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Als Beraterin für Wellness, Kosmetik und mehr steht die resolute Ruhrpott-Lady Siggi bei den Sylter Frauen hoch im Kurs. Doch nach einer Verkaufsparty entdeckt Siggi in ihrem Koffer ein menschliches Skelett! Sofort ruft sie Kommissar Christiansen dazu. Als er endlich eintrifft, ist das Skelett verschwunden. Hat Siggi sich den schrecklichen Fund etwa nur eingebildet, wie ihr Lebensgefährte Törtchen und der Kommissar vermuten? Das kann nicht sein! Siggi beginnt nachzuforschen und trifft auf eine exzentrische Gräfin, geheimnisvolle Runen - und ein furchtbares Geheimnis ...
Eine große Schnauze, ein noch größeres Herz und kriminalistischer Spürsinn - begleiten Sie Siggi bei ihrem nächsten Fall auf der traumhaft schönen Nordseeinsel Sylt!
eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!
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Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Weitere Titel der Autorin
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Der falsche Koffer
Ei, ei, ei, die Polizei
Eine schockierende Entdeckung
Gewürzgurken sind aus
Überraschender Besuch
Noch mehr Überraschungen
Ein Spürhund nimmt Fährte auf
Frau Gräfin lässt bitten
Wir übernehmen jeden Fall
Ein erster Hinweis
Auch mit Spesen nichts gewesen
Kunst kommt von »Können«
Geschüttelt, nicht gerührt
Eine schicksalhafte Begegnung
Ein Knochenjob
Zeichen
Siggi gibt nicht auf
Das Leben ist nichts für Feiglinge
Siggi macht die Pferde scheu
Schluss mit lustig
Siggi in Nöten
Gefahr im Verzug
Die Falle schnappt zu
Aus dem Ruder gelaufen
Es wird brenzlig
Der ultimative Verrat
Ende gut?
Alles gut
Happy End im Doppelpack
Danksagungen
Leseprobe
Inselmord und Krabbencocktail. Siggi ermittelt auf Sylt
Siggis Selbständigkeit als Beraterin für Wellness und mehr ist erfolgreich angelaufen. Nach einem ihrer Termine in einem Sylter Hotel findet die resolute Ruhrpott-Lady in ihrem Koffer jedoch nicht ihre Verkaufsartikel, sondern ein Skelett! Doch als Kommissar Christiansen eintrifft, liegen dort wieder Kosmetika, Dessous und Vibratoren ... Hat sie sich den Skelettfund nur eingebildet, wie ihr Lebensgefährte Törtchen und der Kommissar vermuten? Das kann nicht sein! Siggi beginnt nachzuforschen und trifft auf eine exzentrische Gräfin, geheimnisvolle Runen und schließlich auf ein furchtbares Geheimnis ...
In Westfalen zu einer Zeit geboren, als Twix noch Raider hieß, in Fernseh-Talkshows noch geraucht wurde und Frauen noch die Erlaubnis ihres Ehemannes brauchten, um zu arbeiten, entdeckte Dorothea Stiller schon früh ihre Liebe zu guten Büchern und begann auch bald, eigene Geschichten zu schreiben. Auf in Schulhefte gekritzelte Machwerke folgten Kurzgeschichten und Fan-Fiction und schließlich ihr erster Roman. Auf ein Genre festlegen möchte die Autorin sich nicht. Sie schreibt zeitgenössische Liebesromane, Historische Romane, Krimis und – als Katharina Stiller – Jugendbücher für Mädchen.
DOROTHEA STILLER
Siggi ermittelt weiter auf Sylt
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dorothee Cabras
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Birgit Gitschier, Augsburg unter Verwendung von Motiven von © Wallenrock/shutterstock; © robert_s/shutterstock; © jocic/shutterstock; © In-Finity/shutterstock; © Yuriy Kulik/shutterstock; © ThomBal/shutterstock; © Yana Alisovna/shutterstock; © Apple Art/shutterstock
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-0220-1
Dieses eBook enthält eine Leseprobe des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes »Inselmord und Krabbencocktail« von Dorothea Stiller.
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Für meine liebe Cousine Kristin
Hoffentlich vergnügliche Lesestunden!
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Siggi betrachtete die Abscheulichkeit, die Torsten im Hausflur abgestellt hatte.
»Was denn?« Sein Blick verriet, dass er keine Ahnung hatte, was er falsch gemacht haben könnte. »Du wolltest einen neuen Koffer, und ich hab dir einen mitgebracht.«
»Aber doch nicht so einen!« Sie schüttelte den Kopf.
»Wieso? Was passt dir denn daran nicht?«
»Da weiß ich ja gar nicht, wo ich anfangen soll, Törtchen. Silber! Und diese Riffel! Das sieht aus, als würde ich ’nen Heizkörper durch die Gegend ziehen. Das Ding ist potthässlich.« Siggi fuhr sich mit den Händen durch die blondierte Mähne. »So kann ich unmöglich zu der Veranstaltung am Sonntagabend. Ich habe doch diese Girlfriendz-Party im Hotel Widmans Hof in Morsum.«
»So ein Quatsch. Der Koffer ist super. Guck doch mal.« Torsten klopfte mit den Fingerknöcheln dagegen. »ABS-Polycarbonat-Schale. Der hält ewig.«
»Steht zu befürchten«, murmelte Siggi und verdrehte die Augen.
»Ach, jetzt schmoll nicht. Der ist astrein. Hier, guck mal. Die Rollen, Zwillingsrollen, gummiert und dreihundertsechzig Grad drehbar, mit Feststellbremse, damit er dir nicht abhauen kann. Und die Griffe. Mit Gelpads, dann quetschst du dir nicht so die Flossen beim Hochheben. Das ist ein Superteil, megageräumig, mit Sicherheits-Zahlenschloss und all so ‘n Pipapo. Vom Feinsten. Und günstig war er auch.«
»Ich weiß. Kommt ja auch aus dem Discounter deines Vertrauens.« Siggi seufzte. »Hab ich im Prospekt gesehen. Mag ja auch sein, dass er praktisch ist, aber der ist wirklich ultrahässlich. Hätte wissen müssen, dass man da keinen Kerl schicken kann.«
»Dann musste halt selber gehen«, meinte Torsten und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mach ich auch nächstes Mal. Aber ich hatte wirklich keine Zeit, und bei meinem alten Trolley blockieren die Rollen, und der Verschluss ist ausgeleiert.«
»Siehste? Das passiert dir mit dem hier nicht. Überhaupt. Da achtet doch keiner drauf. Hauptsache, du kriegst deine Plörren drin unter und der hält wat aus, oder nicht?«
»Ach, Törtchen, du kapierst so wat nicht.« Siggi grinste und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Du bist halt praktisch veranlagt. ›Ästhetik‹ ist für dich ein Fremdwort.«
»Ist doch auch eins. Latein, Griechisch oder so wat. Jedenfalls nicht Deutsch.«
»Klugscheißer!« Siggi lachte.
»Wieso ich? Du schmeißt doch mit Fremdwörtern um dich. Und überhaupt. Was findste denn an dem Koffer so hässlich? Der sieht doch super aus. Irgendwie spacig. Wie von der NASA oder so.«
»Ich will aber nicht ins Weltall fliegen, sondern meine Girlfriendz-Produkte verkaufen«, konterte Siggi. »Und mein pinkfarbenes Köfferchen ist doch sowat wie mein Markenzeichen geworden. War ja lieb gemeint, doch wie sieht das denn aus, wenn ich da mit so ’nem Weltraummoped reingerollt komme?«
Torsten schüttelte den Kopf. »Das ist doch völlig wumpe. Hauptsache, deine Dildos passen rein.«
Siggi verdrehte abermals die Augen. Sie mochte es nicht, wenn Torsten ihre Tätigkeit als Girlfriendz-Beraterin immer auf den Verkauf von erotischem Spielzeug reduzierte. Das machte schließlich nur einen kleinen Teil ihrer Produktpalette aus. Sie verstand sich als Verkäuferin von Wellnessprodukten für die moderne, aufgeschlossene Frau von heute: Kosmetik, Dessous und eben auch Spielzeug für gewisse Stunden.
»Und überhaupt. Hast du gedacht, ich würde jetzt mit so ’nem rosa Chichi-Köfferchen in den Zug steigen?«
»Na, wieso denn nicht?«, meinte Siggi. »Echte Kerle können auch Pink tragen.«
Sie seufzte noch einmal tief und drückte Törtchen dann noch einen Kuss auf. »Du machst es mir ja manchmal echt schwer, aber ich hab dich trotzdem lieb.«
Er grinste. »Du wirst schon sehen, der Koffer ist echt robust und praktisch. Nachher biste froh, dass du so ‘n umsichtigen Kerl wie mich hast.«
»Träum weiter.« Siggi lachte. »Hast du wenigstens daran gedacht, meine Bestellung in der Apotheke abzuholen?«
»Hab ich«, entgegnete Torsten. »Wat sind denn das für psychedelische Wunderdrogen, dass die das Zeug nicht direkt auf Lager hatten?«
»Nix Wunderdrogen. Das hat mir Frau Dr. Selmer verschrieben wegen meiner Migräneattacken. Das Mittel ist noch nicht so lange auf dem Markt, deswegen hatte es die Apotheke wohl nicht da. Die Frau Doktor sagt, es wirkt zuverlässiger als das Zeug, das ich vorher genommen habe.«
»Na, das ist ja die Hauptsache. Hab die Apothekentüte vorne hingelegt.«
»Haben se noch Pröbchen reingetan?«
»Ja, irgendwas hat der Apotheker noch reingepackt. Dass du da immer so scharf drauf bist. Du hast doch genug Zeug und Schmiere.« Törtchen schüttelte den Kopf.
»Musst du nicht verstehen, auch wenn es dir in deinem Alter inzwischen auch nicht schaden könnte, deiner Haut mal ein bisschen mehr als nur Wasser und Seife zu gönnen.«
»Was heißt denn ›in meinem Alter‹? Ich bin ein Mann in den besten Jahren. Da brauch ich noch keinen Fugenspachtel. Das ist wie bei einem guten Wein ...«
Siggi lachte. »Nu tu nicht so, als würdest du was von Wein verstehen. Du trinkst doch eh nur Bier.«
»Apropos. Was hältst du davon? Du, ich, zwei kühle Blonde, ’ne Schüssel Chips und die Couch, und ich massier dich dabei ’n bissken.«
»Du massierst mich?«, fragte Siggi und zog eine Augenbraue hoch. »Freiwillig? Was läuft denn? Ist heute irgendein wichtiges Fußballspiel?«
»Nee.« Torsten wich ihrem Blick aus. »Kein Fußball. Aber heute Abend läuft Moonraker.«
»Och nö, Törtchen, ich mag doch keine Bond-Filme außer die mit Connery!«, stöhnte Siggi.
»Skyfall hat dir gefallen.«
Siggi grinste. »Falsch. Daniel Craig hat mir gefallen. Ach menno, kannst du dir den nicht einfach auf DVD kaufen und gucken, wenn ich nicht da bin? Und überhaupt, den gibt es doch bestimmt auf irgendeiner Streaming-Plattform. Bitte, Törtchen. Außerdem wollte ich heute eigentlich noch eine Folge Darker Deeds gucken. Ist gerade so spannend.«
Torsten sah sie stirnrunzelnd an. »Ist das diese Thriller-Serie? Die ist aber reichlich düster. Nachher kriegst du wieder Albträume. Die Sache mit Lenka und all das steckt dir doch immer noch in den Knochen. Da solltest du nicht so ein brutales Zeug sehen.«
»Ach, aber James Bond ist wohl gar nicht brutal.«
»Richtig. Der ist von ’79, das ist doch Lullikram. Der ist, glaub ich, ab zwölf freigegeben.«
»Na schön, meinetwegen. Weil du es bist«, sagte Siggi. »Aber du walkst mir ordentlich Nacken und Schultern durch. Ich bin in der letzten Zeit so was von verspannt. Ich hab auch noch ein Fläschken von dem ›Hot Spice‹-Massageöl. Das riecht so unglaublich lecker. Und nicht wieder nach zehn Minuten schlappmachen, weil dir angeblich die Flossen wehtun.«
»Nee, versprochen. Ich knete, bis der Arzt kommt.«
»Na, das ist doch mal ein Wort«, meinte Siggi zufrieden. »Und anschließend guck ich noch ’ne Folge Darker Deeds, ich kann ja morgen ausschlafen.«
»Du pennst doch eh wieder auf der Couch ein dabei.« Torsten grinste. »Wetten?«
»Und wenn schon. Was meinst du, warum moderne Fernsehgeräte diese Abschaltautomatik haben, wenn man sich zu lange nicht bewegt?«
»Na, meinetwegen, musst du ja selbst wissen, aber ich geh dann schon mal ins Bett«, meinte Torsten. »Ich muss morgen ja wieder früh raus.«
»Die Pendelei aufs Festland ist ganz schön nervig, oder? Wie lange braucht ihr denn auf der Baustelle noch?«
»Na, bis Mitte nächster Woche mindestens, eher länger«, meinte Torsten. Er schien über etwas nachzudenken. »Erinnerst du dich an Frank? Meinen Kollegen aus Niebüll?«
»Ist das der, den wir neulich mitgenommen haben, als ich euch von der Baustelle in List abgeholt habe?«, fragte Siggi. »Was ist mit dem?«
»Na ja, Frank und Ann-Kathrin haben mir angeboten, dass ich solange bei ihnen in Niebüll bleiben könnte.« Torsten kratzte sich am Kinn. Das tat er immer, wenn ihm etwas unangenehm war.
Siggi runzelte die Stirn. »Ja, warum machste das denn dann nicht? Ist doch blöd, immer morgens so früh los. Oder möchtest du bei denen nicht bleiben? Der Frank schien mir doch ganz nett zu sein.«
»Nee, das ist es nicht«, sagte Torsten. »Es ist bloß ... Meinst du denn, ich kann dich hier allein lassen?«
»Natürlich kannst du das. Warum denn nicht?« Siggi musterte ihn verwundert.
»Na, weil du doch so ... schreckhaft geworden bist«, entgegnete Torsten.
»Du meinst, wegen der Albträume?«, fragte Siggi. »Das war jetzt ... wie oft? Dreimal oder so. Deswegen bin ich doch jetzt kein ängstliches Mäuschen, das nachts nicht allein sein kann.«
»Keine Ahnung, ich mein ja nur.« Torsten fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Du tust so, als wäre alles in Ordnung, aber ich weiß, dass dich die Sache mit Lenka und dem Bunker und so doch mehr mitgenommen hat, als du zugeben möchtest. Du hättest sterben können.«
»Ach, nu übertreibst du aber«, wehrte Siggi ab. »Ihr habt mich doch gefunden. Schön, das Ganze war alles andere als lustig, trotzdem musst du mich jetzt nicht in Watte packen. Ist ja lieb gemeint, Törtchen, aber echt etwas übers Ziel hinausgeschossen. Außerdem ist dat hier nicht Duisburg-Marxloh. Kommissar Christiansen sagt, hier passiert für gewöhnlich nicht viel. Morde hat er jedenfalls selten aufzuklären.«
»Bist du sicher, dass du nachts allein hier im Haus keine Angst bekommst?«
»Ganz sicher.« Siggi drückte Törtchen einen Kuss auf. »Du weißt doch: Wer mich klaut, bringt mich spätestens am nächsten Tag zurück. Ich finde, du solltest die Einladung annehmen. Das ist doch praktischer, als jeden Morgen hier zu so ’ner unchristlichen Zeit zum Bahnhof zu radeln und da rüberzupendeln.«
»Wenn du meinst ...« Torsten lächelte. »Danke, Siggi. Dann fahr ich am Sonntagabend schon rüber und bleib danach da. Aber wenn de dich allein hier doch gruselst, sagste Bescheid, ja?«
»Quatsch. Du kennst mich doch.« Siggi stemmte die Hände in die Hüfte. »Ich lass mich nicht so schnell Bange machen. Zur Not leg ich mir Hildes altes Nudelholz auf den Nachttisch. Wenn ich das ’nem Einbrecher über die Omme ziehe, gibt der auch keinen Mucks mehr von sich.«
Torsten lachte. »Jetzt hab ich Angst.«
»So, ich mach Schnittchen. Du räumst das hässliche Ungetüm hier ins Kabuff und holst das Bier?«, schlug Siggi vor.
»Du meinst diesen wunderschönen, geräumigen und haltbaren Koffer, den dein Männe für dich erbeutet hat?« Torsten zog die Augenbrauen hoch.
»Ja, ja.« Siggi lachte. »Wunderschön, ich bin begeistert.«
»Na also, geht doch.« Torsten grinste und nahm den Koffer mit hinaus. Siggi ging in die Küche, um Brote für den Fernsehabend zu schmieren. Die arrangierte sie auf einem Teller und stellte ihn auf ein Tablett. Dann füllte sie eine kleine Müslischüssel mit Chips, verschloss die Tüte mit einem Beutelclip, für Torsten das überflüssigste Küchenutensil nach der Bananenbox. Wenn es nach ihm ginge, gäbe es so etwas wie Chipsreste überhaupt nicht. Aber Siggi achtete auf ihre Linie und fand, dass das Törtchen auch nicht schaden konnte. Sie legte die Tüte zurück in den Schrank, nahm das Tablett und ging ins Wohnzimmer.
Mit pochendem Herzen schreckte Siggi hoch. Regen trommelte ans Terrassenfenster. Offenbar hatte der Wind gedreht und peitschte gegen die dem Watt zugewandte Hausseite. Siggi setzte sich auf, rieb sich die Augen und blinzelte in die Dunkelheit.
Draußen vor dem Fenster rumste es. Siggi zuckte zusammen. Sie war tatsächlich vor dem Fernseher eingeschlafen, und Törtchen hatte offenbar aus Rücksicht die Rollläden nicht geschlossen. Siggi spähte hinaus in den dunklen Garten, in dem nur vage Umrisse und Schatten zu erkennen waren. Bewegte sich da nicht etwas? Sie kniff die Augen zu und versuchte, in der Finsternis etwas zu erkennen. Da!
Siggi hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Wieder ein dumpfes Rumsen, dieses Mal schien es direkt von der Terrasse zu kommen. Siggis Herz raste. Da draußen war doch jemand! Sie glaubte, eine kurze Bewegung gesehen zu haben.
Candy, die noch eben friedlich in ihrem Körbchen geschlafen hatte, spitzte nun ebenfalls die Ohren und wuffte leise. Siggis Herz setzte einen Schlag aus. Vorsichtig stand sie vom Sofa auf und schlich die Treppe hinauf ins Schlafzimmer, wo Torsten selig vor sich hin rüsselte.
»Törtchen! Törtchen, wach auf!«, wisperte sie und rüttelte an seiner Schulter.
Torsten grunzte und drehte sich auf die andere Seite.
»Törtchen! Du musst aufstehen. Da ist einer auf der Terrasse!«
»Hm ... nah ... was?«, murmelte er und setzte sich auf. »Was ist?«
»Da ist einer. Unten. Auf der Terrasse«, wiederholte Siggi. »Erst hat es gerumst, und dann habe ich da einen Schatten gesehen. Candy hat es auch bemerkt.«
Torsten gab Unmutslaute von sich, quälte sich aber dennoch aus dem Bett, griff sich die noch fast volle Wasserflasche, wog sie kurz in der Hand und ließ sie einmal in die Handfläche klatschen, als hielte er einen Schlagstock. Dann schlich er in den Flur und die Treppe hinunter.
Siggi verharrte am Treppenabsatz und lauschte. Sie hörte von unten ein Poltern und ein gemurmeltes »Scheiß, verfluchter!«, als Törtchen offenbar eine unangenehme Begegnung mit irgendeinem Möbelstück gehabt hatte. Candy kläffte. Dann wurde die Terrassentür geöffnet. Wieder Rumpeln. Torsten fluchte lautstark. Siggi verstand nur »Drecksregen«.
Kurz darauf kam Torsten mit nasser, windzerzauster Frisur die Treppe heraufgestapft.
»Da ist nichts. Absolut gar nichts. Deine Terrakottapötte sind umgefallen, und die Grillabdeckung ist weggeweht, die hing in der Hecke und war am Flattern«, brummte er missgestimmt. »Siehste? Hab ich dir doch gesagt, dass du nicht so ein gruseliges Zeug gucken sollst. Kein Wunder, dass du überall Meuchelmörder siehst.«
»Ach, Mensch, Törtchen, tut mir jetzt echt leid, dass ich dich geweckt hab«, meinte Siggi zerknirscht. »Und das, wo du doch so früh rausmusst.«
»Biste denn wirklich sicher, dass ich bis nächste Woche bei Frank bleiben soll?«, fragte Torsten, der nun weniger wütend als besorgt aussah. Er nahm Siggi in den Arm.
»Nee, schon gut. Du hast recht«, sagte sie. »Ich sollte vor dem Schlafen nicht so was Spannendes gucken. Wirklich, Törtchen, ich komm auch allein zurecht. Außerdem hab ich ja Candy.«
»Die gefährliche Bestie schlägt bestimmt jeden Einbrecher in die Flucht«, meinte Torsten.
»Na, zur Not ruf ich Kommissar Christiansen. Die Nummer hab ich ja gespeichert.«
»Aha. So, so ... Den Kommissar willst du mitten in der Nacht anrufen? Muss ich mir da jetzt Gedanken machen?« Torsten grinste und drückte Siggi an sich.
»Quatsch, Törtchen. Du weißt genau, dass mir alle anderen Kerle gestohlen bleiben können. Und jetzt marsch, ab zurück ins Bett. Der Wecker klingelt schon in drei Stunden.«
Eine kräftige salzige Brise peitschte Siggi feinen Nieselregen ins Gesicht, als sie die Autotür öffnete. Rasch fischte sie im Fußraum der Beifahrerseite nach ihrem Knirps, bevor sie ausstieg und zum Kofferraum hastete.
Eine heftige Bö erfasste den Schirm und stülpte ihn um, als sie mit der anderen Hand den Weltraumkoffer aus dem Auto hievte. Siggi fluchte laut. Sie stellte den Koffer ab, klappte das nutzlose Gebilde aus allzu dünnem Draht und pinkfarbenem Stoff unter abermaligem deftigem Fluchen wieder zusammen und pfefferte es in dem Kofferraum. Dann zog sie den Griff des Koffers aus und lief, so schnell sie konnte, zum Eingang, in der Hoffnung, dass das Haarspray ihres Vertrauens den Versprechungen in der Werbung gerecht wurde und auch dem launischen Herbstwetter auf der Insel standhielt.
Sie riss die Tür auf und stolperte in die Lobby. Die Dame hinter der Rezeption sah erschrocken auf.
»Entschuldigung, dass ich so hereinplatze.« Siggi keuchte und wischte vorsichtig mit dem Zeigefinger unter beiden Augen entlang, um zu verhindern, dass ihre Wimperntusche verlief. »Mein Schirm hat den Geist aufgegeben. Ein Sauwetter ist das da draußen.«
»Da haben Sie heute wirklich kein Glück mit dem Wetter«, sagte die Dame an der Rezeption, deren Namensschild sie als Frau Bockholz auswies, »aber keine Angst, Regen hält sich hier nie lange. Sie haben reserviert, nehme ich an?«
»Ich ... nein, nein. Ich bin hier für den Junggesellinnenabend. Die Girlfriendz-Beraterin. Siggi Pizolka mein Name.«
»Ach! Die Dildo-Party!«, rief Frau Bockholz.
Dieses Mal verzichtete Siggi auf eine Richtigstellung. Sie war froh, dass Törtchen nicht dabei war. Der hätte sich diebisch gefreut und sie noch Tage später damit aufgezogen, dass er offenbar nicht der Einzige war, der ihre Freundinnenpartys auf diesen Teil ihrer Produktpalette reduzierte.
»Na, dann kommen Sie mal. Die Damen sind im Kaminzimmer. Sie sind schon ganz gespannt.«
Siggi folgte Frau Bockholz durch einen langen Flur, an dessen Wänden moderne Acrylgemälde in Pastellfarben hingen. Der Weltraumkoffer ratterte hinter ihr her über die edel wirkenden dunkelgrauen Fliesen.
»So, Frau Pizolka, da wären wir«, sagte Frau Bockholz und öffnete eine Tür auf der rechten Seite. Mädchenhaftes Kichern drang nach draußen in den Flur und verstummte kurz, als Frau Bockholz ihre Ankunft ankündigte.
Siggi betrat hinter der Rezeptionistin das Kaminzimmer und fühlte sich etwas eingeschüchtert, als sich sechs Augenpaare in neugieriger Erwartung auf sie richteten. Noch immer verspürte Siggi vor jeder Girlfriendz-Party leichtes Lampenfieber, da man nie wissen konnte, wer einen erwartete.
»Was darf ich Ihnen denn zu trinken bringen, Frau Pizolka?«, fragte Frau Bockholz. »Darf es ein Sektchen sein?«
»Ich bin mit dem Auto da, aber vielleicht einen kleinen Schluck mit viel Orangensaft. Vielen Dank.«
Erst jetzt hatte Siggi Zeit, sich richtig umzusehen. Um den Kamin in heller Marmoroptik waren niedrige dunkle Ledersessel gruppiert. Die Tische und das Sideboard an der anderen Wand, auf dem ein Sektbuffet aufgebaut war, waren schicke Designerstücke aus Altholz, und eine Wand zierte eine moderne Tapete mit Ranken und Vögeln darauf.
Der Stil traf nicht unbedingt Siggis persönlichen Geschmack, wirkte aber professionell wie aus einem Einrichtungsmagazin. Außerdem sah alles noch recht neu und wenig abgenutzt aus. Offenbar war hier vor nicht allzu langer Zeit renoviert worden. Siggi hatte einige ziemlich wohlhabende Kundinnen und sich inzwischen etwas daran gewöhnt, dennoch fühlte sie sich in einem so luxuriösen Ambiente nach wie vor ein bisschen fehl am Platz.
Sie holte noch einmal tief Luft. »Guten Abend, die Damen!«, sagte sie in die feuchtfröhlich wirkende Runde. »Mein Name ist Sigrid Pizolka, aber Sie dürfen mich Siggi nennen. Ich bin heute Abend Ihre Girlfriendz-Beraterin und darf Ihnen tolle Wellnessprodukte für Frauen präsentieren. Reichhaltige und luxuriöse Kosmetik, Dessous und unser peppiges Sortiment von Toys speziell für die ...«
»Oh! Eine Dildo-Party!«, rief eine Blondine mit geröteten Wangen und einem strassbesetzten Krönchen auf dem Kopf und schlug der Brünetten neben ihr mit der flachen Hand auf den Oberarm. »Ich wusste es, Nicole! Ich wusste, du hast keinen Stripper bestellt.«
»Sind Sie jetzt enttäuscht?«, meinte Siggi und lachte. »Sie müssen die Braut sein. Claudia, richtig? Herzlichen Glückwunsch!!«
»Danke. Ich bin Claudia, genau. Nee, überhaupt nicht enttäuscht«, lispelte Claudia, deren Zunge offenbar schon erste Anzeichen von Ungehorsam zeigte. »Ich wollte immer schon mal eine Dildo-Party mitmachen. Gerade neulich hab ich noch zu Nicki gesagt: ›Nicki, so was müssen wir auch mal machen‹, oder nicht, Nicki?«
Die Angesprochene nickte und schob sich eines der Kanapees in den Mund.
»Also, eigentlich ...«, begann Siggi, wurde jedoch von den anderen Damen übertönt, die aufgeregt durcheinanderquiekten. Siggi gab die Richtigstellung auf, legte ihren Koffer auf den freien Tisch und öffnete ihn. »Dann wollen wir mal«, sagte sie und machte sich daran, ihre Produkte auszupacken.
Die anfängliche Anspannung wich schnell, und Siggi war wieder voll in ihrem Element. Die Freundinnenrunde war offen und fröhlich und machte es ihr leicht. Sie begutachteten die Cremes, Masken, Düfte und Massageöle glücklicherweise mit demselben gut gelaunten Interesse wie die verführerischen Dessous. Siggi wollte gerade mit der Präsentation ihrer Erotikspielzeuge beginnen, als jemand recht energisch an die Tür klopfte.
Sie wirbelte herum. Ein großer, breitschultriger Mann in Polizeiuniform mit einer verspiegelten Pilotenbrille betrat den Raum.
»Guten Abend, meine Damen! Ich bin von der Polizei.« In der tiefen, männlichen Stimme schwang Autorität, sodass Siggi sich unwillkürlich ertappt fühlte, den türkisfarbenen Rabbit-Vibrator »Aquaman«, den sie gerade hatte vorführen wollen, zurück in den Koffer legte und den Seidenkimono »Lilyrose« darüberdeckte.
»Mir wurde gesagt, hier liege eine Ruhestörung vor«, sagte der Polizist, zog die Sonnenbrille auf die Nasenspitze und blickte über den Rand hinweg streng in die Runde, die nun zu quietschen und zu kreischen begann.
»Nickiiii!«, quiekte die Braut und boxte die Freundin gegen den Oberarm. »Du hast nicht ... du hast nicht ... Hast du??«
Erst jetzt fiel Siggi auf, dass der »Polizist« mit dem kantigen Kinn, dem deutlichen Bartschatten und der Bodybuilder-Figur in der Hand eine Boombox trug, die er nun auf dem Sideboard abstellte. Ein stampfender Beat und Synthesizer-Klänge ertönten.
»Ich fürchte, Sie, junge Frau«, sein ausgestreckter Zeigefinger deutete auf Claudia, »überschreiten die gesetzlich zugelassenen Grenzwerte für Sexyness. Ich muss Sie leider vorübergehend in Gewahrsam nehmen.«
I’m bringing sexy back, verkündete derweil Justin Timberlake aus dem Lautsprecher der Boombox.
Der »Polizeibeamte« trat mit erotischem Hüftschwung näher an Claudia heran, die in dem Sessel neben dem Kamin saß, und belohnte Siggi mit einer äußerst knackigen Rückansicht in der knapp sitzenden marineblauen Uniform. Siggi klappte eilig den Deckel des NASA-Koffers zu und ließ sich in einen der Sessel fallen.
Claudia, die Wangen nun noch deutlicher gerötet, streckte dem Beamten beide Handgelenke entgegen und grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Ich gebe alles zu!«, rief sie. »Ich bin ein ganz böses Mädchen.«
Gackerndes Gelächter und »Ich auch! Ich auch!«-Rufe ertönten aus der Freundinnenrunde.
Na, das kann ja noch interessant werden, dachte Siggi und lächelte stillvergnügt, während Claudia sich kichernd die Handschellen anlegen ließ. Vielleicht sollte ich immer mal einen Stripper zu meinen Verkaufsveranstaltungen dazubuchen, überlegte sie nicht ganz ernsthaft. Der würde die Damen jedenfalls in Stimmung bringen. Vielleicht hätten sie danach mehr Bedarf an ihren Produkten.
Ich könnte Törtchen anheuern, dachte Siggi und hätte beinahe laut losgeprustet, als sie sich ihren Herzensmann hüftschwingend im sexy Polizeikostüm vorstellte.
Törtchen war groß und kräftig und durchaus nicht unattraktiv, der Bauch allerdings doch eher Waschbär als Waschbrett, und auch die Haarpracht wurde allmählich lichter. Da konnte er mit Mr. Sexy Cop nicht mithalten. Dafür könnte der bestimmt nicht ihre Waschmaschine wieder zum Laufen bringen. Hat eben alles so seine Vor- und Nachteile, überlegte sie, lehnte sich im Sessel zurück und beschloss, jetzt erst einmal ohne schlechtes Gewissen die Show zu genießen. Gehörte schließlich zum Job.
»Na, da war ja was los bei Ihnen«, kommentierte Frau Bockholz lachend, als Siggi zwei Stunden später ihren Koffer an der Rezeption vorbeirollte.
»Das lag aber eher am Stripper als an meiner Verkaufsveranstaltung«, gab Siggi zu. »Ehre, wem Ehre gebührt.«
»Na, die Damen haben sich jedenfalls anscheinend prächtig amüsiert«, meinte Frau Bockholz. »Hat es sich denn für Sie gelohnt?«
Siggi grinste. »Na, schon allein für dat andere Unterhaltungsprogramm. Aber Scherz beiseite, ich habe schon ganz gut Umsatz gemacht.« Sie überlegte. »Darf ich Ihnen mal mein Kärtchen und einen Flyer dalassen, vielleicht ...«
»Genau das hatte ich auch schon gedacht«, fiel Frau Bockholz ihr begeistert ins Wort. »Wissen Sie, wir haben das Hotel erst vergangene Saison übernommen und sind noch in der Umgestaltung. Das war hier schon alles ein bisschen altbacken. Wir möchten dem Ganzen eine modernere Richtung geben, ein jüngeres Publikum ansprechen. Hätten Sie denn vielleicht ein Minütchen?« Sie sah auf die Uhr. »Sie möchten bestimmt nach Hause.«
»Also, um ehrlich zu sein, ich habe ziemliche Kopfschmerzen. Ich fürchte, ich bekomme Migräne. Wird es denn lange dauern?«
»Nein, aber wir können auch ein anderes Mal sprechen.«
»Ach was, wenn ich schon mal hier bin«, sagte Siggi. »Ein paar Minuten machen jetzt auch keinen Unterschied. Ich sollte nur vielleicht den Koffer ...«
»Den können Sie mir geben.« Frau Bockholz nahm ihr das Weltraum-Ungetüm ab und bat sie, ihr zu folgen. »Das mit der Migräne scheint in der Luft zu liegen. Meine Kollegin hat es auch erwischt. Eigentlich hätte ich heute freigehabt, aber ich musste für sie einspringen.«
Vor einer Tür, auf der ein Schild mit der Aufschrift Privat klebte, blieb sie stehen und öffnete. Sie nahm den Koffer und stellte ihn in dem Raum dahinter ab.
»Da kann er eine Weile bleiben. Hier kommt nichts weg«, kommentierte sie, schloss die Tür und nahm Siggi mit.
Eine halbe Stunde später verließ Siggi ziemlich k. o., aber gut gelaunt mit ihrem Koffer das Hotel. Frau Bockholz war begeistert von dem Girlfriendz-Konzept und hatte ihr in Aussicht gestellt, sie regelmäßig für Veranstaltungen im Hotel zu buchen. Sie planten eine umfangreiche Erweiterung des Wellnessbereichs.
Das Ehepaar Bockholz hatte endlich die Baugenehmigung für einen Anbau erhalten, der im hinteren Bereich des Grundstücks entstehen und eine Saunalandschaft, Whirlpool und Massageräume beherbergen sollte. Die Bauarbeiten sollten bald beginnen. Frau Bockholz konnte sich vorstellen, Siggis Partys als zusätzliche Option im Rahmen eines Freundinnen-Wellness-Pakets anzubieten. Das würde ihr regelmäßige Aufträge und gleichzeitig kostenlose Werbung verschaffen.
Als wollte er diese positiven Aussichten unterstreichen, war auch der Wind etwas abgeflaut, und es hatte aufgehört zu regnen.
Inzwischen brummte Siggi ziemlich der Schädel. Rasch verstaute sie das Weltraum-Ungetüm im Kofferraum und setzte sich ans Steuer. Sie rieb sich die Schläfen. Der lange Abend im aufgeheizten Kaminzimmer machte sich zunehmend durch ein schmerzhaftes Pochen hinter den Schläfen und Verspannungen bemerkbar. Hoffentlich war es nicht wirklich Migräne!
Doch bereits auf dem nur elfminütigen Heimweg von Morsum nach Keitum wurde diese Hoffnung enttäuscht. Die Lichter der anderen Autos kamen Siggi schmerzhaft grell vor, und ausgerechnet heute klebte auf der sonst um diese Zeit wenig befahrenen Straße ein Wagen die ganze Zeit hinter ihr. Murphys Law!
Sie blendete den Spiegel ab. Langsam krochen die Schmerzen vom Nacken herauf über den Kopf hinter die Augen, und ihr Magen begann, gegen den künstlichen Apfelduft des Lufterfrischers am Rückspiegel zu rebellieren. Mist!
Dabei war doch alles gerade so gut gelaufen. Musste ihr diese blöde Migräne jetzt noch den Abschluss eines ansonsten so großartigen Tages versauen?
Siggi stellte Törtchens klapprigen Passat Variant unter dem Carport ab und beeilte sich, ins Haus zu kommen. Der Koffer konnte im Auto bleiben. Sie hatte morgen Abend gleich die nächste Party, und in dieser Gegend war nicht zu befürchten, dass sich jemand am Kofferraum zu schaffen machen würde. Schon gar nicht bei Torstens alter Möhre; die sah nun wirklich nicht nach Geld aus.
Die Kopfschmerzen hatten sich inzwischen zu einer ausgewachsenen Migräne gesteigert, und das Pochen hinter Siggis Augen wurde langsam unerträglich. Sie suchte die Packung mit dem Migränemittel heraus, legte eine der Schmelztabletten unter die Zunge und kroch, nachdem sie sich umgezogen und eine eilige Katzenwäsche vorgenommen hatte, ins Bett. Dort wälzte sie sich unruhig hin und her, knautschte immer wieder das Kissen zurecht, bis sie schließlich eine halbwegs erträgliche Position gefunden hatte und langsam wegdämmerte.
Ein Fiepen und Kratzen drang durch das dumpfer werdende Pochen in ihrem Kopf, und Siggi zwang sich mit Mühe, die Augen wieder zu öffnen.
»Verflixt, stimmt ja. Candy!«, murmelte sie. Sie hatte vor lauter Kopfweh ganz vergessen, dass Torsten bei Frank und Ann-Kathrin in Niebüll war und nicht wie gewohnt die spätabendliche Runde mit dem Hund hatte drehen können. Als Siggi die Nachttischlampe anknipste und sich mühselig aus dem Bett quälte, saß die kleine Yorkshire-Dame winselnd am Fußende des Bettes und sah sie vorwurfsvoll an.
»Ist ja gut, Candy. Tut mir leid, meine Kleine, ich hab dich Arme ganz vergessen. Wir drehen jetzt schnell noch eine Runde.«
Siggi machte sich nicht die Mühe, sich anzuziehen, sondern warf lediglich ihren Mantel über den Pyjama und schlüpfte in ihre Gartencrocs. Dann nahm sie Leine und Schlüssel vom Haken im Flur und verließ mit Candy das Haus.
Zum Glück war es weiterhin trocken. Die Luft war dennoch schwer und feucht und trug neben dem typischen Aroma von Salz und Algen auch den Geruch von welkem Laub mit sich. Es war eindeutig Herbst geworden. Siggi zog den Mantel etwas fester um den Körper und trat hinaus auf die Einfahrt.
Mit einem leisen Klicken sprang die Außenbeleuchtung an, und Siggi blinzelte. Zum Glück hatte die Tablette begonnen zu wirken, und der tobende Schmerz in ihrem Schädel war zu einem gedämpften Pochen abgeebbt, ähnlich dem dumpfen Wummern der Bässe draußen vor einer Diskothek.
Candy schoss wie ein Pfeil über die Wiese und lief zum Gebüsch an der Auffahrt. Siggis schlechtes Gewissen versetzte ihr einen kleinen Stich, als die Hündin sich an den Rand des Gebüsches kauerte und umgehend erleichterte.
Siggi folgte ihr quer über den Rasen und hakte vorsichtshalber die Leine in die Öse am Halsband. Wenn Candy etwas Interessantes witterte, kam es bisweilen vor, dass sie ihr davonflitzte, und Siggi hatte keine gesteigerte Lust auf eine Verfolgungsjagd im Dunkeln.
»So, komm, Süße. Noch ein Stückchen die Straße runter, und dann machst du noch mal groß.« Siggi tätschelte Candy übers Köpfchen.
Die kleine Yorkshire-Dame lief aufgeregt schnüffelnd los. Plötzlich blieb sie stehen, spitzte die Öhrchen und witterte. Ein leises Grollen stieg in ihrer Kehle empor, gefolgt von einem kurzen Blaffen. Sie lief plötzlich los und hielt auf das Gebüsch auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu.
Siggi zog sie an der Leine zurück. »Nein, Candy. Aus! Komm. Hier entlang.«
Candy ließ noch einmal ein Wuffen hören und zerrte an der Leine.
Siggi blinzelte in die Dunkelheit. Es raschelte und knackte kurz im Unterholz. Aha. Irgendein Tier.
»Komm schon, Candy. Das ist bloß ein Häschen oder ein Vogel.« Siggi gähnte und zog die Hündin sachte weiter, bis sie sich schließlich beruhigte und brav neben Siggi hertrottete. Sie gingen bis zu der Stelle, wo die Straße sich zu einem Fußweg verengte, der zwischen dichten Büschen zum Watt hinunterführte. Bis hierhin reichte das schwache Licht der einzigen Straßenlaterne noch aus, um sich nicht zu gruseln. Siggi war froh, als Candy endlich nach einigem Schnüffeln und Drehen ihr großes Geschäft verrichtete.
»Brav, Candy-Maus!« Sie fischte einen Gassibeutel aus der Manteltasche, sammelte Candys Hinterlassenschaft ein und machte sich auf den Rückweg. Beim Haus angekommen, beförderte sie den Beutel am unteren Ende der Auffahrt in die Mülltonne und wollte gerade hineingehen, als ihr etwas einfiel.
»Ach, warte kurz, Candy. Ich habe das Portemonnaie im Koffer. Vielleicht sollte ich das eben rausnehmen. Sicher ist sicher. Na komm.«
Candy knurrte leise und zog erneut in Richtung des Gebüschs.
»Ja, ich weiß, da ist ein Kaninchen, und du bist ein böser, gefährlicher Wolf. Nun komm schon.« Siggi lachte und zog Candy sanft in Richtung Carport, wo sie den Kofferraum öffnete.
Im Innern lag das Weltraum-Ungetüm in seiner ganzen hässlichen Pracht. Siggi stutzte kurz, als sie etwas Weißes am seitlichen Griff bemerkte. Huch! Hatte sie etwa vergessen, dass Schildchen abzumachen? Wie peinlich! Hoffentlich hatten die Damen das nicht gesehen. Sie musste morgen eine Schere holen und es abschneiden.
Siggi ließ die Verschlüsse aufschnappen und klappte den Deckel auf. Sie stutzte. Was war das? Im Koffer lag ein Bündel aus grob gewebtem Stoff – es sah aus wie ein Kartoffelsack aus Jute –, daneben einige Werkzeuge und ein Seil. Hatte sie in ihrer geistigen Umnachtung wegen des Brummschädels etwa den falschen Trolley gegriffen?
Aber welcher Hotelgast reiste mit einem Koffer voller Werkzeuge und einem Sack durch die Gegend? Ein ungutes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit. Candy sprang schrill kläffend um ihre Beine und schnüffelte hektisch. Vorsichtig öffnete Siggi das Bündel und sah hinein.
Ein Schrei gellte durch die Stille der Nacht, und Siggi wurde bewusst, dass es ihrer war. Sie taumelte zwei Schritte rückwärts. Verstört knurrte und blaffte Candy und sprang wild an der Kofferraumklappe hoch.
Siggi verspürte den überwältigenden Drang wegzulaufen, doch ihre Füße fühlten sich an, als wären sie mit schweren Bleigewichten am Boden fixiert. Schließlich zwang sie sich, noch einmal zum Kofferraum zu gehen und den Stoff mit dem Zeigefinger anzuheben. Sie blinzelte und rieb sich die Augen, doch das Bild vor ihren Augen änderte sich nicht. Von der Kofferraumbeleuchtung wie von einem Bühnenscheinwerfer in einen gelblichen Lichtkegel getaucht, grinste sie ein menschlicher Schädel aus dem Stoffbündel an. Von einer dunklen Augenhöhle zog sich ein tiefer Riss bis hinauf zur Schädeldecke, an der Siggi glaubte, Reste von dunkelbraunen Haaren zu erkennen. Weiter unten im Sack entdeckte sie etwas, das wie Rippen aussah.
Siggi konnte bis in den Hals hinauf spüren, wie ihr Herz verzweifelt gegen ihre Schreckstarre ankämpfte und Adrenalin in ihre Extremitäten pumpte. Sie konnte noch immer den Blick nicht abwenden, wurde von etwas Glitzerndem zwischen den Falten des Stoffes angezogen. Ein Schmuckstück oder so etwas.
Sie kniff die Augen zusammen. Bei der spärlichen Kofferraumbeleuchtung war es schwer, Details zu erkennen, und sie traute sich nicht, es herauszunehmen. Sie tastete die Jackentaschen ab. Wo war nur das verfluchte Handy? Doch dann fiel ihr ein, dass sie es zum Laden ans Netzteil gesteckt hatte und es noch auf dem Nachttisch lag.
Schließlich gelang es ihr, die Kontrolle über ihre Beinmuskulatur wiederzuerlangen. Sie fand nicht einmal die Kraft, die Kofferraumklappe wieder zu schließen, wandte sich um und lief mit hämmerndem Herzen zum Haus. Die noch immer kläffende Candy zog sie an der Leine mit sich.
»Was hast du?« Törtchen klang schläfrig. »Warte mal, ich muss eben Licht anmachen.«
Rascheln war am anderen Ende zu hören. Offenbar hatte er schon im Bett gelegen.
»So. Jetzt noch mal langsam und von vorne. Candy hat ein Skelett gefunden?«
»Nein. Ich. Ich habe ... Ich war eigentlich schon im Bett. Ich hatte total Migräne und habe eine Tablette genommen. Und dann fiel mir ein, dass ich ja noch mit Candy rausmuss. Die war irgendwie die ganze Zeit so komisch, hat gekläfft und immer so zum Gebüsch gezogen. Törtchen, ich hab jetzt richtig Schiss. Was, wenn da einer war?«
»Hm«, machte Torsten nur. »Wahrscheinlich hat sie ein Karnickel gewittert.«
»Ja, das hab ich ja auch gedacht. Aber dann ... Es war so schrecklich, Torsten. Ich hab so geschrien! Ich wollte noch schnell das Portemonnaie aus dem Koffer holen. Der lag im Wagen, weil ich ja morgen gleich wieder eine Party habe. Na ja, jedenfalls mach ich den Koffer auf, und ... dann war da dieser Sack drin und Werkzeuge. Ich dachte: nanu? Wie kommt der in meinen Koffer? Ich wollte nachsehen, was drin ist, und dann war das dieser ... dieser Schädel! Wie der mich angegrinst hat! Und diese schwarzen Augenhöhlen! Und da war ein Riss überm Auge, so als hätte jemand ... Törtchen, da waren noch Haare dran! Du glaubst nicht, wie mir die Düse geht.«
»Aber ... aber wie soll denn ein Sack mit einem Skelett in deinen Koffer kommen?«, Torsten klang noch immer skeptisch.
»Ja, was weiß ich, verdorri noch mal!« Der Schreck schlug allmählich in Wut um. »Ich weiß nur, was ich gesehen habe. Ich hab den Sack aufgemacht, und dann grinst mich dieser Schädel an. Das Bild werde ich nie im Leben vergessen.«
»Und du bist sicher, dass du nicht wieder geträumt hast? Du meintest doch, du warst schon im Bett. Vielleicht ...«
»Verdammt, Törtchen! Ich weiß doch wohl noch, ob ich wach bin oder schlafe. Wie gesagt, ich war mit Candy draußen. Ich war schon im Schlafanzug und hab mir nur schnell den Mantel und die Gartenschlüppkes ... Aber ist ja auch egal, jedenfalls weiß ich, was ich gesehen habe.«
Eine Weile blieb es still in der Leitung. Ein eigenartiges Geräusch war zu hören, das Siggi zunächst für ein Störgeräusch hielt. Doch dann wusste sie, was es bedeutete. Torsten kratzte sich am Kinn. Das tat er immer, wenn er angestrengt nachdachte.
»Soll ... soll ich rüberkommen?«, fragte er. »Ich weiß nicht genau, wann der erste Zug ...« Seine Stimme klang etwas rau, er machte sich Sorgen.
