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Mit Männern seines neuen Freundes Hakon segelt Eric zurück in seine ehemalige Heimat, um seine Frau Hild zu holen. Aber Hild folgt ihm nicht. Wieder zurück in seiner neuen Heimat wird Eric auf die Veränderungen seines Freundes Luag aufmerk- sam. Sind es nur Vorahnungen oder ist es schon Wahnsinn bei Luag? Eric reist zu Donnan, um zu sehen, ob Luags Befürchtungen stimmen – gerade noch zur rechten Zeit. Sie stehen Donnan bei und retten Valis Leben. Und wieder werden sie in einen Krieg gerufen, den sie nicht wollen. "Schwertgesang" ist Band 4 der Reihe: Im Bann des Walknut
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Im Bann des Walknut
Band 4
Schwertgesang
von
Rolf Suter
ELVEA
Autor
Rolf Suter, geboren 1959 in Zürich/Schweiz, hat einen handwerklichen Beruf gewählt, den des Malers. Geschichte im Allgemeinen faszinierte ihn schon seit früherster Jugend, hauptsächlich die Geschichte der Germanenstämme und der Kelten – vor allem die der Nordgermanen, der Wikinger. Ihre Epoche, ihr Glauben und die Runen ziehen ihn noch jetzt in Bann.
Nach vielen Reisen nach Skandinavien und England, Besuchen an den Schauplätzen der Geschichte entstand dieses Werk. Suter kennt jeden der Orte, die er beschreibt, er ist Fachmann für die Mythologie der Wikinger. Alle nachprüfbaren Behauptungen seines Werks stimmen.
Freies Land, gebrochenes Herz
Nach diesem Sieg kehrten wir zurück in unsere gewohnte Umgebung. In unseren Dörfern hatten wir alle Zeit, um Wunden vernarben zu lassen und genug Zeit, um verlorene Freunde zu beklagen. Mir erging es nicht anders. Die Speerspitze, die mich beinahe das Leben gekostet hatte, befestigte ich auf dem höchsten Punkt meines Hochsitzes als Erinnerung. Auch meine Wunde schmerzte noch zu sehr. Sie hinderte mich daran, meinen Freunden zu helfen. Ich wurde verdammt, ihnen nur zuzusehen. Konnte nur Anweisungen geben. Auch dachte ich an den jungen Donnan, der seinen Vater, einen großartigen Mann, tot nach Hause bringen musste und nun an seiner statt dieses schwere Amt tragen musste. Ich war gespannt, wie er es anging. Doch Vali und seine Schwester würden sicher tatkräftig an seiner Seite stehen. Genauso, wie es Hakon mir versprochen hatte.
Nach einer guten Woche wurde sein rotes Segel mit dem schwarzen Eberkopf gesichtet. Es hielt auf uns zu, bog in den Fluss und legte sicher bei uns an. Hakon selbst sprang als Erster aus dem Schiff und rief.
»Wo ist Eric?«
Ich winkte.
»Hier, Hakon. Warte, ich komme zu dir herunter.« Lachend und mit stolzem Blick umarmte er mich, was mich erstaunte.
»Ich bringe dir Skeld und Ingwar, wie versprochen. Mit ihren ganzen Habseligkeiten.« Alle kamen nach unten. Björn und Hugh riefen nach ihnen und begrüßten sie herzlich. Auch ich begrüßte sie.
»Seid willkommen, meine Brüder. Folgt Björn und Hugh. Sie werden euch euer Haus zeigen, wo ihr von nun an schlafen werdet.«
Sie nickten mir lachend zu und ihre Freude über diese Ankunft war ihnen sichtlich anzumerken.
Zu Hakon sagte ich:
»Musst du zurück? Oder hast du noch Zeit?«
Er lachte herzhaft und sagte:
»Meine Schwester ist mit allem hier vertraut und kennt alles und alle. Sie wird mich noch nicht gleich vermissen. Zu ihrem Schutz habe ich ihr genügend Männer zurückgelassen. Von hier aus besteht erst recht keine Gefahr, wie sie mir versicherte.«
Er blickte mich verstohlen an, was ich sofort bemerkte. Ich sah ihn an. Er zuckte fragend mit seinen Schultern und schmunzelte süffisant.
»So manche lustvollen Geräusche meiner Schwester … aus deinem Krankenzimmer.«
Ich schmunzelte zurück mit den Worten.
»Gudrun ist eine besondere Frau. Mit vielen Fähigkeiten ausgestattet, um einen Mann um seinen Verstand zu bringen. Was ich gern zugebe. Aber nicht nur dies.«
Ich blieb stehen und legte Hakon meine Hand auf seine Schulter.
»Sie hat verstanden, mit ihren Untertanen friedvoll und harmonisch zu leben. Sie versteht die anderen und sucht den besten Weg, um ihn mit ihnen zusammen zu gehen. Wir, Nordländer mit den Angelsaxen und diese verfluchte Kirche.«
Er sah mich an und sagte ernst:
»Das habe ich schon bemerkt, Eric. Nach der Schlacht kamen viele zur Burg und fragten nach meiner Schwester und als sie erschien … ich konnte es nicht glauben, Eric. Glaube mir. Sie jubelten ihr zu. Einige. Nein. Alle. Angelsaxen vor allem knieten sich vor ihr nieder. Bekreuzigten sich vor ihr und erflehten ihren Schutz. Männer, auch unter Waffen, hoben ihre Schwerter in die Luft. Riefen ihren Namen. Traten an ihre beiden Seiten und bildeten einen Schildwall. Schlugen ihre Schwerter gegen den Schildrand und riefen wiederum ihren Namen. Danach kamen viele in den großen Saal. Männer aller Glaubensrichtungen. Sie schworen ihren Eid auf sie und auf mich. Da begriff ich, was Gudrun in meiner Verbannung getan hatte, Eric. Sie glauben an uns. Sie glauben und vertrauen meiner Schwester. Dies will ich auf keinen Fall zerstören. Es ist auch mein Wille. Das Land soll neu auferstehen. Auch ich werde alle dulden und versuchen, wie meine Schwester zu regieren und gerechtes Urteil zu sprechen.«
Ich nickte ihm zu.
»Ein guter Weg, den du einschlägst. Er wird zum Erfolg führen. Suche dabei einen Weg mit den Führern Donnan und Luag, den keltischen Herren hier. Biete ihnen Handel und Frieden an. Gesicherte Grenzen und Unterstützung bei Krieg.« Er nickte mir zu.
»Nun komm in unser Dorf und sei ein erfreuter Gast. Lass mich dich und deine Männer verwöhnen … obwohl mir deine Schwester besser gefallen hätte.« Zuerst sah er mich verstört an. Als er begriff, was ich meinte, lachte er.
»Das kann ich verstehen.«
Stolz führte ich ihn durch die entstandene Siedlung, die er wohlwollend bestaunte. Am Abend feierten wir: Hakon als neuen Herrscher im Süden und die Ankunft unser beiden Waffenbrüder Skeld und Ingwar. Hakon verließ uns am folgenden Morgen wieder und segelte zurück zu seiner Schwester und in sein neues Reich.
Es folgten Tage des Friedens und der Ruhe. Normalität kehrte zurück. Nun diskutierten wir wieder über geplante Projekte und nicht über Waffen und Notfallpläne. Auch Ingwar und Skeld hatten sich bestens integriert, als wären sie schon zu Beginn dabei gewesen. Es schien ein schönes Jahr zu werden. Das Wetter war seit Wochen prächtig, die Temperaturen ausgesprochen warm. Seit der Schlacht gegen Jorvik und seine Verbündete herrschte konstanter Frieden. Zwischen unseren verschiedenen Völkern gedieh langsam der Handel, was auch Luag sichtlich gefiel. Besuche wurden gemacht und Geschenke ausgetauscht.
Hakon war unbestritten Gudruns Bruder. Er trug die gleichen Wesenszüge wie sie: kein Hitzkopf, sondern immer weise abwägend. Er ließ sich zu nichts hinreißen. Auch durften alle auf seinem Land leben. Christen wie Heiden. Kirchen durften nicht angetastet werden, ihre Gläubigen auch nicht. Dies sprach sich schnell herum. Immer mehr zogen in den Norden und fragten bei Gudrun und Hakon nach Land. Nordländer, aber auch Christen. Viele fanden einen neuen Lebensort und schworen den beiden Treue.
Diese Tage des Friedens taten allen gut. Natur und Menschen blühten wieder auf. Wie auch Tyrees Bauch, der sich langsam wölbte und Hugh herumstolzieren ließ. Nun fehlte mir nur noch meine geliebte Hild, dann wäre das Glück vollkommen. Hätte ich genug Männer gehabt, wäre ich mit unserem Raben schon losgesegelt, um sie zu holen. So musste ich auf Ragnars Rückkehr warten.
Als ich an einem Spätmorgen aus dem Haus trat, kam Ullas, der Sohn von Ailpein und Edana, von der Küste angerannt und er rief schon von weitem: »Ein Schiff. Es steuert auf uns zu. Kommt und seht.«
Alle rannten an die Küste. Es war schon sehr nahe und man konnte Personen erkennen, die uns zuwinkten.
Björn fragte: »Ist das Ragnars Schiff?«
Ich verneinte und erwiderte: »Nein, das ist es nicht. Dieses grüne Segel kenne ich nur zu gut. Es ist Snorres Wellenbrecher. Aber was macht es hier? Was bedeutet das?«
Hugh meinte lakonisch: »Das werden wir bald wissen.«
So schnell wir konnten, eilten wir zur Anlegestelle und waren gespannt, wer auf dem Schiff war. Wir standen schon am Anleger. Ich hatte recht behalten, es war Snorres Schiff.
»Was macht Hjalti auf diesem Schiff?«, fragte Björn. Wir sahen zu, wie das Schiff in der Flussmündung drehte; mit ein paar Ruderschlägen würde es uns gleich erreicht haben und anlegen. Am Bug erkannte ich Thorgunna, sie winkte. Schnell waren die Taue festgebunden und Landungsplanken gelegt.
Thorgunna war die Erste, die darüber ging.
»Eric«, rief sie, als sie auf mich zu gerannt kam. Wir umarmten uns, sie flüsterte mir ins Ohr: »Wie geht es deiner Wunde? Verheilt sie richtig? Ich werde sie mir später ansehen.«
Erstaunt sah ich sie an und wollte sie schon fragen, woher sie das wusste. Doch sie kam mir zuvor.
»Nicht nur du hast Träume. Ich habe sie auch gespürt und der Schmerz hat mich aus der Trance gerissen. Aber darüber sprechen wir später. Schau, wer noch mitgekommen ist.« Sie zog mich den Landungssteg hinauf.
»Erkennst du sie noch?«, fragte sie mich und sah mich an. Gespannt schaute ich auf die Neuankömmlinge. Schnell erkannte ich Swanhild und Sten Argeiers Freie. Swanhild hielt ihre Tochter in ihrem Arm und ihr dicker Bauch verriet alles. Sie trug ein Kind. Es folgten ein junger Mann und eine junge Frau. Ich erkannte sie auf Anhieb nicht, Thorgunna klärte mich auf.
»Ketils und Rudas Kinder, Harald und Ira.« Ich begrüßte sie alle, als hätte ich sie erst vor Kurzem verlassen. Es folgte Asnys Mann Jasper. Er strahlte mich an. Dann Ulfar Egilson. Geiri war der Nächste und am Schluss Hjalti, Ragnars Bruder.
»Sei gegrüßt, Eric. Den Met, den du wolltest, habe ich auf dem Schiff.« Ich hielt ihn am Arm fest.
»Du auf Snorres Schiff? Was soll ich davon halten?«
Er sah mich an.
»Ja. Lass uns zuerst die Ladung löschen. Ich werde dir alles später lückenlos erzählen.« Ich nickte ihm zu. Ich sah mich abermals um. Wo war Hild? Ich suchte sie vergebens. Thorgunna wusste dies und trat zu mir.
»Was ist geschehen und wo ist Hild? Wollte sie nicht mit?«
Sie sah mich an.
»Hjalti wird dir alles erzählen. Aber ohne ihn wären wir nicht hier.« Sie fasste meine Hände.
»Sie sagte mir kurz vor der Abreise wörtlich: ›Wenn er mich noch will, kommt Eric persönlich und holt mich‹.« Enttäuscht wollte ich mich abwenden, doch sie hielt mich zurück.
»Verstehe sie! Kaum wusste sie, dass sie deine Frau würde, kam die Entführung. Sie musste zusehen, wie Freunde starben und der Hof abgebrannt wurde. Sie wusste nicht, was mit ihren Eltern geschah. Dann die Schändung, Verstümmelung, ihre Narbe. Dies alles ist nicht leicht für eine so junge hübsche Frau.«
Sie sah mich an.
»Wenn dir an ihr noch was liegt, hole sie dir zurück. Reise in dein Dorf zurück und sieh, was sich alles verändert hat.«
Thorgunna ließ meine Hände los und folgte den anderen. Ohne Antworten blieb ich stehen. Ich folgte erst etwas später. Viele Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Als ich eintraf, herrschte freudiges Treiben. Schlafplätze wurden geschaffen und ein Festmahl vorbereitet. Erst im Laufe des Abends hatte ich Gelegenheit, mit Thorgunna zu reden. Ich wollte, dass sie mir alles erzählte. Sie zog mich in eine Ecke, wo uns nicht gleich alle sahen und reden hörten. Ohne Scheu setzte sie sich auf meinen Schoß. Sie fuhr mit einer Hand durch mein Haar. Dann begann sie zu erzählen.
»Seit du mit Einar und seinen Männern fortgingst, hat sich viel getan. Im ersten Jahr starben viele Tiere. Ohne Grund. Wir wussten alle nicht, warum. Die Ernte fiel schlecht aus und die Fische waren selten geworden. Dann kam der Winter. Schneereich, und hart.«
Sie sah mich an.
»Dein Großvater Ronet verstarb kurz nach deiner Abreise. Etwas später verließ uns auch Ingiborg, deine Großmutter. Ihnen folgte Argeier, der beim Holzfällen verunglückte. Doch es kam noch schlimmer. Es schneite ununterbrochen, und dem Schnee folgte eine Kälte, die ich noch nie erlebt hatte. Sie forderte Ruda, Ketils Frau, und aus Mangel an Lebensmittel starb Sif, die Tochter deines Onkels. Gunnvor, Hilds Mutter, konnte den Verlust ihres Mannes nicht verkraften und starb, etwas später deine Eltern auch. Es war ein schlimmes Jahr. Ein Jahr voller Entbehrungen und Schmerzen.«
Diese Nachricht traf mich zutiefst und tat mehr weh als der Speer, der mich getroffen hatte.
»Vater und Mutter. Ich kann ihnen nie mehr in die Augen schauen und erzählen, was ich erschaffen habe.« Tiefe Traurigkeit befiel mich. Doch Thorgunna tröstete mich und fuhr mir mit ihren warmen weichen Händen übers Gesicht und sagte: »Ich soll dir Grüße von Astrid und Ragnar ausrichten. Sie sind alt geworden, und Ketil hofft, dass seine Kinder bei dir eine bessere Zukunft haben.« Ich nickte ihr zu. Sie fasste mein Gesicht zwischen ihre Hände.
»Eric, nimm meinen Rat an. Suche dir eine Mannschaft und segle zurück. Hol dir Hild! Ihr Herz ruft nach dir.«
Wortlos sahen wir uns an.
Dann fragte ich sie. »Was weißt du über Ragnar?«
Sie beugte sich zu mir.
»Ragnar? Ich habe kein gutes Gefühl bei ihm.«
Thorgunna wandte sich mir zu, als wollte sie meine Brustnarbe begutachten. Dann flüsterte sie weiter.
»Er gefällt mir nicht. Er ist nicht wie sein Bruder Hjalti. Der ist aufrichtig und steht zu seinem Wort. Ragnar kam nie in den Hain, um zu opfern, und eines Tages sah ich ein silbernes Kreuz an seinem Hals hängen. Er versuchte, es zu verbergen, aber ich hatte es gesehen. In diesem Jahr besuchte er uns schon sehr früh. Wir dachten, es wäre so weit und er würde uns abholen und zu dir bringen. Aber er entzog sich uns und wollte uns glaubhaft machen, er müsse zuerst noch was erledigen. Sogar sein Bruder sah ihn erstaunt und misstrauisch an. Hjalti glaubte ihm nicht, das konnte ich sehen, Jasper, Ulfar und Geiri auch nicht. Sie sahen sich unentwegt an. So entluden sie die vier großen Fässer bei uns und segelten wieder fort. Was sie aber machten, weiß ich nicht, Eric.«
Während ich mein Hemd schloss, dankte ich ihr und wir begaben uns wieder zu der Festgemeinschaft. Ich ließ den Met noch bei allen wirken. Erst später setzte ich mich zu Hjalti.
»Wo ist dein Bruder Ragnar. Haben ihn wichtige Geschäfte aufgehalten, dass ihr mit Snorres Wellenbrecher gekommen seid?«
Gespannt und mit freundlichem, schmunzelnden Gesicht wartete ich auf seine Antwort. Geiri der meine Frage mitangehört hatte, sah Hjalti verstohlen an. Der hingegen murkste herum. Er suchte nach den richtigen Worten. Ich sah beide mit zusammengekniffenem Auge an, aber immer noch freundlich. Geiri wollte etwas sagen, doch Hjalti hielt ihn zurück.
»Ich habe mit dieser Frage gerechnet, Eric. Ich werde dir erzählen, wie alles gekommen war.« Er nahm einen tiefen Schluck.
»Ich weiß nicht, was mit meinem Bruder geschehen ist. Er ist wie verwandelt.« Kopfschüttelnd drehte er seinen Becher auf dem Tisch und atmet tief durch. Mein Blick bewog ihn, weiter zu erzählen.
»Wir segelten von hier ab und das Wetter war günstig. So erreichten wir den Herbstmarkt in Kaupang zur rechten Zeit. Die Geschäfte liefen prächtig. Der Geldbeutel füllte sich sehr gut. Da machte mein Bruder Bekanntschaft mit einem Kuttenträger. Einem Kirchenmann. Ich sah ihn häufig mit ihm zusammensitzen. Er erzählte ihm von seinem Gott und wie gnädig und gütig er sei. Er nahm Ragnar richtig in Beschlag. Jeden Tag erschien er bei uns. Manchmal verließ er uns mit meinem Bruder. Wohin sie gingen, das weiß ich nicht. Das Einzige, was ich weiß … Ragnar veränderte sich von Tag zu Tag. Sein Wesen und seine Denkart. Eines Tages kam er zurück. Er hatte Thors Hammer abgelegt und trug nun ein kleines Kreuz um den Hals. Er erzählte uns stolz, dass er sich hat taufen lassen. Ragnar begann auf einmal von diesem Gott zu erzählen und versuchte, uns auch auf seine Seite zu ziehen. Wir besuchten deine Familie, dann segelten wir zu uns. Bis wir ankamen, hatte er die halbe Mannschaft bekehrt. Doch in unserer Siedlung gab es noch keinen Priester. Im Frühjahr – der Schnee begann erst zu schmelzen – richtete er schon sein Schiff. Er drängte von Tag zu Tag zur Abreise. Wir segelten warum auch immer viel zu früh. Unser Kurs war südwärts. Ich bestand darauf, bei deiner Familie vorbeizusehen, was ihm gar nicht gefiel. Kaum waren wir dort, drängte er zur Weiterfahrt. Es zog ihn wieder nach Kaupang. Doch dort suchte er seinen Priester vergebens. Er war angeblich nicht mehr hier. Aber einige Einwohner erzählten uns, dass er etwas südwärts eine Hütte gebaut hatte. Ragnar wollte zu ihm, mit allen, die auch wollten. Wir blieben in Kaupang. So zogen sie los und kamen getauft zurück. Es kam zum Eklat und wir überwarfen uns. Er suchte für uns Ersatz und segelte ohne Worte fort. Wir vier mussten einen Händler suchen, der nordwärts fuhr und uns mitnahm. Er brachte uns zu deiner Familie. Snorre gab uns sein Schiff, damit wir zu euch segeln konnten. Am liebsten hätte er sein Schiff selbst gesteuert, aber er ist zu alt. Und es fehlt ihm die Kraft.«
Geiri bestätigte Hjaltis Geschichte.
Da stand ich auf und fragte alle Anwesenden im Raum: »Wer will mit mir in meine alte Heimat segeln und noch die abholen, die zu uns ziehen wollen?«
Hjalti stand auf und rief mit lauter Stimme: »Ich werde mit dir kommen. So kann ich Snorres Schiff zurücksteuern.«
Ulfar und Geiri standen ebenfalls auf und bekundeten so ihre Teilnahme. Alle drei sahen mit fragendem Blick auf Jasper hinunter, der dann, sicher innerlich verfluchend, doch einwilligte. Sein verzweifeltes Gesicht sprach Bände. Kaum hatte er seine Asny in den Armen gehalten, als er sie auch schon wieder verlassen musste.
Hjalti fragte mich: »Willst du mit einem Schiff zurück?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich werde mit unserem Raben segeln. Halfdan, Björn und Skefill segeln auf meinem Schiff.«
»Und von wo willst du den Rest der Mannschaft bekommen?«, fragte Hugh.
»Ich mache mich morgen zu Hakon auf und bitte ihn, mir zehn oder zwölf Männer zu geben.« Hugh brummte etwas vor sich hin. Ich wusste genau, was er dachte.
»Du bleibst bei deiner Tyree und passt auf sie auf. Du und Ole bestimmt in meiner Abwesenheit über das Dorf.«
Am folgenden Tag machte ich mich Richtung Bebanburg auf. Ich genoss den Weg. Ich sah Vieh, das friedlich auf den Weiden graste. Vereinzelt kamen mir Händler entgegen, die freundlich nickten, als sie mich passierten. Wie schön Frieden war!
Als ich die Burg betrat und ich mich nach Gudrun und Hakon erkundigte, wiesen mir alle den Weg zur Halle, wo ich sie auch beim Urteilefällen antraf. Ich wartete etwas abseits und hörte ihnen zu. Später begrüßten wir uns und setzten uns an einen Tisch. Ich erzählte ihnen von Ragnar und seinem Sinneswandel, um dann meine Bitte zu stellen.
»Ich habe vor, in mein Heimatdorf zu segeln. Aber mir fehlen mindestens zehn Männer und ein Steuermann, da ich noch nicht genug Kraft habe, um das Steuer selbst zu halten. Wenn ihr mir diesen Wunsch erfüllen würdet, kann ich beide Boote besetzen.«
Gudrun mischte sich nicht ein, da es sich um die Männer ihres Bruders handelte.
»Was zieht dich zurück in deine alte Heimat, Eric?«, wollte er von mir wissen.
»Meine Frau. Zu lange hat sie auf mich warten müssen und wenn sie noch will, nehme ich sie mit.« Hakon nickte, als ihn die Stimme Bodos umdrehen ließ.
»Von eurem Eisland träume ich schon lange. Gern würde ich es sehen und kennenlernen. Ich würde mich als erster Freiwilliger melden.« Gudrun sah ihn verwundert an.
»Das wäre dein Traum, Bodo?«, fragte sie ihn. Bodo nickte.
Da beschloss Hakon: »Dann wirst du einer von ihnen sein.« Ich blickte zu Bodo.
»Warst du schon einmal auf einem Schiff?« Er verneinte. Hakon lachte amüsiert.
»Dann wird es ein echtes Abenteuer für dich werden.« Er wandte sich wieder mir zu.
»Einen Steuermann habe ich und die restlichen Männer lassen sich finden. Wann willst du segeln?«
»Spätestens in einer Woche. Ich will vor dem Herbst wieder hier sein.« Hakon nickte erneut.
»Gut, Eric. Bodo wird die Männer zu dir bringen.«
Der Tag war schon fortgeschritten und ich entschied, auf Wunsch beider hier zu übernachten. Met wurde aufgetischt. Fleisch und Fisch serviert. Später stand ich auf der Burgmauer und sah aufs Meer. Wie lange war es her, dass ich dort draußen war? Das Geräusch der Wellen gehört hatte, die an die Planken klatschten und wie der Wind mit dem Segel spielte. Gudrun riss mich aus meiner Träumerei. Sie legte mir ihre Hand auf den Rücken.
»Störe ich dich?« Ich drehte mich zu ihr.
»Nein. Leiste mir Gesellschaft. Ich war mit meinen Gedanken auf See.«
»Ich kenne keinen Mann, der das Meer nicht vermisst. Mir bedeutet es nicht so viel, obwohl ich auf das Geräusch der Wellen nicht verzichten könnte.«
So standen wir gemeinsam an der Mauer und sahen zu, wie Skinfaxi seinen Sonnenwagen im Meer versinken ließ und seinem Bruder Hrimfaxi Platz machte, der den Mond zog. Wir genossen die Nacht und das Bett. Am Tag darauf begab ich mich zurück. Thorgunna sah mich kommen und eilte mir freudig entgegen. Ihre blauen Augen sahen mich an und musterten mich. Ich sah sie fragend an.
»Was ist? Bedrückt dich was, Thorgunna?« Sie kam näher und beschnupperte mich.
»Ich rieche sie.«
»Wen?«, fragte ich. Sie gab mir einen Stoß.
»Tu nicht so. Du weißt, was ich meine. Du trägst noch ihren Duft an dir. Wie sieht sie aus?«
Ich nahm sie in meine Arme.
»Sie ist eine starke Frau wie du. Du wirst sie kennenlernen, das verspreche ich dir.« Mit dieser Antwort begnügte sie sich fürs Erste nicht. Blickte mich nur an. Ich spürte Eifersucht bei ihr. Sie legte ihre Hand auf meine Brust.
»Drei Frauen, die dich begehren und wollen, und nur eine die dich besitzen kann.« Ihre Hand fuhr zu meinem Gesicht. Sie sah mich an und wortlos verließ sie mich.
Die Tage vergingen und ich wartete auf Bodo und die Männer. Wir brachten unseren Raben ins Wasser und legten die Ballaststeine in die richtige Position, sodass das Schiff gerade im Wasser lag. Alles war bereit. Takelage und Segel warteten auf ihren Einsatz. So lagen Snorres Wellenbrecher und unser Rabe nebeneinander am Anleger. Alles war bereit, nur Bodo und Hakons Männer fehlten. Doch das Warten hatte ein Ende. Unsere neue Mannschaft stand auf der anderen Flussseite. Wir holten sie zu uns hinüber. Bodo stellte mir meinen Steuermann vor.
»Es ist mir eine Ehre, dein Schiff zu steuern Eric. Mein Name ist Balki.« Er sah sich beide Schiffe an.
»Dein Schiff ist sicher das mit dem großen Rabenkopf?«
Ich nickte.
»Habe ich mir gedacht.« Er zeigte auf Gloi, der auf meiner Schulter thronte.
»Ein schönes Schiff. Ich werde es gut behandeln.« Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter.
»Daran zweifle ich nicht, Balki.«
Am Abend teilte ich die Männer auf ihre Schiffe ein und am folgenden Morgen lösten wir die Halteseile der Schiffe. Zuerst legte Hjalti ab und kurz darauf wir. Leicht versetzt zueinander näherten wir uns dem Meer. Die Segel wurden gehisst und so stachen unsere Schiffe in die Weite der See.
Wie hatte ich es vermisst! Das Schaukeln, das Steigen des Schiffes mit den Wellen, um dann ins nächste Wellental zu fallen. Das war mir nun bewusst. Gloi flog uns voraus und wies uns den Weg.
Wir hatten Glück. Der Wind sorgte für volle Segel und trieb unsere Schiffe schnell ihrem Ziel entgegen. Wie viele Tage vergangen waren? Ich wusste es nicht. Eines Tages kehrte Gloi krächzend zurück. Flog dicht über uns hinweg.
»Er sagt, Land vor uns Balki.« Er hingegen sah mich nur an. Da rief auch schon Thorfinn vom Mast herunter:
»Land in Sicht.«
Ich stand neben Balki. Gespannt sahen wir auf die näherkommende Küste. Sie war steinig und die Vögel, die hier nisteten, sie erinnerten mich an meine Kindheit. Gloi flog an ihr entlang und wir folgten ihm. Mir kam noch nichts bekannt vor. Keine Landmarkierung, keine Felsformation. Hatte ich alles schon vergessen? Als mich Balki fragte.
»Bist du sicher, dass uns dein Vogel richtig führt?«
»Ja, Balki. Du brauchst dich nicht zu sorgen.« Wir folgten der Küste. Da kam meine Erinnerung zurück. Ich zeigte Balki eine Felsformation vor uns.
»Wir müssen nach dieser Landmarke in den Fjord einbiegen.«
So war es auch. Gloi flog ohne zu zögern hinein und weiter. Hjalti winkte freudig, was mir die Bestätigung gab. Altbekannte Landschaften zogen an mir vorbei. Argeiers Hof wurde, wie es schien, neu bewirtschaftet. Leute sahen uns gespannt zu, wie wir vorbeisegelten.
Zu Balki sagte ich: »Es dauert nicht mehr lange und wir haben unser Ziel erreicht. Du wirst sehen.« Er lachte, seinen Blick aber nach vorn gerichtet.
»Ich lasse mich überraschen, Eric.« Wie ich es ihm versprochen hatte, erblickten wir kurze Zeit später die Anlegestelle und sahen die ersten Häuser. Leute standen am Anleger und winkten uns zu. Olaf sah ich ganz vorne; sein lachendes Gesicht erkannte ich von Weitem. Er stand neben Snorre. Björn rief ihm wohlgemeinte Schandwörter entgegen. Olaf nahm es nicht krumm und fasste das zugeworfene Seil und zurrte es an einer Bohle fest. Er streckte seinem Freund seinen Arm entgegen und zog ihn aus dem Schiff. Freudig umarmten sie sich.
»Eine Weile her, mein Freund«, begrüßte ihn Olaf. Ulf, mein Bruder rief mich schon von Weitem und kam mit offenen Armen auf mich zu.
»Lass dich ansehen, Eric. Wir haben schon viel von dir gehört. Hjalti hat uns einiges erzählt. Du seist ein Schlachtenführer und herrschst über dein eigenes Land?«
Ich besänftigte ihn.
»Später, Bruder, am Abend werde ich dir alles erzählen. Sag mir, wo finde ich Hild? Sie scheint nicht hier zu sein?« Er nickte verständnisvoll und zog mich mit.
»Ich führe dich zu ihr. Sie erwartet dich schon.«
Ich blieb stehen.
»Will sie mich überhaupt sehen?« Ulf nickte und ging weiter, blieb aber nach einigen Schritten stehen.
»Doch eines musst du wissen. Seit dem Tod ihrer Eltern ist sie hart geworden. Einige meinen, sie sei nun noch kälter als vorher.«
Ulf blickte mich an und zuckte mit seinen Schultern und ging weiter. Er führte mich ins Haupthaus. Hild saß in einer Nische weiter hinten an ihrem Webstuhl, der nur spärlich vom Langfeuer beleuchtet wurde. Mit schnellem Schritt ging ich auf sie zu.
»Hild, ich bin zurück.« Ich wollte gleich um den Webstuhl, doch sie kam mir zuvor und stand auf.
»Wegen der freudigen Rufe habe ich mir gedacht, dass es sich um einen besonderen Besuch handeln muss.« Ich hielt sie an ihren Schultern und wollte sie in meine Arme nehmen, doch Hild entzog sich mir.
»Ist Gloi noch bei dir?«, fragte sie ausweichend.
»Ja. Komm nach draußen und begrüße ihn. Du weißt, er liebt keine Häuser. Lass uns nach draußen, in die Sonne! Genieß den warmen Tag bei einem Spaziergang mit uns.«
So traten wir zusammen in den Sonnenschein. Gloi flog auf uns zu und setzte sich auf meinen Arm. Er freute sich, Hild wiederzusehen, krächzte und schlug wild mit seinen Flügeln. Er ließ sich genüsslich von ihr streicheln. Später setzte er sich wie gewohnt auf meine Schulter und so machten wir uns auf. Unser Weg führte uns durch das fast menschenleere Dorf, da die meisten noch am Anleger standen.
»Es sieht noch immer gleich aus. Wie in meiner Erinnerung.« Wir folgten dem Pfad, der aus dem Dorf führte. Am Viehstall vorbei, Richtung obere Weide. Dabei fielen mir an der Holzwand die tiefen Rillen wieder auf. Ich blieb kurz stehen. Ich konnte mich noch gut daran zurückerinnern, als Hugh sie zog. Ich eilte Hild nach. Wir erreichten die Krete, an der ich viele Male gesessen hatte. Ich legte meinen Arm um Hilds Hüfte, während wir hinunterschauten.
»Solch einen Anblick bietet sich dir in meinem neuen Zuhause nicht, Liebste.« Hild sah mich nur wortlos an. So zog sie mich auch weiter. Wir streiften durch den Wald. Ich kannte den Weg und wo sie hinwollte. Aber die Stille zwischen uns machte mich fast wahnsinnig.
»Wieso bist du so schweigsam, Hild? Freut es dich nicht, dass ich zurückgekehrt bin?« Sie blieb stehen, schaute mich an, dann küsste sie mich. Sie fuhr fein und gefühlvoll mit ihrer Hand über meine Wange.
»Mein Gemahl ist zu mir gekommen. Komm, lass uns zum heiligen Weiher gehen.« Ich folgte ihr willig. Als wir ihn erreicht hatten und uns an den Stamm der großen Esche lehnten, fasste sie meine Hand. Ich schloss mein Auge und genoss diese Stimmung.
»Dann willst du mich noch immer als deine Frau, egal, wie ich aussehe?«
Erstaunt sah ich sie an.
»Trotz allem. Schändung, Verstümmelung. Du willst mich noch immer als Frau? Und du willst mein Aussehen allen erklären, obwohl du mit Leichtigkeit eine bezaubernde schöne Frau bekommen könntest?«
Ich sah sie ernst an.
»Sonst wäre ich nicht zu dir zurückgekehrt. Ich will dich an meiner Seite wissen. Nichts anderes, und es interessiert mich nicht, was andere von dir sagen oder erzählen. Nur du zählst für mich. Ich war enttäuscht, als ich dich nicht an Bord gesehen habe. Erst Thorgunna hat mir dann deine Worte mitgeteilt.«
Hild zog ihre weite Kapuze zurück. Sie zeigte mir ihr zweigeteiltes Gesicht. Das liebliche mit ihren feinen Zügen und das andere mit ihrer breiten schwulstigen Narbe, die sie verunstaltete. Schnell versuchte sie, ihre Narbe mit ihren langen blonden Haaren zu verdecken. Sie sah mich an. Ihr süßes Lächeln wie damals, als sie auf mich zukam. Als alles noch in Ordnung war. Hild löste beide Fibeln an ihrem Oberkleid, um dann aus dem Unterkleid zu schlüpfen. Sie stand nackt vor mir.
»Ich will dich, Eric. Wie schon immer, und du glaubst mir nicht, wie viele Nächte ich mich nach dir gesehnt hatte.« Sie half mir aus den Kleidern und wir liebten uns auf dem Blättermeer. Später legte sie ihren Kopf auf meine Brust und fuhr mit ihrer Hand über meine Narben.
»Deine Narben tun mir weh, mein Liebster.«
Ich verneinte.
»Jede einzelne erinnert mich daran, auf der richtigen Seite zu stehen und jede hat eine Geschichte.«
Hild setzte sich auf.
»Stimmt das, was uns Hjalti erzählt hat? Du hast es geschafft, einen Platz gefunden und deinen Hof gebaut? In dem Land, das auf der anderen Seite des Meeres liegt. Das Land, aus dem Hugh stammt?«
Ich nickte.
»Nicht nur einen Hof, meine geliebte Hild. Bei uns entsteht ein Dorf. Die Siedlung wächst immer mehr. Wir leben mit den ansässigen Kelten in Frieden zusammen. Häuser werden gebaut. Das Vieh grast auf großen Weiden, die wir erwirtschaftet haben, Hild. Kühe, Rinder, Schweine. Hühner rennen herum. Wir ernten Korn für Brot und Met und für die nächste Aussaat. Luag, wie ihr Stammesfürst heißt, unser Freund … er lebt mit seinem Clan an der Grenze zum Danelag. Er nahm uns auf. Wir lebten zu Beginn in seinem Dorf und waren geduldet. Später kämpften wir Seite an Seite, was uns großen Respekt einbrachte. Als der Sieg unser war, keine Feinde mehr lebten, wurden wir mit einem Stück Land belohnt. Ein großes noch dazu. Genug Platz für viele Familien. Auf diesem Stück Land bauten wir unser eigenes Dorf. Es liegt an der Küste und niemand muss auf den Gesang der Seevögel und die salzige Luft verzichten. Unser Hafen liegt an einem Fluss, der weit ins Landesinnere reicht und zugleich die Grenze zum Danelag bildet. Bei uns leben auch Pikten oder Kelten, wie einige sie nennen. Es drohen keine Kriege mehr und Frieden herrscht. Freundschaften haben sich geschlossen und das Land gedeiht.« Ich setzte mich auch auf und fuhr ihr mit der Hand übers Gesicht.
»Doch das alles wirst du selbst bald sehen, Hild.« Sie kuschelte sich an mich und seufzte.
»Was du mir erzählst, klingt wie aus einem Märchen.«
Wir blieben noch lange sitzen, erst als die Sonne an Leuchtkraft verlor, machten wir uns auf. Wir winkten von der Weide Ulf und Hallveig zu, sie waren auf dem Weg ins Haupthaus. Sie blieben stehen und erwarteten uns. Zusammen traten wir ein. Mein Onkel Orm und Siegried saßen auf dem Hochsitz und Orm, der Bruder meines Vaters, wies Hild und mir Platz am langen Tisch zu. So setzten wir uns neben Ulf und seiner Frau. Neben mir saß schon meine Schwester Fenya. Sie war zu einem stattlichen jungen Mädchen herangewachsen. Ich umarmte sie freudig.
»Ich hatte nie gedacht, was für eine Schönheit meine Schwester geworden ist. Ich hätte dich nur schwer erkannt.«
»Da siehst du es. Aber ich hätte dich noch nach Jahren sofort wiedererkannt, Eric. Frauen vergessen einen schönen Mann nicht so schnell. Habe ich nicht recht, Hild?«
Hild stimmte ihr zu. Auf der anderen Seite des Tisches hatten sich Wulf und Frau Sieglinde niedergelassen, auf ihrem Schoss der kleine Arnulf. Er kam zur Welt, als ich mit Hild aus dem Frankenland zurückkam. Zwischen ihnen lag die kleine Eiri in Tücher gewickelt. Weiter unten sah ich Björn und Halfdan neben Olaf sitzen. Skefill diskutierte intensiv mit Ketil und schien sich sichtlich wohlzufühlen. Der Rest meiner Mannschaft saß wild durcheinandergewürfelt am langen Tisch. Wie viele Male ich meine Abenteuer und Schlachten erzählen musste … ich hatte aufgehört zu zählen.
Hild erzählte mir am anderen Morgen, je mehr Met ich getrunken hatte, umso wilder wurden die Geschichten. Ich sah sie nur skeptisch an und meinte, während ich über meinen Schnurrbart fuhr:
»Das habe ich aber etwas anders in Erinnerung. Ich hatte das Gefühl, dass du zwei, drei Becher zu viel hattest.«
Weit aufgerissene Augen sahen mich an, sie gab mir einen Stoß. Ich musste innerlich schmunzeln. Sie gefiel mir ungemein, wenn sie sich so aufgeregt hatte.
Mit Ulf ging ich später zu den drei Grabhügeln, in denen meine Großeltern, Eltern und Schwiegereltern lagen. Ruda, Ketils Frau und Orms Tochter Sif ruhten in Gräbern, die, mit Steinen umrandet, ein Schiff darstellten.
»Sie liegen zusammen in ihren Gräbern, wie sie auch zusammengelebt hatten. Darum haben wir alle beschlossen, Ruda und Sif nicht abseits zu legen.«
»Da stimme ich zu, Bruder. Sie gehören auch im Tod zusammen.« Wie gern hätte ich sie noch lebend gesehen und gesprochen. Ihnen alles erzählt, was ich erlebt hatte. Nun blieb mir nur noch vor ihren Gräbern zu stehen und zu hoffen, dass sie mich von Walhalla aus sehen konnten.
Ulf ging seiner Arbeit nach und gab mir Zeit, um den verwitweten Ketil zu besuchen. Ich traf ihn in seiner Schmiede an, während er angeregt mit Skefill über das Jagen und Bogenschießen plauderte. Ich hörte ihnen zu und ermunterte den Jungen, genau aufzupassen und seinen Rat anzunehmen, was Skefill mit erfreutem Nicken quittierte. Ketil hielt mich mit seinen kräftigen, schwieligen Händen an den Schultern und sagte etwas wehmütig: »Ich hoffe, dass meine beiden Kinder bei dir mehr Zukunft haben als hier. Wir werden hier sterben und für mich bestehen an diesem Ort keine goldigen Aussichten mehr.« Ketil tat mir leid.
»Komm mit uns zurück. Auch in deinem Alter gibt es bei uns noch genug Arbeiten, die du erledigen kannst. Vergiss dabei dein Wissen und Erfahrung nicht.« Er nickte nur.
»Ich bleibe bei meinen Freunden hier, Eric. Die neue Welt ist für junge tapfere Männer und Frauen gemacht.«
Er zeigte auf Skefill.
»Er ist einer davon wie du. Aber ich versuche, ihm noch so viel wie möglich beizubringen. Das verspreche ich dir.«
Ragnar und Astrid erwarteten mich schon. Beide freuten sich, ihren Ziehsohn wieder in ihre Arme zunehmen. Astrid sah sich sofort meine Brust an und untersuchte meine Narbe. Ragnar bestaunte sie und lachte erfreut darüber.
»Sieh, Weib, wir können stolz auf unseren Ziehsohn sein. Jung, kräftige Muskeln und erfolgreich.«
Sie sah ihn nur stumm an, gab ihm aber keine Antwort.
»Es ist alles gut verheilt, Eric. Du musst dich noch etwas schonen, aber du weißt, ohne fremde Hilfe hätte es deinen Tod bedeutet.« Ich nickte.
»Ja. Ohne Einars Hilfe wäre ich nicht mehr hier.« Ich zog mein Hemd zu und schaute in ihre warmherzigen Augen.
Sie gab mir eine sanfte Ohrfeige.
»Geh nun mit meinem Brummbären zu Snorre, er ist schon lange auf dich gespannt.« Ragnar stand schnell auf, fasste seine Gehhilfe, die ich für ihn geschnitzt hatte.
»Gut, mein Junge. Los gehen wir.« Er verließ das Haus. Astrid und ich sahen ihm erstaunt nach.
»Geh ihm schnell nach und sieh zu, dass er nicht wieder umfällt.« Verwirrt sah ich sie an.
»Er ist alt geworden, Eric, aber er will es nicht zugeben. Auch seine wilde Kraft versiegt.«
So eilte ich ihm nach und rief.
»Warte, Ragnar, ich komme schon.« Er lachte nur und eilte weiter. Ich hatte ihn erreicht, als er stolperte. Ich konnte ihn gerade noch halten.
»Nicht so schnell. Wir sind nicht auf der Flucht mein Freund.« Verlegen versuchte er zu schmunzeln.
»Nimm es ruhiger, Ragnar. Ich bleibe noch und du brauchst mir nichts zu beweisen. Für mich bist du und bleibst du ein Vorbild.«
Er sah mich mit seinen müden Augen an und nickte stumm. Sol, die Tochter von Snorre und Luna, sah uns kommen und rannte auf uns zu. Sie war ungefähr so alt wie meine Schwester, neun oder zehn Jahre. Sie sprang auf mich zu. Wie schön sie war! Sie glich ihrer Mutter ungemein.
»Eric. Eric«, rief sie schon von Weitem. Ich hob sie hoch und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sol zog mich stürmisch in Richtung ihrer Eltern, die schon vor dem Haus standen und uns erwarteten. Wir traten ein und setzten uns an ihren Tisch. Snorre sah mich an.
»Du brauchst meinen Wellenbrecher mehr als wir. Nimm ihn mit zurück. Ich bin zu alt, um noch die Meere zu überqueren.« Er trank seinen Becher schnell aus.
»In deine Hände geb ich ihn gern. Auch dein Rabe scheint mir ein gutes Schiff zu sein. Ich muss zugeben, ich habe es mir genau angesehen.« Ich musste lachen.
»Wollen wir morgen etwas segeln? Und du am Steuer?«, fragte ich.
Aber er war sich noch nicht sicher. Wir saßen lange zusammen und erzählten uns Geschichten aus der Vergangenheit und ich aus meinem neuen Zuhause.
Da trat Ulf ein.
»Ich soll dir ausrichten, Hild erwartet dich an eurem Ort.«
»Dann nimm für mich meinen Platz ein, Bruder, und ich werde zu meinem Weib eilen.« Ulf trat mit mir vor das Haus. Er hielt mich am Arm. Ich spürte seine Frage.
»Ulf, komm mit mir zurück. Du, Hallveig. Wir haben mehr als genug Platz.« Er sah mich erleichtert an, als wollte er mich das Gleiche fragen.
»Packt alles. Alles, was euch teuer und wichtig erscheint. Fenya wird uns auch begleiten. Packt alles. Möbel, Geschirr.« Ulf unterbrach mich.
»Und Hild? Wird sie auch mitkommen?« Erstaunt sah ich ihn an, antwortete aber nicht.
»Macht alles bereit. Ich will, so schnell es geht, abreisen. Es ist noch Sommer und wir haben noch keine gefährlichen Herbststürme auf See zu erwarten und auf beiden Schiffen hat es mehr als genug Platz.«
Ich wollte ihn verlassen, aber Ulf hielt mich zurück. Er scheute sich und sah an mir vorbei. Ich spürte, dass ihm etwas auf dem Magen lag.
»Ulf. Du bist mein Bruder. Erzähle.« Er seufzte tief.
»Ich glaube, deine Hild, kann von hier nicht fort.« Ich sah ihn an.
»Was sagst du da. Sicher kommt Hild mit. Ihretwegen bin ich zurückgekehrt. Sie ist meine Frau, Ulf. Für sie und wegen dir bin ich hier, um euch in mein Reich zu holen.«
Ich sah ihn ernst an.
»Was bringt dich zu einer solchen Aussage?«
»Es ist mein Gefühl, Eric. Sie wird ihre Eltern hier nicht verlassen können. Sie sitzt stundenlang an ihrem Grab und redet mit ihnen. Sie lässt sich von niemanden trösten. Nein, sie flüchtet in ihre Einsamkeit.«
Sichtlich erleichtert darüber, mir seine Sorge anvertrauen zu können, sah er mir ins Auge. Ich nickte ihm zum Dank zu und ging ins Dorf zurück. Ich wusste, wo ich sie finden würde. Doch zuerst begab ich mich in die Küche und ließ mir von Siegried einen Schlauch Met, etwas Brot und Trockenfleisch geben. Dann machte ich mich zum Weiher auf. Auf dem Weg dorthin versuchte ich, die richtigen Worte zu finden, wie ich sie fragen wollte. Ob sie mit mir komme und noch vieles mehr.
Ich behielt recht. Hild erwartete mich schon und begrüßte mich, so wie es jeder Ehegemahl gern hatte.
»Ohhh, mein Liebster. Du hast meine Gedanken gelesen. Ich sterbe fast vor Hunger.« Sie zeigte auf den Platz, den sie mit viel Liebe vorbereitet hatte.
»Leg dich ins Blätterbett und ruhe dich aus.« Sie schnitt Brot und Fleisch mit ihrem kleinen Messer und reichte es mir schön angerichtet auf einer Holzplatte. Dann legte sie sich zu mir. Gemeinsam aßen und tranken wir, lachten und zogen uns auf. Meine Fragen gerieten immer weiter in den Hintergrund, bis ich sie gänzlich vergaß.
»Ich freue mich, dich so glücklich zu sehen Hild.« Sie schmunzelte.
»Iss, Eric, und lass uns die Zeit endlich genießen. Trink und versink in meinen Armen. Vor allem hier, wo die Zeit keine Rolle spielt. Lass uns dem lieblichen Zwitschern der Vögel lauschen und uns lieben.«
So lag sie in meinem Arm. Es war schön und Ulfs Gedanken waren verschwunden. Nackt und schwitzend lagen wir auf den Blättern. Die fleischliche Gier erwachte immer wieder.
Hild lag schwer atmend neben mir, als ich sie fragte.
»Hild, kannst du solange warten und mich in unserem neuen Zuhause heiraten?« Ich sah sie an. Sie seufzte und ich meinte ein feines Lächeln auf ihren Lippen erkannt zu haben.
»Mir wäre es wichtig.«
Sie sah mich mit einem süßen Lächeln an. Ihre tiefblauen Augen und ihre Hände wanderten an mir herunter und erkannten schnell meine Erektion. Sie legte ihren Zeigefinger auf meinen Mund.
»Was habe ich zu dir gesagt? Genießen wir die Ruhe hier.« Schon setzte sie sich auf mich. Erschöpft lagen wir nebeneinander. Erst viel später wollte sie zurück. Lachend und feixend erreichten wir das Dorf.
Am Abend fragte ich alle Anwesenden, wer mit uns zurückwollte. Hild sah mich freudig an. Mein Bruder Ulf, seine Frau Hallveig und unsere Schwester Fenya standen auf und bezeugten ihren Willen. Mir kamen nicht im geringsten Zweifel auf. Hild würde mir zur Seite stehen. Auch verhielt sie sich nicht traurig, sondern eher fröhlich, sie konnte ihre Hände nicht von mir lassen – und nicht genug von mir bekommen, das war ihr Recht.
So beschlossen wir in zwei Tagen abzulegen. So glücklich war ich seit Monaten nicht mehr. Ich vergaß alles um mich, auch die Bilder des Krieges, der Schmerzen, der Entbehrungen und des Verlusts von Freunden.
Am Morgen unseres letzten Tages kam Hild kreideweiß ins Haus und setzte sich neben mich. Sie versuchte zu schmunzeln, aber es gelang ihr nicht.
»Was hast du, Hild?«, fragte ich sie besorgt.
Sie winkte ab.
»Nur eine Unpässlichkeit. Es geht mir bald besser.« Sie legte ihre Hand auf meine.
»Du bist ausdauernd, mein Mann. Vielleicht zu viel für mich.« Sie versuchte, erneut zu lachen. Ich sah Siegried und Astrid, wie sie sich verstohlene Blicke zuwarfen. Aber was sie sich sagen wollten, wusste ich nicht. Hild schien recht zu behalten. Nach dem Essen ging es ihr entschieden besser und ihre Kraft kehrte in sie zurück. Ich stand am Anleger und gab Anweisungen beim Verladen der Fracht. Ulf und Hallveigs Habe wurden auf den Wellenbrecher verladen. Ulf brachte sogar seine beiden Türpfosten mit, die ich für ihn geschnitzt hatte. Alles sollte bereit sein, dass wir am anderen Morgen absegeln konnten. Ich gab noch Anweisung, als ich eine Hand an meinem Rücken spürte. Sie war warm und kraulte fein über den ganzen Rücken. Stumm stand sie neben mir, sah zu, wie alles verladen wurden. Noch immer fuhr sie stumm mit ihren Fingernägeln über meinen Rücken.
»Ist alles von dir schon auf dem Schiff?« Sie antwortete nicht, was mich etwas stutzig machte.
»Komm mein Liebster.« Sie zog mich mit sich. Wir schlenderten über den Kiesstrand bis an sein Ende. Dort, wo der Fels hoch in den Himmel stieg und Platz für unzählige Seevögel bot, die hier nisteten.
Hild stand neben mir und sah mit mir dem Treiben zu.
»Warum führst du mich hier her, Hild?«
»Es gefällt mir hier, Eric. Der Gesang der Vögel, das Rauschen der Wellen. Hier kann ich meinen Gedanken nachgehen. Hier habe ich auch das Gefühl, mit unseren Eltern sprechen zu können. Hier fühle ich mich, als könnte ich meine Arme ausstrecken und mich zu den Vögeln erheben. Ich habe diesen Ort speziell für uns gewählt.« Sie wollte mich umarmen, doch ich hielt sie zurück.
»Was meinst du damit, Hild?« Ihre blauen Augen sahen mich tief an. Sie löste ihre Kleider.
»Nicht denken, mein Gemahl. Ich bin deine Frau. Nimm mich so viele Male, du willst.« Ich blickte auf ihre prallen Brüste, die wilde Gier erfasste mich und die Lust, sie zu besitzen, verdrängten alle meine fragenden Gedanken. Sie kamen erst zurück, als wir ermattet nebeneinander auf dem Kies lagen. Ich drehte mich zu ihr um.
»Sage mir, dass es nur ein falscher Gedanke von mir ist. Ich bitte dich darum.«
Hild sah mich an und wusste, was ich von ihr wissen wollte. Sie schlang ihre Arme um mich und hielt mich so fest, wie ich es noch nie erlebt hatte. Das war eine unmissverständliche Antwort. Trotzdem stellte ich sie.
»Du wirst mich in unser neues Land nicht begleiten. Habe ich recht?« Sie löste sich von mir und sah mich an. Tränen liefen über ihre Wangen. Schluchzend kamen ihre Worte über ihre Lippen.
»Ich habe von meinem Mann alles bekommen. Was will ich noch mehr?«
»Nein. Nein Hild, sag das nicht. Wir könnten weiter zusammenleben und das Leben genießen. Kinder bekommen. Sie würden sicher schön und stark werden. Aber das Wichtigste wärst du. Ich brauche dich an meiner Seite.«
Sie verneinte und begann noch mehr zu weinen an. Hild wehrte sich mit Armen und Beinen. Ihre Worte überschlugen sich.
»Ich kann nicht von hier fort, Eric. Verstehe mich doch. Ich bin nicht wie du. Ich weiß auch, dass ich dich hier nicht halten kann. Darum trennen uns bald unsere Wege. Ich werde, solange ich lebe, keinen anderen Mann wählen. Das bist nur du und du wirst immer in meinem Herzen bleiben.«
Der Schmerz riss mir beinahe das Herz heraus. Mein Bauch verkrampfte sich und ich konnte meinen Schmerz nur herausschreien.
»Hild«, schrie ich und riss sie an mich.
»Ich bin nur deinetwillen zurückgekehrt.
Um dich in mein kleines Reich und in mein Haus zu holen. Nur um mit dir zu leben. Meine Liebe. Das war mein Traum. Mit dir neben mir auf dem Hochsitz …« Sie legte ihre Hand auf meinen Mund.
Weinend und schluchzend sagte sie:
»Ich weiß, mein Gemahl. Ich kenne deine Liebe zu mir nur zu gut. Du kamst schon einmal, um mich zu befreien. Diesen Anspruch können nicht viele Frauen von sich sagen. Ich weiß deine Liebe zu mir nur zu gut und sie erfüllt mich mit Stolz. Ich bin die Frau eines großen Kriegsjarls.«
Sie umarmte mich und wie vor einigen Jahren spürte ich ihre warmen Tränen auf meinem Nacken. Hild stand abrupt auf und zog sich das Kleid über.
»Wenn wir einen Sohn hätten, wie würdest du ihn nennen?« Erstaunt sah ich sie an.
»Spielt das noch eine Rolle, Hild?«
»Ja, für mich schon.«
»Thorleif wenn es ein Junge wäre und Ragnhild bei einem Mädchen.« Hild nickte.
»Es sind beides wunderschöne Namen. Sie gefallen mir.«
Dann rannte sie fort. Ich zog meine Hose hoch und schlüpfte in meine Bluse, aber ich konnte sie nicht mehr einholen. Wen auch immer ich fragte … niemand hatte Hild mehr gesehen, seit sie mit mir am Strand entlangschlenderte. Ich konnte suchen, wo ich wollte. Sie war nirgends zu finden.
Enttäuscht saß ich am Tisch. Unser letztes Essen in meiner alten Heimat. Doch ich hatte keinen Hunger. Auch der Met schmeckte mir nicht wie sonst. Der Platz neben mir, den ich für meine Hild besetzt hielt, blieb leer. Hjalti und Balki meldeten mir, dass alles verstaut war und wir ablegen konnten.
Es war die längste Nacht in meinem Leben. Schlaflos lag ich auf meiner Decke und wälzte mich hin und her. Hörte den schnarchenden Männern zu. Vor dem ersten Hahnenschrei stand ich auf und rollte meine Decke zusammen und brachte meine restlichen Sachen auf meinen Raben. Auch Gloi war schon dort. Er saß auf dem Hintersteven und sah mich kommen. Er erkannte meine traurige Stimmung und schaute mir zu. Erst als ich aus dem Boot stieg, ließ er ein Kroak verlauten. Ich ging zu ihm und fuhr ihm über den Kopf und sagte: »Du weißt es sicher. Aber unsere Frau wird uns nicht begleiten.«
Glois schwarze Augen blinzelten mich nur an, dann rieb er seinen Kopf an meinem Arm. Das Dorf erwachte. Die Männer brachten ihre persönlichen Sachen aufs Schiff. Von Hild kein Zeichen, auch nach dem Frühstück nicht. So kam der Abschied. Ich verabschiedete mich von allen, wohlwissend, dass dies das letzte Mal war alle lebend zu sehen. Bei Astrid und Ragnar hatte ich die meiste Mühe. Innig umarmte ich sie und dankte beiden für alles, was sie für mich getan hatten. Das erste Mal sah ich Tränen in Ragnars Augen und es tat mir selbst weh. Der alte Mann stand vor mir und wollte mich beinahe nicht mehr loslassen. Seine Tränen versuchte er dem feinen Sand zuzuschreiben, der seine müden Augen reizte.
»Das zweite Mal, dass ich meinen Ziehsohn verabschieden muss«, presste er heraus. Astrid konnte nichts mehr sagen. Ihre kullerten große Tropfen über ihr Gesicht.
Alle saßen schon auf ihren Plätzen und warteten, bis ich auf mein Schiff stieg. Noch mal sah ich mich um. Doch ich sah keine Hild. Noch mal nahm ich meine Zieheltern fest in meine Arme, dann sprang ich aufs Schiff. Leinen wurden gelöst und kurz darauf tauchten die Ruder ins Wasser und brachten uns vom Anleger weg. Ich drehte mich nach meiner Hild um. Doch ich sah sie nicht. Wir winkten den anderen noch mal zu. Mein Blick folgte dem Strand entlang bis an den Ort, wo ich sie zuletzt geliebt hatte. Da sah ich sie, auf dem Kiesstrand stehend, ganz nahe der Felswand. Sie winkte mit beiden Armen zum Abschied.
»Hild«, schrie ich laut und winkte wild. Sie winkte mir zurück, aber ihre Worte verstand ich nicht mehr. Zu schnell hatte das Schiff Fahrt aufgenommen und entfernte sich von der Küste. Hild wurde immer kleiner. Ich sah sie nur noch winken. In mir rief ich laut ihren Namen und sah zurück. Da riss mich mein Steuermann in die Realität zurück.
»Welchen Kurs soll ich einschlagen, Eric?«
Verrat und Gold
Etwas gereizt sah ich ihn an, aber ich unterließ es, ihn in die Schranken zu weisen. Er hatte keine Schuld an der Situation und an meinem Schmerz.
»Folge der Küste Richtung Süden und am südlichsten Punkt, nimm Kurs auf die Danaveldiküste. Ich will mich in Alaborg umsehen.«
Balki nickte.
»Aij, mein Jarl.« Hjalti am Steuer des Wellenbrechers folgte eine Schiffslänge hinter uns. So pflügten wir die See. Stumm stand ich neben Balki. Stunde um Stunde verging, da unsere Schiffe über die Wellen ritten.
»Verzeih meine Worte, Eric«, sagte Balki. »Dein Problem mit deiner Frau tut mir leid.« Er fuchtelte mit einem Arm herum und suchte nach den richtigen Worten.
»Meine kalten Worte nach dem Kurs, den ich einschlagen sollte. Ich hätte dich zuerst deinen Schmerz verarbeiten lassen sollen. Aber wie ich weiß, ist meine Königin sehr von dir angetan.« Er traute sich kaum, mich anzusehen. Ich versuchte zu schmunzeln. Er meinte es mit seiner Aufmunterung nur gut.
Darum antwortete ich: »Meinst du das, Balki, oder hat sie es dir persönlich gesagt?«
Er verzog unsicher seinen Mund.
»Nein, das gerade nicht. Aber was ich weiß! Sie hat selbst die Auswahl der Männer getroffen, die dich begleiten durften. Jeder von uns musste ihr schwören, dich zu unterstützen und dir bis zum Tod an deiner Seite zu stehen. Sie hat auch geschworen, was mit jedem von uns geschieht, wenn wir ohne dich zurückkehren. Hakon, mein König, hat nur noch seiner Schwester zugestimmt.«
Nun konnte ich ein Lachen nicht verkneifen. Der gute Balki.
»Schön das zu wissen, Balki, und ich muss dir sagen, sie hat eine vortreffliche Wahl der Männer getroffen.« Er sah mich erfreut an und nickte dankend.
»Keine Angst, ich werde mich lobend für euch bei beiden bedanken.« Ich rückte näher zu ihm.
»Du meinst, ein persönliches Geschenk würde ihr gefallen und meine Gunst bei ihr steigern?«
Balki sah mich an. Etwas nervös, weil ich so nahe bei ihm stand. Sein fast zahnloser Mund lachte mich an und er nickte mir heftig zu.
»Jaaa. Eine sehr gute Idee, mein Jarl. Da erinnere ich mich an eine Begebenheit vor Jahren. Ich brachte ihr ein Geschenk.«
Er stockte und dachte nach.
»Wie hieß sie nur noch?
Spielt keine Rolle. Jahre hatte ich mich nicht mehr bei ihr gemeldet. Als sie mich mit dem Geschenk vor der Tür stehen sah, vergab sie mir unter Gezeter und ließ mich ein und in ihr Bett.«
Er rieb sich sein Kinn.
»Ist auch schon wieder Jahre her, Eric.«
Ich klopfte ihm auf die Schulter.
»Das nächste Mal unterlass es. Nicht dass du von ihrem Ehemann erschlagen wirst.« Beide schmunzelten und sahen geradeaus auf die See.
Nach vielen Minuten sagte er:
»Sie ist eine gute Frau und noch eine bessere Königin, Eric. Sie wägt ihre Entscheidungen nach allen Seiten ab und sie versucht, ein gerechtes Urteil zu fällen. Bei ihr spielt es keine Rolle, zu welchen Gunsten es ausfällt. Sie behandelt uns und die Saxen gleich. Für sie sind alle gleich. Ein Neuankömmling aus unseren Landen oder ein alter einheimischer Angelsaxe. Für sie sind alle gleich und alle sollen ihr gerechtes Urteil erhalten. Das macht sie so beliebt. Auch Hakon. Sie werden überall als beliebt angesehen, und soviel ich weiß stehen Angelsaxen und unsere nordischen Landsleute auf ihrer Seite.«
»Das glaube ich dir gern, Balki. Auch ich habe sie so erlebt. Sie bettelte nie um die Hilfe der Kelten. Sie versprach für alle freien Handel. Zusammenarbeit, keinen Krieg zwischen den Völkern und offene Grenzen. Ihr Traum war, dass alle jede Nacht in Ruhe schlafen konnten. Das hat die Führer der grenznahen Keltenstämme bewogen, ihr zu helfen. Nun können wir nur hoffen, dass dieser Traum noch viele Jahre bestehen bleibt.« Er hielt das Steuerruder fest in der Hand.
Sein Blick war auf die See gerichtet.
»Ja, Eric. Ein Traum, für den es sich lohnt zu sterben.«
Thor schenkte uns schönes Wetter und guten Wind. Auch das zänkische Weib Ran verhielt sich ruhig. So erreichten wir Alaborg in wenigen Tagen.
Auch hier herrschte eifriges Treiben. Nicht so wie in Haithabu oder Heddeby, wie manche Männer von Hakon es nannten. Hier deckten wir uns mit Met und Verpflegung ein. Tag und Nacht stellten wir Wachen auf, um nicht von Dieben ausgeraubt zu werden. Es schien mir sinnvoller zu sein, da ich mich hier nicht auskannte. Auch verbot ich allen, in den Spelunken zu erzählen, wohin wir wollten. Es war nur eine Eingebung, aber ich sollte recht behalten. Eines Abends, ich saß mit Balki und Björn in einem Wirtshaus, kam ein Fremder an unseren Tisch und um Platz bat. Er setzte sich und schaute uns an.
Nach einer Weile fragte er:
»Von wo seid ihr. Ich habe euch hier noch nie gesehen.«
Balki antwortete.
»Wir haben hier nur Verpflegung gekauft. Wir segeln morgen wieder ab.«
»Wohin führt euch eure Reise?« Da bückte sich Björn nach vorn, um den Fragenden genauer zu sehen.
»Und du hast das Gefühl, dass wir das jedem und dazu noch ohne Namen ausplaudern. Wer bist du überhaupt, oder verzeih, wenn ich deinen Namen nicht gehört habe.«
Der Fremde schmunzelte.
»Das tut mir leid. Du hast recht. Mein Name ist Lasse und ich bin auch Kaufmann wie ihr. Aber ich komme aus dem Friesenland.«
Björn nickte und an der Spannung in seinem Körper sah ich, dass er ihm nicht glaubte. Mir gefiel die übertriebene Höflichkeit an ihm nicht und das ständige Fragen. Balki störte ihn nicht. Er bestellte sich einen neuen Krug Met. Doch die Geschichten, die er uns erzählte, glaubte ich so, als wenn jemand behaupten würde, Thor hätte eine Glatze und trüge nur Frauenkleider. Ich nickte ihm nur schwach zu. Unter dem Tisch gab ich Björn mit meinem Fuß einen Stoß. Er verstand sofort, leerte seinen Becher und verließ uns. Lasse sah ihm nach.
»Die beiden Knorrs gehören dir?«
Ich nickte wortlos und mit verärgertem Gesicht sah ich, dass Balki erneut für uns einen Krug Met bestellt hatte. Lasse prostete mir zu.
»Sind beides schöne Schiffe. Willst du eines verkaufen? Ich mache dir einen guten Preis dafür.« Ich winkte ab. Doch er ließ nicht locker. Immer wieder wollte er wissen, wohin wir segeln und für was wir zwei Schiffe benötigen.
Zu Balki flüsterte ich: »Trink aus, wir gehen!« Was mich einen komischen Blick von ihm kostete.
Als wir uns aufmachten, sagte ich unserem Fremden: »Lass gut sein, Lasse. Wir brauchen beide Schiffe. Darum werde ich keines verkaufen.«
Als ich hinter mir die Tür des Wirtshauses geschlossen hatte, atmete ich tief durch.
»Endlich.« Balki sah mich an.
»Was stört dich an ihm, Eric. Er ist ein liebenswürdiger Dummschwätzer. Aber gestört hat er mich nicht.«
Ich blieb stehen und hielt meinen Steuermann am Arm.
»Glaubst du? Ich glaube ihm so wenig wie einer runzligen alten Frau, die behauptet, erst fünfzehn zu sein.
Ja, Balki, ich traue ihm nicht über den Weg. Er ist ein Schleimer und ein Händler ist er ganz und gar nicht. Eher ein Pirat. Er hat mir zu viele Fragen gestellt und keine Antworten geliefert.«
Ohne noch ein Wort miteinander zu sprechen, folgten wir den dunklen Gassen bis zum Hafen. Skefill stand auf dem Steg und hielt Wache bei unseren Schiffen.
»Bist du allein?«, fragte ich ihn.
»Nein. Hjalti döst auf seinem Wellenbrecher. Soll ich ihn rufen?« Ich schüttelte meinen Kopf.
»Wie viele sind schon zurückgekehrt?« Skefill schmunzelte.
»Schon einige, die nun besser ihren Schlaf brauchen.«
Ich sah ihn an.
»Björn?« Skefill verneinte.
»Wie viele fehlen noch von unserer Mannschaft?« Skefill zuckte mit seinen Schultern.
»Ungefähr fünf Mann. Würde ich sagen.«
Ich nickte.
»Halfdan?«
»Er schläft tief und fest.« Er zeigte auf den Platz, wo er in seiner Decke lag und schnarchte. Ich stieg ins Schiff und weckte ihn sanft. Er erwachte. Rappelte sich auf und rieb sich seine Augen.
»Eric. Was ist?«
»Weißt du, wo sich unsere Männer aufhalten?« Er stand auf und setzte sich auf eine Ruderbank. Noch verschlafen antwortete er.
»Einige meinten, sie wollten sich ein paar willige Weiber suchen. Aber wo sie hin sind, weiß ich nicht.«
»Ich brauche deine Hilfe, Halfdan. Wir müssen sie suchen.« Noch etwas verschlafen nickte er.
»Warum? Was liegt vor? Björn?«
»Ich weiß es nicht, Halfdan. Aber mein Bauchgefühl sagt mir Ärger.« Schnell war er ganz wach.
»Wir zwei allein?«
»Nein, ich wecke Jasper und Geiri.«
»Gib mir etwas Zeit. Stehe gleich neben dir.«
Schnell begab ich mich zu den beiden und weckte sie. Erklärte ihnen alles. Es ging nicht lange, bis sie bereit auf dem Steg standen. Auch Hjalti war wach.
»Wecke noch ein paar Männer und haltet euch bereit. Ich will keine nächtlichen Überraschungen.« Hjaltis Blick war wach.
»Gut, Eric.« Wir vier machten uns in der Dunkelheit auf den Weg und suchten unsere Männer. Da kam es mir recht, dass Alaborg nicht so groß war wie Haithabu. Wir suchten in verschiedenen Häusern, bis wir sie endlich fanden. Zwei lagen volltrunken mit ihren Köpfen auf dem Tisch. Sie schnarchten und kamen erst zu sich, als Jasper ihnen einen Eimer Wasser über den Kopf gegossen hatte. Die beiden anderen fanden wir schlafend neben ihren Auserwählten. Sie zu wecken, war ein Leichteres.
»Los, kommt nun. Die Zeit drängt«, flüsterte ich ihnen zu. Noch etwas verschlafen standen sie auf und zogen sich an. Ich forderte sie zur Eile auf.
Ohne Probleme erreichten wir unsere Schiffe. Skefill stand noch immer am Steg. Hjalti neben ihm. Seine Hand am Schwertgriff. Erfreut grüßten sie uns.
»Ist Björn zurück?«, fragte ich.
»Ist noch nicht hier.«
»Macht alles zum Ablegen bereit.«
»Und Björn?«
»Wir warten auf ihn. Legt euch noch hin. Halfdan und ich übernehmen die Wache.«
Es dauerte noch einige Stunden bis zur Morgendämmerung. So standen wir am Steg und passten auf. Es verging noch eine geraume Zeit.
Da kam Björn zurück und klopfte mir auf die Schulter.
»Du hattest eine gute Nase, mein Freund. Mir gefällt das alles nicht. Dieser Lasse verließ das Wirtshaus kurz, nachdem ihr gegangen seid. Ich folgte ihm. Er sprach mit unterschiedlichen Männern. Dann verließ er die Stadt. Er führte mich zu seinem Räubernest. Sorgsam lag ein Schiff versteckt. Von seinem Ort aus sieht er jedes Schiff, das ausläuft. Gut möglich, dass er oder einer seiner Männer uns beim Einlaufen gesehen hatte.«
»Gut. Ich danke dir, Björn.« Ich dachte kurz nach.
»Dann stellen wir ihm eine Falle. Oder was meint ihr?« Ihr breites Grinsen bestätigte mir mein Vorhaben. Schnell weckte ich Hjalti und Balki, erklärte ihnen die Situation und unser Vorgehen. Beide waren mit dem Plan einverstanden.