Im Wahn der Anderen - László Krasznahorkai - E-Book

Im Wahn der Anderen E-Book

László Krasznahorkai

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Beschreibung

Drei Erzählungen von dem Meister der literarischen Halluzination László Krasznahorkai New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische Verfolgungsjagd mit Zug und Fähre quer durch Europa auf einer abgelegenen Insel. Doch hier lauert keine Rettung, sondern eine Falle. Die Erzählungen von László Krasznahorkai in »Im Wahn der Anderen« entfalten eine hypnotische Wirkung. Oft entwickelt sich der atemlose Sog im Dialog mit Zeichnungen des Malers Max Neumann: Text und Bilder greifen ineinander und entdecken eine Dimension der Realität, die weiter greift als Tag und Nacht, Schlaf und Traum.

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Seitenzahl: 237

Veröffentlichungsjahr: 2023

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László Krasznahorkai

Im Wahn der Anderen

Drei Erzählungen

 

Aus dem Ungarischen von Heike Flemming

 

Illustriert von Max Neumann und einem Schlagzeugsolo von Miklós Szilveszter

Über dieses Buch

 

 

Drei Erzählungen von dem Meister der literarischen Halluzination László Krasznahorkai

 

New York ist ein vertikaler Albtraum. Doch Manhattan ruht auf einem gewaltigen Felsen aus Granit, einer Horizontale, die alles trägt und verbindet. Die Menschen vergessen das: Hier, in der 26th Street, lebt ein Bibliothekar, der sich auf den Spuren Herman Melvilles verliert. Aber betritt er den Wahn des Anderen oder schließt ihn sein eigener immer dichter ein? In einer anderen Geschichte endet eine labyrinthische Verfolgungsjagd mit Zug und Fähre quer durch Europa auf einer abgelegenen Insel. Doch hier lauert keine Rettung, sondern eine Falle.

 

Die Erzählungen von László Krasznahorkai in »Im Wahn der Anderen« entfalten eine hypnotische Wirkung. Oft entwickelt sich der atemlose Sog im Dialog mit Zeichnungen des Malers Max Neumann: Text und Bilder greifen ineinander und entdecken eine Dimension der Realität, die weiter greift als Tag und Nacht, Schlaf und Traum.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

László Krasznahorkai, 1954 in Gyula/Ungarn geboren, gilt als einer der innovativsten Schriftsteller Europas, dessen Romane »Satanstango« und »Melancholie des Widerstands« überall auf der Welt begeistert aufgenommen werden. Die internationale Beachtung begann jedoch 1993 in Deutschland mit dem SWR-Bestenliste-Preis für »Melancholie des Widerstands«. In den letzten Jahren erschienen die Erzählbände »Seiobo auf Erden« (Brücke-Berlin-Preis und Literaturpreis Leuk 2010) sowie »Die Welt voran« (2014). Für seinen Roman »Baron Wenckheims Rückkehr« (2018) wurde er mit dem National Book Award 2019 for Translated Literature ausgezeichnet. 2021 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur. Zuletzt erschien der Roman »Herscht 07769«. Heute lebt László Krasznahorkai in Triest, Italien.

Inhalt

Im Wahn der [...]

Animalinside

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

X.

XI.

XII.

XIII.

XIV.

Kleinstarbeit für einen Palast

Danksagung

Richtung Homer

Abstract

1. Geschwindigkeit

2. Gesichter

3. Verhältnis zu geschützten Orten

4. Verhältnis zum Wahnsinn

5. In der Menge verkehren

6. Abraten

7. Anpassung ans Gelände

8. Vom Sinn der Verfolgung und des Mordes

9. Leben

10. Wahl der Strecke

11. Stationen

12. Nutzen früherer Beobachtungen

13. Glaube

14. Korčula

15. Mljet

16. Gut, aber nicht gut genug

17. An die Hoffnung

18. Bei Kalypso

19. Er hatte nicht

Nachweise

Im Wahn der Anderen

Animalinside

László Krasznahorkai und Max Neumann

I.

Es will ausbrechen, es versucht die Wände aufzuspannen, doch diese spannen es auf, und es bleibt in dieser Anspannung, in diesem Aufgespanntsein, und ihm bleibt nichts anderes übrig, als zu heulen, und nun ist es für immer nur seine Anspannung, sein Aufgespanntsein, alles, was war, ist nicht mehr, alles, was sein könnte, wird nicht sein, und so ist auch das nicht, was ist. Es wurde in diesen Augenblick hinein ausgebreitet, doch aus dem vorangegangenen und dem folgenden wurde es ausgeschlossen, also heult es halt in einem einzigen Heulen, ausgeschlossen aus der Zeit, eingeschlossen in einen Raum, der nicht für es dimensioniert ist, denn das ist das Problem, der Raum, dass es mit diesem Raum nichts gemein hat, es hat nicht im Geringsten etwas mit dieser Struktur gemein, mit diesen Perspektiven, diese Perspektiven sind nicht dafür da, in ihnen zu existieren, und so existiert es auch nicht, heult nur, und das Heulen ist nicht identisch mit dem Existieren, ganz im Gegenteil, das Heulen ist der unaussprechlich entsetzliche Fall der Verzweiflung und Bewusstwerdung, wenn der dazu Verurteilte erkennt, dass er aus seinem Existieren ausgeschlossen ist, und es gibt kein Zurück, wenn es überhaupt einen Weg dorthin gegeben hat, es sitzt in der Falle, es gibt keinen Ausweg, alles schmerzt, es schmerzt das Eine, das es noch gibt, die Tatsache, dass es hierher geraten ist, in diesen nicht für es dimensionierten Raum, und es heult, heult, ich will ausbrechen, ich versuche die Wände aufzuspannen, aber diese spannen mich auf, und ich bleibe in dieser Anspannung, in diesem Aufgespanntsein, und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu heulen, und nun bin ich für immer nur meine Anspannung und mein Heulen, alles, was war, ist nicht mehr, alles, was sein könnte, wird nicht sein, und so ist auch das nicht, was ist. Ich wurde in diesen Augenblick hinein ausgebreitet, doch aus dem vorangegangenen und dem folgenden wurde ich ausgeschlossen, also heule ich halt in einem einzigen Heulen, ausgeschlossen aus der Zeit, eingeschlossen in einen Raum, der nicht für mich dimensioniert ist, denn das ist das Problem, der Raum, dass ich mit diesem Raum nichts gemein habe, ich habe nicht im Geringsten etwas mit dieser Struktur gemein, mit diesen Perspektiven, diese Perspektiven sind nämlich nicht dafür da, in ihnen zu existieren, und so existiere ich auch nicht, heule nur, und das Heulen ist nicht identisch mit dem Existieren, ganz im Gegenteil, das Heulen ist der unaussprechlich entsetzliche Fall der Verzweiflung, der Bewusstwerdung, wenn der dazu Verurteilte, ich, erkennt, dass er aus seinem Existieren ausgeschlossen ist, und es gibt kein Zurück, wenn es überhaupt einen Weg dorthin gegeben hat, es sitzt in der Falle, es gibt keinen Ausweg, alles schmerzt, es schmerzt das Eine, das es noch gibt, die Tatsache, dass es hierher geraten ist, in diesen nicht für es dimensionierten Raum und diese Struktur und zwischen die Perspektiven, und dann heult es nur und heult, heult genau das.

II.

Ihr könnt mich nicht fassen.

Ich habe keine Augen, ich habe keine Ohren, ich habe keine Zähne, ich habe keine Zunge, ich habe kein Gehirn, ich habe kein Fell, ich habe keine Lunge, ich habe kein Herz, ich habe keine Eingeweide, ich habe keinen Schwanz, ich habe keine Stimme, ich habe keinen Geruch, in mir ist kein Blut, in mir ist keine Lymphe, in mir ist kein Gefühl, in mir ist keine Treue, ich kenne keinen Hunger, ich kenne nicht die Wege, ich kenne keinen Schmerz, ich kenne nicht die Richtungen, ich kenne nicht die Verstecke und werde sie auch niemals suchen, und ich weiß nichts von der Erde, von Schweiß und Gefahr, ich weiß nichts von Haut, Fleisch, Eiter und Knochen, und auch wenn mich jemand anbrüllt, verstehe ich es nicht, weil ich nichts höre, und auch wenn jemand nach mir schlägt, sehe ich es nicht, weil ich vollkommen blind bin, ihr wisst nicht, wie ich bin und was ich bin, weil ihr euch mich nicht vorstellen könnt, nicht einmal in euren Träumen könnt ihr mich heraufbeschwören, ich bin nicht unter all den Bildern, die ihr je gesehen habt, ich passe nicht in eure Gehirne, ich passe nicht in eure Seelen, ich passe nicht auf die feuchte Hornhaut eurer Augen, und ich habe nichts Zahmes an mir, ich habe nichts Behutsames an mir, ich habe nichts Besonnenes an mir, ich habe keine Erinnerung, ich habe keine Vergangenheit, ich habe keine Zeit, keine Mutter hat mich geboren, ich bin nicht geworden, ich bin einfach, ich muss nicht essen, ich muss nicht trinken, und ich muss auch nicht ficken, und ich brauche keine Luft, ich brauche keine Freiheit, ich brauche nichts, denn ich brauche weder von euch noch von irgendjemandem etwas, um zu sein, denn ich bin kein Tier, und ich bin kein Gespenst und kein Schatten und kein Wolf, ich fresse keine Kinder, und nicht aus der Hölle und nicht in die Hölle führt mein Weg, ihr könnt mich nicht beschreiben, ihr könnt mich nicht malen, und ihr könnt auch kein einziges Lied über mich schreiben, weil ihr nicht wisst, was der Augenblick ist, nicht wisst, was das Ewige ist, weil ihr nichts wisst, rein gar nichts, von nichts, denn ihr wisst auch nicht, wie ihr an mich denken sollt, denn ihr wisst auch nicht, ob ihr vor mir zittern sollt oder euch fürchten oder ängstigen, ihr wisst nicht einmal das, dabei ist es an der Zeit, dass ihr zittert und euch fürchtet und ängstigt, und dass ihr euch versteckt und entwischt und davonmacht, denn euch gelingt es sowieso nicht, euch zu verstecken oder zu entwischen oder davonzumachen, aber flieht nur, auch wenn es nicht geht, denn fliehen, das geht nicht mehr, denn hier bin ich, hier, ganz nah, wenn ich einen Geruch hätte, müsstet ihr mich schon riechen, wenn ich eine Gestalt hätte, müsstet ihr mich schon sehen, doch ich habe weder Geruch noch Gestalt, denn ich passe nirgendwo hinein, denn in mir ist nur Hass, nur Abscheu, nur Angst, nur Hass.

Ihr könnt mich niemals fassen.

Wenn ich hier rauskomme.

III.

Zu groß bin ich.

Zu stark.

Ich bin so groß, dass ich von Baumkrone zu Baumkrone reiche, dass ich von Kirchturm zu Kirchturm reiche, dass ich von Dorf zu Dorf reiche, dass ich von Stadt zu Stadt reiche, dass ich von Land zu Land reiche, dass ich von Kontinent zu Kontinent reiche, und dass ich mich, wenn ich will, über den Atlantischen Ozean erstrecke, dass ich mich, wenn ich will, über den Stillen Ozean erstrecke, dass ich vom Amazonas zu den japanischen Inseln reiche, dass ich vom Nordpol zum Südpol reiche, dass ich von Hawaii bis nach Békéscsaba reiche, dass ich von Seattle nach Sydney reiche, dassdassdass ich am Äquator um die Erde herumreiche, dass ich auch sonst überall um die Erde herumreiche, dass ich von der Erde herabhänge, so weit reiche ich um die Erde herum, dass ich um sie herumreiche, aber zwei Mal, dass ich um sie herumreiche, aber drei Mal, dass ich um sie herumreiche, aber hundert Mal, aber tausend, aber Millionen Mal, dass ich um eure Erde Milliarden und Abermilliarden Mal herumreiche, ich reiche sogar von der Erde bis zum Mond, ich bin so groß, dass ich nicht einmal in euer Milchstraßensystem passe, so, aber so groß, dass ich, wenn ich will, von Galaxie zu Galaxie reiche, und so groß, dass ich sogar durch hundert Galaxien reiche, dass ich durch alle Galaxien reiche, und so, aber so groß, dass ich, wenn ich will, durch das ganze Universum reiche, aber selbst das ist mir nicht groß genug, denn ich bin so groß, dass euer ganzes Universum nicht groß genug ist, um größer zu sein als ich, denn ich bin sogar größer als das Universum, denn ich bin größer als alles Unendliche, ich bin sogar größer als die größte Zahl, denn ich bin größer als alles, was gemessen werden kann.

Und stark bin ich. Zu stark. So stark, dass ich mit meinen Zähnen ein Messer zerbreche, dass ich mit meinen Zähnen ein Schwert zerbreche, dass ich ein Haus zerschlage, dass ich hundert Häuser hintereinander zerschlage, dass ich tausend Häuser hintereinander zerschlage, dass ich in einer Stadt alle Häuser zerschlage, dass ich in allen Städten alle Häuser zerschlage, ich bin so stark, dass ich alle Brücken auf der Erde in der Mitte durchschlage, dass ich alle Stahltürme auf der Erde zerschlage, ich bin so, aber so stark, dass ich die Kontinente zerschlage, dass ich den Boden des Atlantischen Ozeans zerschlage, dann zerschlage ich den Boden des Stillen Ozeans, dann den Boden des Indischen Ozeans, so stark, dass ich die Böden aller Meere zerschlage, und wenn ich will, zerschlage ich die ganze Erde, ich fasse sie an einem ihrer Enden, und schon ist sie entzwei, doch ich zerschlage auch den Mond, wenn ich will, und ich zerschlage alle Planeten im Sonnensystem, doch ich zerschlage auch alle Sterne am Himmel, ich bin so, ja, so stark, dass ich selbst den Himmel zerschlage, und es wird keinen Himmel geben, und es wird keine Erde geben, und es wird keine Meere geben, und es wird keine Kontinente geben, und es wird keine Städte geben, und es wird keine Häuser geben, und es wird nicht ein einziges Schwert bleiben, und es wird nicht ein einziges Messer bleiben, so, ja, so stark, weil zu stark, sage ich – doch vorerst sage ich noch nichts, denn vorerst will ich noch nicht alles verraten, denn ich will nur, dass ihr wisst, mir genügt es, größer als ihr alle zu sein, und mir genügt es, stärker als ihr alle zu sein, mir, dem es auch genügt, euch zu besiegen, und ich besiege euch, denn am Ende werde ich siegen.

IV.

Jeder Raum ist mir eng. Ich bewege mich, ich springe, ich strecke mich, und schon bin ich in einem Raum, der mir eng ist, unerträglich eng, dabei ist er manchmal nur gerade so zu eng, aber eben wenn er nur gerade so zu eng ist, wenn der Raum nur ein bisschen eng ist, ist es am unerträglichsten, ich springe und schon bin ich in etwas, das man umsonst einen nicht genügend großen Raum nennt, denn es geht nicht nur um die Größe, vielmehr geht es darum, dass ich in dem Moment, wenn ich springe und in diesem Raum drin bin, sofort auch gefangen bin, der Raum, in den ich so unvorsichtig gesprungen bin, hat mich gefangen, und es geht nicht darum, dass ich nicht vorsichtig genug bin, ich bin vorsichtig genug, vielleicht sogar zu vorsichtig, sondern dass ich, wohin ich auch springe, mit Sicherheit in einen Raum gelange, der mir eng ist, manchmal nur gerade so zu eng, doch meistens viel zu eng, unerträglich eng, ich spüre, wie der Raum sich gleich einem Käfig um mich legt, wohin ich mich auch bewege, sofort stoße ich an, ja, ich rühre mich kaum, und schon stößt der Raum an mich, ich sage, ich scheine in einen Käfig, immer nur in einen Käfig springen zu können, doch ich kann nicht anders, ich muss springen, wenn ich aber springe, lande ich sofort in diesen Raum, der wie gesagt oft bis zum Wahnsinnigwerden eng ist, ich habe das Gefühl, nicht in ein quadratisches Gitter oder, was noch schlimmer ist, in ein rechteckiges gesprungen zu sein, vielmehr habe ich manchmal das Gefühl, geradewegs in einen Raum zu geraten, der passgenau auf mich zugeschnitten ist, das heißt, er ist genauso groß wie ich, das ist am höllischsten, denn ich brauche mich gar nicht zu bewegen, schon stoße ich überall an das Gitter, denn woraus dieser Raum auch sein mag, für mich ist es ein Gitter, das Gitter eines Käfigs, und dann gibt es keine Gnade, ich versuche auszubrechen, aber sobald ich mich auch nur rühre, merke ich, wie lächerlich der Versuch ist, weil in diesem Raum, in diesem Raumkäfig alles so gemacht ist, dass es gerade ihn, den Raum, nicht gibt, man muss sich das so vorstellen, und das sage ich auch allen, und diejenigen, die ebenfalls springen müssen, verstehen auch, was ich meine, man muss sich das so vorstellen, dass es eben gerade keinen Raum gibt, das heißt, außer mir hat dieser Raum kein freies Potential, das heißt, eigentlich ist es gar kein Raum, nur ein auf mich zugeschnittenes Gitter, in das ich springe, und wenn ich es mir recht überlege, ist es in Wahrheit auch dann so, wenn ich glaube, der Raum, in den ich gesprungen bin, wäre ein bisschen größer, denn in Wahrheit ist er das Bewusstsein, dass ich, sobald ich mich auf der einen oder anderen Seite noch vier, noch sechs, noch sieben Zentimeter weiter ausstrecke, sofort an die Gitterwände stoße, deshalb beginnt das Gitter in Wahrheit bereits dort, wo ich denke, dass ich gleich daran stoße, es gibt also kein Entkommen, wenn ich springe, um dir die Kehle durchzubeißen, springe ich immer und unvermeidlich in die Falle, von Entkommen kann leider keine Rede sein.

Dir die Kehle.

V.

Ich bin das, das ausbrechen wird. Man kann mich nicht verwechseln, jede Angst, die sich nicht auf mich bezieht, ist ein Irrtum und überflüssig, denn ihr werdet mich erkennen, wenn es Zeit dafür ist, man kann nicht denken, vielleicht ist es das, denn wenn ich komme, wird es keinen Zweifel mehr geben, wird es kein Falls und kein Vielleicht geben, ihr werdet sicher wissen, das ist es, das heißt, ich bin es, denn ihr müsst nicht auf Ungeheuer mit Händen und Füßen und nicht auf Ungeheuer ohne Hände und Füße warten, ich trete nicht aus dem Dunkel hervor, und auch nicht plötzlich aus dem Licht, und ihr müsst nicht damit rechnen, dass ich aus der Erde komme, oder aus den Bergen, oder dem Himmel, sinnlos sind alle ängstlich gemalten Bilder, alle zitternd geschriebenen Worte, alle besorgt angeschlagenen Töne, mich zu prophezeien, denn es braucht keine Prophezeiungen, ihr braucht mich nicht darzustellen, bevor ich komme, es reicht, mich zu sehen, wenn ich schon hier sein werde, denn ich werde kommen und ich werde hier sein, und dann wird keine Zeit mehr sein nachzudenken, und rückblickend werden alle vorausschauenden Vermutungen, wer ich sei, überflüssig sein, was auch bedeutet, ich sage es immer wieder, rätselt nicht im Voraus, wer ich sein werde, ihr werdet es erfahren, wenn ich da sein werde, wenn ich plötzlich vor euch auftauchen werde, unerwartet, denn es wird plötzlich sein, es wird unerwartet sein, deshalb ist euer Warten sinnlos, ihr denkt, es wird unerwartet kommen, es wird plötzlich herabschießen, dieses Bald, diese Hoffnung, es sei noch Zeit, ist vollkommen töricht, in Wahrheit werde ich so schnell da sein, dass es gar nicht messbar sein wird, es gibt keine Stoppuhr, mit der du messen könntest, wie schnell das »schnell« sein wird, weil es vor mir keine Vergangenheit gibt und nach mir keine Zukunft mehr nötig sein wird, es wird keine Zukunft geben, weil keine Zeit mein Sein messen kann, was in dem einen Augenblick noch nicht hier, im nächsten aber schon da ist, das ist zeitlos – das bin ich, das werde ich sein, ich, das auf einmal da sein wird, unmittelbar vor euch, und gewiss, unmittelbar vor dir, ja, ich werde auf einmal da sein, aus dem Nichts, ich bäume mich auf und zerfleische dir das Gesicht, und wozu war das Ganze dann gut, das zitternd und in Angst und Sorge verbrachte Warten, am einfachsten ist es, wenn ihr euch dem Schicksal fügt, denn es reicht, wenn ihr wisst, ich komme, es kommt der Tag, es kommt die Stunde, und es kommt die Minute und der Augenblick, wenn es auf einmal kein Weiter mehr gibt, du hebst den Kopf aus der heutigen Zeitung oder schaust nur zufällig auf, und ich bin da vor dir, und dann gibt es keinen Zweifel mehr, ob ich es bin, das gekommen ist, denn ja, ich bin es, weil ich hier ausbrechen werde und da sein werde, und dann kann man mich nicht verwechseln.

VI.

Verschließt die Tore und verstopft die Ritzen, stellt Pfähle auf, zieht Stacheldraht und schützt euch von allen Seiten, aber wisst, dass ihr vergeblich die Tore verschlossen, vergeblich die Ritzen verstopft, vergeblich Pfähle aufgestellt, vergeblich Draht gezogen habt, denn es gibt keine Ritze, keinen Spalt, keine Lücke, die für mich ein Hindernis wären, aber verstärkt ruhig die Eingänge und vernagelt die Fenster, mauert die Schornsteine zu und schützt euch, denn ich werde ausbrechen und kommen, und natürlich, schließt die Kinder gut ein, und natürlich, bewaffnet euch gut und organisiert die Verteidigung und stellt Wachposten auf, zieht Absperrungen und legt Tretminen, macht nur, bereitet euch nur vor, doch was auch immer ihr macht, gegen mich macht ihr es vergeblich, auf mich bereitet ihr euch vergeblich vor, denn gegen mich kann man nichts machen, und auf mich kann man sich nicht genügend vorbereiten, denn ihr seid wehrlos, wenn ich komme, es gibt nichts, was mich aufhalten könnte, nichts, was mich stoppen könnte, wenn ich einmal aufgebrochen bin, was ihr auch macht, es ist völlig hoffnungslos, vergeblich versucht ihr euch zu verteidigen, es nützt euch nichts, weil ihr nicht wisst, wer ich bin, und mich nicht kennt und mich eure Unkenntnis vor euren Vorbereitungen schützt, ich bin ein unsichtbarer Feind, und bald erfahrt ihr, was das ist, unsichtbar, und vor allem, was das ist, ein Feind, denn ich bin nicht irgendein Feind, auch gar kein Feind, ich bin ein Schlag, der auf euch niedergeht, und er geht dann und dort und auf die nieder, wann und wo und auf die er will, ich aber will euch allesamt niederschlagen, und ich werde es auch, ich schlage euch nieder, und ihr könnt nichts gegen mich ausrichten, weil ich unbegreiflich bin, ihr habt keine Ahnung, woher und wann, aber vor allem habt ihr keinen blassen Schimmer, was ich tun werde, wenn ich komme, beruhigt eure Seelen unbedingt damit, dass ihr eure Kinder vor mir wegsperrt, dass ihr eure Tore vor mir verschließt, dass ihr die Ritzen verstopft, damit ich nicht durch sie hindurchkommen kann, wenn ich komme, glaubt ruhig, dass ihr euch vor mir schützen könnt, aber zittert, dass dieser Schutz nicht genug sein wird, denn er wird nicht genug sein, habt daran keinen Zweifel, denn ihr könnt mich nicht erkennen und nicht sehen und nicht begreifen, ihr wisst weder, wann, noch, wo, noch, warum, das wird euch am meisten beunruhigen, denn auf das Warum gibt es keine Antwort und wird es auch nie eine geben, doch in Wahrheit habt ihr auf nichts eine Antwort, ihr steht da allein, unbeholfen mit den Schlössern, ungeschickt mit dem Stacheldraht, keucht, müht euch ab, ächzt unter dem Gewicht der Pfähle, die ihr gegen mich aufstellen wollt, und das ist auch gut so, so muss es auch sein, denn ihr seid reif für den Untergang, und ich komme, damit die viele Angst einen Sinn hat, die Sorge und das Zittern und das Bangen, das ihr seid, und es wird einen Sinn haben, habt auch daran nur keinen Zweifel, denn ich komme, eines Tages werde ich da sein, vielleicht nicht nur in einer Gestalt, sondern gleich in zwei oder drei oder vier, eines Tages komme ich, und ich reiße euch die Visagen in Stücke, weil ich das Verderben bin.

VII.

Du bist mein Herrchen, ich bin in dir, gerade in dir, wie du hier stehst, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dich aufmerksam vorbeugst und schaust, aber was bildest du dir ein, wo du bist, im Zoo?, auf der Blumenwiese?, im Obstgarten?, nun, nein, nicht im Zoo und nicht auf der Blumenwiese und nicht im Obstgarten, sondern in dir selbst, du bist allein, wo es zwischen dir und mir keinerlei Distanz gibt, denn ich bin nicht da draußen, sondern ich bin hier drinnen, denn ich war immer schon in dir, zuerst wie eine Zelle oder, besser, wie ein Fehler in der Zelle, doch dann bin ich plötzlich gewachsen, und nun existiere ich mit ganzer Kraft in dir, du trägst mich überall mit hin, deine Haltung ist schön, deine Kleider sind schön, dein Mantel ist schön, deine Schuhe sind schön, sie glänzen schön und auf ihnen ist kein Körnchen Schmutz, nicht ein Flecken Dreck, nicht ein Tröpfchen Schneematsch, nichts, du bist elegant, du bist gelaufen, du bist flaniert, und jetzt hat dich etwas aufgehalten, oder du hast dir gedacht, na, jetzt bleibe ich stehen, verschränke die Hände auf dem Rücken und schaue mir an, was das hier vor mir ist, das hast du gedacht, und so hast du es auch gemacht, nur dass ich da drinnen bin, du trägst mich in dir, und nichts kann daran etwas ändern, weder die schöne Haltung mit dem schön zur Seite geneigten Kopf noch die schönen Kleider noch der schöne Mantel noch die beiden schön sauber glänzenden Schühchen, nichts, und jetzt denkst du noch etwas Schönes, zum Beispiel, na, schauen wir doch mal, was das da ist, es sieht, geben wir es zu, ziemlich erschreckend aus, so sagst du behaglich und arglos, verschränkst die Hände auf dem Rücken, setzt die beiden sauberen Schuhe schön nebeneinander, verlagerst den Schwerpunkt auf das linke Bein und schaust mich an, fälschlicherweise, denn du siehst nicht mich, auch wenn du das glaubst, denn ich, das, was so erschreckend aussieht, ist in dir, denn ich bin in dir, und ich sehe deine schönen Gedanken, wie du denkst, ach, wie angenehm es hier in dem Obstgarten ist, wie großartig hier auf der Blumenwiese, wie bezaubernd jetzt ein wenig hier im Zoo zu spazieren, ich sehe diese schönen Gedanken, und ich beobachte, wie schön du schaust und denkst, doch ich bin hier drinnen und strecke mich hinaus, ich bin hier drinnen und strecke meinen Körper aus, immer weiter nach vorn, und immer weiter nach draußen, und auf einmal werde ich ausbrechen, und dann Schluss mit den schönen Gedanken, Schluss mit dem schönen Schauen, und Schluss mit den schönen Kleidern und dem schönen Mantel und damit, wie du den Kopf schön hältst und schaust, denn dann wirst du nirgendwohin mehr schauen, du wirst nicht einmal mehr Augen haben, denn die kommen zuerst dran, ich werde sie dir beide herausbeißen, denn ich komme voller Kraft, nur noch ein paar Augenblicke und ich breche aus dir aus, und du wirst sein, was ich bin und was ich immer war.

VIII.

Ich bin allein, unendlich allein, so allein, dass außer mir eigentlich niemand hier ist, ich bin hier, doch selbst ich nicht ganz, denn ich bin gerade im Sprung, eigentlich eingeschlossen in den Bogen, in dem ich gerade springe, vielleicht bin ich deshalb so allein, denn ich weiß von nichts, nur von dem Sprung und von dem Bogen, den ich jetzt in diesem Sprung beschreiben muss, ich habe mich auf diesen Sprung vorbereitet, denn ich habe mich auf diesen Bogen vorbereitet, ich liebe die Luft, und ich liebe sehr diesen Bogen in der Luft, dieser Bogen ist unsichtbar, ich beschreibe diesen Bogen, ich schreibe ihn in die Luft hinein, und ich habe mich tatsächlich vorbereitet, seit Jahren, seit unermesslichen Jahren habe ich mich auf diesen Sprung vorbereitet, habe ihn in der Vorstellung schon hundert und tausend Mal abgespult, habe ihn vor mir gesehen, wie ich einst Anlauf nehmen würde, ich sah den Bogen vor mir, den ich ausfüllen würde, denn bisher habe ich nur gesucht, den Kopf gesenkt, die Nase nach vorn geschoben schnüffelte ich den Boden entlang, suchte etwas, ging einem Geruch nach, aber der Geruch verlor sich, ich nahm ihn nicht mehr wahr, ich witterte einen neuen, ging dem Geruch wieder nach, aber schon war er wieder weg, verflogen, verschwunden, ich wühlte einfach in der Erde, suchte hier und da, ohne Ziel, ohne Plan, wohin und wozu, derweil aber bereitete ich mich vor, bereitete mich auf diesen Sprung vor, auf diesen Bogen, den ich einst in die Luft hineinschreiben würde, und nun bin ich hier, bin mitten in diesem Bogen, er scheint mich zu verdoppeln, dieser Sprung mit seinem Bogen scheint mich zu verdreifachen, zu vervierfachen, zu verhundertfachen und zu vertausendfachen, dabei bin ich allein, unendlich allein, so allein, dass außer mir im Grunde nichts ist, zumindest nichts lange sein wird, denn sobald ich diesen Bogen beschrieben haben werde, sobald mein seit Jahren, seit unzähligen Jahren vorbereiteter Sprung zu Ende sein wird und ich auf dem Boden aufkomme, zerreiße ich sofort alles, was mir vor die Nase kommt.

Wenn ich auf dem Boden aufkomme.

IX.

Die Minute, in der ich wahnsinnig werde, ist da, alle denken, ich sei ein Ungeheuer, dabei habe ich mich nur in den falschen Raum verirrt, das ist alles, seit Jahren, seit unermesslich tiefen Jahren wandere ich auf den Spuren trügerischer Perspektiven, es eröffnet sich eine und ich breche auf, und erst nach Jahren, nach unermesslich tiefen Jahren stellt sich heraus, dass ich mich geirrt habe, dass sie nirgendwohin führt, und es beginnt ein neues unermesslich tiefes Jahr, und ich treffe auf eine neue Perspektive, und wieder glaube ich, dass diese Perspektive die richtige ist, und ich breche wieder in die Richtung auf, die diese Perspektive eröffnet, doch sie führt nirgendwohin, nur geradeaus, in das sogenannte Unendliche, doch ich hasse, was unendlich ist, in mir wohnt ein unsäglicher Hass auf das Unendliche, auf alles, was suggeriert, seine Ausmaße seien unendlich, weil es nicht stimmt, ganz sicher nicht, denn ich war schon oft genug im Irrtum, denn ich habe schon genug unermesslich tiefe Jahre verloren, um das Ende einer Richtung zu finden, um zu wissen, das Unendliche ist: Täuschung, das