Im Hamsterrad - Michael Kaiser - E-Book

Im Hamsterrad E-Book

Michael Kaiser

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Beschreibung

Eine Reise durch den Irrsinn des Konzern-Alltags. In einer Welt, die wie unsere funktioniert, nur dass sie von Hamstern bewohnt wird, lebt und arbeitet Winston, Marketinghamster im mittleren Management. Eigentlich waren die Umsätze seiner Abteilung auf Plan und Marketingmaßnahmen gut auf Schiene, da gerät Winston in einen Strudel aus Restrukturierung, Vorschriften und Firmenpolitik ... In dieser Geschichte werden Abläufe und Wesen von Konzernniederlassungen karikiert und humoristisch beleuchtet. Das Buch ist ein Muss für alle, die in einem Bürojob arbeiten und sich schon einmal gefragt haben, ob ihre Arbeit eigentlich Sinn macht. Und ein ideales Geschenk für Freunde und Angehörige, die immer schon fragen wollten: "Was tust du eigentlich so den ganzen Tag?".

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Seitenzahl: 250

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Im Hamsterrad

Überleben im Konzern

Eine Beobachtung von Michael Kaiser.

Impressum:

Im Hamsterrad - Überleben im Konzern

von Michael Kaiser

© 2017 Michael Kaiser.

Alle Rechte vorbehalten.

Autor: Michael Kaiser

[email protected]

 

 

 

 

 

 

Ähnlichkeiten mit Firmen, in denen der Autor gearbeitet hat, sind zufällig.

Ähnlichkeiten mit Firmen, in denen der Leser arbeitet, sind erwünscht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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https://www.facebook.com/winston.der.hamster

 

 

 

 

Besonderen Dank an Marlies, Julia und Albert für Lektorat, Layout und Feedback. Ihr seid super, applaudiert Euch bitte selber!

Zusätzlicher Dank an Bernd Ertl für seinen Input bei der Covergestaltung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinweis: Worte, die im Text kursiv geschrieben sind, werden im Glossar erklärt.

Inhalt
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
Glossar

I

Man stelle sich eine Parallelwelt vor. Sie ist genau wie unsere, außer dass sie von Hamstern bewohnt wird. Diese Hamster agieren wie Menschen. Sie arbeiten wie wir in Firmen, Konzernen oder sind selbständig. Sie wohnen in Häusern und arbeiten in Büros. Sie kennen Geld, Kapitalismus und Computer. Ihre Realität ist ein exaktes Abbild der unsrigen, nur dass dort eben Hamster wohnen. In dieser Welt lebt Winston. Winston ist ein Hamster in den besten Jahren. Er wohnt in einer großen Stadt namens Hamstburg. Er hat eine kleine Familie und arbeitet in der lokalen Niederlassung eines globalen Konzerns: der Spinnergy AG. Winstons Arbeitgeber ist eine 100%ige Tochter des Dachkonzerns und firmiert unter dem Namen Spinnergy-Hamstburg GmbH. Natürlich sitzt die Spinnergy-Hamstburg GmbH in einem großen Büroturm, dem Wahrzeichen der Stadt. Der gläserne Büroturm überragt die anderen Gebäude im Gewerbeviertel um gut ein Drittel. Das muss er auch, schließlich ist die Spinnergy GmbH einer der größten Arbeitgeber in der Stadt. Die Hamster sind stets eifrig unterwegs. Sie sind immer geschäftig, sie haben ständig Termine, sie stehen nie still. Das macht Hamstburg zu einer pulsierenden Metropole, einem echten Zentrum der Hamsterwirtschaft. Durch das permanente Wachstum der Wirtschaft, das als Motor des Gesellschaftssystems anerkannt ist, nimmt der Energieverbrauch in den Hamsterstädten seit jeher zu. Daher ist auch das Geschäft mit Energie äußerst lukrativ. Spinnergy AG ist Marktführer im Bereich Energieversorgung. Selbstverständlich kennt der Vorstand der Firma nur ein Ziel, nämlich Marktführer zu sein, zu bleiben und durch permanentes Umsatzwachstum diese Position auch weiter auszubauen. Das sei man schließlich den Aktionären schuldig.

Unsere eigentliche Geschichte beginnt an einem ganz normalen Arbeitstag, so wie Winston bereits unzählige hinter sich gebracht hat.

Winston sank an diesem Morgen in seinen Schreibtischsessel und startete seinen Computer. Auf dem Bildschirm wurde das Firmenlogo sichtbar. Es handelte sich um einen gezeichneten Hamsterkopf, unter dem sich zwei stilisierte Blitze kreuzten. Der Hamster wirkte jung, dynamisch und grinste energiegeladen den Betrachter an. Kurz darauf verschwand das Logo vom Bildschirm und ein 20-zeiliger Text erschien. Der Text war in einer 8-Punkte-Schrift geschrieben, sonst hätte er auf dem Bildschirm keinen Platz gehabt. Winston warf, wie jeden Morgen, einen Blick auf die Zeilen, und las schlussendlich nur die Überschrift: „Nutzungsbedingungen“. Jedes Mal nahm er sich vor, aus reiner Neugierde die Nutzungsbedingungen auch tatsächlich zu lesen. Er kam aber nie über die erste Zeile hinaus. „Dieser Rechner ist Eigentum der Spinnergy AG und als solches nur für den betrieblichen Arbeitszweck einzusetzen.“ Für Winston war eigentlich mit dieser Zeile alles klar: Firmenrechner - Arbeitsgerät - keine privaten Sachen damit machen. Was in den restlichen 19 Zeilen noch stehen konnte, interessierte ihn wohl, dennoch konnte er sich nie überwinden, mehr als diese eine Zeile zu lesen. Am Ende des Textes war ein Button zur Bestätigung, dass man den Text gelesen und verstanden hatte.

Vorschriftsmäßig betätigte Winston den Button. Ein weiteres Fenster öffnete sich auf dem Bildschirm. „Wenn Sie fortfahren, unterwerfen Sie sich den Nutzungsbedingungen. Zuwiderhandeln wird juristisch verfolgt. Sind Sie sicher?“ war hier in großen Lettern zu lesen. Winston bestätigte erneut. „Sie werden in Kürze gebeten, Ihr Passwort einzugeben, bitte vergewissern Sie sich, dass niemand Ihre Tastatur einsehen kann, während Sie schreiben.“ Winston bestätigte erneut. Diesmal vergewisserte er sich jedoch, dass niemand seine Tastatur einsehen konnte. Ein weiteres Fenster öffnete sich: „Geben Sie niemals Ihr Passwort an Dritte weiter und vergessen Sie nicht, es regelmäßig zu ändern.“ Winston bestätigte ein letztes Mal. Die Auflagen der konzernweiten EDV-Abteilung sahen vor, dass Passwörter der Computer, Smartphones und Tablets alle 14 Tage geändert werden mussten, das erhöhe die Sicherheit der Systeme. Neue Passwörter durften nicht mit den letzten 25 Passwörtern ident sein. Das wäre an sich kein Problem gewesen - die meisten Angestellten nummerierten ihre Passwörter einfach durch. So waren Winstons letzte Passwörter eben Winsti115 und Winsti116 gewesen. Einige Mitarbeiter waren dazu übergegangen, die Dauer ihrer Firmenzugehörigkeit in Passwortzyklen zu messen. Der längstgediente Außendienstmitarbeiter solle es sogar auf eine vierstellige Zahl gebracht haben, wurde in der Kantine erzählt. Natürlich nur hinter vorgehaltener Hand, da Passwörter ja geheim bleiben mussten. Problematisch gestaltete sich vielmehr der Umstand, dass Passwörter für eine Reihe von Computerprogrammen vonnöten waren. Diese folgten allerdings nicht dem 14-Tage-Zyklus des Hauptsystems. Manche waren überhaupt nicht zu ändern, andere folgten einem Monatsrhythmus, wieder andere waren alle 90 Tage zu ändern und das Spesenabrechnungsprogramm erforderte alle 25 Tage eine Passwortänderung. Das sorgte immer wieder für Verwirrung, da man nach 3 falschen Passworteingaben aus allen Systemen gesperrt wurde und alle Passwörter händisch, gemeinsam mit der telefonischen EDV-Hotline, zurücksetzen musste. Die Hotline befand sich mehrere tausend Kilometer östlich in einer Stadt namens Hamsterrabat, eine gewisse Sprachbarriere inklusive.

Winston war jedes Mal erleichtert, wenn er seine Passwörter richtig eingegeben hatte. Auch an diesem Tag gelang es ihm. Kaum war der Startbildschirm geladen, poppte ein Fenster aus seinem E-Mail-Programm auf. Es kündigte ein „Special All-Employee-Townhall-Meeting“ an, das in 15 Minuten stattfinden würde. Winston wusste sofort, dass das nichts Gutes verhieß und dass große Veränderungen ins Haus standen.

Während Winston noch sinnierte, was denn der Inhalt des Meetings sein würde, riss ein Hamster die Türe zu seinem Büro auf. Es war Tom. Tom war wie Winston ein Hamster im mittleren Management und für die sogenannten Klein-Kunden zuständig. „Komm“, sagte Tom, „sonst kriegen wir keinen Sitzplatz mehr.“ Auch bei ihm war ein wenig Nervosität zu spüren. Winston nickte wortlos und schaltete den Computer in den Ruhemodus. Der dynamische Hamster mit den Blitzen erschien wieder und diente als Bildschirmschoner.

Im größten Meetingraum des Gebäudes herrschte bereits reges Treiben. Die Hamster saßen auf den Sesseln, winkten einander zu, hielten sich gegenseitig Sitzplätze frei oder diskutierten angeregt. Es wirkte ein wenig wie eine riesige Schulklasse in einem Theater, kurz bevor der Kasperl auf die Bühne kommt. Als die Assistentin der Geschäftsleitung den Raum betrat, wurde es schlagartig still. Sekunden später folgte ihr Fabrizio Santapollinare, der Real-Head President, also der lokale Geschäftsführer der Spinnergy Hamstburg GmbH.

Fabrizio Santapollinare hatte eine Bilderbuchkarriere im Konzern hinter sich. Er hatte im Außendienst in Südlich-Hamstanien begonnen und sich innerhalb kürzester Zeit bis zum Abteilungsleiter emporgearbeitet. Danach war er einige Jahre in der Konzernzentrale in Hamsterdam stationiert gewesen und dann als Geschäftsführer der lokalen Niederlassung in Hamstburg eingesetzt worden. Für ihn war der Erfolg in seinem jetzigen Job wichtig. Wenn die Firma ihre gesteckten Ziele erreichte, würde er wohl innerhalb des nächsten Jahres in den Vorstand des Gesamtkonzerns wechseln.

Fabrizio schaute kurz in die Menge und nickte zur Begrüßung. Dann begann er mit südländischen Akzent zu sprechen: "Die Analyse und auch die Umfrage, an der ihr teilgenommen habt, und vor allem die Task-Force-Gruppe haben gezeigt, dass der administrative Aufwand bei Spinnergy zu hoch ist." Die besonders eifrigen Speichellecker in der ersten Reihe des Auditoriums nickten zustimmend. "Zusätzlich sind die Kompetenzen zu sehr zerstreut. Daher haben wir im SHT (Superior Hamster Team) beschlossen, ein De-Layering durchzuführen." Eine leichte Unruhe breitete sich im Auditorium aus. Einige Angestellten begannen zu tuscheln, andere wetzten mit steigender Nervosität auf ihren Sesseln herum. Diejenigen, die bereits länger als drei Monate im Unternehmen waren, wussten, was gleich passieren würde. Das neue Organigramm, das die Unternehmensstruktur widerspiegelte, würde an die Wand geworfen werden. Glücklich war, wer seinen Namen auf dem Hamsterpoint-Slide wiederfand. Für alle anderen lag beim Portier bereits ein Kuvert mit Abfindung und Dienstzeugnis bereit. Vor allem die Hamster im mittleren Management waren meist von einem so genannten De-Layering betroffen. Für sie war die Rechnung klar: weniger Abteilungen hieß weniger Führungskräfte. Und eine De-Motion, also ein Abstieg in der Hierarchie, wurde nie jemandem angeboten. Spinnergy AG war eine Einbahnstraße nach oben, die man nur seitlich verlassen konnte, ein Umdrehen war nicht vorgesehen.

"Ab nächstem Monat…”, fuhr Fabrizio fort und machte eine längere Pause als notwendig. In diesem Moment schoss Winston durch den Kopf, dass es der Monatsletzte war. Die Änderung würde also ab dem nächsten Tag in Kraft treten. Ungeachtet dessen, was in Winstons Kopf vor sich ging, sprach Fabrizio weiter: “...haben wir daher folgende Struktur: In Zukunft gibt es nur noch eine einzige Superdivision! Alle Mitarbeiter berichten direkt an den Division-Head, welcher direkt an mich berichten wird. Diese direktere Reporting-Line wird uns flexibler denn je machen und das SHT näher ans Business und näher an den Kunden bringen! Ab nächsten Monat ist unsere Hierarchie ultra-flat.“ Ein Raunen ging durch die Menge als das Organigramm endlich an die Wand projiziert wurde. "Wo bin ich? Wo bin ich? Ich kann meinen Namen nicht finden!", rief eine bebende Stimme. "Haha, ich bin der neue Superdivision-Head!", rief David Backicovsky. Eine Hamsterin im Kostümchen brach weinend zusammen, als sie las, dass sie die neue Assistentin des Superdivision-Heads war. "Er hat 380 Direct Reports... das sind 760 Mitarbeitergespräche im Jahr, so viele Termine, so viele Termine...", röchelte sie am Boden liegend. Ein Hamster in grauem Anzug und blauem Hemd riss sich die rote Krawatte vom Hals und rief: "Endlich frei!", stand auf und verließ das Auditorium. Fabrizio hob seine Pfoten und es wurde ruhiger im Saal: „Durch die gesteigerte Effizienz sind 30 Positionen überflüssig geworden. Diese Kollegen arbeiten ab sofort nicht mehr für uns. Aber wir konnten das SHT um drei Mitglieder aufstocken. Somit hat unser SH-Team 25 Mitglieder. Sie sind im Organigramm golden eingefasst. Die Superdivision bekommt darüber hinaus ein eigenes Logo und als Zeichen dafür, dass wir ein nachhaltiges Konzept verfolgen, ein eigenes Hamsterpoint-Template! That's it!" Fabrizio schickte sich an das Rednerpult zu verlassen. Doch einer der neueren Mitarbeiter hob seine Hand und stand auf. Plötzlich kehrte Stille im Saal ein. Die Kollegen hatten teils Hochachtung, teils Schrecken in den Augen. Es war nicht üblich, bei All-Employee-Townhall Meetings Fragen zu stellen, schon gar nicht an den Real-Head President persönlich. Verwundert blieb Fabrizio stehen und zeigte auf den Hamster, der als einziger im Saal aufrecht stand. "Ja?" sagte Fabrizio scharf. "Paul Backinger aus der Buchhaltung. Ich hätte eine Frage. Wie soll das funktionieren? Wir hatten bisher zehn Divisions...", begann der Hamster aus der Buchhaltung. Sofort wurde er von Fabrizio unterbrochen. "Die neue Struktur ist vom Headquarter in Hamsterdam genehmigt und mit der globalen Struktur aligned", herrschte dieser knapp zurück. Als Paul nochmals Luft holte wurde er von seinem Nachbarn zurück auf den Sessel gezogen. "Halt die Klappe du Narr, sonst verschwindet dein Name gleich vom Organigramm!", flüsterte dieser. „Aber die Kostenstellenstruktur", raunte Paul, laut genug, dass es im ganzen Raum hörbar war. Fabrizio zog die rechte Augenbraue hoch. „Neue Kostenstellen, sagen sie? Machen sie es möglich“, sagte der Geschäftsführer scharf und verließ den Raum. "Der hat sich nicht einmal bei den Ausgewechselten für ihre Arbeit bedankt“, murmelte Paul mit belegter Stimme. "Ist halt so!“, zischte der Sitznachbar zurück.

Tina, die Leiterin der Kommunikationsabteilung, betrat nun die Bühne. Sie warf ein Slide mit einer Liste von Questions and Answers an die Wand. Diese sogenannten Q&Aswaren Kommunikationsrichtlinien, die die Mitarbeiter bei externen Anfragen zu befolgen hatten. Tina wirkte gepflegt und korrekt, ihre geschulte Freundlichkeit allerdings gekünstelt. Sie besaß eine Sprecherausbildung und verwendete diese Moderatorenstimme immer, sobald sie ein Mikrophon vor den Schneidezähnen hatte.

„Auch wenn Sie sich nun verunsichert fühlen, seien sie versichert: die neue Struktur ist das Beste für das Unternehmen. Anfragen von der Presse und dem Fernsehen sind, wie sonst auch, ausnahmslos an mich weiterzuleiten. Anfragen von Kunden sind wie folgt zu beantworten:

Q: Wie wirkt sich die Restrukturierung auf die Leistung des Unternehmens aus?

A: Die Spinnergy AG verfolgt seit jeher einen nachhaltigen Wachstumskurs, um den Kunden eine dauerhafte und qualitativ hochwertige Energieversorgung anzubieten. Durch unsere neue Struktur können wir nicht nur den Servicegrad für unsere Kunden, sondern auch den Wert für unsere Anleger verbessern.

Q: Was passiert mit den Mitarbeitern die durch die Restrukturierung Ihre Arbeit verloren haben?

A: Die Spinnergy AG verfolgt seit jeher einen nachhaltigen Wachstumskurs um den Kunden eine dauerhafte, qualitativ hochwertige Energieversorgung anzubieten. Die neue Struktur wurde mit maximalem Augenmerk auf soziale Verträglichkeit umgesetzt. Allen Mitarbeitern wurden Positionen in anderen Niederlassungen angeboten, bzw. wurden lokale Sozialpläne in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat erarbeitet. Durch unsere neue Struktur können wir nicht nur den Servicegrad für unsere Kunden, sondern auch den Wert für unsere Anleger verbessern.

Q: Warum wurde umstrukturiert?

A: Die Spinnergy AG verfolgt seit jeher einen nachhaltigen Wachstumskurs, um den Kunden eine dauerhafte, qualitativ hochwertige Energieversorgung anzubieten. Durch unsere neue Struktur können wir nicht nur den Servicegrad für unsere Kunden, sondern auch den Wert für unsere Anleger verbessern.

Anfragen, die nicht durch diese offiziellen Q&As abgedeckt sind, müssen an die Kommunikationsabteilung weitergeleitet werden.“

Nachdem Tina geschlossen hatte und sich diesmal alle Anwesenden an den Brauch gehalten hatten, keine Fragen zu stellen, leerte sich das Auditorium zügig. Die Hamster machten sich im Foyer über das Buffet her.

Somit wurde die Spinnergy AG wieder einmal umstrukturiert. Winston war, als er die erste Restrukturierung miterlebte, gerade einmal drei Monate Angestellter der Spinnergy AG. Bei der letzten Umstrukturierung hatte er Glück gehabt und war vom Laufradhamster in die Marketingabteilung versetzt worden. Laufradhamster sind jene Mitarbeiter, die im Keller des Gebäudes durch Laufen im Rad Strom erzeugen. Bei offiziellen Anlässen wurden sie meist als „Rückrad“ der Firma bezeichnet. Ein Wortspiel, das vielleicht anfangs lustig gewesen war, doch von den Mitarbeitern immer mehr als geschmacklos empfunden wurde. Das Management hielt allerdings daran fest.

Winston hatte bereits aufgehört zu zählen, wie viele Umstrukturierungen er seither miterlebt hatte. Bislang war er von negativen Folgen verschont geblieben. Auch hatte er gelernt, dass er es sich nach Möglichkeit mit niemandem in der Firma verscherzen sollte. Schließlich wusste er nie, wer in drei Monaten sein Chef sein würde. Womit er sich jedoch immer noch schwer tat, waren taktische Spielchen und Selbstvermarktung. Er hasste es, banale Aktivitäten zu präsentieren und diese dabei als heroisch innovativen Akt darzustellen, der der Firma mehr Umsatz bescheren würde. Auch hatte Winston noch nie ein Interesse daran gehabt, sich mit Ellbogentaktik an Kollegen vorbeizudrängen, um vor dem Management gut dazustehen. Diese Fähigkeiten sind aber essentiell, um in Firmen wie der Spinnergy AG bestehen zu können und die Karriereleiter zu erklimmen.

Winston fuhr mit dem Lift ins erste Stockwerk und setzte sich in sein Büro. Er wollte seinen Computer wieder in Betrieb nehmen, allerdings hatte sich während seiner Abwesenheit das automatische Installationsprogramm gestartet. Damit die Software auf den Firmencomputern einwandfrei funktionierte, wurden in regelmäßigen Abständen Softwareupdates vom IT-Department auf allen Firmencomputern installiert. In dieser Zeit waren die Systeme der Computer dermaßen ausgelastet, dass ein normales Arbeiten unmöglich war. Das Fenster auf dem Bildschirm zeigte an, dass die Installation des Softwareupdates noch 25 Minuten dauern würde. In dieser Zeit konnte Winston also seinen Computer nicht benutzen.

Direkt gegenüber von Winstons Büro befand sich die Teeküche. Wie das Timing nicht anders erwarten ließ, hatte sich in ihr bereits eine größere Gruppe von Hamstern versammelt. Winston konnte sie durch den Glaseinsatz, der sich neben dem Türstock seiner Bürotür befand, beobachten. Es waren vorwiegend Marketingverantwortliche und deren Assistenten die im Stock arbeiteten. Er konnte hektische Pfotenbewegungen bei einigen Assistentinnen erkennen und das Stimmengewirr aufgebrachter Hamster hören. Winston wollte sich eigentlich nie an der kollektiven Gerüchteküche beteiligen. Trotzdem landete er in solchen Momenten sehr oft in der Teeküche und lauschte dem Tratsch. Da er nicht arbeiten konnte, solange das Update lief, verließ er sein Büro und gesellte sich zu den Kollegen. Die Stimmung war noch aufgeheizter, als vom Büro aus zu beobachten war. Zu Winston Überraschung drehte sich die Diskussion jedoch nicht mehr direkt um die Umstrukturierung. Bianca, Winstons Abteilungsassistentin meinte aufgeregt: „Also, ich sag es ihm sicher nicht. Ich geh doch nicht in sein Büro.“ Eine weitere Assistentin nickte zustimmend. „Das geht gar nicht“, sagte sie trotzig, „soll der Mike zu ihm gehen. Schließlich ist er sein Chef. Aber wahrscheinlich ist ihm selber nicht wohl dabei.“ Ohne dass ihn jemand kommen gesehen hatte, stand der eben erwähnte Mike Backzahn mitten in der Runde der Mitarbeiter. Mike war Leiter der Marketingabteilung - noch bis zum Ende des Tages. Das neue Organigramm wies ihn als Spartenverantwortlichen für Hochspannungsströme aus. Sein Sitz im SHT hatte ihn davor bewahrt, wegrationalisiert zu werden. „Wovor habe ich Angst?“, fragte er ruhig und mit aufgesetzter Freundlichkeit. Die Hamster verstummten schlagartig. Jeder wusste, dass Mike immer durchaus freundlich wirkte, es aber nicht verzieh, wenn er sich persönlich angegriffen fühlte. Darüber hinaus galt er als gewiefter Taktiker und war innerhalb der Firmenorganisation unglaublich gut vernetzt. Viele Hamster waren überrascht, dass er nicht zum Superdivision-Head ernannt wurde. Er blickte gefällig aber forschend in die Runde. Die versammelten Hamster versuchten, seinen Blicken auszuweichen. Sie nahmen einen Schluck Kaffee oder schauten schnell auf ihre Smartphones. „Es ist wegen Francis, nicht?“, sagte Mike mit einem milden Lächeln. Niemand antwortete. Entsetzt fiel Winston plötzlich auf, dass er weder ein Smartphone bei sich trug, noch einen Kaffee vor sich stehen hatte. Er brauchte ebenfalls so rasch wie möglich eine Alibihandlung, um Mike nicht in die Augen sehen zu müssen. Suchend schaute er im Raum umher. Zu spät, denn schon trafen sich sein und Mikes Blick. „Winston“, sagte Mike. Dieser zuckte zusammen. Der Manager fuhr fort: „Ich würde ja selber gehen, aber ich habe einen Auswärtstermin und muss gleich weiter.“ Winston seufzte. „Irgendjemand muss es ihm sagen“, erklärte Mike bestimmt, klopfte Winston auf die Schulter und ging zurück in sein Büro. Winston verzog ein wenig das Gesicht. Er wusste was ihm bevorstand. Er hatte die Aufgabe, Francis über die Restrukturierung zu informieren. Mit hängenden Schultern schlich er langsam aus der Teeküche. Die Assistentinnen schauten dem Hamster mitleidvoll, aber auch erleichtert, nach.

Vor einem Büro mit blickdichter Türe blieb Winston stehen. Die Glasscheibe rechts neben der Türe war vollständig mit Alufolie abgeklebt. Das Türschild benannte „Francis Pfotenski, Head of Purchasing“ als Insassen dieses Büros. Winston atmete tief durch. Francis war ein Sonderfall, ein Außenseiter in der Firma. Einige hielten ihn für wunderlich, andere hatten regelrecht Angst vor ihm. Seit Jahren versuchte Francis, die Firma zu verlassen, da er durch die überbordende Bürokratie und den ständig wachsenden Druck nicht mehr glücklich in seinem Job sein konnte. Er hatte die Spinnergy GmbH bereits sieben Mal verlassen und in einer neuen Firma Arbeit gefunden. Doch wie es der Zufall so wollte, wurde jedes Unternehmen, für das er zu arbeiten begann, innerhalb eines halben Jahres von der Spinnergy AG übernommen. So landete er schließlich immer wieder in genau jenem Büro, das er sechs Monate zuvor verlassen hatte. Das setzte dem Hamster natürlich enorm zu. Auch der Versuch, in einer neuen Branche Fuß zu fassen, war zuletzt gescheitert: Francis hatte einen Job in einer Kugellager-Fabrik angenommen. Allerdings zerbrachen die Kugellager der Laufräder im Keller der Spinnergy GmbH durch die jährlich steigende Belastung immer schneller. Rasch wurde von der Controlling-Abteilung errechnet, dass es billiger wäre, den Kugellagerproduzenten aufzukaufen, als täglich große Bestellungen zu tätigen und teure Wartungsverträge abzuschließen. Diese letzte Übernahme war Francis schließlich zu viel. Der bis dahin rein episodenhafte Verfolgungswahn wurde chronisch.

Winston klopfte an Francis´ Türe und betrat das Büro. Es war abgedunkelt und die Wände waren zur Gänze mit Alufolie beklebt. Hinter seinem Schreibtisch saß Francis in einem Faraday’schen Käfig und trug einen Aluhut. Er telefonierte. Am anderen Ende der Leitung war offensichtlich ein Lieferant. „Sie wollen uns Bedingungen diktieren?“, sagte der Hamster mit dem Aluhut, „Ich werde ihnen etwas sagen: wenn sie nicht unsere Konditionen akzeptieren…“, seine Stimme und sein Atem beschleunigten sich, „…dann werden Sie gekauft werden. Die werden die Sie übernehmen. Glauben sie mir! Sie können denen nicht entkommen! Niemand kann ihnen entkommen.“ Francis hielt keuchend inne und konzentrierte sich auf das, was die Person am anderen Ende der Leitung sagte. Schließlich lächelte er zufrieden und sagte: „Gut, sie akzeptieren unser Zahlungsziel von 5 Jahren bei einem Skonto von 10 Prozent? Danke, erwarten Sie die Bestellung der 10 Bleistifte in den nächsten Tagen.“ Francis legte auf. Er hob das Telefon auf und schaute nach, ob sich etwas darunter befand. Danach machte er dasselbe mit seiner Computertastatur. Danach drückte er einige Tasten und der Drucker auf seinem Schreibtisch begann zu arbeiten. Verstohlen schaute er immer wieder um sich. Allerdings schien er Winston, der bereits sein Büro betreten hatte, nicht zu bemerken. Winston räusperte sich, um Francis auf sich aufmerksam zu machen. Francis schreckte auf. Sein Aluhut verrutschte und er musste ihn mit beiden Pfoten festhalten, um ihn nicht zu verlieren. Ruckartig drehte er sich zu Winston um, sah ihn und schrie erschrocken auf. Winston wich mit einem erstickten Schrei einen Schritt zurück, bis er gegen die schalldicht versiegelte Tür stieß. „Schleich dich nie wieder einfach so an!“, schrie Francis. „Ich habe doch… also ich meine…“, stammelte Winston, „es tut mir leid.“ Francis legte seine Pfote auf die Lippen und flüsterte: „Pst. Nicht so laut. Sie sind überall.“ - „Ok!“, sagte Winston leise, obwohl er nicht wirklich wusste, warum er ebenfalls flüsterte. Mit stark gedämpfter Stimme fuhr er fort: „Francis, wir haben wieder umstrukturiert.“ Der Einkäufer blickte Winston unter der Krempe seines Aluhuts forschend an. „Und? Bin ich frei?“, fragte er leise und hoffnungsvoll. Winston schüttelte langsam den Kopf. Francis wurde zornig: „Und deswegen kommst du zu mir und stiehlst mir meine wertvolle Zeit? Ich muss heute noch Büroklammern bestellen! Weißt du, wie lange ich dafür brauche?“ Winston zuckte mit den Schultern. „Nein“, antwortete er. Francis deutete auf den noch immer arbeitenden Drucker. „Ich muss für jede Bestellung über 50 Cent 80 Seiten Formulare ausfüllen und von vier Mitgliedern des SHTs unterschreiben lassen! Das dauert mindest…“, der Einkäufer hielt inne und lauschte. „Hörst du das?“, fragte er mit bebender Stimme. Winston lauschte ebenfalls und sagte: „Nein, was soll ich hören?“. Francis begann in seiner Schreibtischschublade zu kramen. „Hörst Du nicht das Flugzeug?“, rief er. Winston lauschte erneut, konnte aber nur mit viel Fantasie das Brummen einer Propellermaschine wahrnehmen. Francis schaute den Marketinghamster mitleidig an. „Du musst noch viel lernen, aber wahrscheinlich ist es für dich sowieso schon zu spät.“ Winston dachte nach, was sein Kollege damit wohl gemeint hatte, während Francis eine Gasmaske aus seiner Schreibtischlade zog. „Chemtrails! Aber mich kriegen sie nicht“, flüsterte er verschwörerisch. Danach setzte der Einkäufer die Maske auf und nahm den dicken Papierstapel aus dem Drucker. Er hob den Drucker hoch und überprüfte, ob sich etwas darunter befand. Resigniert machte er sich an die Arbeit und begann die Formulare auszufüllen. Winston wollte bereits den Raum verlassen, da drehte er sich nochmals um. „Übrigens, wir berichten jetzt alle an David“, sagte er. Francis blickte ihn durch die Sichtfenster der Gasmaske an. Er dachte sichtlich nach. Dann flüsterte er: „Ich habe immer schon gewusst, dass er einer von denen ist.“ Danach widmete er sich wieder dem Formular. Ohne sich zu verabschieden, verließ Winston den Büroraum. Das Softwareupdate musste mittlerweile fertig sein und es war bereits knapp vor 12:45. Höchste Zeit, um endlich mit der Arbeit zu beginnen.

II

Winston setzte sich gut gelaunt an seinen Schreibtisch. Er hatte das unangenehme Gespräch mit Francis hinter sich gebracht. Nichts stand seiner eigentlichen Arbeit mehr im Wege. Er loggte sich problemlos in seinen Computer ein. Erfreut stellte er fest, dass das Software-Update abgeschlossen war. Ein Blick auf sein Mailprogramm und seine gute Laune war verflogen:„125 neue Nachrichten“. Winston seufzte. „Das hat man davon, wenn man mal einen Vormittag lang sein Smartphone nicht bei sich trägt“, dachte er. Unverzüglich machte sich der Hamster daran, seine Inbox aufzuräumen. Er ging nach keinem bestimmten System vor, sondern begann einfach mit den ersten Nachrichten die an diesem Tag eingetroffen waren. „Spinnergy-News“war der erste Betreff. Es handelte sich dabei um eines der unzähligen firmeninternen Mails, die die Erfolge der internationalen Organisation zur Schau stellten. Winston klickte es an. Sein Mailprogramm zeigte Bilder von lachenden Hamstern, die eine Urkunde in die Höhe hielten. Die dazugehörige Überschrift lautete „Hamsturisches Projektteam erhält Auszeichnung für die Umsetzung der meisten Best-Practice-Projekte im Bereich Mittelgroß-Kunden“. Winston las die firmeninternen Image-Mails nie, dafür hatte er zu wenig Zeit. Er fragte sich bei diesen Aussendungen immer, wer innerhalb des Konzerns die Muße hatte, diese zu verfassen. Auch diesmal löschte er das Mail ohne, den Text gelesen zu haben. Nahezu im selben Moment öffnete sich ein Fenster des internen Chat-Programms. Es war eine Nachricht seines direkten (Noch-) Vorgesetzten, Mike. „Winston, schon den neuen Corporate Newsletter gelesen? C u in my office ASAP“, lautete die Nachricht. Winston schaute auf sein Mailprogramm: 134 ungelesene Nachrichten. Er navigierte zum Papierkorb des Programms und öffnete das soeben gelöschte Mail. Widerwillig begann er es doch zu lesen. Kaum war er mit der Überschrift fertig, öffnete sich das interne Chatprogramm erneut. Es war eine weitere Nachricht seines Vorgesetzten:„Winston, bist du da? Ich habe das nächste Meeting in 10 Minuten. Need to c u now“. Winston seufzte und druckte das begonnene Mail aus. „Bin gleich da“, schrieb er während des Druckvorganges an seinen Vorgesetzten. Bevor er ordnungsgemäß den Computer sperrte fiel sein Blick erneut auf das Mailprogramm: 143 ungelesene Mails. Winston seufzte und machte sich auf den Weg in die Chefetage, in der sich die Büros nahezu aller SHT-Mitglieder befanden.

Mikes Büro war aufgeräumt und hochwertig eingerichtet, so wie es sich für ein Mitglied des SHTs gehörte. Das Büro war auch um einiges größ