In ihrer Hand - Kathleen Lawless - E-Book

In ihrer Hand E-Book

Kathleen Lawless

0,0

Beschreibung

Die Malerin Fallon Gilchrist ist viel zu jung, um sich nach dem Tod ihres Mannes zurückzuziehen. Ihre Freundin beschert ihr ein aufregendes Geschenk: Einen bildschönen Mann, mit dem die etwas schüchterne Künstlerin für eine Woche machen kann, was sie möchte. Nur kurz lässt sie Montague mit den breiten Schultern und der schmalen Taille als Modell sitzen. Denn er ist nicht nur schön, sondern auch verdammt anziehend.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 216

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “Taboo”
Copyright dieser Ausgabe © 2013 by Edel eBooks, einem Verlag der Edel Germany GmbH, Hamburg.
Copyright © by Kathleen Lawless
Ins Deutsche übertragen von Johannes Sabinski
Alle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Dieses Werk wurde vermittelt durch die AVA international GmbH Autoren- und Verlagsagentur, München
Inhaltsverzeichnis
TitelImpressumErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes Kapitel
Tabu (1815; FWb) sittlichsoziale Konvention, gewisse Dinge nicht zu tun o. über sie zu sprechen (aus: Hermann
Erstes Kapitel
Fallon Gilchrist las noch einmal die hastig hingekritzelte Nachricht, die am Morgen zugestellt worden war, und lächelte über die kindlich gerundete Handschrift ihrer besten Freundin.
Darling, schrieb Anna, viel zu lange sitzt du schon allein im Nirgendwo fest. Bin unterwegs, dir die Langeweile zu vertreiben. Bringe eine Riesenüberraschung mit. Gruß und Kuss. Fallon spürte, wie ihr Lächeln dem Nachdenken wich, während sie den Zettel wieder zusammenfaltete. Annas Sinn für tollkühne Späße schien geradewegs vom Papier hinüber in ihren verwaisten Salon zu springen. Vielleicht hatte ihre beste Freundin ja Recht und sie lebte wirklich schon zu lange in ländlicher Abgeschiedenheit.
Nachdem sie ihrer Haushälterin aufgetragen hatte, Annas Lieblingszimmer besuchsfertig zu machen, ging Fallon zu ihrem Atelier hinaus. Solange gutes Licht herrschte, würde sie vielleicht die erhoffte Eingebung finden, die in letzter Zeit so schmerzlich ausgeblieben war.
Auf halber Höhe zwischen Herrenhaus und Atelier hielt sie inne und besah sich das umgebaute Pförtnerhaus. Dieses war ihr bevorzugter Unterschlupf auf dem Anwesen, ein Überraschungsgeschenk ihres verstorbenen Gatten, der es in einen Ort verwandelt hatte, an dem sie ihrem künstlerischen Verlangen die Zügel schießen lassen konnte.
Hinter ihr geschlechtliches Verlangen, das Fallon mit großer Mühe verborgen hielt, war Powell nie gekommen. Es war wohl nicht ganz normal, sich in Gedanken nach dem Liebesakt zwischen Mann und Frau zu verzehren. Sie hatte Powell in der Überzeugung geheiratet, er würde ihr in seinen reiferen Jahren ein Lebensgefährte sein, der ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen wüsste. Stattdessen hatte es den Anschein gehabt, als bestürze ihn ihr anfängliches Feuer regelrecht, und sie hatte ihm zu Gefallen gelernt, prüde zu tun. Als müsse sie überredet werden. Scheinbar sehnten anständige Damen die Berührung durch ihre Ehemänner nicht etwa herbei, sondern ließen sie über sich ergehen. Powells Bemühungen jedenfalls hatten darin versagt, Fallon zu entflammen oder ihr Erleichterung zu verschaffen, und so hatte sie sich in ihrer wachsenden Enttäuschung der Malerei zugewandt, einem kümmerlichen, aber unverfänglichen Ventil für ihren quälenden Triebstau.
Würde ihr nur die Arbeit in letzter Zeit nicht schal vorkommen. Sie zog keine Befriedigung mehr aus ihrer Kunst. Das Spiel von Licht und Schatten auf der Leinwand betörte nicht länger ihre Sinne. Nur zu gut erinnerte sie sich an die Zeit, als der Geruch von Terpentin und Leinöl, die Anordnung halb ausgedrückter Farbtuben und die Textur der Farben selbst ihrem Geist Flügel verliehen hatten. In jenen Tagen hatte sie es kaum erwarten können, an die Arbeit zu gehen: jenen erhebenden Reiz zu spüren, der als unvergleichlicher Rausch durch ihre Adern strömte, bis der Höhepunkt erreicht war und ihre brodelnden Gefühle sich allesamt auf die Leinwand ergossen hatten.
Heutzutage setzte sie mehr aus Gewohnheit denn Verlangen einen Fuß in ihr Atelier. Sie verbrachte unmäßig viel Zeit damit, ihre Pinsel aus Zobelhaar zu reinigen und zu sortieren und die endgültige Reihenfolge für ihre Farbtuben zu finden, wobei sie zwischen einer Gruppierung in Farbfamilien und einer alphabetischen Ordnung schwankte. Hatte sie einen tatendurstigen Tag, spannte sie auch schon einmal eine neue Leinwand auf und grundierte sie zur Vorbereitung.
Sie entriegelte die Tür und trat mit einem Seufzer ein. Die Leinwand mochte bereit sein, aber wie stand es mit ihr? Heute wirkte die Vase mit frischen Pfingstrosen, die sie gestern zusammengestellt hatte, noch vollendeter. Die schweren Blumen neigten sich, als ließen sie, dem Schlafe nahe, die Köpfe hängen. Sie beugte sich dicht über sie und atmete ihren ebenso zarten wie unverwechselbaren Duft ein: wie Boston im Juni. Über ein Dutzend Schattierungen der Farbe Rosa wetteiferten um Beachtung und scheiterten letztlich doch, sie zu beflügeln. Wie traurig, dass sie nicht einmal die Kraft aufbrachte, ihre Tuben aufzuschrauben, ganz zu schweigen davon, einwandfreie Schattierungen anzumischen.
War sie schon immer so schwermütig gewesen? Powell pflegte zu bemerken, dass sie ihn, egal wann, zum Lächeln bringen könne. Sicherlich hatte sie sich nicht von jeher so beladen und beklommen gefühlt.
Powell und sein Architekt hatten die gesamte Südwand des ehemaligen Pförtnerhauses entfernen und durch Glasscheiben ersetzen lassen. Fallon beobachtete, wie sich der bleigraue Himmel verdüsterte, wandte sich dann um und trat an einen verschnörkelten schmiedeeisernen Kandelaber heran. Powell war verständig genug gewesen, um die künstlerische Bedeutung des Lichts zu erfassen, weshalb das Atelier mit einer Unzahl Leuchtern, Gaslichtbrennern, Laternen und Kerzen ausgestattet war. Selbst jetzt, ein Jahr nach seinem Tod, fehlte ihr die umsichtige Liebenswürdigkeit ihres Ehemanns.
Stets hatte sie sich vage schuldig gefühlt, ihn nicht gar so innig zu lieben wie er sie. Oh, sie hatte sich durchaus etwas aus ihm gemacht. Er war ein herzensguter, rücksichtsvoller Gatte gewesen, der wusste, dass sie ihn um der Sicherheit willen geheiratet hatte, die er ihr als einer Waisen bieten konnte. Und sie hatte darauf verzichtet, sich einen Liebhaber zuzulegen wie so viele ihrer Bostoner Freundinnen. Selbst über die endlosen Monate hinweg, die Powell auf See war und sie kein Schlaf mehr betäubte. Wie viele Nächte hatte sie wach und ruhelos gelegen, hatten tief in ihr unerfüllte Sehnsüchte gebrannt? Sehnsüchte, argwöhnte sie, die ein Liebhaber, wäre er der richtige, stillen könnte.
Sie zündete ein Streichholz an und hielt es an eine der Kerzen. Die Flamme zuckte und fraß sich den Docht hinunter. Fallon starrte wie gebannt darauf. Sie streckte eine Hand aus, fühlte die schwache Hitze, die doch stark genug war, um sich daran zu versengen, und zog die Hand rasch zurück. Was in aller Welt war nur in sie gefahren? Gott sei Dank hatte sie Annas Nachricht und konnte sich mithin auf etwas freuen.
Von draußen vernahm sie gedämpften Lärm. Sollte ihre Freundin schon eingetroffen sein?
Am anderen Ende des Raums flog die Ateliertür auf. «Darling!» Nie betrat Anna einfach nur ein Zimmer, sie nahm es in Beschlag, und dieser Besuch machte keine Ausnahme. Fallon fand sich in der herzlichen Umarmung ihrer Freundin wieder, die sie kräftig drückte, ehe sie zurücktrat und ihr einen kritischen Blick schenkte. «Du bist zu dünn», verkündete Anna. «Hat dir Mrs. Buttle nichts zu essen gegeben? »
Fallon zuckte die Achseln und lenkte die Aufmerksamkeit von sich fort. «Nun bist du ja hier, und die Köchin wird alles zubereiten, wonach dir ist. Ich habe dein Zimmer herrichten lassen.»
«Bist ein Schatz.» Gleichzeitig verzog sich Annas Mund zum Zeichen des Bedauerns. «Tut mir leid, aber ich kann nicht bleiben. Ich bin nur hier, um deine Überraschung abzuliefern. »
«Was hast du jetzt wieder ausgeheckt?», fragte Fallon in wohlwollendem Ton.
«Warte ab, bis du’s siehst.» Anna kicherte wie ein junges Mädchen; ihre Erregung war ansteckend. Sie klatschte laut in die Hände, und ihr Diener erschien mit einem zweiten jungen Mann im Schlepptau in der Tür.
Fallon verschlug es den Atem. Trotz des Seidenschals, der dem Fremden fest um die Augen gebunden war, konnte sie in ihm ein Wesen von maßloser Schönheit erkennen. Auf einen Wink Annas hin zog sich der Diener zurück. Anna zwinkerte der sprachlosen Fallon zu und wickelte den Schal ab.
«Montague Bridgeman, ich stelle Ihnen Ihre neue Geliebte vor, Fallon Gilchrist.»
«Anna.» Fallon runzelte die Stirn, um Bestürzung und Missbilligung zu zeigen.
«Geht schon in Ordnung, Liebling. Er ist gekauft, bezahlt und für eine Woche dein. Nicht wahr, Montague?»
Der junge Mann trat vor und verbeugte sich. Durch die Bewegung fiel ihm eine kräftige dunkle Haarlocke keck in die Stirn. «Ihr ergebener Diener, Madam. Wie Ihre Freundin zu Recht erklärte, stehe ich sieben Tage und sieben Nächte lang uneingeschränkt unter Ihrem Befehl.»
Der Mann, den Fallon vor sich hatte, war ein wahrlich äußerst erlesenes Geschöpf. Sie konnte erkennen, wie sich unter dem vornehm geschnittenen Jackett seine breiten Schultern zu einer schmalen Taille und ebensolchen Hüften verjüngten. Seine kräftigen Beine waren in eine maßgeschneiderte Hose gehüllt. Doch um Fallon war es erst geschehen, als ihr Blick emporschweifte und auf seinen Augen haften blieb. Brütend waren sie. Heimgesucht. Ermattet. Welterfahren und müde. Die falschen Augen für ein so junges Gesicht und dennoch vollkommen. Diese Augen sprachen Bände. Klang und Schweigen. Leben und Tod. Und Fallon wurde schlagartig klar: Sie musste sie malen, um ihre Geschichte festzuhalten. Um die Seele ihres Besitzers aufzudecken. Es juckte ihr förmlich in den Fingern, nach einem Pinsel zu greifen und anzufangen.
Ihrer beider Blicke schienen sich eine Ewigkeit ineinander zu verschränken, und doch wusste sie, dass es sich nur um flüchtige Sekunden handeln konnte.
«Ich fürchte, ich komme nicht ganz mit.»
«Ganz einfach, meine Liebe. Der Bostoner Frauen-Hilfsverein sammelt Geld, um weitere Bücher für die Bibliothek zu kaufen. Eines unserer Mitglieder beschloss, dass wir eine Versteigerung ansetzen sollten. Und zwar um einen wirklich außergewöhnlichen Posten.»
«Madam, Sie sind zu schmeichelhaft.»
«Als ich Montague sah, zweifelte ich keinen Augenblick mehr daran, dass ich ihn für dich ergattern musste. Natürlich wollten ihn alle Damen haben, aber ich musste ihn einfach für dich bekommen – um jeden Preis. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!»
«Anna», sagte Fallon, «du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich bei so etwas nicht mitmache.»
Anna zog Fallon beiseite. Ganz sanft strich sie ihr mit behandschuhten Fingern über die Wange. «Mir fehlt die alte Fallon. Meine Freundin. Ich will sie wiederhaben.»
Der Blick und die Geste ihrer Freundin waren so aufrichtig, dass Fallon klein beigab. «Mir fehlt sie auch.»
«Das weiß ich. Darum bin ich wirklich aufs Ganze gegangen, um dich aus dieser Starre zu reißen, der du anscheinend zum Opfer gefallen bist. Montague hat keinen blassen Schimmer, wer du bist oder wo er ist. In sieben Tagen kehre ich zurück, um ihn wieder in die Stadt mitzunehmen.»
«Das ist doch unerhört.»
Annas Blick ließ von Fallon ab, um sich auf ihren jungen Begleiter zu heften. «Sag bloß, du würdest ihn nicht liebend gern malen. Dieses Gesicht. Diese Augen. Dieses Haar.»
«Natürlich würde ich ihn gern malen …»
«Na, dann tu’s doch», sagte Anna munter. «Wach auf und kehr in die Welt zurück.» Unversehens wandte sie sich um. «Eine Woche. Ich erwarte, dass du mir den vollen Nutzen aus meinem Geld ziehst.»
Annas Aufbruch ließ Fallon allein mit ihrer «Überraschung» im Atelier zurück.
«Das wär’s dann also? Nur Sie und ich sind übrig?» Seine Stimme klang nicht so, als gefiele ihm die Aussicht über Gebühr. Für sie galt das übrigens auch.
«Es scheint so.» Fallon umkreiste ihn langsam und taxierte ihn wie einen preisgekrönten Hengst, der zum Verkauf steht. Nur war der Handel diesmal schon abgeschlossen. Und er stand willens zu tun, wie ihm geheißen, vor ihr. Oder etwa nicht?
«Sind Sie gut im Gehorchen?»
«So gut wie jeder ehemalige Soldat.»
Fallon war sich im Unklaren, ob seine Worte bedeuteten, er habe Übung im Befehlsgehorsam oder seit langem schon genug davon.
«Sie sehen zu jung aus, um im Krieg gewesen zu sein.»
«Jeder Mann, gleich wie alt, ist zu jung, um in den Krieg zu ziehen.»
Diese eine bündige Bemerkung trug dazu bei, seine den Blick fesselnden Augen zu erklären. Und umso mehr sehnte sie sich danach, ihn zu malen.
Seine ganze Haltung, aufrecht und doch scheinbar voll gespannter Kraft, die Hände locker im Rücken gefaltet, wies auf eine hervorragende Abstammung hin. Wie gelang ihm nur ein Auftreten, als würde er sich zugleich lümmeln und bereit sein, loszuspringen? Sie verspürte eine gewisse Trägheit, als langweile er sich schon, trotz seiner offenkundigen Gewohnheit, sich gut zu halten, die Schultern gestrafft und der herrlich geformte Kopf selbstgefällig schräg gelegt.
Eine ungebärdige Locke beharrte darauf, ihm in Stirn und Augen zu fallen, und Fallon widerstand dem Drang, sie beiseite zu streichen. Sie nahm an, diese sei ebenso ein Teil seiner selbst wie der kantige Unterkiefer, die scharf geschnittenen Wangenknochen und die prächtigen kohlrabenschwarzen blitzenden Augen.
«Findet mich die gnädige Frau nach ihrem Geschmack?» Seine Stimme war tief, satt und herausfordernd männlich. Fallon fühlte, wie ihr ein wohliger Schauder über den Rücken lief.
«So bald weiß man das noch nicht», erwiderte sie steif, während sie ihre Begutachtung fortsetzte. Sie würde mit einer Skizze von ihm anfangen. Breite Kohlestriche, um das Kühne in Haltung und Blick einzufangen. Sie trat näher. Ausgezeichnet. Er hatte eine schwache Kerbe am Kinn. Volle, sinnliche  Lippen, die bei einem weniger maskulinen Mann Gefahr liefen, weibisch zu wirken, ihn jedoch davor bewahrten, zu raubtierhaft auszusehen.
Fallon hielt unmittelbar vor ihm inne. «Kann ich bitte Ihre Hände sehen?»
«Meine Hände, Mylady?» Eine leicht angehobene Braue deutete auf verhaltene Belustigung über ihr Gesuch hin. «Gewiss gibt es andere Teile meiner Anatomie, die Sie unendlich interessanter fänden als meine Hände?»
«Sie haben mich gehört.» Offen erwiderte sie seinen Blick. Sah zu, wie er sein Gewicht verlagerte.
«Die Linke oder die Rechte?»
«Eine von beiden», antwortete Fallon freundlich.
«Sie wählen.» Etwas Herausforderndes lag sowohl in der Art, wie er es sagte, als auch in der begleitenden Bewegung, bei der er ihr erst die linke, dann die rechte Schulter zukehrte.
Bestürzt begriff Fallon, dass sie seine Herausforderung mit Genuss annahm. Es war eine Art wortloses Geplänkel. «Dann nehme ich …» Sie unterbrach sich und fuhr mit der flachen Hand erst über seinen linken, dann seinen rechten Oberarm. Sie konnte seine Körperwärme durch das feine Kammgarn des Jacketts spüren. «Ich nehme die rechte. Sind Sie Rechtshänder, Montague?»
«Bridge.» Während er sprach, streckte er die rechte Hand aus und gestattete es seinen Fingerspitzen, ganz sachte die zarten Knöchel ihres Handgelenks zu streifen.
«Bridge?» Sowohl das Wort wie die Berührung verwirrten sie. Wollte er eine Brücke zwischen ihnen schlagen?
«Ich ziehe die Anrede ‹Bridge› vor», sagte er. «Ich finde sie einprägsamer. Und da wir eine ganze Woche lang Tag und Nacht zusammen sein werden …»
Ihr fröstelte bei seinen Worten und den Absichten, die sie in seinen Augen las. «Tag und Nacht?»
«So lautete die Übereinkunft.»
Sie riss den Blick von seinen Augen los, um sich seiner Hand zu widmen. Lange, kräftige Finger, große Knöchel, eine breite, kernige Hand. Eindeutig eine Männerhand. Eckig geschnittene, saubere, aber unpolierte Nägel. Leichte Schwielen, zweifellos vom Reiten. Oder vielleicht vom Fechten. Sie nickte beifällig.
«Ich bin dran.» Er ergriff ihre Hand und betrachtete gedankenvoll ihre Innenfläche. Fallon war versucht, sich mit seinen Augen zu sehen. Wie blass und weiß ihre Haut neben seiner wirkte. Wie klein und zart ihre Finger. Und seine Art, ihre Handfläche zu streicheln, weckte in ihr eine Vorahnung, die sich den Weg vom Arm zu den Brüsten bahnte, um alsdann ihre Brüste zu kitzeln und ihre weiblichen Tiefen aufzusuchen.
Fallon wollte sich losreißen. Sein Griff schloss sich fester. Langsam und unerbittlich führte er ihre Hand an seine Lippen. Sie spürte die Wärme seines Atems und begriff seine Absicht, Sekunden bevor seine Lippen und Zunge auf ihre Handfläche trafen.
«Meine Güte!» Sprach sie die Worte laut aus oder dachte sie nur daran? Denn der Kuss war ein Schlangenbiss ohne Gift und löste doch einen heftigen Schrecken aus. Warm und forschend wie ihr Bezwinger selbst, der sichtlich genau wusste, was er tat. War er sich gleichermaßen der Wirkung auf sie bewusst?
Wie könnte es anders sein? Wie könnte ihm das Stocken ihres Atems entgehen? Ihr beschleunigter Puls? Die schwache Rötung ihrer Haut? Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen unter ihrem Kleid verfestigten, und betete insgeheim, dass er nicht sähe, was sie fühlte.
Prickelndes Nass befeuchtete ihre Beine. Die Dämme ihrer Weiblichkeit weichten auf. Und diese unendlich vertrauten Gefühle wurden durch die Nähe ihres Gesellschafters um ein Zehnfaches verstärkt.
Erleichtert stellte sie fest, dass seine Zungenspitze nicht länger in ihrer Hand kreiste. Doppelt erleichtert, wieder mit gewohnter Stimme sprechen zu können, befreite sie diese aus seiner warmen, vertraulichen Umfassung.
«Verraten Sie mir, welcher Schlag Mann seine Dienste an die Höchstbietende versteigern lässt?»
Er zuckte mit den Schultern. «Ich hatte die Woche über keine weiteren dringenden Verpflichtungen. Außerdem schien es mir ein würdiges Anliegen zu sein.»
«Warum nicht einfach etwas für dieses würdige Anliegen spenden?»
Zweites Kapitel
Wohin hatte ihn sein Ungestüm diesmal verschlagen, fragte sich Bridge. Mit Sicherheit ließ sich sagen, dass die Kutschfahrt mit verbundenen Augen appetitanregendes Futter für seine rege Vorstellungsgabe abgegeben und ihn in seinen Erwartungen an die bevorstehende Woche bestärkt hatte. Doch die lebhafte Frau, die sich bei der Versteigerung seiner Dienste versichert hatte, hatte sich seiner nun entledigt und ihn der Gesellschaft dieser groß gewachsenen, unterkühlten Eisprinzessin überlassen. Alles an der Frau vor ihm schien von einem Frosthauch überzogen, von ihren silberblauen Augen bis zu ihrem Haar, dessen helles Blond silbrig wirkte. Sie trug es streng aus ihrem miniaturhaft vollkommenen Antlitz gebürstet, sodass nicht ein Haar mehr fehl am Platz war. Für den Augenblick. Bridge lächelte in sich hinein. Sie aufzuwärmen könnte sich als gelungener Spaß erweisen. Seiner beträchtlichen Erfahrung nach hatten jene Frauen, die sich äußerlich eisig gaben, gern die feurigsten Herzen.
«Wo sind wir genau?» Bildete er es sich ein, oder ließ sein forscher Blick sie leicht erröten?
«Solche Belanglosigkeiten dürften Sie schwerlich kümmern», entgegnete sie hochmütig.
«Ich meinte diesen Raum mit seiner höchst eigenwilligen Ausstattung. Ich darf zuversichtlich sein, dass er mir für die nächste Woche als Wohnstatt dient?»
Sie biss sich auf die Unterlippe, bevor sie mit ruckartigem Nicken zustimmte.
Er streckte die Arme zur Decke. Ebenso gut konnte er sich gleich wie zu Hause fühlen. «Ich werde ein heißes Bad brauchen. Es war eine verteufelt lange Kutschfahrt hierher.» Sie schmunzelte, und er rätselte, was sie an seinen Worten so belustigend fand.
«Um das Bad werde ich mich später kümmern», sagte sie. «Erst einmal müssen Sie sich ihren Unterhalt verdienen. Würden Sie sich bitte entkleiden.»
Schon viel besser. Bridge schüttelte sein Jackett ab und wandte sich den Perlknöpfen an seiner Hemdbrust zu. Er sah nirgends ein Bett. Das an eine Seite geschobene Sofa würde zweifellos taugen. Falls es die Dame nicht im Stehen wünschte. Oder über einen Tisch gebeugt. Oder …
Während er seine Hose öffnete, leckte er sich die Lippen beim Gedanken an die unbegrenzten Möglichkeiten, die von dieser ausgefallenen Umgebung eröffnet wurden. In der Tat. Dieses Abenteuer könnte noch sehr nach seinem Geschmack ausfallen.
Während er sein Hemd ablegte, starrte sie ihn scheinbar hingerissen an. Zweifellos trug sie die Bürde eines unaufmerksamen Gatten, der andernorts seine Ziele verfolgte. Desgleichen andere Frauen. Bridge setzte sich, um seine Stiefel und Socken auszuziehen, hielt inne, lehnte sich auf dem Sofa zurück und streckte ihr einen bestiefelten Fuß entgegen.
«Manchmal helfen die Frauen gern mit.»
«Sie scheinen mir ungeheuer fähig zu sein.»
«In vielerlei Hinsicht, wie Sie noch herausfinden werden», erwiderte Bridge. «Soll ich das Kaminfeuer anzünden?»
«Später vielleicht.» Während sie sprach, ging sie vor ihm auf und ab und betrachtete ihn aus unterschiedlichen Blickwinkeln, mit leuchtenden Augen und Wangen, die vor lauter Erregung oder Erwartung oder vielleicht beidem gerötet waren. Bewegtheit verlieh ihren Zügen eine außergewöhnliche Schönheit.
«Es ehrt mich, dass Sie mich allein schon für imstande halten, Sie zu wärmen. Dennoch behagt mir das Erlebnis eines Ficks vor knisterndem Feuer. Ihnen nicht?»
Sie blieb wie angewurzelt stehen und richtete sich kerzengerade auf. «Sie haben eindeutig einen falschen Eindruck von der Dienstleistung, der ich bedarf.»
Den Satz hatte er doch schon mal gehört? Wenn man’s genau bedenkt: Was hatte er nicht schon gehört?
«Das Sofa muss näher am Fenster stehen. So herum.» Sie verdeutlichte ihre Wünsche mit einem anmutigen Schwenk ihrer Hände.
«Hose dabei an oder aus?», erkundigte sich Bridge.
«Ganz nach Ihnen.»
Also aus. Hurtig fügte Bridge seine Hose dem säuberlichen Haufen seiner abgelegten Kleider hinzu und war sich dabei bewusst, auch ohne den letzten modischen Schrei am Leib eine fesche Erscheinung abzugeben. Doch während er das Sofa wie angewiesen umstellte, ärgerte ihn, dass sie offenbar kaum Notiz davon genommen hatte. Vielmehr machte sie am anderen Ende des Raums irgendwelches Aufhebens um mehrere Tuchbahnen. Er ließ sich auf dem Sofa nieder, um abzuwarten.
Einen Ballen bordeauxroten Samt im Arm drehte sie sich um, starrte zu ihm herüber und gab beim Anblick seiner schmückenden Ausbreitung auf dem Möbel einen überraschten Ausruf von sich.
Sein Schwanz sprach wie stets darauf an, wenn eine schöne Frau im Zimmer war. «Na also. Ist es so nach Ihren Wünschen? »
«Es ist zumindest ein Anfang», sagte Fallon und schien sich wieder zu fangen. «Bitte erheben Sie sich für einen Augenblick. Ich möchte diesen Stoff unter Sie legen.»
Und ich dich unter mich. Bridge stand auf und sah zu, wie sie das Tuch drapierte, es an manchen Stellen feststeckte und glättete, an anderen raffte. Wozu trieb sie diesen Aufwand, wo beide doch im Begriff standen, den Stoff zu zerwühlen? Schließlich schien sie zufrieden zu sein und richtete sich auf.
«Das dürfte genügen.» Wieder ein anmutiger Wink mit der Hand. «Genau so, wie Sie eben waren.»
«Da werde ich wohl ein wenig Hilfe brauchen», sagte Bridge, als er seine Pose wieder einnahm. Denn sein Schwanz war mangels Zuwendung schlapp geworden. «Warum kommen Sie nicht herüber und machen mich hart?»
«Schlaff sind Sie mir eigentlich fürs Erste lieber.»
«Ich kann nicht versprechen, dass ich lange so bleibe», frohlockte Bridge. Er hielt Wort, denn sein Glied regte sich in derselben Sekunde, in der sie sich näherte. Er konnte ihre Hitze riechen, ihre feuchte Haut, ihren Duft. Vor allem aber ihre Erregung, jenen immergleichen Geruch einer Frau, die von der Leidenschaft ergriffen wurde.
«Eine von uns beiden trägt entschieden zu viele Kleidungsstücke», murmelte er. Als sie sich vorbeugte, langte er nach ihr und versuchte, sie auf sich hinunterzuziehen.
«Keinen Mucks», schnauzte sie und schlug seine Hand heftig aus dem Weg. «Wagen Sie es nicht, auch nur einen Muskel zu regen, ehe ich es Ihnen erlaube.»
«So läuft das also?»
Sie harkte mit den Fingern durch sein Haar, und das Gefühl ihrer Nägel auf seiner Kopfhaut steigerte seine Erregung. Ein, zwei Male war er gefesselt und geschändet, doch nie zuvor gezwungen worden, für längere Zeit eine Pose beizubehalten. «Wie lange soll ich so sitzen bleiben?»
«So lange es eben dauert», gab sie zurück. «Wenn Sie jetzt so nett wären, das Reden einzustellen, damit ich mich sammeln kann.» Zu seinem ungläubigen Erstaunen langte sie nach einem Block weißen Papiers und einem klobig anmutenden Stück Zeichenkohle und begann, ihn zu skizzieren.
Wahrhaftig, er war ein Prachtstück der männlichen Gattung. Oberflächlich gebändigt, doch offensichtlich innerlich noch halb wild. Ungezähmt und unzähmbar unter dem dünnen Firnis zivilisierten Verhaltens. Fallons Hand bewegte sich ohne Zaudern, während sie Bogen auf Bogen ausfüllte, bis diese kreuz und quer den Fußboden bedeckten. Nie zuvor hatte sie menschliche Umrisse gezeichnet, sich bisher mit Stillleben und Landschaften beschieden. Und was sie dabei versäumt hatte! Eine lebendige, atmende Gestalt mit ihren Form gebenden Muskeln und Sehnen, mit Licht und Schatten, Haut und Haaren.
Ihr fiel der Streit ein, den die Künstler William Rimmer und William Moris Hunt ausgelöst hatten. Sie boten Kurse für Frauen an, die auch Aktzeichnen einschlossen. Gerüchten zufolge wurden die Frauen ebenso offen getadelt und gelobt wie jeder männliche Schüler, und sie fragte sich, was man wohl dabei empfand. Für sich hatte sie die Sicherheit gewählt. Stillleben und Landschaften und niemand, der ihre Arbeit in Frage stellen konnte außer Fallon selbst.
Bis jetzt. Und dazu der Pulsschlag deftiger, ursprünglicher Kraft, der in ihr emporwallte. Als wäre sie zu keinem andern Zweck geboren, als Gelegenheit zu haben, das Abbild dieses Mannes vor sich einzufangen. In ihren Adern sang und tanzte das Blut. Noch nie hatte sie sich so beseelt, in solchem Fluss mit ihren Leidenschaften gefühlt.
Fallon zeichnete unermüdlich, bis ihre Hand auf einmal verkrampfte. Sie scherte sich nicht darum und drängte voran, ungestüme Hast in ihren Bewegungen. Das Licht veränderte sich. Ihr Auge sah, aber die Hand verweigerte sich ihrem Willen, und die Kohle rutschte ihr aus den Fingern und landete zu ihren Füßen. Widerwillig legte sie den Zeichenblock beiseite. Nun war sie eingeübt. Morgen würde sie ihre Farben in Angriff nehmen.
«Kann ich mich jetzt bewegen?»
«Natürlich. Ich bin untröstlich.» Fallon dehnte die Finger, um sie wieder zu durchbluten, und verspürte umgehend Reue. Wenn sie schon einen Krampf in der Hand hatte, wie musste es dann erst ihrem Modell gehen?
«Ich fürchte, ich werde etwas Hilfe brauchen.» Er schnitt beim Sprechen eine Grimasse.
«Ich bitte um Entschuldigung. Ich fürchte, ich war allzu lange nicht so konzentriert bei der Sache.» Mit mehreren weit ausholenden Schritten war sie an seiner Seite, ergriff seinen Arm und fing an, sanft die Muskeln zu kneten, die sich vom Unterarm über Ellbogen und Oberarm zur Schulter hin erstreckten. Sie spürte die Kraft, die unter ihrer Berührung schlummerte.
«So besser?», fragte sie besorgt. Wenn sie ihn nun zu hart in die Pflicht genommen hatte und er morgen außerstande wäre, für sie Akt zu sitzen?