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Die Zukunft meinte es nicht gerade gut mit dem Planeten Erde und seinen Menschen. Nicht nur auf den von den Überflutungen hinweg gerissenen Territorien forderten Kriege Milliarden Leben. Auf der übrig gebliebenen Landmasse entstanden statt Staaten, - Städtebünde. Mit Mühe, Geschick und Expertise fanden manche von ihnen den Weg ins All. Es galt neuen Lebensraum zu finden - und zuletzt wurde alles Suchen belohnt. Raumkapitän Timur Freilingrath und der Raumkreuzer Beethoven wurden mit der Mission betraut einem erdähnlichen grünen Mond und seinen Bewohnern neuerliche Wünsche und Angebote der Menschen vorzutragen. Wir begleiten ihn und seine Mannschaft auf einer aufreibenden und gefährlichen Reise, - zu einem bewaldeten Trabanten - und ebenso zu sich selbst.
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Seitenzahl: 374
Veröffentlichungsjahr: 2019
oder
Die grosse Reise
des Raumkreuzers
Beethoven
Vorwort
Die Zukunft meinte es nicht eben gut mit dem Planeten Erde – und seinen Menschen.
Der Wandel des Klimas, das Steigen der Meeresspiegel, formten alles verbliebene Land neu. Nicht nur auf den von Überflutungen hinweg gerissenen Territorien, forderten Kriege Milliarden Leben. Das bewusste Aufbomben der Vulkane der Kaskadenkette der USA und dem darauf folgendem nuklearen Schlagabtausch der Supermächte, ließen die verbliebene geschätzte Bewohnerzahl auf 300 Millionen Menschen herunter schmelzen. Nach und nach justierten sich auf der Erde alle Allianzen und Prioritäten neu, - letzte Kompromisse geschlossen.
So entstanden auf der übrig gebliebenen Landmasse statt neuer nationaler Staatengebilde, - Städtebünde. Aus den Gebieten des ehemaligen Griechenland, Iran, Iraks und Indiens etwa hatten sich Menschen in das Hindukuschgebirge geflüchtet. Ihr Zusammenschluss war bekannt als „Athen-Isfahan“ oder auch „Atlas“ und galt schon lange als das größte und kompetenteste Bündnis. Mit Hilfe der Technologien aus dem Städtebund „Berg“, das sich aus den Resten der Stärken der Zentren Stuttgart, Innsbruck und Zürich heraus entwickelt hatte, war es ihnen zum Beispiel möglich gewesen, das Öl aus den verschmutzten Meeren über dem untergegangene Katar und Saudi-Arabien, zu bergen und wieder nutzbar zu machen.
Dieses Bündnis „Berg“ war Heimat vieler Menschen aus ehemaligen Nationen geworden. Sie bestand mehrheitlich aus Deutschen und Österreichern, Italienern, Schweizern, aber auch Belgiern und vielen Niederländern.
Lange hatte ein Bündnis aus den Rocky Mountains versucht, Athen-Isfahan Paroli zu bieten, bei deren Streben nach dem alten Rohstoff. Das Bündnis war erstanden auf den Gebieten der ehemaligen Städte Alberta und Denver, mühevoll und verzweifelt heraus gestemmt von Überlebenden aus dem ehemaligen Kanada und den USA. Das Bündnis galt jedoch bereits von Beginn an als instabil. Insbesondere der massive Zuzug von Briten, den Untergang ihrer alten Heimat vor Augen, hatte ihm neue Probleme aber auch neue Möglichkeiten verschafft gehabt. Bereits seit einiger Zeit galten deren Anführer, als die wahren Strippenzieher in den Belangen dieses Bundes.
- Nicht zuletzt deren Einwirken war es zu verdanken, dass man sich im zähen Kampf um das alte Öl, letztlich an die Seite der Leute um „Atlas“gestellt hatte. Den aggressiven Bund „Ural“, der sich um die alte Stadt Tscheljabinsk entwickelt hatte, auf Abstand zu den alten Ölteppichen zu halten, war Anliegen der meisten Menschen auf dem wunden Planeten.
Der hohe Grad der Verseuchung der Umwelt hatte die Menschen vermehrt dazu verurteilt gehabt, ihr Glück außerhalb der bekannten Sphären zu suchen. Mit viel Mühen, Geschick und Expertise hatten die Bünde es geschafft, alte Rohstoffe zu recyclen und wieder nutzbar zu machen, Antriebe zu entwickeln, die sie weit und immer weiter trugen. Und schon bald kreuzten erste Raumschiffe durch den nahen Orbit, dann durch das Sonnensystem hindurch, schließlich bis über dessen Grenzen hinaus. Ihr aller Ziel war gewesen neue lebensfähige Räume zu erschließen, eine neue Erde zu finden, Kolonien anzulegen, überleben zu sichern.
Erste Sucherfolge stellten sich denn auch ein. Aber die Versuche Kolonien zu errichten, Rohstoffe abzubauen, Menschen anzusiedeln, stießen an vielerlei Grenzen. Nicht zuletzt auch immer wieder am Widerstand der bereits dort lebenden Bewohner.
Zuletzt aber hatte ein besonderer Mond, von einer Sonne beschienen, einer Atmosphäre beschützt, grün bewaldet, neue Begehrlichkeiten geweckt.
Raumkapitän Timur Freilingrath und die Mannschaft des Raumkreuzers „Beethoven“ wurden mit der Mission betraut, dem Mond und seinen Bewohnern neuerlich die Bitten, Wünsche und Angebote der Menschen vorzutragen.
Wir treffen ihn und seinen Steuermann, Martin Jonischkeit, an Bord des Raumkreuzers. Er liegt noch an einem Raumdock. Die Mannschaft ist noch nicht vollzählig eingetroffen, letzte Reparaturen sind noch von Nöten, Modifizierungen noch nicht abgeschlossen.
Doch den Kölner Jonischkeit bedrückt erst mal noch etwas ganz anderes.
Kapitel 1
„Timur, verdammt, - Rosinen im Keks schlafen komfortabler als ich in diesem Quetschquartier!“
„Sei dankbar, dass man uns den teuren Kreuzer überhaupt wieder aufgepäppelt hat. Die besten Mechaniker gleich zweier Städtebünde haben ihm ihr Bestes an Rohstoffen und Knowhow einverleibt, das greifbar war. - Die Mission auf die wir geschickt werden, ist wichtig genug um von meinem Steuermann ein paar kleinere Einschränkungen abzuverlangen!“, Freilingrath war angestrengt.
Aber der Nebenmann hielt fleißig Schritt und seine Stacheln aufgestellt: „Ich lenke dieses Raumschiff, ich brauche meine Ruhezeiten, Mann! - Ich kann das nicht haben wenn da einer neben mir schnarcht, versteh das doch! - Wen quartiert ihr denn da bei mir ein überhaupt?“
„Einen Engländer? Einen Abgesoffenen? - Hör mal, wenn der mir quer kommt und rumheult schmeiß ich den aus seiner Koje, - aber in so hohem Bogen!“
„Soweit ich weiß, war seine Familie schon während der Phase der ersten Sturmüberflutungen von der Insel in den Städtebund an den Rocky Mountains geflohen.“
Der Kölner erschrak: „Einer von den Rockys? - Timur, mit den Tommys die es da hin verschlagen hat, ist nicht gut Kirschen essen! - Mit denen stimmt was nicht. Immerzu führen die was im Schilde! - Und dann nehmen wir noch einen von da mit auf eine solche Mission? - Wer denkt sich denn so was aus?“
„Dann verlege ihn doch in deine Kabine, der Schlaf ist der gleiche, Jung!“
„Steuermann Jonischkeit! - Du wirst das doch noch hinkriegen, angesichts einer solchen Mission, deine Backen zusammen zu kneifen und dich in Neues zu fügen! Wir beide, Martin, haben zusammen einiges durch zu machen gehabt, aber spiele hier die Diva, dazu ist jetzt nicht die Zeit!“
In raumgreifendem Schritt hatten sie den halb runden Weg von den Mannschaftsquartieren, hinüber auf die Brücke hinter sich gebracht. Das Schott des Raumkreuzers öffnete sich automatisch mit jenem schlürfendem Schleifen, der den Raumkapitän, Timur Freilingrath, sich innerlich straffen ließ. Für ihn atmete sich die Luft hierin größer. Ein Einvernehmen des Mannes mit seiner Aufgabe das sich hier in ihn spülte, wie nirgends sonst. Als strahlte von den Terminals, den Pulten und Schirmen ein eigenes Selbstverständnis, das aus dem Mann von der Schwäbischen Alb, einen Kapitän heraus schälte. Den erklärt besten des Städtebundes „Berg“.
Die Brücke hatte einen kreisrunden Grundriss, in dessen Mitte, erhöht um zwei Stufen, der Raumkapitän seinen Sessel hatte. Die Wand ihm gegenüber füllte ein großer Bildschirm, mannshoch und gut sieben Meter breit. Nicht von ungefähr nannte man ihn „Auge der Enterprise“, da er tatsächlich sehr an Roddenberrys Ideen an einen geeigneten Brückenausbau erinnerte. Doch zu viele Ausfälle der Technik zu Anfang der bemannten Exkursionen der übrig gebliebenen Menschen ins Weltall hinein, hatten hier das Setzen zweier großer Bullaugen beiderseits des Schirms, zum Standard werden lassen. Lebenserhaltung, Energieregulierungen und die Kontrolle über die Triebgondeln hatten ihre Terminals anschließend an das linke Bullauge. Gleich nach dem Betreten der Brücke, hatte man diese wichtigen Schaltstellen in Reichweite. - Neben dem rechten Bullauge schloss sich das Waffenpult an.
Vor dem erhöhten Kapitänsplatz befanden sich in einer Reihe von links nach rechts die Plätze des Ingenieurs, des Navigators und dann das des Steuermannes.
„Was‘n das?“, schielte Martin auf den aufgerissenen Boden, seitlich abfallend zum Kapitänsplatz.
„Ein zusätzlicher Sitz. - Wir werden einen Gast haben auf unserer Reise.“
„Wir sind ein Weltraumkreuzer, kein Passagierdampfer!“
„Unser Gast ist Sean Sterling. - Sagt dir der Name was?“
„Sag‘ mir nicht ein weitere Abgesoffener, nicht noch ein weiterer von den Rocky Tommys, - sags bloß nicht! - Menschenskind, wir reisen durch unseren ganzen Raum, über das Sonnensystem hinaus, um mit mit einem bewohnten Mond Verhandlungen über Ansiedlungen von Menschen aufzunehmen. Verhandlungen, die nach dem ersten Zusammentreffen mit den Einwohnern und unserer ach so großartigen Spezies, verflucht schwierig werden dürften. - Noch dazu weil gerade diese Tommys mit ihrer beschissenen Trauer um ihre ab gesoffenen Insel, so was von die Zähne lang machen! - Ich sags dir, die wollen sich den Mond unter den Nagel reißen! - Gerade die aus den Rockys!“
„Für dich gibt’s wirklich nur schwarz-weiß, oder? - Ist zugegeben schon eine Weile her, aber dieser Sean Sterling war während der letzten Auseinandersetzungen mit den Bündnis „Ural“ um die Ölteppiche am Golf, sogar ausgezeichnet worden. Er steuerte für eben dieses von dir gerade so gescholtene „Rocky“- Bündnis, höchst erfolgreich deren größten Raumkreuzer. Ohne deren Erfolge, wäre das Öl nicht vorhanden um den Stahl zu schmieden, ohne den wir uns die Reparaturen der Beethoven und der Bartholdy hätten in die Haare schmieren können. Und ohne die unsere Freunde vom Atlas-Bund verdammt schlecht ausgesehen hätten. Also, sehr geehrter Herr Jonischkeit, wird Sterling mit uns reisen. Mit der Empfehlung aus Athen-Isfahan und als unser Gast. Da kannst du dich auf den Kopf stellen und mit den Zehen wackeln wie du willst!“
Doch statt einer Antwort stellte sich Freilingrath demonstrativ vor das Steuerpult, zog die Stirn kraus: „Wie sieht es aus mit unserer Antriebssteuerung? Steht dir am Brückenterminal endlich alles zur Verfügung? - Unten im Maschinenraum, nutzt mir mein Steuermann wenig.“
„Ich arbeite ja daran. Der letzte Angriff hat eben auch die Verbindungen, die die Energiezuleitungen steuern, vollkommen zerfleddert. Aber ehrlich, Mann, wenn ihr es so eilig habt, müsst ihr damit rechnen, dass ich einen Teil der Reparaturen während der Fahrt machen muss.“
Timur teilte die Erbitterung. Jene Glasfasern, mit denen man weiland die Beethoven bei ihrem Bau hatte ausstaffieren müssen, hatte man zuerst mühevoll den Straßen untergegangener Städte abzutrotzen. Erst tatkräftige Hilfe aus dem Atlas-Bund hatte es möglich gemacht, bei Grabungen rings um das ehemalige Hamburg unter Wasser noch großflächiger die Betonmassen zu bewegen. Doch so schnell war aus dem Rohstoff von einst, kein neuer Draht geflochten. Und wie sicher das alte Material leitete, war mehr Lotterie, als abhängig von irgend wessen Expertise.
„Marion hatte versucht das Feuer auf sich zu lenken, damit wir ausweichen und uns in Angriffsposition bringen konnten, - schon vergessen?“
„So war es nicht gemeint“, hob Jonischkeit abwehrend die Hände. Besser niemand rührte an diesen Tag. Besser niemand erinnerte Timur Freilingrath daran, wie seine Marion Thestorff, ihr Leben und das der Mannschaft des kleinen Gleiters, aufs Spiel gesetzt hatte, um der Beethoven Raum zu verschaffen um ihrerseits zu einem erfolgreichen Schlag gegen die „Medved“ auszuholen. Das Flaggschiff des Ural-Bundes hatte bei deren Angriff erheblichen Schaden genommen. Die Beethoven ebenso. Aber wo dem Berg-Bund die Freunde aus Athen-Isfahan zu Seite standen, tat sich für die Besatzung der Medved kein Raum auf, aus der sich ihnen eine helfende Hand entgegen gestreckt hätte. Man wusste das stolze Schiff noch immer an seiner Position stehen, verlassen und versiegelt. Wusste aber auch, Ural würde neue Kräfte sammeln. Ausgestanden war der Streit noch nicht.
In der Tür zu seinem Arbeitsraum, direkt an die Brücke angrenzend, drehte er sich zu Jonischkeit um und befahl, ziemlich streng: „Dann sieh‘ zu wie weit du heute noch kommst! Wir legen morgen schon ab!“
Wie hinter einem wohltuenden Riegel geborgen, kam er sich hinter seinem Arbeitstisch vor. Viel prasselte auf ihn ein. Viel wurde erwartet. Von dieser Reise, den beiden Schiffen, den Mannschaften, - von ihm. Vier goldene Streifen und ein Stern zierten seine Uniform, das Vertrauen beider Bünde in sein Geschick, zierte seine Person, zweifellos. Aber alle Zier strahlte nicht in ihn hinein.
Die Leuchte seines buchhohen Bildschirms auf dem Tisch blinkte, ein Anruf aus dem Hauptquartier auf dem Killesberg in Stuttgart. Er drückte erwartungslos den Knopf zur Freigabe. Kommodore Mateo Arsan hatte digital vor ihm Platz genommen, der Mann auf der Beethoven tat es ihm verblüfft gleich.
„Sie wundern sich, Freilingrath, weshalb wir uns noch einmal bei Ihnen melden. Aber es gibt Leute, die mit immer beunruhigenderen Nachrichten hier eintreffen. - Ihr Gast, Sean Sterling, soll sich noch gestern mit Livingston persönlich ausgetauscht haben. Nehmen wir beide getrost an, dass er dabei Sterling mehr als nur eine gute Reise gewünscht haben wird.“
„Sicherlich nicht.“, nickte Timur, „ - Wenn – wie wir annehmen – Sterling entsandt wird um eine gewaltsame Nahme des Mondes durch den Britex vorzubereiten, weswegen legen sie jetzt nach? - Trauen sie ihm am Ende nicht recht?“
„Machen wir uns nichts vor, Sterlings Loyalität zur Britex-Organisation ist felsenfest, da haben andere schon versucht ihre Teile heraus zu hacken und sind gescheitert. Ich weiß, Timur, Sie hegen daran letzte Zweifel, das ist uns nicht verborgen geblieben. Sie mögen eigene Hoffnung darin setzen, Kapitän, aber verlieren Sie darüber niemals ihre Mission und ihre Aufgabe aus den Augen! Der Mond ist eine Chance, wie wir sie nie wieder bekommen werden. Wir müssen damit und dabei allen Wesen in der anderen Galaxie beweisen, wer wir sind und dass wir zu einer friedlichen Koexistenz willig und fähig sind. Die Anwendung irgendeiner Gewalt gegenüber den Einheimischen, wäre mehr als nur ein fatales Signal. Es wäre das Ende aller Dinge!“
Freilingrath verstand. Arsan übertrieb mit keiner Silbe.
„Könnte es darum gegangen sein, neue Möglichkeiten zu erörtern, wie er mit der Britex in Kontakt bleiben kann, ohne unser Wissen und bis über die Grenze unserer Galaxie hinaus? Kommodore, bei allem was wir glaubten kommen zu sehen, war das jenes Detail, das uns doch nur ratlos machte. Soll Sterling auf eigene Faust handeln, ohne Rücksprache mit Livingston? Und sollte die Beethoven bei einer mutmaßlichen Gewalteinwirkung auf den Mond, in Mitleidenschaft gezogen werden, wie sollten sie sicherstellen, dass Britex mit Schiffen der Rocky Leute nachrücken kann um vollendete Tatsachen zu schaffen?“
„Timur, die Sache mit der Kommunikation hat auch uns hier nicht tatenlos gelassen. Ihr Ingenieur weiß um ein paar … nennen wir sie - Gimmicks, die wir der Beethoven mitzugeben im Stande sind. Einiges nützliche Werkzeug, das es Sterling leicht machen wird von Livingston nicht über Gebühr behelligt zu werden.“
„Mein neuer zweiter Ingenieur, ist aber ebenso ein englischer Abkömmling und an seiner Treue zum Schiff, hängen durchaus ein zwei Fragezeichen...“
„Der LI ist angewiesen, Ihren Steuermann in diese Erweiterungen einzuweihen. Es ist an den beiden sicherzustellen, dass der junge Mann, nicht mehr erfährt, als nötig. - Auch wenn dieser Duncan Easter uns nicht als Mitglied der Britex bekannt ist.“
„Generaladmiral Junghans wird überdies die weiteren Aktivitäten im Raum im Auge behalten. - Wir werden alles tun, Timur Freilingrath, Ihnen und ihren Schiffen den Rücken so frei wie möglich zu halten.“
„Kapitänin Thestorff kennt den Grund der Reise. Wie weit Sie gehen sie in die Belange und Risiken um Sterling herum einzuweihen, überlasse ich Ihrem Urteil.“
„Ist es das, - nunja. - Ich überlasse Sie nun erst mal wieder Ihrem Schiff, Kapitän. Morgen um diese Uhrzeit haben sie das Dock ja bereits verlassen, ich nehme an, Sie haben noch ein paar persönliche Dinge zu klären. - Arsan Ende.“
Das Bild fiel in sich zusammen. Timur kniff die Augen. Er war müde.
Das waren keine guten Neuigkeiten. Das Paket aus Sterling und Britex schien wirklich fest geschnürt. Er hatte anderes gehofft.
Er erinnerte sich zu gut an die ersten Bilder, die er zu sehen bekommen hatte, aus dem Inneren des Britex. Sie waren heimlich während eines Treffens aufgenommen worden. Eine ein wenig obskure Veranstaltung hochgeschlossener Herren, in gesetztem Alter, ernsten Gesichtern, sich eines elitären Statutes durchaus bewusst. Die Reden die gehalten wurden zeichneten eine seltsame Mixtur eines herablassenden Bildes der gegenwärtigen Gesellschaft und einer unfassbaren Verklärung alles Gewesenen. Er konnte aber nicht verhehlen, wie ihn einige Passagen durchaus gerührt hatten. Er wäre kein Sohn auch deutschen Lebens und Strebens, hätten ihn die Zitate von Keats, Byron und Shelley nicht beeindruckt gehabt. Aber ebenso abgeschreckt jenes gemeinsame Singen des Liedes „Song Of Durin“, das wohl wie ein Schmelztiegel der Sehnsucht, die Inbrunst des gemeinsamen Zieles ausdrückte, wirkte in Timur nach. Hieß dieses Ziel doch „die Wiederherstellung britischen Territoriums in unbedingter Souveränität“. Die bloße Teilhabe am Bund auf dem als lebensfähig übrig gebliebenen Terrain der ehemaligen Vereinigten Staaten und Kanadas, war ihnen nicht genug. Es trieb sie der Wunsch, alles Verlorene wieder zu erlangen, Wälder, weite Moore, – aber auch wieder gekrönte Häupter. Nicht nur die letzten Zeilen ihres Liedes kündigte es unverfälscht an:
Eine Gesellschaft der Klassen, der Herrschenden und der nicht Herrschenden, der Beuger und der Gebeugten, definiert durch Geburt, war bewusster Bruch mit allem, was der gebündelte Verstand der einstmals übriggeblieben Millionen an Voraussetzung für eine Überleben, ausgelotet hatte.
Noch bevor ihm erklärt worden war, wer von den Gefilmten bei ihm an Bord kommen würde, war ihm Sterling aufgefallen. Der befand sich zwar nie ganz im Abseits, war stets in Gruppen gestanden, die rege diskutierten und sich einander befeuerten in ihren Ideen. Aber alles Hochgeschlossene an ihm glich mehr einem Abgeschlossen sein. Das Gesicht mit seinen wölfisch gebogenen Augenbrauen über klugen Augen, überzog nur einmal ein Lächeln, das eher etwas förmliches als freundliches auszudrücken schien: Als der Kopf der Organisation, eben dieser Eugene Livingston, ihm kameradschaftlich den langen Arm über die Schulter legte, während er ein paar preisende Worte über ihn in den Kreis mehrerer Mitstreiter prostete. Francis Lytton war einer von ihnen. Er war für dreckige Dinge bekannt und lange gegen ein Einlenken zugunsten des Berg-Bundes und dessen Allianzen gewesen.
Nachdem Timur seine eigenen Recherchen zu Sean Sterling abgeschlossen hatte, waren ihm mehrere Dinge aufgefallen, die seinen Eindruck stützten, wonach dessen Loyalität keinesfalls so unangreifbar war, wie auf dem Killesberg angenommen. Einige kleine Details nur, Ungereimtheiten und Einsichten, die sich in dem Gemüt des ergrauten Kapitäns zu etwas formten, das Geduld anmahnte. Und Hoffnung gelassen hatten. - Die jüngsten Nachrichten nun schrammten genau daran.
Wieder blinkte der Bildschirm, der Wimpel der „Bartholdy“, des Raumgleiters, der ausschließlich mit der Beethoven flog, füllte die Bildfläche. Lächelnd gab Timur die Leitung frei.
Ein freundliches rundes Frauengesicht zeigte sich, die dunklen Haare waren zwar sachte von einem Alterssilber durchzogen, das allerdings so gar nicht zu passen schien zu dem neckischen Glanz ihrer dunklen Augen. „Kapitän Freilingrath, schön dich zu sehen. - Die Leitung war belegt. - Welche Herzen warst du nun wieder am Brechen?“
„Killesberg, Marion, nur das Hauptquartier, - nichts was dich besorgen sollte!“, lachte Timur zurück.
„Wie schreiten euer Arbeiten voran? Treskow hat schon wieder Panik, dass der Kreuzer nicht rechtzeitig mit uns starten kann...“
„Treskow ist immer in Panik, Marion, deswegen musst du doch nicht..“
„Weder er noch ich, wollen alleine vorneweg fliegen, solange die Medved noch im Raum liegt...“
„Die Medved schläft, Marion“, versicherte Freilingrath. „Bestelle deinem Steuermann schöne Grüße: Die Beethoven wird Morgen starten. Jonischkeit wird alles was noch nötig ist heute oder auf der Reise kitten können.“
„Du hast einen Gast an Bord, hörte ich? Einen Engländer, einen Britex-Mann? Wer denkt sich denn solche Tollkühnheit aus?“
„Lass mal, Marion, Sean Sterling wird eine Menge Zeit mit uns zu verbringen haben. Da geht noch was.“
„Sterling? DER Sterling? Den gibts noch? - Der war doch von einem Tag auf den anderen, wie verschluckt..!“
Timur nickte. „Er wird einen Sessel auf der Brücke bekommen, wo ich ihn immer im Auge behalten kann…!“
„ - Wo ist er denn hin, dein Glaube an das Gute im Menschen? - Deine, - wie nennt ihr das noch? - Nächstenliebe, oder so?“
„Christliche Nächstenliebe, ganz recht. Aber trotz deiner Sticheleien, mein Glauben an höhere Mächte, macht mich nicht blind für die Schwäche in Menschen...“
„Interessant“, beugte sich Freilingrath vor, „du hältst Sterling für schwach?“
„Wir alle leben mit einer Triebfeder, Timur, die in uns Zuversichten wachsen lässt, unseren Zielen und Herausforderungen gewachsen zu sein. Die Tragik solcher weltanschaulich durch geformten Menschen der vergangenen Epochen war es, es als Schwäche auszulegen, sobald man seine Triebfeder und Ziele abstreifte, um sie neuen Bedingungen und Einsichten unter zu ordnen. Und was stellte sich heraus? - Es war ihre größte Schwäche. Zum Schluss, sogar die Verheerendste. - Sterling als Britex-Mann auf eine solche Mission geschickt, ist fixiert auf seine Aufgabe, nicht zuletzt auf sein Ziel. Kurz gesagt: Wie willst du ihn überzeugen, dasser schwach werden muss, um etwas zu tun, von dem du der Meinung bist, es wäre das Richtigere?“
„Du meinst nicht, dass mir mein Charme dabei hilft, nehme ich an?“
Der nahm die Arme hinter den Kopf und atmete tief durch. „Was willst du hören? - Marion, ich weiß dass es bei dem Kerl nicht den einen Zaubertrick gibt. Aber er ist mir nun Mal vor die Nase gesetzt und ich werde mein Bestes versuchen müssen. Aber immerhin, Liebes, es wirdmein Bestes sein. Auf alles was Killesberg als das Beste verkaufen würde, ist Sterling gefasst.“
Umschlossen von wärmendem Sonnenlicht näherte sich anderntags die Barke der Raumstation. Timur verfolgte ihren Flug über das Bullauge der Brücke. Jonischkeit und er wechselten Blicke. Noch immer fehlte dem Steuermann die Einsicht in die Notwendigkeit einer Mitnahme dieses Gastes. Auch sein Kapitän wirkte nicht eben sorglos.
„Komm, Martin, hänge dich hinter dein Pult. Versuche ihn nicht gleich mit der Nase darauf zu stoßen, was du von ihm hältst.“
Er selbst begab sich zur Laderampensektion, über die die Beethoven mit dem Dock verbunden war.
Sean Sterling hatte den Flug von der Erde zum Raumdock über kerzengerade auf seinem Platz gesessen, die Augen geschlossen, nichts was sich an dem Mann geregt hätte. Dafür durchmaß er anschließend mit ganzen Schritten die Räume vor den Schleusen, die Gänge hindurch, bis vor den Tunnelaufzug 12. Erst hier ein erstes Pausieren, ein Durchatmen, ein Vorrücken des Kinns mit seinen graubraunen Stoppeln. Die Tür schloss sich hinter ihm, er war allein in der Kabine. Und plötzlich fiel alle Haltung von ihm ab. Der Mann sackte fast zusammen, prustete sich Luft in die Lungen, rieb sich nervös mit den Handflächen über das bewegte Gesicht, lenkte den Blick nach oben. „Come on, boy! - You can stand this!“, wippte er aufgeregt auf den Zehenspitzen. „“Come, come on! Don‘t be a bloody fool, boy! Calm down!“, rief er im gedämpften gepeinigtem Presston. „Come on, - calm down!“
Der Aufzug verlangsamte seine Fahrt, das Ziel war erreicht. Hände an die Hosennaht und schon war das harte Gerüst des Beherrschten so schnell wieder aufgerichtet, wie es eben noch von herrschen Emotionen, herunter gerissen worden war.
Die Tür fuhr raschelnd zur Seite, vor ihm stand der Kapitän, die Lippen zu einem Lächeln gebogen, das sich in den tiefbraunen Augen nicht widerspiegelte. „Sean Sterling, nehme ich an, Gesandter des Alberta-Denver-Bundes?“
Die Antwort brauchte einen Blick über den Gegenüber, dann: „Ganz recht, Captain.“
„In der Tat, ich bin Kapitän Timur Freilingrath und ich heiße sie willkommen an Bord des Raumkreuzers Beethoven, im Namen der Bünde Berg und Atlas. Ich hoffe unsere gemeinsame Reise wird ebenso erfreulich wie erfolgreich sein.“
„Ich fühle mich geehrte und bin dankbar für die Gastfreundschaft hier auf ihrem großartigen Schiff. - Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass ich sicherlich niemandem in Wege stehen werde!“
Timur nahm die Hände nach hinten und konnte sich den Anflug eines tatsächlichen Lächelns nicht verkneifen. ‚Denkste!‘, dachte er.
„Vielen Dank, Gesandter, aber ich habe bereits für sie einen festen Platz auf der Brücke einsetzen lassen. So werden Sie jederzeit einen Überblick haben können über die gesamten Umstände unserer Reise. - Ich hoffte, das wäre ganz im Sinne ihres Auftrages und auch ganz in ihrem eigenen. Ihre Karriere schließlich begann auf einer Kreuzerbrücke, nicht wahr?“
Nur für die Dauer eines sehr kleinen Momentes konnte Timur erkennen, wie echtes Mienenspiel diese beherrschte Fassade ablöste. - Noch eine Spur mehr Kühle war der Erwiderung beigemengt: „Nochmals, vielen Dank, Captain - und für Ihre Sorge um mein Entertainment.“
Timur machte einen Schritt zur Seite, lud den Gast ein an seiner Seite zu gehen. „Vielleicht begeben wir uns gleich auf die Brücke? Gerne stelle ich Ihnen den Rest meiner Mannschaft dortvor.“
Freilingrath blieb wenig Informatives zur Beethoven schuldig. Hüllenpanzerung und Schutzschilde, Bordbewaffnung durch Laserkanonen und Raummienen, genug Erontium um der Beethoven und der Bartholdy Energie für ein vierfaches der beabsichtigten Strecke zur Verfügung zu stellen. Nachdem er seinen Navigator, den kleinen Schweizer Reto Kuhnberger vorgestellt hatte, zeigte er ihm gleich auch einige Beispiele des Sternkartenmaterials. Der Vorstellung des Ersten Ingenieurs, dem Niederländer Ariel van der Kaes, folgte eine kleine Exkursion in die Geschichte ihrer Energiespeicher aus verkohlten Naturfasern, die zurückging bis zu Forschungen aus Karlsruhe, als es noch Universitäten gegeben hatte. Was damals mit Legierungen verkohlter Äpfel und Erdnussschalen begonnen hatte, hatte dem Berg-Bund den Weg ins All erst ermöglicht gehabt.
Ein kleines Fiasko erlebte der ohnedies recht angestrengte Jonischkeit. Kaum stand Sterling vor seinem Pult, erlitt das einen heftigen Energieabfall. Erst einen kräftigen Fausthieb auf das Steuerungsdisplay und einige heftige Zeigefingerschnippe gegen die Erontiumanzeige später, hatte er es unschuldig blinkend und funktionierend vor sich stehen. Über sich seinen unwillig die Augen zusammen gekniffenen Kapitän und den von Martin so ungeliebten Gast, dessen Mundwinkel verräterisch zuckten. Er war bedient. Und sein hochroter Kopf ließ das auch weithin erkennen. Dennoch bohrte Timur nach: „Na? - Wir werden das doch noch hinbekommen, Jonischkeit, nicht?“
„Eye, Kapitän! - Die Energie ist ja da, nur die Anzeige spinnt rum!“ - Und kaum war das letzte Wort aus seinem Mund gekippt, da wusste er auch schon, wie haarsträubend seine Verteidigungssuche gewesen war. Kaum etwas war wichtiger auf einem Schiff, das sich durch den Raum bewegte, wie eine Übereinstimmung vorhandener und bereitgestellter Energie – und dessen korrekter Anzeige auf dem Steuerpult der Brücke. Ariels peinliches Kopfschütteln war ihm hierfür nochmal ein sengender Hinweis.
Eine einladende Handbewegung später wusste Timur seinen Gast fern der Peinlichkeiten der Brücke und in seinem Arbeitsraum.
Er bot ihm ein Glas Algenwein an, das Sterling ablehnte. - Er selbst gönnte sich einen guten Schluck.
„Ich möchte offen zu Ihnen sein, Sean – oh, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie Sean nennen, nein?“
„Ichhabe etwas dagegen.“ - Der Absage folgten herabgesunkene Wolfsbrauen über glasklaren braunen Augen, in die eine Starre gestiegen war.
„Nun denn,Mister Sterling, ich möchte offen mit Ihnen sein. Wir kennen Ihre Motivation mit uns zu reisen. Aber das Ziel unserer Reise und Ihre Motivationen, stehen in einem erheblichen Widerspruch. Natürlich wissen wir um den Willen der Britex Community den Mond zu erbeuten, auf alle Fälle mit allen Mitteln. Um ihren Mitgliedern – und nur ihnen, ein eigenes Territorium zu garantieren, jenseits aller Verheerungen und Vergiftungen auf der Erde. - Wenn nötig würde Britex hierzu auch Gewalt anwenden. - Und dennoch: Persönlich sehe ich unsere Reise noch immer mehr als Chance, als als ein Problem.“
„Für einen Aufbau von Vertrauen, vielleicht? - Sie galten als intelligenter und anständiger Charakter, Sean Sterling. Er wurde mal sehr geschätzt für seinen gesunden Menschenverstand.“
„Man kann kann nicht gleichzeitig jemanden kontrollieren wollen und dabei um sein Vertrauen ringen.“
Im Grunde war Timur wenig überrascht von der Antwort als solche, aber die Ausdauer mit der dieser Mensch wie nach innen gestülpt zu sein schien, wirkte auch in ihm nach.
„Ihnen ist doch klar, was auf dem Spiel steht? Ein Aufbrechen von Gewalt gegen jede Art von Leben im anderen Universum, würde das Ende aller unserer Möglichkeiten bedeuten, ein Überleben der Menschheit dort zu garantieren“ - Er stellte sich dicht vor das Ohr des so unzurührenden Zuhörers. „Darum eine Frage an Sie – die Antwort kann auch warten, bis wir an unserem Ziel ankommen, - Sean, - angenommen, Sie überwinden alle Widerstände in, um und auf dem Mond selbst, - was bleibt dann überhaupt noch übrig um es zu verteidigen?“
An der Tür stieß der stoische Gast gegen einen eiligen Steuermann. Während Sterling seinen Raum aufsuchte, brannte Jonischkeit darauf seinen Fauxpas auszuwetzen. „Kapitän, die Steuerpulte und Anzeigen arbeiten einwandfrei. Noch ein zwei Sicherungen zwischen geschaltet und die Dinger halten ewig!“
„Gut so, Martin, nochmal möchte ich Sterling ungern die Augenbraue heben sehen, weil uns hier etwas fehl geht.“
„Wie war er so? Kriegt der noch den Stock aus dem Arsch?“
„Ich war offen zu ihm, er blieb zu bis obenhin. - Aber ich bin zufrieden. Unser Verhältnis hat sich weder verbessert noch verschlechtert. - Wie siehts hingegen aus mit dir und dem zweiten LI? Diesem Easter? - Wie kommt ihr klar?“
„Bisher hab ich den noch nicht mal gesehen. Nur seine Sachen. - Je weniger ich von dem seh oder hör – desto besser, Jung!“
Freilingrath hegte einen Verdacht: „Du kannst doch aber mehr als nur ein paar Brocken Englisch, oder?“
„Datt englische Wort für Teppich heißt übersetzt Autohaustier!“, rollte der die Augen.
„Reiß dich am Riemen, - Jonischkeit, ich will dass ihr gut miteinander auskommt.“
„Er wuchs mit Sterling im selben Bund auf. - Kann vielleicht noch nützlich werden.“
Der Start aus dem Raumdock war für 18Uhr deutscher Zeit festgesetzt worden.
Timur hatte letzte Berichte über letzte Maßnahmen gelesen und geschrieben, letzte Protokolle abgenommen, letzte Inspektionen vorgenommen. Letzte Momente vor dem Start des Prozedere des Abkoppelns und schließlichen Ablegens verbrachte er vor dem rechten Bullauge. Den Blick auf eine Heimat gerichtet, die so geschunden war. Das All war schwarz wie ein Obsidian. Wie diese kleinen Splitter und Kanten urzeitlichen Lavaglases, das seine Altvorderen zuweilen beim Umgraben von Gemüsebeeten in Göppingen aus dem Lehm der Schwäbischen Alb geborgen hatten. Und die er wie Schätze in einem Beutel in seinem Quartier barg.
Noch immer leuchtete die Sonne einen sanften pflaumenblauen Kranz um die Erde heraus.
Er suchte in sich jenes Gefühl, das die ersten Astronauten den „Overview-Effekt“ genannt hatten. Ein Hervortreten eines Ehrfurchtgefühls angesichts des Anblickes der Erde aus galaktischer Ferne. Nach einem Einsetzen eines tiefen Verstehens einer Verbundenheit mit allem Leben auf der Erde. Einem Empfinden von Verantwortung. - Doch alles was er in sich antraf, war ein Gefühl von Bitterkeit und Bedauern. - Sie wurden von den Menschen da unten auf diesem traurigen Rest von Planeten, in die Galaxien entsandt um nicht weniger als Wunder zu jagen. Dabei hatte die Menschheit jahrtausendelang das einzig wahre Wunder direkt unter den Füßen gehabt. Doch im zeitauf zeitab der Fabriken waren ihnen die Menschen die kommen würden, gleichgültig. Ob die fragen würden nach Millionen Jahre altem Wind, statt dem Ausharren in der Wut von Stürmen aus mit Fallout verschmierten Lüften. Die Wälder hatten sie zerstückelt, Täler mit Müll gefüllt, nicht einen Fluss unbegradigt gelassen. Als das Meer seine Reise durch deren Arme in die Lande hinein angetreten hatte, gab es keinen Widerstand mehr einer Strömung. Zu tief hatten sie gebaggert, die Betten zu breit geräumt – und zu spät die Narreteien erkannt. - Keine Mulden ohne schwelenden Abfall hinterlassen hatten sie ihnen, keinen Hang ohne diese jammernden Betongeschwüre, - jedes Seitental hatte Gewinn zu machen. Für Nachschubstraßen für Brot und Spiele letztes Grün zerschnitten. Eine bleierne Geschichtslosigkeit hatte wie ein Windschatten auf diesem Planeten Erosion betrieben. Die Menschheit, urteilte Timur zum unendlich vielten Male, war zu keiner Weisheit fähig. Wo kein Impuls stärker wirkt, als Gier, kennt Ratio nur Kapitulation. Alle Philosophie, alle Musik, alle Liebe, aller Drang nach dem Guten, Wahren und Erhabenen, hatten dahinter zurück zu stehen gehabt. Erdalterlang.
„Kapitän, 18 Uhr! - Raumdock erteilt Freigabe vom Träger.“
„Danke, Jonischkeit. - Abkopplungssequenz einleiten bei 0.“
„Zehn – neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – eins. - Los!“ - Weniger als ein schwaches Rütteln war zu spüren. „ - Beethoven ist frei vom Träger. Nächste Sequenz: Verlassen des Raumdocks. Erwarten noch Freigabe, Kapitän.“
„Kuhnberger, mache mal Sterling im Schiff aus und bitte ihn zu uns auf die Brücke.“
Schon als der keine ganze Minute später in der Tür stand, war ihm bewusst, dass er einen Nerv getroffen hatte. Der Gast war zwar kaum außer Atem, aber erkennbar weniger in sich gestülpt. Hier war jemand angesäuert.
„Sterling“, begrüßte er ihn, „Oh, gut Sie zu sehen! - Ich dachte es ist besser wir sind komplett, wenn wir das Dock verlassen. Immerhin starten wir zu einer gemeinsamen Reise.“
Sean erwiderte nichts. Die Nasenflügel pumpten zwar. Aber der dazu gehörende Mann begab sich zu seinem Sessel und setzte sich.
Der Kapitän schritt die beiden Stufen zu seinem Platz hinauf. Wartete. Dann schon kehrte sich der Steuermann zu ihm herum und verkündete: „Dock erteilt Freigabe. Wir können starten.“
Timur Freilingrath nickte. „Zehn!“, gab er vor und setzte sich.
Der Mann vor dem Steuerpult griff auf: „Neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – eins – null! - Schiff nimmt Fahrt auf, Geschwindigkeit Impuls 1, Kurs 12 Uhr.“
Und schon ging es los: Aus sauber geschürzten Lippen pfiff Martin Jonischkeit das Thema einer historischen Serie, die „Raumschiff Voyager“ geheißen hatte und sich seiner besonderen Hingabe erfreute. Sterling zuckte bei den ersten Tönen erkennbar zusammen, warf auch einen kurzen und entsetzten Blick auf den Steuermann, doch fasste er sich auch rasch wieder. Während Jonischkeit weiter schmetterte und die Paukenschläge der originalen Komposition ersetzte mit leidenschaftlichen: „Bamm – bamm bamm bamm – baaaaam – bammmm!“ Und einem finalen. „La-lall-lal- lal – laaa – laaaaa!“
Mitleidig beugte sich Timur zu Sterling hinunter und erklärte: „Unser Steuermann trällert uns das Glück herbei. Er ist eben ein großer Fan von dieser Serie,Voyager.“
Überrascht nickte Timur zurück. „Ja, stimmt. Regelrecht verhunzt, war schade drum!“
Doch nichts weiter regte sich an dem Mann, nichts was sich an der kleinen Einlassung angeschlossen hätte. Nichts, als dieser klitzekleine Blick hinein in jemanden, der sich mit historischen Raumfahrtmärchen auskannte.
Der neue Kurs war gesetzt, die Maschinen liefen, die Anzeigen stimmten, die Mannschaft kannte ihre Aufgaben, beherrschte sie. Die Beethoven, wie auch die Bartholdy kamen gut voran.
Keine halbe Stunde nach ihrem Ablegen und Aufbruch, bat Sterling, den Kapitän unter vier Augen sprechen zu dürfen.
Der angrenzende Arbeitsraum schien hierfür beiden geeignet. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen zu gezogen, hörte Timur bereits wie Sean Sterling ihn mit ganzer Stimme ansprach: „Captain, ich muss protestieren! - Ich bin kein Crewmember, ganz zu schweigen ihrer Brückencrew. Da ist kein Grund mich herbei zu rufen, wie einen Hund!“ - Er trat vor den Kapitän hin und stellte klar: „Ich bin nicht als ein Gefangener an Bord gekommen. Es war klar, dass ich völlige Bewegungsfreiheit auf dem Schiff haben würde!“
„In der Tat. Zweifellos. - Mein Grund Sie zu rufen war lediglich dass ich dachte, es könnte interessant für Sie sein. Sie galten als ein hervorragender Steuermann und ich wollte sicherstellen, dass Sie sich nicht langweilen, - insbesondere auf einem Schiff wie der Beethoven!“
„Wirklich, vielen Dank für Ihre Sorge um meine Unterhaltung“, knirschte es zwischen Sterlings Zähnen hervor, ehe er sich umdrehte und den Raum ebenso rasch verließ, wie er die Brücke hinter sich ließ.
Deren Besatzung schauten ratlos hinterdrein. Jonischkeit kehrte sich zu seinem Kapitän um, der noch in der offenen Tür stand. „Nanu? - Keine halbe Stunde nach dem Dock und bei euch knautscht ett schon?“
Der Mann am Steuer ruckte mit den Schultern: „Wenigstens etwas“, und kehrte sich wieder zu seinem Pult.
Jonischkeit knallte ihm die Tür ins Kreuz und brummte etwas, das sicherlich nach keiner Entschuldigung klang. Der Bursche, der dabei gewesen war sein Bett zu beziehen, war schmal, blass, jung und viel zu sauber gescheitelt, als dass Martin ihn nicht für eine Witzfigur halten musste.
„Well, yes, I mean – ich meine, Ja, ich wohne hier.“
„Auch! Jung, du wohnst auch hier! - Hör zu, ich bin der Steuermann und ich habe lange Schichten auf der Brücke und ich brauche meinen Schlaf. Weckst du mich, mache ich dich tot, - do you understand?“
„My shifts are as long as yours, wenn wir nehmen genug Rucksicht everything will turn out fine.“
Der Junge rüttelte den Bezug über das Deckbett und streifte dabei üppig den Kopf des müden und genervten Mitbewohners. „Hey!“, beschwerte der sich prompt, „bisse jeck?“
„No, Duncan. My name is Duncan. Nicht Jack. - Und auch bin isch keine Osterrabbit.“
„Jung, ich sag dir, - komm mir nicht blöd...“ trat Jonischkeit bereits angespannt von einem Bein aufs andere, dann erinnerte er sich aber an den Wunsch seines Kapitäns. Das ersparte Easter den Rest Martin‘scher Anwandlung sich den schmalen Kerl zurecht zu stutzen. Er schmiss sich auf sein Bett. „Noch so ein Thommy, muss irgendwo einer ne Dose mit denen aufgemacht haben, dass die hier überall rumlaufen“, grummelte er.
Duncan machte sein Bett fertig, um sich anschließend auf die Kante zu setzen und aufmerksam zu dem Mann auf dem anderen Bett zu blicken.
„Wenn du nicht sofort damit aufhörst“, drohte Jonischkeit mit geschlossenen Liddeckeln und ausgefahrenem Arm, „stanze ich dir mein Passfoto ins Gesicht!“
„Die – was?“, richtete sich Martin auf und folgte dem neugierigen Nicken des Jungen in Richtung des Wasserspenders. - Und er verstand es sogar. Auf den Schiffen der Rocky-Leute gab es so etwas nicht. Zuviel von deren Baumaterial, war Strahlungen ausgesetzt gewesen, deren Trinkwasseraufbearbeitung, auf der Erde, wie auch im All, war um Längen komplizierter. Und so erlebte sich Martin wie er geduldig aufstand und zeigte, wie man die Flasche zum Auffüllen unter welchen Hahn zu stellen hatte und nach welchem Knopfdruck man welches Getränk erhielt. Und siehe da, der blasse Junge konnte lächeln, breit, übers ganze Gesicht. „Great! - Real great! - You must be all super glucklich about this!“
„Mir wäre es lieber wir hätten solche Replikatoren, wie in dieser Serie um das Raumschiff Enterprise. - Das wäre echt mal was!“, maulte Martin während er sich sein Hemd über den Kopf streifte.
„Das sind so Zauberkunststückchen, die sie früher in ihre fiktionalen Geschichten eingebaut haben. Als sie noch dachten, Zukunft wäre was rosiges.“
„Ah, ich habe gehort von diese Fairytales. Picard and such.“
„Nie was davon gesehen? - Auf alten Datenträgern ist doch genug davon erhalten geblieben, selbst bei euch da oben in Alberta mit eurem auf gebombten Vulkan und dem ganzen scheiß Fallout.“
Doch Duncan gönnte sich erst mal ein paar große genussvolle Züge des klaren Nass. Mit einem Ausdruck auf dem Gesicht mit der papiernen Haut, als hätte etwas Heiliges den Weg seine Kehle hinunter gefunden.
„Na“, hievte der Steuermann endlich seine müden Glieder unter die Decke, „der andere kannte jedenfalls was davon.“
„Der andere, der Mister-Hochnäsigkeit in Person, der Sterling, der mir jetzt die ganze Zeit im Rücken hockt. Der kannte wenigstens die Fiction mit der Voyager.“
Eigentlich war Jonischkeit dabei gewesen die Beleuchtung runter zu fahren, aber der Osterhase klang plötzlich zu aufgekratzt.
„Oh ja, isser und macht sich auch schon mächtig beliebt.“
„Oh no, - das kann nicht sein! - Sean Sterling war eine große hero. A real jolly fellow! Meine Onkel ist mit ihm auf dem Ship Plymouth gewesen und habe immer gesagt, Sean Sterling war eine von der beste Menschen und Mann er hat gelernt in seine ganze Leben! Und er war eine superduper Steuermann. Oh wow, er hat gemacht manouvres mit diese kleine ship, - so marvelous and outstanding! - In deutsch die Leute sagen zu solche „Teufelskerl“.“
„Solange er nicht mit ihm im Bunde ist...“, nuschelte Martin von unter der Decke.
„Dat Licht is aus, Jung, Klappe halten, Augen zu – und schlafen. Nochmal sag ich et nicht!“
In Matthias Treskows Ohren klang die Bartholdy so ganz anders, wie die Beethoven. Das schwere asthmatische Summen das die Antriebsgondeln durch den Gleiter sandte, durch die Gänge und Räume, erinnerte den jungen Mann, an das Geräusch das die Stürme aus den Bahntunneln seiner Heimat, der ausgebrannten Stadt Magdeburg heraus jaulten. Ein sonorer unbewegter Chor, der sich an einer Note abarbeitete. Getrieben vom Drang der Aufgabe.
Die Beethoven klang gesättigter. Gelungener, wie er meinte. Als wäre ihr das Erontium ihres Antriebes bekömmlicher. Die Beethoven klang wie ein Jemand. Ein Jemand der sich seiner Sache sicher war.
Er stellte sich auf die Beine, es hielt ihn nicht im Bett. Manches mal hatte es geholfen sich auf Geräusche zu konzentrieren, um sich abzulenken, zu beruhigen um in einen nötigen Schlaf zu fallen. Allermeistens jedoch nicht. - Was ihn umtrieb schien ihm heute die Magenschleimhäute weg zu sprengen.
Kasimir Alföldy warf sich verärgert weil geweckt in seiner Koje herum und hob die schlafesmüden Augen in Richtung des Waschraumes. „Treskow, Menschenskind! - Was hascht du denn, herst?“
„Nur durstig, nichts weiter“, flüsterte der junge Leutnant zurück, huschte zu seinem Bett, stellte das gefüllte Glas ab und kletterte wieder unter die Decke.
„Kannst du deine Nieren etwas leiser putzen?“, beschwerte sich der Innsbrucker Ingenieur aber weiter.
Treskow konnte nicht sehen, wie Kasimir die Augen rollte, sich umdrehte und die Decke über den Kopf zog.
Schicksalsergeben kehrte sich Alföldy wieder herum, stöhnte: „Was musst du immerzu Flöhe husten hören, sag? - Hat doch geheißen, die habens schlafen gschickt, die liegt über dem Ural und schläft! - Was ich jetzt auch gern tät!“
„Mein Gefühl sagt mir da was anderes! - Die werden doch nicht einfach zusehen, wie Berg und Atlas diejenigen sind die zu Verhandlungen mit den Bewohnern des Mondes aufbrechen, der als einziges ein Überleben sichern kann.“
„Wenn sie es müssen? - Die Beethoven hat ihnen einen schönen Treffer in die Energieversorgung verpasst. Die Lebenserhaltung ist geschrottet. Seit Monaten gibt es keinerlei Transporte hoch in die Medved. - Wenn sie nicht aufpassen, kippt die ihnen aus dem Erdorbit – und dann ziiiiiiiiiisch! - Verglüht die wia a Schnuppn!“
„Glaube ich nicht. - Es geht ums Ganze. Für alle Menschen, die auf der Erde vor sich hin versauern. - Die Strahlungsschäden werden immer gravierender. Das bisschen Erde das bebaubar geblieben ist ernährt Leute, die durch eben diese Lebensmittel nur noch kränker werden. Das Wasser schwemmt Plastik in die Organe, denen das Nitrat dann langsam ohnehin den Todesstoß versetzt...
Konny Alföldy verzog schmerzhaft das Gesicht: „I hab schon meine zweite Niere reingschnitten kriagt, was erzöhlst mir da also?“
„Ural ist ein Überbleibsel von dem was mal Russland war. Und du weißt wie weit sie gegangen sind in ihrem Wahn…! Vulkane haben sie bombardiert, das Ausbrechen der gesamten Kaskadenkette um den St. Helen in Kauf genommen, Millionen von Toten, Millionen Verhungerter, als die Aschewolken die Hemisphäre abdunkelten und alle Ernten für Jahre ausblieben...“
„Die hatten Lust am Weltuntergang, des is gewiß“, stimmte Alföldy zu und nahm die Arme hinter den Kopf. „Dafür habms aber auch kräftig zu zahlen gehabt. Die stehen bis heute im Abseits. Alleine schon wegen der Atomgeschichtn. Hättns wissen können, dass man sich überm Atlantik des ned gefallen läßt und die die Sprengköpfe auf die Raketn setzen.“
„Denen geht es noch dreckiger als uns. Die haben nichts zu verlieren, Konny, gar nichts. Außer dem Wettrennen um diesen grünen Mond. - Und eines kannst du mir glauben, - die würden die Ureinwohner nicht mit Samthandschuhen anfassen. Die nicht. - Das müssen wir verhindern. Mit allen Mitteln.“
Der Steuermann der Bartholdy setzte sich auf den Boden, an das Schafmöbel gelehnt und zog die Beine vor die Brust. „Hast du Angst vor dem Tod?“
„Matthias, wenn I des hätt, na wär I net do! - Da draußen ist eine absolut tödliche Strahlung. Es drücken elende Kräfte auf des ganze Konstrukt eini...“
„Fragst du dich manchmal, wie es sein wird? - Wie du stirbst?“
Alföldy strich sich müde und angestrengt mit der Hand über das Gesicht, rieb sich die kleinen Augen. „Der Tod kommt alleweil, herst? - I denk mer, wenn ich ned an ihn denk, hab ich mehr vom Leben gehabt.“
„Hast du keine Befürchtungen, ob es sinnlos sein könnte?“
„Gsturbm is gsturbm, hat man bei uns daheim gesagt. Und I denk mir, wenn ma tot is, is eh wurscht.“
„Jo, ma hörts“, seufzte der Mann aus den Tiroler Bergen.
„Ich will nicht sinnlos sterben. Es wäre mir schon eine Beruhigung zu wissen, dass ich dann wüsste…“, Treskow brach ab, rieb die Handflächen aneinander. „Manchmal frage ich mich, was ich dann denken soll? Woran ich mich erinnern soll oder womit trösten? Was wohl mein letztes Wort sein wird das ich denke? - Da rast der Tod auf einen zu und da möchte man von sich, dass man ruhig bleiben kann und gefasst. Und nicht alles in einem zerfleddert ist von Angst oder Schmerz. Kein Gefangener sein von Agonie. Erfüllt sein von einer Genugtuung, das will ich. - Das Ende willkommen heißen, als wäre es ein guter Freund mit dem man zu einer Reise aufbricht.“
„Du kannst nicht hier sitzen und wissen, was dann sein wird. - Sei kein Idiot, Matthias. Machs dir doch nicht immer schwerer als es is, herst?“
„Thestorff hat es da einfacher. Sie blickt in dieses Schwarz ringsum und sieht einen Gott. Eine Güte, die sie umfängt und empfängt, kommt die Reihe an sie. Manchmal neide ich ihr das.“
„Ach, des sind doch alles Mythen und Legenden. Schöpfer und Erlöser, - ja wo denn?Nichts als Elend hats in die Welt bracht. Alleweil diese Kriege, dieser Hass untereinander, dieser ganze brutale Graus! Na, I glaub, dass ich da auf meine Kapitänin schaun kann, ganz ohne Neid!“
Aber es wühlte weiter in dem Blondschopf. Die Fingerkuppen beknabbernd fragte er in den abgedunkelten Raum hinein. Nur die Zeitanzeige an den Betten der Offiziere schickte ein blassblaues Scheinen zu dem jungen Mann mit seiner bebenden Seele: „Ob es dann wirklich alles einfach aus ist? - Nichts mehr von einem bleibt? Man hört einfach auf zu atmen?“ Er betrachtete sich seine Hand, strich fast andächtig über seine Finger, fuhr sie zusammen, dann wieder auseinander. „All das wird vergehen, sich auflösen, zu Asche verbrennen, in Atome auflösen, von Würmern zerfressen, zu Staub zerfallen. Diese Hände werden nichts mehr wirken können, ab dann – nie wieder. Das Herz hört auf zu schlagen, der Kopf auf zu denken….“
„Ich kann mir das nicht vorstellen. Ichwill es mir nicht vorstellen. Und doch ist es so unausweichlich. Es kommt näher und näher, Konny. Es ist wie es ist, ich denke nicht, dass ich hier noch einmal lebend heraus komme.“
„Du wirst sehen, Konny, - wir werden die Medved wieder sehen. Und es wird beileibe nicht friedlicher zugehen, als beim letzten Mal. - Sie kämpfen ums Überleben, mehr noch als wir. Und wer solche Kämpfe führt, kann nicht einfach so damit aufhören.“
„Du immer mit deinen Gruselgschichten!“, stöhnte Alföldy. „Die Beethoven hat doch ausrichten lassen, dass die Bünde uns auf alle Fälle den Rücken freihalten. Der Junghans und der Arsan wissen was sie tun!“
„ - Womit wollen sie das denn schaffen?“, eiferte Treskow aber weiter. „ - Die Beethoven ist der einzige Kreuzer, das einzige Schiff mit einer Bewaffnung und Manövrierfähigkeit, die der Medved gewachsen sind! - Sie müsste sie schon von der Erde aus noch treffen können...“
„Du vergisst die Isfahan, mein Lieber!“, richtete sich Alföldy nun doch auf. „Wir sind nicht mehr allein auf weiter Flur! - Und die Isfahan ist der Medved noch immer überlegen, das magst mir jetzt mal glauben!“
„Du, der Kapitän von der Isfahan, der Baran Asdani, der ist auch ein Glaubender, wie die Thestorff. Und die Glaubenden untereinander, die können gut. Die sind immer ganz anders, wenn sie aufeinander treffen, da stiert denen ein Glück aus de Augn, - gespenstisch sage ich dir… - Der Asdani wird die Thestorff schon sicher sehen wollen auf so einer Reise. Der guckt schon!“
Hatte ihn der Vorbeiflug am Jupiter mit seiner traumschönen Überschicht das Herz gedehnt. Hatte er den Trabanten noch mit breitem Grinsen und dem laut ausgesprochenen Wunsch passiert, er möge ihnen allen Glück bringen auf der langen Reise, - quittierte er schon aus der Ferne das Auftauchen des Mars nur mit einer abfälligen Handbewegung. Jonischkeit wies er gar nicht erst an einen Kurs allzu nah an dem Roten vorbei zu wählen. Ihm war nach keiner Beschau weiterer Ruinen, nach noch mehr geduckten Bauten, von denen man wusste, dass sie nichts als Leichen bargen. Letzte und unrühmliche Ruhestätte tapferer Raumfahrer, die man besinnungslos benutzt hatte in einem immer wahnhafter werdenden nationalen Wettstreit, um Unwirkliches Wirklichkeit werden zu lassen. Immer wieder sinnentleertes Ziehen lassen von Menschen auf Exkursionen, die keinem konkreten Ziel einer Menschheit auf einer schon wankenden Erde, hätte hilfreich sein können. Zu einem vernichtenden Preis. Längstens hatte da bereits der Heimatplanet dem Leben auf ihm und von ihm, das Kündigungsschreiben ausgestellt gehabt. Und alte Blöcke, bereit zur völligen Auslöschung allen Feindlichen, waren wieder aufeinander losgegangen. Besessen vom Glauben an Siege, berauscht von Macht, betäubt von Ohnmacht, hatten sie den ganzen Planeten an den Rand völliger Zerstörung gebracht.
Der Menschen Wahn, dachte Timur, der sie zu großen Taten berechtigt glaubt. Nur um dann an den Taten zu zermürben, zerbrechen, zerschellen. Und wieder ertappte sich der grau gewordene Kapitän bei der Frage, wie eben diese Menschheit mit jenem herrlichen grünen Mond umgehen würde? Wie mit seiner Bevölkerung? War diese Spezies, - zu der er ja selbst zählte, überhaupt Wert galaktische Rettung zu erfahren? - Musste das nicht ausgehen, wie es schon einmal ausgegangen war? - Wie groß und allmächtig denn noch, musste jene Katastrophe sein und werden, um die Menschen zu etwas zu formen, dem man guten Gewissens den Schlüssel reichen konnte, hinein in eine neue Welt? Nachdem sie jenes Wunder, das man ihnen zuvorderst ausgehändigt hatte, so geschändet hatten, wieder und wieder. So oft und so lange. Wie ein tödliche Krankheit war die Menschheit über den Planten Erde gekommen und sie würden auch ein weiteres Mal ihr zerstörerischen Naturell, nicht schuldig bleiben. Nicht lange und sie würden die kleinen Waldmännlein, die Ureinwohner des Mondes, als minderwertig ansehen, sie beginnen zu unterdrücken und schließlich ausrotten. Die Gier würde sie einander ausnützen und übervorteilen, töten lassen. Das ganze große Rad der Verhängnis, würde sich doch nur von einer Galaxie in die nächste bewegen.
Timur stand auf der Brücke von einem der Bullaugen und starrte auf den roten Mars und seine Winde. Im Auge spiegelte sich seine Fassade – und ihn ekelte dabei. Die Krone der Schöpfung. Er knetete die Nasenwurzel, aber alles was seine Mühe um ein Mehr an Konzentration heraus holen konnte, waren ein Mehr dunkler Gedanken und massiver Einsichten: Alle Lieder, die je gesungen worden waren, alle Musik, die der menschlichen Brust entsprangen und Seelen geweitet hatten. Jeder noble Vers, jeder große Gedanke der nieder geschrieben und gesagt worden war, jede tapfere und mutige Tat. Ja auch jede Liebe die je gefühlt worden war, - waren sie nicht letztlich allesamt geringer gewesen, ohnmächtiger, - als das Verhängnis, das der Menschheit anhaftete?
Er schritt die zwei Stufen hinauf um kommentarlos in seinem Arbeitszimmer zu verschwinden. Nicht mal für Sterling und dessen hochgeworfene Augenbraue ob der verkniffenen Miene des Kapitäns, hatte er mehr einen Moment gehabt.
