiter.

Doch er musste sie aufhalten. »Bleiben Sie stehen, habe ich gesagt.« Mit ein paar raschen Schritten war er bei ihr und packte sie am Arm.

»Was ist denn noch?«, keifte sie und entwand sich ungehalten seinem Griff. Er legte den Kopf schief und fragte sich, was nur über ihn gekommen war. »Kennen wir uns?«, fragte er mit einem unguten Gefühl, denn er ahnte bereits, wie die Antwort lauten würde.

»Sag du es mir.« Sie schob sich die Sonnenbrille ins Haar. Nun konnte er ihr Gesicht zum ersten Mal ganz sehen, ihreweiche,cremigweißeHautmiteinpaarSommersprossenaufderperfektenNase.InihremHalsgrübchenwarihrheftigschlagenderPulszusehen.DerAnblickriefbeiEthandieErinnerunganeinenschwülenSommertagwach.EraufseinemMotorrad,sieineinemCheerleader-OutfitaufdemNachhausewegvonderSchule.Aufdem Weg zu dem Haus, das jetzt ihm gehörte.

»Ich glaub, mich tritt ein Pferd«, murmelte er, und weitere Erinnerungen stürmten auf ihn ein.

Er hatte ihr angeboten, sie nach Hause zu fahren, und zu seiner grenzenlosen Überraschung war sie darauf eingegangen. Statt sie einfach nach Hause zu bringen, war er jedoch mit ihr zu einem verlassenen Gebäude am Stadtrand gefahren, und dort hatte er sie bis zur Besinnungslosigkeit geküsst. Er hatte mehr gewollt, sie hatte ihn abgewiesen.

Wie recht er doch gehabt hatte – man konnte nicht vor der Vergangenheit davonlaufen.

»Du erinnerst dich also doch«, sagte sie in herausforderndem Tonfall.

Er nickte. »Die Prinzessin aus der Villa auf dem Hügel«, murmelte er halblaut.

Sie stemmte eine Hand in die Hüfte. »Und du als neuer Hausherr bist dann was – der Märchenprinz?«

Alsohatteessichbereitsherumgesprochen.VermutlichmussteersichdafürbeiseinerHaushälterinRosalitabedanken,dieerzusammenmitdemHausübernommenhatte.SiebrauchtedenJob,konnteihnaberaufdenTodnichtausstehen.SieredetebeiderArbeitununterbrochenundberichteteihmhaarkleinsämtlicheKlatsch-undTratschgeschichtenüberSerendipityundseineBewohner,obwohlesihnnichtdieBohneinteressierte.ZweifelloshattesiederTochterdesehemaligenBesitzerserzählt, wer ihr damaliges Zuhause gekauft hatte.

»Also?« Die Worte der unerwarteten Besucherin holten ihn unvermittelt in die Gegenwart zurück.

Ethan musste lachen. Ihre Dreistigkeit war geradezu bewundernswert. »Ich wusste gar nicht, dass du so eine Klugscheißerin bist«, sagte er grinsend.

Sie hob eine ihrer fein gezeichneten Augenbrauen. »Das liegt vermutlich daran, dass du so gut wie gar nichts über mich weißt. Du hast mich nie richtig kennengelernt«, konterte sie mit einem hochnäsigen Tonfall, der ihm bekannt vorkam.

»Und wessen Schuld war das?« Er wollte sie aus der Reserve locken, denn der Gedanke an ihre Zurückweisung schmerzte selbst nach all den Jahren noch verblüffend heftig.

IhrBlickverrietihm,dassauchsiesichnochsehrgenauerinnernkonnte.Esüberraschteihn,dassihrebernsteinfarbenenAugennochimmertiefinihreSeeleblickenließen.InseinerJugendhatteesihnfasziniert,wiereinundunberührtsiegewirkthatte,verglichenmitdenMädchen,mitdenenersichsonstherumgetriebenhatte:tougheMädels,diesichjedembereitwillighingaben,besondersihm,derseinemBöse-Buben-Imagejederzeitproblemlos gerecht wurde.

Sie war anders gewesen. Etwas Besonderes. Noch ein Grund, wieso ihn ihre Zurückweisung so hart getroffen hatte.

Wieesaussieht,istdaseinweiteresPuzzleteilausmeinerVergangenheit,mitdemichmichnocheinmalgründlichauseinandersetzensollte,dachteer.Esirritierteihn,dassihndasnachwievorsoausdemKonzeptbrachte.AllerdingswarsiedamalserstsechzehngewesenundeinwohlerzogenesMädchenobendrein.Siehätte sich keinem Mann hingegeben, schon gar nicht ihm.

Sie trat in ihren hochhackigen Sandalen von einem Fuß auf den anderen.

Fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut, oder konnte sie es bloß nicht erwarten, endlich von hier wegzukommen? Ethan entschied sich für Ersteres, weil ihm der Gedanke gefiel, dass ihr die Begegnung ebenso naheging wie ihm. Ganz tief unter die Haut, genau wie damals.

Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf. »Okay, jetzt haben wir aber genug in Erinnerungen geschwelgt. Geh du mal schön nach Hause.« Sie deutete auf den Hügel. »Ich werde dasselbe tun.«

»Und wo ist dein Zuhause?« Alles, was er zurzeit über ihre Familie wusste, war, dass ihr Vater im Gefängnis saß und ihre Mutter am anderen Ende der Stadt wohnte, was zweifellos ein ziemlicher Abstieg für eine einst wohlhabende Frau von ihrem gesellschaftlichen Status war.

Ethan hatte keine Ahnung gehabt, dass die Prinzessin auch wieder hier war. Offensichtlich hatte Rosalita es vorgezogen, diese Information für sich zu behalten.

»Ich hab mich bei Joe’s unten an der Hauptstraße eingemietet.« Sie schnippte mit gespielter Gleichgültigkeit ihr Haar über die Schulter.

Doch er durchschaute ihre Nonchalance. Joe’s war die Art von Bar, in der genau die Typen herumhingen, zu denen Ethan früher gehört hatte. Aber er hatte nicht vor, sie deswegen zu bemitleiden. »Interessant«, sagte er nur.

»Was?« Sie schürzte die glänzenden Lippen.

Es war bestimmt nicht ihre Absicht, verführerisch zu wirken, aber sie war es trotzdem. Er hätte ihr zu gerne noch einmal einen heißen, feuchten Kuss geraubt … Was wohl geschehen wäre, wenn sie damals, vor all den Jahren, der Versuchung nachgegeben hätte?

Er zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren und ihre Frage zu beantworten. »Der Untergang der Mächtigen. Das ist interessant.« Kein Mitleid, sondern die Wahrheit, dachte er und sah ihr geradewegs in die Augen, ohne zu blinzeln.

Sie hob ein klein wenig das Kinn an. »Wie gesagt, du weißt gar nichts über mich.«

»Dann klär mich auf.«

Sie atmete tief durch und überlegte offenbar, wie viel sie ihm erzählen sollte, was er nur zu gut verstehen konnte.

»Ich bin hier, um einen Neuanfang zu wagen«, erklärte sie schließlich. »Ich möchte ein Geschäft für Raumausstattung und Wohndesign eröffnen. Was ist mit dir?«

Er zuckte mit den Achseln. Ziemlich einfache Frage. »Ich bin der Besitzer einer Waffensoftwarefirma.«

Sie klappte den Mund auf und gleich wieder zu.

»Nein, ich bin nicht im Gefängnis gelandet«, sagte er, weil ihm ihr überraschter Blick nicht entgangen war.

»Ich hatte nicht angenommen …«

Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du doch.«

Zum ersten Mal huschte der Anflug eines Lächelns über ihr Gesicht. »Ich gebe zu, ich hatte so etwas vermutet, aber seit ich erfahren habe, dass du unser Haus gekauft hast, ist mir klar, dass du das Ruder irgendwie herumgerissen haben musst.«

Er registrierte einen Anflug von Bewunderung in ihrer Stimme, der ihm zwar gefiel, den er aber eigentlich nicht verdiente. Schließlich hatte er so einigen Leuten das Leben versaut. Erst in den letzten Jahren hatte sich alles zum Besseren gewendet: Die Armee hatte ihm das Studium finanziert, und er hatte es geschafft, sich mit seiner Begeisterung für Computerspiele den Lebensunterhalt zu verdienen. Nach zwei Einsätzen im Ausland hatte er in einer Militärbasis in den USA im Softwarebereich gearbeitet und daneben an seinem eigenen Projekt gebastelt.

NachdemAbschlusshatteereinenJobbeiLockheedangenommen,warabermitdenstriktenVorschriftendortnichtklargekommen.AlsohatteersichselbstständiggemachtundbaldeinpaarAufträgeerhalten,mitdenenersichüberWasserhaltenkonnte,biserimLaufederdarauffolgendenJahreeinProgrammentwickelthatte,dasdiekommendeGenerationvonMilitärflugzeugenrevolutionierte.ErhattedasProgrammandieRegierungverkauftundeinkleinesVermögendamitgemacht,dases ihm ermöglicht hatte, ihr altes Haus zu kaufen.

Aber das würde sie bestimmt nicht interessieren. »Und warum bist du hier?«, fragte er, um von sich abzulenken.

Sie wussten beide, dass er das Land, das Grundstück und besonders ihr altes Zuhause meinte.

Sie schluckte schwer. Er hatte ganz offensichtlich ein Thema angeschnitten, das für sie äußerst schmerzhaft war. »Ich wollte mir das Haus anschauen«, gab sie zu. »Meine Erinnerungen auffrischen.«

Er nickte verständnisvoll. Es war bestimmt alles andere als leicht für sie, damit fertigzuwerden, dass ihre Familie in Ungnade gefallen war. Trotzdem war sie zurückgekommen. Dazu gehörte Mut und Kraft.

Vielleicht hatten sie ja doch etwas gemeinsam, dachte er und musste sich eingestehen, dass sie ihm imponierte. Sie hatte recht. Er hatte sie nie richtig kennengelernt, und er wusste nach wie vor so gut wie nichts über sie, aber er verspürte plötzlich das starke Bedürfnis, das zu ändern. Wenn er ausreichend Zeit und Energie erübrigen könnte, sich mit einem Menschen auseinanderzusetzen, der nicht zu seiner Familie gehörte …

Konnte er aber nicht.

»Ich muss jetzt wirklich gehen«, sagte sie. »Diese Hitze macht mich fertig. Ich wollte eigentlich nur einen kurzen Spaziergang durch die Stadt machen, aber irgendwie bin ich dann hier oben gelandet.«

Wie auf ein Stichwort bemerkte Ethan plötzlich einen Schweißtropfen, der sich von ihrem Hals einen Weg in ihr Dekolleté bahnte. Er lief direkt zwischen ihre Brüste, die sich deutlich unter dem Seidentop abzeichneten, das sie unter der Jacke trug.

Ethan unterdrückte ein Stöhnen. Ja, sie war gefährlich, aber er konnte sie unmöglich in diesen lächerlichen Schuhen zu Fuß zurückgehen lassen. In ihrem Aufzug würde sie umkommen vor Hitze. »Ich bringe dich nach Hause.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es zu schätzen, aber …«

»Es ist unerträglich heiß, und ich würde mein letztes Geld darauf verwetten, dass dir die Füße höllisch wehtun. Also, komm schon …« Er legte eine kleine Kunstpause ein. »Oder hast du etwa Angst davor, mit mir allein zu sein, Prinzessin?«

Sie schnappte nach Luft, dann musste sie grinsen. »Ich habe keine Angst, und das weißt du auch.«

Undeinfachso,aufeinenSchlag,fühlteersichumzehnJahrezurückversetzt.Erhattesieaufgefordert,zuihmaufsMotorradzusteigen,undsiehatteesgetan.DamalshattesieAngstvorihmgehabt,unddashatteergespürt.DochsiewarüberihrenSchattengesprungen,undnichtshatteihmjeeinenderartigenKickbeschert.

Diese Erregung wollte er noch einmal erleben. Er wollte spüren, wie sie die Arme um ihn schlang, ihren Körper an den seinen presste und darauf vertraute, dass sie bei ihm sicher war. Aber vor allem wollte er, dass sie ihre Fingernägel in seine Haut bohrte, und zwar nicht, weil sie auf einem Motorrad saß. Wenn sie auf seiner Maschine schon derart in Fahrt gekommen war, wie würde sie dann erst beim Sex abgehen? Er fragte sich, ob sie schreien würde, wenn er in sie eindrang und sie zum Orgasmus brachte. Sie hatte ihn während der Motorradfahrt unglaublich angetörnt, sodass er sich kaum noch aufs Fahren konzentrieren konnte. Sein bestes Stück war so hart gewesen, dass es wehgetan hatte. Aber als er versucht hatte, etwas dagegen zu unternehmen, hatte sie ihn abblitzen lassen.Natürlich, was sonst?

Tja, er konnte nicht leugnen, dass sie immer noch dieselbe Wirkung auf ihn ausübte.

Er drehte sich zum Auto um, damit sie es nicht bemerkte. »Komm schon, ich fahr dich nach Hause.«

»Vorher musst du mir noch eine Frage beantworten.«

Er biss die Zähne zusammen und warf ihr einen Blick über die Schulter zu.

»Die da wäre?«

»Weißt du, wie ich heiße, oder bin ich für dich einfach immer noch bloß die verwöhnte Prinzessin?«

Natürlich erinnerte er sich an ihren Namen, aber ›Prinzessin‹ gefiel ihm einfach besser. Doch nach ihrem entschlossenen Gesichtsausdruck zu urteilen, war ihr seine Antwort wichtig.

AlskönnteerihrenNamenjevergessen.ErdachteandenPhilosophiekurs,denerimletztenHighschooljahrbelegthatte.SiewarimKursgewesen,einederwenigenjüngerenSchülerinnen.DerLehrerhatteihnenaufgetragen,dieBedeutungihrerNamenzuerforschen,undEthanwardortgewesen,alsdiekesseCheerleaderinüberihrenNamenreferierthatte,weilerausnahmsweiseeinmalnichtgeschwänzthatte.EswareinName,derfürbedingungsloses,vollkommenesVertrauenstand–etwas,dasihmnochniejemandentgegengebrachthatte.

»Und?« Sie klopfte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden.

Er schüttelte den Kopf und stieß einen Seufzer hervor. »Nun steig schon endlich ein … Faith.«

Mist. Faith Harrington biss sich auf die Wange. Ethan wusste also doch, wie sie hieß, dabei hatte sie händeringend nach einer Ausrede gesucht, nach irgendeinem Grund, um nicht in diesen Wagen zu steigen und auf engstem Raum mit einem Mann zusammengepfercht zu sein, der so unbeschreiblich sexy war.

Schon als Jugendlicher hatte er ihr mit seinem Böse-Buben-Image Respekt eingeflößt, und die neue, verbesserte Erwachsenenversion mit den etwas zu langen rabenschwarzen Haaren raubte ihr schier den Atem. Was sie sich natürlich nicht anmerken lassen würde. Faith würde es nie wieder zulassen, dass ein Mann zu viel Macht über sie bekam.

Aber sie würde sich von ihm in die Stadt fahren lassen. Ihre Füße schmerzten in den hochhackigen Sandalen und waren nach dem ungeplanten Spaziergang zweifellos geschwollen. Seit sie vor ein paar Wochen in die Stadt zurückgekehrt war, hatte sie einen weiten Bogen um das Zuhause ihrer Kindheit gemacht, aber heute hatte es sie magisch angezogen. Sie wusste nicht, wieso. Vielleicht hatte sie herausfinden wollen, warum sie erst viel zu spät bemerkt hatte, dass ihr Vater, den sie so bewundert hatte, gar nicht der war, für den sie ihn gehalten hatte. Vielmehr war er ein skrupelloser Geschäftsmann gewesen, der mit seinem Schneeballsystem eine Menge Menschen um ihr Geld gebracht hatte, die Reichen genauso wie die weniger Betuchten.

Er hatte alle hinters Licht geführt – einschließlich seiner eigenen Tochter.

Mit seinem Verhalten hatte er ein Loch von der Größe des Staates New York in Faiths Herz gerissen, und dann war auch noch ihr Exmann mit einem Lkw über die Reste gebraust und hatte das Wenige zerstört, das noch heil geblieben war. Mittlerweile war sie frei – von ihrem Vater hatte sie sich losgesagt, von Carter Moreland hatte sie sich scheiden lassen. Sechs Monate war das nun her, und sie wollte mit keinem von beiden je wieder etwas zu schaffen haben. Stattdessen war sie nach Hause zurückgekehrt, um herauszufinden, wer Faith Harrington eigentlich war.

Sie blinzelte in die Nachmittagssonne. Ethan wartete noch immer auf eine Entscheidung von ihr, was sie daran erinnerte, dass Faith Harrington offenbar eine Schwäche für einstige Rebellen hatte, die extrem sexy und begehrenswert waren.

Oh-oh.

Sie schob kämpferisch ihr Kinn nach vorn und marschierte an ihm vorbei zum Auto. Er kam ihr zuvor und öffnete ihr die Beifahrertür. Als sie ihm leichtsinnigerweise in die Augen sah, traf sie das Verlangen in seinem Blick völlig unvorbereitet. Sie blinzelte erschrocken.

Er deutete ihre Überraschung falsch. »Nun guck nicht so erstaunt. Ich habe an meinen Manieren gearbeitet, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

Sie musste lächeln. »Soweit ich mich entsinne, hattest du auch damals schon gute Manieren.« Er hatte ihr vom Motorrad geholfen, als sie schließlich bei ihr zu Hause angelangt waren, und dem verächtlichen Blick ihrer Mutter keine Beachtung geschenkt.

Ethan schüttelte den Kopf. »Das hätte meine Mom bestimmt gern gehört«, entgegnete er trocken.

Aber Faith registrierte den Anflug von Traurigkeit in seiner Stimme und nutzte die Gelegenheit, um ihm ihr Beileid auszusprechen: »Das mit dem Unfall deiner Eltern tut mir leid. Was für eine sinnlose, schreckliche Tragödie.« Die ganze Stadt war erschüttert gewesen.

Bis zum heutigen Tag hatte sie nicht gewusst, wie die Sache für Ethan ausgegangen war, und sie war heilfroh, dass er gesund und munter war, auch wenn ihm inzwischen ihr ehemaliges Zuhause gehörte.

»Danke.« Einer seiner Kiefermuskeln zuckte leicht. »Sie hätten in jener Nacht gar nicht unterwegs sein sollen.« Er trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, dann räusperte er sich. »Willst du nicht endlich einsteigen?«, fragte er mit einer entsprechenden Geste und einem leicht genervten Unterton.

Sie spürte, dass er das Thema wechseln wollte, und setzte sich in den Wagen. Der glänzende schwarze Jaguar mit dem knallroten Interieur passte gut zu ihm. Groß und eindrucksvoll und zugleich dunkel und tiefgründig.

Ethan schlug die Tür zu, ging zur Fahrerseite und nahm Platz. Dann setzte er die Sonnenbrille auf und startete den Motor, und sogleich setzte die angenehm kühlende Wirkung der Klimaanlage ein. Faith seufzte erleichtert auf, ohne es zu wollen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, an so einem brütend heißen Sommertag hierher zu spazieren?

Ethan hob kurz seine Sonnenbrille an. Ein vielsagendes Lächeln umspielte seine sexy Lippen. »Heiß?«, fragte er sie.

Faith entging weder die Zweideutigkeit seiner Bemerkung noch der amüsierte Blick seiner tiefbraunen Augen.

»Und wie«, antwortete sie gedehnt. Sie konnte gar nicht anders, als sich auf das kleine Geplänkel einzulassen.

Ethan schüttelte den Kopf, ließ die Brille auf die Nase zurückgleiten und steuerte den Wagen auf die Hauptstraße. Er fuhr mit einer Hand auf dem Lenkrad; die andere ruhte lässig auf der Gangschaltung. Faith konnte nur mit Mühe den Blick von seiner großen, starken Hand abwenden, die den Schaltknüppel umschlossen hielt.

»Du kannst mich vor dem Cuppa Café rauslassen«, sagte sie mit einer Stimme, die ihr selbst fremd vorkam, als der Coffeeshop an der Hauptstraße in Sicht kam.

»Wie du willst.« Ethan stellte das Auto auf einem freien Parkplatz direkt vor dem Lokal ab, ließ den Motor aber laufen.

Sie drehte sich zu ihm. »Danke, dass du mich hergefahren hast.«

Er legte den rechten Arm auf ihrer Sitzlehne ab. »War mir ein Vergnügen, Prinzessin.«

»Das war einmal«, murmelte sie in sich hinein. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, wie sehr er mit seiner Aussage über den Untergang der Mächtigen den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

»Tja, ich schätze, man sieht sich.« Faith öffnete die Tür und stieg aus.

Sie steuerte geradewegs auf den Coffeeshop zu, denn sie musste jetzt dringend etwas anderes riechen als Ethans männlichen, sinnlich-erregenden Duft. Vor zehn Jahren hatte er mehr von ihr haben wollen als nur einen Kuss, und er hatte damit bei ihr ein Verlangen geweckt, für das sie mit sechzehn noch viel zu jung gewesen war. Sie hatte ihn begehrt, auf eine Weise, die alles bisher Erlebte in den Schatten gestellt hatte. Er hatte nicht geahnt, wie viel ihr sein Kuss bedeutet hatte – obwohl ihr sonnenklar gewesen war, dass sie für ihn nur ein weiteres Mädchen in seiner Sammlung war.

Aber das war lange her. Mittlerweile war sie erwachsen, und sie war sich der Reaktion ihres Körpers auf ihn voll und ganz bewusst. Allerdings befand sie sich gerade an einem Punkt in ihrem Leben, an dem sie sich wohl lieber erst einmal um sich selbst kümmern sollte, ehe sie sich mit einem Mann einließ. Besonders mit einem Mann, der so unglaublich starke Gefühle bei ihr auslöste.

Kapitel 2

Es gab einen Grundsatz in Faiths Leben, der sich in den letzten Jahren oft genug bewahrheitet hatte: Ein perfekter Latte macchiato machte selbst den schlimmsten Tag erträglicher. Heute bestellte sie sich allerdings die eisgekühlte Variante. Sie brauchte dringend etwas Abkühlung – nicht nur wegen der Außentemperaturen, sondern auch, weil ihr Ethan derart eingeheizt hatte.

Sie war froh, dass sie die Kellnerin hinter dem Tresen nicht kannte, denn das bedeutete, dass sie sich nicht mit einer der diversen Begrüßungsformen auseinandersetzen musste, mit denen sie sich seit ihrer Rückkehr nach Serendipity immer wieder konfrontiert sah. Das Spektrum reichte von herzlichen Umarmungen bis hin zu Verachtung oder Spott, je nachdem, wie sie früher zu dem betreffenden Menschen gestanden hatte und ob ihr Vater dessen Vertrauen auf irgendeine Art missbraucht hatte.

Faith nahm ihr kaltes Getränk und setzte sich damit an einen der kleinen Tische im hinteren Teil des Cafés, um dort auf Kate Andrews zu warten, die seit dem Kindergarten ihre beste Freundin war. Kate war der einzige Mensch, mit dem Faith die gesamte Studienzeit über und auch während ihrer ziemlich einsamen Ehe in Kontakt geblieben war. Kate war auch der einzige Mensch auf der Welt, dem Faith vertraute, seit sich die Welt, in der sie bisher gelebt hatte, als Fassade entpuppt hatte.

Faith hatte den Kaffee bereits zur Hälfte geleert, als Kate keuchend, aber wie üblich gut gelaunt hereinstürmte. »Entschuldige die Verspätung. Mein Zahnarzttermin hat länger gedauert als erwartet.«

Faith lachte. »Deine Termine dauern immer länger als erwartet.« Kate würde wohl nie lernen, Zeitpuffer einzuplanen.

Kate grinste. »Und du liebst mich trotzdem.«

»Stimmt, und das weißt du auch.« Zum ersten Mal seit der Begegnung mit Ethan spürte Faith, wie sie sich etwas entspannte. »Schön, dass du überhaupt so spontan kommen konntest.«

»Das beruht auf Gegenseitigkeit«, sagte Kate und wandte dann den Kopf, sodass ihr kastanienbrauner Pferdeschwanz durch die Luft wirbelte. »Hallo?« Sie winkte einer Angestellten, um sich bemerkbar zu machen.

»Einen Augenblick!«, rief die Frau hinter dem Tresen.

Es war nicht dieselbe, die Faith bedient hatte, sondern Elisabetta Gardelli, eine ihrer Highschool-Mitschülerinnen. Elisabetta, genannt Lissa, war ein Jahr älter als sie und hatte reiche Mädchen wie Kate und Faith immer gehasst.

»Was machst du denn?«, zischte Faith.

»Moment, ja?« Kate wartete, bis Lissa herüberschaute, dann rief sie: »Für mich das Übliche bitte!«

»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Du wirst dich schon zum Tresen begeben müssen, um zu bestellen«, flüsterte Faith.

Doch zu ihrer Überraschung rief Lissa: »Kommt sofort!«

Kate lehnte sich mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck zurück. »Schlange stehen muss man in Manhattan. Hier reicht es, wenn man jemanden kennt, und wenn du wie ich die Stadt nie verlassen hast, kennst du sowieso jeden.« Sie grinste.

»Aha. Wieder was gelernt.«

Im Gegensatz zu Faith, die ins nahe gelegene New York gezogen war, um zu studieren, hatte Kate es vorgezogen, daheimzubleiben, obwohl ihre Familie es sich durchaus hätte leisten können, ihr ein Studium auswärts zu finanzieren. Doch Kate gefiel es hier. Sie hatte an der Universität vor Ort ihre Lehrerausbildung absolviert und den Master gemacht. Ein typisches Kleinstadtmädchen. Das Einzige, was fehlte, war der Ehemann. Aber Kate behauptete, der Richtige sei ihr eben noch nicht über den Weg gelaufen. Allerdings würde es schwierig werden, hier einen zu finden, es sei denn, es zogen ein paar neue Kandidaten in die Stadt.

»Lissa macht es also nichts aus, dich zu bedienen?«, fragte Faith.

Kate schüttelte den Kopf. »Ich schätze, wir sind alle erwachsen geworden.«

Faith nahm den letzten Schluck von ihrem Kaffee. »Gut zu wissen.« Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung in Sachen Bekanntschaften schließen, allerdings bezweifelte sie das angesichts der Tatsache, wie ihre Eltern die Menschen hier behandelt hatten.

Ihre Unterhaltung wurde von Lissa unterbrochen. »Kaffee für Eure Hoheit!«, feixte sie grinsend und stellte einen großen Becher Kaffee vor Kate ab.

Kate reichte ihr einen Zehndollarschein. »Willst du noch einen, Faith?«

Faith schüttelte die Eiswürfel in ihrem leeren Becher. »Gern, aber diesmal hätte ich lieber einen Latte macchiato.«

»Tja, Schätzchen, dann stell dich wie die anderen arbeitenden Menschen in der Schlange an – jetzt, wo du eine von uns bist«, sagte Lissa mit eisiger Miene, dann wirbelte sie herum und stolzierte zum Ladentisch zurück.

Faith spürte, wie sich ihr Magen schmerzhaft zusammenzog. Vor Kate war ihr die Erniedrigung doppelt unangenehm.

Kate sprang mit hochrotem Kopf auf. »Diese Frechheit lasse ich ihr auf keinen Fall durchgehen!«

Faith packte ihre Freundin am Arm, um sie zurückzuhalten. Sie wollte und brauchte niemanden, der ihre Kämpfe ausfocht. Es würde eben eine Weile dauern, bis die Bewohner von Serendipity erkannten, dass Faith nicht wie ihr Vater oder ihre Mutter war, und sie als eine von ihnen akzeptierten.

»Lass gut sein. Lissa ist nicht die Einzige, von der ich so etwas zu hören kriege. Ich gewöhne mich langsam an die Feindseligkeiten.« Faith konnte nicht leugnen, dass es ihr wehtat, selbst in diesem Alter noch wie eine reiche Zicke behandelt zu werden, aber sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Was uns nicht umbringt, macht uns stärker, dachte sie.

Kates grüne Augen funkelten vor Zorn. »Ich stamme aus demselben Viertel wie du, und ich habe über die Jahre mit Lissa Frieden geschlossen. Ihre Tochter war sogar bei mir im Nachhilfeunterricht. So kann sie nicht mit dir umspringen!«

»Und ob sie das kann«, widersprach Faith. »Bis sie mich so gut kennt, wie sie dich jetzt kennt. Insgeheim wird sie sich über die Entwicklung freuen, die mein Leben genommen hat, und glaub mir, da ist sie nicht die Einzige. Es ist lieb von dir, dass du mich verteidigst, aber ich werde schon damit fertig.«

»Also, ich werde das nicht einfach so hinnehmen.« Noch ehe Faith erneut protestieren konnte, hatte sich Kate auch schon erhoben und marschierte hinter den Tresen, um mit Lissa ein ernstes Wörtchen zu reden.

Faith seufzte. Wie sollte sie ihrer Freundin klarmachen, dass sie mit einem derartigen Empfang gerechnet hatte, als sie nach Serendipity zurückgekommen war? Sie musste sich den Respekt der Leute erst verdienen.

Das Problem war, dass sie sich selbst noch nicht wieder respektierte. Nicht weil sie sich von ihrem Vater hinters Licht hatte führen lassen – da war sie nicht die Einzige gewesen –, sondern weil sie so blind an ihn geglaubt und sich von ihm mit Carter Moreland hatte verkuppeln lassen – eine Verbindung, von der einzig er, Martin Harrington, und ihr Exmann profitiert hatten. Anstatt sich von ihrer Familie abzunabeln und ihren eigenen Weg zu gehen wie die meisten Mädchen Anfang zwanzig, hatte Faith die finanzielle Sicherheit gewählt. Denn als ihr Vater ihr im Sommer nach ihrem Abschluss den wortgewandten Carter Moreland vorstellte, ließ sie sich problemlos in dessen Welt hineinziehen. Es war eine vertraute Welt, die sie akzeptiert hatte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, ob die Dinnerpartys und Wohltätigkeitsveranstaltungen, zu denen Carter sie geschickt hatte, sie erfüllten oder nicht.

Für Carter hatten sich dank der Eheschließung mit Faith die Türen zu einer Gesellschaft geöffnet, die um vieles reicher war, als er es sich je hatte träumen lassen. Faiths Vater hatte im Gegenzug die Investitionen für Carters Mitarbeiter übernommen, und als seine kriminellen Machenschaften ans Tageslicht gekommen waren, hatte sich Carter längst als Rechtsberater der oberen Schicht etabliert. Faith war nichts weiter als eine nette Draufgabe gewesen. Schließlich war sie in einer Situation gefangen gewesen, die sie nicht ändern und der sie nicht hatte entfliehen können.

Um der ganzen unschönen Angelegenheit noch die Krone aufzusetzen, hatte sie Carter just an dem Tag, als sich die Anschuldigungen gegen ihren Vater bewahrheitet hatten, beim Sex mit seiner Anwaltsgehilfin erwischt. Er hatte sich kaum die Mühe gemacht, seine Hose hochzuziehen, ehe er sie vor die Wahl gestellt hatte, seine Eskapaden entweder zu akzeptieren oder zu gehen. Seinerseits hatte er bereits alles bekommen, was er sich von der Ehe erhofft hatte. Es lag auf der Hand, dass er sie nicht das erste Mal betrogen hatte und das Fehlverhalten ihres Vaters nun quasi als Freibrief betrachtete, seine Affären nicht länger geheim halten zu müssen.

In dieser einen unglaublichen Nacht musste sich Faith nicht nur von ihrem vertrauten Leben verabschieden, sondern auch von der Überzeugung, dass ihre Existenz finanziell gesichert war. Ihr Nichtsnutz von einem Ehemann schien nämlich sein gesamtes Vermögen in den Sand gesetzt zu haben, und auch die Rechtsanwaltskanzlei, die es ihm ermöglicht hatte, in einem Penthouse zu leben (dessen Interieur dem ihres Elternhauses um nichts nachgestanden hatte), schrieb rote Zahlen. Der Mistkerl war ihr bei einem Anwaltstermin am Tisch gegenübergesessen, hatte ihr in die Augen geblickt und erklärt, er sei bankrott. Es sei nichts mehr da, das man hätte aufteilen können, selbst das Penthouse habe er bereits verkauft, um ihre Schulden zu decken.

Faiths Vater hatte ihr jedoch gesteckt, dass Carter mehr in seine illegalen Geschäfte involviert gewesen war, als er öffentlich zugeben wollte, wofür es auch Beweise gab. Also hatte Faith die Anwälte gebeten, den Raum zu verlassen, und ihrem Exmann in spe ein Angebot unterbreitet: ihr Schweigen gegen angemessene Unterhaltszahlungen. Es hatte ihr widerstrebt, ihn zu erpressen, aber ihre Existenz stand auf dem Spiel. Sie hatte genug für sich herausgeschlagen, um sich auch weiterhin Schuhe von Manolo leisten zu können, aber darum ging es ihr gar nicht. Faith wollte genügend Geld für einen Neuanfang haben. Den Rest würde sie für magere Zeiten beiseitelegen. Faith Harrington hatte vor, ein neues Leben zu beginnen, in der einzigen Stadt, in der sie sich je wirklich heimisch gefühlt hatte, und sie wollte es ganz alleine schaffen.

Nicht zu fassen, dass Ethan auch nach Serendipity zurückgekehrt war – und jetzt obendrein in ihrem ehemaligen Domizil lebte. Den einzigen Trost, den sie in dieser Ironie des Schicksals finden konnte, war die Tatsache, dass auch er so einiges durchgemacht hatte.

Sie konnte noch immer kaum glauben, dass er hier war. Nach jener unglaublichen Motorradfahrt vor zehn Jahren waren sie einander lediglich ein paar Mal auf dem Schulkorridor begegnet, und er hatte sie stets mit seinem arroganten Blick fixiert und die sexy Lippen zu einem vielsagendenGrinsen verzogen. Schon bei dem Gedanken daran fühlte sie wie damals ein Kribbeln am ganzen Körper.. Seither hatte sie nie wieder etwas auch nur annähernd Ähnliches empfunden.

Bis heute.

Kate kam zurück und stellte zwei Becher Kaffee auf den Tisch. Einen davon schob sie Faith hin.

»Na, warst du erfolgreich?«, fragte Faith, um einen neutralen Tonfall bemüht. Sarkasmus wäre jetzt nicht angebracht gewesen.

»Lissa weiß genau, was ich von ihrer Einstellung halte, nämlich nichts. Sie ist doch nur deswegen so verbittert, weil sich ihr Mann mit einer jüngeren, reicheren Frau aus dem Staub gemacht hat.«

Faith riss erstaunt die Augen auf. »Ich weiß, wie es sich anfühlt, betrogen zu werden.«

Kate zuckte zusammen. »Entschuldige.«

Faith machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lass uns über etwas anderes reden, ja?«

»Gern«, sagte Kate. »Wirst du wegen der Sache mit deinem Vater eigentlich immer noch von der Presse verfolgt?« Sie stützte einen Ellbogen auf dem Tisch auf.

Faith atmete tief durch. Nach der Verhaftung ihres Vaters war sie förmlich mit Interviewanfragen bombardiert worden. Die Reporter waren auf jeden noch so winzigen Einblick in Martin Harringtons Gedankenwelt und seine Geschäfte erpicht, und Faiths Geschichte wäre ihnen einen hübschen Batzen Geld wert gewesen. Aber Faith hatte eisern geschwiegen, wild entschlossen, sich an ihre moralischen Grundsätze zu halten, auch wenn ihr Vater auf die schiefe Bahn geraten war.

»Ich habe eine neue Handynummer, und hier in Serendipity habe ich kein Festnetztelefon. Ich sollte also eine Weile meine Ruhe haben.«

Kate nickte. »Das freut mich zu hören.«

»Übrigens: Es gibt Neuigkeiten«, verkündete Faith, um einen neuerlichen Themenwechsel einzuleiten, und rückte ihren Stuhl etwas näher an den ihrer Freundin heran.

Kate liebte Klatsch so sehr wie Faith ihren Latte macchiato. Sie rutschte ebenfalls näher. »Erzähl.«

Faith spielte mit ihrem leeren Becher. »Die Gerüchte stimmen. Ich war vorhin oben bei unserem alten Haus, und rate mal, wen ich dort getroffen habe!«

»Wen?« Kate starrte sie neugierig an. »Die Mädels von Babs’ Schönheitssalon rätseln schon seit Wochen, wer es sein könnte. Sie haben sogar Wetten laufen. Aber der für den Verkauf zuständige Makler hat sich vertraglich zum Schweigen verpflichtet. Man weiß nur, dass der Käufer eine große Firma vorgeschoben hat.«

»Es ist Ethan«, flüsterte Faith und zerdrückte vor Aufregung den Becher in ihrer Hand.

»Is nich wahr!«

Faith grinste. »Du klingst genau wie deine Schüler.« Kate unterrichtete an einer Mittelschule.

»Ernsthaft? Er ist zurück? Wie sieht er aus? Hat er sich an dich erinnert?«

»Er sieht toll aus, er hat noch immer diese leicht melancholische und geheimnisvolle Ausstrahlung, und ja, er hat sich an mich erinnert.« Faiths Körper kribbelte allein bei dem Gedanken daran.

»Oh mein Gott!«, quietschte Kate.

»Pssst, nicht so laut!«

»Okay. Tut mir leid.« Kate wickelte sich den langen Pferdeschwanz um den Zeigefinger und betrachtete Faith, als wüsste sie, woran diese gerade dachte.

Was natürlich auch der Fall war.

Die Motorradfahrt.

Der Kuss.

Ethans Versuch, weiterzugehen.

Wie sehr wünschte Faith, sie hätte ihn gewähren lassen! Sie schauderte.

Schon mit sechzehn hatte Faith ihrer besten Freundin jedes Detail von ihrem kurzen Intermezzo mit Ethan erzählt, und jetzt, mit sechsundzwanzig, tat sie dasselbe. Sie flüsterte ihr alles ins Ohr, jedes noch so kleine Detail.

Während sie sprach, flatterten die Schmetterlinge in ihrem Bauch, ein Gefühl, das sie bislang nur bei Ethan erlebt hatte. Damals in der Highschool war das Flattern nicht so ausgeprägt gewesen, und sie hatte seine Bedeutung auch nicht verstanden. Wenn sie aber jetzt an ihre heutige Begegnung zurückdachte, verspürte sie ein heißes Verlangen, das sie sehr wohl zu deuten wusste.

»Ich habe im Sommer nach unserem Schulabschluss das letzte Mal von ihm gehört«, erinnerte sich Kate.

Faith nickte. »Nachdem er zusammen mit dem Sohn der Picklers und ein paar anderen Hohlköpfen festgenommen worden war, weil sie zum Spaß ein Auto geknackt hatten, um damit ein bisschen durch die Gegend zu kurven. In derselben Nacht sind seine Eltern bei diesem fürchterlichen Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«

»Stimmt. Sie waren auf dem Weg zur Polizeiwache gewesen, um eine Kaution für Ethan zu hinterlegen.«

Bei dieser grauenhaften Erinnerung schauderte Faith und legte die Arme um sich, wie sie es schon damals getan hatte. Heute hatte sie den Schmerz in seinen Augen gesehen und wusste, dass er sich noch immer für die Tragödie verantwortlich fühlte.

Faith war am Boden zerstört gewesen, als sie davon erfahren hatte. Ethan und seine Brüder hatten ihr von Herzen leidgetan. Faith mochte zwar ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt haben, und daran hatte sich bis heute nicht viel geändert, aber die Vorstellung, die eigenen Eltern so jung zu verlieren, war für sie schrecklich gewesen. Der Richter hatte Mitleid mit Ethan gezeigt und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt,um ihm eine zweite Chance zu geben. Aber Ethan war verschwunden und hatte seine Brüder zurückgelassen.

»Leben seine Brüder noch in der Stadt?«, fragte Faith.

»Ja, sowohl Nash als auch Dare sind nach wie vor hier«, bestätigte Kate. »Es geht beiden gut. Sie haben ein recht enges Verhältnis zueinander, wenn man bedenkt, dass sie in verschiedenen Pflegefamilien in unterschiedlichen Stadtteilen aufgewachsen sind.«

»Ob sie wohl mit Ethan in Kontakt stehen?«

»Keine Ahnung.« Kate zuckte die Achseln.

Sie schwiegen eine Weile und hingen ihren Gedanken nach.

»Zwischen dir und Ethan ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, hm?«, meinte Kate schließlich.

»Den kann ich jetzt in meinem Leben wirklich nicht brauchen.« Aber bei dem Gedanken an ihn krümmte sie unwillkürlich die Zehen.

»Aber vielleicht würde er dir ganz guttun. Du musst wieder anfangen, dich mit Männern zu verabreden. Aber vielleicht stehst du ja noch auf Nick Mancini?« Kate hob eine Augenbraue und sah Faith forschend an.

»Wie kommst du denn darauf?« Faith zog die Nase kraus und schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund aus der Highschool ist längst passé.« Das Feuer war an jenem Tag erloschen, an dem sie zu Ethan aufs Motorrad gestiegen war.

Und es war seit ihrer Rückkehr auch nicht neu entfacht worden.

»Du hast erzählt, dass du nächste Woche mit Nick essen gehst. Willst du ihn bei dieser Gelegenheit darüber aufklären, dass er sich keine Hoffnungen zu machen braucht?« Kate umfasste ihren Becher mit beiden Händen.

»Ich habe mich mit einem alten Freund zum Essen verabredet, und ich habe ihm klipp und klar zu verstehen gegeben, dass ich im Moment nicht bereit bin für etwas Neues. Das wäre zu früh nach meiner Scheidung.«

»Das glaube ich dir. Allerdings bezweifle ich, dass Nick so rasch aufgeben wird.«

Faith lachte. »Keine Sorge, ich werde ihm schon klarmachen, was Sache ist.«

»Kann es sein, dass dein fehlendes Interesse an Nick etwas mit Ethan Barrons Rückkehr zu tun hat?«, bohrte Kate lächelnd nach.

Faith schüttelte den Kopf. »Nein, Nick und ich waren auf der Highschool ein Paar. Das ist vorbei. Und wie gesagt, es ist noch viel zu früh, um mich mit einem anderen Mann einzulassen«, wiederholte sie. Genau das sagte sie sich ja auch selbst immer wieder.

»Nicht einmal mit einem dunkelhaarigen, geheimnisvollen bösen Buben namens Ethan Barron?«, neckte Kate sie.

Faith knüllte ihre Serviette zusammen und warf sie ihrer Freundin an den Kopf. Aber Kate war nicht entgangen, dass sie ihr die Antwort schuldig geblieben war.

Sie erhoben sich und gingen zur Tür.

Dort blieb Kate noch einmal kurz stehen, um Lissa zu winken. Dann drehte sie sich wieder zu Faith um. »War das vorhin eigentlich dein Ernst, als du gesagt hast, du willst, dass dich die Leute besser kennenlernen?«, fragte sie.

»Na klar.«

»Darf ich dir dann etwas sagen, das ich überhaupt nicht böse meine, sondern mit meiner ganzen Zuneigung und Bewunderung für meine allerbeste Freundin?«

Bei dieser Einleitung wurde Faith etwas mulmig. »Ähm, sicher. Was denn?«

»Du könntest den ersten Schritt tun, indem du dich etwas anpasst.«

Faith musterte sie mit schmalen Augen. »Was soll das heißen?«

Kate zupfte am Ärmel von Faiths Anzugsjacke. »Lass in Zukunft den Designerfummel zu Hause.« Dann berührte sie die dicke Perlenkette um den Hals ihrer Freundin. »Und die Klunker. Und die Stöckelschuhe, es sei denn, wir gehen abends mal fein aus – und damit meine ich nicht Joe’s Bar. Du nimmst mir meine Offenheit doch nicht übel, oder?«, fragte sie hastig.

»Aber nein.« Faith schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Diese Kleider gehören Faith Moreland.«

»Ich weiß. Faith Harrington trug lieber …«

»Ihr Cheerleader-Outfit?« Faith versuchte zu lachen.

»Das meine ich nicht. Ich rede von coolen Jeans und Denimjacken. Alles, was deine Mutter gerade noch so akzeptierte und was dir selbst auch gefiel.«

Faith schluckte schwer. »Ich habe mich anscheinend irgendwo unterwegs verloren«, gab sie zu.

»Aber du bist zurückgekommen, um dich selbst zu finden. Das hast du mir zumindest erzählt, sonst hätte ich nichts gesagt. Aber ich weiß, dass dieses Outfit hier nicht du bist.«

Kate hatte recht. Faith konnte nicht erwarten, dass man sie mit offenen Armen willkommen hieß, wenn sie sich wie jemand präsentierte, der sich für etwas Besseres hielt und auf die anderen Stadtbewohner hinunterschaute. Schließlich wohnte sie ja auch nicht mehr in ihrem Elternhaus auf dem Hügel.

»Und du bist nicht sauer?«, fragte Kate.

»Überhaupt nicht.« Faith umarmte ihre Freundin lange und innig. Sie war sauer auf sich selbst, auf die junge Frau, die sie gewesen war und die zugelassen hatte, dass sie sich in einen Menschen verwandelt hatte, der ihr fremd war und den sie nicht mochte.

Sie hatte sich vorgenommen, nach Serendipity zurückzukehren, um zu sich zu finden. Offensichtlich würde sie tiefer graben müssen als erwartet.

Ethan setzte sich an seinen Schreibtisch, eines der wenigen Möbelstücke, die er sofort nach seinem Einzug gekauft hatte. Ein Schreibtisch und ein Bett. Das zeigt deutlich, wo meine Prioritäten liegen, dachte er selbstironisch. Ihm gefiel die dunkle Holzverkleidung in seinem Zimmer. Außerdem war dies der einzige Raum im Haus ohne diese hässlichen gemusterten Tapeten, die ihm das beklemmende Gefühl vermittelten, dass die Wände näher rückten.

Er entledigte sich seiner Schuhe und nahm die Verträge zur Hand, die ihm die Regierung zur Durchsicht geschickt hatte, ehe sie von beiden Seiten unterzeichnet wurden. Aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Er sah die Unterlagen, die vor ihm auf dem Tisch lagen, gar nicht, denn er konnte an nichts anderes denken als an Faith Harrington.

Sie war nicht sommerlich angezogen gewesen – keine nackte Haut, keine deutlich sichtbaren Körperteile, über die er hätte in Verzückung geraten können, und trotzdem hatte er sich unglaublich, nein, geradezu magisch zu ihr hingezogen gefühlt. Er dachte an ihre viel zu kurze gemeinsame Vergangenheit und daran, was hätte sein können, wenn sie vor all den Jahren Ja gesagt hätte. Er dachte an ihre unerwartete Schlagfertigkeit und an den Kummer, den er in ihren Augen erspäht hatte und den er nur allzu gut nachempfinden konnte. Und nicht zuletzt an die sexuelle Anziehung, die im Laufe der vergangenen zehn Jahre nur stärker geworden war.

Und dann war da noch die Tatsache, dass er nun hier in dieser Villa saß, die einmal ihr Zuhause gewesen war. Als er das Anwesen gekauft hatte, war er überzeugt gewesen, dass er eine überwältigende Genugtuung verspüren würde, wenn er erst eingezogen war. Doch die Erfolgsstory des schlimmen Jungen, der brav geworden war, entpuppte sich als hohles Klischee – er hatte nichts weiter erworben als ein leeres Herrenhaus, in dem bei jedem Geräusch das Echo hallte.

Er rief sich in Erinnerung, dass er in erster Linie wegen seiner Familie hier war, und beschloss, seine Brüder zu kontaktieren. Dare war Polizist geworden und hatte sich kürzlich ein altes Haus gekauft, das er in seiner Freizeit renovierte. Bis die Arbeiten abgeschlossen waren, lebte er bei Nash, der inzwischen Anwalt war und sich ebenfalls ein Haus am Stadtrand gekauft hatte. Seine Brüder standen sich nahe. Er war der Außenseiter.

Aber das hatte er sich ganz selbst zuzuschreiben, und das wusste er auch. Er atmete einmal tief durch, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer von Nashs Kanzlei. Seine Privatnummer hatte er nicht, und sie stand nicht im Telefonbuch. Ethan wollte Nash ein Treffen auf neutralem Boden vorschlagen. Zum Abendessen vielleicht.

Zum Glück ging sein Bruder selbst ans Telefon. »Nash Barron.«

Ethan räusperte sich. »Nash, hier ist Ethan.«

»Kein Interesse«, knurrte sein Bruder mit eisiger Stimme. Ethan umklammerte den Hörer etwas fester. »Gib mir doch bitte eine Chance …«

»Die hattest du vor zehn Jahren«, blaffte ihn Nash an und legte auf.

Ethan verzog das Gesicht. Auf keinen Fall würde er jetzt auch noch Dare anrufen. Er würde morgen sein Glück versuchen, wenn die Zurückweisung nicht mehr ganz so frisch war. Er zerknüllte ein Blatt Papier mit alten Notizen, die er nicht mehr benötigte, und warf das Knäuel in hohem Bogen in Richtung Abfalleimer, der gegenüber vom Tisch stand.

Daneben.

»Das Sie heben gefälligst selbst auf, Mr. Ethan«, brummte seine Haushälterin, die soeben den Kopf zur Tür hereingesteckt hatte.

Diese Frau war wirklich überall gleichzeitig.

»Und wie oft ich muss Ihnen noch sagen, dass Sie sollen die Schuhe ausziehen, bevor Sie kommen herein?«

WenneinerseineranderenAngestelltenindiesemTonfallmitihmgesprochenhätte,hätte erdenjenigenaufderStelleentlassen.BeiRosalitahingegenamüsierteesihnausunerfindlichenGründen.Wennerganzehrlichwar,freute er sich sogar auf weitere Wortgefechte mit ihr.

»Sind Sie sicher, dass Sie für mich arbeiten und nicht umgekehrt?«, fragte er.

Sie betrat mit dem Staubwedel in der Hand sein Büro und begann, die Regale abzustauben.

»Ich habe Ihnen doch schon erklärt: Ich muss hier arbeiten – ich brauche das Geld, Sie brauchen mich. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich Sie sympathisch finden muss.«

»Ja, das haben Sie bereits erwähnt.« Er zuckte mit den Achseln. Ihre Freimütigkeit überraschte ihn nicht.

Sie hatten gleich am Anfang eine Abmachung getroffen: Sie würde sein Haus sauberhalten, und er würde sie für ihre Dienste bezahlen – aber sie hatte sich ausdrücklich ausbedungen, dass er ihr nicht das Gehalt kürzen durfte, nur weil sie mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hielt.

»Ich werde Sie schon noch von meinen Qualitäten überzeugen, Rosalita.«

Sie murmelte etwas auf Spanisch und fügte dann hinzu: »Da Sie können warten, bis Sie schwarz werden, Mr. Ethan. Sie sind ein böser Junge.«

»Ich war ein böser Junge«, verbesserte er sie zum x-ten Mal.

»Wann Sie kaufen endlich ein paar Möbel?«, wollte sie wissen. »Ich kann nicht immer nur Böden putzen und leere Regale abstauben.«

»Sie könnten noch die Wäsche machen und ein paar Lebensmittel einkaufen«, erinnerte er sie, um sie ein wenig von ihrem hohen Ross herunterzuholen.

Aber sie hatte recht; wenn er sich hier zu Hause fühlen wollte, musste er die Villa einrichten. Und zwar nicht nur mit irgendwelchen Möbeln, sondern mit Dingen, die seinen Geschmack reflektierten, seinen Stil. Das Haus sollte nicht länger ein leeres Wahrzeichen dieser Stadt sein.

Ich möchte ein Geschäft für Raumausstattung und Wohndesign eröffnen, hatte Faith ihm erzählt. Er brauchte eine Raumausstatterin – und vielleicht auch jemanden, der ihn nicht aus ganzem Herzen hasste. Hm. Wie es aussah, führten alle Wege zurück zu Faith Harrington.

War das nun Zufall?

Oder Glück?

Beides, dachte er kopfschüttelnd. Ihre Heimatstadt hieß wohl nicht umsonst Serendipity, also »glücklicher Zufall«.

Er konnte zwar nicht abschätzen, ob Faith überhaupt einen Auftrag von ihm annehmen würde, aber nun hatte er zumindest einen guten Grund, sie wiederzusehen. Er brauchte sie, und das hatte rein gar nichts mit erotischer Ausstrahlung und dergleichen zu tun.

Zumindest musste er sich das einreden.

Kapitel 3

Über einer Bar zu wohnen war für einen guten Schlaf nicht gerade förderlich. Faith fühlte sich wie gerädert, als sie erwachte, denn sie hatte wegen der lauten Musik bis ein Uhr nachts kein Auge zugetan. Aber sie hatte nicht allzu viele Wahlmöglichkeiten gehabt, als sie sich für diese Wohnung entschieden hatte. Die einzige erschwingliche Alternative wäre gewesen, bei ihrer Mutter einzuziehen, und da wohnte sie hundert Mal lieber über einer Bar. Sie hatte sich an die Polizeisirenen und das ständige Gehupe der Autos in New York City gewöhnt, und sie würde sich früher oder später auch an den Krach aus Joe’s Bar gewöhnen.

Nach einer raschen Dusche stand sie vor ihrem Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte. Er quoll über vor Seidenblusen und edlen Tops, Designerjeans, Designershorts und Designerröcken. Sie besaß ausschließlich hochhackige Schuhe, und die meisten davon hatten die verräterischen roten Sohlen von Christian Louboutin. Carrie Bradshaw wäre stolz auf diese Schätze gewesen.

Faith Harrington war es nicht.

Nicht mehr.

Sie war als Kind reicher Eltern aufgewachsen, und es hatte ihr nie an etwas gefehlt – weder an den Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens noch an allem möglichen Schnickschnack, den sie sich wünschte. In der Highschool hatte sie sich wie ein typischer Teenager angezogen, um dazuzugehören, und erst an der Uni hatte sie ihren eigenen Stil entwickelt und entdeckt, was ihr gefiel und was nicht. Doch dann hatte sie den dominanten Carter kennengelernt und sich von ihm beeinflussen lassen. Sie hatte sich stets an seinen nicht gerade subtil geäußerten Vorschlägen hinsichtlich ihrer Kleidung – und auch hinsichtlich ihres Verhaltens als Gattin eines führenden New Yorker Rechtsanwalts – orientiert. Wie schon als Kind, bemühte sie sich auch hier, mit der Wahl ihrer Kleidung anderen Leuten zu gefallen. Ihre Freundinnen von der Uni hatten weiterstudiert oder sich einen Job gesucht, doch Carter hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie es nicht nötig hatte, arbeiten zu gehen. Also hatte sie bald kaum noch Kontakt zu Leuten ihres Alters gehabt, die sie mochte und mit denen sie Spaß hatte.

Erst nach der Scheidung, als sie entscheiden musste, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte, hatte sie festgestellt, dass sie keine besonderen Fähigkeiten hatte, keine Vorlieben oder Abneigungen – sie hatte sich immer nur der Meinung ihres Mannes angeschlossen. Und im Grunde war es Kate gewesen, die sie mit der Nase daraufgestoßen hatte. Die Scheidung allein reichte genauso wenig, um ihr altes Selbst wieder zum Vorschein zu bringen, wie ihr Wunsch, ein Geschäft für Wohndesign zu eröffnen. Faith hatte noch eine ganze Menge Arbeit vor sich, und zwar nicht nur, was ihr Innenleben anging, sondern auch in Bezug auf ihr Äußeres.

Für ihr Geschäft brauchte sie Kunden, und privat brauchte sie Freunde. Für beides musste sie Offenheit demonstrieren, und das fing damit an, wie sie sich anzog. Es war fast schon peinlich, dass sie einen Schrank voller Kleider hatte, die sie zwar trug, die ihr aber nicht gefielen. Kleider, die die Leute eher abschreckten, weil sie ihnen signalisierten, dass sie sich für etwas Besseres hielt. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis sie herausgefunden hatte, wer sie wirklich war, aber Kate hatte recht: Diese Kleider passten nicht zu ihr.

Faith hasste sie ebenso, wie sie sich selbst dafür hasste, dass sie sich auf dieses ganze Spiel eingelassen hatte.

Sie hatte noch ein paar leere Kartons vom Umzug übrig, die in einer Ecke des Wohnzimmers standen. Davon holte sie sich nun einen und begann, ihre Klamotten darin zu verstauen. Die viel zu eleganten Abendroben, die Seidenblusen, die sie schon an ihrer Mutter gehasst hatte, und all die übrigen Kleider, für die sie hier ohnehin keine Verwendung hatte, wanderten in die Kiste.

Während Faith den Inhalt ihres Schrankes durchging, wurde ihr noch etwas anderes schmerzlich bewusst: Diese Kleider standen auch für den Lebensstil ihrer Mutter, den sie stets verachtet hatte: das sinnlose Herumsitzen und Zeittotschlagen in diversen Country Clubs, was, nebenbei gesagt, der eigenen Intelligenz nicht gerade förderlich war. Faith war entschlossen, dieses Leben hinter sich zu lassen. Sie steckte noch ein paar ausgewählte Stücke in eine Plastiktüte, mit der sie sich unverzüglich auf den Weg machte.

In einer Seitenstraße ganz in der Nähe hatte sie neulich einen hübschen kleinen Nobel-Secondhandladen entdeckt, der Consign or Design hieß. Daneben befanden sich eine Bäckerei und ein leer stehendes Geschäftslokal.

Als sie eintrat, klingelte ein Glöckchen über der Tür. Das fast schon minimalistisch schlicht gehaltene Interieur sprach sie sogleich an. Die Wände waren mintgrün gestrichen, auf dem Boden war Parkett verlegt, die Kleider hingen auf einfachen Metallständern.

»Komme gleich«, ertönte eine weibliche Stimme aus dem Hinterzimmer.

»Lassen Sie sich ruhig Zeit!« Faith sah sich um und bemerkte, dass die zum Verkauf dargebotenen Kleidungsstücke im hinteren Bereich des Ladens individueller gestaltet waren als die weiter vorne.

»WaskannichfürSietun?«EinerothaarigeFrautratzuihr,dichtgefolgtvoneinemkleinenYorkshire-Terrier.

Faith bückte sich sogleich entzückt, um dem Welpen über den Kopf zu streicheln. »Der ist ja süß!«

»Danke.«

Faith richtete sich auf und betrachtete die Frau, die vor ihr stand. Ihr feuerroter Bob war, dem kräftigen Farbton nach zu urteilen, gefärbt, und sie trug äußerst originelle, auffällige Klamotten: Stufenrock, weißes Trägerhemd und darüber eine Jeansweste mit verschiedenen bunten Aufnähern.

Faith spürte den Blick der Frau auf sich ruhen und räusperte sich. »Ich habe hier ein paar Kleider und wollte mich erkundigen, ob Sie sie für mich verkaufen könnten. Ich habe noch jede Menge solches Zeug zu Hause im Schrank hängen, aber ich dachte, ich bringe erst einmal nur so viel vorbei, wie ich tragen kann.«

Die Augen der Frau leuchteten auf. »Dann zeigen Sie mir mal Ihre Schätze.« Sie nahm die Tüte und ging zum Tresen, wo sie Faiths Kleider ausbreitete. »Oh, wow, Chanel!« Sie betrachtete die Jacke, die Faith an dem Tag getragen hatte, als sie Ethan wiedergetroffen hatte.

»Na, was meinen Sie?«, fragte Faith. Vielleicht konnte sie sich mit dem Erlös aus dem Verkauf ihrer alten Klamotten ja neu – und etwas weniger kostspielig – einkleiden. »Gibt es für solche Sachen einen Markt?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nicht in Serendipity, meine Liebe. Ich müsste sie übers Internet verkaufen, aber dort würde ich dafür auch einen besseren Preis erzielen. Die Stadtbewohner, die sich solche Designerkleider leisten können, würden nie im Leben Kleidung aus zweiter Hand tragen, selbst wenn es sich um so gut gepflegte Stücke wie die Ihren handelt. Und meine Stammkunden brauchen das Geld für Wichtigeres – für die Miete oder die Hypothek zum Beispiel.«

Faith musterte die Ladenbesitzerin prüfend, weil sie nicht einschätzen konnte, wie die Bemerkung gemeint war, beschloss aber, sich nicht auf den Schlips getreten zu fühlen. »Ich habe nichts dagegen, wenn Sie sie übers Internet verkaufen.«

»Gut. Wenn Sie wollen, kann ich nach Feierabend mal mit dem Auto zu Joe’s Bar rüberkommen, dann können Sie Ihre Sachen einfach in meinen Kofferraum laden.«

Faith hob überrascht eine Augenbraue. »Dann wissen Sie also, wer ich bin?«

»Äh, ja … Wir kennen uns.« Die Ladenbesitzerin lächelte warmherzig. »Ich bin April Mancini. Ich wollte mal sehen, ob du von selbst darauf kommst. Aber es ist lange her, und ich war im Vorteil – ich hatte nämlich schon gehört, dass du wieder in der Stadt bist.«

Sobald April ihren Namen genannt hatte, erinnerte sich Faith wieder an sie. »Nicks große Schwester!« April war vier Jahre älter als Nick, und sie hatte lange dunkle Haare gehabt, als Faith sie das letzte Mal gesehen hatte.

»Genau. Und jetzt lass dich drücken, ja?« April schloss sie in die Arme, und Faith hatte zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr nach Serendipity das Gefühl, dass sich jemand wirklich freute, sie wiederzusehen, außer Kate natürlich. Nicht einmal ihre eigene Mutter hatte sie so herzlich willkommen geheißen wie Nicks Schwester.

Faith schluckte den Kloß hinunter, der ihr plötzlich im Hals steckte, und machte sich von April los, um sie eingehend zu betrachten. »Tolle Haarfarbe; so intensiv und lebendig.«

»Danke!« April tätschelte ihren Bob. »Ich liebe Veränderungen und experimentiere gern. Heute hatte ich mal Lust auf Rot.«

»Ich finde, du solltest dabei bleiben; es steht dir ausgezeichnet. Und das hier ist dein Laden?«, fragte Faith mit einer entsprechenden Handbewegung.

April nickte. »Mit den Secondhandsachen verdiene ich meinen Lebensunterhalt, aber meine große Leidenschaft ist das Entwerfen und Umgestalten von Kleidern.«

»Sind die alle von dir?« Faith zeigte auf die außergewöhnlichen Teile, die sie vorher schon bewundert hatte.

April lächelte. »Ja.«

»Du hast Talent. Wo hast du das gelernt?«, erkundigte sich Faith neugierig.

»Hab ich mir selbst beigebracht«, berichtete April voller Stolz.

»Fabelhaft«, stellte Faith bewundernd fest.

Sie hatten also beide eine Vorliebe für Design. Faith hatte seit jeher ein Faible für Mode und vor allem für Innenausstattung gehabt. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wie oft sie ihr Kinderzimmer neu gestaltet hatte. Sie hatte, inspiriert von diversen Zeitschriften, immer wieder ihre Möbel umgestellt und neue Bettwäsche oder trendige Accessoires gekauft. Nach der Highschool war es ihr gelungen, ihren Vater dazu zu überreden, dass er sie auf die Parsons School for Design in Manhattan schickte. Doch gleich nach dem Abschluss ihres Innenarchitekturstudiums hatte sie Carter kennengelernt und sich damit selbst die Möglichkeit verbaut, die neu erworbenen Fähigkeiten in die Tat umzusetzen. Sie hatte sich lediglich in ihrer Wohnung austoben können.

»Was treibst du so?«, fragte April. »Ich weiß nur, dass du wieder da bist und dass deine Familie eine schwere Zeit durchgemacht hat.«

»Das ist noch untertrieben.« Faith lachte, denn sie hatte gelernt, dass der tiefste Schmerz mit einem Lachen leichter zu ertragen war.

»Und was hast du jetzt vor?« April lehnte sich mit der Hüfte an den Tresen.

»Ich würde mich gern wie du selbstständig machen – allerdings im Bereich Raumausstattung und Wohndesign.« Leider würde sie aus finanziellen Gründen wohl zunächst von zu Hause aus arbeiten müssen, bis sie sich einen Kundenstamm aufgebaut hatte.

»Na, das nenne ich einen glücklichen Zufall.«

»Was?«

»Das Geschäft nebenan steht leer, und zwar schon seit einer halben Ewigkeit.« Ein vielsagendes Lächeln umspielte Aprils Lippen. »Die bisherigen Besitzer hatten vergeblich auf das große Geld gehofft. Vielleicht kannst du es ja einigermaßen günstig mieten.«

Das klang zu schön, um wahr zu sein. »Selbst wenn ich es billiger bekomme, wird es für mich vermutlich unerschwinglich sein.«

»Woher willst du das wissen, wenn du dich noch gar nicht erkundigt hast?«

»Stimmt. Wer sind denn die Besitzer?«

April grinste. »Einer steht vor dir, und Nick ist der zweite. Wir haben die Ladenzeile von unserem Vater geerbt.«

»Euer Vater ist gestorben? Das tut mir leid.« Faith hatte vorgehabt, sich bei ihrem Abendessen mit Nick zu erkundigen, was es Neues gab.

April winkte ab. »Danke. Es ist schon drei Jahre her. Nick hat mehrere kleinere Geschäftslokale daraus gemacht und war einverstanden, dass ich hier meinen eigenen Laden eröffne. Die anderen Räumlichkeitensind schon seit Jahren an dieselben Geschäftsleute vermietet.«

»Klingt echt vielversprechend, aber ich habe kein Geld, um die Miete zu bezahlen, bis ich meinen ersten Kunden an der Angel habe.« Faith würde sich hüten, ihre Ersparnisse anzutasten, wenn sie genauso gut von zu Hause aus arbeiten konnte, bis das Geschäft zu laufen anfing.

April zuckte die Achseln. »Solange der Laden leer steht, verdienen wir damit ohnehin nichts. Ich bin mir sicher, wir können uns irgendwie einigen.«

Faith biss sich auf die Unterlippe. Ein eigener Laden, mitten im Stadtzentrum – eine solche Gelegenheit konnte sie sich eigentlich nicht entgehen lassen. Und wenn die Leute ihr Schild sahen, war das auch als Werbung weit effektiver als bloße Mundpropaganda. April hatte recht: Das war wirklich ein glücklicher Zufall. Etwas Besseres hätte Faith gar nicht passieren können.