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Wenn das Schicksal dir Briefe schreibt, was würdest du antworten? Überraschend erbt Mina den kleinen Buchladen ihrer Großmutter in der Londoner Kings Road. Ausgerechnet dort begegnet sie ihrem Jugendschwarm Jamie wieder. Was beginnt wie der Anfang eines großen Liebesromans, führt schnell zu Ernüchterung: Jamie ist vergeben! Obwohl Mina weiß, dass es unklug ist, sich in ihn zu verlieben, passiert genau das. Davon halten sie nicht einmal die wunderschönen Zeilen ihres geheimnisvollen Briefeschreibers ab. Um sich von ihren wirren Gefühlen abzulenken, stürzt Mina sich in die Arbeit, doch auch dort lassen die Katastrophen nicht lange auf sich warten. Der kleine Buchladen läuft schlecht, und ihre Großmutter scheint ihr nichts als Probleme hinterlassen zu haben. Mina ist verzweifelt und stellt den kompletten Laden auf den Kopf. Dabei findet sie eine Schatulle mit Liebesbriefen, die sie immerhin kurz auf andere Gedanken bringt. Gemeinsam mit Jamie, zu dem sie mittlerweile eine besondere Freundschaft aufgebaut hat, macht sie sich auf die Suche nach dem Verfasser. Mina ahnt nicht, dass sie einem gut behüteten Familiengeheimnis auf der Spur ist, das vielleicht der Schlüssel zur Lösung ihres Problems sein könnte.
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Seitenzahl: 348
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Sabrina Heilmann
Liebesroman
Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.
2. Auflage
Copyright © Sabrina Heilmann, Oktober 2019
Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Der Abdruck des Textes, auch nur in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.
Korrektur: Andreas März ( www.am-korrektorat.de ), Anna Korrekturfee
Coverbild © Sabrina Heilmann
Coverfotos: © ArturVerkhovetskiy , www.despositphotos.com
In Liebe Mina
Das Buch
Playlist
Das Testament
Grams kleines Reich
Minas Paradies
Das Karamellgeheimnis
Minas Traumwelt
In Liebe, Mina
Geisterstunde
C. steht für ...
Der Schlüssel
Der Duft von Schnee
Mysteriöse Fremde
Ein Tanz im Regen
In der Stille
Die Schatulle
Geheimniskrämerei
Der letzte Brief
Vergangene Zeit
Auf dem Boden der Tatsachen
Die Spitze des Eisberges
Glückskeksweisheiten
Familiäres Vertrauen
Naives Herz
Unterm Mistelzweig
Das Familiengeheimnis
Cathrines Briefe
Die Wahrheit
Eine Nacht Ewigkeit
Mitbewohner auf Zeit
Keine Hoffnung
Das letzte Wort
Böse Überraschung
Wer ist Connor?
Mütterlicher Rat
Ein Neuanfang
Briefe des Schicksals
Der Abschiedsbrief
Den Sternen so nah
Happy End
Danksagung
Die Autorin
Impressum
Das Buch
Wenn das Schicksal dir Briefe schreibt, was würdest du antworten?
Überraschend erbt Mina den kleinen Buchladen ihrer Großmutter in der Londoner Kings Road. Ausgerechnet dort begegnet sie ihrem Jugendschwarm Jamie wieder. Was beginnt wie der Anfang eines großen Liebesromans, führt schnell zu Ernüchterung: Jamie ist vergeben!
Obwohl Mina weiß, dass es unklug ist, sich in ihn zu verlieben, passiert genau das. Davon halten sie nicht einmal die wunderschönen Zeilen ihres geheimnisvollen Briefeschreibers ab.
Um sich von ihren wirren Gefühlen abzulenken, stürzt Mina sich in die Arbeit, doch auch dort lassen die Katastrophen nicht lange auf sich warten. Der kleine Buchladen läuft schlecht, und ihre Großmutter scheint ihr nichts als Probleme hinterlassen zu haben.
Mina ist verzweifelt und stellt den kompletten Laden auf den Kopf. Dabei findet sie eine Schatulle mit Liebesbriefen, die sie immerhin kurz auf andere Gedanken bringt. Gemeinsam mit Jamie, zu dem sie mittlerweile eine besondere Freundschaft aufgebaut hat, macht sie sich auf die Suche nach dem Verfasser. Mina ahnt nicht, dass sie einem gut behüteten Familiengeheimnis auf der Spur ist, das vielleicht der Schlüssel zur Lösung ihres Problems sein könnte.
Playlist
Wolves – Kurt Hugo Schneider & Karisma Collins
Kingdom Fall – Claire Wyndham
Nevermind – Dennis Lloyd
Way down we go – Kaleo
Six feet under ground – Aquilo
Two Hearts – Alexis Ffrench
Addicted – Kelly Clarkson
Hear me – Kelly Clarkson
People like us – Hurts
Northern Lights – Thirty Seconds to Mars
Let me go – Avril Lavigne feat. Chad Kröger
Give me what you like – Avril Lavigne
Perfect – Ed Sheeran
Für meine Leser,
weil ich dank euch meinen Traum leben darf.
Das Testament
Ich verlor mich. Ich verlor mich in Hunderten von Seiten, auf denen die Geschichten fremder Menschen geschrieben standen, in neuen Universen und in der Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Wort für Wort und Seite für Seite tauchte ich im Meer der Fantasie ab und öffnete die Augen für die verschiedenen Wege des Lebens. Wege, die ich selbst wahrscheinlich nie einschlagen würde und die mit der unsagbaren Kraft der Liebe und des Schicksals zu tun hatten. Doch das waren Dinge, die in meinem Leben momentan keine Rolle spielten.
Ich war mit jeder Faser meines Körpers dem geschriebenen Wort verfallen. Ohne Bücher war das Leben nur halb so wundervoll. Schon als kleines Mädchen verbrachte ich beinahe jeden Tag im Buchladen meiner Großmutter. Es war wie ein Kurzurlaub, eine Reise in eine Welt, in der jede Art von Problemen unwichtig erschien. Ich liebte meine kleinen Abenteuer, denn sie machten mich glücklich und auf eine gewisse Weise frei.
Doch nun sollte all das vorbei sein.
Vor zwei Monaten war meine Großmutter überraschend gestorben. Sie hatte gewusst, dass sie krank gewesen war und dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Und doch hatte sie meiner Familie und mir nichts gesagt.
Im Nachhinein erfuhren wir, dass sie einen Tumor gehabt, eine Behandlung aber von Anfang an ausgeschlossen hatte. Grams hasste Mitleid und hatte nicht gewollt, dass wir ständig auf sie aufpassten, geschweige denn mit ansehen mussten, wie es ihr von Tag zu Tag schlechter ging.
Stattdessen hatte sie einen Urlaub gebucht, sich ziemlich überschwänglich von uns verabschiedet – was uns hätte seltsam vorkommen müssen – und war nie aus Italien zurückgekommen.
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich machte mir Vorwürfe, weil ich nichts bemerkt hatte, schließlich war ich diejenige gewesen, die am meisten Zeit mit ihr verbracht hatte. Doch wenn meine Großmutter eine Sache beherrscht hatte, dann war es, schlimme Situationen zu überspielen.
»Mina«, riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken, als sie meine Tränen bemerkte, und legte ihre Hand tröstend auf meine. Zusammen mit meinem Vater und seinem jüngeren Bruder Patrick saßen wir in der Kanzlei eines Anwaltes, der in wenigen Minuten Großmutters Testament verlesen würde. Eine Sache, die einem umso deutlicher vor Augen führte, dass man einen geliebten Menschen verloren hatte.
»Ich hätte etwas merken müssen«, flüsterte ich und wischte mir mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.
»Liebling, hör auf damit. Niemand hätte etwas ändern können«, widersprach mein Vater und mein Onkel stimmte ihm mit einem Nicken zu.
Trotzdem würde ich mir ewig Vorwürfe machen. Das Verhältnis zwischen meiner Großmutter und mir war sehr freundschaftlich gewesen. Wenn ich Probleme oder Sorgen hatte, war ich eher zu ihr gegangen als zu meiner Mutter. Als ich von ihrem Tod erfuhr, verlor ich nicht nur ein Familienmitglied, sondern auch eine Freundin ... meine einzige Freundin. Von einer Sekunde auf die andere stand ich allein da.
»Natürlich hätten wir et...«
Gerade als ich widersprechen wollte, betrat der Anwalt sein Büro und ich verstummte. Ich versuchte, mich zu beherrschen und die Tränen zu ignorieren. Leider gehörte ich nicht zu den Menschen, die ihre Gefühle gern offen vor anderen zeigten. Ich trauerte allein, weil ich ohnehin das Gefühl hatte, dass mich niemand verstand.
»Chris Dawson«, stellte sich der Anwalt vor und reichte jedem die Hand. »Mein Beileid für Ihren Verlust.«
Als er meine Hand ergriff, sah er mir direkt in die Augen und ich erstarrte. Schnell ließ ich seine Hand los und setzte mich wieder auf meinen Platz.
Chris Dawson tat es mir gleich und öffnete einen Ordner. Verstohlen betrachtete ich ihn dabei. Ich hatte mit einem älteren Mann gerechnet, als meine Mutter mir von dem Termin erzählte. Dawson aber war jünger, vielleicht gerade Anfang dreißig. Er war ein attraktiver Mann mit dichtem, dunklem Haar, ausdrucksstarken braunen Augen und einer trainierten Figur. Eine geheimnisvolle und düstere Aura umgab ihn, die mich vor wenigen Sekunden kurz aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
»Mrs Harmon kam vor einigen Monaten zu mir, um ihren Letzten Willen bei mir zu hinterlegen«, erklärte Chris Dawson endlich und blickte von den Zetteln zu mir. »Es tut mir sehr leid, dass nun der Moment gekommen ist, in dem ich ihn vollstrecken muss.«
Er zog ein Blatt hervor, löste seinen Blick von mir und las die letzten Worte meiner Großmutter vor: »Testament von Cathrine Maria Harmon, geborene Corey.
Meinen Söhnen Patrick und Mason vermache ich die Andenken an meinen verstorbenen Mann. Mason erhält zudem die dem Schreiben beigelegte Uhr und den ebenfalls beigefügten Brief.«
Der Anwalt reichte meinem Vater eine silberne Herrenuhr und einen Umschlag. Irritiert betrachtete Dad die Uhr und fuhr mit einem Finger über zwei eingravierte Buchstaben, die ich von meinem Platz aus aber nicht erkennen konnte. Ich glaubte jedoch, dass einer davon ein E war.
»Meine Schwiegertochter Elisabeth erhält meinen Schmuck. Möge er dich bei vielen schönen Anlässen begleiten.
Meiner Enkeltochter Mina überschreibe ich den Buchladen in der Kings Road und die darüberliegende Wohnung. Zauber dir dein eigenes, magisches Paradies, kleiner Engel.«
Fassungslos sah ich auf und Chris Dawson schenkte mir ein aufrichtiges Lächeln. Hatte ich gerade richtig gehört? Hatte meine Großmutter mir tatsächlich ihren Laden und die dazugehörige Wohnung vererbt? Ich schluckte schwer und tauschte einen Blick mit meinen Eltern. Auch ihnen stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben, doch Freude über mein Erbe erkannte ich nicht.
Es fühlte sich unwirklich an, als wir etwas später das Büro des Anwalts verließen.
»Ich werde mich auf den Weg nach Hause machen«, sagte Onkel Patrick und reichte meinen Eltern die Hand. Das Verhältnis zwischen ihnen war noch nie das Beste gewesen, das hatte er mich bisher aber nicht spüren lassen.
»Du wirst den Buchladen in Mutters Sinn weiterführen, dessen bin ich mir sicher. Ich bin so stolz auf dich.«
Er umarmte mich fest und ging schließlich zu seinem Wagen. Offenbar war er der Einzige, der die Entscheidung meiner Großmutter unterstützte und guthieß. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater machten ein verkniffenes Gesicht, seit wir erfahren hatten, dass ich mit gerade einmal dreiundzwanzig Jahren die Besitzerin eines kleinen Buchladens geworden war.
»Wollt ihr mir bitte sagen, warum ihr so schaut, oder muss ich darauf warten, bis wir zu Hause sind?«, durchbrach ich die angespannte Stille.
»Cathrine hätte dir den Laden nicht vererben dürfen«, platzte es aus meiner Mutter heraus.
»Warum nicht?« Ich verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.
»Es ist unverantwortlich. Auch wenn du ihr ständig geholfen hast, hast du dennoch keine Ahnung davon, wie man so ein Geschäft führt. Außerdem lief es vor ihrem Tod schon schlecht, daran wird sich nichts ändern, nur weil du es übernimmst. Ganz davon abgesehen bist du zu jung.«
Ich zog die Stirn kraus und hielt dagegen: »Ich bin nicht zu jung. Glaub mir, ich kenne Leute in meinem Alter, die haben weitaus anspruchsvollere Aufgaben, als einen kleinen Buchladen zu führen.«
Ich kannte die meisten Abläufe, und die, die ich nicht beherrschte, würde ich lernen. So schwer konnte das nicht sein. Nein, meine Mutter sträubte sich aus einem anderen Grund so gegen die Vorstellung. Und als hätte sie meine Gedanken gelesen, sprach sie diesen schließlich aus.
»Mina, du hast einen ausgezeichneten Uniabschluss in Erziehungswissenschaften. Du wolltest damit etwas bewegen, aber seit deinem Abschluss vor zwei Jahren ist nichts passiert. Ich verstehe, dass die ganzen Absagen dich entmutigt haben, aber ich werde nicht zulassen, dass du deine Zeit in einem Buchladen verschwendest.«
Meine Mutter war wütend, das spürte ich sofort. Ja, vielleicht war das Studium vergeudete Zeit gewesen, wenn ich den Laden übernahm, doch Erziehungswissenschaften zu studieren war nie mein Traum gewesen, wie meine Mutter behauptete. Obwohl ich es hätte richtigstellen können, ließ ich mich auf keine Diskussion ein.
»Mom, ich habe einfach festgestellt, dass es mir nicht liegt. Die Arbeit im Buchladen hat mich glücklich gemacht, so glücklich wie es die Praxiszeit während des Studiums nie getan hat. Ich werde Grandmas Laden weiterführen, egal wie, ob mit oder ohne eure Unterstützung. Allerdings hoffe ich, dass ich es mit euch an meiner Seite tun kann. Denn lass mich ehrlich sein, Mom, ohne deine Hilfe werde ich es vielleicht nicht schaffen. Und Dad, ich brauche wirklich jemand, der mir beim Umzug hilft.«
Abwartend sah ich meine Eltern an und hoffte, dass sie mich unterstützen würden. Wie ich bereits gesagt hatte, würde ich diesen Kampf auch ohne sie führen, aber meine Familie war mir das Wichtigste auf der Welt. Ich hasste es, mit meinen Eltern zu streiten, auch wenn sich das manchmal nicht vermeiden ließ. Es hatte schon oft Momente gegeben, in denen die beiden mir nichts zugetraut hatten, obwohl ich ihre Unterstützung dringend gebraucht hätte. Bislang hatte ich es ihnen immer bewiesen, aber das hatte Kraft gekostet.
»Natürlich helfen wir dir«, antwortete mein Vater für meine Mutter mit und seine Miene erhellte sich. Mom sah nach wie vor skeptisch aus.
»Du hast den gleichen verdammten Dickschädel wie deine Großmutter, Kind«, seufzte sie und zog mich in ihre Arme. »Dieser Laden soll dich nicht unter sich begraben und dir die Freude nehmen. Wenn du das schaffen willst, musst du kämpfen ... auch in Momenten, die hoffnungslos erscheinen. Ich will dich nur beschützen, verstehst du?«
»Dann tu das, indem du mir bei der Buchhaltung und den anderen Büroaufgaben hilfst. Nur am Anfang, bis ich einen Überblick über die Abläufe habe.«
»Wir werden uns in den nächsten Tagen alles ansehen.«
»Danke«, hauchte ich erleichtert und löste mich aus der Umarmung.
»Kommst du mit nach Hause, Liebes?«, fragte mein Vater, der die Autotür öffnete.
Ich schüttelte leicht den Kopf. »Nein, ich ... ich möchte jetzt zum Buchladen und noch ein letztes Mal Zeit mit Grams verbringen, bevor ...« Ich senkte den Blick und lächelte sanft, als ich wieder aufsah. »... bevor ich ihr kleines Reich auf den Kopf stelle und mein Paradies daraus mache. Wartet nicht auf mich.«
»Bist du dir sicher?«, fragte meine Mutter, während sie mich zum Abschied noch einmal auf die Wange küsste.
»Ich war mir nie sicherer.«
Sie nickte und stieg schließlich zu Dad in den Wagen. Als sie losfuhren, hob ich zum Abschied die Hand. Mit einem Lächeln auf den Lippen wandte ich mich ab und wollte gerade gehen.
»Miss Harmon?« Irritiert drehte ich mich wieder um, und Chris Dawson kam auf mich zugelaufen. »Gut, dass Sie noch da sind. Ich weiß nicht, wo ich heute mit meinen Gedanken bin, aber ich muss Ihnen doch noch die Schlüssel und die Unterlagen geben.«
Der junge Anwalt reichte mir den Schlüsselbund und eine Mappe, woraufhin ich ihn freundlich anlächelte. Auch ohne diese Schlüssel wäre ich in den Laden gekommen, da Grams sie mir hatte schon vor einiger Zeit nachmachen lassen, aber das sagte ich ihm nicht.
»Danke schön.«
»Viel Glück mit dem Laden. Vielleicht komme ich irgendwann mal vorbei.«
Mir entging nicht, dass Chris Dawson mit mir flirtete, dennoch versuchte ich, es geflissentlich zu ignorieren. Das, was mir im Büro zunächst nicht gelungen war, klappte nun tadellos. Männer wie er eigneten sich vielleicht für Abertausende Liebes- und Erotikromane, die gerade nur so aus dem Boden schossen und einen Hype nach dem anderen auslösten. Für das wahre Leben war dieser erfolgreiche Anwalt mit seiner düsteren Ausstrahlung und dem besonders gefährlichen Blick aber nichts.
»Wenn Sie nach einem guten Buch suchen, sollten Sie das tun«, antwortete ich, ohne eine Miene zu verziehen.
Eine unzufriedene Nuance blitzte in seinem Blick auf und verschaffte mir eine ungeheure Genugtuung, bevor ich ging. Offenbar hatte ich ihm nicht die Antwort gegeben, die er hören wollte, aber das war mir egal.
»Mina«, hielt er mich auf, und ein letztes Mal suchte ich seine gefährlichen, dunklen Augen.
»Sorry, ich hatte schon immer eine Schwäche für die netten Typen«, rief ich und zuckte mit den Schultern.
»Wer sagt, dass ich nicht nett bin?«, fragte er lachend.
»Deine Augen.«
Ich zwinkerte und drehte mich nicht mehr nach Chris Dawson um.
Grams kleines Reich
Als ich am Buchladen ankam, blieb ich einige Sekunden vor dem Schaufenster stehen und betrachtete mein Spiegelbild. Meine orangeblonden Haare leuchteten, ebenso wie meine außergewöhnlichen, hellbraunen Augen, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte. Mein Gesicht war schmal, etwas schmaler, seit ich von ihrem Tod erfahren hatte. Ich hatte viele Tränen vergossen, kaum gegessen und mich durch die Tage geschleppt, in der Hoffnung, der Schmerz würde nachlassen. Dabei hatte ich mich selbst aus den Augen verloren. Ich hatte abgenommen, wirkte mit meinen gerade einmal Eins fünfundsechzig noch zierlicher. Das dunkelblaue Kleid, das ich trug, saß, ebenso wie die schwarze Leggins und mein heller Trenchcoat, viel zu locker.
Nach zwei Monaten war der Schmerz zwar nicht verschwunden, doch ich erreichte einen Punkt, an dem ich wusste, dass ich so nicht weitermachen konnte. Grams war nun an einem Ort, an dem es ihr besser ging. Sie würde nicht wollen, dass ich mich wegen ihr so gehen ließ.
Seufzend zog ich den Ladenschlüssel aus meiner Jackentasche und öffnete die Tür. Das kleine Glöckchen schellte und erwärmte mein Herz. Sofort schlug mir der typische Büchergeruch in die Nase, den ich liebte, seit ich denken konnte.
Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, zog ich meinen Trenchcoat aus und schaltete das Licht ein.
Großmutters Buchladen machte einen düsteren Eindruck mit den fast schwarzen Regalen, die sich aneinanderreihten, den dunklen Tischen und dem alten Kassentresen aus Massivholz. Unwohl fühlte ich mich deswegen jedoch nicht. Das wärmende Licht der zarten Lampen gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.
Trotz alledem war der Laden nach Großmutters Tod eingestaubt. Ich konnte in den letzten Monaten nicht herkommen und weitermachen. Alles verband ich mit ihr, jedes einzelne Buch rief eine Erinnerung hervor, gegen die ich niemals hätte ankämpfen können. Grams würde für immer ein Teil dieses kleinen Reiches sein, selbst dann noch, wenn ich einmal alt wäre.
»Es ist Zeit für einen Tee, oder was meinst du, Grams?«, sagte ich in die Stille hinein und hoffte, sie würde mich da, wo sie jetzt war, hören.
Mit einem Lächeln auf den Lippen zog ich mich in die kleine Küche zurück und setzte Teewasser auf. Grams hatte nichts von neumodischem Schnickschnack gehalten, also füllte ich das Wasser in den traditionellen Teekessel. Ein Erbstück meiner Ururgroßmutter, wie Grams mir stolz berichtet hatte.
Während das Wasser auf dem Ofen erhitzt wurde, ging ich die unterschiedlichen Teesorten durch. Letztendlich entschied ich mich wie immer für Pfirsich. Gedankenverloren sog ich sein Aroma ein und füllte ihn in den leeren Teebeutel. Grams hatte nur losen Tee gekauft und nie die fertig abgepackten Päckchen. Sie hatte darauf geschworen, dass das Getränk so viel intensiver schmeckte, und sie behielt recht.
Das Pfeifen des Teekessels riss mich aus meinen Gedanken und ich goss das heiße Wasser in die Tasse. Ich gab den Teebeutel hinein und trat zurück in den Verkaufsraum. Nachdem ich die Teetasse auf dem Tresen abgestellt hatte, lehnte ich mich darauf und blickte erneut durch den Raum.
Das sollte nun also mein kleines Paradies sein, der Ort, an dem ich die meiste Zeit des Tages verbringen und Großmutters Traum wahr werden lassen würde.
Lautes Prasseln schreckte mich auf und ich blickte aus dem großen Schaufenster nach draußen. Bereits in der Nacht hatte es gestürmt, nun waren auch noch schwere Wolken aufgezogen, die Regen brachten. Es war ein typischer Oktobertag im grauen London. Doch das Wetter störte mich nicht. Ich war schon immer eher der Herbsttyp gewesen. An Tagen wie diesen konnte man sich ohne Reue mit einem Buch ins Bett legen und die Ruhe genießen, die das Wetter mit sich brachte. Diese Jahreszeit würde mir immer die liebste sein.
Auch jetzt überlegte ich, mir ein Buch zu nehmen und es mir in einer der Leseecken bequem zu machen. Langsam richtete ich mich auf und spazierte in die Liebesromanecke. Meine Augen suchten das Regal nach einem Schatz ab, den ich bisher nicht kannte – was wirklich schwierig war.
Ich liebte Liebesromane, gut durchdachte Bücher mit sympathischen Hauptpersonen. Nicht diese Macho-Typen, die eine Million nach der nächsten verprassten und sich ein unscheinbares Püppchen suchten, das ihnen nicht die Stirn bot.
Vertieft in den Klappentext eines Romans bemerkte ich nicht, dass das kleine Glöckchen an der Tür erneut schellte und einen Besucher ankündigte. Erst als ich das leise Tropfen wahrnahm, das der Regen verursachte, der von seiner Jacke abperlte, drehte ich mich erschrocken um. Vor mir stand ein junger Mann, der etwa in meinem Alter sein musste. Seine längeren, dunkelbraunen Haare hingen strähnig vom Regen herab. Er trug einen Dreitagebart, der sein kantiges Gesicht einrahmte, und seine schmalen Lippen zeigten ein freundliches Lächeln. Offenbar hatte ihm das schlechte Wetter nicht die Laune verhagelt. Ich sah ihm in die Augen und hielt für einen kurzen Moment den Atem an. Wunderschön und tiefblau strahlten sie mich an und warteten nur darauf, dass ich mich in sie verliebte ... wie damals.
Ein vertrautes Gefühl durchzog mich. Doch bevor ich herausfand, wodurch es ausgelöst wurde, ermahnte ich mich, mich zusammenzureißen. Blinzelnd riss ich meinen Blick von ihm los und dachte daran, dass ich etwas sagen musste.
»Eigentlich ist der Laden geschlossen«, stammelte ich und lächelte unsicher. Ich benahm mich so albern wie die weiblichen Hauptpersonen in den Kitschromanen, wenn sie ihrer großen Liebe zum ersten Mal begegneten.
»Entschuldige. Ich dachte, es wäre geöffnet, weil Licht brennt.« Er schien in diesem Moment mindestens genauso unsicher wie ich. »Dann gehe ich wohl besser wieder.«
»Auf keinen Fall. Wenn du schon einmal hier bist, kannst du mir auch sagen, was du suchst.«
Abwartend sah ich ihn an und er wirkte plötzlich erleichtert.
»Zum Glück, meine Freundin hätte mir die Hölle heißgemacht, wenn ich ohne das Buch zurückgekommen wäre. Leider habe ich vergessen, wie es heißt.« Verlegen fuhr er mit der Hand durch seine Haare und sah mich entschuldigend an, während ich noch mit der Information kämpfte, dass er eine Freundin hatte. Dann war das also doch nicht mein persönlicher Liebesromananfang. Schade, diese blauen Augen hätten mir tatsächlich den Verstand rauben können.
»Natürlich hast du das«, grinste ich frech und fing mich schnell wieder. »Es wäre auch wirklich zu einfach gewesen, hättest du dich an den Buchtitel erinnert. Also, wie sieht es aus, hast du irgendwelche Anhaltspunkte für mich?«
Sein Blick wurde hilfloser. »Ich weiß, dass es ein Liebesroman ist.«
»Hey, dann stehen wir immerhin schon richtig«, scherzte ich überschwänglich und deutete auf das Regal hinter mir. »Hast du eine Idee, wie das Cover aussieht?«
»Ja, darauf war eine junge Frau, die ein Buch in der Hand hält. Meine Freundin hat es mir auf dem Handy gezeigt.«
Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus. Diese Information reichte mir schon. Ich drehte mich zum Regal, suchte die Reihen mit meinen Augen ab und blieb schließlich am Debütroman von Julie Renouard, einer jungen französischen Autorin, hängen. Zielsicher zog ich das Buch aus der Reihe und zeigte es dem jungen Mann.
»Ja, genau das ist es. Meine Freundin meinte, man würde das Buch verfilmen und deswegen müsste sie es dringend haben.«
»Ja, davon habe ich gehört. Wenn du deiner Freundin eine Freude machen willst, solltest du das Buch Ein Winter in Paris auch mitnehmen. Das hat die Großmutter der Autorin, Aurélie Roche, geschrieben. Die beiden Bücher gehören indirekt zusammen.«
Er verdrehte die Augen und atmete lange aus. Hatte ich etwas Falsches gesagt?
»Entschuldige, ich wollte dir nichts aufschwatzen.«
Ich ging zum Kassentresen und legte das Buch darauf. Aus einem Fach darunter zog ich eine kleine Tüte hervor und packte es zusammen mit einem Lesezeichen ein. Meine Lippen waren zu einem Stich verzogen und meine Mimik ausdruckslos, als ich sie ihm reichte.
»Oh Gott, entschuldige, du hast das auf dich bezogen. So war es keinesfalls gemeint. Meine Freundin will das Buch nur haben, weil im Moment jeder darüber spricht. Eleonore hat mit Büchern nichts am Hut, außer sie haben ein hübsches Cover und machen sich gut im Regal.«
Er nahm die Tüte entgegen.
»Was bekommst du von mir?«
Ich machte eine abwinkende Handbewegung. »Lass gut sein. Heute ist ein verrückter Tag und ich habe gute Laune.«
»Danke schön.« Er schenkte mir noch ein Lächeln und wollte sich gerade zum Gehen abwenden, als meine innere Stimme begann, mich anzuschreien.
Bist du total bescheuert? Du kannst den Typen doch nicht einfach so gehen lassen! Los, sag etwas, Mina!
»Hey, wenn deine Freundin das Buch doch liest, lass mich wissen, was sie darüber denkt«, rief ich, als er gerade die Tür öffnete und der Lärm des prasselnden Regens hereindrang. Ich hätte mich ohrfeigen können, etwas Geistreicheres war mir wirklich nicht eingefallen. Trotzdem drehte er sich noch einmal zu mir um.
»Vielleicht komme ich jetzt öfter«, erwiderte er und zwinkerte mir zu.
»Ich würde mich freuen.«
Er schloss die Tür hinter sich und hob zum Abschied noch einmal die Hand, bevor er verschwand. Ich kniff die Lippen aufeinander und betrachte die Tür noch einen Moment.
Herzlichen Glückwunsch, Mina, du hast mit einem vergebenen Typen geflirtet.
Meine innere Stimme hielt mich zum Narren. Ich hätte mich maßlos über mich selbst geärgert, wäre mir dieser Umstand neu gewesen. Doch das war er nicht. Ich hatte einfach kein Geschick im Umgang mit Männern. Das hatte ich nie und würde ich wohl nie haben.
Ich schüttelte über mich selbst den Kopf, während ich mich daran erinnerte, dass ich erst einem erfolgreichen Anwalt einen Korb gegeben und schließlich einen für mich unerreichbaren Typen angeschmachtet hatte.
»Eine Katastrophe, ich sag es ja«, murmelte ich in den leeren Raum hinein und griff nach meiner Teetasse. »Grams, ich werde als einsame Jungfer im Buchladen sterben. Vielleicht habe ich eine Katze ... oder gleich zehn.«
Das waren wirklich rosige Aussichten.
Minas Paradies
Innerhalb von zwei Wochen brachte ich den kleinen Buchladen auf Vordermann und bezog die Wohnung darüber. Viel gab es glücklicherweise nicht zu tun und so konnte ich in dieser Zeit in aller Ruhe die Wiedereröffnungsfeier planen. Meine Mutter und mein Vater hatten mir dabei am meisten geholfen. Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wie dankbar ich ihnen dafür war. Fast schienen ihre Bedenken, die sie zu Beginn geäußert hatten, vergessen zu sein, auch wenn ich meiner Mutter anmerkte, dass das nicht die Zukunft war, die sie sich für mich vorgestellt hatte. Aber ich war glücklich mit meiner Entscheidung und das war das Wichtigste.
In etwa einer Stunde würden die Gäste kommen. Ich trug die Werbetafel aus dem Laden und blieb einen Moment stehen. Stumm betrachtete ich das Namenschild und lächelte sanftmütig.
Cats - Books & more
Meine Großmutter hatte einen schlichten Namen für ihr Geschäft gewählt. In den letzten Jahren hatte ich mich so daran gewöhnt, dass ich ihn unter keinen Umständen ändern würde.
Cats stand für den Vornamen meiner Großmutter, Cathrine. Wäre Grams noch hier, hätte sie mich gezwungen daraus Minas zu machen, doch das stand gar nicht zur Debatte. Sie sollte – für alle Welt sichtbar – ein Teil dieses wunderbaren Ortes bleiben.
Der Wind frischte auf und ließ die Blätter vom Baum des gegenüberliegenden Parks tanzen. Nach einigen Sekunden in der Luft fielen sie zu Boden, und ich zog meine Strickjacke enger um mich. Ich hoffe, dass das Wetter halten würde, auch wenn die schweren Regenwolken am Horizont eine andere Sprache sprachen. Ein Schauer war das Letzte, was ich heute gebrauchen konnte. Obwohl ich so viel Werbung wie möglich für die Neueröffnung des Ladens gemacht hatte, begleitete mich die Angst, am Ende mit meinen Eltern allein dazustehen.
Ich ging wieder ins Innere und ließ die Veränderungen einen Moment lang auf mich wirken. Die Regale und der Kassentresen waren an ihrem Platz geblieben, ich hatte lediglich die verschiedenen Genres neu aufgeteilt. Die Liebesromane befanden sich in Nähe einer der kleinen Leseecken, der Kinderbereich verfügte nun über eine kleine Spielecke.
Auf dem Flohmarkt hatte ich passende Tische gefunden, auf denen nun Angebotsware stand, die sich an aktuellen Trends orientierte. Für den Bereich von Koch- und Backbüchern bestellte ich extra Muffinförmchen, Keksstempel und süße Verzierungen. Wenn ich eines gelernt hatte, seit ich bei Grams ausgeholfen hatten, dann, dass ich mit diesen Angebotswaren wirklich Umsatz machen konnte. Großmutter selbst hatte sich nur auf ein kleines Tischchen beschränkt und selbst das war ihr zu viel gewesen. Man würde den Blick für die Bücher verlieren, hatte sie einmal gesagt. Doch das glaubte ich nicht.
Auch die Dekoration hatte ich moderner gestaltet, als Grams es früher getan hatte. Überall standen LED-Kerzen, die für täuschend echtes Kerzenlicht sorgten. Die unscheinbaren Lampen hatte ich von meinem Vater durch günstige, aber dennoch sehr stilvolle Kronleuchter ersetzen lassen. Und für die Leseecken besorgte ich weiße Vintage-Sessel, zierliche, gleichfarbige Tischchen, und als Farbakzent bunte Kissen. Das war genau die richtige Menge an hellen Akzenten in dem sonst so dunklen Laden.
Für die Eröffnung hatte ich mir zudem einige Stehtische gemietet. Einen hatte ich bereits vor den Eingang gestellt, die anderen verteilte ich im Laden. Alles in allem war ich zufrieden und musste nur noch die Getränke vorbereiten.
Wie erwartet waren meine Eltern die Ersten, die mein kleines Paradies betraten. Sie hatten den Laden auch noch nicht fertig eingerichtet gesehen. Mir entging nicht, wie meine Mutter stolz jeden Zentimeter betrachtete.
»Ich bin sprachlos, Liebling«, sagte sie und umarmte mich. »Als Cathrine den Laden noch geführt hat, war er einfach nur dunkel und wenig einladend. Vielleicht bin ich deswegen nicht oft hergekommen. Aber jetzt wirkt alles sehr gemütlich und freundlich.«
»Danke, Mom.«
Diese Worte von ihr zu hören machte mich sehr glücklich.
»Dad, was sagst du?« Ich lächelte ihn an und umarmte ihn ebenfalls.
»Ich bin sprachlos. Deine Großmutter wäre sehr stolz auf dich.«
»Danke«, hauchte ich.
»Sollen wir dir noch etwas helfen, Liebling?«, fragte meine Mutter und ich schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe alles fertig. Jetzt fehlen nur noch ein paar Leute.«
Gerade als ich das ausgesprochen hatte, betraten die ersten Besucher den Laden. Nervosität und Aufregung durchzogen mich und ich begrüßte sie sofort. Dann wandte ich mich der Tür wieder zu, denn das kleine Glöckchen schellte erneut.
»Herzlich willkommen bei Cats«, sagte ich freundlich und stockte plötzlich, als ich in ein vertrautes Gesicht und gefährliche, dunkle Augen blickte. »Mister Dawson, was für eine Überraschung.« Ich hielt ihm die Hand entgegen, doch er zog mich sofort zu sich und küsste mich auf die Wange.
»Ich erinnere mich, dass wir schon beim Du gewesen waren, Mina.« Er grinste mich frech an und ich verdrehte die Augen.
»Und ich erinnere mich, dass ich kein Interesse hatte«, konterte ich und Chris Dawson fasste sich an sein Herz, als hätte er Schmerzen.
So ein Spinner!
Ich reichte ihm ein Glas Sekt und fügte trocken hinzu: »Hier, das hilft gegen Herzschmerz.«
Chris lachte und beugte sich dicht an mein Ohr. »Du hast keine Ahnung, wie interessant dich diese ablehnende Haltung macht.«
Dankbar registrierte ich, wie sich die Tür erneut öffnete, und setzte ein übertrieben freundliches Lächeln auf, das ich dem Anwalt schenkte.
»Entschuldige, ich muss mich um meine Gäste kümmern.«
Ich ließ ihn stehen und bemerkte, wie meine Mutter mir einen vielsagenden Blick zuwarf.
»Nett«, formten ihre Lippen, doch ich schüttelte sofort den Kopf.
»Niemals«, antwortete ich ihr und sie zog die Schultern in die Luft, was in diesem Fall so viel bedeutete, wie: »Wer weiß.«
Meine Erwartungen waren hoch, als ich die Wiedereröffnung plante. Eigentlich hätte ich nur enttäuscht werden können, doch nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil. Die Eröffnung war ein voller Erfolg. Neben zahlreichen Stammkunden kam auch viel Laufkundschaft vorbei. Man lobte die neue Gestaltung und meine Idee, mehr mit Angebotsware zu arbeiten. Die Leseecken waren ständig besetzt und in der bunten Kinderecke herrschte Leben.
Zufrieden stand ich inmitten des Trubels, der selbst jetzt, kurz vor Ladenschluss noch herrschte. Spontan entschied ich, den Laden nicht wie geplant um achtzehn Uhr zu schließen.
Meine Mutter kam zu mir und legte mir einen Arm um die Schultern, während sie mir ein Glas Sekt reichte.
»Hier, den hast du dir wirklich verdient. Hast du eigentlich noch einmal mit dem netten Anwalt gesprochen?«
Ich verdrehte die Augen. »Chris Dawson ist keine Option, nicht einmal, wenn ich verzweifelt wäre. Außerdem ist er ohne ein Wort verschwunden.«
Mom lachte herzlich. »Dein Vater war anfangs auch nicht mein Traummann und dann hat es gefunkt.«
»Schlag es dir aus dem Kopf. Es wird keine Enkelkinder von dem Anwalt für dich geben!«
»Undankbares Kind, du gönnst deiner Mutter auch gar nichts.«
Nachdenklich ließ ich meinen Blick einen Moment durch mein kleines Paradies schweifen.
»Was denkst du, Mom?«, fragte ich. »Schaffe ich das mit dem Laden?«
Ich wusste, dass meine Mutter mir die Wahrheit sagen würde, das hatte sie bisher immer getan. Wenn sie nicht an mich glaubte, würde sie mich das genauso wissen lassen, wie, wenn sie stolz auf mich war.
»Ich hatte meine Zweifel, aber sieh dich um. Die Leute lieben den Laden ... und sie lieben dich. Natürlich schaffst du das.«
Glücklich lächelnd senkte ich den Blick. Ja, ich würde es schaffen. Grams hatte mir vertraut und ich würde sie stolz machen.
Nachdem die letzten Besucher gegangen waren, räumte ich schnell den Stehtisch von draußen in den Laden. Ich wollte mir gerade die Werbetafel nehmen, als mir ein weißer Umschlag zwischen den Blumen vor dem Laden auffiel. Irritiert stellte ich das Schild hinein und holte anschließend den Umschlag. In ordentlicher Handschrift stand mein Name darauf und ich sah mich auf der Straße um. Wer konnte ihn hier hinterlassen haben? Einer der Besucher? Jemand, den ich überhaupt nicht mitbekommen hatte?
Ich ging ins Innere des Ladens und verschloss die Tür. Dann setzte ich mich mit dem Brief in eine der Leseecken und öffnete den Umschlag neugierig.
London, der 22. Oktober 2016
Liebe Mina,
manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die uns ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Genau so etwas habe ich erlebt, als ich dich sah.
Ich habe dich in den letzten Wochen beobachtet. Du hast zufrieden ausgesehen, als du dem Laden neues Leben eingehaucht hast. Der traurige Ausdruck in deinen Augen ist mir dabei aber nie entgangen, und ich frage mich, was dir passiert ist.
Vielleicht war genau das der Grund, dir nun diesen Brief zu schreiben. Kein Mensch sollte traurig sein, während er etwas so Wunderbares erschafft, wie du es getan hast. Sei stolz auf dich.
Seit ich dich gesehen habe, stelle ich mir eine Frage, Mina: Gibt es Zufälle wirklich? Passieren manche Begegnungen aus einem bestimmten Grund? Gibt es Dinge, die wir einfach nicht logisch erklären können, weil sie vorbestimmt sind?
Ich weiß, dass es total absurd für dich klingen muss, aber ich musste immer wieder darüber nachdenken. Ich habe keine Antworten auf all diese Fragen gefunden ... zumindest noch nicht.
Vielleicht kannst du mir dabei helfen.
In Liebe,
C.
Stumm starrte ich auf die geschriebenen Zeilen und fragte mich, wer C. war. Ein Mann oder eine Frau? Jemand, den ich gut kannte, oder der mir nur ein einziges Mal begegnet war? Und was sollte ich mit diesem Brief anfangen? Sollte ich antworten?
Ich wusste es nicht, steckte ihn zurück in den Umschlag und stand auf. Darüber würde ich mir morgen Gedanken machen, genauso wie ums Aufräumen.
Das Karamellgeheimnis
Schon nach wenigen Tagen ebbte die Euphorie der Eröffnung ab und ich wurde mit der harten Realität konfrontiert. Montagmorgen hatte ich bescheidene zwei Kunden, Dienstag überhaupt keinen und für den heutigen Mittwoch erwartete ich auch keine mehr.
Mit wenig Elan quälte ich mich um sieben Uhr aus dem Bett und schlürfte in das benachbarte Badezimmer. Ich duschte, putzte Zähne und band meine langen Haare zu einem lässigen Dutt zusammen. Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte in ein schwarzes Shirt, einen cremefarbenen Minirock und schwarze Leggings. Anschließend ging ich in die Küche und kochte mir einen Kaffee.
Noch etwas verschlafen ließ ich mich auf einen Küchenstuhl sinken und trank einen Schluck. Wieder fluteten Bilder meiner Großmutter meine Erinnerungen. Auch wenn ihre Wohnung durch meine wenigen Sachen einen modernen Einfluss bekommen hatte, erinnerte hier immer noch so vieles an sie. Die cremefarbene Küche, die sie erst vor drei Jahren hatte erneuern lassen, hatte ich kaum verändert. Ich ersetzte nur einige Utensilien. Auch das Badezimmer war fast unverändert und nur durch neue Dekoration aufgewertet worden. Im Wohnzimmer standen noch immer ihre rustikalen Möbel und das dunkelrote Sofa im Empire-Stil, das ich über alles liebte.
Weil ich noch bei meinen Eltern gelebt hatte – ich konnte mir eine eigene Wohnung nicht leisten – brachte ich nur die Einrichtung für das Schlafzimmer mit. Mein gemütliches Boxspringbett, einen Schreibtisch, ein Bücherregal und einen Kleiderschrank.
Ich hatte mir vorgenommen, den Rest der Wohnung nach und nach zu renovieren, je nachdem wie viel Geld am Ende des Monats übrig blieb. So, wie ich die Sache momentan jedoch einschätzte, würde ich mich noch eine Weile mit Großmutters Einrichtung begnügen müssen. Es störte mich nicht und dennoch, die unzähligen Erinnerungen an die schönen Momente, die ich mit ihr erlebt hatte, machten es für mich nicht leichter.
Ich trank meinen Kaffee aus und verließ kurz darauf meine Wohnung, um nach unten in den Laden zu gehen. Es war ein überraschend sonniger Oktobertag. Das ließ mich hoffen, dass sich vielleicht ein paar Leute auf die Straße trauten. Ich schloss die Ladentür auf und stellte die Werbetafel nach draußen. Eine Sekunde atmete ich die trotz der Sonne kühle Luft tief ein und glaubte fest daran, dass heute ein guter Tag werden würde. Dann ging ich zurück in den Laden und verschwand in der kleinen Küche, um eine Kanne Kaffee zu kochen.
In der letzten Nacht hatte ich nicht besonders gut geschlafen, weil ich mir immer wieder den Kopf darüber zerbrochen hatte, was ich tun konnte, um auf den Laden aufmerksam zu machen. Würden weiterhin so wenige Kunden kommen, konnte ich die Türen schneller schließen, als mir lieb war.
Während der Kaffee durch die Filtermaschine lief, kehrte ich in den Verkaufsraum zurück und ließ meinen Blick schweifen. Der Laden bot genug Platz für kleine Autorenlesungen, vielleicht war das ein Punkt, den ich mir merken konnte. Es würde doch nicht so schwer sein, ein paar gute Autoren aufzutreiben, die Interesse an ein bisschen Werbung hatten.
Ich dachte auch an einen Bereich mit reduzierter Ware. Schon als Grams noch lebte, hatte ich ihren riesigen Vorrat an älteren Büchern bemängelt. Diese mussten nicht im Lager verstauben. Darum würde ich mich gleich in den nächsten Tagen kümmern.
Die Zeit strich dahin, doch Kunden verirrten sich nicht zu mir. Irgendwann reichte es mir, nur dumm rumzustehen. Ich schnappte mir einen Liebesroman einer französischen Autorin, der erst vor ein paar Wochen erschienen war, und machte es mir in der Leseecke gemütlich.
Der Klappentext klang sehr emotional und fesselte mich sofort, ebenso wie der Anfang des Buches.
Ich bekam gar nicht mit, dass das kleine Glöckchen über der Tür schellte und einen Besucher ankündigte.
»Wahrscheinlich könnte man deinen Laden ausrauben, während du liest.«
Ich schreckte auf und sah in leuchtend blaue Augen. Es war der junge Mann, der vor zwei Wochen ein Buch für seine Freundin gekauft hatte. Schnell legte ich meinen Roman beiseite und stand auf.
»Hey«, lächelte ich unsicher und blieb einen Moment an seinem Outfit haften. Er trug ein schwarzes Shirt, eine gleichfarbige Hose und ein rot-schwarz kariertes Hemd. Seine Haare waren wirr und sein Dreitagebart wirkte gepflegt. Er sah noch besser aus als das letzte Mal. »Suchst du wieder ein Buch für deine Freundin?«
Er schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein, eigentlich bin ich hier, um mir anzusehen, was du aus dem Laden gemacht hast. Ich habe mitbekommen, dass du am Wochenende große Neueröffnung gefeiert hast.« Sein Blick glitt durch den Laden, dann sah er wieder zu mir. »Ich hatte leider keine Zeit, sonst wäre ich vorbeigekommen.«
»Und? Gefällt dir, was du siehst?«
»Ja, sehr gut sogar.«
»Kann ich dir irgendetwas anbieten? Kaffee oder Tee?«
Ich wusste, dass es unklug war, ihn länger als nötig hier festzuhalten, doch ich konnte einfach nicht anders. Irgendetwas umgab ihn, auch wenn ich mir nicht erklären konnte, was es war. Verdammt, ich kannte ja noch nicht mal seinen Namen, obwohl ich das Gefühl nicht loswurde, ihn schon einmal gesehen zu haben. Nur wo und wann?
»Ich würde gern einen Kaffee nehmen.«
»Kommt sofort.«
Ich ging in die Küche, holte eine Tasse aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee.
»Milch und Zucker?«, fragte ich, als er im Türrahmen auftauchte.
»Ja, beides. Du hast nicht zufällig braunen Zucker? Den mag ich irgendwie lieber, weil er dem Kaffee so eine schöne Karamellnote gibt.«
Kaum hatte er das ausgesprochen, erstarrte ich in meiner Bewegung und drehte mich zu ihm um. Ich hatte gewusst, dass diese Augen mir bekannt vorgekommen waren.
»Ist das dein Ernst, Jamie Harper?«, fragte ich und stützte gespielt empört die Arme in die Hüften. Jamie grinste nur frech und ich fragte mich, wie ich ihn nicht hatte erkennen können.
»Ich weiß nicht, Mina Harmon, ist es?« Er machte einen Schritt auf mich zu, zog mich am Arm zu sich und presste mich an seinen Körper. Einen Moment schloss ich die Augen, sog den Duft seines süßlichen Parfüms ein und fragte mich, ob ich träumte. Mein Körper prickelte, dort, wo seine Hände mich berührten, und ich konnte nicht glauben, dass er noch immer diese Wirkung auf mich hatte. Als er sich von mir löste, überspielte ich die Nervosität, die diese Umarmung hinterlassen hatte, und gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. Irritiert sah er mich an.
»Wofür war das denn?«, fragte er lachend und ich zog eine Schnute.
»Fragst du mich das wirklich? Ich fasse es nicht, dass du einfach in meinen Laden spazierst und so tust, als würdest du mich nicht kennen.«
Jamie war damals in meine Parallelklasse gegangen. Nicht nur ich hatte mich zu dieser Zeit unsterblich in ihn verliebt, sondern vermutlich die halbe Schule. Leider hatte ich schnell bemerkt, dass er für mich unerreichbar war. Und dennoch hatte uns schon immer irgendetwas verbunden, seit er mich vor meinen Mitschülern verteidigt hatte.
Es war kein Wunder, dass ich ihn so schamlos angeschmachtet hatte, als er vor zwei Wochen in den Laden gekommen war. Ich war, wenn man es so sehen wollte, bereits vorbelastet.
»Glaub mir, es war keine Absicht. Im ersten Moment habe ich dich wirklich nicht erkannt.« Er lächelte unsicher. »Aber ich habe die ganze Zeit überlegt, woher ich diese Augen und diese Haarfarbe kenne. Und dann machte es klick. Außerdem hast du mich auch nicht erkannt«, brachte er zu seiner Verteidigung hervor.
Ich verdrehte die Augen, gab braunen Zucker in seinen Kaffee und anschließend etwas Milch.
»Ich kann mir ja nicht jedes Gesicht merken«, versuchte ich, gleichgültig zu klingen. Jamie sollte auf keinen Fall merken, dass seine bloße Anwesenheit reichte, um mich wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen.
»Du verletzt mein Ego, Mina. Bin ich tatsächlich so unscheinbar, dass man mich vergisst?«
Ich reichte Jamie seinen Kaffee und schüttelte den Kopf. Leider war er das kein bisschen ...
»Erwarte nicht, dass ich dir jetzt Honig ums Maul schmiere«, erwiderte ich frech grinsend und wir gingen aus der Küche, um uns in eine der Leseecken zu setzen. »Hat deine Freundin sich über das Buch gefreut?«
»Wir haben uns gestritten.« Jamie klang gleichgültig, was mich skeptisch machte. Er hatte schon beim letzten Mal nicht glücklich gewirkt, als er über sie gesprochen hatte.
»Weil du ihr einen Roman mitgebracht hast?«
»Weil ich vielleicht so etwas gesagt habe wie, sie wüsste den Wert so eines Buches überhaupt nicht zu schätzen.«