Im Krieg - Adrian Tchaikovsky - E-Book

Im Krieg E-Book

Adrian Tchaikovsky

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Beschreibung

»Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.« Und das ist auch alles, was Rex, eine sogenannte technisch optimierte Bioform, in seinem Leben möchte – ein guter Hund sein und seinem Herrn gehorchen. Gemeinsam mit seinem Rudel kämpft Rex in einem seit Jahrzehnten andauernden Krieg, und wenn sein Herr sagt »Töte!«, dann tötet Rex. Wieder und wieder. Als sein Herr eines Tages vors Kriegsgericht gestellt wird, kommen Rex jedoch Zweifel. Was soll er tun, wenn er keinen Herrn mehr hat, der ihm befiehlt? War es möglicherweise falsch, blind zu gehorchen? Und haben er und die anderen Bioformen überhaupt ein Anrecht auf Freiheit und ein eigenes Leben?

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Das Buch

»Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.« Und das ist auch alles, was Rex, eine sogenannte technisch optimierte Bioform, in seinem Leben möchte – ein guter Hund sein und seinem Herrn gehorchen. Gemeinsam mit seinem Rudel kämpft Rex in einem seit Jahrzehnten andauernden Krieg, und wenn sein Herr sagt »Töte!«, dann tötet Rex. Wieder und wieder. Als sein Herr eines Tages vors Kriegsgericht gestellt wird, kommen Rex jedoch Zweifel. Was soll er tun, wenn er keinen Herrn mehr hat, der ihm befiehlt? War es möglicherweise falsch, blind zu gehorchen? Und haben er und die anderen Bioformen überhaupt ein Anrecht auf Freiheit und ein eigenes Leben?

Der Autor

Adrian Tchaikovsky wurde in Woodhall Spa, Lincolnshire, geboren, studierte Psychologie und Zoologie, schloss sein Studium schließlich in Rechtswissenschaften ab und war als Jurist in Reading und Leeds tätig. Für seinen Roman Die Kinder der Zeit wurde er mit dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichnet. Er lebt mit seiner Familie in Leeds.

Mehr über Adrian Tchaikovsky und seine Werke auf:

ADRIAN TCHAIKOVSKY

IM KRIEG

ROMAN

Aus dem Englischen übersetztvon Peter Robert

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe

DOGS OF WAR

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 7/2019

Redaktion: Ralf Dürr

Copyright © 2018 by Adrian Tchaikovsky

Copyright © 2019 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, nach einer Gestaltung von Matt Griffin

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-24467-5V001

www.diezukunft.de

ERSTER TEIL

HUND BEISST MENSCH

1

REX

Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.

Das ist Rex. Schau, wie er läuft. Lauft, Feinde, lauft. Ein Scherz von Herrchen.

Mein Trupp besteht aus Dragon, Honey und Bees. Sie sind ein Multiform-Angriffsrudel. Das heißt, sie sind keine guten Hunde.

Ich nähere mich jetzt den Feinden. Ich komme von der windabgewandten Seite. Ich kann sie riechen – mindestens dreißig Menschen in ihrem Lager. Ich rieche Schusswaffen. Ich rieche keine Sprengstoffe. Ich rieche keine anderen Hunde und auch keine Bioform-Züchtungen, nur Menschen, die Feinde sind.

Ich spreche mit meinen Geschützen. Sie teilen mir mit, dass sie einsatzbereit sind. Alle Systeme optimal, Rex, erklären sie mir. Guter Hund, gut, dass du daran gedacht hast, sagt mein Feedback-Chip.

Sie heißen Big Dogs, meine Geschütze. Das ist ein Scherz der Leute, die sie mir gegeben haben. Sie sitzen auf meinen Schultern und werden schießen, wenn ich mit ihnen rede, denn meine Hände brauche ich für andere Dinge, als auf Abzüge zu drücken. Sie heißen Big Dogs, weil Menschen zu klein sind, um sie zu benutzen, ohne sich dabei zu verletzen.

Die Vorstellung, dass Menschen sich verletzen, gefällt mir nicht. Böser Hund!, kommt der Gedanke. Ich mag Menschen. Menschen haben mich gemacht.

Bei Feinden sieht die Sache anders aus.

Ich rede mit meinem Trupp. Dragon antwortet nicht, aber sein Feedback-Signal zeigt, dass er am Leben ist und noch nicht kämpft. Dragon ist schwierig. Dragon hat seine eigene Art, Dinge zu erledigen, und er gerät dabei oft in Konflikt mit den Anweisungen, die Herrchen mir erteilt hat. Herrchen sagt: »Dragon erzielt Resultate«, also kann ich ihm nicht befehlen, nicht mehr Dragon zu sein, aber ich bin auch nicht glücklich darüber, dass er Dragon ist. Dragon sorgt dafür, dass ich mich unwohl fühle.

Honey spricht mit mir. Sie ist mit der Elefantenbüchse in Position. Dieser Name ist ebenfalls ein Scherz. Wie die anderen Scherze verstehe ich auch diesen nicht. Honey ist kein Elefant.

Bees spricht mit mir. Sie meldet 99 Prozent Integrität. Bees hat keine Schusswaffe und braucht auch keine. Bees ist bereit. Honey ist bereit. Dragon sollte auch lieber bereit sein, sonst beiße ich ihn, selbst wenn ich dann ein böser Hund bin.

Ich spreche mit Herrchen, auf unserem verschlüsselten Kanal. Herrchen sagt, ich bin ein guter Hund. Ich bin in Position, und nichts deutet darauf hin, dass der Feind etwas von meiner Anwesenheit weiß.

Herrchen sagt, ich kann angreifen. Herrchen hofft, ich mache meine Sache gut. Mir liegt sehr viel daran, dass Herrchen stolz auf mich ist.

Ich sage Honey, dass sie loslegen soll. Vom Lager der Feinde aus gesehen, steht sie quer zum Wind. Ich kann Honey riechen, aber sie können es nicht. Sie spricht mit ihrem Zielerfassungssystem, und ich höre mit, wie es Gelegenheitsziele identifiziert. Honey ist einverstanden. Aus einer Entfernung von vierhundert Metern schicken sie elf Sprenggranaten ins Lager, mit dem Ziel, den größtmöglichen Schaden anzurichten. Sobald die elfte unterwegs ist und noch während die erste einschlägt, rücke ich vor.

Ich sehe das Feuer. Ich höre menschliche Stimmen, schrill über den Explosionen. Lauft, Feinde, lauft.

Bees sammelt ihre Kräfte und greift an, schwärmt durchs Lager, wirbelt vom Feuer weg und sticht jeden, den sie stechen kann. Ihre Einheiten sterben nicht, wenn sie stechen, obwohl ihnen irgendwann das Gift ausgeht. Heute setzt sie jenes Gift ein, das den Feinden den Verstand raubt und sie dazu bringt, sich gegenseitig zu bekämpfen. Das ist ihr Lieblingsgift.

Ich weiß immer noch nicht, wo Dragon ist. Ich spreche mit ihm, aber er will es mir nicht sagen.

Honey erklärt mir, dass sie nicht mehr weit entfernt ist und gleich zum Nahkampf übergeht. Ich bin schon da. Menschen laufen auf mich zu – ich habe mir eine ihrer Straßen als Zugangsweg ausgesucht. Einige von ihnen haben Schusswaffen. Die meisten haben keine. Ich laufe auf allen vieren, aber ich spreche mit meinen Big Dogs. Wir suchen uns gemeinsam Ziele aus, und ich fange an, Feinde zu töten – mit Dreiersalven, wie es die Dienstvorschrift vorsieht. Die Big Dogs arbeiten hart, um meine Bewegungen auszugleichen. Manchmal schießen sie daneben, aber meistens treffen sie mit mindestens einer Kugel pro Salve. Gute Waffen, sage ich zu ihnen. Guter Hund, sagt mein Feedback-Chip.

Einer der Feinde schießt auf mich. Ich spüre, wie seine Kugeln mich an der Schulter und der Brust treffen, als würde er mich mit seinen kleinen Fäusten schlagen. Meine Weste macht die Kugeln unschädlich, bevor sie sich an meiner Haut und meinen Muskeln platt quetschen können. Ich spreche mit meiner Datenbank und setze meine Schadenstoleranzen in Beziehung zu seinem Kaliber und seiner Mündungsgeschwindigkeit. Er müsste mich schon ins Auge oder in den Gaumen treffen, um mich zu töten, obwohl ich vielleicht ein paar Tage brauchen würde, um wieder gesund zu werden, wenn er mich in den Bauch träfe. Deshalb trage ich immer meine Weste, wie ich es tun soll. Dragon trägt seine Weste nie.

Jetzt bin ich bei den Feinden, und ich richte mich auf zwei Beine auf, um meine Hände zu benutzen. Die Feinde sind klein. Einige von ihnen reichen mir bis zu den Schultern, manche aber auch bloß bis zur Taille. Sie schreien, und ich rieche ihre Angst. Ich weiß, ich wurde unter anderem gemacht, um Feinden Angst einzujagen. Das gelingt mir. Guter Hund, sagt mein Feedback-Chip. Ich bin sehr glücklich.

Ich ergreife sie und reiße sie auf. Die Kleinen packe ich mit den Zähnen und schüttele sie, bis sie zerbrechen, weil sich das gut anfühlt. Ich kann ihr Blut, ihre Exkremente und ihre Angst riechen. Das ist alles gut.

Honey ist jetzt im Lager. Sie hat ihre Elefantenbüchse auf Automatik gestellt und setzt Sperrfeuer ein, um die Feinde an Ort und Stelle festzuhalten, bis ich bei ihr bin. Bees meldet 81 Prozent Integrität, aber nur 47 Prozent Giftreserven und sagt, sie evakuiert ihre leeren Einheiten, weil diese den Angriff nicht länger unterstützen können. Sie schätzt, dass sie 34 Prozent der feindlichen Population ihre Gifte injiziert hat, und meldet, dass keine Gegenmittel eingesetzt wurden.

Honey bestätigt, dass viele der Feinde sich nun gegenseitig bekämpfen und umbringen, und gratuliert Bees zu ihrer guten Arbeit. Obwohl ich Anführer bin und das meine Aufgabe ist, habe ich nichts dagegen, wenn Honey so etwas sagt. Honey ist die Klügste von uns.

Ich laufe ins Lager und fahre fort, die Feinde zu töten. Einige von ihnen töte ich mit meinen Big Dogs, aber die meisten zerreiße ich, weil das ökonomisch ist. Ich spare Munition. Guter Hund, sagt mein Feedback-Chip.

Jetzt gibt es jedoch keine Feinde mit Schusswaffen mehr, die auf mich schießen. Bees hat sich die bewaffneten Feinde als erste vorgenommen, sodass die meisten von ihnen ihre Waffen schon aufeinander gerichtet und leer geschossen haben.

Einige Feinde versuchen zu entkommen, aber sie sind nicht sehr schnell, und wenn die großen Feinde zurückkommen, um den kleinen zu helfen, bremst sie das noch mehr. Ich bin sehr schnell. Ich laufe um sie herum und treibe sie ins Lager zurück. Auch bei so etwas fühle ich mich gut, sogar ohne den Feedback-Chip.

Honey spricht mit mir. Wo sind die anderen?

Ich sage, dass ich sie nicht verstehe.

Honeys Kanal: Kein nennenswerter bewaffneter Widerstand. Das sind keine Rebellenkämpfer. Das sind Zivilisten.

Das sind Feinde, erkläre ich ihr. Wir führen dieses Gespräch, während wir sie töten.

Honeys Kanal: In unseren Instruktionen hieß es, wir würden auf den bewaffneten Widerstand von Rebellenkämpfern treffen. Sind wir im falschen Lager?

Ich packe einen weiteren kleinen Feind mit den Zähnen, und er zappelt und schreit. Einer der großen Feinde schlägt mit winzigen Fäusten auf mich ein. Herrchen hat gesagt, wir sollen angreifen, sende ich an Honey.

Honeys Kanal: Rex, das ist nicht das Lager, um das es in unseren Instruktionen ging.

Bees’ Kanal: Integrität bei 74 %. Giftvorrat 31 %. Geschätzte Giftaufnahme 42 % insgesamt; 19 % überlebende Feinde.

Dragons Kanal: Ziel erfasst.

Ich frage Dragon. Der kleine Feind steckt noch zwischen meinen Zähnen, aber ich habe ihn weder geschüttelt noch zerquetscht. Ich bin unglücklich. Was Honey sagt, gefällt mir nicht. Etwas in ihren Worten löst bei mir das Gefühl aus, dass ich ein böser Hund bin. Das kommt nicht vom Feedback-Chip, sondern aus meinem Innern, woher die anderen Gefühle kommen.

Dragons Kanal: Peng! Ziel neutralisiert.

Ich möchte wissen, welches Ziel. Der größere Feind schlägt noch immer auf mich ein, damit ich das Maul öffne, aber der menschliche Körper besitzt nicht genug Kraft, um das zu erreichen.

Dragon erklärt mir, dass Herrchen ihm den geheimen Auftrag erteilt hat, einen bestimmten Feind zu töten. Dragon klingt sehr selbstzufrieden. Vielleicht sagt sein Feedback-Chip Guter Dragon zu ihm, weil er den speziellen Feind gefunden und neutralisiert hat.

»Neutralisiert« ist ein Wort, das Dragon nur für spezielle Feinde benutzt. Andere Feinde werden einfach getötet.

Honey hat aufgehört zu schießen. Ich frage sie, weshalb, und sie sendet, ich mache mir Sorgen, dass die Daten unzureichend sein könnten, Rex. Ich möchte Kontakt mit Herrchen aufnehmen.

Es gefällt mir nicht, mitten in einem Kampfeinsatz Kontakt mit Herrchen aufzunehmen. Herrchen denkt dann vielleicht, dass ich meine Aufgabe nicht erfüllen kann. Dann ist Herrchen vielleicht unzufrieden mit mir. Aber Honey ist klüger als ich. Wenn sie meint, wir sollten mit Herrchen Kontakt aufnehmen, dann werde ich es tun.

Herrchen meldet sich sofort; Herrchen hat alles über die von uns übertragenen Video-Feeds mit angesehen.

Ich erkläre, dass die Feind-Parameter nicht denen entsprechen, die wir bekommen haben. Ich bitte um Bestätigung, dass wir den Einsatz zu Ende führen sollen.

Dragon hat eine erfolgreiche Neutralisierung gemeldet, sagt Herrchen. Ihr seid am richtigen Ort. Guter Hund. Beendet den Einsatz. Guter Hund.

Ich schleudere den kleinen Menschen in meinem Maul hin und her und höre, wie seine Knochen brechen. Ich packe das größere Menschenweibchen mit den Krallen und zerreiße es in zwei Teile. Honey trottet herbei und gesellt sich zu mir. Mit ihrer Kraft und ihren Krallen gelingt es ihr, die Fahrzeuge und Gebäude aufzureißen, in denen sich die Feinde verstecken, sodass wir sie töten können. Dann taucht Dragon auf. Er ändert die Farbe seiner Schuppen, damit ich ihn sehe, obwohl ich ihn selbst dann noch nicht riechen kann. Er hat seine Arbeit erledigt und sieht einfach nur zu, wie Honey und ich alle übrigen Menschen töten. Dragon ist sehr faul.

Bees schwärmt draußen ums Lager herum und sticht jeden, der es verlassen will. Sie hat zu dem Gift gewechselt, das Herzen stillstehen lässt.

Bees’ Kanal: Integrität 67 %. Dieses Mitglied des Trupps wird in Kürze Ersatzeinheiten brauchen; bitte das Ausbrüten neuer Körper beschleunigen.

Die Menschen, die sich verstecken, sind meistens die kleinen, die unreifen. Herrchen sagt, wir müssen sie alle töten.

Honey sagt, der Grund ist, dass wir eine verdeckte Operation durchführen. Bees stimmt ihr zu. Dragon ist es egal, nachdem er nun sein Ziel neutralisiert hat. Mir ist es auch egal, weil ich mache, was Herrchen will, und Herrchen mit mir zufrieden sein wird.

Ich bin Rex. Ich bin ein guter Hund.

2

■■■■

Es gibt eine Theateranekdote: Ein Schauspieler geht mit einer Freundin ins Theater. Mitten in der Vorstellung – sie sitzen im obersten Rang, dem sogenannten Olymp – sagt er: »Jetzt kommt eine tolle Passage. Da trete ich auf.«

Da trete ich auf. Momentan warte ich selber auf meinen Auftritt. Ich bin gespannt, welche Rolle ich spielen werde – die Heldin oder Schurkin oder bloß eine Statistin, eine Speerträgerin im Krieg anderer Leute.

Verkündige ich, dass es hier anfängt? Es gibt keinen bestimmten Punkt, wo es anfängt. Leben ist unablässige Erschaffung, Veränderung und Zerstörung. Es kommt darauf an, das eine vom anderen unterscheiden zu können. Hat es mit der ersten funktionsfähigen Bioform begonnen? Mit dem ersten Computer? Und was ist mit der menschlichen Erfindungsgabe oder dem ersten Mal, als ein Mensch seinen Hund getätschelt und braver Junge gesagt hat?

Zunächst hatte ich mit dem Aufstand in Campeche vor allem im Rahmen meines Jobs zu tun, aber in den geheimen Hinterzimmern meines Geistes hielt ich Ausschusssitzungen ab, aus denen ein sehr persönliches Interesse an der neuesten Entwicklung auf dem Gebiet der Bioform-Forschung erwuchs. Rex’ Multiform-Rudel war diese neueste Entwicklung – zum ersten Mal wurde diese Technik in größerem Maßstab in der Praxis eingesetzt. Und die Gerüchte darüber, wo das geschah, tauchten bereits in Verschwörungsforen in aller Welt auf. Redmarks eigenes Markenpflegeteam schürte sie noch und übertrieb sie, um die Anschuldigungen aus den Regionen der ernsthaften Spekulation ins Land der ausgeflippten Scheibenerde- und Reptiloidenfans zu rücken. Bekanntlich beerdigt man eine Story am besten in einer anderen Story.

Dennoch gewannen die Gerüchte an Zugkraft und sickerten in die respektableren politischen Blogs. Auch wenn die Markenpfleger ein noch so tapferes Rückzugsgefecht austrugen – es würde Fragen geben, die sich nicht einfach mit einem süffisanten Grinsen abtun ließen.

Also flog ich nach Campeche, um die Wölfe laufen zu sehen.

Ich wusste nicht, was für eine folgenschwere Begegnung das sein würde.

Am Anfang beging ich denselben Fehler wie alle anderen. Ich dachte, Rex wäre bloß ein Ding und schlechte PR. Ich dachte, ich würde es bloß als »Hund beißt Mensch« hinstellen und das Programm beenden müssen. Auf Rex, Honey, Dragon und Bees war ich nicht vorbereitet.

Vor allem auf Bees nicht.

Aber ich war noch jung und lernwillig, und so machte ich mich auf den Weg nach Campeche.

3

HARTNELL

»Als ich noch klein war«, sagte Hartnell, »tippten alle auf Roboter. Roboter würden die Kriege für uns ausfechten – Drohnen, Metallsoldaten und Panzer mit elektronischem Gehirn. Dann würden sie sich gegen uns erheben und die menschliche Gattung auslöschen, klar, aber bis dahin würde es auf jedem irdischen Schlachtfeld nur noch Robotersoldaten geben. Zu meiner Zeit in Yale wollte die Hälfte meiner Kommilitonen der nächste Supercrack im Bereich autonome Kybernetik werden. Jetzt fragen sie sich alle, was bei ihnen schiefgelaufen ist.« Er sah die Frau mit zusammengekniffenen Augen an, um zu sehen, ob sie zuhörte. Ihr Gesicht zeigte nur so etwas wie ein vermutlich mühelos vorgetäuschtes höfliches Interesse.

Sein Gast hieß Ellene Asanto. Vor vier Stunden war sie mit einem kleinen zweisitzigen Schweber, der im Handumdrehen wieder verschwunden war, kaum dass ihre Füße den Boden berührt hatten, in Hopelchén gelandet. Flugreisen tiefer nach Campeche hinein waren aus gesundheitlichen Gründen nicht ratsam. Darum hatte Hartnell sie abgeholt und war mit ihr eine Abfolge holpriger Lehmpisten entlanggefahren, wobei sie ordentlich durchgerüttelt wurde, etliche Kontrollstellen passieren und auch die eine oder andere Schießerei überstehen musste – alles, um hierher zu gelangen.

Außerdem trank sie nicht, zumindest nicht so viel wie er. Hartnell hatte stets zwei Flaschen Whiskey dabei, die er äußerst gewissenhaft rationierte; immer dann, wenn die Nüchternheit ihr hässliches Haupt erhob, trank er einen winzigen Schluck. Und was ist bei mir schiefgelaufen?, kam ihm der selbstmitleidige Gedanke, aber er schaffte es, ihn nicht auszusprechen. Asanto war seit Langem die einzige Frau, die weder Redmark-Soldatin noch verängstigte Einheimische war, und er hegte die nicht nur verzweifelte, sondern vermutlich völlig aussichtslose Hoffnung, dass es ihm irgendwie gelingen würde, ihre Sympathie zu gewinnen.

Welches nette Mädchen kann denn schon einem Cyborgsysteme-Genie mit Yale-Abschluss widerstehen? Nur dass bei diesem kleinen Genie alles derart schlecht gelaufen war, dass es sich nun in einem Kriegsgebiet befand und Hilfsdompteur für die Redmark Asset Protection spielte. Auf Hartnells bewusst ungepflegter Uniform prangte ein Lieutenantabzeichen, aber er war hier der einzige Mann auf Redmarks Gehaltsliste, der keine Schusswaffe trug.

Asanto war eine Art Spitzel. Ihre Auftraggeber hatten sie hergeschickt, damit sie überprüfte, wie die Verrückten von der Forschungsabteilung ihr Geld ausgaben, so kam es ihm jedenfalls vor. Außerdem hatte er den Eindruck, dass es ihm nicht zustand, sie danach zu fragen. Sie war eine hochgewachsene, schlanke Latina – nicht viel kleiner als der dürre, langgliedrige Hartnell –, die mit einem langen, dunklen Mantel und einem weißen Tuch um den Hals im schlagenden Herzen eines Campeche-Septembers aufgetaucht war. Mit der Sonnenbrille wirkte sie wie ein Filmstar aus dem letzten Jahrhundert. Er hatte sich erboten, ihr all das abzunehmen, denn er lief in Hemdsärmeln herum und schwitzte trotzdem wie ein Schwein. Sie hatte auf kühle, freundliche Weise abgelehnt. Sie besitze Thermoregulationsimplantate, hatte sie ihm mit knappen Worten erklärt. »Nicht zuletzt sind sie für mich eine Arbeitsplatzgarantie. Immer wenn in der Nähe des Äquators irgendwas los ist, holen sie mich. Niemand sonst wollte diesen Job.«

Sie sah ihn immer noch an und wartete darauf, dass er hinsichtlich der Kybernetiker auf den Punkt kam, deshalb platzte er heraus: »Natürlich lag es an diesem sch… Fiasko in Kaschmir.« Er trank einen weiteren Schluck, hielt ihr die Flasche hin und schwenkte sie hoffnungsvoll hin und her.

»Sagen Sie ruhig ›Scheißfiasko‹, Hart. Mir werden schon nicht die Ohren bluten.«

Er zwinkerte rasch. Nennen Sie mich Hart, hatte er gesagt, also tat sie es, und nun fühlte er sich jedes Mal wie auf dem falschen Fuß erwischt. »Äh … Haben Sie ein paar von den Aufnahmen aus Kaschmir gesehen?«, fragte er sie.

»Ich habe genug gesehen«, bestätigte sie. Maschinen, gehackt von Maschinen, die wiederum von anderen Maschinen gehackt worden waren, bis es nur noch fehlerhaften Code gab und niemand mehr die geringste Kontrolle darüber besaß, was dort vorging. Von einem Tag auf den anderen hatte kein Mensch mehr eine Roboterarmee einsetzen wollen. Es hatte so ausgesehen, als würde sich die menschliche Gattung damit begnügen müssen, auf die altmodische Art und Weise Krieg zu führen, mit menschlichem Fleisch und Blut. Aber nicht wenige weitsichtige Waffenproduzenten hatten den Zusammenbruch kommen sehen und arbeiteten bereits an anderen Optionen.

Seither hatten die Verschlüsselungstechniken große Fortschritte gemacht, und zahlreiche Kybernetiker meinten, es sei an der Zeit, den Robotern eine neue Chance zu geben. Hartnell behielt von Berufs wegen ständig eine Reihe von Soldatenersatzprogrammen im Auge, die auf den unfehlbaren, perfekten Roboterinfanteristen abzielten. Aber die Leute hatten noch immer die Bilder aus Kaschmir im Kopf. Es war eine humanitäre Katastrophe gewesen. Teile der Region waren nach wie vor Sperrgebiet, weil einige dieser Maschinen auch jetzt noch höchst aktiv waren; sie saugten das Sonnenlicht auf und töteten alles, was sich bewegte.

All das führte zum Aufstieg der Bioform-Infanterie und damit zum Zeitalter des Hundes, zu Hartnells hiesigem Posten und Ellene Asantos Flug nach Hopelchén, weil irgendjemand weiter oben in der Kette neugierig war, wenn auch nicht neugierig genug, um selbst herzukommen.

Die Luft in dem Panzerwagen war wie in einem Ofen. Es roch nach Schweiß und Metall und dem scharfen Aroma seines Whiskeys. Als sie zum hundertsten Mal auf Schrittgeschwindigkeit abbremsten, fluchte er und schlug mit der Faust gegen das Dach, als wollte er einen Kutscher antreiben. Gleich darauf traf mit einem Ping die Nachricht in seinem Implantat ein: Bin bei euch. Asantos Miene nach zu schließen, hatte sie das bereits mitbekommen.

»Murray ist hier?«, fragte sie, weil sie noch einen weiten Weg vor sich hatten, falls er nicht auftauchte.

»Murray?« Hartnell war dazu übergegangen, es »Moray« auszusprechen, wie die Muräne, was beim ersten Mal komisch gewesen war, aber jetzt dachte er dabei immer an vorstehende Unterkiefer voller Reißzähne und an Lauerjäger – nur allzu passend für den Mann. »Was weiß ich. Der Kerl geht, wohin er will. Versuchen Sie mal, ihn dazu zu bringen, Verabredungen einzuhalten.«

Denn sie war natürlich an Murray interessiert, nicht am armen Hart. Diverse Großunternehmen mit Interessen in Campeche hatten sich im Bestreben, ihre Vermögenswerte zu schützen, an Redmark Asset Protection gewandt. Und Redmark wiederum hatte die Optionen für einen schmutzigen Landkrieg in schwierigem Terrain abgewägt und sich dann an Jonas Murray gewandt. Obwohl Murray sich in erster Linie dadurch auszeichnete, dass er ein Kotzbrocken war – nach Hartnells Dafürhalten –, war er nämlich auch der führende Mann beim Einsatz von Bioformen in der Kriegsführung.

Über ihnen ertönte ein lautes Klopfen, und Hartnell kämpfte einen Moment lang mit der Luke, bevor er sie aufbekam. Er und Asanto kletterten in dicke, feuchte Luft hinaus, die nach Menschen, Tieren und verfaulenden Pflanzen roch.

Seiner Schätzung nach waren es vierzig Soldaten. Sie trugen alle die mattgrauen Redmark-Uniformen – nur eine Einheit der gesamten privaten Sicherheitstruppe, die hier eingesetzt wurde. Die anderen waren ebenso wie die meisten Bioform-Rudel überall im Staat unterwegs, um den Feind im Zaum zu halten. Dies war Murrays persönliche Spezialeinheit, seine Säuberungstruppe. Ausputzer, oder besser Wegputzer.

Sie hatten eine Schutzzone eingerichtet – er sah Turmgeschütze und die spinnwebartigen Gerüste von Sensortürmen. Statt Gebäuden gab es Räume, deren Dach und Wände aus der hauchdünnen Gaze von Moskitonetzen bestanden – null Privatsphäre. Asanto stieg hinunter, und Hartnell sah, wie sich alle darüber klar zu werden versuchten, ob sie ein Problem darstellte. Als er selbst abstieg, trat er daneben und landete auf dem Hintern im Schlamm, eine Flasche an seine Brust gedrückt. Aber die Meinung dieser Leute über ihn konnte dadurch wohl ohnehin kaum noch schlechter werden.

Und dann war der Mann selbst da, er rief ihnen durch die Netze etwas zu, und plötzlich hatte jeder Soldat etwas anderes zu tun.

»Ich nehme an, Sie sind Asanto?«

Jonas Murray, der Hundebändiger von Redmarks experimentellem Soldatenprogramm; Hartnells Boss und die Quelle der Albträume, denen er durch seine Trinkerei zu entkommen versuchte. Natürlich hatten viele Menschen Chefs, die ihnen das Leben schwer machten, aber diese Chefs waren nicht »Moray«, die Muräne von Campeche.

Die Muräne von Campeche. Es half Hartnell, sich seinen Vorgesetzten als eine Art Pulp-Movie-Bösewicht vorzustellen. Auf diese Weise konnte er sich einbilden, dass eines Tages ein Waffen schwingender Abenteurer auftauchen und den Mann in einen Vulkan schmeißen würde.

Der Spitzname war allerdings durchaus passend. Wenn Murray lächelte, erwartete Hartnell beinahe, Reihen nadelspitzer Zähne zu sehen, als würde er sich in eine seiner eigenen Bioformen verwandeln. Er war kahl, mit roter und in der Hitze glänzender Kopfhaut, und obwohl sein Gesicht jede Menge Charakterfalten aufwies, war es jetzt nahezu ausdruckslos – nichts als eine leichte, höfliche Krümmung der Lippen zwecks Kontaktaufnahme.

Er war hochgewachsen und breitschultrig, mit der Fitness eines Soldaten, die auf jener schon früh im Leben einsetzenden Beschleunigung des Muskelaufbaus basierte, die all die Privattrainer der Reichen und Berühmten vor einer Generation arbeitslos gemacht hatte. Hartnell sah, wie Asanto ein wenig zurückwich, als er ihre Hand ergriff, aber Murray hielt nicht viel vom Schraubstockhändedruck. Seine Kraft war die einer Kobra; sie lag auf der Lauer, bis sie benötigt wurde.

»Colonel Murray.« Asanto stolperte kurz über den Namen; beinahe hätte sie »Moray« gesagt. »Ich wollte mir mal ansehen, wie das so ist, wenn man auf den Hund kommt.«

Murray musterte sie von oben bis unten, noch immer ohne jegliche echte Gemütsbewegung. »Meine Elemente sind auf dem Rückweg zu uns. Begleiten Sie mich in mein Büro. Mal sehen, ob ich sie Ihnen zeigen kann.« Er sprach langsam, mit der rauen Stimme eines Rauchers.

»Elemente?« Sie folgte ihm in den kleinen Komplex aus Moskitonetzen. Hartnell lief hinterher. Im Innern hatte man ein provisorisches Überwachungszentrum eingerichtet, mit einem halben Dutzend Monitoren, die sich in Koffern verstauen ließen.

»Das ist ihre offizielle Bezeichnung«, bestätigte er. »So fällt es den Buchhaltern wohl leichter, sie steuerlich abzuschreiben.«

»Und wie nennen Sie sie?«

»Ich nenne sie bei ihren Namen, Miss Asanto.« Er nahm vor den Monitoren Platz. Sie hatten Buschland, Dschungel und leere staubige Straßen gezeigt, aber jetzt begannen sie zu flackern und zu flimmern, als Murray sich mit ihnen verband. »Apropos Buchhalter …«

Sie zuckte die Achseln. »Ein Haufen Investoren haben einen Haufen Geld in Redmarks Bioform-Sparte gesteckt. Können Sie’s uns verübeln, dass wir sehen möchten, wohin all diese Dollars gegangen sind?«

»Vermutlich nicht. Obwohl ich gedacht hätte, Sie könnten warten, bis wir hier fertig sind und abziehen.« Auf den Bildschirmen vor ihm verschwand nach und nach die Landschaft, dafür zeigten sie nun eine vertraute Gestalt – Asanto selbst. Asanto, wie sie aus dem Schweber stieg; Asanto, wie sie mit Hartnell ein Glas trank, während sie auf den Wagen warteten; Asanto, wie sie an seiner Seite im matt erleuchteten Innenraum hin und her geschüttelt wurde. Es war eine von Murrays Standardtaktiken, um seine Gäste aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Versuchen Sie mich einzuschüchtern?«, fragte die Frau, und Hartnell hustete über seinem Whiskey.

Murrays »Natürlich nicht« kam eine Spur zu spät; das hieß Ja. Er und Asanto sahen sich einen Moment lang einfach nur an, und die Worte Darüber reden wir noch standen ihr praktisch ins Gesicht geschrieben.

Noch nie hatte jemand so mit Murray gesprochen, weder der übellaunigste Soldat von Redmarks Privatarmee noch gar die »Elemente« selbst. Aber Ellene Asanto war das offensichtlich scheißegal.

Ich bin verliebt, entschied Hartnell. Er wusste, dass es drei Teile Lust und zwei Teile indirekte Rebellion waren, aber nach vier Monaten in Campeche würde er nehmen, was er kriegen konnte.

»Sie kommen in einem ziemlich günstigen Augenblick«, sagte Murray, während die Bildschirme wieder die Wildnis zu überwachen begannen. Eine Patrouille von Redmark-Soldaten latschte eine unbefestigte Straße entlang – auf diese Entfernung kaum erkennbare Strichmännchen, über deren Köpfen in geisterhaftem Grün ihre jeweilige ID schwebte.

»Was Sie nicht sagen.«

»Letzte Nacht haben wir Parvez erwischt. Emmanuel Parvez.«

Das löste bei Asanto endlich eine Reaktion aus. »Gehörte das denn zu Ihrem Auftrag, Colonel?«

»Also, wenn man den Mann als Ehrengast in einem Lager von Anarchistas vorfindet, dann fragt man nicht lange, oder? Ich weiß, er hat sich große Mühe gegeben, sein Tugendboldimage für die Medien in aller Welt zu kultivieren, aber in Mexico City war er immer unser entschiedenster Gegner. Als wir erfahren haben, wo er sich aufhielt, wäre es mir unhöflich erschienen, nicht vorbeizuschauen und Hallo zu sagen.«

»Darf ich fragen, wie Sie an diese Information gelangt sind?«

Murrays Miene bekam etwas Flaches und Hartes. »Nein, dürfen Sie nicht. Sie sind hier, um sich anzusehen, wie wir das Geld Ihrer Investoren ausgeben. Alles andere ist geheim.«

Hartnell schwieg und blieb geflissentlich hinter Asanto stehen, wo ihn etwaige kleine nervöse Zuckungen nicht verraten würden. Emmanuel Parvez war also tot. Er hatte gewusst, dass der Einsatz geplant gewesen war, aber nicht, dass man ihn tatsächlich durchgeführt hatte. Das würde in der Hauptstadt nicht gut ankommen, außer wenn Murray und die Redmark-Politikaster erstklassige Arbeit bei der Verunglimpfung des Mannes leisteten. Aber vielleicht reichte es schon, wenn sich herausstellte, dass er freundlichen Umgang mit einem ganzen Lager voller Anarchista-Terroristen gepflegt hatte.

Falls es denn tatsächlich so gewesen war.

Hartnell hatte es gefallen, ein kleines Genie in puncto Cyborg-Interface-Systeme zu sein. Es hatte ihm eine Welt der Sicherheit versprochen. Er hätte sich nie vorstellen können, in was für trübe und zweifelhafte Regionen es ihn schließlich führen würde.

»Na schön«, gab Asanto nach. »Und wo sind Ihre ›Elemente‹ nun?« Sie machte eine Kopfbewegung zu den Monitoren, auf denen weder Haut noch Haar einer Bioform zu sehen war.

Was nicht sonderlich viel besagen will, dachte Hartnell. Dragon könnte an der gottverdammten Kamera lutschen, und wir würden ihn trotzdem nicht sehen.

Aber Murrays leises Lächeln war wieder da, und er sagte nur: »Ellene Asanto, darf ich vorstellen: Rex.«

Sie drehte sich um und erstarrte. Ein unwillkürliches »Fuck« rutschte ihr heraus, als sie ihn sah.

Er stand einfach da, unmittelbar draußen vor dem Moskitonetz. Er war von der windabgewandten Seite gekommen, sodass sie seinen erdigen Hundegeruch nicht wahrgenommen hatten. Das hieß, Murray hatte ihm befohlen, Asanto als Feind zu behandeln, wenn auch nur für kurze Zeit; Rex war nämlich darauf dressiert, seine Freunde wissen zu lassen, wo er sich befand. In Hartnells Augen war dies eine untragbar riskante Art, »ich habe den größeren Schwanz« zu spielen. Er wusste, was Rex mit Feinden anstellte.

In seiner leicht gebeugten Haltung war Rex gute zwei Meter dreißig groß. Die auf seinen Schultergurt montierten Parrott-Kanonen – seine »Big Dogs« – überragten sein flaches Schädeldach nur um ein kleines Stück. Er besaß nicht die Parademuskulatur eines Bodybuilders, sondern wirkte schlanker und härter – dafür geschaffen, zu laufen und zu kämpfen. Und natürlich hatte er auch etwas nicht ganz Menschliches an sich. Auf vier Beinen fühlte er sich ebenso wohl wie auf zweien. Einen maßgeschneiderten Panzer für seinen Körper anzufertigen, der sich in Aktion enorm strecken und kontrahieren konnte, war bestimmt eine echte Herausforderung gewesen. Zweifellos kannte Asanto Rex’ Spezifikationen – die superdichten Muskeln, die schlagfesten Fasern in seiner Haut, hohle Knochen, so stark wie Titan … Aber dieses Vorwissen half nichts, wenn man Rex zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, und dabei war Rex wohl noch das am wenigsten furchterregende Mitglied des Multiform-Teams.

Sein Kopf war das Hundeähnlichste an ihm, er hatte etwas von einer Bulldogge und einem Rottweiler. Eine von Hartnells Aufgaben bestand darin, seine Zähne zu überprüfen. Beim ersten Mal hatte er das beängstigend gefunden. Wenn diese Kiefer einmal zuschnappten, würde er sich neue Cyborg-Hände konstruieren müssen.

»Was ist los, Miss Asanto?«, fragte Murray freundlich. »Haben Sie etwa erwartet, dass wir ihn im Käfig halten?«

Asanto schwieg, den Blick auf die Bioform gerichtet, ohne ihr jedoch in die Augen zu schauen. Rex hatte ohnehin nur Augen für Murray. Er hechelte ein wenig in der Hitze, was den Anschein erweckte, als würde er lächeln.

»Sie müssen auch noch die anderen kennenlernen«, fuhr Murray fort. »Sie wissen doch, dass wir hier ein Multiform-Team einsetzen? Alles ungemein faszinierend. Wie haben Sie es ausgedrückt, Hart? ›Die Zukunft des Kriegsgeschäfts‹?«

»Ich habe mir die technischen Daten der anderen angesehen«, bestätigte Asanto angespannt. »Lassen Sie die auch einfach so herumlaufen?«

»Im vernünftigen Rahmen. Hart?«

»Äh …« Hartnell zuckte schuldbewusst zusammen; er war mit den Gedanken gerade an einem angenehmeren Ort gewesen. »Bees stockt momentan ihren Bestand wieder auf. Dragon und Honey sind am Rand des Camps.« Er las einfach die Informationen ab, die Murray ihm schickte, damit es für Asanto so aussah, als wäre alles wie gewohnt und keine spezielle Inszenierung mit dem Ziel, sie hinters Licht zu führen. Murray wollte, dass sie sich auf Rex konzentrierte, das akzeptable Gesicht des Bioformings.

»Wie ich sehe, sind Sie nicht davon überzeugt, dass wir auf die richtige Art und Weise mit unseren Elementen umgehen«, erklärte Murray, jetzt ganz der Showman. »Rex, kommst du bitte herein?« Er hätte es ihm direkt befehlen können, von seinem Implantat zum Hundeimplantat, aber ihn amüsierte das Ganze. Die Muräne von Campeche, die sich amüsierte – das enthielt so viele unerfreuliche Assoziationen, dass Hartnell spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte; der Kampf-oder-Flucht-Reflex setzte ein. Es wird nicht so sein wie damals, sagte er sich immer wieder. Er braucht Asanto, damit sie bei ihrer Rückkehr grünes Licht gibt. Ihr wird nichts geschehen. Und niemand brauchte zu wissen, wie unangenehm Murray früher geworden war, wenn er seine Gäste sattgehabt hatte.

Asanto stand völlig reglos da und sah zu, wie Rex in den mit Moskitonetzen abgeteilten Bereich glitt und mit ausgreifenden Schritten zum Überwachungsraum lief. Seine braunen Augen wanderten von Murray zu Hartnell, von Hartnell zu Asanto. Hatte sie Angst? Hartnell war nicht sicher, aber Rex würde es wissen, und er würde es Murray sagen, wenn dieser ihn fragte.

»Hey, mein Junge.« Hart streckte die Hand aus, grub ein paar Finger in Rex’ Haut und spürte die steinharten Muskeln darunter. Er rubbelte die Kinnlade des Hundes mit den Knöcheln und schickte eine Botschaft an dessen Feedback-Chip. Guter Hund, bedeutete das.

»Rex, das ist Ellene Asanto. Sie ist hergekommen, um sich anzusehen, was für gute Arbeit ihr bei uns leistet. Sag Hallo, Rex«, forderte Murray ihn auf.

»Hallo, Ellene Asanto.« Die Stimme war ruhig, ohne Akzent und ein wenig roboterhaft. Sie wurde von Rex’ Implantaten gesendet und kam nicht aus seiner Kehle. Es war auch nicht Rex’ echte Stimme. Die war rau und knurrig und tief, mit einer Frequenz, bei der sich einem die Eingeweide verflüssigen konnten. Hartnell erinnerte sich daran, wie viel Arbeit Murray in die Auswahl dieser Stimme gesteckt hatte.

Asanto schwieg. Sie hatte ihr Gesicht und ihren Körper meisterhaft unter Kontrolle. Nichts außer ihrer Reglosigkeit deutete darauf hin, dass sie sich in Reichweite der Krallen der Bioform befand oder dass Rex ihr mit einer einzigen Bewegung das Gesicht hätte wegfetzen können.

Schließlich gab Hartnell nach und sprach über sein Implantat mit Rex. Hat sie Angst?, fragte er stimmlos.

Und Rex antwortete: ein bisschen Angst. Und dann: Sie ist kein Feind. Sie sollte keine Angst haben.

Weißt du noch, wie es bei mir war, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind, Rex?

Rex’ Schultern zuckten ein wenig, die letzten Überbleibsel seines Versuchs, mit dem Schwanz zu wedeln, den er verloren hatte. Du hattest große Angst.

»Miss Asanto möchte gern sehen, was du kannst, Rex.« Murray warf Hartnell einen Blick zu, der besagte, dass ihm das unerwünschte Gespräch seines Assistenten mit dem Hund keineswegs verborgen geblieben war. »Sie ist nicht davon überzeugt, dass du ungefährlich bist, verstehst du.«

Genau genommen hatte Asanto das nicht gesagt, und es nahm den Hund wieder gegen sie ein, oder zumindest würde Asanto es so sehen.

»Ich arbeite gern mit Menschen zusammen, Ellene Asanto«, sagte Rex’ höfliche Roboterstimme. »Ich habe eine anregende Beziehung zu Colonel Murray und Mr. Hartnell.«

»Ich weiß was, Rex«, verkündete Murray mit schrecklicher Pseudospontaneität. »Ich habe heute Morgen ein paar Bartstoppeln. Wie wär’s, wenn du mich rasierst?«

»Mit Vergnügen, Herrchen.«

Es war Murrays Partynummer, die er immer für Gäste aus der Zentrale abzog. Er hatte ein echtes altmodisches Rasierzeug zur Hand, und so trug die hünenhafte Bioform vor Asantos ungläubigen Augen Rasiercreme auf und verpasste Murrays Kinn dann mit einem waschechten offenen Rasiermesser eine perfekte Rasur. Rex machte seine Sache sehr gut. Auf der Drückbank hätte er weitaus mehr als eine Tonne stemmen können, aber er besaß die Muskelkontrolle eines Chirurgen. Männer wie Hartnell hatten bei seiner Erschaffung gute Arbeit geleistet.

Es hatte sie eine Menge Hunde gekostet. Aber schließlich konnte man mit Hunden machen, was man mit Menschen nicht tun konnte – sie in übermenschliche Wesen verwandeln und ihnen all jene Vorzüge verleihen, die sie brauchen würden, um die Schlachtfelder der Zukunft zu beherrschen. Man benötigte nur eine ausreichende Anzahl von Hunden, und es durfte einem nichts ausmachen, wie viele von ihnen man zugrunde richtete, bevor man es richtig hinbekam.

»Ich bin kein Hundemensch«, hatte Hartnell damals immer gesagt. Und hier war er nun und schaute zu, wie ein Hundemensch seinen Boss rasierte.

»Sehen Sie?«, sagte Murray, und Rex führte das Rasiermesser weiterhin geschickt, obwohl sich die Kinnpartie seines Herrchens bewegte. »Unser Rex hier ist so zahm wie ein Schoßhündchen. Warten Sie noch eine Generation, dann gibt es eine Bioform in jedem Haushalt.«

Später holte sich Hartnell eine neue Flasche Whiskey und rief »klopf, klopf« bei Asantos Zelt. Er hatte gesehen, dass drinnen Licht brannte, und als sie den Reißverschluss öffnete, sah er ein Tablet mit dem Passwortfeld auf dem Bildschirm. Zweifellos fasste sie gerade ihren ersten Bericht ab.

»Hab mich nur gefragt, ob Sie einen Schlummertrunk möchten.«

Sie sah ihn ruhig an. »Das ist so einer von diesen Sprüchen, die dort funktionieren, wo Sie herkommen, stimmt’s?«

Er ließ einen Moment lang die Lippen flattern, bevor er sich mit einem uneleganten »Bloß ein Schlummertrunk, ehrlich« aus der Affäre zog.

»Kommen Sie schon rein, Hart. Mi casa und so weiter.«

Er ließ sich in den Schneidersitz nieder und beugte sich vor, um nicht an die schräge Zeltwand zu stoßen. »Lassen Sie mich raten. Sie sind eigentlich ein Katzenmensch.«

Das entlockte ihr sogar ein Lachen. »Also, ihr habt Parvez ›erwischt‹. War das so geplant, dass es zeitlich mit meiner Ankunft zusammenfiel, damit ich ein paar Fortschritte zu vermelden hätte?«

»Äh, offen gestanden, nein. Glaube ich nicht. Reiner Zufall, wissen Sie.« Er erinnerte sich an ihre Reaktion auf die Nachricht. »Ich meine, ist doch gut, oder? Für die Investoren?«

»Keine Ahnung. Treibt das nicht nur die Einsätze für jeden hoch? Parvez hatte eine Menge Unterstützung, und jetzt könnte er zum Märtyrer werden. Ich meine, die Lage hatte sich schon allmählich beruhigt, aber …«

»Tja, Sie wissen ja, Politik.« Hartnell machte eine vage Handbewegung und hielt ihr die Flasche hin. »Aber es zeigt, dass Rex und sein Team so arbeiten, wie es vorgesehen war, stimmt’s?«

Sie trank einen Schluck und gab die Flasche zurück. »Geachtete Staatsmänner zu töten ist kein Fehler, sondern ein Leistungsmerkmal?«

Hartnell runzelte die Stirn. »Ich, äh … Keine Ahnung, worauf das hinausläuft. Ich mache bloß die Technik, okay?«

»Verzeihung.« Sie schüttelte den Kopf. »Na schön, dann habe ich eine technische Frage, Mr. Ich-mache-bloß-die-Technik.«

»Schießen Sie los.«

»Das vorhin im Zelt, das war Murray durch seinen Hundelautsprecher, stimmt’s?«

Hartnell schwieg einen kleinen Moment zu lange und verhaspelte sich dann bei den Dementis. Schließlich gab er es auf und nickte. »Ja. Rex kann sich verständlich machen, wenn es sein muss, aber so wortgewandt ist er nun auch wieder nicht. Die Worte, sogar die Stimme, das war der Boss, der sich einen kleinen Scherz erlaubt hat. Ich …« Er versuchte sich an einem einfältigen Grinsen. »Eigentlich fände ich’s gut, wenn Sie mal richtig mit Rex reden könnten. Er ist ein netter Bursche. Okay, jetzt sehen Sie mich an, als wäre ich verrückt. Also sagen wir, er ist ein guter Hund. Anhänglich, loyal. Sogar fürsorglich. Ich meine, deshalb haben wir ja mit Hunden angefangen. Hunde sind es gewohnt, sich an Menschen anzupassen. Sie kennen ihren Platz – das perfekte Leittier für die anderen Formen und der perfekte Diener für uns, stimmt’s?«

»Das ist das Reklame-Blabla«, pflichtete sie ihm bei. »Was für mich die Frage aufwirft, weshalb Ihr Boss unbedingt verhindern wollte, dass er frei von der Leber weg spricht.«

»Ach, so ist Murray nun mal«, und wieder: Moray. »Er hat einfach gern alles unter Kontrolle, als würde er bei einem Film Regie führen.«

»Ja, so wird’s wohl gewesen sein.«

Hartnells Grinsen bekam etwas Kränkliches. So war es ganz und gar nicht, er wollte bloß nicht, dass du Fragen stellst, sonst hätte Rex womöglich noch angefangen, dir ehrliche Antworten zu geben.

4

REX

Mein Name ist Rex. Ich bin ein guter Hund.

Heute rücken wir aus. Ich rücke gern aus. Mein Trupp bildet die Vorhut, er läuft Herrchen und meinen menschlichen Freunden voraus. Wenn es Feinde gibt, werden wir sie finden und töten. Das bedeutet, der Feind wird Herrchen nichts tun.

Herrchen hat eine neue Freundin, aber ich bin nicht sicher, ob sie wirklich eine Freundin ist. Am Anfang hat Herrchen in ihrer Anwesenheit einen Scherz darüber gemacht, dass sie eine Feindin ist, also wollte ich sie töten. Dann hat Herrchen mir den Scherz erklärt, und da wusste ich, dass ich es nicht durfte.

Ein bisschen winsele ich vor mich hin, weil ich sehr nah daran war, sie zu töten. Sie hatte neben Herrchen gestanden, und das hatte mich sehr nervös gemacht. Ich bin nicht gern nervös. Jetzt weiß ich, dass sie keine Feindin ist, aber ein Teil von mir erinnert sich, dass sie vorher eine war. Das macht mich auch nervös.

Ich glaube nicht, dass Herrchen weiß, wie nah ich dran war, sie zu töten. Ich habe es Herrchen nicht erzählt. Böser Hund, sagt mein Feedback-Chip, aber ich erzähle es ihm trotzdem nicht.

Honey spricht mit mir. Keine Feindberührung, meldet sie. Honey hat irgendeine Frucht gefunden und frisst sie unterwegs. Sie denkt, ich weiß es nicht, weil wir nicht fressen sollen, wenn wir ausrücken, aber ich kann die klebrige Süße der Frucht riechen, fast schon überreif. Im Augenblick durchqueren wir Ackerland. Hier gibt es keine Bauern. Die Feldfrüchte verderben. Ich tadle Honey nicht, obwohl ich es tun sollte (böser Hund). Ich arbeite schon viele Monate mit Honey zusammen. Honey ist klüger als ich. Ich treffe eine Entscheidung – Honey darf Früchte fressen.

Dragon meldet mir gar nichts. Gerade sehe ich seinen langen Körper, der sich durch die Felder schlängelt und dabei die Farbe wechselt, um sich dem Boden anzupassen. Er hat keinen Geruch, nicht einmal für mich. Auch das lässt mich ein bisschen winseln. Dragon ist ebenfalls klug, wenn auch nicht so klug, wie er denkt. Aber Herrchen mag Dragon. Dragon erzielt Resultate. Winsel winsel winsel.

Herrchens neue Freundin heißt Ellene Asanto. Sie ist sehr seltsam. Ich konnte riechen, dass sie Angst hatte – das war, als sie mich zum ersten Mal sah. Da war sie schon keine Feindin mehr, aber sie hatte trotzdem Angst. Nur Feinde sollten Angst haben. Deshalb bin ich verwirrt.

Sie riecht anders.

Ich habe Herrchen zu erklären versucht, wie sie riecht, aber in der Sprache, die man mir gegeben hat, habe ich keine Worte dafür. Ich weiß nur in meinem eigenen Kopf, wie sie riecht. Ich winsele immer noch leise vor mich hin.

Honeys Kanal: Was ist los, Rex?

Ich sage es Honey nicht. Ich bin unsicher, was Ellene Asanto betrifft, ich weiß nicht recht, wie ich mit Herrchen sprechen soll, und ich erlebe Beziehungskonflikte zwischen meiner positionsgemäßen und meiner realen Interaktion mit Honey. Mein Feedback-Chip bemerkt Stress-Level übersteigt optimale Parameter, ich bekomme eine Injektion, und dann geht es mir besser. Ich bin ruhig.

Bees erstattet mir Bericht. Sie hat ihre Flugkörper in einem großen Ring um uns herum angeordnet, aber jetzt bestätigt sie, dass vor uns eine Population ist, wie Herrchen sie mir auf den Satellitenbildern gezeigt hat.

Bees’ Kanal: Integrität bei 99 %. Giftkapazität 99 %. Bitte um Erlaubnis, Kundschaftermission durchführen zu dürfen.

Ich erkundige mich nach Bees’ Integritätsverlust. Wir sind noch keinem Feind begegnet.

Bees’ Kanal: (Bilder von aviären Räubern) Ich versuche den Einheimischen immer noch beizubringen, dass Schwarz-Gelb Gefahr bedeutet. (Humor)

Manchmal verstehe ich Bees nicht. Ich gebe ihr die Erlaubnis, ihre Kundschaftermission durchzuführen.

Honeys Kanal: Ist es die neue Menschenfrau, Rex?

Dragons Kanal: Du hast ihr eine Heidenangst eingejagt.

Mein Kanal: Sie ist keine Feindin. Ich will nicht, dass sie Angst hat.

Den Rest erzähle ich ihnen nicht. Ich sage ihnen nicht, dass Ellene Asanto zwar Angst vor mir hatte, Herrchen aber zugleich Angst vor Ellene Asanto hatte. Man sah es ihm nicht an, man merkte es ihm auch nicht an, aber es lag in seinem Geruch. Das machte es zu einem Geheimnis zwischen Herrchen und mir. Ich habe Herrchen nicht gesagt, dass ich es weiß. Das ist ein Geheimnis für mich allein. Eigentlich soll ich keine Geheimnisse vor Herrchen haben (böser Hund!). Falls Herrchen fragen würde, müsste ich es ihm sagen. Aber er wird nicht fragen, und ich weiß, er wäre wütend, wenn er wüsste, dass ich es weiß. Ich will nicht, dass Herrchen wütend auf mich ist. Das ist das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Böser Hund! sagt der Feedback-Chip erneut und macht mich damit wieder ganz nervös. Bald werde ich eine weitere Injektion brauchen, um auf meinem optimalen Leistungsniveau zu bleiben. Hart wird sehen, dass ich nervös war und zu viele Injektionen brauchte. Er wird wissen wollen, warum, und dann muss ich es ihm vielleicht sagen. Das macht mich ebenfalls nervös.

Dragons Kanal: Was ist los, Rex? Machst du dir Sorgen, dass Herrchen nichts mehr von dir wissen will, wo er nun eine neue Freundin hat?

Ich ignoriere Dragon. Er liegt sowieso falsch. Zwischen dem Weibchen und Herrchen gibt es keine solche Verbindung. Das rieche ich. Ich rieche auch, dass es keine zwischen Ellene Asanto und Hart gibt. Ich rieche, dass Hart es gern möchte. Über all diese Dinge will ich weder mit Herrchen noch mit Hart oder sonst jemandem reden. Es sind Dinge, die ich nicht verstehen muss, glaube ich. Sie helfen mir nicht dabei, Herrchen zu dienen.

Honeys Kanal: Keine Sorge, Rex. Wir sind bloß hier, um unsere Aufgabe zu erledigen. Überlass das komplizierte Zeug den Menschen. Wenn dich etwas verwirrt, helfe ich dir.

Das beruhigt mich, und das Feedback bemerkt meine nachlassende Nervosität und sagt mit leiser Stimme guter Hund.

Ich spreche mit Herrchen und melde, wie wir vorankommen. Ich spreche mit meinen Waffen und meinen internen Systemen und vergewissere mich, dass sie innerhalb des Toleranzbereichs funktionieren. Wir sind jetzt jenseits der Farm und dringen in ein Waldgebiet vor. Die Landschaft ist zerschnitten; Parzellen von offenem Gelände, Waldstreifen, dann Boden, der Ackerland war und jetzt verwildert ist, überwuchert von Kletterpflanzen und Büschen. Auf allen vieren können Dragon und ich diesen Flickenteppich nahezu unbemerkt durchqueren. Nur Honey mit ihrem massigen Rumpf kann sich nicht verbergen, außer dort, wo die Bäume größer sind als sie.

Bees’ Kanal: Kontakt mit nicht klassifizierter menschlicher Population (Bild von sehr vielen Menschen, Zelten, Fahrzeugen).

Bees’ Bilder sind grobkörnig, wenn ihre Einheiten weit verstreut sind. Es ist sehr schwer zu erkennen, ob es sich um Feinde oder Freunde handelt. Ich gebe die Bilder an Dragon und Honey weiter und schicke sie Herrchen, damit er mir Anweisungen erteilt.

Honeys Kanal: Zivilisten. Wir sollten uns von ihnen fernhalten.

Ich erkläre ihr, dass wir Anweisung haben, mit der menschlichen Population in Kontakt zu treten. In Kontakt treten bedeutet normalerweise, sie zu eliminieren, aber das liegt daran, dass alle menschlichen Nichtfreunde, denen wir bisher begegnet sind, Feinde waren. Ich mag es, wenn Menschen meine Freunde sind. Wenn sie nicht meine Freunde sind, dann mag ich es, wenn sie meine Feinde sind. Ich bin umfassend darauf programmiert und trainiert worden, mit Feinden in Kontakt zu treten. So wie wir alle. Wenn Menschen weder meine Freunde noch meine Feinde sind, fühle ich mich unwohl, weil ich nicht abschätzen kann, was dann bei der Kontaktaufnahme passieren wird.

Dragons Kanal: Wir sollten uns von ihnen fernhalten.

Ich weiß nicht, ob Dragon das wirklich meint, ob er es sagt, weil er weiß, dass es gegen die Anweisungen ist, oder ob er bloß wörtlich wiederholt, was Honey gesagt hat. Manchmal macht er das. Dragons Aufgabe ist es, nicht gesehen zu werden und spezielle Feinde zu neutralisieren. Wenn er keine speziellen Feinde zu neutralisieren hat, kämpft er nicht gern. Dragon ist sehr faul. Böser Dragon, denke ich, aber das darf ich nicht sagen. Nur Herrchen oder Dragons Feedback-Chip dürfen das. Wenn es von mir kommt, bedeutet es überhaupt nichts.

Die menschliche Population befindet sich vor uns. Ich rieche sie ganz deutlich – Schweiß, Exkremente, Krankheit und einfach allgemein viele Menschen auf einem Haufen. Ich sehe Menschen unterschiedlicher Größe. Ich sehe keine Waffen, aber das heißt nicht, dass sie keine Feinde sind. Nur Herrchen kann wissen, ob sie Feinde sind oder nicht.

Ich schicke Herrchen eine Anfrage, weil wir allmählich sehr nah an die Population herankommen und noch keine genaueren Instruktionen haben. Ich empfange kein Pingback.

Ich pinge Herrchen erneut an. Keine Reaktion.

Winsel.

Ich erkläre den anderen, dass ich die Verbindung zu Herrchen verloren habe. Das geschieht nicht zum ersten Mal, aber es ist noch nie passiert, wenn wir im Begriff waren, mit dem Feind/dem Nichtfeind in Kontakt zu treten.

Honeys Kanal: Vormarsch stoppen?

Dragons Kanal: Zu spät. Sie haben Honey gesehen.

Ich bleibe stehen. Mein Feedback-Chip bemerkt, dass meine Stress-Levels wieder hoch sind, und ich bekomme eine Injektion. Diesmal scheint sie nicht zu helfen. Ich höre menschliche Stimmen rufen. Ich rieche Furcht. Ich sehe Waffen, aber nicht viele und keine, die uns gefährlich werden könnten. Waffen bedeuten nicht, dass sie Feinde sind. Nur Herrchen kann wissen, ob sie Feinde sind oder nicht. Falls sie Feinde sind, müssen wir sie eliminieren. Falls sie keine Feinde sind …

Ich weiß nicht, was wir tun sollen. Ich bin es nicht gewohnt, Nichtfeinden zu begegnen.

Bees’ Kanal: Befehle?

Honeys Kanal: Befehle, Rex?

Dragon sagt nichts, aber ich weiß, dass er wartet.

Ich pinge Herrchen erneut an. Keine Antwort. Ich habe das Kommando. Es ist meine Entscheidung.

Ich entscheide, dass wir Kontakt aufnehmen müssen.

5

HARTNELL

»Okay, dann bringen Sie mich mal auf den neuesten Stand: Wo sind Ihre ›Elemente‹ gerade?«, fragte Ellene Asanto.

»Wie gesagt: draußen, im Manöver«, erklärte Murray in schleppendem Ton.

»Sie erzählen mir ständig irgendwas, aber Sie zeigen mir nichts, Mr. Murray«, setzte sie nach.

Er seufzte theatralisch. »Miss Asanto, Ihnen standen doch die Feeds von dreizehn verschiedenen Hunderudeln aus ganz Campeche zur Verfügung. Das sollte Ihnen zumindest zeigen, dass Sie gar nicht persönlich hätten herkommen müssen. Ich hätte Ihnen das alles auch auf Ihren Schreibtisch daheim im Silicon Valley schicken können.«

Asanto spielte mit ihrem Halstuch. Bei dem Anblick schalteten Harts Schweißdrüsen in den Schnellgang, aber es stimmte offenbar, was sie gesagt hatte – auf ihrer Stirn stand keine einzige Schweißperle. »Hunderudel sind heutzutage fast schon eine altbekannte Technologie, Mr. Murray. Ihr Multiform-Trupp ist viel interessanter. Die Zukunft des Krieges, nicht wahr? Unsere Aktionäre haben viel in dieses Projekt investiert. Sie müssen mir etwas geben, das ich ihnen liefern kann. Die Aktionäre möchten schließlich die Gewissheit haben, dass ihr Geld nicht zum Fenster rausgeworfen wird.«

Die Worte kamen ihr mühelos über die Lippen, der übliche harte Kurs der Großkonzerne. Hartnell spürte jedoch, dass zwischen den beiden mehr ungesagt blieb, als ausgesprochen wurde. Jedenfalls scherten Moray, den Doktor Phibes von Campeche, Asantos Aktionäre einen feuchten Kehricht. Und Hartnell hatte das merkwürdige Gefühl, dass es Asanto selber nicht anders ging.

Sie waren alle drei im Bauch eines Redmark-Panzerwagens zusammengepfercht. Die Luke stand noch offen, damit sie ein wenig frische Luft bekamen, während man sich im Camp aufbruchsbereit machte. Das Menschenmaterial des Sicherheitsunternehmens setzte sich gerade erst in Bewegung. Die Bioformen waren schon in den frühen Morgenstunden aufgebrochen und hatten den Soldaten, die ihnen folgen würden, den Weg geebnet, indem sie sich als Vorhut zum Hauptziel etwaiger Fallen oder Hinterhalte der Anarchistas machten.