"Ihr sollt ein Segen sein" - Gerhard Ludwig Müller - E-Book

"Ihr sollt ein Segen sein" E-Book

Gerhard Ludwig Müller

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Beschreibung

In seinen fiktiven Briefen an die Schwestern und Brüder im Glauben erläutert Kardinal Müller die Wurzeln des Priestertums der Kirche im Neuen Testament, seine Bestimmung von Christus her und erschließt daraus die theologische, sakramentale und pastorale Dimension des Priesters als lebendigem Gesprächspartner mit der Gegenwart. Er tritt damit selbst ein in den Dialog mit seinen Mitbrüdern wie mit den Laien, die am Allgemeinen Priestertum teilhaben. Historisch vergewissert und geistlich erschlossen ist das Buch ein positiver Zugang zu Amt, der auch kritische Anmerkungen nicht vermissen lässt.

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Gerhard Kardinal Müller

„Ihr sollt ein Segen sein“

Zwölf Briefe über das Priestertum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: Christus und die Apostel, Mosaik, ca. 12. Jh., Apsis von San Paolo fuori le Mura, Rom, Italien

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN Print 978-3-451-38310-6

ISBN E-Book (ePUB) 978-3-451-83310-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-81575-1

Inhalt

Vorrede

1. Brief Eine Theologie des Priesteramtes für das Gemeinwohl der Kirche

2. Brief Priester nach dem Herzen Jesu

3. Brief Priester des Logos – Zeugen des Sinns menschlicher Existenz

4. Brief Sinn und Ziel des Priesterdienstes

5. Brief Das sakramentale Priestertum auf dem Prüfstand der reformatorischen Kritik

6. Brief Der Ursprung des katholischen Priestertums in Jesu messianischer Vollmacht und Sendung

7. Brief Die Entfaltung des sakramentalen Priestertums in der Ur-Kirche

8. Brief Die kirchliche Ausprägung des Priesteramts in der nachapostolischen Zeit

9. Brief Das geistliche Leben und pastorale Wirken des Priesters

10. Brief Der Priester in Martyria, Leiturgia und Diakonia der Kirche

11. Brief Das geistliche Leben in Gebet und Opfer

12. Brief Der Priester – eine theologische Existenz

Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen

Fußnoten

Vorrede

Mit diesen Briefen über den priesterlichen Dienst möchte ich alle ansprechen, welche die Kirche unseres Herrn Jesus lieben. Nur gemeinsam können wir die universale Mission der Kirche für das Heil aller Menschen erfüllen. Der gute Hirte, der sein Leben hingibt für seine Schafe, sendet dem Volk Gottes auch die Seelsorger, die es begleiten auf dem Pilgerweg des Glaubens.

Bevor der auferstandene Herr zum Vater im Himmel erhöht wurde, versammelte er die Elf Apostel und die anderen Jünger „in der Nähe von Betanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie“ (Lk 24,50). Es ist der heilige Dienst der Kirche, alle Menschen zu segnen mit der „Fülle seiner Gnade und Wahrheit“ ( Joh 1,14). Wenn die Priester Jesu Christi das Volk Gottes lehren, leiten und heiligen, sind sie ein Segen für die Kirche und die ganze Welt. Jesus gab den Aposteln und ihren Nachfolgern „Anteil an seiner messianischen Vollmacht und Sendung“ (LG 19; 28). Mit ihrem „Dienst und Leben“ preisen sie den Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns mit allem „Segen seines Geistes gesegnet hat durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3).

„Denn durch die Weihe und die vom Bischof empfangene Sendung werden die Priester zum Dienst für Christus, den Lehrer, Priester und König bestellt. Sie nehmen teil an dessen Amt, durch das die Kirche hier auf Erden ununterbrochen zum Volk Gottes, zum Leib Christi und zum Tempel des Heiligen Geistes auferbaut wird“ (PO 1).

Alles gründet in der geschichtlichen Selbstmitteilung Gottes, „der in dieser Endzeit zu uns gesprochen hat durch den SOHN“ (Hebr 1,2). Und alles beginnt mit dem historischen Zeugnis des Evangelisten über das öffentliche Wirken Jesu, den Gott selbst durch den Propheten angekündigt hatte als „der HIRT meines Volkes Israel“ (Mt 2,6).

„Jesus zog durch alle Städte und Dörfer und lehrte in ihren Synagogen, verkündete das Evangelium vom Reich und heilte alle Krankheiten und Leiden. Als er aber die vielen Menschen sah, hatte er Mit-leid mit ihnen, denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben. Dann sagte er zu seinen Jüngern und damit zu allen Gläubigen zu jeder Zeit:

Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenige Arbeiter.

Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden.

(Mt 9,37f.)

Liebe Brüder und Schwestern im Glauben an Jesus Christus,

Gott schenkt seiner Kirche mit dem sakramentalen Priestertum, dem Sakrament der Ehe und den evangelischen Räten die Gaben und Charismen, durch die er seine Kirche aufbauen will (LG 11; 12). Theologie und Spiritualität des priesterlichen Hirtenamtes gehen alle Christen an, weil der Herr selbst Menschen aus der Kirche erwählt und sie zu Dienern der Gnade und Versöhnung bestellt. Die gemeinsame Sorge aller Glieder des Leibes Christi für das Heil der ganzen Menschheit, öffnet den Blick auf die Mitchristen in ihrer eigenen Berufung. „Kraft dieser Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu, so dass das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken. So kommt es, dass das Gottesvolk nicht nur aus verschiedenen Völkern sich sammelt, sondern auch in sich selbst aus verschiedenen Ordnungen gebildet wird. Unter seinen Gliedern herrscht eine Verschiedenheit, sei es in den Ämtern, da manche im heiligen Dienst zum Nutzen ihrer Brüder wirken, sei es in Stand und Lebensordnung, da viele im Ordenstand, auf einem engeren Weg nach Heiligkeit trachten und die Brüder durch ihr Beispiel anspornen“ (LG 13).

Es handelt sich im Folgenden also nicht um eine Standesethik der Priester, die nur für Kleriker interessant wäre. Alle sind verantwortlich für alle und jeder für das Ganze. „Einer trage des andern Last, so erfüllt ihr Christi Gebot“ (Gal 6, 2). Wir alle tragen Mitverantwortung, damit die Saat der geistlichen Berufungen in der Kirche auf gutes Erdreich fällt. Gute Katholiken leiden, wenn Priester versagen und die Glaubwürdigkeit der Kirche gefährdet wird. Sie sollen um gute Priester beten, aber auch wissen, was unser Glaube zu diesem Sakrament sagt, durch das die Diener Christi für die Kirche bestellt werden.

Verehrte Mitbrüder und solche, die es werden wollen,

gerne entspreche ich der oft gehörten Bitte, meine Gedanken über unseren priesterlichen Dienst, die ich bei geistlichen Exerzitien und in theologischen Abhandlungen geäußert habe, schriftlich festzuhalten. Ich wähle dafür die literarische Form des Briefes, weil sich so Persönliches und Sachliches leichter verbinden lassen. Es geht nicht nur um die Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, sondern auch um uns selbst, ob wir in diesem Dienst menschlich Erfüllung finden und geistlich reicher werden in Gottes Liebe. Auf diese Weise kann auch ein größerer Kreis teilnehmen an der Diskussion über ein Thema, das für die Zukunft der Kirche und auch für jeden von uns ganz persönlich entscheidend ist.

Denken wir auch an die Jugendlichen, die eine Berufung zum priesterlichen Dienst in ihrem Herzen spüren. Beten wir für sie, dass der Herr ihnen zeige, welchen Weg er mit ihnen gehen will. Sprechen wir sie an, haben wir Zeit für sie! Begleiten wir sie auf ihrem Weg freundlich und mit Respekt vor ihrer Würde und Freiheit. So wie wir alle unsere Berufung zum Priestertum durch die Vermittlung glaubwürdiger Seelsorger erkannt haben und wohl nicht zuerst durch die Lektüre eines Buches, so sollen wir durch den persönlichen Zuspruch der Mitbrüder und von Gläubigen, mit denen wir geistlich und freundschaftlich verbunden sind, in unserer Berufung bestärkt werden.

So möchte ich auch Dich einladen, junger Freund, wenn Du diese Zeilen liest, an diesem Diskurs teil zu nehmen.

Vielleicht ist schon in Deinem inneren geistlichen Ohr die Einladung Jesu zu hören, am Aufbau seines Reiches mitzuarbeiten. Die kirchliche Gemeinschaft, die Du in Deinem Lebensumfeld erfährst, müsste der Resonanzraum des persönlichen Rufes Jesu an Dich sein. Denn die ganze Kirche, die christlichen Familien und Gemeinden tragen eine Mitverantwortung für ein Klima, in dem geistliche Berufe wachsen können. „Die Eltern, Lehrer und alle, die in irgendeiner Weise an der Unterweisung der Jugend und der jungen Männer beteiligt sind, sollen diese so erziehen, dass sie die Sorge des Herrn für seine Herde erkennen, die Erfordernisse der Kirche erwägen und bereit sind, wenn der Herr ruft, mit dem Propheten hochherzig zu antworten:

Hier bin ich, sende mich!

( Jes 6,8)

Doch darf man von diesem Ruf des Herrn nicht erwarten, dass er auf außerordentliche Weise den zukünftigen Priestern zu Ohren gelangt. Er ist vielmehr aus Zeichen zu ersehen und zu beurteilen, durch die auch sonst der Wille Gottes einsichtigen Christen im täglichen Leben kund wird; diese Zeichen müssen die Priester aufmerksam beachten“ (PO 11).

Ich selbst blicke dankbar auf meine Eltern, Lehrer und Seelsorger zurück, die in meiner Kindheit und Jugend viel getan haben, damit der Glaube an Jesus Christus das unerschütterliche Fundament wurde, auf dem ich stehe. In der Orientierung an vorbildlichen Priestern und gläubigen Laien konnte in mir die Überzeugung reifen, von Jesus Christus persönlich zum priesterlichen Dienst berufen zu sein.

So möchte ich diese Briefe über das Priestertum einem Mann widmen, der mich als Priester und Religionslehrer neun Jahre in meiner Mainzer Gymnasialzeit geistlich begleitet und im theologischen Denken gefördert hat: Werner Krimm (1928 –2000). Er starb im Rufe der Heiligkeit.

Rom, am 11. Februar 2018, dem 40. Jahrestag meiner Priesterweihe

Gerhard Kardinal Müller

1. BriefEine Theologie des Priesteramtes für das Gemeinwohl der Kirche

Liebe Freunde des katholischen Glaubens,

ich hoffe, dass möglichst viele Katholiken sich interessieren für diese Überlegungen zum Priestertum. Ich gebe aber nicht meine subjektiven Meinungen zum Besten, auf die keiner, der zum priesterlichen Dienst berufen ist, sein Leben aufbauen könnte. Uns trägt allein Gott, auf dessen Wort wir hören.

Die Quellen, aus der unser Glaube entspringt

In der Theologie geht es nicht um die vielen Ansichten und unterschiedlichen Meinungen über Gott, sondern um die eine Selbst-Offenbarung Gottes in Jesus Christus, seinem Wort, das Fleisch geworden ist ( Joh 1,14). Es versteht sich von selbst, dass die Heilige Schrift für die Theologie des Priestertums nicht nur eine historische Bedeutung hat. Sie stellt vielmehr die unerschöpfliche Quelle dar, aus der das Wort Gottes wie ein lebendiger Strom hervor fließt und den Ackerboden Seiner Kirche fruchtbar macht. Die Apostolische Tradition, die unlösbar mit der Heiligen Schrift verbunden ist, „gibt das Wort Gottes, das von Christus dem Herrn und vom Heiligen Geist den Aposteln anvertraut wurde, unversehrt an deren Nachfolger weiter, damit sie es unter der erleuchtenden Führung des Geistes der Wahrheit in ihrer Verkündigung treu bewahren, erklären und ausbreiten“ (DV 9).

Die Entscheidungen der Konzilien und Päpste zu den Fragen von Lehre und Leben der Priester sind uns nicht eine von außen auferlegte Norm. Wir Katholiken verstehen das Lehramt des Papstes und der Bischöfe in Gemeinschaft mit ihm als eine Autorität, die wesentlich zur Weitergabe der Offenbarung gehört. Das kirchliche Lehramt ist vom erhöhten Herrn im Heiligen Geist mit der Gabe der Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens- und der Sittenlehre ausgestattet.

Die Apostel und die großen Kirchenlehrer von Anfang an bis in die jüngste Zeit sind das Vorbild für jede geistlich fruchtbare Theologie und Pastoral.

Quellen nie versiegender theologischer und geistlicher Inspiration sind der Kirche geschenkt in unsterblichen Werken der Kirchenväter zum Hirtenamt der Priester. Am Anfang stehen die drei Pastoralbriefe des hl. Paulus an Timotheus und Titus, die prototypisch Dienst und Leben der Bischöfe und Priester darstellen und beschreiben. Nicht weniger wegweisend ist die Abschiedsrede, die Paulus an die Priester der Kirche von Ephesus richtete, die in Milet versammelt waren (vgl. Apg 20,17–38).Von den klassischen Schriften zum Priestertum erwähne ich jetzt nur die II. Theologische Rede des hl. Gregor von Nazianz, die er im Jahre 362 verfasste anlässlich seiner versuchten Flucht vor der Übernahme des Priesteramtes. Dem zur Seite stehen die berühmten sechs Bücher des hl. Johannes Chrysostomos „Über das Priestertum“, die er um 385 n. Chr. schrieb. Daran habe ich mich immer wieder orientiert. Diese Schrift ist auch ein wenig Ansporn gewesen, diese Briefe zu verfassen. Das ist große geistliche Lektüre, die die Seminaristen bei der Vorbereitung auf ihren heiligen Beruf und die Priester bei ihren geistlichen Exerzitien regelmäßig begleiten sollte.

Einzuführen in die Frömmigkeit und Andacht der Zelebration des Messopfers vermag uns Priester, Ordensleute und Laien der hl. Cyrill mit seiner „V. Mystagogischen Katechese an die Neugetauften“, die er im Jahre 348 n. Chr. in der Grabeskirche zu Jerusalem gehalten hat. Im Stundengebet der 24. und 25. Woche lesen wir jedes Jahr den berühmten Sermo 46 des hl. Augustinus, De pastoribus. Und wer würde nicht die Regula pastoralis des hl. Gregor des Großen aus dem Jahr 591 n. Chr. schätzen. Im ganzen Mittelalter war sie den Bischöfen und Priestern ein Spiegel ihres Dienstes. Bis heute bietet sie die tiefe Spiritualität eines guten Hirten nach dem Bilde des Hohenpriesters Jesus Christus.1

Einer mag alle diesbezüglichen biblischen Stellen zitieren, die Entfaltung der Amtstheologie bei den Kirchenvätern und der Scholastik studiert haben und wissen, wo er die lehramtlichen Entscheidungen nachzuschlagen hat. Wenn er aber nicht die Stimme Jesu hört, die höchstpersönlich zu ihm und nicht zu irgendeinem seiner Nachbarn sagt: Folge Mir, ich sende Dich!, dann bleibt er ein kaltes Eisen, aus dem nie der Funke des apostolischen Eifers für das Haus Gottes springt. Mögen die Menschen sich wie bei Jesus einst an das Wort der Schrift erinnern, wenn sie uns bei der Arbeit sehen:

Der Eifer für dein Haus verzehrt mich.

( Joh 2,17)

Der Glaube kommt vom Hören und ist vernünftig

Der selige Kardinal John Henry Newman (1801–1890) hat in die etwas abstrakte Schultheologie seiner Zeit die existentielle Note eingefügt. Sein Wappenspruch lautete: Cor ad cor loquitur. Wir glauben nicht an Lehrsätze über den Glauben, sondern an den lebendigen Gott, der sich uns in seinem Wort (dem Logos Gottes) zu erkennen gibt und uns in Seinem Geist liebt. Das steht nicht im Gegensatz zum Glaubensbekenntnis und seiner intellektuellen Durchdringung in der Theologie. Aber es besteht eine unumkehrbare Reihenfolge vom auditus fidei zum intellectus fidei. Der Glaube kommt vom Hören des Wortes Gottes (Röm 10,17), das wir im Licht des Heiligen Geistes verstehen und im Glauben annehmen (lumen fidei), während die Theologie mit dem Licht der natürlichen Vernunft als Wissenschaft betrieben wird (lumen naturale). Es ist aber die vom Glauben erleuchtete Vernunft (ratio fide illustrata), die die Christen mit einem vernünftigen und keineswegs blinden Glauben begabt und einer gläubigen und nicht rationalistisch beschränkten oder „schwachen Vernunft“ ausstattet (obsequium rationabile).

Dem Haupt der Kirche verpflichtet – Jesus Christus

Seit den 40 Jahren meines geistlichen Dienstes bewegt mich immer noch das Wort des Apostels angesichts der Herrlichkeit Christi, der uns alle in sein eigenes Bild verwandelt (2 Kor 3,18). Paulus sagt von sich selbst und allen anderen Aposteln: „Daher erlahmt unser Eifer nicht in dem Dienst, der uns durch Gottes Erbarmen übertragen wurde. Wir haben uns von aller schimpflichen Arglist losgesagt; wir handeln nicht hinterhältig und verfälschen das Wort Gottes nicht, sondern lehren offen die Wahrheit. So empfehlen wir uns jedem menschlichen Gewissen vor dem Angesicht Gottes“ (2 Kor 4,1f.).

Auf die Frage, ob ich nach einigen, auch enttäuschenden Erfahrungen heute noch einmal an den Weihealtar treten würde, sage ich mit Gottes Hilfe und dem hl. Paulus als Vorbild und Zeugen: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe. Und ich bin überzeugt, dass er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren“ (2 Tim 1,12).

Die menschlichen Grenzen seiner Vorgesetzten auszuhalten ist oft eine harte Prüfung des Glaubens. Das geht umgekehrt den andern im Blick auf uns selbst genauso. Aber im Zentrum meines Credo steht Christus, der sich die Kirche als seine „heilige Braut“ (Eph 5,25) erworben hat. In Gewissenserforschung und Gebet kommt keiner vom Kaplan bis zum Kardinal an der täglichen Bitte vorbei: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ (Lk 11,4).

Wir müssen uns zuletzt nicht vor Menschen, sondern vor Gott allein verantworten. Die „Vorsteher der Kirche, die (als Hirten) über die Gläubigen wachen“ (Hebr 13,17), müssen einst „Rechenschaft ablegen über ihre Verkündigung des Wortes Gottes, über ihren Glauben und das Vorbild, das sie den Gläubigen geben sollten oder schuldig blieben“ (vgl. Hebr 13,7.17.24). Mit „Furcht und Zittern um mein Heil“ (Phil 2,12) gebe ich aber bei der Verlesung des gewiss langen Registers meiner Versäumnisse die Hoffnung nicht auf, am Ende doch das unverdiente Urteil zu hören: „Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen: Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!“ (Mt 25,23).

In dieser Stunde der Welt- und Kirchengeschichte suchen die meisten Priester aber nicht zuerst eine theologische Belehrung über Ursprung und Wesen, Aufgaben und Funktionen des Priestertums. Was sie schmerzlich vermissen, ist eine geistliche Ermutigung inmitten aller Belastungen der alltäglichen Hirtensorge in unüberschaubaren Seelsorgeräumen und noch mehr der globalen Bestreitung der Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen und ihrer zu seinem Heil zu bedürfen. Kein anderer als der Herr selbst richtet uns auf: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt überwunden“ ( Joh 16,33).

Es ist deshalb keine vergeudete Zeit, wenn wir uns – wie der heilige Lukas in seinem Doppelwerk von Evangelium und Apostelgeschichte – mit größter „Sorgfalt“ (Lk 1,3) der Grundlagen unseres Glaubens an Jesus den Christus vergewissern. Dies gilt analog auch für unsere Berufung, Sendung und Bevollmächtigung zum Heilsdienst, den wir geweihte Priester in der Person Christi, des Hauptes der Kirche, ausüben. Denn in seinem Namen sollen Bischöfe und Priester die Gläubigen mit Gottes Wort belehren und sie durch die Gnade seiner Sakramente heiligen. Jemanden zu „heiligen“ bedeutet nicht – gemäß der billigen Karikatur von Frömmigkeit – ihn mit religiöser Sentimentalität seiner Umwelt und seinem Beruf zu entfremden. Die Gläubigen werden geheilt und geheiligt durch wahre Gotteserkenntnis und Gottesliebe, die die Nächstenliebe und die Weltverantwortung mit einschließen, um „in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott für uns im Voraus bereitet hat“ (Eph 2,10). Als gute Hirten führen sie das Volk Gottes auf dem Pilgerweg „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes“ (Augustinus, Civ 18, 51,2) zum ewigen Leben. Denn die Priester sollen in der Nachfolge der Apostel „betrachtet werden als Diener Christi und als Ausspender von Geheimnissen Gottes, von denen man verlangt, dass sie sich als treu erweisen“ (1 Kor 4,1).

Was der Apostel Paulus an Timotheus, den Prototyp des Apostelnachfolgers, schreibt, das möchte ich als Bischof und Kardinal der römischen Kirche auch heute betonen. Dieses Wort sei den Bischöfen, den Presbytern/Priestern und allen Gläubigen in den Gemeinden ans Herz gelegt:

Priester, die das Amt des Vorstehers gut versehen,

verdienen doppelte Anerkennung, besonders solche,

die sich mit ganzer Kraft dem Wort und der Lehre widmen.

(1 Tim 5,17)

Ich möchte zuallererst Mut machen, die Arbeit im Weinberg des Herrn ruhig und gelassen, mit Freude und Dank zu verrichten. Nach den Weiheversprechen und vor der Allerheiligenlitanei empfiehlt der Bischof in einem inständigen Gebet den zum Priestertum Berufenen der Gnade: „Gott selbst vollende das gute Werk, das er in dir begonnen hat.“

Der Herr wird es an Lob für seinen treuen Diener und den klugen Verwalter seiner Güter nicht fehlen lassen. Er belohnt uns, indem er uns in seinen Dank an den Vater einbezieht. In jeder Eucharistiefeier danken wir im Glauben durch, mit und in Jesus Christus für „die Hoffnung, die uns nicht zugrunde gehen lässt, weil die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist“ (Röm 5,5).

Die Priester haben mit dem Bischof an ein und demselben Priestertum Christi teil (PO 7). Dabei wird schon seit den Kirchenvätern der Bischof antonomastice sacerdos quasi summus sacerdos genannt (Thomas von Aquin, Quodlibetales III q.6 a.3 ad 1). Deshalb sollen die Bischöfe in den Priestern Brüder und Freunde sehen, diese aber in ihrem Bischof einen väterlichen Freund finden. „Das geistliche, aber auch leibliche Wohl seiner Priester soll ein Herzensanliegen des Bischofs sein“, denn auf ihm „lastet die schwere Sorge für die Heiligung seiner Priester“ (PO 7). In der Gemeinschaft des einen Presbyteriums sollen die älteren Priester ihre jüngeren Mitbrüder mit Rat und Tat unterstützen und sie „wegen ihrer Jugend keineswegs gering schätzen“ (1 Tim 4,12).

Es mangelt gewiss nicht – wie gesagt – an gelehrten Studien über die biblische Grundlegung und die dogmengeschichtliche Entfaltung des Weihesakramentes im Glaubensbewusstsein der Kirche. Schließlich haben wir eine Summe der lehramtlichen Aussagen über „Dienst und Leben der Priester“ in den Erklärungen des II. Vatikanischen Konzils. Das Dekret Presbyterorum ordinis (7. 12. 1965) muss gelesen und erklärt werden in der weiten Perspektive der Dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium, besonders des 3. Kapitels über „die hierarchische Verfassung der Kirche“ (21. 11. 1964). Anders als frühere Konzilien und päpstliche Lehrentscheidungen, die nur einzelne konstitutive Elemente des Weihesakraments gegen Irrtümer verteidigt und abgegrenzt hatten, finden wir hier eine positive und integrierende Gesamtschau. Hilfreich ist auch die Zusammenschau der wichtigsten lehramtlichen Aussagen zum Priestertum im Katechismus der Katholischen Kirche im II. Teil. Dort werden im II. Abschnitt die sieben Sakramente der Kirche behandelt.

Das Konzil von Trient hatte in der Stunde der größten Infragestellung des sakramentalen Priestertums mit dem „Decretum de sacramento ordinis“ (15. 7. 1563) die wahre und katholische Lehre von den Sakrament der Weihe verteidigt. Die Konzilsväter haben sich aber darauf beschränkt, die in Frage gestellten wesentlichen Elemente des katholischen Priestertums zu verteidigen, ohne in einer synthetischen Gesamtschau die Lehre der Kirche vom Weihesakrament positiv und integral darzustellen.

Die Hauptthemen waren die Einsetzung des Sakraments der Weihe der Priester durch Christus, die verschiedenen Stufen der Weihe von Bischof, Presbyter und den Dienern bis zu den niederen Weihegraden, die Sakramentalität der Weihe und die daraus sich ergebende kirchliche Hierarchie mit den besonderen Vollmachten des Priesters hinsichtlich des Bußsakraments und der Darbringung des eucharistischen Opfers. Nicht minder bedeutend waren die Beschlüsse des Konzils zur Reform des geistlichen Amtes und besonders die Forderung der Residenzpflicht, die den guten Hirten vom Mietling unterscheidet. Der gute Hirte lebt bei seiner Herde und begleitet sie.

Das „Decretum de reformatione“ beginnt mit einer grundlegenden Beschreibung von Wesen und Sendung des priesterlichen Dienstes: „Durch göttliche Anordnung ist allen Seelsorgern befohlen, ihre Schafe zu kennen, für sie das Opfer darzubringen, und sie durch die Verkündigung des göttlichen Wortes, durch die Verwaltung der Sakramente, und durch das Beispiel jedes guten Werkes zu weiden, für die Armen und andere unglückliche Personen väterliche Sorge zu tragen, und sich der übrigen Pflichten eines Hirten zu widmen.“ Wichtig ist auch der Römische Katechismus (1566), der das Trienter Bischofs- und Priesterideal im Bild des guten Hirten und unermüdlichen Seelsorgers konzentriert.

Hier sind wir inmitten der Kontroversen des 16. Jahrhunderts mit Martin Luther, Huldrych Zwingli und Jean Calvin. Die Themen sind heute noch aktuell für eine ökumenische Verständigung über das Wesen und die Sendung der Kirche. Dazu gehört auch die sorgfältige Bestimmung des Verhältnisses von allgemeinem oder gemeinsamem Priestertum aller Gläubigen zum sakramentalen Priestertum der Hirten der Kirche.

Zusammenhalten in Zeiten der Krise

Ich meine, es gehört zu unserem Dienst an der Kirche, dass wir Bischöfe, Priester und Diakone uns geistlich und menschlich wechselseitig bestärken. Dies geschieht in theologischer Reflexion auf die Grundlagen des Weihe-Sakramentes im Licht unserer Erfahrungen im geistlichen Leben und pastoralen Wirken. In der gemeinsamen Orientierung an Christus, dem guten Hirten seiner Schafe, dem universalen Heilsmittler und dem Hohenpriester des Neuen Bundes, sollen auch wir wie Brüder unsere Sorgen und Hoffnungen teilen. Wir scheuen nicht die Einsamkeit, in der die Seele in Gott Frieden (schalom) und Glück (beatitudo) findet.

Etwas anderes ist die Isolation und eine geradezu nihilistische Verzweiflung. Hier tragen wir alle Verantwortung, dass von unsern Mitbrüdern keiner den Glauben an Gott, den Lebensmut und das gesunde Selbstvertrauen verliert. „Seht doch, wie gut und schön ist es, wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. […] Denn dort spendet der Herr Segen und Leben in Ewigkeit“ (Ps 133,1.3). In der Gemeinschaft des Gebetes und guter Konversation schützen wir uns vor der Resignation und ihrem entgegengesetzten Zerrbild, nämlich der geistlosen Routine. Noch mehr arbeitet uns der Zynismus auf, der aus Überdruss und Enttäuschung entsteht und leicht in eine Verachtung der Gläubigen und in Überdruss an der Kirche umschlägt. Die Versuchung zur seelischen und geistigen Selbstaufgabe steigt aus dem Abgrund des Zweifels an Gottes Treue empor. Sie verschlingt den heiligen Eifer, „mit dem wir das gute Werk begonnen haben“ (Phil 1,6).

Und doch gilt das Wort des Herrn. Mögen „Wassermassen heran fluten, die Stürme um uns toben und an unserem Haus rütteln.“ Es stürzt nicht ein, „weil es auf Fels gebaut war“ (Mt 7,24). Beten wir in den Stunden des Zweifels, wenn wir uns von Gott und den Menschen verlassen fühlen, immer wieder: „Gelobt sei der Herr, der mein Fels ist“ (Ps 144,1).

Der Fels, auf dem unser Priestertum steht, heißt Jesus Christus. Er ist nicht irgendeiner der Propheten und schon gar nicht ein falscher Messias. „Jesus von Nazareth, der Sohn Marias“ (Mk 6,3) ist „der Christus, der Sohn Gottes“ (Mk 1,1). Die Botschaft, die der „Engel des Herrn“ auf den Fluren von Bethlehem den Hirten damals verkündet hat, gilt heute uns, den Hirten der Kirche Christi. Das Evangelium von Christus sollen wir als „Engel der Gemeinde“ (Offb 2,1) allen Menschen verkünden: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids, der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,9ff.).

Der Priester, „der auf Seine Worte hört und danach handelt, ist wie jener kluge Mann, der sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Fels baute“ (Mt 7,24). „Und dieser Fels war Christus“ (1 Kor 10,4).

So wie die Israeliten in der Wüste überlebten, weil sie die „gleiche gottgeschenkte Speise aßen und sie den gleichen gottgeschenkten Trank aus dem lebenspendenden Felsen tranken“ (1 Kor 10,3f.), so lebt das neue Gottesvolk durch den Gott-Menschen Jesus Christus. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch. Ich gebe es hin für das Leben der Welt. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat des ewige Leben und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tag. Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise und mein Blut ist wirklich ein Trank. […] Wie mich der lebendige Vater gesandt hat, und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben“ ( Joh 6,51– 57).

Wenn der Sohn Gottes seine Sendung vom Vater in seinen Aposteln fortsetzt, lebt auch der Priester aus der täglichen Kommunion mit Christus im eucharistischen Opfer. Bitten wir um die Gnade der Beharrlichkeit und Ausdauer, dass wir einmal mit dem Apostel sagen können: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet und den Glauben bewahrt“ (2 Tim 4,7). In den Stunden, in denen wir an unserem Beruf zweifeln – und das passierte sogar noch „einigen Jüngern“, als sie den auferstandenen Jesus sahen (Mt 28,17) –, tröstet uns das Wort des Apostels: „Ja, uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich; wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles“ (2 Kor 6,10).

Es ist höchste Zeit, die Priester zu ermutigen

Von den höheren und höchsten kirchlichen Autoritäten verdienen die Priester klare Worte der Ermutigung. Man möchte ihnen mit dem Apostel zurufen: „Ihr Väter, schüchtert eure Söhne nicht ein, damit sie nicht mutlos werden“ (Kol 3,21). Denn wegen der „Gemeinschaft im gleichen Priestertum sollen die Bischöfe die Priester als ihre Brüder und Freunde betrachten“ (PO 7). Durch schlechte Erfahrungen mit der sichtbaren Kirche will Gott uns erziehen, damit wir nicht auf Menschen bauen, sondern allein auf seine Treue zu uns. Unter Schmerzen müssen wir die Lektionen lernen, mit denen Gott seine Diener erzieht. Das ist aber keine Rechtfertigung für einen autoritären Führungsstil. Wie Paulus stellt sich mir die Frage: „Geht es mir denn um die Zustimmung der Menschen oder geht es mir um Gott?“. Und der Apostel zieht für sich daraus die Folgerung: „Wollte ich Menschen gefallen, dann wäre ich kein Knecht Christi“ (Gal 1,10). Es kommt zuerst und zuletzt nicht auf unsere Befindlichkeiten an, sondern darauf, dass dem Wort Gott eine Tür geöffnet wird. Wichtig ist, „dass wir uns in allem als Diener Gottes erweisen“ (2 Kor 6,4).

Nehmen wir Bischöfe uns den hl. Paulus zum Vorbild, der seinen Mitarbeiter Timotheus, „seinen echten und geliebten Sohn durch den Glauben“ nennt (1 Tim 1,2; 2 Tim 1,2; Tit 1,4). Er bestärkt ihn mit den Worten seiner Berufung. Er legt ihm ans Herz, „gläubig und mit reinem Herzen den guten Kampf zu kämpfen“ (1 Tim 1,18) für die gesunde Lehre von Jesus Christus und sich darin als „ein guter Diener Christi“ (1 Tim 4,6) zu bewähren.

Im Abendmahlsaal hat Jesus den wahren Sinn höherer kirchlicher Autorität offenbart. Nur wenn wir uns dem Herrn empfehlen, der für uns betet, dass unser Glaube nicht erlischt, können wir dem Auftrag gerecht werden: „Stärke deine Brüder!“ (Lk 22,32). Was „Paulus, Silvanus und Timotheus“ (1 Thess 1,1) „als Apostel Christi“ (1 Thess 2,7) der Kirche von Thessalonich schreiben, sollte analog gelten für das Verhältnis der Ordensoberen, der Bischöfe und des Papstes zu den Priestern: „Ihr seid Zeugen, und auch Gott ist Zeuge, wie gottgefällig, gerecht und untadelig wir uns euch, den Gläubigen, gegenüber verhalten haben. Ihr wisst auch, dass wir, wie ein Vater seine Kinder, jeden einzelnen von euch ermahnt, ermutigt und beschworen haben zu leben, wie es Gottes würdig ist, der euch zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit beruft“ (1 Thess 2,10ff.). Wir Bischöfe sollen bedenken, dass „die apostolische Vollmacht vom Herrn uns verliehen wurde, um aufzubauen, nicht um niederzureißen“ (2 Kor 10,8).

Welchen Schaden hat schon im Laufe der Kirchengeschichte der eigensinnige und selbstsüchtige Gebrauch der kirchlichen Autorität angerichtet? Ein wesentlicher Teil des Antiklerikalismus entstand aus dem bornierten und eitlen Missbrauch kirchlicher Macht. Man meinte im Dienste Gottes zu stehen, wenn man die anvertrauten Novizen und Priesteramtskandidaten erniedrigt, um ihnen Demut beizubringen. „Ihren Willen zu brechen“ sei der Königsweg zur Tugend des Gehorsams. Die Tugenden kommen aber von innen aus der Gnade. Sie lassen sich nicht von außen erzwingen. Der Vorrang besteht im Dienen und nicht im Herrschen. Ein kluger Seelenführer hält sich zurück, weil er weiß, dass es nur einen Lehrer gibt und wir alle seine Schüler und untereinander Brüder sind. Jesus sagt nämlich: „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Mt 23,12).

Da ist der exemplarische Fall des französischen Curé Jean Meslier (1664 –1729), ein Held der Freidenker und Atheisten. Bis zu seinem Tod erfüllte er nach außen treu seine Pflichten in der Seelsorge. Sein gerechter Protest gegen die Misshandlung der Bauern durch ihren Grundherren fand bei seinem Erzbischof ein schlechtes Echo. Der Hohe Herr war der gelebten Realität der Feudalgesellschaft näher als der unzeitgemäßen Gerechtigkeit Gottes an der Seite der Armen. Er wurde von seinem Oberhirten der Prozedur einer öffentlichen Demütigung unterzogen. Aus der lebenslangen Wunde des Enttäuschten quollen seine posthum veröffentlichten Memoiren voller Hass und Groll, die eine große Wirkung auf den kirchenfeindlichen Flügel der Aufklärung hatten. Wo Liebe in Enttäuschung umschlägt, werden die priesterlichen Apostaten nicht nur zu den schlimmsten Kritikern der Kirche, sondern auch zu Feinden Gottes. Alle Religionen wollte unser heimlicher Autor entlarven als „menschliche Erfindungen, nichts als Irrtümer, Einbildung und Betrug.“ Dies sollte in der französischen Revolution und später in den blutigsten Verfolgungen der Kirche die „Heldentaten“ der Befreiung der Menschheit aus Volksverdummung, Aberglauben und klerikaler Macht rechtfertigen. Was immer wir dann auch tun und sagen, immer steht es unter Ideologieverdacht. Wenn ein Geistlicher noch so selbstlos handelt, irgendwie muss es ihm doch statt um Wahrheit und Heil um seine Interessen gehen. Wenn einmal durch das Fehlverhalten von Bischöfen und Priestern die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttert wird, lässt sie sich nur schwer wiederherstellen. Der Priester ist Bild Christi und Vorbild für die Gläubigen. Darum liegt eine größere Verantwortung auf ihm.

Amt und Person – eine heilsame Unterscheidung

Wir tun gut daran, die alte und wohl begründete Unterscheidung von Amt und Person, die bei der Auseinandersetzung mit dem Donatismus deutlich ins Glaubensbewusstsein der Kirche eintrat, wieder in Erinnerung zu rufen.

Für die Untergebenen ist sie ein Trost, damit sie nicht an Christus und der Kirche verzweifeln wegen der Unzulänglichkeiten allzu menschlicher Vertreter. Für die Vorgesetzten ist sie eine Warnung, dass sie ihre intellektuellen und charakterlichen Mängel nicht mit der Autorität Christi und der Kirche kaschieren. Wie verächtlich und undankbar haben die Ordensoberen der Gesellschaft Jesu einen der ganz großen Theologen des II. Vatikanums, Henri de Lubac SJ (1896 –1991), der vorher des Modernismus verdächtigt worden war, an seinem Lebensabend behandelt, nur weil er nicht mehr ins Schema ihrer progressistischen Schablone passte. Undankbarkeit und Ausgrenzung sind die Früchte des Lagerdenkens in ideologischer Verblendung.

Der größte Missbrauch eines kirchlichen Amtes folgt aus der Verwechselung der geistlichen Autorität mit weltlicher Macht. Jeder Amtsträger in der Kirche, von den Ordensoberen bis zum Bischof, wird zum Schaden für die Kirche und seiner Hirtensorge, wenn er seine geistliche Vollmacht als Gelegenheit benutzt, seine privaten Ideen und subjektiven Ressentiments den ihm anvertrauten Brüdern oder der ganzen Kirche aufzudrängen. Auch in der Berufungspastoral kann nicht das Priesterideal, das ein Pastoralgremium der Diözese oder der Ordensgemeinschaft sich mit Anleihen bei der Psychologie und Soziologie konstruiert hat, zum letztlich entscheidenden Kriterium erhoben werden.

Die Menschen suchen Priester nach dem Herzen Jesu, „der die Kirche geliebt und sich für sie dahingegeben hat, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen“ (Eph 5,25f.).

Skandale um Priester werden in den Augen der Öffentlichkeit meist der Kirche angelastet und beschädigen ihre Glaubwürdigkeit. Aber die Glaubwürdigkeit der Kirche ist der Zugang zum heilswirksamen Glauben. Deshalb sind schwere sittliche Verfehlungen von Priestern ein Verstoß gegen die Heiligkeit der Sakramente und die Kirche, den Leib Christi, dessen Haupt sie sichtbar darstellen, und nicht nur ein Delikt nach dem bürgerlichen Strafgesetzbuch. Das „Weihesakrament macht die Priester Christus dem Priester gleichförmig. Denn sie sind Diener des Hauptes zur vollkommenen Auferbauung seines ganzen Leibes, der Kirche und Mitarbeiter des Bischofsstandes“ (PO 12). Der Mietlinge im geistlichen Gewand wegen sind auch die guten und eifrigen Priester – nach dem Prinzip der Sippenhaft – als Personengruppe willkommene Opfer antiklerikaler Vorurteile und medial inszenierter Geldmacherei. Verfehlungen und Schwächen, wie sie kaum ein Christ im Pilgerstand gänzlich vermeiden kann, sind von einem gezielten moralischen Doppelleben deutlich zu unterscheiden.

Der Priester soll als Hirte der Gemeinde Vorbild (Typos, forma gregis) für die Herde sein. Denn er repräsentiert den „Erzhirten“, princeps pastorum (1 Petr 5,4) Christus, den „Hirt und Bischof unserer Seelen“ (1 Petr 2,25). „Nehmt mich zum Vorbild (Typos), wie ich Christus zum Vorbild nehme“ (1 Kor 11,1) – schreibt Paulus seinen Korinthern. Timotheus soll ein „Vorbild sein für alle, die in Zukunft an Christus glauben, um zum ewigen Leben zu gelangen“ (1 Tim 1,16). Paulus mahnt seinen Musterschüler: „Sei den Gläubigen ein Vorbild (Typos) in deinen Worten, in deinem Lebenswandel, in der Liebe, im Glauben, in der Lauterkeit“ (1 Tim 4,12). Das grobe Fehlverhalten von Priestern wiegt doppelt schwer, weil es die Glaubwürdigkeit der Verkündigung beeinträchtigt und den Glauben der Schwächeren einer zu schweren Belastungsprobe aussetzt ( Johannes Chrysostomos, De sac VI, 12). Deshalb gilt die Mahnung an Timotheus jedem Bischof, „keinem vorschnell die Hände aufzulegen, um sich nicht fremder Sünden schuldig zu machen“ (1 Tim 5,22). Es sind also strengste Kriterien an die Auswahl der zukünftigen Priester anzulegen. Die Kandidaten müssen sich der gewissenhaftesten Selbstprüfung unterziehen (vgl. Johannes Chrysostomos, De sac III, 10). Ein unwürdiger und schlechter Hirte richtet das Gottesvolk zu Grunde (Ez 34,8). Wenn schon im Alten Bund „die Priester dem Hause Israel ein Ärgernis zur Sünde geworden sind“ (Hos 5,1; 9,8), dann gilt dies erst recht für die Priester Christi und seiner Kirche: „Denn niemand richtet in der Kirche größeren Schaden an, als wer ein sündhaftes Leben führt und dabei den Namen und den Stand der Heiligkeit innehat“ (Gregor der Große, Regula pastoralis I,2).

„Einem Priester, der die Keuschheit gelobt hat“ (Thomas von Aquin, S.th. I-II q.73 a.10), wird die Sünde mehr als Schuld angerechnet, wegen des schlechten Beispiels und seiner Undankbarkeit gegenüber der hohen Würde, die er empfangen hat, und des Widerspruchs zwischen der sündigen Tat und der sakramentalen Repräsentation Christi.

Deshalb ist mit der Priesterweihe eine besondere Verpflichtung zum „Streben nach der Vollkommenheit“ (PO 12) verbunden im Blick auf die „Vollkommenheit unseres Vaters im Himmel“ (Mt 5,48). Weil „jeder Priester entsprechend seiner Weihestufe Christus vertritt, erhält er darum auch die besondere Gnade, durch den Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und am ganzen Volk Gottes besser der Vollkommenheit nachzustreben, an dessen Stelle er steht, und für die Schwäche seiner menschlichen Natur Heilung in der Heiligkeit dessen zu finden, der für uns ein ‚heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sünden geschiedener‘ Hoherpriester (Hebr 7,26) geworden ist“ (PO 12).

2. BriefPriester nach dem Herzen Jesu

Liebe Mitbrüder, liebe Mitchristen,