Ingeborg Bachmann, meine Schwester - Heinz Bachmann - E-Book

Ingeborg Bachmann, meine Schwester E-Book

Heinz Bachmann

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Beschreibung

Zum 50. Todestag von Ingeborg Bachmann am 17. Oktober 2023 »Sie war ein Wirbel, der nie aufhörte.« Heinz Bachmann, der 14 Jahre jüngere Bruder, war seiner Schwester Ingeborg ihr Leben lang verbunden. Er kannte sie wie sonst niemand, auch als sie längst zur berühmten Dichterin geworden war. Sie liebte ihren Bruder und wollte ihm die Welt zeigen, nachdem sie früh aus Klagenfurt fortgegangen war. Nun legt Heinz Bachmann einen sehr persönlichen Band vor, in dem er aus dem gemeinsamen Leben erzählt, von Wien und Paris bis nach Zürich und Rom. Ingeborgs tragischer Unfalltod und die Trauer, die die ganze Familie erfasste, kommen ebenso zur Sprache wie ihre Dichterfreunde und ihr Schreiben. Mit 40 Fotos aus dem Privatarchiv

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Alle Fotos stammen aus dem Ingeborg Bachmann Fotoarchiv mit Ausnahme des ersten Bildes im Kapitel »Früher Ruhm«: © Nachlass Wolfgang Kudrnofsky

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Covergestaltung: Cornelia Niere München

Coverabbildung: XXXX

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

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Inhalte fremder Webseiten, auf die in diesem Buch (etwa durch Links) hingewiesen wird, macht sich der Verlag nicht zu eigen. Eine Haftung dafür übernimmt der Verlag nicht.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Rom 1973

Frühe Jahre in Klagenfurt und Wien

Früher Ruhm

Meine Schwester die Dichterin

Schwierige Jahre

Mein dreißigstes Jahr

Unterwegs in Europa

Unsere letzten Jahre

Epilog

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Das Buch widme ich Isolde und Sheila, die mich so unterstützt haben.

Rom 1973

Es war unser zweites Jahr im Senegal. Ich arbeitete dort für eine internationale Ölfirma. Am 30. September 1973 landete ich im Rahmen einer Geschäftsreise in Holland, fuhr nach Den Haag und rief, wie es meine Gewohnheit war, vom Hotel aus in Klagenfurt im Elternhaus an. Es meldete sich meine Nichte Christine, die in Klagenfurt zur Schule ging.

»Wie geht es dir?«, fragte ich.

»Ja, weißt du denn nicht …?«, antwortete Christine.

»Was meinst du?«

»Tante Inge ist schwer verletzt mit Brandwunden im Krankenhaus.«

»Wo?«

»In Rom, Mama ist dort, und Oma ist in Kötschach und passt auf Christian auf.«

Meine Erinnerungen an weitere Anrufe und Gespräche mit unserer Mutter in Kötschach und mit meiner Schwester Isolde in Rom sind, als Folge des Schocks, wie in einem Nebel verschwunden. Die einzige Gewissheit damals war, dass die Verletzungen sehr gravierend sein mussten. Die Vorstellung dieser Brandwunden, die Schmerzen und Verzweiflung. Meine Schwester, meine Vertraute, mit der ich alle Probleme teilen konnte. Diese Schwester, die doch meine Frau Sheila und mich bald im Senegal hatte besuchen wollen. An das Ende wollte ich nicht denken, obwohl sich der Gedanke aufdrängte.

Es war schon spätabends, und die Büros meiner Firma waren geschlossen. Ich konnte nichts weiter tun als warten. Es war beklemmend. Ich fühlte mich hilflos. Nach einer schlaflosen Nacht ging ich ins Büro, organisierte einen Flugschein nach Rom, mit offenem Weiterflug nach Dakar. Und man möge meinen Chef im Senegal per Telex informieren, dass ich die Dienstreise abbrechen müsse.

Es muss der 2. Oktober gewesen sein, als ich endlich in Rom landete, ich fuhr mit einem Taxi in die Via Giulia und traf mich dort gegen Abend in Ingeborgs Wohnung mit meiner Schwester Isolde, die ebenso verstört war wie ich. Diese Wohnung kannte ich noch nicht, da Ingeborg sie erst kurz vor meiner Übersiedlung in den Senegal gemietet hatte. Isolde und ich übernachteten in der Via Giulia und blieben dort auch während der folgenden Aufenthalte in Rom.

Isolde erzählte mir, dass Ingeborgs frühere Haushälterin und Vertraute aus der Via Bocca di Leone, Maria Teofili, am frühen Morgen des 27. September nach einem Anruf unserer Schwester in die Via Giulia geeilt war, weil sie sie um eine Brandsalbe gebeten hatte. Ingeborg war mit einer brennenden Zigarette im Badezimmer eingeschlafen und Nachthemd und Umhang hatten gebrannt. Maria veranlasste umgehend den Transport ins Krankenhaus, da sie die gravierende Situation sofort erkannte, daraufhin informierte sie auch den Bekanntenkreis von diesem Unfall.

Mit Fleur Jaeggy, einer sehr jungen Autorin und guten Freundin Ingeborgs, und Roberto Calasso, später Verlagsleiter des Adelphi Verlages, die ich von früheren Besuchen in Rom kannte, fuhren wir am nächsten Tag ins Krankenhaus Sant’Eugenio in einem Außenbezirk Roms, wo Ingeborg auf der Isolierstation für Brandunfälle behandelt wurde. Die Fahrt dauerte schier endlos.

Als Isolde und ich auf der Station ankamen, wo man Brandverletzungen behandelte, war eine Reihe von Telefonen an der Wand zu sehen. Mir wurde gesagt, Ingeborgs einzige Verbindung zur Außenwelt sei eines der Telefone, denn man wollte Infektionen durch den Kontakt mit der Außenwelt verhindern. Nur die Ärzte und das Pflegepersonal hatten Zugang zu meiner Schwester. Ich wurde von einer Krankenschwester angewiesen, welches der Telefone ich benutzen sollte. Ich versuchte Ingeborg etwas Zärtliches zu sagen und auch, dass ich in Rom sei, und fragte, ob sie mir antworten könne. Doch ich hörte nichts, so sehr ich mich bemühte, es kam keine Antwort. Am nächsten Tag wiederholte ich meine Fragen und Bitten am Telefon, mit dem gleichen Resultat – Stille. Es war lähmend und surreal, meine Schwester hinter den Mauern dieses Krankenhauses zu wissen, sie nicht sehen und nichts tun zu können. Wie oft mir die Tränen kamen? Ich weiß es nicht.

Von den Ärzten war wenig zu erfahren, außer dass da ein Problem war. Es gab natürlich auch sprachliche Hürden, denn ich konnte kein Italienisch, und die Ärzte sprachen eher mangelhaft Französisch und Englisch. Isolde und ich waren immer auf Übersetzungen angewiesen. Die Ärzte wollten dringend wissen, ob es irgendwelche Medikamente gab, die unsere Schwester eingenommen hatte. Sie zeigte Entzugserscheinungen, die die Ärzte nicht verstanden, deren Klärung aber bei der Behandlung auf entscheidende Weise hätte weiterhelfen können. Wir suchten verzweifelt nach einem »Schlüsselmedikament« in der Wohnung und fanden außer etwas Mogadon nichts.

Da nicht absehbar war, wie lange sich die Behandlung und immer noch mögliche Genesung Ingeborgs hinziehen könnte, rief ich meine Frau Sheila in Dakar an, ob sie nach Rom kommen könne, um Isolde zu unterstützen. Sie möge das nötige Ausreisevisum beantragen und einen Flug buchen.

Die Kommunikation mit Sheila war schwierig, denn ich musste die Telefonate nach Afrika anmelden und stundenlang warten, bis ich sie endlich erreichte. Es war reine Glücksache, wenn überhaupt eine Verbindung zustande kam.

Ich kehrte am 5. oder 6. Oktober 1973 nach Dakar zurück und schilderte Sheila die Situation. Sie reiste kurz darauf nach Rom und redete die ganze Nacht mit Isolde, die ihr alles Weitere erklärte. Am nächsten Tag traf eine neue Hiobsbotschaft ein, dass Isoldes Mann Franz an den Folgen eines Verkehrsunfalls gestorben war. Isolde war nun mit sechs Kindern allein. Der jüngste Sohn war gerade drei Jahre alt. Isolde und Sheila reisten nach Kötschach, um Franz zu beerdigen.

So war niemand von der Familie in Rom. Wir haben oft darüber gegrübelt, ob Ingeborg das gespürt hat. Bis heute hoffe ich, dass ihr das Gefühl des Verlassenseins erspart geblieben ist.

Gleich nach Franz’ Begräbnis kehrte Sheila alleine nach Rom zurück und traf zufällig am Tag nach ihrer Ankunft im Krankenhaus den Komponisten Hans Werner Henze und eine Frau Heidi Auer, die eine Freundin meiner Schwester war. Frau Auer trat im weißen Kittel auf und gab sich als Ärztin aus.

Am 17. Oktober eilte Sheila früh in die Klinik, wo ein diensthabender Arzt im Vorbeigehen sagte: »Sie ist tot!« Sein anteilnahmsloses Verhalten ist nur so erklärbar, dass er nicht wusste, warum die Familie abwesend gewesen war.

Die einzige Person, die hätte helfen können, war eben diese Frau Auer, Gattin eines Schweizer Modearztes, denn sie hatte meine Schwester über viele Jahre mit verschiedenen Medikamenten »versorgt«. Sie schwieg über die Medikamente und erging sich nach Ingeborgs Tod in absurden Mordhypothesen. Der Name eines vermeintlichen Täters kursierte schon im Freundeskreis, und man wollte, dass wir dies polizeilich anzeigten. Wir weigerten uns. Als eine Mordanzeige einiger römischer Freunde Ingeborgs von der Polizei nach einiger Zeit ad acta gelegt worden war, erfand Frau Auer eine neue Hypothese, die in einem Dokumentarfilm von Peter Hamm noch Jahre später verbreitet wurde. Darin behauptete sie, dass meine Schwester wegen einer angeblichen Drogenabhängigkeit und der damit verbundenen Beziehung zur Mafia ermordet worden wäre. Völlige Verrücktheiten.

Die Lösung kam aus Malta. Ein langjähriger Freund meiner Schwester, Alfred »Freddy« Griesel, Manager des Hilton Hotels in Rom, war dorthin übersiedelt und arbeitete als Direktor des Hilton. Ingeborg hatte damit eine ihrer Stützen verloren.

Die Medikamente, von denen Ingeborg abhängig geworden war, hatten eine völlige Schmerzunempfindlichkeit verursacht. Bei ihrem letztem Besuch auf Malta im Spätsommer 1973, beobachtete Freddy mit Schrecken, dass sie nicht bemerkte, dass ihre glühenden Zigaretten die Finger und andere Körperstellen verbrannten. Das Medikament, das dabei eine kritische Rolle spielte, war Serestra, gestand sie ihm.

Selbst ohne diese Information war klar, dass meine Schwester mit einer brennenden Zigarette im Badezimmer eingeschlafen war. Nachthemd und ein Umhang hatten dabei Feuer gefangen. Aber das interessierte die Mordtheoretiker nicht. Für Freddy Griesel war es unerklärlich, dass Frau Auer geschwiegen hatte. Nach seinen Beobachtungen hätte dieser Unfall jeden Tag passieren können. Er war schockiert.

Sheila rief mich in Dakar an, und ich reiste sofort über Frankfurt nach Rom. Ich war wie betäubt. In der Warteschlange am Frankfurter Flughafen traf ich Siegfried Unseld, den Leiter des Suhrkamp Verlages. Wir beide ahnten nicht, was uns in Rom erwartete.

Isolde hatte die Nachricht von Ingeborgs Tod in Kötschach erreicht, und auch sie reiste so schnell wie möglich wieder nach Rom. Wir waren nun zu dritt, Isolde, Sheila und ich.

Es fiel uns sofort auf, dass zwischen den Freunden Ingeborgs, die unbedingt wollten, dass wir eine Mordanzeige machen sollten, und Freunden, die diese Gerüchte für einen Unsinn hielten, eine unsichtbare Mauer verlief.

Es gab viele Anrufe in der Wohnung, und wir trafen uns bald mit Ingeborgs engem Freund Hans Werner Henze und dem späteren Verleger Roberto Calasso in umliegenden Kaffeehäusern, um die Frage der Mordtheorie zu klären. Wir konnten uns leider nicht einigen. Da es für einen Mord keine Indizien gab und wir uns geweigert hatten, Anzeige zu erstatten, standen wir sogleich im anderen Lager. Für uns wurde diese Situation albtraumhaft.

Eigentlich wollten wir damals Ingeborg auf dem Protestantischen Friedhof an der Aurelianischen Mauer begraben. Das war zweifellos auch der Wunsch ihrer Freunde. Aber wir empfanden unsere Situation inzwischen als eine Art Belagerungszustand wegen der fantasievollen Mordhypothesen einiger Freunde, die uns alle von ihren Varianten zu überzeugen versuchten. Die Hirngespinste, wer den Mord begangen haben sollte, waren abstrus, und die Spannung war nicht mehr auszuhalten. Trauer, Schock und ein unsäglicher Druck lähmten uns. Wir flüchteten aus der Stadt, denn wir wollten Ruhe und Besinnung für uns und wollten ein letztes Mal mit Ingeborg alleine sein.

Wir begruben sie schließlich im engsten Familienkreis auf dem Friedhof Annabichl in Klagenfurt. Dort herrschte Ruhe und Geborgenheit, und uns war Trauer möglich, Trauer, zu der wir in Rom außerstande gewesen waren.

Vor unserer Abreise aus Rom erhielten wir noch einen Anruf von Siegfried Unseld, der uns mitteilte, dass Peter Handke seine Büchnerpreisrede unserer Schwester gewidmet hatte. Uns steckte ein Kloß im Hals, wir waren sprachlos und verstört von all den Ereignissen und verstanden nicht, dass Peter Handke während des Telefonats wohl neben Siegfried Unseld stand. Erst als wir den Hörer auflegten, wurde uns bewusst, dass er wohl etwas Tröstendes hatte sagen wollen.

Mehr kann ich von all dem Drama und Chaos dieser Tage nicht erzählen, ich will Ingeborg in meiner Erinnerung festhalten, wie sie für mich war. Das Fröhliche, Heitere an ihr wird mir bleiben und die Unterstützung, die ich immer von meiner großen Schwester erfahren habe. Die gegenseitige Hilfe in der Familie war stets da. Auch davon soll in diesem Buch die Rede sein.

Wie ich sie nach fünfzig Jahren sehe? Als alter Mann kommt mir dabei immer Heinrich Bölls Nachruf in den Sinn: »Ich denke an sie wie an ein Mädchen.«

Frühe Jahre in Klagenfurt und Wien

Die Familie lebte bis 1933 in einer Mansardenwohnung in der Durchlaßstraße im Norden Klagenfurts. Die Wohnung war klein, und man lebte sparsam auf engem Raum. Der Hausherr war Herr Sablatschan, dessen Name in Ingeborgs Erzählung »Ein Wildermuth« verewigt wird. Andere Kinder gab es in diesem Stadtteil wenige. Es standen nur vereinzelte Häuser in der Gegend.

Trotz der finanziell kargen Jahre unternahmen unsere Eltern abenteuerliche Reisen per Rad nach Italien. Auch ins Heimatdorf unseres Vaters, Obervellach bei Hermagor im Gailtal, fuhr man per Rad. Immerhin an die neunzig Kilometer auf schlechten, nicht asphaltierten Straßen. Wir Kinder saßen auf dem Gepäckträger.