Im Kopf des Bösen – Der Happy Face Killer - Axel Petermann - E-Book

Im Kopf des Bösen – Der Happy Face Killer E-Book

Axel Petermann

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Der "Happy-Face-Killer" – ein neuer herausfordernder Fall für die Profilerin Sophie Kaiser "Ich mag Ihre Zeitung und möchte meine Geschichte erzählen. Sie sollen wissen, dass ich der wahre Mörder bin." Bremen, Juli 2024: In der Hansestadt geht ein Serienmörder um. Insgesamt vier Frauen wurden bereits furchtbar zugerichtet aufgefunden. Als eine weitere Frauenleiche entdeckt wird, werden Sophie Kaiser und ihr Team hinzugezogen. Die ambitionierte Profilerin des BKA, die durch ihren Autismus Zusammenhänge anders bewertet als andere, ist gerade erst ein paar Tage in der Stadt, da gibt es bereits das nächste Opfer. Dieses Mal wendet der Mörder selbst sich zeitgleich an die Medien und beschreibt detailliert seine grausamen Taten. Schon bald erhält er den Namen "Happy Face Killer", weil er seine Briefe stets mit einem Smiley unterschreibt. Der Druck auf Sophie Kaiser wächst. Auf jeden Schritt folgen ihr Journalisten und belagern sie mit Fragen. Dann taucht ein weiteres Opfer auf. Kann sie den Fall aufklären und den Mörder stoppen, bevor er ein weiteres Mal zuschlägt? Die realen Methoden der Fallanalyse, angewandt auf ein wahres Verbrechen – inspiriert von einem echten Fall von Deutschlands bekanntestem Profiler Axel Petermann! Die grausame Gedankenwelt eines Serienkillers – nach "Der Sandmann" und "Ken und Barbie" neue True-Crime-Spannung vom Feinsten!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



AXEL PETERMANN & PETRA MATTFELDT

IM KOPF DES BÖSEN – DER HAPPY FACE KILLER

Kriminalroman

Über das Buch

Der „Happy Face Killer“ – ein neuer herausfordernder Fall für die Profilerin Sophie Kaiser

„Ich mag Ihre Zeitung und möchte meine Geschichte erzählen. Sie sollen wissen, dass ich der wahre Mörder bin.“

Bremen, Juli 2024: In der Hansestadt geht ein Serienmörder um. Insgesamt vier Frauen wurden bereits furchtbar zugerichtet aufgefunden. Als eine weitere Frauenleiche entdeckt wird, werden Sophie Kaiser und ihr Team hinzugezogen. Die ambitionierte Profilerin des BKA, die durch ihren Autismus Zusammenhänge anders bewertet als andere, ist gerade erst ein paar Tage in der Stadt, da gibt es bereits das nächste Opfer.

Dieses Mal wendet der Mörder selbst sich zeitgleich an die Medien und beschreibt detailliert seine grausamen Taten. Schon bald erhält er den Namen „Happy Face Killer“, weil er seine Briefe stets mit einem Smiley unterschreibt.

Der Druck auf Sophie Kaiser wächst. Auf jeden Schritt folgen ihr Journalisten und belagern sie mit Fragen. Dann taucht ein weiteres Opfer auf. Kann sie den Fall aufklären und den Mörder stoppen, bevor er ein weiteres Mal zuschlägt?

Die realen Methoden der Fallanalyse, angewandt auf ein wahres Verbrechen – inspiriert von einem echten Fall von Deutschlands bekanntestem Profiler Axel Petermann!

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalt keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © 2025 by Maximum Verlags GmbH

Bei Fragen zur Produktsicherheit wenden Sie sich bitte an uns:

Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

E-Mail: [email protected]

1. Auflage 2025

Lektorat: Kristina Lake-Zapp

Korrektorat: Rainer Schöttle

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: HelenAlex / Shutterstock, KI generierter Inhalt unter der Verwendung von Adobe Firefly

E-Book: Mirjam Hecht

Druck: CPI Books GmbH

Made in Germany

ISBN: 978-3-98679-074-5

Homepage: maximum-verlag.de

Facebook: /MaximumVerlag

Instagram: @maximumverlag

Prolog

Bremen, Juli 2024

Der Speichel sammelte sich in ihrem Mund, gurgelnde Laute drangen aus ihrer Kehle. Schlucken, sie musste schlucken, der Druck auf ihren Hals musste nachlassen. Verzweifelt versuchte sie, den Kopf weiter nach hinten zu drücken, um wenigstens ein bisschen den Schmerz an ihrer Kehle zu reduzieren.

Das Blut rauschte in ihren Ohren, nur verschwommen konnte sie noch die Wand vor sich erkennen, ihre Augen fühlten sich an, als würden sie jeden Moment aus den Höhlen treten. Ihre Haut brannte, das Blut darunter schien in den Adern zu lodern wie entzündetes Benzin.

Schlucken! Sie musste schlucken, doch es ging nicht, zu fest schnürte das Band ihre Kehle zu.

Sie wollte schreien, wollte irgendwie auf sich aufmerksam machen, doch bis auf die gurgelnden Geräusche brachte sie keinen Laut hervor.

Nein, sie wollte nicht sterben, nicht so, nicht jetzt, nicht hier. Was auch immer in ihrem Leben nicht so gelaufen war, wie sie gehofft hatte – einen solchen Tod hatte sie nicht verdient.

Warum nur war sie so dumm gewesen? Warum hatte sie nicht auf das Gefühl tief in ihrem Innern gehört? Es hatte ihr gesagt, dass etwas nicht stimmte, das hatte sie deutlich gespürt. Aber nein, sie hatte nicht unhöflich sein wollen, hatte gelächelt, während alles in ihr Nein! geschrien hatte. Doch sie hatte die Warnung ignoriert.

Und nun lag sie hier, gefesselt, unfähig, irgendeine Gegenwehr zu leisten. Starr vor Angst spürte sie, wie sich das Band um ihren Hals immer fester zuzog. Bestimmt war die Haut darunter längst aufgeplatzt.

Sie stöhnte gequält. Es musste jemand kommen. Sofort! Jemand musste ihr helfen, musste das Band lösen, die Fesseln durchtrennen.

Sie hatte das Gefühl, ihr Hals würde immer mehr anschwellen, mittlerweile schien er zweigeteilt zu sein: in den oberen Rachenbereich und den Bereich unterhalb der Kehle.

Der Druck in ihrem Kopf wurde noch stärker, sie spürte, wie die Augen weiter hervorquollen. Die Hände zu Fäusten geballt, nahm sie noch einmal all ihre Kraft zusammen, um die Fesseln zu zerreißen, aufzuspringen, zu atmen und zu schlucken. Sie wollte schlucken, wieder und wieder schlucken! Zu schlucken war alles, woran sie denken konnte. Wenn das Band nur ein kleines bisschen lockerer wäre …

Sie wollte nicht aufgeben, wollte nicht sterben. Sie wollte leben, sie wollte …

Kurz glaubte sie, dass der Druck gegen ihren Hals nachließ, auch das Rauschen in ihren Ohren schien weniger zu werden. Ein Gefühl der Erleichterung machte sich in ihr breit, sogar das Kribbeln wie von Tausenden Nadelstichen unter der Haut hörte auf.

Hilfe. Es war Hilfe gekommen, ja, so musste es sein.

Ein Ruck ging durch ihren Körper, und sie stellte fest, dass sie noch immer hier lag, gewürgt wurde. Niemand war gekommen.

Sie musste das Bewusstsein verloren haben, nur deshalb war es einen Moment lang besser gewesen. Sie kniff die Augen zusammen, riss sie wieder auf. Der Druck ließ nach. Erleichterung breitete sich in ihr aus, dann schwanden ihr abermals die Sinne. Eine einzelne Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel, denn in diesem Moment wurde ihr schmerzlich bewusst, dass dies ihr letzter Gedanke sein würde.

Der Schmerz war nicht länger zu ertragen, sollte nur noch enden.

Also ließ sie ihr Leben los.

1. Kapitel

Buntentorsteinweg, Bremen

Dienstag, 2. Juli 2024

Ich muss in die Welt der Opfer eintauchen, um verstehen zu können, was der Täter in ihnen sah.

Sophie Kaiser

„Das wäre dann also Nummer fünf“, bemerkte der Kollege, der sich Sophie und Leonhard als Polizeikommissar Marcel Hepkens vorgestellt hatte und jetzt neben Sophie trat, um die Leiche zu betrachten. Zuvor hatte Sophie mit ihrem Handy bereits Aufnahmen gemacht, wie sie es immer tat, statt auf die offiziellen Fotos der Spurensicherung zu warten. Für Sophie war es dieser erste Eindruck, ihre erste Wahrnehmung des Leichnams und seiner unmittelbaren Umgebung, die sie mit den Fotos einzufangen versuchte.

„Sie ist keine Nummer, sondern eine verstorbene Frau“, korrigierte Sophie, worauf Hepkens geräuschvoll ausatmete und sich von ihr abwandte. „Außerdem können wir nicht sicher sein, dass sie tatsächlich ein weiteres Opfer desselben Täters ist, der die vorangegangenen Straftaten begangen hat. Auf den ersten Blick sieht das hier für mich nicht nach einem identischen Tatverhalten aus.“

„Das ist doch offensichtlich“, murmelte Hepkens missmutig, bevor er sich mit einem der anderen Kollegen austauschte.

Sophie war es einerlei, dass dem Kollegen ihre Feststellung nicht passte. Sie eckte ohnehin oft an, ganz gleich, ob sie sich anzupassen versuchte oder nicht. Also konnte sie sich die Mühe auch sparen, erst recht am Tatort eines Gewaltverbrechens, dessen Aufklärung sie zu übernehmen hatte.

Sie richtete den Blick geradeaus, versuchte das zu ordnen, was sie wahrnahm. Sie befanden sich in der ersten Etage eines Mietshauses, in dem den Klingelschildern unten am Eingang zufolge acht Parteien lebten. Soweit Sophie es beurteilen konnte, war dies eine gute Wohngegend. Schräg gegenüber dieser Häuserreihe gab es einen Park.

Eine Frau Mitte dreißig, schlank, vermutlich nicht größer als hundertfünfundsechzig Zentimeter und höchstens sechzig Kilogramm schwer, lag halb nackt mit dem Rücken auf den rot-braunen Fliesen des Treppenhauses. Ihre noch vorhandene Kleidung bestand aus einem hellgelben, hochgeschobenen Plisseerock und einem weißen Slip, der Oberkörper war komplett unbekleidet. Die hellblonden, langen Haare umrahmten ihr Gesicht, die weit aufgerissenen Augen schienen an die Decke zu blicken. Die Nasenwurzel der Frau war aufgeplatzt, aus Nasenlöchern und beiden Ohren war Blut geflossen und hatte sowohl das Gesicht als auch einen Teil der Haare verschmiert.

„Können wir näher rangehen?“, fragte Sophie an den zuständigen Mann von der Spurensicherung gewandt, dessen Namen sie nicht kannte. Leonhard und sie waren erst gestern in Bremen eingetroffen, weil sie wegen einer Reihe getöteter Frauen von den Kollegen hier angefordert worden waren. Als nun direkt heute morgen die nächste Tote gefunden worden war, hatte man ihnen Bescheid gegeben und Leonhard und sie sich hierher begeben und am Fundort ausgewiesen, weshalb sie bisher kaum jemanden von den Kollegen kennengelernt hatten. Marcus Brandner und Stephan Moritz von der Spurensicherung, mit denen sie sonst für das BKA zusammenarbeiteten, würden wegen eines anderen Falles erst in drei Tagen eintreffen und damit das Team komplettieren. Sophie würde nicht dabei sein wollen, wenn Brandner die Spuren begutachtete und alle zusammenstauchte, die diese seiner Meinung nach nicht fachgerecht untersucht hatten. Dabei ging es gar nicht darum, dass die Kollegen der Spurensicherung vor Ort ihrer Arbeit nicht vernünftig nachgingen. Marcus Brandner hatte ihr einmal gesagt, dass sich das Tatgeschehen für ihn mit jeder weiteren Spur mehr und mehr offenbarte – wie bei einem Puzzle, das man zusammensetzte. Genau das konnte Sophie nur zu gut verstehen, denn auch sie hatte während der Ermittlungen eine ganz spezielle Wahrnehmung. Für sie war es, als verfolge sie das Geschehen wie in einem Theaterstück, das sich nach und nach zur Peripetie steigerte und nach dem retardierenden Moment zur Lösung führte. Oder eben zur Katastrophe. Wenn ein Mensch sein Leben verlor, kam das immer einer Katastrophe gleich. Ein Mensch hatte sein Leben gelassen und ein Anrecht darauf, dass Sophie aufklärte, warum, und den Täter überführte – was dann wiederum eine Katastrophe für den Täter war.

Immer wieder erlebte sie es während ihrer Arbeit, dass ihrem Wiesbadener BKA-Team wegen irgendwelcher Befindlichkeiten der zuständigen Beamten vor Ort Steine in den Weg gelegt wurden, was sie ganz und gar nicht nachvollziehen konnte. Für sie ging es nicht darum, ob sie und Leonhard oder aber die Kollegen vor Ort einen Fall lösten, ebenso wenig, ob ihnen dies gelang, weil ein Marcus Brandner die Spurensicherung leitete oder jemand anderes. Sophie und Marcus waren sich einig, dass es nach einem Gewaltverbrechen nur um eines gehen konnte: den Täter zu überführen und den Fall auch für den späteren Prozess wasserdicht zu machen. Das war das Einzige, was man für das oder die Opfer noch tun konnte.

„Können wir näher rangehen?“, fragte sie den Mann von der Spurensicherung noch einmal, diesmal lauter. Offenbar war er so vertieft in die Betrachtung des mutmaßlichen Tatorts, dass er ihre Frage zunächst nicht gehört hatte.

„Ja“, antwortete er jetzt und zupfte an einem Hosenbein seines weißen Overalls. „Hier sind wir fertig und kümmern uns jetzt um den Bereich weiter hinten.“

„Danke“, sagte Leonhard und warf Sophie einen kurzen Blick zu. Als sie nickte, trat er weiter vor, genau wie sie und der Gerichtsmediziner, der sich ihnen bei ihrer Ankunft als Dr. Dietrich Bause vorgestellt hatte.

Dr. Bause betrachtete die Leiche zuerst aus stehender Position, musterte den Körper gründlich von oben bis unten und ging anschließend in die Hocke.

Sophie und Leonhard beobachteten ihn abwartend.

„Haben Sie schon eine vorläufige Einschätzung für uns, Dr. Bause?“, fragte Leonhard nach einer Weile.

„Nur eine erste Draufsicht, ja. Doch Sie wissen ja, belastbare Erkenntnisse kommen erst mit der Obduktion“, stellte der Gerichtsmediziner klar.

„Selbstverständlich.“

„Das Opfer ist weiblich, Mitte bis Ende dreißig, würde ich schätzen. Totenflecken auf den oberen und abhängigen Körperpartien sind vorhanden und voll ausgebildet“, er berührte den Arm der Frau, „lassen sich aber kaum noch wegdrücken. Die Leichenstarre ist nach wie vor im ganzen Körper vorhanden. Ich gehe davon aus, dass sie irgendwann zwischen gestern Nachmittag und dem frühen Abend gestorben ist. Mehrere Stunden nach Eintritt des Todes muss sie vom Bauch auf den Rücken gedreht worden sein, denn die Totenflecken haben sich umgelagert und am Rücken erneut gebildet.“

„Also wurde sie woanders getötet und dann hier abgelegt?“, fragte Leonhard.

„In jedem Fall ist sie eine Weile nach Eintritt des Todes noch einmal bewegt worden. Natürlich kann der Leichenfundort dennoch der Tatort sein, aber Genaueres kann ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.“

„Ich halte es für unwahrscheinlich“, meinte Sophie. „Denn dass die Frau gestern am Nachmittag oder frühen Abend hier getötet wurde und niemand in diesem Mehrfamilienhaus sie vor heute Morgen gefunden haben soll, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“ Sie sah Leonhard an.

„Ja, du hast recht. Das ist wirklich mehr als unwahrscheinlich.“

„Was können Sie denn sonst noch sagen?“, fragte Sophie.

Dr. Bause beugte sich noch weiter runter und legte den Kopf so schräg, dass sein Ohr fast den Boden berührte. Dann richtete er seinen Oberkörper wieder auf und deutete auf den Hals des Opfers. „Sehen Sie hier“, fuhr er fort. „Ein etwa vier Zentimeter breiter, heller Hautstreifen am Hals der Toten, der zum Nacken hin aufsteigend ist und die Totenflecken durchbricht. Anscheinend wurde sie mit einem Tuch oder schmalen Schal stranguliert, von einem Täter, der ein ganzes Stück größer war als sie oder aber weil sie saß, kniete oder lag.“ Er deutete auf die weiteren hellen Streifen auf der Haut des Opfers. „Zwischen den Brüsten unterbricht ein etwa fünfzehn Zentimeter langer weißer Streifen die Totenflecken, der senkrecht nach unten und unterhalb der Brust zu einem weiteren Querstreifen führt …“ Er unterbrach sich, hob den Leichnam an und drehte ihn so, dass man den Rücken sehen konnte. „… und von dort einmal um ihren Körper herum.“

Sophie und Leonhard beugten sich vor, um besser sehen zu können.

Der Gerichtsmediziner ließ den Leichnam wieder in die ursprüngliche Position zurückgleiten. „Die gleichen Muster finden sich an den Hand- und Fußgelenken, außerdem an den Oberschenkeln. Die Frau war gefesselt, als sie starb.“ Er deutete auf die dunkelvioletten Einblutungen im Gesicht, kleine Gefäßzerreißungen, sogenannte Vibices. „Vermutlich durch Strangulation.“

„Die Abdrücke sehen für mich nach Bondage aus“, befand Leonhard. „Sie sind so gleichförmig, akkurat und an Körperstellen, die keine Funktion erfüllen.“

„Das war auch mein erster Gedanke“, bestätigte Dr. Bause.

„Also vielleicht ein aus dem Ruder gelaufenes Liebesspiel?“, fuhr Leonhard in seinen Überlegungen fort.

„Möglich“, gab der Gerichtsmediziner zurück. „Doch das ist nicht meine Baustelle. Für die Ermittlungen und das Ergreifen des Täters sind Sie zuständig.“ Er deutete auf den Slip der Toten. „Ob sie vergewaltigt wurde, kann ich Ihnen erst später mitteilen. Ich will nicht riskieren, den Slip zu bewegen und hierdurch womöglich Spuren zu vernichten.“

„Oder eine Täterin …“, murmelte Sophie, die sich wieder zurückgelehnt hatte.

„Entschuldigung, was hast du gesagt?“ Leonhard sah sie fragend an.

Sie räusperte sich, dann wandte sie sich an den Gerichtsmediziner. „Dr. Bause, Sie sprachen gerade von einem Täter. Worauf beruht Ihre Annahme? Die Körpergröße der Frau entspricht in etwa der vom Statistischen Bundesamt aktuell für Frauen in der Bremer Region ermittelten Durchschnittsgröße von einhundertfünfundsechzig Komma acht Zentimetern, was bedeutet, dass es kleinere, aber durchaus auch größere Frauen gibt. Ältere Frauen liegen übrigens tendenziell unter diesem Durchschnittswert, jüngere Frauen darüber. Es könnte also durchaus eine Frau als Täterin infrage kommen.“

Der Gerichtsmediziner sah sie leicht verwirrt an und klappte den Mund auf, als wollte er etwas erwidern, aber Sophie sprach bereits weiter.

„Sollte Ihre Vermutung allein auf der sexuell konnotierten Bondage-Praxis fußen, muss ich Sie darauf hinweisen, dass diese Vorliebe nicht geschlechtsgebunden ist“, ergänzte sie.

„Täterin“, sagte Dr. Bause. „Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich auch eine Täterin nicht ausschließen.“

„Gut“, erwiderte Sophie knapp, dann dachte sie an die Fotos, die sie von den vier vorherigen Opfern gesehen hatte. Darauf waren keinerlei Abdrücke solcher Fesselspuren erkennbar gewesen, aber auch diese Frauen waren erdrosselt worden. Doch Sophie sprach den Gedanken nicht aus, wusste sie doch, dass eine unverfälschte Wahrnehmung für sie selbst genau wie für Leonhard und die anderen Kollegen unerlässlich war. Sie blickte noch einen Moment auf den Leichnam, dann wandte sie sich an den Kollegen Hepkens, der vorhin von der „Nummer fünf“ gesprochen hatte.

„Wer hat die Leiche entdeckt?“, fragte sie ihn.

„Eine Hausbewohnerin, eine Frau … ach, den Namen hab ich mir notiert … Moment …“ Er deutete auf die Tür, die nur etwa eineinhalb Meter entfernt war. „Frau Pahlke. Sie wäre beinahe über die tote Frau gestolpert, als sie ihre Wohnung heute Morgen verlassen wollte.“

„Um wie viel Uhr war das?“

„Gegen halb zehn. Sie hat uns dann direkt angerufen.“

Wie aufs Stichwort wurde in diesem Moment die Tür der Wohnung geöffnet.

„Kann ich jetzt endlich das Haus verlassen?“, fragte die Frau, die laut den Angaben des Kollegen die Leiche gefunden hatte.

„Wären Sie so nett, sich noch zu gedulden, bis die Spurensuche abgeschlossen ist?“ Sophie verzog die Lippen zu einem Lächeln, da sie wusste, dass sie so um einiges nahbarer rüberkam und die Menschen, mit denen sie sprach, positiver auf sie reagierten.

Die Frau, Sophie schätzte sie auf Mitte fünfzig, zögerte, dann nickte sie, machte einen Schritt zurück und schloss die Tür wieder.

„Haben die Kollegen die Hausbewohner bereits befragt?“, wollte Leonhard von Polizeikommissar Hepkens wissen.

„Ja“, antwortete dieser. „Die Tote wohnte nicht in diesem Haus, und niemand hier kennt sie. Papiere haben wir keine gefunden.“

„Hat denn jemand etwas gesehen oder gehört?“, fragte Leonhard weiter.

„Frau Pätzhold aus dem dritten Stock hat angegeben, heute Morgen ein lautes Poltern im Treppenhaus gehört zu haben.“ Er las von seinem Notizblock ab, den er inzwischen gezückt hatte. „Das Gleiche hat auch Frau Schwabe im zweiten Stock links gesagt.“

„Um wie viel Uhr war das?“, fragte Sophie.

„Laut Frau Pätzhold um etwa halb neun in der Früh, Frau Schwabe meinte, es müsste gegen neun gewesen sein. Auf die Uhr geschaut hat keine von beiden. Und alle anderen im Haus haben nichts gehört und nichts gesehen.“

„Das ist aber um einiges später als der vermutete Todeszeitpunkt“, stellte Leonhard fest.

Sophie nickte. „Ich glaube auch nicht, dass der Fundort der Tatort ist. Warten wir ab, was Dr. Bauses Obduktion ergibt.“

Sie blickte erneut auf die Leiche. Gerade, als sie Hepkens etwas fragen wollte, hörte sie über ihnen ein Rumsen, dann das Schreien eines Säuglings. Sie schaute nach oben, um festzustellen, was dort vorging, und sah eine zierliche, gut aussehende Frau mit schwarzen, hochgesteckten Haaren auf dem Treppenabsatz vor dem Polizeiband stehen. Eine Asiatin, Sophie schätzte sie auf Mitte dreißig, die sich mit einem Kinderwagen abmühte.

„Können Sie mir vielleicht helfen?“, sprach die Frau Sophie an. „Ich muss hier durch.“

„Ich müsste Sie bitten, in der Wohnung zu bleiben, bis wir hier fertig sind“, antwortete Sophie.

Das Kindergeschrei wurde lauter, durchdrang nun hallend das Treppenhaus.

„Aber ich muss wirklich los“, drängte die Frau, und Sophie schloss aufgrund ihrer Gestik und Mimik, dass sie verzweifelt, vielleicht aber auch überrascht war. Durch den Kontext der Situation schloss sie auf Ersteres. Es fiel Sophie schwer, die Gefühle anderer Menschen zu deuten. Sie nahm die Signale wahr und konnte diese inzwischen fast immer richtig zuordnen, doch dies verdankte sie schlicht ihrer Schulung im Bereich Körpersprache. Während die meisten Menschen zu spüren schienen, was andere fühlten, oder es in deren Gesichtern ablasen, ohne darüber nachdenken zu müssen, war es für sie stets eine Herausforderung, herauszufinden, was ihr Gegenüber empfand.

„Könntest du ihr vielleicht helfen, den Kinderwagen an der Leiche vorbeizuheben?“, fragte Sophie an Leonhard gewandt, vor allem, weil das Schreien ihrem Empfinden nach immer mehr anschwoll. Es ließ sie gereizt und ungeduldig werden, und das war nicht gut, wenn sie sich auf die Leiche konzentrieren und herausfinden musste, was sich hier womöglich abgespielt hatte.

„Sicher“, bestätigte Leonhard, ging die Stufen hinauf und bat die Frau, das Absperrband hochzuhalten, dann trug er den Kinderwagen vorsichtig an der Leiche vorbei die Treppe hinunter. Die Frau folgte ihm.

„Danke“, sagte sie zu Leonhard, als der Kinderwagen im Erdgeschoss stand. „Ihnen auch“, rief sie zu Sophie hoch, dann schob sie den Wagen mit dem schreienden Säugling zur Haustür.

„Einen Moment!“, rief Sophie. „Ich muss Sie noch um Ihren Namen bitten.“

„Suwati Arroro.“ Die Frau deutete nach oben. „Ich wohne im zweiten Stock rechts.“

„Danke“, sagte Sophie und sah, wie Hepkens den Namen in sein Notizbuch kritzelte, während Leonhard die Stufen wieder hinaufkam.

Sophie widmete sich wieder der Betrachtung der Leiche, doch sie wurde abermals aus ihren Gedanken gerissen.

„Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, bin ich mit meiner Untersuchung vor Ort fertig“, teilte Dr. Bause ihnen mit.

Leonhard schüttelte den Kopf.

„Für den Moment haben wir alles, was wir brauchen“, sagte Sophie, was jedoch nicht ganz stimmte. Ihr hatte eine Frage auf der Zunge gelegen, doch dann hatte das Babygeschrei sie abgelenkt, und nun konnte sie sich partout nicht mehr daran erinnern.

„Dann kann die Leiche abgeholt werden.“ Dr. Bause reichte Sophie eine Karte. „Sie finden mich in der Gerichtsmedizin“, sagte er. „Sollte niemand ans Telefon gehen, falls Ihnen doch noch eine Frage einfällt – hier steht auch meine Handynummer drauf.“ Er wandte sich zum Gehen. „Ihre Daten habe ich – ich melde mich nach der Obduktion.“

Sophie sah ihm nach, dann schweifte ihr Blick wieder zu der toten Frau. „Was um alles in der Welt ist dir zugestoßen?“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Das Beste wird sein, wir fahren jetzt aufs Präsidium“, schlug Leonhard vor, „um die Vorgehensweise mit den anderen Fällen zu vergleichen.“

„Ja.“ Sophie warf einen letzten Blick auf den Leichnam und wandte sich dann an Polizeikommissar Hepkens. „Ich habe vorhin einige Mülltonnen vor dem Haus stehen sehen. Die müssten durchsucht werden.“

„Die Müllabfuhr war heute schon in aller Frühe da“, erwiderte der Kommissar. „Die Tonnen sind leer. Doch wir haben bereits veranlasst, dass auf der Mülldeponie der entsprechende Entladebereich durchsucht wird.“

„Danke.“ Sophie nickte ihm zu, dann bedeutete sie Leonhard, dass sie jetzt gehen könnten, und verließ mit ihm das Mehrfamilienhaus.

Auf der Straße hatten sich hinter der Polizeiabsperrung einige Schaulustige versammelt, die den Hals reckten, um nur nichts von dem zu verpassen, was hier geschehen war.

Die, die ihre Neugier nicht bremsen konnten, als Leonhard und Sophie unter der Absperrung hindurch und zu Leonhards BMW gingen, stellten ihnen Fragen, doch diese rauschten an Sophie vorbei. Selbst wenn sie gewollt hätte – Sophie hätte den Inhalt nicht wiedergeben können. Der Eindruck, den sie in dem Treppenhaus mit der toten, halb entblößten blonden Frau gewonnen hatte, ließ sie nicht los, dabei hatte sie schon so einige Tötungsdelikte bearbeitet und als Fallanalytikerin wahrlich viele Leichen gesehen. Dennoch berührte sie jeder neue Fall zutiefst, machte etwas mit ihr. Und genau das wollte Sophie niemals verlieren. Sie wollte Toten keine Nummern geben, wollte nicht zulassen, dass die Aufklärung eines Todes für sie lediglich zu einem Job verkam, mit dem sie ihr Leben bestreiten konnte.

Denn dafür fand sie das Leben zu kostbar.

2. Kapitel

Polizeipräsidium Bremen

Dienstag, 2. Juli 2024

Die Arbeit mit Sophie lässt mich die beste Version meiner selbst sein – und doch weiß ich nicht, ob sie mir guttut.

Leonhard Michels

Vom Fundort in dem Mehrfamilienhaus zum Polizeipräsidium waren es mit dem Auto nicht einmal fünfzehn Minuten. Unterwegs sprachen Leonhard und Sophie nicht ein Wort miteinander, aber das kannte er schon. Immer dann, wenn sie an einem Tatort oder Leichenfundort gewesen war, bekam sie den Mund nicht auf, weil sie das Gesehene auf sich wirken lassen und in ihren Gedanken sortieren musste, um sich ein Bild machen zu können.

„Leonhard Michels und Sophie Kaiser, BKA.“ Leonhard trat an den Empfangstresen der Polizeidienststelle, zog seinen Ausweis hervor und hielt ihn dem jungen Polizisten, den er auf nicht älter als Mitte zwanzig schätzte, hin. „Der Kollege Lackmann erwartet uns.“

„Sein Büro befindet sich im zweiten Stock“, erklärte der Polizist. „Der Kriminalhauptkommissar bat mich, Sie in den Konferenzraum zu schicken, sobald Sie eintreffen“, fügte er hinzu, beugte sich vor und deutete auf den Gang. „Sie gehen da entlang, bis zum Fahrstuhl auf der rechten Seite, dann fahren Sie hoch in den dritten Stock. Der Konferenzraum ist ganz hinten, am Ende des Flurs, die Tür steht meistens offen. Sie werden erwartet, also einfach den Stimmen nach“, schlug er vor.

„Vielen Dank!“ Leonhard suchte Sophies Blick, die kein einziges Wort gesagt hatte und ziemlich abwesend auf ihn wirkte. Als sie nicht reagierte, berührte er kurz und so vorsichtig er konnte ihren Arm. Sophie sah auf, nickte rasch und folgte ihm zum Fahrstuhl. Sie hatten sich inzwischen eingespielt, und Leonhard wusste, dass seine Kollegin ihm dankbar war, wenn er sie aus ihren Gedanken holte, um sie auf etwas aufmerksam zu machen. Dennoch war ihm bekannt, dass sie auf Berührungen mitunter empfindlich reagierte, ja regelrecht Schmerzen empfand, wenn sie unvorbereitet oder ungewünscht für sie kamen.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich daher.

„Ja“, gab Sophie knapp zur Antwort, dann fuhren sie nach oben und folgten der Anweisung des Polizisten.

Insgesamt zwölf Männer waren bereits versammelt, als sie den Konferenzraum betraten, mindestens vier von ihnen hatte Leonhard vorhin am Fundort gesehen. Kriminalhauptkommissar Michael Lackmann, der Chef der Mordkommission, der Sophie und Leonhard vom BKA angefordert hatte, damit sie ihn bei einer ominösen Mordserie in der Region Bremen unterstützten, hatte sie gestern bereits kurz im Hotel begrüßt. Als er sie sah, stellte er die Kaffeekanne ab, die er in der Hand hielt, und kam auf sie zu.

„Guten Morgen“, er warf einen Blick auf die Uhr. „Wenn man denn noch von Morgen sprechen kann.“ Er reichte erst Sophie und dann Leonhard die Hand. „Dass ihr gleich nach eurer Ankunft mit dem nächsten Fall konfrontiert werdet, konnte ja keiner ahnen.“ Er wandte sich an die anderen im Raum. „Kollegen, das ist die Unterstützung, von der ich gesprochen habe: die Kollegin Sophie Kaiser und der Kollege Leonhard Michels vom BKA.“

„Guten Morgen“, sagte Sophie zu den Anwesenden und wiederholte wie eine aufgezogene Spieluhr: „Sophie Kaiser, BKA.“

Leonhard nickte in die Runde.

„Ihr könnt euch später miteinander bekannt machen. Wenn ich jetzt alle Namen runterrattere, könnt ihr sie euch ohnehin nicht merken“, stellte Lackmann fest.

Leonhard schmunzelte. Er könnte sich die Namen ganz sicher nicht merken. Sophie hingegen würde sie mit ihrem eidetischen Gedächtnis nicht mehr aus dem Kopf bekommen.

„Bitte“, bot Lackmann an und deutete auf zwei freie Stühle an der Stirnseite des Tisches. Leonhard und Sophie setzten sich, Michael Lackmann nahm neben Sophie Platz.

„Kaffee, Tee?“, fragte der Ermittlungsleiter.

„Ich nehme einen Kaffee. Schwarz, bitte“, bestellte Leonhard, worauf einer der Kollegen, der sich selbst gerade eine frische Tasse Kaffee eingeschenkt hatte und die Kanne noch in der Hand hielt, eine zweite füllte und zu ihm rüberschob.

„Danke.“ Leonhard nickte ihm zu.

„Ein Wasser“, bat Sophie und blickte etwas unruhig auf die Literflaschen, die zusammen mit einigen umgedrehten Gläsern auf dem Tisch standen. Leonhard ahnte, was gleich kommen würde, als einer der Kollegen bereitwillig eines der Gläser umdrehte und nach einer der Flaschen griff.

„Haben Sie auch kleine Flaschen?“, fragte Sophie.

„Wir sind Kollegen und sollten uns duzen“, stellte Lackmann fest, dann zog er die Stirn in Falten. „Kleine Flaschen?“

„Wasserflaschen mit einer Füllmenge von 0,25 oder 0,33 Litern“, erklärte Sophie.

„Äh …“ Lackmann sah sie verdutzt an.

„Habt ihr einen Automaten?“, fragte Leonhard, um das Ganze abzukürzen, und sah in die Runde.

„Ja, sicher.“ Der Kollege, der nach der großen Flasche gegriffen hatte, stand auf. „Mit oder ohne Kohlensäure?“

Leonard sah, wie Sophie angestrengt lächelte. „Das ist mir gleich“, erwiderte sie. „Hauptsache, die Flasche ist klein.“

„Danke“, sagte Leonhard und richtete dann den Blick auf Lackmann, der leicht irritiert zu den aufgestellten Pinnwänden hinüberging. Die Kollegen, die mit dem Rücken dazu saßen, drehten sich in seine Richtung.

An den Pinnwänden hingen Fotos der Opfer, Vergrößerungen der Verletzungen, Aufnahmen der Tatorte sowie Skizzen der Fundorte.

Lackmann ließ den Blick durch die Runde schweifen, bevor er erst Sophie, dann Leonhard ansah. „Wir haben bisher vier, mit dem heutigen Fund fünf Todesopfer“, sagte er. „Zwei der vier Frauen, die wir hier sehen, konnten noch nicht identifiziert werden. Bei unserem neuesten Opfer müssen wir sehen, was die Ermittlungen bringen.“ Er tippte auf das Foto oben links. „Das erste Opfer wurde vor sieben Monaten in der Nähe des stillgelegten Kraftwerks Farge von einem Spaziergänger gefunden“, führte der Leiter der Mordkommission aus.

„Ihr Name war Nathalie Bergmann, einundzwanzig. Sie war zehn Tage zuvor, am 19. November ’23, von ihrem Arbeitgeber, einer Einrichtung für behinderte Menschen, als vermisst gemeldet worden. Sie trug eine bis zu den Knien herabgelassene Hose, was daran liegen könnte, dass sie offenbar zum Fundort geschleift wurde. Außerdem hatte sie ein weißes Band um den Hals, das an einem Ende Brandspuren aufwies. Die Spurenlage deutet jedoch darauf hin, dass sie nicht mit diesem Band erdrosselt wurde, sondern dass es ihr post mortem um den Hals gelegt wurde.“

„Wurde sie vergewaltigt?“, fragte Sophie.

Lackmann nickte. „Die Spuren sind eindeutig und lassen auf einen männlichen Täter schließen.“

„Also keine Täterin“, murmelte sie. „Zumindest nicht bei diesem Opfer.“

Leonhard griff nach seiner Kaffeetasse, als Lackmann auf ein weiteres Foto deutete.

„Die zweite Tote konnte bisher nicht identifiziert werden“, fuhr er fort. „Ihre Leiche wurde vor drei Wochen, am 10. Juni 2024, im Naturschutzgebiet Sodenstich gefunden. Der Todeszeitpunkt dürfte aber einige Monate zurückliegen. Das Opfer trug einen Strick um den Hals.“

Leonhard stellte die Tasse ab und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

Der Leiter der Mordkommission tippte auf das dritte Foto.

„Das ist Karolina Wacker, genannt Koko, vierundzwanzig Jahre alt. Sie arbeitete als Prostituierte. Anders als die drei anderen Frauen wurde sie nicht vergewaltigt, doch auch bei ihr stammen die Strangulationsmale von einem Strick. Ihre Leiche wurde vor dreieinhalb Monaten, am 17. März 2024, in der Nähe des Rasthofs Bremen-Hemelingen gefunden. Sie war von niemandem als vermisst gemeldet worden, konnte aber, nachdem wir ihr Foto unter den Sexarbeiterinnen rumgezeigt haben, identifiziert werden. Ein Abgleich mit der Bürste aus ihrer Wohnung brachte dann Klarheit.“ Lackmann machte eine Pause, da nun der Kollege, der losgegangen war, um Sophie das Wasser zu holen, wieder hereinkam und sich anschickte, die Flasche zu öffnen.

„Das mache ich selbst, vielen Dank“, wehrte Sophie ab und lächelte erneut. Der Kollege reichte ihr die Flasche, murmelte: „Gern geschehen“, und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

Nun deutete Lackmann auf die Aufnahme des vierten Opfers. „Unser bis zu dem Fund heute Morgen letztes Opfer wurde vor einer Woche, am 27. Juni 2024, in der Nähe der Autobahnbrücke Bremen-Mahndorf gefunden“, teilte er der Runde mit. „Die Identität der Frau ist unbekannt, genau wie bei Opfer Nummer zwei. Der Todeszeitpunkt liegt ebenfalls Monate zurück, erdrosselt, wahrscheinlich mit einem Strick“, endete er, dann hängte er das Foto der toten Frau im Treppenhaus zu den anderen an die Pinnwand. „Hier dann die Tote von heute Morgen. Bisher wissen wir nur, dass sie nicht in dem Mehrfamilienhaus gewohnt hat, ihre Identität muss noch ermittelt werden. Auch ob eine Vergewaltigung vorliegt, können wir erst nach der Obduktion sagen.“ Er atmete durch. „Noch einmal: Bis auf Karoline Wacker wurden alle Frauen vergewaltigt“, er tippte dreimal auf die Pinnwand, „die Verletzungen im Intimbereich sind erheblich. Der Täter hat jeweils ein Kondom benutzt. Alle Opfer starben durch Gewalt gegen den Hals. Bis auf Nathalie Bergmann wiesen sämtliche Leichen Strangulationsmarken auf und waren – ebenfalls mit Ausnahme von Nathalie Bergmann – darüber hinaus zum Todeszeitpunkt an Händen und Füßen gefesselt. Das Seil zum Strangulieren beim zweiten Opfer wurde mehrfach angesetzt. Nathalie Bergmann trug das besagte weiße Band um den Hals, doch wie gesagt: Sie wurde nicht damit stranguliert. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass man sie mit bloßen Händen erwürgt hat. An ihrem Hals befanden sich Verletzungen, deren Abdrücke die Form von Fingernägeln haben könnten“, fasste Lackmann die Erkenntnisse von Gerichtsmedizin und KTU grob zusammen.

„Das Vorgehen bei Nathalie Bergmann unterscheidet sich in einigen Punkten von dem bei den anderen Opfern“, erkannte Sophie.

„Du meinst, es ist ein anderer Täter?“, fragte Lackmann.

„Das will ich damit nicht sagen. Die Vergewaltigung und der Ablageort entsprechen dem gleichen Muster. Er könnte sein Verhalten angepasst haben, aber ebenso gut könnte es sich tatsächlich um einen anderen Täter handeln“, fuhr sie nachdenklich fort.

„Und Karoline Wacker?“, fragte Leonhard. „Sie wurde nicht vergewaltigt.“

„Das stimmt“, pflichtete Sophie ihm bei. „Hier spricht jedoch das wiederholte Ansetzen des Seiles dafür, dass es derselbe Mann sein könnte.“ Sie sah in die Runde der Kollegen. „Womöglich hat er bei ihr seine Befriedigung aus der Strangulation gezogen. Aber das ist erst mal nur so ein Gedanke.“

Leonhard trank einen weiteren Schluck des vor ihm stehenden schwarzen Kaffees und betrachtete die Fotos, während Sophie mit einem lauten Zischen den Drehverschluss ihrer Wasserflasche öffnete.

„Welche Behinderung lag bei Nathalie Bergmann vor?“, erkundigte er sich und deutete auf das Foto der jungen Frau.

Michael Lackmann ging zum Tisch und blätterte eine der Akten durch, die er dort abgelegt hatte, bis er die Seite fand.

„Bei Nathalie Bergmann wurde laut Gutachten ICD-10 F70 diagnostiziert“, las er ab, „außerdem eine Dyskalkulie sowie Dyslexie.“

Leonhard sah Sophie fragend an.

„F70 ist laut des standardisierten Klassifikationssystems der WHO zur Kodierung von Krankheiten, Symptomen und Gesundheitsproblemen – kurz ICD-10 – der Code für eine leichte Intelligenzminderung. Bei Dyskalkulie und Dyslexie handelt es sich um eine Rechen- sowie Lese-Rechtschreib-Schwäche“, fasste Sophie zusammen.

„Genau“, stimmte Lackmann zu, wenngleich Leonhard der Blick des Kriminalhauptkommissars zu Sophies Erläuterungen nicht entging.

„Nathalie Bergmann hat also nicht in der Einrichtung gelebt, sondern nur dort gearbeitet?“, vergewisserte sich Sophie.

„Ja, das ist richtig“, antwortete Lackmann. „Sie war in der Lage, allein zu leben, auf dem ersten Arbeitsmarkt konnte sie jedoch nicht eingesetzt werden. Durch ihre Minderintelligenz war sie vermutlich ein leichtes Opfer“, mutmaßte der Kriminalhauptkommissar. „Sowohl das Betreuungspersonal der Einrichtung als auch die Chefin der Kneipe, in der Nathalie Bergmann Stammgast war, beschrieben sie als übermäßig vertrauensselig. Sie hat wohl jeden, ob sie ihn kannte oder nicht, mit einer Umarmung begrüßt. Manch einer hat da gestutzt, doch Brigitte Müller, die Wirtin der Weserkneipe, kannte das und hat den Gästen erklärt, was mit Nathalie los war, wenn sich mal einer zu sehr wunderte.“

„Nathalie war also sehr vertrauensselig“, wiederholte Leonhard. „Das könnte ihr letzten Endes zum Verhängnis geworden sein.“

„Ja, das haben die Stammgäste der Weserkneipe bestätigt“, brachte sich der Kollege, der Leonhard direkt gegenübersaß, ein.

„Viktor Stempfle“, stellte er sich vor.

Sophie und Leonhard nickten grüßend.

„Sie hat sich gern was ausgeben lassen“, fuhr Stempfle fort. „Bier, Schnaps, Weinbrand – was immer ihr bezahlt wurde. Es war auch kein Geheimnis, dass sie schon mit einigen in der Kneipe Verkehr hatte.“

„Was ist das für eine Kneipe?“, fragte Sophie. „Was für ein Publikum findet man dort?“

„Die Kneipe liegt in der Nähe des Weserstadions, deswegen heißt sie auch Weserkneipe“, antwortete Stempfle. „Ist eine von denen, die über die Jahre wahrscheinlich aussterben werden. Dort verkehrt vor allem Stammpublikum, und wenn Werder spielt, ist da kein Bein mehr an den Boden zu kriegen.“

„Habt ihr diese Brigitte Müller gefragt, ob an dem Abend, als Nathalie Bergmann das letzte Mal dort gesehen wurde, jemand da war, der nicht zu den Stammgästen gehörte?“, wollte Leonhard wissen.

„Laut der Wirtin eine Handvoll junger Männer, die wir alle ausfindig machen konnten“, gab Stempfle Auskunft und schüttelte den Kopf. „Sie haben sich wechselseitig Alibis gegeben – war ja nicht anders zu erwarten, schließlich sind sie zusammen um die Häuser gezogen.“

„Vielleicht wollten sie sich auch gegenseitig schützen“, ließ sich Lackmann vernehmen, „allerdings gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass einer aus der Gruppe etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Als Nathalie Bergmann die Kneipe verließ, waren die sechs schon weg.“ Lackmann wiegte den Kopf und blätterte einige Seiten um. „Laut Aussage der Wirtin seit mindestens einer Stunde, vielleicht auch länger. Sie könnten natürlich gewartet haben, doch auch darauf gibt es keinen Hinweis.“ Er deutete auf das Foto der toten Nathalie Bergmann. „Wir haben in den letzten Wochen verschiedene Kollegen abgestellt, die sich in der Weserkneipe einen Eindruck verschaffen sollten – wer genau dort verkehrt und was über Nathalie geredet wurde. Sie wohnte ja nur zwei Straßen entfernt, jeder kannte sie. Die einhellige Meinung war, dass man ihr leicht etwas hätte antun können.“

„Gab es in ihrer Wohnung Kampfspuren oder etwas, was darauf hindeuten würde, dass sie möglicherweise ihren späteren Mörder mit zu sich genommen und noch etwas mit ihm getrunken hat?“, fragte Leonhard.

Michael schüttelte den Kopf.

„Nichts. Die Wohnung war nicht so aufgeräumt, dass man dort vom Boden hätte essen können, aber auf einen Kampf oder eine Bewirtungssituation deutete nichts hin.“

„Können wir in die Wohnung rein?“, fragte Leonhard weiter.

Der Kriminalhauptkommissar schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist neu vermietet.“

„Das war nach der Zeit zu erwarten.“ Leonhard seufzte.

„Habt ihr die Gäste auf deren Hintergrund überprüft?“, kam Sophie auf die Kneipe zurück.

„Die meisten ja. Ist aber nichts Auffälliges dabei rausgekommen.“

„Vielleicht stoßen wir auf etwas, wenn wir eine erste Spur haben“, überlegte Leonhard laut.

Michael nickte und drehte sich wieder zur Pinnwand um.

„Über die zweite Tote, die vor drei Wochen im Naturschutzgebiet Sodenstich gefunden wurde, wissen wir so gut wie nichts“, sagte er. „Der Todeszeitpunkt dürfte, wie vorhin erwähnt, mehrere Monate zurückliegen. Genauer konnte es der Gerichtsmediziner aufgrund des Zustands der Leiche nicht bestimmen.“