Im Paradies - Kat Menschik - E-Book

Im Paradies E-Book

Kat Menschik

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Beschreibung

Sie war der Star des deutschen Stummfilms. Aber was die wenigsten wissen: Asta Nielsen konnte auch schreiben. Und wie! Mit einem untrüglichen Sinn für die Einzigartigkeit und Tragikomik des menschlichen Daseins. Im Paradies versammelt die besten ihrer Geschichten. Kat Menschik hat den Band grandios illustriert und ausgestattet. Asta Nielsen, Ikone der Schauspielkunst und weiblicher Selbstbestimmung, war ebenso berühmt für ihren Lebens- und Liebeshunger wie gefürchtet für ihre Unerschrockenheit. Auf Konventionen gab sie nichts. Legendär die Feste, an denen sie teilnahm, die Zahl ihrer Beziehungen und Hochzeiten, fast schon berüchtigt ihre Lebensfreude. Sie spielte Tänzerinnen, Arbeiterinnen, Bürgerliche, Prostituierte und produzierte ihre Filme irgendwann selbst. Einer davon Hamlet, den spielte sie persönlich, als Frau – auch dies ein Skandal. Auf Hiddensee bezog sie ein inzwischen berühmtes Haus, das sie ›Karusel‹ nannte, und genoss die Sommer in vollen Zügen: Mit dabei Künstler und Bohemiens wie Joachim Ringelnatz, Heinrich George und Paul Wegener. Als sie sich mit den Nazis anlegte und Deutschland verlassen musste, begann sie zu schreiben: Bewegende Szenen aus ihrem Leben in München, Berlin, Kopenhagen, Massa und Hiddensee, wilde Feiern, tragikomische Schicksale und berührende Geschichten über Menschen, die sie liebte.

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Seitenzahl: 74

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Asta Nielsen

Im Paradies

Geschichten über die Liebe zum Leben

Erzählungen

Illustriert von Kat Menschik

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Asta Nielsen

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

EIN TAG IM PARADIES

EINE ROSE IST EINE ROSE IST – NICHT IMMER – EINE ROSE

LA BOHÈME

WEIHNACHTEN IN MASSA

HIDDENSEE-TAGEBUCH

NACHWORT

Übersetzungsnachweis

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

EIN TAG IM PARADIES

Meine Bekanntschaft mit dem Geigenbauer Herrn König verdanke ich drei Umständen: dem Frühling von Berlin, meiner Leidenschaft für Pinsel und Palette und meinem guten Freund, dem Violinisten Alfred Kindt.

Ich glaube nicht, dass es – vor der Hitlerzeit – irgendeine Stadt in der Welt gegeben hat, in der das Frühjahr eine so überwältigende Pracht von blühenden Kastanienbäumen bot wie in Berlin. Straßen, Wege und Boulevards explodierten in einer Orgie von gelb-weiß-rot blühenden Baumkronen. Wenn man aus dem Fenster sah, blickte man auf ein wogendes Meer von weiß gepuderten Blüten, und die Ufer entlang der Spree strotzten kilometerlang von Bäumen mit sprengenden Blumenballons, die auch über die Böschungen hingen und deren unterste Blumen auf dem schwarzen Wasser leuchtend schwammen. Wie habe ich diese Stadt geliebt!

Nun sollte man annehmen, dass es ganz einfach wäre, bei dieser alles überwältigenden Pracht einen einzigen blühenden Zweig zu ergattern. Ich war nämlich erfüllt von der eitlen Hoffnung, einen solch blühenden Zweig auf der Leinwand festzuhalten. Aber weder von der Erde aus noch aus der Luft wollte es mir gelingen, einen dieser Kastanienzweige zu ergattern, ohne mich in Lebensgefahr zu begeben oder mit der Polizei Bekanntschaft zu machen.

Doch wozu gibt es Helfer? Mein Freund Alfred Kindt nahm es in naiver Waghalsigkeit auf sich, mich in meinen Bemühungen selbstlos zu unterstützen. So schwebte er eine halbe Nacht lang zwischen dem sicheren Tod und dem kalten Wasser der Spree, immer auf der Flucht vor den wachsamen Augen der Polizei, aber ohne jegliches Resultat. Auch sein Versuch, an einem Fensterkreuz hängend, sich mit einem Lasso eines Zweiges aus dem Nachbargarten zu bemächtigen, ging schief. Darum wollte er bei Nacht und Nebel in den Stadtparks räubern, aber auch dies endete ergebnislos, denn es kann leicht zu Gewalttätigkeiten führen, wenn man liebende Paare auf einer Gartenbank stört. Zu diesem Zeitpunkt trat Herr König in unser Leben. Kindt, dessen Dasein gerade erfüllt war von dem Gedanken an eine neue Geige, eigens für ihn geschaffen von Königs berühmten Händen – er trug den Titel »der deutsche Stradivari« –, suchte täglich Meister König in seiner Werkstatt auf, um der Entstehung des neuen Wunders beizuwohnen. Diese Besuche erstreckten sich in der Regel über Stunden, wobei es vorkam, dass ihm unbedacht auch ein Satz entschlüpfte, der die Musik nicht tangierte. So erzählte er von der Jagd nach den Kastanienzweigen. Neben all den hervorragenden Eigenschaften, die das Geigenbauen erfordert, war König mit einem begnadeten Mitgefühl für seine Nächsten ausgestattet, und so sagte er mit großem Entgegenkommen: »In acht Tagen steht mein Kastanienbaum in voller Pracht. Sowohl meine Frau wie auch ich würden uns glücklich schätzen, wenn Frau Nielsen und Sie uns in unserer Villa in Blankendorf besuchen würden.«

So kam es, dass Kindt und ich uns eine Woche darauf in Königs Werkstatt einfanden, nachmittags gegen drei, um, wie verabredet, zu seiner Villa zu fahren und dort den Zauber des Frühlings – und also auch den des Kastanienbaums – zu erleben.

Zum ersten Mal betrat ich tatsächlich Herrn Königs Domäne, aber theoretisch war ich bis zur Bewusstlosigkeit in die Materie eingeweiht. Kindt hatte mir ausführlich die Treffen mit König beschrieben, dessen tiefgehende technische Analysen, seine philosophischen Betrachtungen über »atomstreifende Spannungen« und darüber, dass es geradezu ein Kinderspiel sein müsste, sämtliche Länder der Erde zu »einer Welt« zusammenzuschweißen – gemessen an dem Unternehmen, eine Geige zu bauen. Und ich gestehe freimütig, dass auch der eingefleischteste Zweifler vor Königs Arbeitstisch im Glauben an die Entstehung der Welt wankend werden musste, wenn er diese Unzahl von millimeterdünnen Mahagonisplittern, die überall herumlagen, vor sich sah. Wie sollte daraus jemals eine moiréflimmernde, mahagonistrahlende Geige entstehen, deren Resonanzbögen Töne erzeugten, die voller Süße die Erde umschlingen würden?

 

Sogar der schmächtige, vogelartige König wurde hier, vor seiner Arbeit, größer, und unsere Ankunft führte keineswegs dazu, dass er innehielt. Ganz im Gegenteil! Wie durch ein geheimes Einverständnis verlor sich nun auch Kindt über Königs langsam arbeitenden nikotinfarbenen Händen mit den Mahagonisplittern in intensiven Gedankenreisen. Niemals wieder habe ich ein so totales Versinken der Umgebung erlebt, nicht einmal im Todesaugenblick einer Kameliendame. Dieser Zustand hielt sich mehr als eineinhalb Stunden, und so hatte ich reichlich Gelegenheit, Betrachtungen über Königs Metier anzustellen. Ich muss zugeben, dass dies wirklich den ganzen Mann verlangte. Er war im Besitz einer morgenländischen Geduld, einer überirdischen Liebe zu dem Beruf und einer totalen Gleichgültigkeit gegen alle materiellen Vorteile, die andere Sterbliche für geleistete Arbeit erwarten. Zugleich war er Künstler und Handwerker, technisch vollkommen und doch beseelt vom Glauben an Wunder. Später sollte ich erfahren, dass König mit einer großen Liebenswürdigkeit gesegnet war, mit Zufriedenheit und einem abgrundtiefen Verständnismangel für die einfachen Formen des Daseins.

Als der Meister die Umwelt endlich wieder registrierte, war eine lange Zeit vergangen. Es war spät geworden, und so ging es nun in rasantem Tempo die sonnendurchglühte Hardenbergstraße entlang zum Bahnhof Zoo. In letzter Sekunde konnten wir uns auf die Holzbänke der 3. Klasse des Fünf-Uhr-Zuges werfen, die so heiß waren, dass man befürchten musste, die Kleider könnten Feuer fangen. König strahlte genauso wie die Sonne draußen, trocknete seinen Schweiß auf der Stirn und zeigte auf seine Aktentasche, die er neben sich in die Sonne gelegt hatte. »Was glauben Sie, was da drin ist?«, fragte er verschmitzt. Doch wie sollten wir das erraten?

»Mosel – vornehmer Mosel, zu einer Mark zwanzig – bei Gräber gibt’s den schon ab 80 Pfennig, aber wenn die gnädige Frau uns die Ehre gibt …« Er lächelte mich überglücklich von der gegenüberliegenden Holzbank an.

»Sie sollten ihn aber in den Schatten legen«, schlug ich in Gedanken an das zu erwartende Abendessen vor, zu dem ein Glas kalter Mosel uns nach der Hitze sicher guttun würde.

»Aber ja«, antwortete er und stellte die Aktentasche freundlich lächelnd zwischen seine Füße. Dann begann er, sich mit Kindt zu unterhalten, über seinen kürzlich verstorbenen ehemaligen Chef und Lehrmeister, einen Freimaurer, der nach Königs Auffassung vor lauter Gram darüber gestorben war, dass Göring ein kostbares, sehr großes Bild von der Loge gestohlen hatte. Nach einer guten Stunde Fahrt verließen wir den überfüllten Zug und standen in unerträglicher Hitze als Einzige auf dem Bahnhof Blankendorf.

»So, und jetzt machen wir noch einen kurzen Spaziergang«, sagte König recht aufgeräumt und führte uns durch ein Gebäude, welches den Bahnhof darstellen sollte, zur Landstraße, gesäumt von ärmlichen Häusern rechts und links, mit kleinen sandigen Gärten hinter Bretterzäunen. Nachdem wir diese hinter uns gelassen hatten, fanden wir uns plötzlich in der Wüste wieder. Eine sandige, von der Sonne aufgeheizte Landstraße streckte sich unversöhnlich vor uns aus, so weit der Blick reichte, beiderseitig flankiert von gelben, verbrannten Stoppelfeldern, auf denen nicht einmal ein Löwenzahn gedeihen konnte. Kein Busch, geschweige denn ein Baum, hatte sich in diese öde Landschaft hineinverirrt, die sich, begrenzt von einem messerscharfen Horizont, in der glühenden Sonne ausbreitete. Die Straße sah aus, als würde sie direkt in den Hades führen, doch König flitzte vergnügt vor uns her, und wir sahen uns hinter seinem Rücken verstohlen an und rackerten uns mühselig ab.

»Wie wäre es, wenn wir uns bemühen würden, einen Wagen zu bekommen?«, schlug Kindt vorsichtig vor.

»Unmöglich«, gab König zurück, »und wozu auch? Gibt es etwas Schöneres, als so richtig den Großstadtstaub abzuschütteln?« Kindt und ich schauten rückwärts, wo sich riesige Staubwolken hinter uns auftürmten, als wären wir drei wie ein Lastwagen schnell dem Feierabend entgegengefahren. Noch immer hüpfte König vergnügt dahin wie eine Lerche, während Kindt und ich uns mühten und nicht die geringsten Veränderungen der Landschaft vor uns erkennen konnten. Je mehr Kilometer wir hinter uns brachten, desto höher stieg das Glück in Königs Brust, sodass er plötzlich stehen blieb, um über die Stoppelfelder zu schauen, und mit dem Arm, der nicht mit dem Moselwein beschäftigt war, umarmte er die ganze Landschaft in einer so königlichen Geste, dass sogar Cäsar ihn beneidet hätte.

»Ist. das hier nicht himmlisch? Ich frage euch«, seine Augen strahlten wie ein Geigentorso. Kindt nutzte die Pause, um seinen Hut abzunehmen und Stirn und Schweißband – und das war sehr notwendig – abzutrocknen. »Himmlisch«, sagte er, »vom Himmel mehr als genug. Aber wo wohnen Sie nun eigentlich?« Kindt sah aus, als ob er gleich sterben würde.

»Mein Lieber, bleiben Sie gespannt. Nur ein bisschen Geduld noch, und wir sind da. Wenn Sie diese Strecke wie ich zweimal täglich zurücklegen würden, bestände für Sie die berechtigte Hoffnung auf eine Körperfigur wie die meine.« Er stieß Kindt mit seiner Aktentasche leicht in die Magengegend und lachte herzlich über seinen Scherz.