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Ein Asteroid rast unentdeckt auf die Erde zu. In einem Jahr wird er den Planeten komplett zerstören. Nur die Wissenschaftler vom friedlichen Volk der Plejaner sind womöglich in der Lage, die Gefahr abzuwenden. Die Zeit drängt. Die Kommandanten Aaron und Gideon haben konträre Meinungen - ebenso die Crew der Osiris. Ist die gefährliche Rettung eines Planeten, der sich in einem äußert kritischen Zustand befindet, wirklich gerechtfertigt? Während die Wissenschaftler um eine Entscheidung ringen, leben die Menschen auf der Erde ahnungslos ihr Leben. Da ist Steve, der Banker, der nie Zeit für seine kleine Tochter findet. Heinrich, der Obdachlose, der längst mit dem Leben abgeschlossen hat. Gabrielle die Aussteigerin, die der Welt den Rücken kehrte - und viele andere. Die Erzählung beleuchtet die ungeklärten Fragen der Geschichte. Wer waren die Erbauer der Sphinx und der Pyramiden? Existierte Atlantis wirklich? Wieso verschwanden viele Hochkulturen spurlos? Wo liegen die wahren Ursprünge der einzigartigen menschlichen Spezies? Dieser Roman erzählt die Menschheitsgeschichte aus einem völlig anderen Blickwinkel und lässt uns staunen.
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Seitenzahl: 333
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Für Nina
die meine unkonventionelle Idee von Anfang an unterstützt hat, als alle anderen wegschauten – die mich immer wieder motivierte und inspirierte und mich daran hinderte, alles hinzuschmeißen – die wertvolle Ideen beisteuerte und harte Kritik äußerte.
Für Nina – meine kluge Tochter – ohne die der unerwartete Besucher nie aufgetaucht wäre – und ohne die das Buch nicht das geworden wäre, was es jetzt ist.
Vorwort
Phase I – Die Ankunft
Einleitung
1.1 Hoffnung
1.2 Jake und Bill
Phase I – Die Vorbereitung
1.3 David
1.4 Die Ankunft
1.5 Mission Rasul: Der Beschluss
1.6 Der Park
1.7 Heinrich (1)
1.8 David und Gideon
1.9 Gabrielle (1)
1.10 Saphira
1.11 Theresa (1)
1.12 Der Auftrag
1.13 Pedro (1)
1.14 Enttäuschende Ergebnisse
Eine andere Welt
1.15 Eliams Bitte
1.16 Alexander (1)
1.17 – Das Signal
1.18 Estelle (1)
1.19 Die Gencodes
1.20 James (1)
1.21 Spekulationen
1.22 Jasna (1)
1.23 Ausflug zur Erde
1.24 Dietmar (1)
Kurzübersicht
Liebe Leserin, lieber Leser,
wieso ein Vorwort? Ja wieso? Ich persönlich bin ja nicht unbedingt ein Fan davon. Wenn ich ein neues Buch in der Hand halte, möchte ich die Geschichte lesen und nicht das Blabla des Autors. (Daher: Überspringen gestattet.) Da jedoch meine jüngste Tochter den Wunsch äußerte, es möge, zum besseren Einstieg in die doch recht umfangreiche Geschichte, ein Vorwort geben: Voilà – hier ist es. Möge es hilfreich sein.
Wir alle sind Reisende auf dem Weg durch unser Leben. Ich sehe mich gerne auf einem kleinen Segelboot inmitten eines weiten Meeres – dabei außer Acht lassend, dass ich eigentlich seekrank werde. Die Idee zu diesem Buch trieb viele Jahre durch meinen Kopf und hüpfte wie ein kleiner Korken auf dem aufgewühlten Meer. Immer wieder kurz sichtbar zwischen den Wellen, war er meist jedoch nur ein vages Objekt im wogenden Wasser. Abgetrieben von starken Winden, geriet er außer Sichtweite und manches Mal fast in Vergessenheit. Selten war das Meer ruhig, selten trieb der Korken nahe genug heran, um einer genaueren Betrachtung unterzogen werden zu können.
Doch eines Tages flauten die Stürme ab, der Korken näherte sich dem kleinen Boot und blieb in der Nähe. So begab es sich, dass die Geschichte ganz langsam, Stück für Stück und fast unbemerkt, Gestalt annahm.
Dieser Roman beschäftigt sich mit einem Themenbereich, der mich seit meiner Jugend fasziniert – es sind die rätselhaften Aspekte der frühesten Menschheitsgeschichte, für die die Wissenschaft bisher keine einleuchtenden Erklärungen hat finden können. Die ewig wiederkehrenden Hypothesen, dass alle nicht erklärbaren Dinge in Zusammenhang mit Opfer- und Fruchtbarkeitsritualen stehen müssen, erschienen meist wenig einleuchtend.
Also begab ich mich auf die Suche, schlüssige Antworten auf all die Geheimnisse zu finden – von denen es sehr viele gibt, wie ich im Laufe meiner Recherchen feststellen musste. Ich stieß auf zahlreiche ungeklärte Fragen, Spekulationen, Mutmaßungen und große Lücken in der Geschichte der Menschheit. Dabei begegneten mir auch unkonventionelle Ideen von andersdenkenden Menschen - oft haarsträubend, manchmal aber auch durchaus sinnig und von bestechender Logik.
Was jedoch fehlte, war eine Verbindung zwischen all den mysteriösen Bauwerken und den Überlieferungen unserer fernen Vergangenheit, die auf allen Kontinenten zu finden sind. Oft sind sie nicht datierbar und häufig weisen sie verblüffende Ähnlichkeiten auf, obwohl die Völker, nach gängiger Lehrmeinung, damals keine Verbindung zueinander gehabt haben konnten. Ich fand viel zu viele Ähnlichkeiten, als dass es sich um einen Zufall handeln könnte. Doch niemand schien sich mit den Zusammenhängen zu befassen - vielleicht, weil es schlichtweg keine anerkannten Erklärungen dafür gibt. Vielleicht auch, weil immer noch nicht sein kann, was nicht sein darf.
Ich fragte mich also, wer die Baumeister dieser gewaltigen Monumente gewesen sein konnten, die teilweise zu Zeiten entstanden, als auf der Erde ausschließlich Nomadenvölker lebten – die unmöglich die Befähigungen zur Errichtung solcher Bauten gehabt haben konnten. Wieso verschwanden diese unbekannten Hochkulturen so plötzlich, wie sie aufgetaucht waren? Wohin gingen sie und wieso erinnert sich niemand an diese Völker, die solch unglaubliche Leistungen vollbrachten? Waren es wirklich Pharaonen, die die ältesten Pyramiden erbauten?
Ist Atlantis tatsächlich nur ein Mythos? Wieso begannen die erdverbundenen Frühmenschen, Götter zu verehren, die aus dem Himmel kamen? Woher kommt die Vorstellung vom Paradies? Wie wurden wir Menschen zu dem, was wir heute sind? Wieso unterscheiden wir uns so sehr von allen anderen Spezies auf der Erde? Gibt es den Missing Link tatsächlich oder suchen wir ihn vergebens?
All diese Überlegungen führten letztlich zu zwei der wichtigsten und nicht vollständig geklärten Fragen in der Geschichte der Menschwerdung: Wie wurden wir zu dem, was wir sind – und wo kommen wir her?
Da die konventionellen Lehrmeinungen keine schlüssigen Antworten bieten konnten, war der einzige Weg, in anderen Bahnen zu denken. Ich stellte die wissenschaftlichen Argumentationen in Frage und überprüfte sie auf Sinnhaftigkeit. Wo sich keine einleuchtenden Erklärungen fanden, habe ich tief gegraben. Erklärungsansätze, Ideen und Antworten fanden sich sowohl in den frühesten Überlieferungen als auch in den ältesten Bauwerken der Welt und sogar in der Bibel. Ich kam zu dem Schluss, dass der Wahrheitsgehalt umso höher ausfällt, desto älter etwas ist, je näher es am Ursprung liegt – sofern man es von der damaligen Weltanschauung und all den Veränderungen und Manipulationen befreien kann, die die Zeit jedem Geschehnis und jedem Bauwerk auferlegt.
Für die Zeit, bevor erste menschliche Zeugnisse auftauchen, ist es nahezu unmöglich, ein stimmiges Bild der Entwicklungsgeschichte zu zeichnen. Die geologischen Funde, die wenigen Fossilien, die die Jahrmillionen überdauert haben, bilden nur winzige Momentaufnahmen im großen Gefüge des Lebens und lassen uns bestenfalls erahnen, was sich abgespielt haben mag. Daher bezieht sich dieses Buch hauptsächlich auf die Zeit ab den ersten Überlieferungen und Aufzeichnungen. Alle vorherigen Ereignisse sind reine Spekulation und so gut wie nicht belegbar. Hier habe ich meine Phantasie auf Reisen geschickt, habe allerhand wundersame Dinge, Orte und Ereignisse frei erfunden und versucht, die Lücken stimmig zu füllen.
In diesem Buch können bei weitem nicht alle Aspekte beleuchtet werden – dafür ist die Menschheitsgeschichte zu umfangreich. Jedoch ist es mir gelungen, ein anderes Bild unserer Entwicklungsgeschichte zu zeichnen, welches unkonventionelle, aber durchaus mögliche und logische Erklärungen für viele der mysteriösen Dinge anbietet. So gut wie alle Beschreibungen, Zahlen, Daten und Geschehnisse, die sich auf der Erde abspielen, beziehen sich auf reale Hintergründe, die sich in Forschungsergebnissen, Überlieferungen, Legenden und Bauwerken finden lassen.
Ich habe dieses Buch in erster Linie für all jene geschrieben, die neugierig sind, (und vielleicht auch ein bisschen verrückt), und die sich auf unterhaltsame Weise gerne mit alternativen Denkweisen beschäftigen.
Ich möchte dich, liebe Leserin, lieber Leser, mit auf eine Reise nehmen. Sie wird dich ein Stück in die Zukunft und weit in die Vergangenheit führen und sie stellt die Geschichte der Menschheit – unser aller Geschichte – so wie sie uns erzählt wird, in Frage. Ich hoffe, dass es dir Freude bereitet, eine ganz andere Sicht der Dinge zu lesen. Und vielleicht inspiriert es den einen oder anderen sogar, weitere Aspekte zu untersuchen und die Geschichte unserer Herkunft vollständiger und stimmiger zu machen.
Wie auch immer es sein mag – dieses Buch soll in erster Linie unterhalten und dabei ein klein wenig zum Nachdenken anregen.
Viel Spaß beim Lesen.
Mika
Die Gedanken sind frei!
Er ist keine Schönheit. Er ist hart, kalt, schweigsam und absolut emotionslos. Und dennoch geht eine einzigartige Faszination von ihm aus. Jeder, der ihn erblickt, wird augenblicklich in seinen Bann gezogen. Er weiß weder, woher er kommt, noch, wohin sein Weg ihn führt.
Vor langer Zeit wurde er von irgendjemandem auf den Namen MK-342 getauft. Milliarden Jahre zuvor war er in unbekannten Tiefen des Alls geboren worden. Seither rast er mit 50.000 Kilometern pro Stunde lautlos durch diese stille, kalte Welt. Vorbei an Sternen und Planeten, roten Riesen und weißen Zwergen, er durchquerte Gaswolken, sah Galaxien entstehen und vergehen.
Dass er auf seiner langen Reise niemals ernstlich mit einem Objekt kollidierte, grenzt an ein Wunder. Vielleicht war es Glück, vielleicht war es Zufall, vielleicht sogar Schicksal – oder es waren die Kräfte der Natur, die ihn davor bewahrten. Niemand vermag das zu sagen. Es spielt keine Rolle.
Sicher ist jedoch, dass er sehr bald den „Point of no Return“ erreichen wird.
Hat er diesen Punkt passiert - und wird er zuvor nicht aufgehalten - gibt es kein Zurück mehr. Genau 51 Tage später wird vor ihm ein kleiner, blauer Planet auftauchen, dessen Schicksal zu diesem Zeitpunkt längst besiegelt ist.
Es ist besiegelt, weil die gewaltigen Wächterplaneten, die sich am Rande dieses Sonnensystems befinden, ausnahmsweise ihrer Aufgabe nicht gerecht werden können. Seit Millionen von Jahren schützen die Riesen den kleinen, weit entfernten Planeten, indem sie Eindringlinge in ihre Umlaufbahn ziehen und auf ihrer Oberfläche zerschellen lassen.
Aber genau zu der Zeit, in der der Asteroid das Randgebiet passieren wird, werden die Planeten in einer sehr seltenen Konstellation zueinander stehen - und es dem ungebetenen Besucher ermöglichen, unbehelligt an ihnen vorbeizuziehen.
MK-342 wird von all dem keine Notiz nehmen. Unbeirrt folgt er weiter seinem Weg und kurze Zeit später wird er mit einem nie gehörten Grollen und Zischen hellstrahlend die Atmosphäre des Planeten durchstoßen. Bevor den Bewohnern bewusst geworden ist, was passiert, hat er bereits die Erdkruste ausgehöhlt und ist zu einem Teil dieses wunderschönen Planeten geworden.
Sein Eintreffen wird in einer Kettenreaktion Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis und Unwetter in unvorstellbarem Ausmaß auslösen. Mit einem Schlag werden seine Ankunft und die Hitze, die er mitbringt, Millionen von Leben auslöschen. Wälder und Städte werden brennen. Wenn die Brände erloschen sind, kommt die Kälte. Eine Kälte, die in den darauffolgenden Jahren nahezu jede Lebensform vernichten wird.
Die Zerstörung von Milliarden Lebewesen, und mit ihnen all ihre Pläne, Wünsche und Hoffnungen, ist für ihn – ebenso wie für den Rest des Weltalls – ohne Bedeutung. Es ist in den unermesslichen Weiten nicht mehr als eine unerhebliche Banalität.
Der Asteroid MK-342 ahnt von all dem eben so wenig wie die Bevölkerung des Planeten. Und weder er noch die Bewohner wissen, dass sie seit Jahrtausenden genauestens beobachtet werden….
6 Monate vor Beschluss
12 Monate vor Konferenz
14 Monate vor erwartetem Einschlag
Lichtflecken reflektierten auf Aarons Gesicht und zeichneten die Falten seiner Augenpartie wie ein scharfes, klares Relief. Er stand vor den großen, leicht gebogenen Panoramafenstern des Konferenzraumes - eine grandiose Aussicht breitete sich unbeachtet vor ihm aus. In tiefe Gedanken versunken, verlor sich sein Blick in der Weite. Stille umgab ihn. Selbst das permanente leise Summen der Maschinen war hier nicht zu hören.
Beinahe lautlos glitt die Tür auf und Gideon betrat den leeren Raum. Aaron kannte diese energischen, schnellen und dabei fast geräuschlosen Schritte so gut. Als sie gänzlich verstummten, drehte er sich langsam um. „Sei gegrüßt Gideon. Schön, dass du Zeit gefunden hast.“ „Sei gegrüßt Aaron“, war alles, was Gideon erwiderte.
Einen Moment lang blickten die beiden Männer sich über den großen Konferenztisch an, der fast den ganzen Raum einnahm. Seine dunkle Oberfläche glänzte im Sonnenlicht. Dann sagte Aaron: „Wahrscheinlich kannst du dir denken, warum ich um eine Unterredung gebeten habe“. Als Gideon leicht nickte, fuhr er fort „Ich kenne deinen Standpunkt zur Weiterführung des Projektes. Aber dennoch möchte ich dich, gerade in dieser Phase, nochmals eindringlich bitten, deine Meinung zu überdenken.“
Gideon stand reglos und mit ausdrucksloser Miene hinter dem gewaltigen Tisch. Aaron konnte in diesem Moment, auch nach all den Jahren, nicht umhin zu bemerken, dass sein Gegenüber eine beeindruckende Erscheinung war. Es zollte ihm wider Willen Bewunderung ab, wie Gideon dort stand – groß, schlank, das kurze Haar von wenigen silbernen Strähnen durchzogen, mit einer fast greifbaren Aura von Autorität. Wie immer war er ganz in Schwarz gekleidet.
„Du erinnerst dich, dass wir etliche Diskussionen zu diesem Thema geführt haben?“ erwiderte Gideon mit ruhiger Stimme. „Du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich meine Entscheidungen nicht leichtfertig treffe. Ich arbeite an diesem Projekt jetzt schon ebenso lange wie du, und nach Auswertung aller bisher vorliegenden Werte kann ich nach wie vor keine andere Meinung vertreten. Wissenschaftlich gesehen wäre das schlichtweg unlogisch. Und das weißt du.“
„Genau das ist das Problem“ erwiderte Aaron eine Spur lauter. „Du bist Wissenschaftler wie ich. Aber alles, was du siehst und woran du dich hältst, sind Daten, Fakten, Analysen – immer und ausschließlich – selbst wenn es noch so viele Leben kostet. Aber es gibt auch noch eine andere Seite. Es gibt Dinge, die nicht messbar und berechenbar sind und die ebenso bedeutsam und wichtig sind. Und das weißt du!“
„Deine Worte mögen in manchen Szenarien ihre Berechtigung haben – aber in diesem Fall geht es um Daten und Fakten und die Ergebnisse der Analysen. Es geht um verantwortliches Handeln – und meiner Meinung nach um nichts anderes. Es steht dir frei, auch die andere Seite, die nicht messbaren Aspekte, einzubringen. Aber letzten Endes bedeutet Forschung immer auch Verluste. Das solltest gerade du eigentlich wissen“ erwiderte Gideon mit unbewegter Miene und fuhr fort „Und wenn ein Projekt nicht gelingt, wenn keine Chance auf Erfolg besteht, wird es abgebrochen.“ „Ja, und wenn die Forschungsobjekte nicht genügen, werden sie vernichtet“ warf Aaron bitter ein.
„Wir vernichten sie nicht“ sagte Gideon ruhig. „Wir warten die Entscheidung der Ältesten ab, was voraussichtlich den Abbruch des Projektes bedeuten wird, und dann werden wir uns zurückziehen.“ „Als ob das nicht das Gleiche wäre“ sagte Aaron. „Das ist ganz und gar nicht das Gleiche“ warf Gideon ein. „Auch das weißt du. Wir haben unendlich viel Zeit in dieses Projekt investiert, haben unterschiedlichste Maßnahmen ergriffen. Aber egal was wir versucht haben, es wurde nur schlimmer. Und wenn du es so ausdrücken willst, ja, die Forschungsobjekte genügen nicht. Das haben sie letztlich nie“ setzte er leiser hinzu „und wenn sie, anstatt Fortschritte nur Rückschritte machen, wenn keinerlei positive Entwicklung zu erkennen ist und sie sich zu einer Bedrohung für sich selber, ihren Lebensraum und eines Tages vielleicht sogar für uns entwickeln, ist Rückzug der einzig logische Schritt.“
„Aber sie stellen keine Bedrohung für uns dar! Das haben sie nie getan und das werden sie auch nicht. Das können sie gar nicht. Und es gibt durchaus auch positive Entwicklungen. Ich habe mit meinem Team in den letzten Monaten diese Aspekte untersucht und bin nach wie vor sicher, dass wir das ganze Projekt noch in die richtige Richtung lenken können. Wir brauchen nur mehr Zeit!“ entgegnete Aaron mit einer Spur Ärger und Verzweiflung in der Stimme.
„Zeit?“ Gideons Lachen war bitter. „Wie viel denn noch? Erinnerst du dich nicht? Wie viele Versuche sind gescheitert? Meines Wissens alle. Und wie viele müssen noch scheitern, bis auch du siehst, dass es vorbei ist. Natürlich gibt es ein paar Lichtblicke, die gab es immer, aber niemals haben sich die positiven Entwicklungen langfristig durchsetzen können. Es wird nicht, es kann nicht gelingen! Diese Möglichkeit ist längst vertan und das Ganze hätte bereits vor langer Zeit beendet werden sollen, dann hätte es weit weniger Verluste gegeben, als es nun der Fall sein wird.“
Aaron wollte etwas erwidern, doch Gideon kam ihm zuvor. „Du brauchst nichts zu sagen. Deine Sicht der Dinge ist mir bestens bekannt. Ich kenne all deine Argumente und glaube mir, ich habe jedes Einzelne geprüft – obwohl ich das nicht hätte tun müssen – aber keines hat der Prüfung standgehalten. Die bisher vorliegenden Daten sprechen eine eindeutige Sprache. Das Projekt ist gescheitert! Und für diesen Fall steht das weitere Vorgehen schon lange fest. Du kennst den Beschluss, hast die Aufzeichnungen gesehen und du warst bei dem letzten Versuch von Anfang an dabei. Es steht dir frei, weiterhin alles zu tun, um eine Wende herbeizuführen. Aber du weißt so gut wie ich, dass es keine Chance mehr gibt, wenn nicht ein Wunder geschieht. Und du weißt, wie ich zu Wundern stehe…. Du solltest dich endlich damit abfinden. Du kannst dieses Projekt nicht mehr retten!“ In seiner Stimme schwang eine Spur Mitgefühl, was Aarons Ärger noch verstärkte. „Die Zeit läuft ab. In 12 Monaten wird die Entscheidung fallen. Und ich bin mir sehr sicher, dass sich, nach Auswertung der aktuellen Daten, an dem momentanen Stand nichts Signifikantes mehr ändern wird – im Gegenteil. Aber warten wir die Ergebnisse ab, dann wissen wir mehr.“
„Ja, du hast leicht reden. Die Mehrheit der Mitglieder des Rates vertritt die gleiche Auffassung wie du, obwohl sie nicht aktiv am Projekt beteiligt sind und keine andere Wahl haben, als sich ausschließlich auf die Analysen zu verlassen. Und mir ist durchaus klar, dass die neuen Ergebnisse bedenklicher sein werden als alle zuvor und dass der Rat unter diesen Gesichtspunkten zu keinem anderen Schluss kommen kann und diese Einschätzung an die Ältesten weitergeben wird. Aber du arbeitest - wie ich und wie Generationen vor uns - schon fast dein ganzes Leben an diesem Projekt und ich kann einfach nicht verstehen, wie du das alles jetzt einfach so aufgeben willst. Ich weiß doch, dass du damals anders darüber gedacht hast. Du warst einer der engagiertesten Befürworter – mehr als ich es war. Und wenn auch du eine Fortführung empfehlen oder zumindest in Erwägung ziehen könntest, bestünde noch eine Chance. Deine Meinung hat Gewicht im Rat….“
„Aaron, du kennst mich gut genug, um zu wissen, dass ich ein Projekt nicht ‚einfach so‘ aufgebe. Ja, ich beschäftige mich seit sehr langer Zeit damit. Dieses Projekt ist mein Leben. Und genau deshalb sehe ich seit vielen Jahren sehr klar, dass eine Weiterführung keinen Sinn mehr macht. Wenn du mir Fakten aufzeigen kannst, die das rechtfertigen, bin ich natürlich bereit, meine Ansicht zu überdenken. Lass es gut sein. Ich habe oft genug versucht, dir meine Einstellung verständlich zu machen. Du hast dich da in etwas verrannt und kannst die ganze Sache nicht mehr objektiv betrachten. Anders ist deine Sichtweise nicht zu erklären. Schon viel zu lange nicht mehr. Und ehrlich gesagt, kann ich deine Betrachtungsweise immer weniger nachvollziehen. Und wenn ich nicht wüsste, dass deine Belange jetzt keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung haben werden, würde ich beantragen, dich, zum Wohle aller, von diesem Projekt abzuziehen.“
Aaron sog scharf die Luft ein und starrte Gideon ungläubig an, doch dieser fuhr unbeirrt fort: „Erinnerst du dich, dass dir das Projekt zu Beginn ziemlich egal war? Für dich war das alles doch nur eine große, bunte Spielwiese. Ist es nicht so? Welch fatale Fehleinschätzung.“
In Aarons Blick blitzte Zorn auf. „Aber lassen wir das. Wir sind Wissenschaftler und da dürfen persönliche Interessen nun mal keine Rolle spielen. Was ist nur los mit dir? Ich hatte wirklich gehofft, du wärst nach all der Zeit darüber hinweggekommen.“
Aaron wandte sich ab und blickte wieder aus dem Fenster. Wie oft hatte er versucht, Gideon seine Ansichten verständlich zu machen - ihm klar zu machen, dass es durchaus Hoffnung gab. Und immer war er gescheitert. Gideons Standpunkt stand seit Jahren unumstößlich fest, aber Aaron konnte und wollte sich nicht damit abfinden. Natürlich hatten Gideons Argumente ihre Berechtigung, natürlich verfügte er über profundes Wissen und jahrelange Erfahrung. Aber er blendete Dinge aus – wichtige Dinge. Wieso verstand dieser kluge Mann nicht, dass nicht alles nur schwarz oder weiß war?
Ohne Gideons Unterstützung war das Projekt kaum zu retten, das war ihm seit langem klar. Im Grunde war Gideon seine letzte Hoffnung – eine Hoffnung, die er nie hatte aufgeben wollen und die in diesem Moment endgültig zerbrach.
Aaron wandte sich um und schaute Gideon in die Augen. „Was mit mir los ist? Das solltest du eigentlich wissen“ sagte er mit leisem, scharfem Unterton. Gideon sah ihn einen Moment an, schüttelte kaum merklich den Kopf und sagte leise: „Es tut mir wirklich leid“. Dann drehte er sich um und verließ den Raum. Aaron starrte auf die sich schließende Tür und Resignation legte sich wie ein kühler Mantel um seine Schultern.
Was konnte er noch tun? Gideon besaß von je her eine sehr starke Persönlichkeit, doch nun schien er völlig festgefahren zu sein. Unfähig den Kopf zu bewegen, unfähig sogar, den Blick schweifen zu lassen und Dinge außerhalb seiner Wahrnehmung zu erkennen. Seine Meinung war in Stein gemeißelt. Er würde ihm nicht helfen. Gab es einen Ausweg? Noch war das letzte Wort nicht gesprochen, noch bestand eine Chance auf Rettung. Vielleicht geschah doch noch ein Wunder, denn im Gegensatz zu Gideon hatte er immer an Wunder geglaubt, hatte sie selber erlebt. Doch ein Gefühl, tief in seinem Inneren verborgen, flüsterte ihm zu, dass es zu spät war. Er überhörte es, drehte sich langsam zur Fensterfront und blickte in die Unendlichkeit des dunklen Alls.
Er betrachtete die Sterne und Planeten, an denen die Raumstation vorbeiglitt, und etwas Tröstliches lag in diesem wunderbaren Bild. Es half ihm, den Zorn und die Enttäuschung vorbeiziehen zu lassen. Er würde nicht aufgeben, noch nicht. Er würde es weiter versuchen, es blieb noch Zeit - und er würde einen Weg finden!
Die Sonne brannte. Die knorrigen Drehkiefern, die einen Großteil des riesigen Nationalparks bedeckten, knarzten leise wenn der Sommerwind durch ihre Äste wehte. Es war Mittag und Jake und Bill wanderten schon seit dem frühen Morgen durch die Wildnis und kontrollierten die Messstationen. Heute war der nordwestliche Bereich an der Reihe. „Komm schon Jake, es wird langsam echt heiß und mein Magen knurrt. Es wird Zeit für eine Pause“. „Na klar alter Mann. Aber die eine Station machen wir noch. Dann haben wir die Hälfte geschafft und Du kannst deine mürben Knochen ausruhen und dir den Bauch vollschlagen. Aber ein Mittagsschlaf ist nicht drin, das sage ich dir gleich.“ Bill stöhnte, sparte sich jedoch eine Erwiderung, da der Anstieg ziemlich steil war.
Einige Zeit später ließen sie sich im Schatten der Bäume auf dem weichen Waldboden nieder und holten ihren Proviant aus den Rucksäcken. Nach dem Essen lehnte Bill sich zurück und blickte schläfrig in den wolkenlosen Himmel, an dem ein Weißkopfseeadler in großer Höhe seine Kreise zog. Nur das Zirpen der Grillen durchbrach die Stille dieses heißen Mittags. Jake hatte keinen Blick für die Schönheit.
Er hatte die Nase in seine Aufzeichnungen gesteckt – zwischen seinen Augen war eine angestrengte Falte zu sehen. Hin und wieder machte er ein paar Notizen und gab unverständliche Laute von sich. Bill achtete nicht auf ihn, er kannte seinen Freund zu gut. Er schloss die Augen und dachte daran, wie sie sich vor zehn Jahren kennengelernt hatten. Jake war damals noch Student gewesen und hatte in den Semesterferien im Park ausgeholfen. Nach Abschluss seines Studiums hatte er eine Stelle beim YVO, dem Yellowstone Volcano Observatory, bekommen und so waren sie Kollegen geworden.
Da sie beide lieber in der Natur unterwegs waren, als in einem Labor zu hocken, hatten sie meist zusammen die Außendienste gemacht und viel Zeit miteinander verbracht. Obwohl die Überprüfung der einzelnen Messstationen per Hand und zu Fuß inzwischen veraltet war, da die meisten Daten direkt digital an die Forschungseinrichtungen übertragen werden konnten. Da es jedoch hin und wieder zu Ausfällen bei den Übertragungen kam, hatten Jake und er die Verantwortlichen bisher davon überzeugen können, wie wichtig es war, dass auch regelmäßige Untersuchungen vor Ort durchgeführt wurden und das riesige Gebiet von Menschen inspiziert werden musste.
Da es auf diesen Exkursionen hin und wieder zu Unfällen gekommen war, waren sie sicherheitshalber immer zu zweit unterwegs. Die Computer mochten noch so präzise Berechnungen durchführen können, keines dieser Dinger verfügte auch nur ansatzweise über das, was man Intuition nannte. Und Bill wusste nach vielen Berufsjahren, wie wichtig dieses Gespür war. Er war davon überzeugt, dass ein Mensch eine bevorstehende Gefahr deutlich vor allen Messdaten würde erspüren können.
Er spähte zu Jake, der immer noch in die Aufzeichnungen vertieft war. In ihrer Freizeit trafen sie sich selten, da ihre Lebensstile sehr unterschiedlich waren. Aber hin und wieder war Jake bei Bill und seiner Familie zu Gast.
Bill war verheiratet und er und Maggy hatten ein hübsches Haus ganz in der Nähe des Nationalparks und zwei Kinder im Teenageralter. Jake war 15 Jahre jünger als Bill und bevorzugte das ungebundene Leben – obwohl er den Frauen durchaus zugeneigt war und Bill alle paar Wochen von einer neuen Liebschaft berichtete. Trotz dieser Unterschiede gab es, neben ihrer Liebe zur Natur, doch viele Gemeinsamkeiten. Sie waren beide Geologen aus Leidenschaft, beide spezialisiert auf Vulkanologie.
Sie verbrachten ihre Leben damit, zu erforschen, wie die Erde aufgebaut war, was sie zusammenhielt und was sie aus den Fugen geraten ließ. Dies und die gegenseitige Sympathie hatten zwangsläufig mit der Zeit zu einer Freundschaft geführt. Die Arbeit war anspruchsvoll, oft anstrengend, aber nicht geprägt von der andernorts überall präsenten Hektik.
„Hör mal Jake, bist du eigentlich noch mit dieser Funny oder Sunny oder wie hieß sie gleich, zusammen?“ gähnte Bill die Frage in die Stille. Jake antwortet nicht. „Jake?“ Bill blickte geistesabwesend von seinen Notizen auf und glotzte seinen Freund an. „Äh, was? Funny? Äh, ja, nein, ach, ist doch auch egal. Hast du dir schon unsere heutigen Ergebnisse angeschaut?“ „Ja, ich habe sie eben überflogen. Wieso? Es ist heiß und ich habe Mittagspause.“ „Da stimmt etwas nicht“ murmelte Jake eher zu sich selber und wandte sich wieder seinen Aufzeichnungen zu. „Das klären wir später im Institut“ sagte Bill schläfrig, doch Jake schien ihn gar nicht zu hören.
Bill verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte daran, wie auch er in seiner Anfangszeit viele Jahre bei jeder Abweichung der Messwerte hellhörig geworden war und Nächte damit zugebracht hatte, die Ergebnisse auszuwerten.
Immer mit der Befürchtung, dass der riesige Vulkan unter seinen Füßen jeden Moment ausbrechen konnte und mit der Hoffnung, dass er derjenige wäre, der die Zeichen früh genug erkennen und die Menschen davor warnen konnte. Doch die häufigen Abweichungen hatten sich immer wieder normalisiert und mit der Zeit hatte er eine Routine und eine gewisse Gelassenheit entwickelt und sah nicht immer gleich eine drohende Gefahr.
Weit entfernt sah er die Fontaine von „Old Faithfull“, dem bekanntesten Geysir im Park, hoch in die Luft schießen.
Er war ein erfahrener Vulkanologe und kannte den Park wie seine Westentasche. Schon als Kind war er oft mit seinen Eltern hierhergekommen und inzwischen hatte er sein halbes Leben damit zugebracht, diesen schlummernden Vulkan zu überwachen und zu erforschen - und immer noch liebte er seine Arbeit im ältesten Nationalpark der Welt. Er hatte erlebt, wie die Technik immer ausgefeilter geworden war und die Strukturen im Untergrund immer exakter untersucht und durchleuchtet werden konnten. Was aber auch bedeutete, dass es ständig neue Theorien gab, die nicht immer beruhigend waren.
Es hatte sich herausgestellt, dass die unterirdische Magmakammer, die in einer Tiefe von 10 Kilometern schlummerte, weit größer war, als vermutet. Laut Messungen wurde die Größe der Blase auf 46.000 Kubikmeter geschätzt – mehr als genug Zündstoff für eine Katastrophe globalen Ausmaßes. Aber woher stammte die gewaltige Menge Magma in der Kammer?
Bisherige Untersuchungen hatten die Quelle bis in 440 Kilometer Tiefe verortet. Neuerdings gab es jedoch die Vermutung, dass sich ein gewaltiger Schlauch aus teils geschmolzenem Gestein bis zur Kern-Mantel-Grenze in unvorstellbare 2.900 Kilometer Tiefe zog und so die Magmakammer beständig füllte, was natürlich eine ganz andere Hausnummer war.
Diese neuen Erkenntnisse hatten aber auch gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines großen Ausbruchs zur Zeit eher gering war - obwohl der Vulkan in regelmäßigen Abständen von 600.000 Jahren ausbrach und laut den Berechnungen bereits überfällig war. Und immer wieder gab es auch Warnungen, dass ein Ausbruch schneller als erwartet erfolgen könnte. Die Zutaten für einen Ausbruch apokalyptischen Ausmaßes standen jedenfalls unter seinen Füßen bereit. Aber solch ein Ausbruch, davon war Bill überzeugt, würde sich frühzeitig bemerkbar machen - durch vermehrten Gasaustritt, häufigere und stärkere Beben und der Wölbung des Bodens über dem aufsteigenden Magma. Tatsächlich hatten Messungen ergeben, dass der Boden sich in den letzten Jahren im gesamten Gebiet gehoben und in einigen Regionen auch heißer geworden war. Einige Touristenpfade waren sicherheitshalber gesperrt worden. Obwohl alles noch im unbedenklichen Bereich lag. Ebenso wie die zahlreichen kleinen Erdbeben, die in dieser Region an der Tagesordnung waren. Aber wer wusste schon, wie so ein gewaltiger Vulkan, dessen Caldera einen Durchmesser von über 60 km hatte, reagierte. Alles, was sie hatten, waren Messungen und darauf basierende Spekulationen.
Irgendwann, das was sicher, würde die riesige Magmakammer dem enormen Druck aus dem Erdinneren nicht mehr standhalten können. Und wenn es soweit war, würde nichts und niemand die Eruption verhindern können. Dann würde der gesamte Park mit der Wucht von 10.000 Atombomben explodieren und den halben Kontinent auslöschen. Tausende Kubikkilometer Lava würden mit Überschallgeschwindigkeit 50 Kilometer hoch in die Stratosphäre geschleudert. Heiße pyroklastische Ströme würden giftige Gase und riesige Gesteinsbrocken mit sich tragen und jedes Leben in der näheren Umgebung auslöschen. Aschewolken würden das Land im Umkreis von Tausenden Kilometern meterdick bedecken.
Und nicht nur das - letztlich würde die ganze Welt davon betroffen sein. Ein Ascheschleier würde sich wie ein Schild um die gesamte Erde legen, die Sonnenstrahlen reflektieren und einen vulkanischen Winter auslösen. Beim letzten Ausbruch war die Erde ein Jahrzehnt in Dunkelheit versunken.
Ja, irgendwann würde die Katastrophe geschehen und niemand würde etwas dagegen ausrichten können, so viel war jedem Wissenschaftler klar. Doch dieser Zeitpunkt war nicht jetzt. Es konnte in 100 oder auch in 1.000 Jahren passieren – beides war in der Erdgeschichte nur ein Wimpernschlag. Für menschliche Maßstäbe jedoch war das eine lange Zeit und er würde es nicht mehr erleben und seine Kinder auch nicht, dachte Bill.
Er schloss die Augen und hörte in der Ferne das vertraute Zischen eines Geysirs. Überall zischte es dort unten aus Löchern – so als würden unzählige Apfelkuchen gebacken. Wissenschaftlich betrachtet waren die Geysire Resultate der geothermischen Aktivitäten unter dem Park. Es war schon merkwürdig, hier so friedlich auf einer tickenden Zeitbombe zu liegen.
Nach einer Weile streckte er sich, kam auf die Füße und klopfte die Kiefernadeln und den Staub von seiner Kleidung. Jake war noch immer mit den Messdaten beschäftigt, grummelte vor sich hin, und tippte Daten in das tragbare Aufzeichnungsgerät. „Wir müssen langsam los, sonst schaffen wir die Tour bis Sonnenuntergang nicht mehr“ sagte Bill und wuchtete seinen Rucksack auf den Rücken. Jake schüttelte geistesabwesend den Kopf, packte ebenfalls seine Sachen zusammen und sie setzten ihren Weg fort. Während ihrer Wanderung fing Jake immer wieder von den Auffälligkeiten an. Bill hört ihm zu, nickte dann und wann, sagte aber nichts weiter dazu. Irgendwann ging seine Taktik auf und Jake hörte auf, über das Thema zu reden. Schweigend gingen sie nebeneinander her, jeder in seine Gedanken versunken. Jetzt kam der anstrengende, bergige Teil ihrer Route. Vor ihnen lag ein relativ steiler Hügel und mit gleichmäßigen, langsamen Schritten machten sie sich an den Aufstieg.
Natürlich würden sie sich die Messwerte morgen im Labor genau anschauen und auswerten. Zusätzlich wurden alle seismischen Aktivitäten und alle andere Daten im 500 Kilometer entfernten Kontrollzentrum in Salt Lake City engmaschig überwacht. Es gab inzwischen ein seismisches und ein GPS-Netzwerk. 150 Seismometer erfassten jedes kleine Erdbeben, ebenso wie die Seismographen, die auch noch den Untergrund scannten. Bill und Jake standen in ständigem Kontakt mit Jamy, dem dort zuständigen Geologen und dessen Team. Aber Bill war sich sehr sicher, dass Jake nichts Spektakuläres finden würde. Im Laufe seiner vielen Forschungsjahre hatte er erkannt, dass die Unregelmäßigkeiten tatsächlich einem gewissen Zyklus folgten.
Gefährlich wurde es erst, wenn die regelmäßigen Unregelmäßigkeiten Abweichungen aufwiesen. Das hatte er einmal erlebt und diesen Messungen war tatsächlich eine mittelstarke Eruption gefolgt. Allerdings in einem abgelegenen Teil des riesigen Parks, so dass niemand zu Schaden gekommen war. Es ging hier ja auch nicht in erster Linie darum, die kleinen Ausbrüche, die hin und wieder, und die Beben, die ständig vorkamen, zu erkennen – seit den 70-er Jahren hatte die Erde 46.000 Mal gebebt. Es ging letztlich darum, die Gefahr eines großen Ausbruchs von weltweiter Tragweite frühzeitig einschätzen zu können.
Wenn Bill darüber nachdachte, schnürte sich ihm der Magen zu. Er wusste nur zu gut, dass es im Grunde völlig egal war, ob sie diesen Ausbruch vorhersagen konnten oder nicht. Die Menschen in der unmittelbaren Umgebung konnten evakuiert werden – vielleicht. Aber das würde sie auch nicht retten.
Wenn der Vulkan beschließen sollte, dass es an der Zeit war, sich wieder einmal auszukotzen, waren sie alle verloren. Von Nordamerika würde nicht viel übrigbleiben und für die wenigen Menschen, die diese Katastrophe überleben würden, wäre nach ein paar Tagen, bestenfalls nach ein paar Wochen, Schluss. Auch der Rest der Welt würde auf längere Sicht schlecht dabei wegkommen. Es durfte einfach nicht passieren und immer, wenn Bill sich solche Gedanken machte - und das kam in letzter Zeit häufiger vor - betete er zu Gott, an den er eigentlich gar nicht glaubte, dass er und seine Familie verschont bleiben mochten.
Manchmal sprach er in Gedanken sogar zu dem Vulkan und bat ihn darum, noch ein paar tausend Jährchen stillzuhalten.
Schwer atmend erreichten sie den Hügelkamm und ihnen bot sich ein berauschend schöner Ausblick weit über die Landschaft. Bill konnte nicht zählen, wie oft er schon hier oben gestanden hatte, aber dieser Anblick verlor auch nach all den Jahren nichts von seiner Faszination. Sie hielten einen Moment inne und schauten in die Ferne. Bill stellte sich vor, wie all das plötzlich explodieren würde. Er spürte die Erde beben, sah Wasser- und Gasfontänen in die Luft schießen, den Boden aufbrechen und glühendes Magma hervorquellen. Er hörte sogar die Explosionen und sah gewaltige Gesteinsbrocken und mächtige Bäume durch die Luft fliegen. Heiße Lava schoss hoch in den Himmel.
„Dieser Ausblick ist einfach unbezahlbar“ sagte Jake und fügte hinzu „Was siehst du denn dort oben?“ Bill wand den Kopf und erst jetzt bemerkte er, dass er tatsächlich in den Himmel gestarrt hatte. Er sammelte sich kurz und sagte nur „Ach, nichts, ich habe nur nachgedacht“. Was war nur los mit ihm? Er wurde wohl tatsächlich langsam alt und wunderlich. Jake betrachtete ihn skeptisch. „Aha“ sagte er nur.
Als sie am späten Nachmittag die letzte Messstation abgeschlossen hatten - nicht ohne dass Jake sich wieder kopfschüttelnd Notizen gemacht hatte - und sich auf den Heimweg machten, sagte Bill: „Wir grillen übrigens am Wochenende mal wieder mit der ganzen Familie. Hast du Lust, mit deiner Freundin vorbeizukommen?“ „Ja klar, ich habe noch nichts vor. Aber ich habe keine Freundin mehr.“ „Heißt das etwa, du kommst alleine?“ frage Bill skeptisch. „Mmh, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Schauen wir mal“ antwortete Jake mit einem schelmischen Grinsen.
Auch Bill musste grinsen. Er konnte es seinem Kollegen nicht verübeln, dass er häufig wechselnde Freundinnen hatte. Er war jung, gebildet, intelligent, er sah blendend aus und konnte sehr charmant sein.
Sollte er sein Leben leben – er selber hatte in seiner Jugend meist nur sein Studium und später dann die Arbeit im Kopf gehabt. Er hätte viel mehr Abenteuer erleben sollen – mehr Frauen hätte er haben sollen und mehr Mut, auch mal etwas Unvernünftiges zu tun. Er blickte in die Ferne, wo dünne Rauchschwaden zu erkennen waren. Ja, sollte Jake sein Leben leben, wer wusste schon, wie lange er es noch konnte. Bill schüttelte den Kopf über seine merkwürdigen Gedanken. Er wischte das unbehagliche Gefühl weg wie ein lästiges Insekt. „Aber dein Fleisch bringst du selber mit, dass das klar ist!“ sagte er in strengem Ton.
„Aye, aye, Sir“ sagte Jake und salutierte. Die Sonne stand schon tief am Horizont und tauchte die Wälder in sanftes Orange. In der Ferne sah er die vertrauten Umrisse des Observatoriums.
1 Tag vor Beschluss
6 Monate vor Konferenz
8 Monate vor erwartetem Einschlag
David blinzelte und nur langsam formten sich die Schemen vor seinen Augen zu klaren Konturen. Das Licht, obwohl es gedämpft war, war viel zu hell. Wirre Traumbilder hielten ihn noch fest und er hatte Mühe, die Augen offen zu halten - aber ein leiser Piepston, der unnatürlich laut in seinen Ohren klang, verhinderte zuverlässig, dass er wieder einschlief. Benebelt ließ er den Blick durch den Raum schweifen um herauszufinden, aus welcher Richtung das Geräusch kam. Ihm blieb nichts anders übrig, als sich schwerfällig zu erheben, um den penetranten Ton auszuschalten. Als endlich wieder wohltuende Ruhe eingekehrt war, sah er sich um. Er befand sich in einem kleinen Wohnraum. Frische Kleidung lag ordentlich gefaltet auf einem Hocker. Er nahm die Sachen und ging schlafwandlerisch ins Bad.
Der belebende Duft in dem kleinen Raum war eine Wohltat. Als er unter die Dusche trat, ertönte eine freundliche weibliche Stimme: ‚Wassertemperatur, Druck und die beigefügten Zusätze werden ihren anatomischen Daten und ihrer momentanen Konstitution angepasst. Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt. ‘Ok, sehr schön‘, sagte David und ließ das warme Wasser über seinen Körper fließen. Der angenehme Strahl spülte mit jedem Tropfen seine Müdigkeit ein wenig mehr in den Abfluss. Seine Benommenheit ließ nach.
Sie hatten ihn tatsächlich aufgeweckt. Er fragte sich, was passiert sein musste, dass es dazu gekommen war. Er trat aus der Duschkabine und stellte sich unter den warmen Heizstrahl. Während sein Körper trocknete, schaute er zwangsläufig in den Spiegel. Er hatte während des Schlafs Gewicht verloren und sein Gesicht wirkte ein wenig kantig, wie er fand. Und er sah müde aus, kein Wunder.
Seine von Natur aus blasse Haut war noch einige Nuancen heller, wodurch das unspektakuläre Blau seiner Augen viel intensiver erschien als sonst. Er freute sich schon jetzt auf den Besuch des Lichtraumes. Er wuschelte durch seine kurzen, blonden Haare, so dass sie wild in alle Richtungen abstanden. Kein schlechter Look, dachte er amüsiert.
Er war tatsächlich dabei! Er erwartete ein Gefühl der Freude, das sich aber nicht einstellen wollte. Nachdem er trocken war und sich angekleidet hatte, betätigte er einen Sensor auf der Getränkeausgabe und der obligatorische Vitamindrink rutschte aus der Öffnung. Das kühle Getränk in der Hand, schaute er sich weiter um. Er trank einige Schlucke und stellte fest, dass der Geschmack nach wie vor grauenhaft war – wieso das so sein musste, war ihm ein Rätsel. Aber der Drink half schnell. Er fühlte sich wacher und einigermaßen wiederhergestellt. Sie hatten ihn also schon vorbereitet und auf sein Zimmer gebracht.
Im Schrank hingen seine Sachen und auch seine anderen wenigen Habseligkeiten lagen wohl geordnet auf dem Tisch. Er sah auf das Display der Konsole und versuchte, sich zu orientieren.
Da stand das aktuelle Datum, und er wollte schon anfangen zu rechnen, als er bemerkte, dass das gar nicht nötig war – natürlich nicht. Alle wichtigen Informationen wurden übersichtlich angezeigt. Er konnte ablesen, wie lange die Raumstation schon unterwegs war, sah die aktuelle Position und die verbleibende Reisezeit. Überrascht stellte er fest, dass der Zielort schon morgen erreicht werden würde. Unter den Angaben stand der Zeitpunkt, wann er abgeholt werden sollte. Er schaute auf die Uhr und im gleichen Moment ertönte ein leises Summen und zu Davids Überraschung stand Andreas vor der Tür.
Er umarmte David beinahe stürmisch. „Hallo mein Freund. Schön, dich wieder unter den Lebenden zu sehen. Umso schöner, als dass ich kaum damit gerechnet hatte, dich bei diesem Einsatz zu Gesicht zu bekommen. Und? Alles in Ordnung? Du bist ein wenig blass. Wie fühlst du dich?“ David lächelte. „Hallo Andreas. Wirklich schön, dich zu sehen. Ich denke, alles in allem geht es mir wohl ganz gut. Aber ich bin noch ein wenig desorientiert.“ „Na klar, das ist normal und legt sich bald“ sagte Andreas. David betrachtete seinen Freund. „Vor allen Dingen hatte ich nicht erwartet, dass du mich abholen würdest. Eigentlich hatte auch ich nicht damit, gerechnet überhaupt aufzuwachen.“ „Tja, dass nennt man dann wohl Glück. Und dass ich dich abhole auch, denn das ist ja eigentlich gar nicht meine Aufgabe. Aber der junge Mann, dem diese Ehre zugeteilt wurde, war sichtlich erfreut, als ich angeboten habe, es für ihn zu übernehmen.“ David seufzte und sagte „Ich muss zugeben, dass ich tatsächlich erleichtert bin, dich hier zu sehen. Wie schon gesagt, war es ja eigentlich recht unwahrscheinlich, dass ich bei dieser Mission dabei sein würde – jedenfalls nicht in wachem Zustand. Ist etwas passiert?“
„Ach was, deine Chancen standen doch gar nicht so schlecht. Nun ja, ein wenig Glück hast du schon gehabt – was man von Joachim nicht sagen kann“, erwiderte Andreas grinsend. „Wer ist Joachim?“ „Das ist ein junger Kollege – zugegebener Maßen nicht