Insel der Götter 1 - Ma Neko - E-Book

Insel der Götter 1 E-Book

Ma Neko

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Beschreibung

Einst lebten Götter, Menschen und Dämonen in einem ewigen Gleichgewicht miteinander und waren sich der anderen Wesen bewusst. Zwischen den Göttern und Dämonen herrschte jedoch ein Krieg, der nur Zerstörung brachte. Die himmlischen Wesen waren nicht bereit, einfach aufzugeben. Mit einem letzten, entscheidenden Schlag gewannen sie die Schlacht. Die Dämonen wurden in die Schatten zurückgedrängt, verloren ihre Kräfte. Aber auch die Götter hatten Opfer bringen müssen.  Nur wenige behielten ihre Kräfte und ihre göttliche Gestalt. Sie verließen das Festland und zogen sich auf eine Insel zurück, die von nun an als die "Insel der Götter" bekannt wurde, um die sich immer mehr Mythen und Legenden rankten. Kazuki kennt die Geschichten, schenkt ihnen jedoch keinen Glauben. Er liebt das Land und die Natur. Als er in den Sommerferien endlich wieder in sein Heimatdorf kann, begegnet er jedoch einem seltsamen Fremden. Shiro weiß viel über diese Legenden. Der Junge kommt und geht, wie es ihm passt, doch bald schon kündigt sich Gefahr an. Was verbirgt Shiro? Wird Kazuki sein Geheimnis herausfinden? Welche Verbindung besteht zwischen ihnen?

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Ma Neko

Insel der Götter 1

Der weiße Fuchs

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorwort

Die sagenumwogende Insel der Götter taucht am Horizont auf und der Legende nach gehen die Götter an Land.

Kazuki, ein einfacher Student, kehrt in sein Heimatdorf zurück und scheint als einziger diese geheimnisvolle Insel wahrzunehmen. Die Begegnung mit dem mysteriösen Shiro wirft ihn völlig aus der Bahn. Er fühlt sich zu dem seltsamen Jungen hingezogen und sehnt jedes Treffen herbei.

Shiro zeigt ihm bald seine Welt und Kazuki merkt schnell, dass so manche Geschichte einen wahren Kern enthält. Was verbirgt Shiro? Welche dunkle Vergangenheit prägt den Jungen? Und was verbindet Kazuki mit ihm?

 

Wichtige Hinweise:

 

Dieses Buch enthält homoerotische Szenen und ist nicht für Leser unter 18 Jahren, sowie homophobe Menschen geeignet.

 

Alle Charaktere sind frei erfunden und eventuelle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind purer Zufall und keine Absicht.

1. Die Legende der Götter

 

Einst lebten Götter, Menschen und Dämonen in einem ewigen Gleichgewicht miteinander und waren sich der anderen Wesen bewusst.

Die Götter, ob in menschlicher Gestalt, der eines Tieres oder als Geistererscheinung, erfüllten ihre Aufgaben gewissenhaft, halfen den Menschen, die ihnen Opfergaben bereiteten, und sorgten dafür, dass die Balance nicht außer Kontrolle geriet.

Die Dämonen waren die Unruhestifter der Natur, führten die Menschen in Versuchung und stellten ihren Willen auf die Probe. Die Kräfte zwischen Götter und Dämonen hielten sich in der Waage. Keine Art dominierte, auch wenn die Machtverhältnisse leichten Schwankungen unterlagen.

Die Menschen vertrauten den Göttern und je nach Region beteten sie andere Wesen an, baten um Hilfe und Frieden.

Doch dieser fragile Frieden konnte nicht auf ewig erhalten bleiben. Dämonen strebten nach Macht, wie es ihrer Natur entsprach. Sie verführten die Menschen, flüsterten ihnen Verlockungen ins Ohr, die deren reine Seele verdarben, sodass sie sich von den himmlischen Wesen abwandten und zu Handlangern der dunkeln Wesen wurden.

Die Götter, die den Glauben der Menschen brauchten, um Macht zu haben, verloren allmählich an Kraft. Dunkelheit zog über das Land, verdarb die einst unschuldigen Seelen und brachte Hass, Chaos und Krieg mit sich.

 

Zwischen den Göttern und Dämonen herrschte ein Krieg, der nur Zerstörung brachte. Die geschwächten himmlischen Wesen konnten den Schaden nicht verhindern. Doch sie waren nicht bereit, einfach aufzugeben. Mit einem letzten, entscheidenden Schlag gewannen sie die Schlacht. Die Dämonen wurden in die Schatten zurückgedrängt, verloren ihre Kräfte. Aber auch die Götter hatten Opfer bringen müssen. Nur mit vereinten Kräften hatten sie die Herrschaft der Dunkelheit verhindern können, aber selbst ihre Fähigkeiten eingebüßt.

Viele verloren ihre irdischen Körper und kehrten in die andere Welt, ihre „Heimat“ zurück. Einige andere gaben ihre göttlichen Kräfte auf und fristeten noch ihre nunmehr begrenzte Lebenszeit als Mensch oder Tier, ehe auch sie die Reise ins Jenseits antraten. Nur wenige behielten ihre Kräfte und ihre göttliche Gestalt. Da die Schreine und Tempel, in denen sie lebten, zum größten Teil zerstört worden waren und auch die Menschen begonnen hatten, ihre Beschützer zu vergessen, verließen sie das Festland und zogen sich auf eine Insel zurück, die von nun an als „die Insel der Götter“ bekannt wurde, um die sich immer mehr Mythen und Legenden rankten.

 

Die Menschen eroberten das Land, machten sich die Natur zu Untertan und der Fortschritt veränderte die Landschaft. Wo einst kleine Dörfer mit Wäldern waren, standen nun große Städte. Straßen zogen sich durchs ganze Land und nur mehr wenige Flecke Natur waren unberührt geblieben.

Doch auch heute existierte noch diese sagenumwobene Insel. Zumindest glaubten viele daran, dass es sich darum handelte. Die schwimmende Insel verschwand immer wieder und tauchte an den unterschiedlichsten Orten auf. Kein Wissenschaftler konnte sich dieses Verschwinden und wieder Erscheinen erklären und niemand konnte vorhersagen, wo sie als nächstes auftauchte.

Pilger, Gläubige und einfache Touristen ließen sich jedoch mit dem Schiff übers Meer bringen, wenn diese Insel gesichtet wurde. Sie bestaunten die unberührte Natur, beteten in den Tempeln und so manch einer suchte nach den legendären Schutzgöttern. Doch niemand blieb je über Nacht. Sobald der Tag sich dem Ende neigte, verließ jeder Mensch diesen Ort, als würde eine seltsame Macht ihn dazu zwingen.

2. Rückkehr

 

Er atmete tief durch und betrachtete das Meer, das sich vor ihm erstreckte. Er mochte den salzigen Geruch, der in der Luft lag. Das Dorf am Fuße des Hügels wirkte noch verschlafen. Er lächelte leicht. Es fühlte sich immer wieder schön an, nachhause zu kommen. Viele seiner Freunde an der Uni verstanden ihn nicht recht. Sie mochten die Stadt und störten sich nicht an dem Lärm. Aber Kazuki war anders. Er war ein Naturbursche. Das war er schon immer gewesen. Ursprünglich hatte er mit seinen Eltern in der Stadt gelebt. Dort war er auch aufgewachsen, aber sie hatte ihn unglücklich gemacht. Etwas hatte ihn schon immer ins Grüne gezogen. Er hatte es geliebt, die Sommer bei seinen Verwandten zu verbringen. Seine Eltern hatten gemerkt, dass ihr verschüchterter, introvertierter, unglücklicher Junge in der unberührten Natur förmlich aufblühte. Dies hatte für sie nur eine mögliche Konsequenz gehabt. Kazuki war dauerhaft zu seinen Verwandten aufs Land gezogen, hatte eine dortige Schule besucht und sich auch mit den beschränkten Möglichkeiten arrangiert. Seine Eltern hatten ihn oft besucht, anfangs täglich und irgendwann nur mehr wöchentlich mit ihm telefoniert. Das hatte dem jungen Entdecker viel glücklicher gemacht, als er zu hoffen gewagt hatte. Doch jetzt, wo er die Schule abgeschlossen und ein Biologiestudium begonnen hatte, musste er zwangsläufig wieder in die Stadt. Er arbeitete nebenbei, um sich noch etwas dazuzuverdienen, wodurch seine Freizeit und somit auch die Zeit, Trübsal zu blasen, relativ beschränkt war.

Doch jetzt nach wochenlangem Pauken und gefühlten Jahren in der Stadt war er endlich wieder zurück am Land. Regelrecht beschwingt hatte er die letzte Prüfung für dieses Semester hinter sich gebracht. Dann war er sofort nachhause, hatte seine Sache gepackt und war zum Bahnhof geeilt. Er war in den Zug gesprungen und konnte während der gesamten Fahrt kaum stillsitzen. Gebannt hatte er aus dem Fenster gestarrt und die vorbeiziehende Landschaft beobachtet. Dass sein Verhalten auf manche Fahrgäste befremdlich gewirkt hatte, hatte ihn wenig gestört. Er war noch nie so lange weggewesen. Die Sehnsucht nach der freien Natur war stärker denn je.

Er ließ seinen Blick schweifen, betrachtete die umliegenden Wälder und bewunderte den doch so vertrauten Anblick. Sein Herz hüpfte höher und er spürte regelrecht, wie er zur Ruhe kam. Er schloss die Augen und lauschte. Kaum wahrnehmbar hörte er das Meeresrauschen. Der Wind wehte leicht und ließ ein paar Blätter rascheln. Vögel sangen ihr Lied und sogar die Stimmen aus dem Dorf wurden bis zu ihm getragen. Er öffnete die Augen wieder und wollte sich zu seinem Koffer bücken, der zu seinen Füßen stand, als er innehielt. Sein Blick richtete sich wieder gen Horizont. Er schirmte seine Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht. Dort in der Ferne entdeckte er schemenhaft einen Schatten wie von einer Insel. Eine schwimmende Insel? So etwas gab es schon mal.

Sofort schoss ihm die Geschichte über die ‚Insel der Götter‘ in Erinnerung. Seine Großmutter hatte ihm oft davon erzählt, als er noch ganz klein gewesen war. In diesem Dorf kannte so gut wie jeder die Geschichte. Die älteren Männer und Frauen glaubten sogar noch felsenfest daran, auch wenn irgendwie niemand erklären wollte, warum an dieser Überzeugung nicht zu rütteln war. Aber seine Generation stand dem Ganzen eher skeptisch gegenüber. Er wusste, dass viele Phänomene, die sich die Menschen früher einfach nicht hatten erklären können, diesen himmlischen Wesen zugeschrieben hatten. Oder eben deren Pendants. Je nachdem.

Kazuki schüttelte den Kopf über sich selbst und fuhr sich durch seine rötlichen Haare. Früher hatte er diese Geschichten alle geglaubt. Heute war er nicht mehr so leichtgläubig. Auch wenn er sie irgendwie nicht alle einfach als Ammenmärchen abtun wollte. Besonders die Geschichte über die ‚weißen Füchse‘ hatte es ihm angetan. Schutzgötter, die die Gestalt weißer Füchse annehmen konnten. Sie sollten Gestaltwandler gewesen sein, die allerhand Tricks beherrscht hatten. Ihr Schrein lag in einem tiefen Wald verborgen. Ein Mensch konnte sich aufmachen, diesen zu suchen. Wenn er nicht auf die Streiche und Illusionen der weißen Götter hereinfiel und sich bewies, würde sich ein weißer Fuchsgeist an ihn binden, ihn schützen und ihm ewiges Glück bescheren.

So hatte es ihm zumindest seine Großmutter erzählt. Kazuki wusste nicht, ob sie ihm das erzählt hatte, weil sie es auch fest glaubte, oder weil sie dachte, die Geschichte würde ihm gefallen. Er erinnerte sich noch daran, wie er die nächsten Tage und Wochen immer wieder in den Wald gelaufen war und nach den Fuchsgeistern gesucht hatte. Letztendlich hatte er zwar einen Fuchs gefunden, aber dieser war rot gewesen und hatte ihn fauchend wieder verjagt.

Er schüttelte die Gedanken ab. Warum fielen ihm gerade jetzt wieder diese alten Lamellen ein? Schnell wandte er sich vom Anblick der geisterhaften Insel ab, nahm seinen Koffer und ging den Weg zum Dorf hinunter. Er grüßte auf seinem Weg die Dorfbewohner, die auf den ersten Blick immer fröhlich und fleißig wirkten. Das lag am göttlichen Einfluss, hatte seine Großmutter ihm einmal erklärt. Er konnte zwar nicht mehr wirklich an die himmlischen Wesen glauben, aber er verstand das Verhalten seiner Mitmenschen. Sie lebten in dem Glauben, wenn sie gut und fleißig waren, wurden sie von den Göttern belohnt. In anderen Kulturkreisen nannte man das schlichtweg Karma. Tu was Gutes, dann geschieht dir auch was Gutes. Die Götter waren für ihn nur mehr ein Sinnbild. Etwas, woran man glauben konnte, das es aber nicht wirklich gab. Zumindest nicht in der Form, dass ein lebender Mensch vor einem stand.

 

„Kazuki! Du hast dich aber lange nicht mehr blicken lassen.“, rief Sumi und winkte aufgeregt mit beiden Armen. Kazuki hob die Hand nur kurz, um ihr zu deuten, dass er sie gesehen und gehört hatte. Aber eine Antwort bekam seine alte Freundin erst, als er näher war.

„Ich hatte doch Prüfungen. Da konnte ich nicht einfach mal verschwinden.“, erklärte er schulterzuckend und zeigte gleichzeitig, dass er diesen Umstand ebenso bedauerte wie sie.

Sumi ging nicht näher darauf ein. Stattdessen machte sie einen Satz und schlang ihre schlanken Arme um seinen Hals. Fest drückte sie ihren Sandkastenfreund an sich. Kazuki erwiderte die Umarmung und lächelte leicht. Sumi war schon immer jemand gewesen, der den Körperkontakt suchte. Es war, als würde sie ständig von anderen Menschen Energie brauchen, ansonsten konnte sie gar nicht überleben. Kazuki hatte das eine Zeitlang ziemlich gestört, doch dann hatte er es einfach akzeptiert. Er erinnerte sich, wie sie vor etwa zwei Jahren mal eine Weile nicht miteinander geredet hatten. Kazuki hatte von seinen Mitschülern immer zu hören bekommen, dass er in Sumi verknallt sei und deswegen keine Freundin hatte. Er hatte das zwar abgestritten, doch irgendwann hatte er geglaubt, wenn alle das sagten, könnte etwas Wahres an der Sache sein. Sie hatten sich geküsst. Lange. Hatten Zärtlichkeiten ausgetauscht. Doch Kazuki war einfach das Gefühl nicht losgeworden, dass es nicht richtig war. Als er seiner Freundin unverblümt seine Meinung mitgeteilt hatte, war die erst mal sauer davongeeilt. Zwei Wochen lang waren sie sich aus dem Weg gegangen und wenn sie sich mal begegneten und zwangsweise miteinander zu tun hatten, hatten sie sich unbehaglich angeschwiegen. Nach genau zwei Wochen hatte Sumi dann auf ihre direkte Art erklärt, dass das so nicht weitergehen konnte. Sie hatten sich ausgesprochen. Kazuki hatte ihr genau erklärt, was er gemeint hatte. Letztendlich waren sie wieder nur Freunde geworden.

Sumi löste sich von ihrem großen Freund und grinste ihn breit an.

„Na, wie sieht es aus? Endlich eine Freundin gefunden, die dich in die Stadt bringt?“, hakte sie nach und zwinkerte. Kazuki schüttelte den Kopf darüber.

„Nein, ich bin wieder Single. Das mit Ami hat einfach nicht geklappt.“, antwortete er und ließ sich von seiner Freundin die ganze Geschichte aus der Nase ziehen, während sie gemütlich am Hafen entlangspazierten.

Automatisch glitt Kazukis Blick gen Horizont. Fast sehnsüchtig betrachtete er die glatte Meeresoberfläche und hoffte auf einen erneuten Blick auf diese geheimnisvolle Insel.

„Was guckst du so angestrengt aufs Meer?“, wollte Sumi wissen.

Kazuki verzog die Lippen.

„Auf dem Hügel habe ich vorhin was gesehen. Vermutlich eine von diesen wandernden Inseln.“, erklärte er knapp.

„Oh, du hast also die ‚Insel der Götter‘ gesehen? Du Glückspilz! Aber in letzter Zeit habe ich schon öfter Leute davon reden hören. Meine Großmutter hat mir erzählt, wenn die Insel so nah am Festland erscheint, gehen die Götter an Land.“, erwiderte Sumi und kicherte.

„Ob ich so einem hübschen Gott begegne? Vielleicht nimmt er mich ja auf ihre Insel mit.“, fügte sie scherzend hinzu, seufzte aber im nächsten Moment sehnsüchtig.

„Warum sollte ein ‚hübscher Gott‘ ausgerechnet dich auf seine Insel mitnehmen?“, entgegnete Kazuki neckend und wich zur Seite, um dem stoßenden Ellbogen zu entkommen.

Sie plänkelten herum und hatten ihren Spaß.

Plötzlich hielt Kazuki inne und drehte sich um. Die Hafenarbeiter schafften ihren Fang von Bord und manche sangen sogar fröhliche Seemannslieder, auch wenn kaum jemand den richtigen Ton traf.

Kazuki kniff die Augen zusammen. Hatte er sich das eingebildet? Er könnte schwören, ein Kind gesehen zu haben. Doch schnell schüttelte er diese Gedanken ab. Sein Verstand spielte ihm wohl schon Streiche. Kein Wunder, hatte er ihn doch in letzter Zeit zu sehr beansprucht und kaum Pausen gemacht. Schnell folgte er seiner alten Freundin und sie trafen sich mit der restlichen Clique.

 

3. Begegnung

 

Bereits ein paar Tage war Kazuki wieder zuhause. Er hatte sich viel mit seinen alten Freunden getroffen, jeden so ziemlich auf den neuesten Stand gebracht und sich über die Vorgänge im Dorf erkundigt. Seit seinem letzten Besuch war eine alte Frau verstorben, die ohnehin nicht mehr viel vom Leben gehabt hatte und ein Arbeiter war spurlos verschwunden. Das Verschwinden hatte die Dorfbewohner in eine seltsame Unruhe versetzt, aber inzwischen hatten sich die meisten wieder beruhigt und anderen Dingen zugewandt. Der Arbeiter hatte keine Familie gehabt und als Einzelgänger gegolten. Deshalb gab es nicht viele, die ihn vermissten, auch wenn man immer noch nach ihm suchte. Besonders die ältere Generation hatte sich große Sorgen gemacht. Doch nach Wochen war es immer noch der einzige Vorfall geblieben. Deshalb hatte bald schon niemand mehr an etwas Übernatürliches geglaubt. Inzwischen gingen die meisten davon aus, dass er einfach sang- und klanglos abgehauen war, weil er keine Lust mehr gehabt hatte.

 

Kazuki machte sich auf den Weg. Er hatte den ganzen Vormittag im Haus geholfen. Nun wollte er endlich seine geliebte Natur erkunden. Schon so lange hatte er darauf gewartet. Jetzt wollte er wieder seinen Lieblingsort besuchen. Er bestieg gemächlich den Hügel. Er hatte keine Eile. Seit er wieder hier war, hatte ihn eine tiefe Ruhe erfasst. Hier fand er inneren Frieden. Auch wenn er dieses Gefühl, etwas Bestimmtes zu suchen, nie ganz loswurde. Er starrte auf den Kiesweg vor sich, während er in Gedanken versunken versuchte dieses Gefühl näher zu ergründen. Was suchte er eigentlich? Hatte er vor Jahren etwas verloren, an das er sich einfach nicht mehr erinnern konnte, sein Herz aber noch hing? Er seufzte und blickte hoch. Am Gipfel des kleinen Hügels lag der Stamm eines alten Baumes, der einen heftigen Sturm nicht überstanden hatte. Von hier oben hatte man den wundervollsten Ausblick, aber kaum jemand kam hierher. Warum konnte Kazuki nicht sagen, aber er war froh über diese Tatsache.

Heute jedoch entdeckte er, dass jemand seinen einsamen Rückzugsort besetzte. Auf dem umgefallenen Baumstamm saß eine Gestalt. Kazuki konnte unmöglich sagen, ob Junge oder Mädchen. Aber egal, welches Geschlecht diese Person hatte, sie schien unglaublich jung. Fast erschien es dem jungen Studenten, als würde die blasse Haut der Fremden leuchten. Langsam näherte er sich der jüngeren Person.

Diese wurde auf ihn aufmerksam und drehte den Kopf. Ein breites Grinsen zierte das junge Gesicht. Die violetten Augen blitzten schelmisch und neugierig.

„Hallo!“, brach der Fremde als Erster das Schweigen. Seine oder ihre Stimme hatte einen schönen Klang und schien Kazuki sanft zu streicheln. Erstaunt musterte er die Gestalt, die keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale aufwies. Die Statur war schmächtig und der schlanke Körper steckte in einfachen Leinenhosen und T-Shirt. Das Gesicht wirkte wie das eines Engels. Kazuki konnte beim besten Willen nicht das Alter einschätzen. Der Junge zumindest nahm er an, dass es ein Junge war – könnte erst 13, 14 Jahre alt sein, genauso gut könnte er auch bereits volljährig sein.

Kazuki merkte, dass er ziemlich starrte. Andere würde das wohl stören, aber dem Fremden schien es zu amüsieren. Er wandte sich wieder um und betrachtete erneut den Horizont.

„Hier ist es so friedlich.“, gab er von sich, mit dieser kindlichen Faszination, die ihn extrem jung wirken ließ. Kazuki mochte den Fremden irgendwie. Er näherte sich der zierlichen Gestalt und setzte sich neben den Fremden, allerdings mit dem Rücken zum Meer. Er schloss die Augen und gab einen bestätigenden Laut von sich.

„Was machst du hier? Ich habe dich noch nie hier gesehen.“, hakte Kazuki nach. Der Junge streckte sich ausgiebig. Sein Shirt hob sich und zeigte einen Streifen weißer Haut. Kazuki linste zu ihm. Ein Junge, ganz klar.

„Ich suche jemanden.“, antwortete der Fremde schließlich.

„Ah, deine erste Liebe, nicht wahr? Ihr habt euch vor Jahren aus den Augen verloren und jetzt willst du sie wiederfinden und ihr deine Gefühle gestehen.“, scherzte Kazuki und kicherte bei dieser klischeehaften Vorstellung. Auch der Fremde kicherte, doch es schwang eine leicht traurige Note darin mit.

„So ungefähr. Sie ist nicht freiwillig gegangen. Ich kenne ihren Namen nicht mehr. Vielleicht würde sie mich nicht mal mehr erkennen.“, erzählte der fremde Junge bereitwillig. Kazuki empfand Mitleid. Der Junge hatte diesen Blick, der so wirkte, als wäre er bereits ein alter Mann.

„Zuhause hatte sie es nicht leicht. Sie hatte Probleme. Und die Freundschaft mit mir hat es nicht besser gemacht. Wir wollten gemeinsam verschwinden, aber dann… In der Nacht, bevor wir weglaufen konnten, … Ich habe ihr beim Abschied versprochen sie zu suchen und zu finden. Und dann würde ich sie heiraten.“, fuhr der Fremde ungefragt fort. Kazuki überlegte, was der Junge an der Erzählung verschwiegen haben könnte, aber er hatte keine Ahnung.

„Und du glaubst, du würdest sie hier finden?“, hakte er stattdessen nach und lächelte leicht. Der Junge sah ihn ebenso mit einem Lächeln an. Kazuki verlor sich in den violetten Augen. Welch ungewöhnliche Farbe!

„Ich spüre es.“, hauchte der Fremde. Die Worte wurden vom Wind fortgetragen, der auch sein langes, braunes Haar sanft wog.

„Aber ich weiß nicht, wie ich sie erkennen kann.“, fügte er traurig hinzu.

„Du musst doch nur etwas herumfragen. Sag einfach, du suchst sie. Die Leute im Dorf werden dir schon helfen. Tratsch verbreitet sich schnell und auch so etwas wird schnell weitererzählt. Irgendwann wird sie es schon hören.“, meinte Kazuki, doch der Vorschlag wurde mit einem Kopfschütteln abgelehnt.

„Sie kennt meinen richtigen Namen nicht. Sie hat mir einen gegeben. Aber nach all der Zeit hat sie diesen vermutlich wieder vergessen.“, erklärte er.

Eine Weile dachte Kazuki darüber nach.

„Wie heißt du eigentlich?“, hakte er schließlich nach.

„Mein Name ist mein Heiligtum. Den wahren Namen verrät man nicht einfach so weiter.“, gab der Junge von sich und zwinkerte ihm zu.

„Und wie soll ich dich dann sonst nennen?“, bohrte der Rothaarige nach.

„Gib mir einen Namen!“, forderte der Junge ihn auf. Kazuki wunderte sich darüber. Einem Fremden einen Namen zu geben war nicht leicht. Und warum überhaupt? Der Junge wurde immer seltsamer. Aber Kazuki entschloss sich, das als Spiel zu sehen.

„Gut, dann nenne ich dich… Shiro.“, entschied er. ‚Shiro‘ bedeutete weiß. Er fand den Namen passend, auch wenn er keine rechte Ahnung hatte, woher dieser Einfall gekommen war.

Der Junge zuckte kaum merklich zusammen und seine Augen weiteten sich leicht. Er musterte Kazuki, sah ihn durchdringend an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Doch dieser Moment der Fassungslosigkeit verflog so schnell wie er gekommen war. ‚Shiro‘ grinste ihn breit an.

„Okay. Dann ist das ab sofort mein Name.“, gab er fröhlich von sich.

Kazuki musterte ihn nachdenklich. Was hatte diese Reaktion zu bedeuten?

 

4. Shiro

 

Kazuki dachte lange über Shiro nach. Aber letztendlich wurde er nicht schlau aus diesem Jungen. In den nächsten Tagen erkundigte er sich im Dorf nach ihm. So ein seltsamer Junge musste den Bewohnern doch aufgefallen sein. Aber Fehlanzeige! Niemand konnte ihm etwas dazu sagen. Der eine oder andere hatte zwar einen Jungen gesehen, auf dem diese Beschreibung passte, aber niemand hatte sich näher mit ihm beschäftigt. Auch seine Freunde konnten nichts dazu sagen.

„Vielleicht ist er ja ein Geist. Eine Seele, die die ‚Insel der Götter‘ verlassen hat.“, scherzte Sumi. Kazuki verdrehte bei dieser Aussage nur die Augen. Er ging immer wieder zu seinem kleinen Rückzugsort, doch Shiro tauchte dort nicht mehr auf. Kazuki dachte lange nach, analysierte das Gespräch mit dem seltsamen Jungen immer wieder und stellte fest, dass dieser ihn faszinierte. Er wollte mehr von ihm wissen. Dessen Geheimnis ergründen.

 

Genau eine Woche nach ihrer ersten Begegnung saß Shiro wie damals erneut am Baumstamm und starrte in die Ferne. Kazuki verharrte in der Bewegung und musterte einfach nur das Bild vor sich. Shiro wirkte nicht wie von dieser Welt. Kazuki spürte, wie sein Herz ruhiger schlug. Er war wieder mit sich im Einklang.

„Meine Freunde halten dich für einen Geist.“, brach er sein Schweigen und trat näher an den merkwürdigen Jungen heran. Dieser wandte den Kopf zu ihm und grinste breit. Diese Vorstellung schien ihn zu amüsieren.

„Was halten sie noch so von mir?“, hakte er neugierig nach.

„Nicht viel, weil dich niemand näher kennt. Wo wohnst du eigentlich?“, gab Kazuki von sich, während er sich neben Shiro niederließ. Dieser wandte den Blick, schien sich zu orientieren und streckte schließlich den Arm aus.

„In dem Café dort.“, antwortete er. Kazuki folgte der Richtung mit den Augen und entdeckte das besagte Gebäude. Er runzelte die Stirn. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche, aber dieses Café war ihm nie aufgefallen.

„Ist das neu?“, fragte er sich und stellte auch Shiro diese Frage.

„Wer weiß.“, gab dieser nur kichernd von sich und stand auf. Kazuki fühlte die Enttäuschung in sich aufwallen. Wollte Shiro schon wieder gehen, wo er doch gerade erst gekommen war. Doch der Junge streckte ihm die Hand entgegen. Kazuki ergriff sie und ließ sich hochziehen. Shiro ließ seine Hand nicht wieder los. Stattdessen führte er ihn in Richtung Wald.

„Früher haben hier viele Füchse gelebt.“, meinte Shiro in einem Ton, als wäre es der Anfang einer aufregenden Geschichte. Kazuki sah auf seine Hand, die Shiros fest umschlossen hielt. Fester als notwendig.

Shiro führte sie tief in den Wald, hüpfte über Wurzeln und Steine und duckte sich unter Ästen hindurch. Den Weg hatten sie schon lange verlassen.

„Wo bringst du mich hin?“, hakte Kazuki schließlich nach, als er seine Neugier nicht mehr zügeln konnte. Shiro drehte sich zu ihm um, grinste aber nur verschwörerisch. Dann duckte er sich unter den nächsten Ast hindurch. Schließlich schob er das Geäst auseinander und blickte erwartungsvoll zu seiner Begleitung.

Erstaunt betrachtete Kazuki den halbverfallenen Schrein. An den Wänden zierten unzählige Symbole und vor allem Füchse das kleine Denkmal. Obwohl das kleine Häuschen seine besten Zeiten hinter sich hatte, strahlte es immer noch eine mysteriöse Aura aus, die in Kazuki Ehrfurcht hervorrief. Shiro hingegen schien davon wenig beeindruckt. Er ließ die Hand des Größeren los und ging auf den Schrein zu. Er kletterte auf die Veranda und fuhr mit einer Hand die Verzierungen entlang.

Kazuki wunderte sich, dass er diesen Schrein bei seinen Erkundungstouren nie entdeckt hatte. Er ging langsam näher und musterte ebenfalls die Verzierungen, die Geschichten zu erzählen schienen.

„Ist das der Schrein der ‚weißen Füchse‘?“, fragte er leise, als wolle er den Frieden hier nicht stören.

„Ein Schrein. Es gab zwar nur einen Clan der weißen Füchse, aber die Familie war groß.“, korrigierte Shiro ihn grinsend.

„Die weißen Füchse zählten zu den Schutzgottheiten. Sie konnten sich an Menschen binden, um ihre Schwächen auszumerzen. Andere Götter konnten das nicht. Und unter den Schutzgöttern waren die weißen Füchse die Stärksten.“, gab er weiter Auskunft. Er strich über den Kopf eines Fuchses, wobei sein Ärmel etwas zurückrutschte und ein Perlenarmband zum Vorschein kam. Die Perlen waren weiß und schwarz.

„Schwächen?“, hakte Kazuki nach, während er weiterhin das Armband musterte.

„Götter besitzen keine eigene Seele und ihre Gefühle sind lediglich die Spiegelung der Menschen. Zumindest ist das bei Reinblutigen so. Götter sind zwar unsterblich, aber nicht unbesiegbar. Wenn sie zu stark verletzt werden, kann es sein, dass der Hass, der Zorn, die Angst und die Wut sie innerlich zerfressen und sie zu blutrünstigen Dämonen werden lässt. Wenn sie aber eine Verbindung mit einem Menschen eingehen, kann die menschliche Seele diese zerstörerischen Gefühle verarbeiten.“, erklärte Shiro, krabbelte auf alle Viere und öffnete die kleine Tür zum Inneren. Ein Fuchs könnte dort wohl hineinschlüpfen, aber für einen Menschen würde es eng werden.

Shiro wollte scheinbar ins Innere. Kazuki wollte ihn im ersten Moment aufhalten, streckte bereits die Hand nach ihm aus, hielt dann aber inne. Ihn ergriff eine seltsame Furcht. Als würde sich Shiro wie ein Geist in Luft auflösen, wenn er ihn berührte. Dass er vorhin dessen Hand gehalten hatte, ließ er allerdings vollkommen außer Acht.

Shiro zog den Kopf wieder heraus und musterte den nachdenklichen Kazuki.

„Ich mag deine Augen.“, gab er plötzlich von sich. Kazuki zuckte zusammen und blinzelte einige Male. Er musterte Shiro, der ihn breit angrinste. Mit einem Mal drehte er sich um und sprang von der kleinen Veranda. Kurz wandte er sich nochmal zu Kazuki um, grinste breit und winkte, dann verschwand er in den dunklen Wald.

Kazuki blieb alleine zurück und sah ihm hinterher. In seiner Brust zog sich etwas zusammen. Warum verschwand Shiro einfach wieder? Er verstand diesen seltsamen Jungen einfach nicht. Wie sollte er auch, gab ihm der Fremde nur Rätsel auf. Einerseits kannte niemand diesen Jungen, andererseits kannte der Fremde jede Geschichte dieser Gegend und wusste scheinbar um jedes Geheimnis Bescheid. Kazuki seufzte. Gleichzeitig beschloss er, dass er Shiro näher kennenlernen wollte. Das nächste Mal würde er ihn nicht einfach gehen lassen.