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Ein alternder Rockstar ringt in einem tristen Hotelzimmer um Inspiration. Eine Paar hat sich die Rente so schön vorgestellt, doch dann gehen ihre Vorstellungen auseinander. Zwei Geschichten von Ernüchterung und neuer Hoffnung.
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Seitenzahl: 20
Veröffentlichungsjahr: 2022
Ich wache auf, und weiß nicht, wo ich bin. So, wie auf dem Bett liege, scheine ich direkt vom Himmel gefallen zu sein. Sogar meine Schuhe habe ich noch an. Auf dem Nachttisch liegt ein Notizblock mit dem Logo des Hotels, aber diese Kette besitzt überall Häuser. Wie lange habe ich geschlafen? Mich beschleicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Draußen ist es schon dunkel. Ach nein, ich habe nur die Sonnenbrille noch auf. Ich reibe mir die Augen und schlurfe ins Bad. Die Frottee-Schlappen sind zu klein. Genau, ich bin in Tokio. Langsam kehrt die Wirklichkeit zurück. Da ist meine Uhr. 3 Uhr am Nachmittag und niemand ist gekommen, um mich abzuholen. Also haben wir heute kein Konzert. Aber, da war etwas anderes. Ich habe das Gefühl, ich sollte mich nicht erinnern. Lieber putze ich die Zähne, das ist sinnvoll und lenkt mich ab. Rechtsrum kreisen, linksrum kreisen, rauf und runter. Mein Yoga-Lehrer würde sagen. „Wenn du dir die Zähne putzt, dann putze dir nur die Zähne.“ Neben der Badewanne liegt ein weiterer Notizblock. Er ist unbeschrieben. Eine böse Ahnung senkt sich auf mich herab. Ich schäume die Zahnpasta auf, bis ich würgen muss, doch nicht einmal das hilft, mein Bewusstsein ist unerbittlich und bringt mir die Realität zurück: In einer Stunde kommt David und ich habe gar nichts für ihn. Mein Spiegelbild gerät in Panik. Nur die Ruhe bewahren jetzt! Eins nach dem anderen. Erst mal duschen, dann rasieren. Die Klinge ist stumpf, ich schneide mich. Erst will ich das Blut wegwischen, aber dann besinne ich mich anders und verteile es großzügig über die ganze Wange. Das sieht dramatisch aus, ich kann jede Ablenkung brauchen. Zurück ins Zimmer. Dort entdecke ich noch mehr Notizblöcke, alle weiß, alle mit einem Kugelschreiber daran geklemmt. Wo kommen die her? Sie sind im Zimmer verteilt wie kleine Mahnmale, wie arme, vernachlässigte Waisen-Notizblöcke. Ich nehme einen und gehe ans Fenster, wo ich die anderen Blöcke nicht mehr sehen muss. Der Himmel über Tokio ist blau, zumindest das kleine Stück davon, das ich durch die anderen Hochhäuser erkennen kann. Meine Augen brennen von der trockenen Luft der Klimaanlage. Im Magen ist mir ein bisschen komisch, den Sake hätte ich gestern nicht trinken sollen. In Shanghai habe ich mir bei einem Sprung vom Schlagzeugpodest den Knöchel verstaucht. Das tut immer noch weh. Ich seufze.