In die Berge und zurück - Friederike von Buchner - E-Book

In die Berge und zurück E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Bürgermeister Fellbacher stand auf und klopfte mit dem kleinen Holzhammer auf die Unterlage. Das Gemurmel verstummte. Alle Augenpaare richteten sich auf ihn. »Hiermit eröffne ich die außerordentliche Sitzung des Gemeinderats von Waldkogel. Danke, dass ihr alle zu der späten Stunde gekommen seid. Ich will es deutlich sagen. Es ist traurig, dass wir uns um diese Zeit treffen müssen, weil wir nur dann die Fenster vom Rathaus öffnen können. Der Lärm, genauer gesagt, der Verkehrslärm und des damit verbundene Chaos, führen dazu, dass man während des Tages nimmer die Fenster auflassen kann. Ihr wisst alle, um was es geht. Seit einer Woche strömen die Reisebusse nur so nach Waldkogel. Der Marktplatz, die Hauptstraße und die Seitenstraßen, sogar die Wald- und Feldwege sind zugeparkt. Es gibt kein Durchkommen mehr. Mir liegen massenhaft Beschwerden vor, von Bauern, die nimmer auf ihre Felder kommen oder deren Hofeinfahrten zugeparkt wurden. Des ist eine Epidemie, die über Waldkogel hereingebrochen ist. Mei, es ist schön, dass wir so einen Touristenzustrom haben, aber was zu viel ist, ist zu viel. Mir reicht es und vielen Waldkogelern auch. Leut', es muss etwas geschehen. So geht des net weiter. Jeden Tag kommen mehr Besucher her, als Waldkogel Einwohner hat. Deshalb müssen wir Maßnahmen ergreifen. Ich bitte um Vorschläge.« Fritz Fellbacher setzte sich. Er trank einen Schluck Bier. Die Mitglieder des Gemeinderats sahen sich an. Pfarrer Zandler ergriff das Wort. »Hat schon jemand festgestellt, warum neuerdings so viele Besucher kommen?« »Heiner, mei, ich werde gleich ungehalten«, rief Fellbacher. »Du weißt ganz genau, warum sie kommen. Alle wollen

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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Toni der Hüttenwirt – 150 –In die Berge und zurück

Eine Hamburgerin auf Stippvisite?

Friederike von Buchner

Bürgermeister Fellbacher stand auf und klopfte mit dem kleinen Holzhammer auf die Unterlage. Das Gemurmel verstummte.

Alle Augenpaare richteten sich auf ihn.

»Hiermit eröffne ich die außerordentliche Sitzung des Gemeinderats von Waldkogel. Danke, dass ihr alle zu der späten Stunde gekommen seid. Ich will es deutlich sagen. Es ist traurig, dass wir uns um diese Zeit treffen müssen, weil wir nur dann die Fenster vom Rathaus öffnen können. Der Lärm, genauer gesagt, der Verkehrslärm und des damit verbundene Chaos, führen dazu, dass man während des Tages nimmer die Fenster auflassen kann. Ihr wisst alle, um was es geht. Seit einer Woche strömen die Reisebusse nur so nach Waldkogel. Der Marktplatz, die Hauptstraße und die Seitenstraßen, sogar die Wald- und Feldwege sind zugeparkt. Es gibt kein Durchkommen mehr. Mir liegen massenhaft Beschwerden vor, von Bauern, die nimmer auf ihre Felder kommen oder deren Hofeinfahrten zugeparkt wurden. Des ist eine Epidemie, die über Waldkogel hereingebrochen ist. Mei, es ist schön, dass wir so einen Touristenzustrom haben, aber was zu viel ist, ist zu viel. Mir reicht es und vielen Waldkogelern auch. Leut’, es muss etwas geschehen. So geht des net weiter. Jeden Tag kommen mehr Besucher her, als Waldkogel Einwohner hat. Deshalb müssen wir Maßnahmen ergreifen. Ich bitte um Vorschläge.«

Fritz Fellbacher setzte sich. Er trank einen Schluck Bier. Die Mitglieder des Gemeinderats sahen sich an.

Pfarrer Zandler ergriff das Wort.

»Hat schon jemand festgestellt, warum neuerdings so viele Besucher kommen?«

»Heiner, mei, ich werde gleich ungehalten«, rief Fellbacher. »Du weißt ganz genau, warum sie kommen. Alle wollen nur einen Blick auf die Gipfel vom ›Engelssteig‹ und vom ›Höllentor‹ werfen.«

Pfarrer Zandler machte mit beiden Händen eine beschwichtigende Bewegung.

»Fritz, ganz ruhig! Sicherlich weiß ich des. Ich meine, woher kommt der Ansturm? Er muss doch irgendwie organisiert werden.«

»Dazu kann ich etwas sagen«, meldete sich Albert Weisgerber zu Wort, der in Waldkogel ein Sägewerk betrieb. »Heute Mittag war Florian Sondermann bei mir. Er hat des Feuerholz für den Winter bestellt. Dabei sind wir auf des Thema gekommen. Wie ihr wisst, ist der Florian der Chef vom Touristikbüro in Kirchwalden. Er hat die Tage mit seinem Kollegen aus München telefoniert und erfahren, dass verschiedene Reisebüros in München organisierte Busreisen nach Waldkogel verkaufen. Aber des passiert net nur in München, sondern auch in vielen weiteren Städten. Es können also in nächster Zeit noch mehr Touristen kommen. Florian hat herausgefunden, dass dahinter eine Firma für Busreisen steckt. Und jetzt kommt es, die gehört dem Bruder des Produzenten, der hier die Reportage gemacht hat, über unsere schönen Berge.«

»Des war keine Reportage, des war ein Schmarrn«, rief Bürgermeister Fellbacher. »Wenn des stimmt, dann war des nix anderes als ein ganz hinterhältiger Werbetrick.«

Albert Weisgerber nickte.

»Es stimmt, Fritz! Ich habe auch meine Beziehungen. Nachdem der Florian fort war, habe ich ein bissel herumtelefoniert. Des Busunternehmen und die Film- und Fernsehproduktionsgesellschaft hängen eng zusammen. Und genau seit die Reportage über unseren ›Engelssteig‹ und das ›Höllentor‹ ausgestrahlt wurde, vor zwei Wochen, ist hier die Hölle los.«

Gina stand leise auf. Sie ging zu Fellbacher und flüsterte ihm etwas zu. Er nickte. Sie verließ das Zimmer.

Es dauerte nicht lange, dann kam sie und verteilte einige Ausdrucke an alle Gemeinderatsmitglieder. Die Texte stammten von der Internetseite des Reiseveranstalters. Dort wurden Busfahrten mit geistlicher Begleitung nach Waldkogel angeboten. Der Ort, mit den beiden Bergen »Engelssteig« und »Höllentor« sei aus dem Fernsehen bekannt.

»Im Internet kann man noch einen Film anschauen«, sagte Gina.

»Dann wollen wir des mal machen!«, beschloss Bürgermeister Fellbacher.

Der Gemeinderat folgte Gina ins Vorzimmer und gruppierte sich um ihren Computer herum, während der kurze Film über Waldkogel lief.

»Des sind andere Bilder, als diejenigen, die im Fernsehen zu sehen waren«, sagte Albert Weisgerber.

»Genau, Albert, also hat mich mein Bauchgefühl net betrogen. Die haben zwar eine schöne Fernsehreportage gemacht, aber gleichzeitig einen Werbefilm. Deshalb haben sie den Leuten jeden Satz vorgeschrieben. Jetzt wird mir alles klar. Aber net mit uns. So geht es nicht!«

Sie gingen zurück in den Sitzungssaal.

»Ich finde es nicht schlecht, wenn mehr Touristen herkommen. Das gibt guten Umsatz«, sage Franz Huber.

»So eine Bemerkung musste ja von dir kommen, Huber. Du bist ja immer nur auf Profit aus. Vielleicht steckt sogar dein Bazi Ruppert Schwarzer dahinter? Dem geht es doch nur ums Geld. Auf dem Altar des Geldes opfert Schwarzer alles, wenn nur der Profit groß genug ist. Und du bist sein Helfer!«

»Veronika Boller hat mir gesagt, dass ihr Umsatz um über dreihundert Prozent gestiegen ist, seit die Busse kommen. Das ist beachtlich. Wenn das so weitergeht, dann bringt das Waldkogel einen beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung.«

»Na und, Huber? Ich will net abstreiten, dass des auf den ersten Blick gut ist, aber alles hat zwei Seiten. Des ist zu viel Trubel. Die wirklichen Touristen, auf die es uns ankommt, die echten Bergliebhaber, die werden nicht mehr kommen. Na, na, Huber, so geht des net! Des müssen wir abstellen, sonst ist unser schönes Waldkogel bald nimmer des, was wir an unserer Heimat so lieben.«

Bürgermeister Fritz Fellbacher erntete Zustimmung von allen Seiten. Franz Huber schwieg betreten.

»Es gibt nur einen Weg«, sagte Bürgermeister Fellbacher. »Wir müssen, im Rahmen der Verkehrsplanung, einen Entschluss fassen, dass das Parken von Bussen im Ort nicht mehr erlaubt ist oder nur kostenpflichtig. Die Gebühren dafür, die können wir sehr hoch ansetzen.«

»Das ist eine gute Idee«, sagte Weisgerber. »Ich bin dafür. Die Gebühren müssen so hoch sein, dass es sich für die Veranstalter nicht mehr lohnt.«

»Albert, mach dir da keine Illusionen. Die werden die Gebühren auf die Fahrpreise aufschlagen.«

»Sicher werden sie das. Aber wenn jeder, der in einem Bus sitzt, einen hohen Zuschlag zahlen muss, dann überlegt er es sich vielleicht.«

Sie redeten sich in der nächsten Stunde die Köpfe heiß. Es ging schon auf Mitternacht zu, als sie beschlossen, dass Busse innerhalb von Waldkogel nicht mehr parken dürfen. Außerdem wollten sie ein generelles Parkverbot für PKW aussprechen. Nur Anwohnerparken wurde erlaubt. Dazu konnten sich die Waldkogeler eine Plakette im Rathaus abholen.

»Bis die Plaketten hergestellt sind, dauert es schon einige Tage. Also schlage ich vor, dass unsere Leut’ ihre Namen hinter die Windschutzscheibe legen. Ich rede mit dem Wolfi und der Chris. Waldkogeler werden net abgeschleppt – alle anderen schon!«

Gina schlug vor, an Hand der im Computer gespeicherten Einwohnerliste, Bescheinigungen auszudrucken.

»Mei, Gina, des ist ein gute Idee! Die werden wir verteilen. Wir alle werden des tun. Ich erwarte, dass jeder im Gemeinderat mithilft«, sagte Fellbacher. »Bis wann kannst du die Ausdrucke fertig haben, Gina?«

»Morgen früh, wenn ich die Nacht durcharbeite.«

»Bist ein Madl, auf das Verlass ist. Selbstverständlich bleibe ich auch hier.«

Sie stimmten ab. Alle waren dafür.

»So, dann wird es bald wieder ruhiger sein«, grinste Fellbacher.

Die Gemeindemitglieder verabschiedeten sich. Gina setzte sich sofort an den Computer und sortierte die Einwohnerliste von Waldkogel. Jeder, der vom Alter her fähig war, ein Fahrzeug zu führen, sollte eine Bescheinigung bekommen.

Obwohl es schon sehr spät war, machte sich Bürgermeister Fellbacher auf den Weg zur Polizeistation von Waldkogel. Gewolf Irminger hatte in dieser Nacht Bereitschaftsdienst und schlief deshalb im Bereitschaftsraum neben dem Dienstzimmer. Er war von Fellbachers Besuch überrascht. Er rief seine Kollegin Christine Danzer an, die Chris gerufen wurde. Sie kam sofort.

»Die Idee ist gut«, sagte Chris. »Dann gibt es wieder Ruhe. Es gab auch zu viele Unfälle, zum Glück immer nur Blechschaden, aber wir kamen mit den Unfallprotokollen kaum nach. Außerdem hagelte es Anzeigen, wenn ein Bus mal wieder die Hofeinfahrt versperrte oder einen Feldweg blockierte.«

Chris rieb sich die Hände.

»Ab morgen weht hier ein anderer Wind, das garantiere ich. Wer falsch parkt, der bekommt zwei Krallen um die Räder. Das ist einfacher, als jeden Bus abschleppen zu lassen und richtig teuer.«

Weil es auf der Polizeistation von Waldkogel nur zwei Reifenkrallen gab, rief Chris ihre ehemaligen Kollegen in München an. Im Rahmen der gegenseitigen Amtshilfe versprachen diese, bis zum Morgen einen ganzen Lastwagen voll Wegfahrsperren zu bringen, wie die Reifenkrallen im Amtsdeutsch hießen.

Nachdem das geregelt war, ging Bürgermeister Fellbacher zurück ins Rathaus. Dort ratterte schon der Drucker. Gina stempelte die Ausdrucke, Bürgermeister Fellbacher unterschrieb sie.

Als sich draußen schon langsam der Morgen ankündigte, waren sie fertig.

»So, jetzt wird es Ruhe geben in Waldkogel!«, sagte Bürgermeister Fellbacher zufrieden.

Zufrieden machte er sich auf den Heimweg.

*

Es war Schichtwechsel auf der Pflegestation des Altersheims. Das Personal war im Stationszimmer und machte die Übergabe. Frau Schüler, die Leiterin des Altenpflegeheims, klopfte an die Glastür und trat ein.

»Guten Tag! Ich will nicht lange stören. Ich habe heute Morgen von der Kollegin Grit Hinrichs ein etwas...«, sie zögerte und suchte nach Worten. »Ich will es mal so sagen, eine Mail bekommen, die mich nicht nur verwundert hat, sondern auch etwas beunruhigt. Wir alle kennen Grit gut. Sie arbeitet hier seit der Eröffnung, und wir schätzen sie alle. Nun schrieb sie mir, dass sie erkrankt sei, die Krankmeldung würde ich per Post erhalten. Sie weist vorsorglich darauf hin, dass sie länger fehlen wird. Das ist das erste Mal in den ganzen acht Jahren, dass sie sich krank gemeldet hat. Weiß jemand etwas? Mir ist bewusst, dass ich mich auf einem schmalen Grat bewege, wenn ich mich als Arbeitgeber erkundige. Aber ich mache mir Sorgen um sie. Weiß jemand etwas? Was hat sie? Kann man ihr helfen?«

Alle Augen richteten sich auf Mira. Es war bekannt, dass sie und Grit seit Jahren befreundet waren. Mira zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß auch nicht, was mit Grit los ist. Ich habe seit letzter Woche, seit ihren freien Tagen, nichts von ihr gehört. Ich habe ihr x-mal auf den Anrufbeantworter gesprochen und SMS und Mails geschickt. Ich erreiche sie nicht. Ich habe mich auch schon gewundert.«

»Falls Sie sie erreichen, Schwester Mira, dann sagen Sie ihr bitte gute Besserung. Wenn wir etwas für sie tun können, dann kann sie sich jederzeit bei mir melden.«

Mira nickte. Frau Schüler verabschiedete sich und ging mit ihren Akten unter dem Arm weiter.

Alle sprachen nur von Grit. Sie war so etwas wie die gute Seele im Haus. Sie hatte für Bewohner, Angehörige und Kollegen stets ein offenes Ohr. Nie war ihr etwas zu viel. Nie verlor sie die Geduld.

»Vielleicht war Grit mit ihren Kräften am Ende. Ich habe es schon lange kommen sehen, dass sie sich verausgabt«, sagte ein Kollegin.

»Ach, sei still! Du bist ja immer nur neidisch auf Grit gewesen, Maike«, schimpfte Mira und nahm ihre Freundin sofort in Schutz.

Mira ließ sich nicht anmerken, dass sie selbst beunruhigt war. Sie hatte sich bereits am Morgen vorgenommen, Grit zu besuchen.

Der Verkehr in Hamburg war mal wieder, durch die vielen Baustellen, sehr zäh. Mira brauchte lange, bis sie durch die Stadt war. Grit wohnte in einem der Außenbezirke der schönen Hansestadt.

Mira drückte auf die Klingel. Sie wartete. Die Tür sprang nicht auf, und Grit meldete sich nicht über die Sprechanlage. Mira drückte noch einmal die Klingel, dieses Mal länger. Aber es geschah nichts, auch als Mira darauf Sturm klingelte.

Jemand kam aus der Tür des Apartmenthauses. Mira nutzte die Gelegenheit und trat ein. Mit dem Aufzug fuhr sie in den zehnten Stock. Sie lauschte an Grits Wohnungstür, vor der sich die Tageszeitungen der letzten Tage und die Sonntagszeitung stapelten. Mira hob sie auf. Sie klopfte und legte das Ohr an die Tür. Es war kein Laut zu hören.

Mira machte sich ernsthafte Sorgen. Sie trommelte mit der Faust gegen die Tür und rief laut:

»Grit, mach auf! Mach sofort auf! Oder soll ich die Polizei holen und die Tür aufbrechen lassen?«

Es geschah immer noch nichts.

»Grit, mach auf! Ich zähle bis zehn. Wenn du bis dann nicht aufgemacht hast, dann rufe ich die Polizei. Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben – acht – neun …«

Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Langsam ging die Tür auf.

»Um Himmels willen, Grit! Wie siehst du aus?«

Mira trat ein und schloss hinter sich die Tür. Sie legte die Zeitungen auf den Tisch im Flur. Der Anrufbeantworter blinkte, Grit hatte ihn nicht abgehört.

»Was ist los?«

Grit torkelte gegen die Wand. Mira betrachtete die Freundin. Sie trug das tiefausgeschnittene rote Abendkleid, das sie mit Mira ausgesucht hatte. Doch es war zerknittert und sah aus, als würde es schon seit Tagen getragen. Grits lange blonde Haare hingen wirr über die Schultern. Ihr Gesicht war gerötet. Obwohl sie eine Sonnenbrille trug, war zu erkennen, dass sie geweint hatte.

»Rede endlich, Grit!«, schrie Mira.

Als Antwort rollten Tränen unter der Sonnenbrille hervor.

»Okay, dann übernehme ich jetzt das Zepter«, sagte Mira energisch.

Sie zog ihre Freundin ins Badezimmer, ließ Wasser in die Wanne laufen, zog Grit aus, die alles über sich ergehen ließ, als sei sie eine willenlose Puppe.

Minuten später lag Grit im warmen Schaumbad und hatte eine nasse, kalte Kompresse auf den Augen. Mira saß auf dem Rand der Badewanne und reichte ihr einen Becher mit starkem Kaffee.

Sie trank.

»So, was ist geschehen? Frau Schüler ist besorgt um dich. Wir alle sind besorgt um dich. Und wenn ich dich so ansehe, dann sorgen wir uns völlig zu recht.«

Nach und nach erfuhr Mira, dass Grit von einer Bewohnerin des Apartmenthauses weinend im Aufzug gefunden worden war und diese den Notarzt verständigt hatte.

»Was hast du gehabt?«

»Nerven!«, sagte Grit leise.

»Okay, du hattest also einen Nervenzusammenbruch. Nun gut, so etwas soll es geben. Aber du? Wann war das und warum? Nun lass dir nicht jedes Wort einzeln hervorlocken.«

»Montag letzter Woche!«

»Oh, oh, oh! Heute ist Dienstag.«

»Volker hat eine Andere«, stieß Grit unter Tränen hervor.

Mira wunderte sich nicht. Ihr hatte dieser Volker nie gefallen. Aber das behielt sie für sich.

Als könnte Grit Gedanken lesen, sagte sie:

»Du hast mich immer gewarnt, hast gesagt, er sei ein Hallodri, wie ihr bei euch daheim sagt.«

Weiter kam Grit nicht. Die Tränen vermischten sich mit dem Badewasser.

»Er ist es nicht wert, dass du um ihn weinst«, sagte Mira.

»Ich habe ihn so geliebt«, schluchzte Grit.

Mira sah ein, dass Grit in diesem Zustand zu keinem vernünftigen Gespräch oder Gedanken fähig war.

»Ich werde jetzt den Pizzadienst anrufen und bestelle uns was. Du badest jetzt, dann setzen wir uns zusammen und reden.«

Mira ging hinaus und ließ die Badezimmertür offen. Sie machte sich große Sorgen um Grit.

Eine halbe Stunde später saßen die beiden Freundinnen in der Sesselecke von Grits Apartment. Sie aßen die Pizza aus dem Karton und tranken Wein dazu.

Nach und nach erfuhr Mira, was geschehen war. Grit war mit Volker zu einem Segeltörn auf der Ostsee verabredet. Volker stammte aus einer sehr begüterten Hanseatenfamilie und besaß eine eigene Segelyacht. Sie waren für Dienstagmorgen verabredet gewesen, weil Grit für eine Kollegin den Nachtdienst übernehmen wollte. Diese hatte Karten für ein Musical und ging dann doch nicht hin, weil deren Freund, der bei der Feuerwehr war, keine Zeit hatte. Grit kaufte ihr die Karten ab und wollte Volker damit überraschen.

»Ich habe am Nachmittag mit ihm telefoniert. Er sagte, er müsse noch einen Bericht schreiben. Ich dachte also, er ist daheim, weil er oft von daheim aus arbeitet. Ich warf mich in Schale und fuhr zu ihm. Ich war fest davon überzeugt, ihn zum Besuch des Musicals überreden zu können. Es wären ja nur einige Stunden gewesen.«

Grit trank einen Schluck Wein.

»Mira, du weißt, wie Volker wohnt. Also dachte ich, ich überrasche ihn und schleiche mich durch den Garten an. Was ich auch tat.«