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Wir waren beide infolge der Anstrengungen der letzten Wochen zusammengebrochen und kamen miteinander in ein Kriegslazarett hinter der Front. Mir hatte den letzten Treff ein gewaltiger Hexenschuss gegeben und meinem Kameraden, glaube ich, Ruhr und Fieber. So lagen wir unverwundet, aber doch halbtot, im Bett und waren froh, einmal ein paar Stunden nichts zu ,,müssen", einfach stillzuliegen, zu vergessen — und endlos schlafen zu können! — Aber die erste Nacht wurde es noch nichts damit, es hatte am Abend noch ein Sturm stattgefunden, und da schleppten die Automobile schon die Verwundeten und Sterbenden herein. Wir waren erst allein in unserem Zimmer gewesen, auf einmal war es dicht voll! Und dicht voll Ach und Weh und Stöhnen! Wie einem das wieder die Stimmung niederdrückte, dieses grausige, abgerissene Lied von Seufzern und Schmerzen, dem man glaubte für eine Zeit glücklich entronnen zu sein! Nun war's wieder da, grausiger als je! Und wie entsetzlich das stank, als die Notverbände gewechselt wurden, nach geronnenem Blut, Schwefel und verbranntem, verfaultem Fleisch! Rechts neben mir lag einer mit einem Lungenschuss; er redete kein Wort mehr, ich wusste nicht, war er noch bei Besinnung oder nicht? Aber schauerlich war es anzuhören, wenn die "falsche Luft" aus der Wunde rasselte! Und links neben mir hatte einer eine schwere Querschläger-wunde am Bein, dabei war scheint's ein Nerv verletzt, denn er hatte unerträgliche Schmerzen. Ich merkte wohl, wie er sie verbeißen wollte, aber dann presste sich doch wieder ein verzweifeltes Stöhnen und Wimmern heraus, es war selbst zum Mitanhören schwer!
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Im Flammenglanz der großen Zeit
Erlebnisse von Kriegsteilnehmern
von
Karl Hesselbacher
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Erstmals erschienen im:
Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart, 1916
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Vollständig überarbeitete Ausgabe.
Ungekürzte Fassung.
Buchbearbeitung: Nadja Mondy
© 2020 Klarwelt-Verlag
ISBN: 978-3-96559-239-1
www.klarweltverlag.de
Inhalt
Titel
Lichter im Dunkel.
Im Artillerie-Unterstand.
Mit der Neuformierten.
„Wenn alle Brünnlein fließen!“
Der Ausgehtag.
Siegesfeier im Graben.
Regen.
Weihnachtsgedanken im Unterstand.
Stellungswechsel.
„Heimgekommen.“
Ein treuer Bursche.
Verwundet!
Sonntag im Feld.
Lose Bilder aus dem Schützengraben im Westen.
Weihnachten im Feindesland.
Aus dem Schützengraben.
„Hindurch mit Adlersflügeln . . . “
Es war ein Prachtsjunge, mein Freund Erwin. Man musste nur in seine Augen schauen. Wie die leuchteten! „Wie die Sterne“, sagte seine stolze Mutter. Er war einer unserer jungen Künstler, und die seine Kunst verstanden, sagten, es sei Großes von ihm zu erwarten. Denn seine Kunst war der Strahl aus einem lauteren Herzen. Treu, wahr und kristallen. Durch seine Landschaften ging — wie im alten lieben Volkslied — „der Herrgott“, obwohl er nichts davon wissen wollte, dass darin etwas „Frommes“ zu sehen sein sollte. Er war zu bescheiden dazu. „Gott — das ist mir das große Geheimnis! Ich beuge mich davor. Aber ich bin viel zu jung, als dass ich sagen könnte, ich sei ihm selber innerlich nahe gekommen. Vielleicht wird ein großes Erlebnis mir das schenken!“ Drum sagte ich ihm: „Warte! Jetzt bin ich zufrieden, dass Gott ungesehen durch dein Herz geht und die Wunder seines Lebens in den Werken deiner Hand wirkt!“
Er lebte in herzlichem Frohmut seine Jugend mit den Freunden und mit all der Herrlichkeit, die sein glückliches Auge schauen durfte in Wald und See und Menschenantlitz! Er lebte wie einer, der an treuen Händen auf lauter goldenen Wegen geht. Dem Glanz einer segensvollen Zukunft entgegen.
Da kam „das große Erlebnis“. Der Krieg! Erwin war unter den Ersten, die hinausgingen. Er war Reserve-Offizier. Zuerst wurde er zum Train eingerufen. Mit der Sanität ritt er. Freunde, die mit draußen waren, schrieben, wie er sich als ein tapferer Mann bewies. Aber er — schrieb nichts davon. Nur ein Ton ging durch seine Briefe: „Ich möchte an die Front. Wirklich mitfechten, meinen Mann stellen da, wo die Kameraden bluten und fallen.“ — Bis schließlich die Mutter ihr „Ja“ sagte. Denn so war er: ein Mann durch und durch, aber ein Mann, der kein Herz kränken konnte, vor allem nicht das der Mutter, die ihres Lebens Krone in ihm sah.
„Mir würde in keinem Gefecht innerlich tröstlich zu Mute gewesen sein, wenn ich mir hätte sagen müssen: daheim grollt eine Mutter, dass du ihr den Jammer bereitest, dem Tod mit eigenem Willen entgegenzustürmen!“ Aber als ihre Zustimmung gekommen war — er fühlte wohl die schnellen Herzschläge der schlaflosen Nächte, in denen der Brief von der Mutter Herz sich losgerungen hatte! — trat er bei der Infanterie ein. Die schwersten Kämpfe hat er dort bestanden: Loretto, Septemberschlacht in der Champagne — die Namensagen genug. Er führte eine Kompagnie. Die Männer hingen an ihm, wie an einem Vater. Und doch war er beinahe der Jüngste in den Reihen, die so manchen Graubart zeigten.
Einmal schrieb er wir: „Was ist das ein erbärmliches Gefühl, als Kompagnieführer zu Hause im Unterstand zu sitzen, wenn die Mannschaft draußen im fisselnden Regen und im quietschenden Schlamm schanzen muss! Ich warf meine Regenhaut über und ging hinaus und packte einen Spaten. Ich musste dabei sein; wo die anderen tropften, durfte meine Haut nicht trocken bleiben.“
Das haben sie ihm abgespürt, die Männer! „Der lebt mit uns und leidet mit uns und will’s nicht besser haben, wie unsereiner.“ Der ist nie zur Ruhe gegangen, bevor er wusste, wie seine Mannschaft untergebracht war. „Das ist kein Offizier, der einschläft, ehe er weiß, dass jeder seiner Mannschaften ein anständiges Schlaflager hat!“ Und rührend war es, wie ich ihn das letzte Mal sah: er war hier, um — kleine Ferkel einzukaufen für seine Kompagnie! „Hoffentlich verzehrst du sie gesund“, riefen wir. „Hoffentlich dürfen meine Soldaten sie mit gesunden Mägen verdauen“, lachte er zurück. Im Scherz lag der ganze Mann.
Einmal habe ich ihn im Briefe gefragt: „Wie stehst du jetzt zu dem Ewigen? Ist dir Gott innerlich nahe gekommen?“
Da kam die Antwort: „Ich bin der Docht in der Lampenschale. Die Schale ist gefüllt, und der Docht harrt des zündenden Funkens. Bis jetzt ist der Funke noch nicht auf den Docht gefallen. Aber er harrt in Demut des großen Augenblickes.“ Und als ich das las, kam mir das Wort des Menschensohnes: „Selig, die hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit . . . .“ Ich schrieb ihm das nicht. Denn ich war der Meinung, die ich auch jetzt noch nicht aufgegeben habe: In die stille Künstlerarbeit, die unser Gott an seinen Menschenkindern vollbringt, sollen Menschenfinger nicht greifen. Drum schwieg ich.
Aber er kam mit einem anderen Wort in einem seiner Briefe, die an seine Mutter gerichtet sind, auch zu mir. Die Mutter ließ mich dies Wort wissen; denn sie sagte mit ihrem zarten Gefühl für alles, was in der Seele ihres Sohnes vorging: „Das Sätzlein scheint mir an Ihre Adresse geschrieben zu sein. Ich weiß, dass er mit Ihnen über solche Lebensfragen geredet hat.“ Das Sätzlein aber hieß:
„Artig war ein Bild, das mein Ofen bot. Ein kleiner Eisenofen ist’s. Wir brennen Holz darauf. Und da ist’s merkwürdig, wie die Flamme, kurz nachdem wir sie entfacht haben, schwelt und raucht, dass sie uns die Augen beizt. Aber je mehr wir Holz anlegen, umso heller wird die Flamme, bis sie schließlich rein und klar, ohne Rauch aufwärts steigt. Die Flamme hat sich im Brennen selbst vom Rauche gereinigt. Mir fiel ein Vers Goethes ein, den ich nie verstanden hatte, und den ich jetzt zu verstehen gelernt habe. Er lautet:
Die Flamme reinigt sich vom Rauch,
so reinig’ unsern Glauben!
Das ist’s, was wir hier draußen erleben. Wir jungen Menschen sind eine rauchende, schwelende Flamme. Da ist so viel Trübes, Unklares. Da hängt so viel an einem herum, was nicht sein sollte. Man merkt es selbst nicht so recht. Aber mitten in dem Feuer des Krieges, in dem wir brennen, reinigt sich unser Leben von all diesem Rauch. Es wird reiner, bestimmter, männlicher, fester. Alle die alte Weichmütigkeit und Gefühlsseligkeit fällt ab. Wir lernen, dass nur die Tat einen Wert hat.
All das Herumfahren mit der Stange im Nebel weicht einem entschlossenen Hinrichten auf ein bestimmtes Ziel. Wer so viel befehlen will trotz seiner Jugend, der muss sich zusammennehmen. Jedes Wort wird erwogen. Kein Tadel darf über die Lippen, der nur von ferne nach Ungerechtigkeit riecht. Kein Befehl, der nicht wirklich durchgeführt werden könnte, darf gegeben werden. Kein Urteil, das verbittern würde, darf ich fällen. So wird das Leben von einem großen Zuge durchzogen. Mutter, wenn ich fallen sollte, denke immer daran: lieber ein kurzes Leben, das sich vom Rauche gereinigt hat mitten in der Flamme, als ein langes, schwelendes Leben!“
Da habe ich in Ehrfurcht die Meißelschläge der göttlichen Künstlerhand an dem jungen Menschenbild gesehen.
Um Ostern kam ein Brief. Aus der Feuerhölle des Kampfes um die gewaltige Festung im Westen.
„Ostern — alle köstlichen Erinnerungen der Jugend wachen auf. Und alle diese Erinnerungen heißen: Friede. Friede einer seligen Kinderzeit. Und jetzt: neben mir schlug ein schweres Artilleriegeschoss ein und hat zwei meiner liebsten Kameraden in Stücke zerrissen. Kannst du ahnen, welche Gefühle meine Seele durchstürmen?“
So hat die harte Not des Menschheitsjammers in diesem feinen Menschenempfinden zusammenstoßen müssen mit dem lichten Bild eines Lebens, das von dem Frieden des Himmels in jeder tieferen Menschenseele lebt. Und es war mir, als sei jetzt dies Bild vom Frieden einer in Gott geborgenen Seele für immer aus seinem Leben gestrichen.
Da redete ein anderer Brief: „Damals, als der Tod wieder so hart und schroff unmittelbar an mir vorübergegangen war, hat mich doch kein Schrecken umfangen. Es war mir, als wäre mir etwas Heiliges und Erhabenes zur Seite gestanden. Als hätte ich etwas gespürt von dem tiefen Schauer, mit dem sich der vergängliche Mensch in den Schoß der Ewigkeit gleiten lässt. Vielleicht war dies mein erstes Gotterleben? Mir stand über all dem grausigen Geschehen ein fester Wille, der durchs die Wirken hindurch seinen Weg unerschütterlich geht. Und ich war so ruhig bei dem Gedanken, in diesen unerschütterlichen Willen meinen kleinen Menschenwillen ehrfurchtsvoll hineinzubetten. Aber so gewaltig und erhaben die Wege des Ewigen vor meinen Augen durch Jammer und Elend und Grauen hindurchgingen: das, was du von einem Gott der Liebe zu sagen pflegst, das war mir so weltenfern. Ich weiß, das kann ich nicht glauben. Jedenfalls jetzt noch nicht.“
Damals schrieb ich ihm zurück. „Sei getrost, dass du das größte Kapitel im Glauben gelernt hast: das Stillewerden vor einem ewigen Willen. Wer darin Meister geworden ist, darf ruhig warten, bis jene Hand, von der du einmal geschrieben hast, den Docht zu neuem Flammen bringt. Die Flamme, die jetzt auf der Glasschale deiner Lebenslampe brennt, leuchtet hell und rein. Wie das Sternenlicht in der Nacht. Daran lass’ dir genügen. Das Sternenlicht kündet vom Kommen der Sonne. Denn es steht am klaren Himmel.“
„Im Übrigen: sag’ doch, ist in deinem Herzen das Liebenkönnen erstorben unter all dem Gräuel? Oder ist in dir nicht mehr das alte Bedürfen einer großen, unzerstörbaren Liebe zu Menschen, die deiner wert sind und mit ihrem geistigen Leben das deine bereichern und vertiefen? Hast du nichts mehr von jenem Verlangen nach der wahren Liebe, unter deren Kraft und Lebenshauch unser Leben erst recht wird, was es werden soll? Und wenn du dies Verlangen dir bewahrt hast — willst du dann noch nichts verstehen von einer ewigen Liebe, in deren Lebenskraft unser Sein erst zum wahren Sein, zur Ewigkeit, wird?“
Eine Karte kam aus dem Kampf. Mit schnellen Bleistiftstrichen: „Dank dir für das Freundeswort! Ja, das Bedürfen nach einer großen Liebe ist geblieben. Lass’ mich diese Hand, die du mir entgegengereckt hast, fassen. Vielleicht, dass mir daran das letzte Geheimnis Gottes doch noch einmal erscheinen wird. Lichter im Dunkel — das ist all unser Ahnen vom Ewigen. Wann wird das volle Licht kommen?“
Und nun kam die Botschaft, dass dies Herz gebrochen ist.
Lasset mich still den Vorhang ziehen über dies köstliche Menschenbild!
„Lichter im Dunkel“ — so ziehen sie hinaus, unsere Allerbesten.
Lichter im Dunkel — ob etwas von diesem Glanz scheint, aus den stillen, anspruchslosen Erzählungen der Männer, die uns von ihrem Leben erzählen in den folgenden Zeilen?
„Lichter im Dunkel“ — ich möchte, dass ein freundlicher Leser sich erquicke an ihrem Lichtschein, der mild und versöhnlich hineinstrahlt in den „Flammenglanz der großen Zeit“!
K. Hesselbacher.
Von Oberleutnant H.
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Meine Batterie war im zweiten Kriegsjahr ganz neu zusammengestellt worden und erst zwei Tage alt, wie ich sie übernahm. Die Pferde waren wunderschön, aber noch nicht eingefahren, und die Mannschaften sahen in ihren neuen Uniformen auch sehr hübsch aus, aber — sie mussten eben erst noch einexerziert und zusammengeschweißt werden, dass es eine Batterie wurde und nicht bloß ein „Haufen“ blieb! Den besten Eindruck machten die Geschütze und die ganze Ausrüstung, alles nigelnagelneu — und der junge Wachtmeister mit seinen zwei Kriegsauszeichnungen im Knopfloch. Alles hatte den besten Willen, mit Ausnahme von ein paar Reitpferden, die sich ihrer Würde als Zugführerspferde nicht bewusst waren und die ernsten Vorbereitungen der Batterie wiederholt durch gänzlich unangebrachten Mutwillen und jugendliche Ausgelassenheit störten; da fehlte es eben noch an Einsicht und Erziehung. Auch die Vorderpferde am zweiten Geschütz wollten immer nur sehr ungern aus dem Kasernenhof heraus, entweder kannten sie sich aus und hatten deshalb Angst, mit lauter „Unausgebildeten“ auszurücken, „mit denen bleibt man ja doch bloß stecken und wer wird dann gepritscht? die Vorderpferde!“ Oder aber waren sie wie die anderen Kanoniere auch Neulinge und hatten als solche Angst.
Wir hatten noch zwei Tage Zeit zum Einfahren und Ausrüsten der Batterie; da wurde auch von morgens bis in die Nacht noch fieberhaft gearbeitet. Das Ausrüsten der Fahrzeuge und Mannschaften mit all den tausenderlei Sachen ist keine Kleinigkeit, und im letzten Augenblick kommt ja sicher noch einer heulend gesprungen: „Herr Wachtmeister, ich hab’ keine Schnürstiefel, vorhin hab’ ich’s noch gehabt und jetzt finde ich’s gar nicht mehr!“ Im Fahren brachten wir’s auch so weit, dass wir auf der Landstraße im Schritt sehr schön und geschlossen und im Trab ohne erhebliche Einbuße an Gefechtskraft vorwärts kamen, jedenfalls waren wir beim Einrücken wieder alle in bester Ordnung beieinander. Am dritten Tag, wie wir in bester Laune über unsere täglich sichtbar wachsenden Fortschritte heimtrabten, kam uns schon ein Radfahrer entgegen: „Um 11 Uhr zum Abmarsch fertig!“ War das noch ein Gespring, bis auch das Allerletzte und Allerkleinste noch verpackt und Lebewohl gesagt war, — und noch vier Schinkenbrote und kalter Braten für die Eisenbahnfahrt, und Schokolade und „gelt, tu’ auch deinen Kopf weg, wenn sie schießen!“
Der Abmarsch war schön, anders wie mein erster Ausmarsch, wo wir bei Nacht unter Donnern und Blitzen, ohne Gruß und Lebewohl auf der hintersten Rampe abfuhren. Im Kasernenhofe standen um die anspannende Batterie die Eltern, Geschwister und Frauen herum, die Kanoniere und Geschütze waren alle mit Blumensträußen geschmückt. Alles war zur rechten Zeit fertig, dann eine kleine Ansprache, drei Hurra auf unseren König, Tusch und Königshymne der Garnisonmusik, es war wirklich ein feierlicher, unvergesslicher Augenblick! Dann wurde unter Vorantritt der Musik zum Verladeort abmarschiert. Die bewussten Vorderpferde vom zweiten Geschütz ließ ich vorsichtshalber zum Tor herausführen — es war auch nötig —, so kam die Batterie schön geschlossen heraus, selbst die Zugführerpferde nahmen sich zusammen. Wunderschön war die geschmückte Batterie mit all dem neuen gelben Lederzeug, es gibt nichts Schöneres, als ein sauber geschirrtes Sechsgespann mit seiner Kanone! Die Verwandten zogen alle mit, war das noch ein Grüßen und Winken durch die Stadt! Das Verladen ging überraschend schnell, und dann ging‘s fort mit strahlenden Gesichtern in ein ungewisses Schicksal hinein, und mit Singen und Rufen und Winken vorbei an allem, was einem auf Erden lieb war, an Eltern und Frau und Geschwistern, an den bekannten Häusern und Straßengesichtern und Kirchtürmen in etwas Starres, Feindliches und Unerbittliches hinein! —
Am Bestimmungsort angelangt, kamen wir erst noch einige Tage als Divisionsreserve ins Quartier, um die Batterie noch weiter auszubilden. Es wurde geschafft, was das Zeug hielt, und in zehn Tagen waren wir soweit, dass es einigermaßen klappte. Da kam auch schon für die halbe Batterie der Befehl, in Stellung zu gehen. Sie wurde bei Dunkelheit bezogen, alles ging gut und glatt, die Protzen kamen wieder in die Ortsunterkunft zurück. Am nächsten Tag war Sonntag, wir dachten an nichts Schlimmes und saßen gerade friedlich bei einem habhaften Mittagessen, da wurde plötzlich telefonisch die andere Hälfte der Batterie auch alarmiert. Das schöne, dampfende Mittagessen blieb natürlich stehen. Wir brachten schnell die Batterie auf die Beine und packten unsere sieben Sachen zusammen. Eine Stunde nach Erhalt des Alarmbefehls rückten wir ab, eine recht gute Leistung für die ungeübte Mannschaft! Es war wundervoller Sonnenschein, Fliegerwetter, wir marschierten deshalb zugweise mit großen Abständen, um die Truppenbewegung nicht ausfallen zu lassen. An der befohlenen Stelle meldete ich mich und bekam Befehl, sofort neben der anderen Hälfte der Batterie in Stellung zu gehen, und zwar geschützweise in längeren Zwischenräumen, da wir hierzu über einen vom Feind eingesehenen Höhenzug weg mussten, aus den er eingeschossen war. Zum guten Glück setzte mitten zwischen das Prachtswetter ein fester Regenschauer ein, der ja gerade wie gewünscht kam, um uns in dem kritischen Augenblick der Sicht des Feindes zu entziehen. Also sofort und so schnell als möglich mit allen Fahrzeugen geschlossen über den Buckel hinüber! — und wie wir alle wieder in Deckung waren, kam wunderschön die Sonne wieder heraus. Wir protzten schnell ab, packten die Munition aus und richteten uns in der schon aufgebauten Stellung häuslich ein. Die gestern eingefahrenen Geschütze hatten sich im Lauf des Morgens schon eingeschossen, so konnten wir die Richtung gleich von ihnen übernehmen. Die leeren Protzen kamen einzeln wieder glücklich über die Höhe zurück und marschierten ab. Nun konnte es also von uns aus losgehen! Ich ging für meine Person in ein vor der Batterie liegendes Dorf, von dessen Kirchturm man einen schönen Rundblick auf die feindlichen und eigenen Stellungen hatte, um mich über die Ziele zu unterrichten. Von dem Turm aus hatte ich Fernsprechverbindung mit der Batterie. Da oben erfuhr ich dann auch von Kameraden der schweren Schwesterwaffe, dass man einen feindlichen Angriff erwarte.
Noch war alles ruhig; am Morgen hatten sich die Franzosen allerdings auf verschiedene Verbindungsgräben und Stellungen eingeschossen, dabei auch mit einem Volltreffer den „bombensicheren“ Beobachtungsunterstand des vorgeschobenen Beobachtungsoffiziers unserer Batterie zerstört, zum guten Glück war dieser gerade im Graben außen und nicht in „Deckung“! Gegen Mittag war es aber wieder ganz ruhig geworden, nur der „Gefreite Kneller“, wie sie ihn nannten, vergnügte sich damit, die Guckfenster und Schusslöcher des Kirchturms als Zielscheibe zu benützen, wir hätten ihm bald eine Wurst herausgehängt, denn er schoss gut! Und ein Maschinengewehr, der sogen. „Steinklopfer Jakob“, hieb uns immer wieder die Dachziegel vom Turme herunter, aber das machten die beiden sonst auch ab und zu. Man sah sich die Stellungen an und ließ sich alles erklären, probierte am Fernsprecher, ob die Batterie noch da war, und klopfte im Übrigen mit den Kameraden seine Sprüche, gemischt aus Scherz und Ernst und Galgenhumor. Da, gegen Abend, schien es loszugehen; die Franzosen nahmen unsere vorderen Gräben mit mehreren Batterien, auch schwerer Artillerie, heftig unter Feuer und deckten zugleich die Zugangsgräben mit Sperrfeuer zu. Unsere Batterien, die ja alle schon zur Abwehr bereit standen, zogen gleich ihre Register, und los ging der Hexensabbat! Es war ein schaurig-schönes Furioso, wie die Inferno-Musik von Max Aeger! Und man wusste ja keinen Augenblick, ob einen nicht diese entfesselte Höllenwut mitsamt dem Türme an die Erde schmetterte! Der Führer der Mörserbatterie war auch mit oben, er hielt seine Trümpfe noch zurück, da er Munition sparen musste. Erst wie die Franzosen gar zu toll auf unserem Graben herumtrommelten, meinte er: „Nun muss ich ihnen aber doch ein wenig Zureden, wirst sehen, wie sie sanft werden!“ Und er ließ ein paar Zuckerhüte in den französischen Graben hineinfallen. Sie wurden in der Tat daraufhin etwas sanfter und beruhigten sich zusehends, vielleicht hatte er den Artilleriebeobachtern drüben die Aussicht verdorben, vielleicht war auch die Infanterie drüben schüchterner geworden; das Toben mäßigte sich jedenfalls.
Wir dachten schon, das Schlimmste sei wieder vorbei, und freuten uns an der schönen Abendbeleuchtung und dem weiten Ausblick — und der Wiederabspannung der Nerven. Da ging es auf einmal im Dämmern erst recht los, diesmal ging‘s aber nicht nur gegen den Schützengraben und die Zugangsgräben, sondern auch gegen das Dorf, den Kirchturm, gegen unsere Batterien und die Straßen; die ganze Gegend streuten sie mit stundenlangem Sperrfeuer ab. Da fruchtete auch das gütliche Zureden der Mörser nicht mehr, man merkte schon, dass es auf einen ernsthaften Sturm zuging. Unsere Batterien feuerten natürlich sofort auch alle, was sie konnten. Nach nicht langer Zeit war mein Draht zur Batterie durchschossen, es machte an sich nichts aus, denn sie war auf ihre Sturmabwehr schon eingeschossen und funktionierte auch so weiter. Immerhin war ich jetzt auf dem Kirchturm überflüssig und machte mich auf den Weg zur Batterie zurück. Das war nun allerdings nicht so ganz einfach, die Dorfstraße und die Straße zur Batterie waren fest unter Feuer, aber mit einiger Gewandtheit und Benützung von kleinen Feuerpausen und Deckungen kam ich doch heil hin.
Die Batterie war inzwischen stark von schwerer Artillerie beschossen worden, glücklicherweise gingen die meisten Schüsse zu weit und sanften den Hang hinter der Batterie hinunter. Immerhin war die junge Batterie in einer tüchtigen Feuertaufe mitten drin, denn wenn der ganze Boden von den in der Nähe hereinsausenden schweren Geschossen zitterte und es rechts und links von den Einschlägen krachte, da konnte der jungen, feuerungewohnten Mannschaft das Herz schon ein wenig klopfen. Man denkt doch unwillkürlich, „wo geht nun die nächste hin?“ Der Batterieoffizier half ihnen auch recht schneidig mit seinem Vorbild über die erste Aufregung hinweg. Wie ich zur Batterie kam, stand er aufrecht außerhalb der Geschützwehr, ruhig seine Zigarette rauchend und winkte auf meine Frage, wie die Schüsse zur Batterie liegen, verächtlich in den Grund hinunter. Wir zogen es aber dann doch auch noch vor, mehr in Deckung zu gehen. Glücklicherweise hatten wir trog des starken Feuers in der Batterie keine Verwundeten, auch war der Feind durch unser Artilleriefeuer im großen Ganzen in seinen Gräben drunten gehalten worden, nur an einer Stelle waren die Franzosen unter dem Schutz der Dunkelheit bis in unseren Graben hereingekommen, der wegen des Trommelfeuers der Franzosen nur von wenigen Posten besetzt war, während der Hauptteil der Grabenbesatzung in den Unterständen gedeckt war. Die Franzosen wurden von der alarmierten Besatzung bald mit Handgranaten wieder aus dem Graben hinausgetrieben, wobei sie mehrere Tote und Gefangene einbüßten. Leider nahmen sie bei ihrem Rückzug auch einen jungen Kriegsfreiwilligen meiner Batterie mit, der als Fernsprecher beim vorgeschehenen Beobachter in dem Graben von ihnen überrumpelt und zum Gefangenen gemacht wurde. Die Franzosen waren nach ein paar Tagen so anständig, einen Zettel herüberzuwerfen, mit der Mitteilung, dass er unverwundet sei und es ihm gut gehe, was er später selbst brieflich bestätigte.
Das war die Feuertaufe, und wir waren stolz, dass wir als so junge Batterie schon so kräftig hatten mitsprechen dürfen. Später ging‘s fast Tag für Tag mit Schießen und Beschossenwerden weiter; an dem lebhaften Interesse, das die französische Artillerie für unsere Batterie zeigte, merkten wir mit großer Genugtuung, dass wir sie doch tüchtig „ärgerten“.
Von dem Leben zwischendrein im Felde erzählt man viel lieber, als gerade von Kampf und Töten, mit dem ist auch so manches Grausige verknüpft, woran man sich lieber nicht erinnern mag! Man plaudert viel lieber vom Leben, von dem mancherlei Drum und Dran des Lebens im Feld, und da gibt’s ja auch manche Hindernisse und manches Unangenehme zu überwinden!