Inselmord - Katharina Peters - E-Book
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Inselmord E-Book

Katharina Peters

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Beschreibung

Die Tote vom Strand.

An einem frühen Morgen Anfang Juni wird auf der Halbinsel Mönchgut eine weibliche Leiche entdeckt. Die fünfundzwanzigjährige Svenja ist offenbar erdrosselt worden. Kommissarin Romy Beccare steht vor einem Rätsel. Wo ist das Motiv? Die junge Frau ist nach Rügen gekommen, um sich einen Job zu suchen. Erst als klar wird, dass Svenja vor sieben Jahren schon einmal mit ihrer Schulklasse auf der Insel war, findet sich eine Spur. Damals ist eine Klassenkameradin erst verschwunden und dann ermordet aufgefunden worden – ganz in der Nähe von Mönchgut ... 

Ermittlerin Romy Beccare und ein spektakulärer Fall, der nicht nur Rügen in Aufruhr versetzt.

 

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Seitenzahl: 486

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Über das Buch

An einem frühen Morgen entdeckt ein Tourist auf der Halbinsel Mönchgut eine weibliche Leiche am steinigen Naturstrand zwischen Nonnenloch und Zickersches Höft. Die junge Frau ist nach erster Einschätzung in den Nachtstunden brutal zusammengeschlagen und erdrosselt worden. Die Identität des Opfers ist schnell ermittelt. Svenja Bollheim stammte aus Neubrandenburg, hatte kürzlich ihr Studium der Landschaftsarchitektur beendet und wollte einige Tage auf der Insel ausspannen. Hauptkommissarin Romy Beccare tappt lange im dunkeln. Wo ist das Motiv für diesen grausamen Mord? Dann erfährt sie, dass Svenja vor sieben Jahren mit ihrer Klasse auf Rügen war. Damals ist ihre Mitschülerin Marina verschwunden. Erst Monate später wurde Marina tot in einer Ruine gefunden, ohne dass man noch eine Todesursache ermitteln konnte. Romy ahnt, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Todesfällen gibt, und bald entdeckt sie einen ersten Hinweis – und sie findet heraus, dass der Fundort Nonnenloch eine besondere Geschichte hat. Schon vor Jahrhunderten wurden dort Frauen bestraft und gequält. 

Über Katharina Peters

Katharina Peters, Jahrgang 1960, schloss ein Studium in Germanistik und Kunstgeschichte ab. Sie ist passionierte Marathonläuferin, begeistert sich für japanische Kampfkunst und lebt in Schleswig-Holstein – wenn sie sich nicht gerade zu Recherchearbeiten auf Rügen aufhält.

Ihre Serie um die Ermittlerin Romy Beccare hat eine Gesamtauflage von über 600.000 Exemplaren.

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Katharina Peters

Inselmord

Ein Rügen-Krimi

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Impressum

Wer von diesem Kriminalroman begeistert ist, liest auch ...

Prolog

Als wäre man ganz allein auf der Welt und völlig eins mit ihr und ihrem Tun. Für Augenblicke war alles still und perfekt. Die ersten Sonnenstrahlen, die über das Wasser glitten, das zärtliche Seufzen der Wellen, die steinernen Kolosse am Strand, in der Ferne ein Horizont, den niemand für sich beanspruchte. Er sog die Intensität des Moments in sich auf, dann drehte er sich wieder um, warf seinen beiden Mitstreitern einen auffordernden Blick zu, worauf die sich schweigend auf den Rückweg machten. Als das leise Knirschen ihrer Schritte nicht mehr zu hören war, wandte er sich langsam der ausgestreckten Gestalt zu und betrachtete sie. Auch sie war perfekt – wie hingegossen auf dem dunklen, steinigen Strand an diesem besonderen Ort. Nonnenloch. Er trat zu ihr und sog das Geräusch der Steine unter seinen Füßen tief in sich auf. Ihr Gesicht, der ganze Körper trug die Spuren der Bestrafung. So wie es sein sollte. Nichts war dem Zufall überlassen. Der Schmerz hatte sie gereinigt. Für immer, wenn sie es richtig verstanden hatte.

Er kniete sich zu ihr, als sie die Augen aufschlug. Ein tiefer Schmerz strahlte ihm entgegen, eingebunden in Angst und Hilflosigkeit – auch das sollte genau so sein. Er nickte ihr zu. »Du hast es verstanden?«, fragte er leise.

Sie deutete ein Nicken an.

»Dann sag es.«

»Ich habe es verstanden.«

»Was genau hast du verstanden?«

»Das ist meine letzte Chance«, flüsterte sie, und ihre Stimme vibrierte.

»Ganz genau – dies ist deine letzte Chance. Nutze sie.«

»Ja.« Ihre aufgeschlagenen Lippen zitterten.

»Das Nonnenloch und die Insel sind deine Zeugen.« Das klang ein wenig melodramatisch, wie ihm bewusst war. Der Satz gefiel ihm trotzdem. Er passte zu diesem besonderen Ort wie das gesamte Ritual.

»Was passiert, wenn du dich nicht daran hältst und dich wieder dem bösen Geist überlässt?«

»Ich werde vernichtet.«

»So ist es.« Er strich ihr mit beinahe zärtlicher Geste eine Strähne aus dem Gesicht. »Und was sagst du, wenn man dich nach den Spuren in deinem Gesicht fragt?«

»Ich bin gestürzt.«

»Richtig, das bist du ja auch. Wir haben es dir nur vor Augen geführt. Solltest du je auf andere Gedanken kommen …«

»Das werde ich nicht.«

Er nickte zufrieden. »Und nun geh nach Hause.«

Sie richtete sich langsam auf. Der Heimweg würde mühsam werden. Das gehörte auch zum Prozedere dazu. Er beobachtete, wie sie mit unsicheren Schritten über die Steine stolperte und schließlich den Weg nach oben zum Abhang einschlug. Die Route über die Zickerschen Berge bis Gager würde ihr einiges abverlangen. Er zweifelte nicht daran, dass es ihr ernst war.

1

Die Diskrepanz könnte nicht größer sein. Romy löste den Blick vom dunstverhangenen Horizont, dem friedvollen und stillen Ausblick auf die See, den sie so häufig am frühen Morgen genoss, und wandte sich um. Rechtsmediziner Doktor Möller hockte neben der Leiche und sah ihr mit ernstem Gesicht entgegen. »Irgendwann heute Nacht«, erklärte er unaufgefordert. »Die junge Frau wurde misshandelt und erdrosselt. Mehr kann ich noch nicht sagen.«

Misshandelt und erdrosselt. Romy ging neben Möller in die Knie. Ein Urlauber hatte die Leiche entdeckt, als er, mit dem ersten Morgenlicht von Gager kommend, über die Zickerschen Berge Richtung Nonnenloch gewandert war und den Tag am steinigen Ufer begrüßen wollte. Das Mönchgut gehörte zu den schönsten Orten auf Rügen, hier hatte Romy vor vielen Jahren einen wunderbaren Urlaub genossen und sich endgültig in die Insel verliebt, nun lebte sie nur wenige Kilometer entfernt in einem Häuschen in Middelhagen. Ein Mord an einem so wunderbaren Ort machte ihn noch schrecklicher, dachte sie und wusste zugleich, wie unsinnig der Gedanke war.

Möller räusperte sich leise. Sie sah ihn an. »Haben Sie eine Ahnung, was der Täter benutzt hat?«

Er schüttelte den Kopf. »Im Moment kommt alles Mögliche infrage – ein Gürtel, ein Strick …« Er hob die Hände. »Buhl wird vielleicht fündig.«

Sie richtete sich langsam wieder auf. Marco Buhl und seine Leute von der Technik und Spurensicherung suchten bereits die Gegend ab, nicht nur im unmittelbaren Bereich des Tatorts. Das Mordopfer hieß Svenja Bellheim, stammte aus Neubrandenburg und hätte in wenigen Wochen ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. So viel hatte Buhl ihr schon mitgeteilt. Er war mit seinen Mitarbeitern vor Romy am Tatort eingetroffen, hatte den Fundort und den Leichnam gesichert. Sie war auf dem Weg zu einer Besprechung in Stralsund gewesen, als er angerufen hatte, und war sofort umgekehrt. »Es fehlt nichts«, hatte er berichtet. »Sie hatte Geldbörse, Handy und den Schlüssel von einem Ferienhaus in Gager dabei …« Kurzes Zögern. »Vielleicht war sie da unten, um den Morgen zu begrüßen.« Das hatte ungewohnt ausschweifend für Buhl geklungen, der sonst eher raue Töne anschlug und meist kurz angebunden war.

»Und sie sollte den Tag nicht mehr erleben«, hatte Romy leise hinzugefügt.

Inzwischen war laut Möllers erster Einschätzung wohl davon auszugehen, dass Svenja Bellheim bereits in der Nacht am Ufer gewesen war. Ein Treffen mit wem auch immer? Ein Ausflug, eine nächtliche Wanderung? In der Hoffnung, Zeugin des alten und schaurigen Spuks am Nonnenloch werden zu können? Viele Touristen besuchten den Ort auch wegen der alten Sage, zumindest nachts. Am Westende der Halbinsel Mönchgut befand sich ein Ufervorsprung, der Swantegard oder die heilige Gegend genannt wurde. Eine Absenkung innerhalb des Vorsprungs wurde als Nonnenloch bezeichnet. Der Sage nach waren dort vor Jahrhunderten Nonnen, die nicht keusch gelebt hatten, hinabgestürzt worden, und ihr Wehklagen sollte angeblich in manchen mondbeschienenen Nächten immer noch weithin zu hören sein. Romy war mit solchen Geschichten wenig zu beeindrucken, aber der Gedanke, dass die junge Frau sich auf dem Weg gemacht hatte, weil die alte Sage Neugier in ihr geweckt hatte, ließ sie frösteln.

Romy verabschiedete sich von Möller und wandte sich an Buhl, der ihr den Schlüssel zum Ferienhaus aushändigte. »Die Handydaten kriegt Max so schnell wie möglich«, erklärte er.

Romy schlug den Weg Richtung Gager zu dem Ferienhaus ein und telefonierte währenddessen zunächst mit Bergen und dann mit Stralsund. Jan – Leiter des Kriminalkommissariats in der Hansestadt und somit zugleich ihr Vorgesetzter und Ehemann – kam gerade aus einer Teamsitzung, und Romy konnte hören, dass er den Flur entlangeilte, während er ihrem Bericht lauschte. »Wie geht es weiter?«, fragte er schließlich.

»Ich sehe mich erst mal im Ferienhaus um und nehme Kontakt mit den Angehörigen auf. Max wird mit den ersten Recherchen bereits begonnen haben. Und dann müssen wir wohl abwarten, bis die Ergebnisse von Buhl und Möller vorliegen. Fest steht, dass die junge Frau brutal ermordet wurde – an einem der schönsten Orte auf der Insel.«

»Irgendwelche Hinweise?«

»Nein, nichts bislang, aber Buhl sucht noch.«

»Ich informiere den Staatsanwalt. Es wird ihm wichtig sein, dass wir zügig zu Ergebnissen kommen. Die Feriensaison steht unmittelbar bevor und …«

»Auch ohne den üblichen Touristenandrang möchte ich so schnell wie möglich in Erfahrung bringen, was hier passiert ist und wer der Täter ist«, warf Romy ein.

»Das werde ich ihm ausrichten … Ach, sag mal – was hältst du davon, wenn ich dir Finn zur Verstärkung schicke? Ich bin ziemlich unter Zeitdruck, und er hat sich beim letzten Fall gut bewährt.«

Finn Maurer stammte aus Kiel und hatte seine Ausbildung erst wenige Monate zuvor beendet, als er Romy Anfang des Jahres bei den Ermittlungen zu den Toten am Selliner See unterstützt hatte. Der junge Mann war kaum größer als sie, ein zarter, rothaariger Hänfling, der wie siebzehn wirkte, aber einiges auf dem Kasten hatte.

»Ja, er hat sich absolut bewährt«, bestätigte sie. »Und ich habe nichts dagegen, zumal Ruth gerade Urlaub macht.« Kommissarin Ruth Kranold aus Greifswald unterstützte die Ermittlungen auf der Insel häufig als Springerin in besonderen Fällen. »Und wir wissen noch nicht, wohin dieser Fall uns führen wird.«

»Alles klar. Halt mich auf dem Laufenden.«

Wenig später schloss Romy die Tür zu einem kleinen Bungalow auf, der sich hinter einem Gasthof am östlichen Ende des Ortes befand. Von dort aus waren es über die Boddenstraße kaum zwei Kilometer bis zum großen Strand zwischen Lobbe und Thiessow, an dem Romy bevorzugt ihre Morgenrunde drehte. Gager war immer noch ein kleiner Inselort inmitten von Hügeln und Wiesen, auf denen sich Schafherden aneinanderdrängten und der sich auch bei großem touristischem Andrang in der Hochsaison seine Beschaulichkeit bewahrte. Hoffentlich bleibt das so, dachte Romy, während sie durch die Diele in den Wohnraum trat und sich umsah. Nur das Nötigste, dachte sie, während ihr Blick über das Mobiliar schweifte – eine Koch- und Essecke, Sofa und Sessel vor einer Anrichte mit Fernseher, im zweiten Raum war lediglich Platz für ein Bett und einen Kleiderschrank, das Bad war winzig. Eine Seitentür führte hinaus auf die Terrasse und ein Stück Rasen. Eine Sommerunterkunft, überlegte Romy – hier ruhte man sich lediglich aus und aß etwas, bevor man zum nächsten Ausflug startete oder sich an den Strand legte.

Im Kleiderschrank waren Klamotten für höchstens einige Tage untergebracht, auf dem Nachtschrank lag ein Tablet. Romy steckte es ein und ging wieder in den Wohnraum, als es an der Tür klopfte.

»Hallo? Bist du da, Svenja?«, erklang eine Männerstimme.

Romy öffnete die Tür. Ein Hüne mit breiten Schultern, deutlich fortgeschrittener Glatze und Bartschatten blickte ihr mit gerunzelter Stirn entgegen. »Wer sind Sie denn?«, fragte er, und das klang mehr als unfreundlich.

Romy zückte ihren Ausweis. »Hauptkommissarin Ramona Beccare«, erklärte sie. »Und Sie …«

»Bernd Glauber, ich bin der Wirt vom Gasthof«, er wies mit dem Daumen über die Schulter, »und der Vermieter dieses Ferienhauses. Was ist …« Er brach abrupt ab, hob eine Hand und strich sich über den Kopf. »Ist etwas passiert?« Er suchte ihren Blick. »Unten am Nonnenloch ist Polizei unterwegs …«

»Ein Urlauber hat dort eine tote Frau entdeckt«, sagte Romy. »Es spricht alles dafür, dass es sich um Svenja Bollheim handelt.«

Bernd Glauber lehnte eine Hand an den Türrahmen und starrte sie entsetzt an.

»Kannten Sie Frau Bollheim näher?«

»Sie war häufiger …« Er schüttelte den Kopf und schluckte. »Das ist ja … schrecklich. Was ist passiert?«

»Dazu kann ich im Moment nichts Konkretes sagen. Wir gehen jedoch von einer Gewalttat aus.« Romy trat beiseite. »Setzen wir uns einen Moment?«

Bernd Glauber zögerte kurz, dann nickte er, trat ein und steuerte den Esstisch an. Der Stuhl ächzte unter seinem Gewicht. Er legte die Hände auf den Tisch und sah sie verstört an.

»Wann haben Sie Svenja zum letzten Mal gesehen?«, fragte Romy und setzte sich zu ihm.

»Gestern«, erwiderte er prompt. »Ich habe ihr einen Wäscheständer vorbeigebracht – das war am Nachmittag.« Er nickte langsam, starrte kurz ins Leere und blickte Romy dann irritiert an. »Wie merkwürdig so ein Satz plötzlich klingt.« Er holte tief Luft. »Sie hat Badesachen aufgehängt und erzählt, dass sie am Abend noch mal über die Zickerschen Berge laufen wollte – um sich die Schafe anzusehen und den Frühsommer zu genießen, er sei viel schöner als die heiße Zeit im Juli und August …« Glauber schluckte. »Svenja hat die Insel geliebt«, fuhr er leise fort. »Und sie hat immer diesen Bungalow gebucht, seitdem sie vor einigen Jahren das erste Mal hier war. Damals war sie mit einer Studentengruppe im Biosphärenreservat unterwegs gewesen und wollte noch ein paar Tage dranhängen. Die Gruppe war damals zum Essen in meinem Lokal, und sie hat mich auf den Bungalow angesprochen …« Er brach ab und senkte den Kopf. »Ich rede zu viel«, flüsterte er. »Das ist doch alles komplett unwichtig für Sie.«

»Nein, das ist es nicht«, entgegnete Romy.

Er sah sie an.

»Erzählen Sie weiter – bitte.«

Er nickte. »Na schön. Sie hat mich damals gefragt, ob ich den alten Bungalow vermiete.« Er lächelte plötzlich. »Das hatte ich immer vorgehabt, bin aber nie dazu gekommen, ihn dafür herzurichten. Das Häuschen war ziemlich heruntergekommen. So was kann man ja niemandem anbieten. Sie hat dann vorgeschlagen, ein paar Arbeiten zu übernehmen und dafür einige Tage kostenfrei dort zu wohnen. Das war ein guter Deal. Sie hat sich mächtig ins Zeug gelegt – gemalert, die Dielen bearbeitet, Schränke auf Vordermann gebracht … Na ja, seitdem wohnt sie immer hier, wenn sie auf der Insel ist. Und eigentlich wollte sie bleiben.«

Romy neigte den Kopf zur Seite. »Sie hatte vor, nach Rügen umzusiedeln?«

»Vielleicht war das auch nur so eine fixe Idee von ihr, aber … Na ja, Svenja hatte gerade ihr Studium beendet – Landschaftsarchitektur. Sie wollte ein paar Tage ausspannen und sich gleichzeitig um einen Job bemühen, auch hier in der Gegend. Soweit ich weiß, ist sie sogar zu Gesprächen eingeladen worden. Vielleicht hätte das auch geklappt. Sie war gut, und sie wäre richtig hier gewesen …« Glauber faltete die Hände zusammen. In seinem Gesicht arbeitete es. Er biss sich auf die Unterlippe. Offensichtlich hatte er Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

Lass deine Tränen doch einfach laufen, dachte Romy. Aber das tat er nicht, er erhob sich abrupt. »Wenn Sie noch Fragen haben, kommen Sie einfach rüber in den Gasthof. Ich muss das erst mal verarbeiten …«

»Kollegen von mir müssen sich hier noch genauer umsehen«, warf Romy rasch ein.

»Schließen Sie ab, und legen Sie den Schlüssel unter den Blumentopf an der Tür. So machen wir das immer hier.« Er wandte sich zum Gehen.

»Hatte Svenja in den letzten Tagen Besuch?«

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht.« Damit verließ er den Bungalow.

Romy sah ihm einen Moment nach, dann unternahm sie noch einen Rundgang durchs Haus. In der Diele hing ein Schlüsselbund, den sie kurzentschlossen einsteckte; den Autoschlüssel ließ sie hängen. Schließlich rief sie Max an. »Hast du dich schon mit ihrem Account beschäftigt?«, fragte sie nach kurzer Begrüßung.

»Ich habe gerade damit angefangen. Svenja Bollheim war Landschaftsarchitektin und …«

»Das weiß ich schon. Kannst du mal nachschauen, ob sie Bewerbungen geschrieben hatte?«

»Hat sie. Und es gab Gespräche … warte, ja, in Stralsund und Bergen. Soll ich da mal nachfassen?«

»Ja. Hast du schon die Kontaktdaten von der Familie?«

»Schicke ich dir. Die Mutter lebt inzwischen in Grimmen, der Vater ist vor einigen Jahren verstorben. Es gibt noch einen älteren Bruder, Patrick – er arbeitet in Hannover.«

Romy spürte, wie ihr Herz schwer wurde. Sie musste persönlich mit der Mutter sprechen.

»Fährst du nach Grimmen?«, fragte Max nach kurzer Pause.

»Es bleibt mir nichts anderes übrig … Bevor ich es vergesse – ich habe ihr Tablet dabei und bringe es nachher mit. Vielleicht kannst du es entsperren. Und noch was – es gibt hier keine Einbruchspuren oder dergleichen, doch Buhl sollte sich auch hier umsehen und den Wagen unter die Lupe nehmen. Der Autoschlüssel hängt in der Diele, den Schlüssel fürs Haus findet er unter dem Blumentopf an der Tür.«

»Richte ich ihm aus.«

Wenig später machte Romy sich auf den Weg. Sie fuhr über Putbus und Poseritz Richtung Altefähr. Eine strahlende Junisonne stand am tiefblauen Himmel, als sie den Strelasund überquerte. Einige Boote schaukelten übers Wasser. Die Silhouette der Hansestadt tauchte vor ihr auf. Der frühe Sommer lag wie ein zärtliches Versprechen über der Stadt.

Romy war nicht zum ersten Mal die Überbringerin einer Todesnachricht. Diese Aufgabe wurde nicht einfacher. Es war überhaupt ein Irrtum, davon auszugehen, dass ihre Arbeit als Kommissarin mit den Jahren leichter wurde. Es war eher so, dass sie gelernt hatte, sich vor den besonders eindringlichen Bildern und den auslösenden Emotionen zu schützen, indem sie ihre Aufgaben bei der Täterergreifung sofort in den Vordergrund rückte. Routinen in den Abläufen halfen, die innere Balance wiederzuerlangen. Doch der antrainierte Schutz erwies sich als löchrig und unzuverlässig, je erschütternder die Fälle waren, je grausamer und gewissenloser die Täter vorgegangen und je jünger und wehrloser die Opfer waren. Manchmal kamen die Eindrücke nachts zurück oder blitzten in völlig unerwarteten Momenten auf. Davor war kaum jemand gefeit, zu dessen Aufgabe es gehörte, sich mit schweren Gewaltverbrechen und Tötungsdelikten zu befassen. Und einer Mutter zu erklären, dass ihre Tochter ermordet worden war – eine junge Frau, die ihr ganzes Leben vor sich gehabt hatte –, konnte und durfte niemals Routine werden.

Der entscheidende Gedanke und die damit verbundene Frage lautete für Romy und ihr Team: Was hatte den Täter veranlasst, eine junge Frau zu überfallen, sie zu quälen und ihr Leben zu beenden? Noch dazu auf diese Weise. Existierte eine persönliche Verbindung, oder war Svenja ein zufälliges Opfer gewesen? Dem Akt des Erdrosselns lag ein unmissverständlicher Tötungsdrang zugrunde. Svenja war bekleidet gewesen – eine Vergewaltigung war unwahrscheinlich, aber natürlich im Moment noch nicht völlig auszuschließen.

Romy wollte nach ihrem Smartphone greifen, um den Rechtsmediziner anzurufen, dann entschied sie sich dagegen. Er würde sich melden, sobald die ersten Ergebnisse vorlagen. Das tat Möller immer. Sie sollte ihn nicht von der Arbeit abhalten, indem sie ihn bedrängte. Das klang beinahe gelassen. Ich entwickle mich doch noch zur Zähmerin meiner eigenen Ungeduld, dachte sie. Vielleicht. Ein wenig.

Svenjas Mutter arbeitete als Bauzeichnerin in einem Architekturbüro. Nach einer knappen Stunde Fahrzeit lenkte Romy den Wagen auf den Parkplatz im Innenhof. Zwei junge Leute kamen ihr entgegen, als sie ihn abgestellt hatte. Auf die Frage nach Franziska Bollheim wies einer der beiden auf den hinteren Ausgang, an dem ein Tisch stand, um den mehrere Stühle unter einem Schirm gruppiert waren. »Sie macht gerade Pause. Wenn es nicht dringend ist, warten Sie ein paar Minuten, damit sie ihren Kaffee in Ruhe trinken kann.«

Es ist dringend, dachte Romy, während sie sich bedankte, aber ich warte trotzdem. Sie behielt den Tisch im Blick. Svenjas Mutter reckte ihr Gesicht in die Sonne, trank ihren Kaffee und blickte zwischendurch kurz auf ihr Handy. Ungefähr fünf Minuten später griff sie nach ihrer Tasse und stand auf. Romy atmete tief durch und trat näher. Franziska Bollheim sah aus wie eine ältere Version ihrer Tochter – eine grazile Frau mit dunkelblondem Haar und bernsteinfarbenen Augen, knapp fünfzig Jahre alt. Sie lächelte Romy entgegen. »Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie. »Haben Sie einen Termin mit einem der Architekten?«

»Ich wünschte, es wäre so.« Romy hörte selbst, wie unsicher ihre Stimme klang.

Frau Bollheim warf ihr einen fragenden Blick zu.

»Ich bin Ramona Beccare, die leitende Kriminalkommissarin aus Bergen auf Rügen«, stellte sie sich vor.

Franziska Bollheim blinzelte. Plötzlich verfärbten sich ihre Lippen weiß. Sie atmete tief ein. »Ist etwas passiert?«

»Ja«, antwortete Romy. »Es tut mir aufrichtig leid.«

Bollheim fasste nach der Tischkante und sank auf ihren Stuhl zurück. »Sagen Sie schon – was ist geschehen?«

Romy setzte sich zu ihr. »Wir haben heute Morgen eine junge leblose Frau am westlichen Ufer des Mönchguts entdeckt«, erklärte sie leise. Leblose Frau – klang das besser? Besser als was? Besser als tot und ermordet. Ja. Aber es änderte nichts.

Franziska Bollheim starrte sie an.

»In der Nähe des Nonnenlochs«, führte Romy weiter aus. »Wir haben Papiere, Handy und Schlüssel bei ihr gefunden und müssen davon ausgehen, dass es sich um Ihre Tochter handelt.« Den Hinweis auf die Identifizierung sparte sie sich in diesem Moment.

Svenjas Mutter atmete flach. Ihr Blick war eingefroren. Plötzlich schüttelte sie kurz den Kopf. »Sagen Sie endlich: Was ist passiert? Hatte sie einen Unfall?«

»Wir müssen von einem Gewaltverbrechen ausgehen.«

»Wie bitte?«

Romy ertrug den fassungslosen Blick nur mit Mühe. »Wir stehen ganz am Anfang unserer Ermittlungen.«

»Was ist mit meinem Kind passiert?«

»Wir wissen es noch nicht, Frau Bollheim …«

»Sie wurde ermordet?«

Romy atmete tief ein. Dann nickte sie. Stille senkte sich herab. Romy wartete, bis Bollheim sie wieder ansah. »Und jetzt?«, flüsterte sie. »Was mache ich jetzt ohne mein Kind?« Die Frage hallte in Romy nach. Eine Antwort gab es darauf nicht. Jetzt nicht. Morgen auch nicht. Nie.

Die beiden jungen Leute, die sie wenige Minuten zuvor auf dem Parkplatz begrüßt hatten, kehrten ins Büro zurück. Romy stand auf und trat ihnen entgegen, als Svenjas Mutter sich nicht rührte. »Würden Sie im Büro Bescheid sagen, dass Frau Bollheim nach Hause geht?«, fragte sie in leisem Ton.

»Wie …«

Romy schüttelte den Kopf. »Später erfahren Sie sicher mehr.« Sie griff nach ihrem Ausweis.

Die beiden sahen sie verdutzt an, zögerten einen Moment, nickten schließlich und betraten dann das Haus. Einer drehte sich in der Tür noch einmal um und starrte einen Moment in ihre Richtung, bevor er sich abwandte und seinem Kollegen folgte.

Romy sah Frau Bollheim an. »Ich würde Sie gerne nach Hause fahren.«

Sie zuckte zusammen. »Wie bitte?«

»Was halten Sie davon, wenn ich Sie nach Hause fahre?«

»Ich bin mit dem Fahrrad hier.«

»Könnten Sie es stehen lassen?«

»Nein. Ich brauche es täglich«, beharrte Bollheim.

»Gut, dann packe ich es in den Kofferraum.«

Svenjas Mutter sah auf, nickte langsam. »Sie wollen mich nicht alleine lassen, oder?«

»Das stimmt. Und ich würde gerne mit Ihnen reden – über Ihre Tochter.«

»Das kann ich nicht – nicht jetzt. Und auch nicht in zehn Minuten. Eher morgen, wenn überhaupt …«

»Vielleicht darf ich Ihnen einige Fragen stellen.«

Franziska Bollheim schüttelte den Kopf und erhob sich. »Das hat alles Zeit. Viel Zeit.«

»Wir suchen den Täter. Und je eher wir wissen …«

»Später«, warf Franziska Bollheim ein. »Ich schaffe das jetzt nicht. Verstehen Sie das nicht? Bringen Sie mich jetzt nach Hause?«

»Natürlich.«

Romy verstaute das Fahrrad. Kurz darauf waren sie unterwegs. Franziska Bollheim wohnte in einem Mehrfamilienhaus im Süden der Stadt. In der Nähe befand sich eine Schule, die Grünanlagen waren gepflegt; es roch nach Flieder. Kindergeschrei erklang, als Romy ausstieg. Sie hob das Rad aus dem Kofferraum. »Darf ich es Ihnen in den Keller bringen?«

Bollheim nickte. »Ja, danke.« Sie ging vor und öffnete die Türen. Ihre Bewegungen wirkten mechanisch und steif.

Romy schob das Rad in den Ständer und blickte auf ihre Hände. »Darf ich kurz mit hochkommen und mich waschen?«

Bollheim hob den Blick. »Das ist ein Trick, oder?«, flüsterte sie. »Ich möchte lieber allein sein.«

»Geben Sie mir fünf Minuten – bitte.«

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Svenjas Mutter reagierte. »Gut, kommen Sie«, sagte sie schließlich leise.

Franziska Bollheim wohnte im zweiten Stock. Sie schloss die Tür auf und ging, ohne auf Romy zu achten, schnurstracks ins Wohnzimmer. Dort blieb sie mitten im Raum stehen, umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht und begann, zu schreien.

2

Max hatte die Daten vom Smartphone auf seinen Rechner überspielt und ordnete sie nun in Kontakte, Kommunikation, Fotos und Aktivitäten, die er um allgemeine und recherchierte Angaben zu Svenja Bollheims Biographie ergänzte und in seine Falltabelle einpflegte. Er liebte diese Aufgabe. Die Aufklärung eines Morddelikts war für ihn zunächst einmal kaum etwas anderes als die Analyse eines Ereignisses, das durch ein zunehmend dichter mit Informationen gefülltes Netz Schlussfolgerungen auf die Geschehnisse zuließ, Hintergründe hervorhob und das Umfeld beleuchtete. Idealerweise stachen im Laufe der Ermittlungen Namen hervor oder führten zumindest in die fallentscheidende Richtung, oder es fielen Stichworte, die Schlaglichter auf wichtige Themen warfen. Doch natürlich lief es selten ideal. Als das Team Anfang des Jahres innerhalb kürzester Zeit einen dringend Tatverdächtigen festgenommen hatte, deutete alles darauf hin, dass der Mann einen Tierarzt ermordet hatte: ein starkes Motiv, Umstände, die gegen ihn sprachen, eine höchst beeindruckende Beweislage, Tatort und Zeit. Erst die Beleuchtung der weiteren Hintergründe im Zusammenhang mit einem anderen Mordfall hatte sie schließlich auf eine zweite Spur geführt. Wenige Stunden nach der Entdeckung der ermordeten Svenja Bollheim war bislang nur klar, dass sie während eines abendlichen Ausflugs überfallen worden war.

Max erledigte einige Telefonate und rief Mails ab, dann wandte er sich wieder der Recherche zu. Svenja hatte vor kurzem ihr Studium beendet und war nach Rügen gereist – ihre Lieblingsinsel seit vielen Jahren –, wo sie sich nicht nur ein paar Tage erholen wollte, sondern bereits berufliche Pläne in Angriff genommen hatte. Bewerbungsschreiben hatte sie schon vor einiger Zeit auf den Weg gebracht. Die beiden Vorstellungsgespräche in Stralsund und Bergen waren unauffällig verlaufen – im Sinne des nachfolgenden Geschehens. Max hatte die entsprechenden Kontaktdaten in seine Tabelle aufgenommen und suchte nun in den sozialen Netzwerken nach Svenja. Sie hatte hin und wieder knappe Statements über ihr Herzensthema verfasst, das in der Hauptsache den Schutz von Naturlandschaften sowie Fragen des Umweltschutzes umfasste, ergänzt durch Fotoserien oder auch kurze Videos. Wie es aussah, war Svenja eine Verfechterin ökologischer und nachhaltiger Konzepte gewesen, die ihrer Ansicht nach den Vorrang vor Fragen der Gestaltung und Bautechnik erhalten sollten – und vor touristischen Belangen.

Max klickte sich durch Aufnahmen aus dem Jasmunder Nationalpark sowie von Boddenlandschaften im gesamten Ostseebereich und widmete sich schließlich der Diplomarbeit. Svenja hatte über die Neuendorfer Wiek auf Rügen geschrieben. Dort hatte es über viele Jahre eine Auseinandersetzung um den Kiesabbau gegeben, bis 2013 in dem artenreichen Gebiet vom BUND ein Naturlehrpfad eröffnet worden war. Damit konnten die Lebensräume für Tausende von Wasservögeln gerettet werden. Schöne Sache, dachte Max. Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht, wenn die nächsten Hotel- und Ferienhaussiedlungen auf der Insel entstehen sollen und es wieder einmal darum geht, was schwerer wiegt: Naturschutz und Ursprünglichkeit, die Belange der Rüganer oder wirtschaftliche Interessen. Aber die Arbeitsplätze! Ein Totschlagargument. Er seufzte leise und holte sich eine Tasse Tee.

Zwei Stunden später traf Finn ein. Er hatte sich den Kollegen angeschlossen, die in der Umgebung des Tatorts nach Zeugen suchten – vornehmlich Urlauber und Bewohner aus dem angrenzenden Ort Gager und Nachbarn im Umkreis des Bungalows. Fallbetreffend weiterführende Aussagen: Fehlanzeige.

Finn goss sich einen Kaffee ein. »Immerhin habe ich einiges an Foto- und Videomaterial von Urlaubern sichern können, die in den letzten Tagen im Mönchgut unterwegs waren.« Er reichte Max einen USB-Stick und zuckte mit den Achseln. »Vielleicht entdecken wir ja noch etwas, was wichtig werden könnte.« Er trank einen Schluck und verzog das Gesicht. »Der schmeckt aber ziemlich … gewöhnungsbedürftig«, schob er hinterher.

Max zuckte mit den Achseln. »Was soll ich sagen? Du kannst gerne Fines Job übernehmen – wir müssen noch mindestens drei Wochen ohne sie auskommen, und das heißt auch: kein leckerer Imbiss, und der Kaffee, den wir zusammenbrauen, ist zugegebenermaßen selten ein Hochgenuss.«

Die Kollegin, seit rund drei Jahrzehnten gute Seele im Bergener Innendienst des Kommissariats, hatte sich bei einem Sturz einen komplizierten Beinbruch zugezogen und fiel wohl für längere Zeit aus. Das war nicht nur bezüglich des leiblichen Wohls höchst bedauerlich.

»Das klingt übel – in jeder Hinsicht«, meinte Finn. »Vielleicht sollte ich tatsächlich mal einspringen. Als Brot- und Kuchenbäcker kann ich übrigens durchaus punkten …« Er räusperte sich. »Aber das nur so nebenbei. Ich war noch bei dem Gastwirt, aber der war kaum ansprechbar. Wirkte ziemlich schockiert. Immerhin hat er versprochen, sich zu melden und uns ein paar Namen von Gästen zu liefern – Leute, die in letzter Zeit dort waren und Svenja kannten.« Finn warf einen Blick auf den Monitor. »Gibt es schon Namen aus dem Uni-Umfeld?«

»Ich schicke dir eine Liste mit Leuten, die du kontaktieren kannst. Und die entscheidende Frage lautet …«

»Wer hat sie wann zuletzt gesehen oder gesprochen und womöglich etwas Besonderes bemerkt?« Finn zwinkerte. »Alles klar.«

»Ich hatte wohl vergessen, dass du inzwischen ein gestandener Kommissar bist.«

»Passiert häufiger.« Finn lächelte und nahm nebenan am großen Besprechungstisch Platz. Bevor er sich an die Arbeit machte, setzte er frischen Kaffee auf.

Max konzentrierte sich wieder auf seine Fotodateien, und es wurde still im Kommissariat.

Romy hatte Tee gekocht und die Kanne auf ein Stövchen gestellt. Sie war aufgewühlt wie schon lange nicht mehr. Das verzweifelte Schreien der Frau hallte immer noch in ihr nach, obwohl Svenjas Mutter bereits Minuten zuvor verstummt war. Es wäre sinnvoll und angemessen, eine Beamtin vom psychologischen Notdienst anzurufen, doch Romy war sicher, dass Franziska Bollheim rigoros ablehnen würde, zumindest für den Moment. Inzwischen saß sie still auf dem Sofa, hatte sich ein Kissen auf die Knie gelegt und blickte versteinert ins Leere. Romy reichte ihr eine Tasse Tee. Bollheim wandte ihr langsam das Gesicht zu. »Zwei Stückchen Kandis?«, flüsterte sie.

»Ja – wie Sie gesagt haben. Heidelbeertee mit Kandis, zwei Stückchen.«

Bollheim trank vorsichtig einige kleine Schlucke. »Sie sind sehr umsichtig. Aber nun sollten Sie gehen und Ihre Arbeit machen.«

»Erzählen Sie von Svenja«, erwiderte Romy.

»Das ist unmöglich … Wo soll ich anfangen? Und außerdem …«

»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen oder sich mit ihr unterhalten?«, fragte Romy.

»Sie ist auf dem Weg zur Insel bei mir vorbeigefahren. Das war … am letzten Samstag. Wir haben zusammen gefrühstückt. Sie hat sich gefreut wie ein kleines Kind.« Bollheim senkte den Kopf. Ihr Gesicht war nass und bleich.

Romy wartete.

»Sie hatte viel vor. Das Studium war geschafft, und nun sollte es weitergehen«, fuhr Bollheim schließlich fort. »Das Mönchgut … Es war ihr Lieblingsort auf der Insel. Und der Jasmund.«

»Bei mir ist es genauso«, bemerkte Romy.

Bollheim nickte und sah einen Moment auf ihre Hände. »Sie hatte keinen Streit oder irgendwelche Probleme mit anderen«, meinte sie dann. »Darauf wollen Sie doch hinaus, oder?«

»Ich hätte Sie danach gefragt – ja. Wir suchen nach Ansatzpunkten, die uns weiterhelfen könnten.«

»Svenja hat studiert, sie spielte Squash und ist gerne gesurft. Sie war eine ganz normale junge Frau.«

»Gibt es einen Freund oder eine Partnerin?«

»Sie hatte bis vor einigen Monaten eine Beziehung – Jascha.« Bollheim schwieg einen Moment. »Er hat auch in Neubrandenburg studiert – Bauingenieur – und in meiner Firma ein Praktikum absolviert«, fuhr sie dann fort. »Ich habe das vermittelt. Die beiden passten gut zusammen, soweit ich das beurteilen konnte. Ich weiß nicht, warum sie sich getrennt haben. Svenja hat nur erzählt, dass es vorbei wäre – er hätte Schluss gemacht. Doch sonderlich erschüttert wirkte sie nicht.« Bollheim sah Romy an. »Ich kann Ihnen seine Nummer geben, wenn Sie möchten, die habe ich noch aus seiner Praktikumszeit.«

»Das wäre hilfreich«, entgegnete Romy, obwohl sie sicher war, dass Max die Kontaktdaten längst erfasst hatte.

Bollheim beugte sich vor und goss Tee nach. »Sie war mein Lieblingskind«, sagte sie nach einer kurzen Pause in leisem Ton. »Ich weiß – man soll die Liebe zu seinen Kindern gerecht verteilen und keines bevorzugen. Darum habe ich mich immer bemüht. Aber … Ja, Svenja war nun mal mein besonderes Herzkind. Sie hat mich tiefer berührt als ihr Bruder, das konnte ich einfach nicht verhindern. Und ich denke, er hat es immer gewusst und mir auch nicht übel genommen – hoffe ich.«

»Ihr Sohn arbeitet in Hannover.«

»Ach, das wissen Sie schon?«

»Wir haben zügig mit den Recherchen begonnen.«

»Ja, Patrick arbeitet bei VW. Er macht Karriere, wenn ich das richtig verstanden habe. Jedenfalls leitet er mit knapp dreißig schon eine Abteilung, verdient sehr viel Geld und hat eigentlich kaum Freizeit …« Franziska Bollheim nickte. »Sein Vater wäre stolz auf ihn.« Sie verzog den Mund. »Ich bin es natürlich auch …«

Es ist ihr egal, dachte Romy. Und die Verbindung war nie innig gewesen. Das kam in den besten Familien vor. Sie selbst wusste, dass ihre Eltern sich einen intensiveren Austausch mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn wünschten, aber Romy war ganz froh, dass viele hundert Kilometer zwischen Rügen und München lagen und Familientreffen damit von vornherein limitiert und auf Urlaubszeiten beschränkt waren.

»Ist es Ihnen recht, wenn ich mit Ihrem Sohn spreche?«, fragte Romy weiter. »Vielleicht kann er sich freinehmen und …«

»Ich glaube, er ist zurzeit auf Dienstreise«, warf Franziska Bollheim ein.

»Meinen Sie nicht, dass er nach Hause kommen und Sie unterstützen würde?«

Franziska Bollheim runzelte die Stirn. »Ja, vielleicht …« Sie strich sich über die Stirn.

»Ich könnte mit ihm reden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das sollte ich selbst tun.«

Romy nickte.

»Sie können mich jetzt allein lassen.«

Da bin ich nicht sicher, dachte Romy. »Eine Beamtin vom psychologischen Notdienst wird Kontakt zu Ihnen aufnehmen.«

»Das ist nicht nötig.«

Sie wird es trotzdem tun, dachte Romy, während sie langsam aufstand. »Noch etwas, Frau Bollheim, ich habe den Hausschlüssel aus dem Bungalow mitgenommen und möchte mich in Svenjas Wohnung umsehen. Ein Beschluss liegt wahrscheinlich noch nicht vor, der ist aber unter diesen Umständen eine reine Formsache. Ich hoffe …«

»Natürlich.«

»Möchten Sie mich begleiten?«

»Nein.«

Als Romy wenige Minuten später das Haus verließ, hatte sie ein ungutes Gefühl. Sie setzte sich in den Wagen, schrieb Jan eine Nachricht und bat ihn, psychologische Unterstützung für Svenjas Mutter zügig zu ermöglichen, dann ließ sie sich die Telefonnummern von Svenjas Bruder und ihrem Ex-Freund geben. Weder Jascha Fehlberg noch Patrick Bollheim waren zu erreichen. Romy sprach beiden auf die Mobilbox und machte sich auf den Weg nach Neubrandenburg. An einem Imbiss versorgte sie sich mit einem Fischbrötchen und merkte erst jetzt, wie ausgehungert sie war. Sie hatte seit dem Frühstück am frühen Morgen nichts mehr gegessen, und inzwischen war es Nachmittag.

Svenja hatte im Osten von Neubrandenburg gewohnt – in der Nähe des Kiessees. Ihre Wohnung war groß und gemütlich, keine übliche Studentenbude – und kein Single-Haushalt. Romy schätzte, dass Svenja und ihr Freund zusammengelebt hatten und sie sich angesichts ihrer Pläne entschlossen hatte, die Wohnung erst dann aufzugeben, wenn sie nach Rügen zog. Es gab ein gemeinsames Arbeitszimmer, in dem ein Regal leergeräumt war. Auf Svenjas Schreibtisch stapelten sich Fachliteratur und Kartenmaterial, die wohl mit ihrer Abschlussarbeit zusammenhingen. An der Wand befand sich eine große Rügenkarte mit detaillierten Hinweisen zu Landschaftsschutzgebieten. Romy setzte sich an den Schreibtisch, fuhr den PC hoch und öffnete die Schubladen. Der Bildschirm flackerte auf. Ein Passwort wurde angefordert. Natürlich, was sonst? Romy seufzte. Darum mussten sich die Experten kümmern. Ihr Handy klingelte, als sie gerade in die Küche ging. Jascha Fehlberg meldete sich mit dezent verwundert klingender Stimme. »Sie hatten um meinen Rückruf gebeten. Habe ich das richtig verstanden – Kriminalpolizei Bergen auf Rügen? Ist etwas passiert?«

»Es tut mir leid, Herr Fehlberg. Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre ehemalige Freundin heute Morgen tot aufgefunden wurde.«

Schweigen.

»Wir müssen von einer schweren Straftat ausgehen.«

»Svenja ist tot?«, fragte er leise.

»So leid es mir tut, ja. Ein Urlauber hat sie entdeckt.«

Fehlberg schwieg. »Geht es um Mord?«

»Es sieht alles danach aus.«

»Aber das ist doch …«

»Ich weiß – unvorstellbar«, warf Romy ein. »Das ist es fast immer. Ich würde gerne mit Ihnen sprechen«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu. »Ich bin gerade in Svenjas Wohnung. Hätten Sie die Möglichkeit, vorbeizukommen?«

»Sie sind in Neubrandenburg?«, fragte er verblüfft. »Ich dachte, Sie sind von der Insel …«

»Ich nehme die Dinge gerne selbst in die Hand«, erklärte Romy. »Hätten Sie Zeit? Ein persönliches Gespräch ist meistens aufschlussreicher als ein Telefonat.«

»Ja, natürlich. Ich mache mich so schnell wie möglich auf den Weg.«

Als Fehlberg eintraf, war eine gute halbe Stunde vergangen. Romy hatte die Zeit genutzt, sich weiter in der Wohnung umgesehen, und einige Fotos gemacht. Außerdem hatte sie die örtlichen Kollegen informiert.

Fehlberg war ein großer und schlaksiger Typ mit schmalem Gesicht; er wirkte zutiefst betroffen und schien unsicher, wie er sich verhalten sollte. Romy ließ ihm einen Moment Zeit, dann nahmen sie im Wohnzimmer am Esstisch Platz, und sie ergriff das Wort. »Sie haben hier zusammengelebt.«

Er fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und blickte kurz ins Leere. »Ja, stimmt«, sagte er dann. »Bis vor … ungefähr drei Monaten.« Er hob den Blick. »Ist das wichtig?«

»Im Moment ist alles wichtig.«

Er nickte. »Okay … Wir waren gut ein Jahr zusammen und hatten insgesamt eine schöne Zeit, aber … Na ja, im Alltag passte es nicht so gut, das haben wir schnell gemerkt, als wir zusammengezogen waren. Es sollte wohl nicht für die Ewigkeit sein. Ich habe mir schließlich eine andere Wohnung gesucht, und wir hatten seitdem kaum noch Kontakt.«

Romy lehnte sich zurück. Das klang bemerkenswert unaufgeregt.

»Sie steckte in ihren Prüfungen, ich habe gerade meinen ersten Job angetreten, und irgendwie wurde klar, dass das mit uns nicht reichte – für die Zukunft und so weiter. Unsere Trennung war übrigens kein großes Drama.«

»Sie haben die Beziehung beendet, oder?«

Er nickte. »Ja, stimmt. Ich wollte kein langes Hin und Her und habe dann einen klaren Trennstrich gezogen.«

»Svenja wollte nach Rügen.«

»Ja, das war auch so ein Punkt«, meinte Fehlberg. »Ich habe ihre Begeisterung nicht geteilt und wäre lieber weiter Richtung Süden gezogen. Und das kommt ja vielleicht noch. Meine Firma baut zurzeit in der Nähe von Berlin ein neues Unternehmen auf, und es ist gut möglich, dass ich da bald …« Er brach ab und strich sich erneut durchs Haar. »Was rede ich da nur? Das ist jetzt doch völlig egal.« Er atmete tief ein.

Romy warf ihm einen verständnisvollen Blick zu. »Wissen Sie von Problemen oder Konflikten, die Svenja beschäftigten?«

»Nein. Wie gesagt – wir hatten schon länger keinen Kontakt mehr. Svenja war kein Typ, der sich lange mit Problemen aufhielt – weder im Studium noch im Freundeskreis. Wenn es mal mit irgendwem Streit gab, räumte sie den schnell aus oder zog einen Strich darunter.«

»Gab es so etwas wie eine beste Freundin?«

Fehlberg überlegte kurz. »Schwer zu sagen.« Er zögerte. »Sie war ein sehr aktiver Mensch, und es gab eine Menge Kontakte …« Er zuckte mit den Achseln. »Die beste Freundin? Da kann ich mich wirklich nicht festlegen.«

Vielleicht hatte es gar nicht die eine enge Freundschaft gegeben, überlegte Romy. Habe ich eine beste Freundin, mit der ich über Gott und die Welt rede und jedes große und kleine Problem bespreche? Nein. Die letzte Frau, zu der sie eine innige Beziehung hatte, hieß Irina und war eine Kollegin, die während ihrer Ausbildung zu ihrer Gruppe gestoßen war – später waren sie in unterschiedliche Richtungen aufgebrochen und hatten sich bemerkenswert schnell aus den Augen verloren. Schade eigentlich. Irina war ein Ass in Selbstverteidigung gewesen und hatte auch bei den Schießübungen immer ganz vorne gelegen.

Fehlberg musterte sie aufmerksam. »Haben Sie noch weitere Fragen? Ich müsste nämlich noch mal in die Firma.«

»Nur noch eine – ich muss Sie fragen, wo Sie gestern Abend waren.« Romy hob rasch beide Hände. »Das ist reine Routine und hat nicht das Geringste mit dem bisherigen Stand der Ermittlungen geschweige denn Verdächtigungen zu tun.«

»Ich verstehe.« Fehlberg zog sein Smartphone aus der Tasche – auf dem Sperrbildschirm leuchtete das Foto von einem einsamen Strand auf – und öffnete seine Kalender-App. »Ich war bis spät abends unterwegs für meine Firma, gleich danach haben wir den Geburtstag eines Kollegen in einem Lokal gefeiert.«

»Geht das etwas genauer? Nur der Vollständigkeit halber.«

»Natürlich. Ich schicke Ihnen seine Kontaktdaten.«

»Danke.«

Wenig später verabschiedete sich Jascha Fehlberg. Romy wartete auf das Eintreffen eines Kollegen des hiesigen Kommissariats und machte sich schließlich auf den Rückweg. Weitere Gespräche im Freundeskreis und im Umfeld der Uni verschob Romy auf den nächsten Tag. Sie ließ die Eindrücke während der Fahrt Revue passieren. Eine völlig verzweifelte Mutter, die Romy kaum gewagt hatte, allein zu lassen, der Ex, der sich ihrer Einschätzung nach reservierter gab, als er tatsächlich war. Eine junge aktive Frau, die bereits vor Jahren ihre Liebe zur Insel entdeckt hatte und nun auf Rügen neu durchstarten wollte. So wie ich damals, dachte Romy – als sie zum ersten Mal mit Moritz hier war, ihrem damaligen Lebensgefährten, der später auf tragische Weise früh verstarb. Das lag viele Jahre zurück.

Kurz vor Stralsund meldete sich der Rechtsmediziner. »Ihr Körper weist zahlreiche Schlagverletzungen auf – heftige Fausthiebe, Tritte. Wutgeladen, würde ich sagen. Und der oder die Täter trugen Handschuhe, oder sie haben ihre Spuren beseitigt – das geht mit Salzwasser ziemlich gut. Salzrückstände auf Haut und Kleidung sprechen dafür.«

»Es könnten mehrere gewesen sein?«

»Davon gehe ich aus«, bestätigte Doktor Möller. »Die Größe und Abdrücke der Faustschläge variiert. Aber das ist im Moment lediglich eine erste Einschätzung, die Sie im Hinterkopf behalten sollten, bis ich weitere Untersuchungen und Analysen durchgeführt habe.«

»Wie sieht es mit sexueller Gewalt aus?«

»Ja – auf sehr brutale Weise. Die Verletzungen sind beträchtlich.«

Romy runzelte Stirn. »Sie war vollständig bekleidet.«

»Tja, was soll ich sagen? Vielleicht sollte das verschleiert werden, oder die Vergewaltigung fand kurz vorher statt.«

»Das klingt seltsam.«

»Ich stimme Ihnen zu. Womöglich gibt es eine andere Erklärung. Auf jeden Fall habe ich eindeutige Verletzungsspuren festgestellt. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald es mehr zu berichten gibt.«

»Danke.« Romy unterbrach die Verbindung und wählte sofort Buhls Nummer, während sie langsam weiterfuhr.

»Ich hätte dich innerhalb der nächsten halben Stunde angerufen«, meldete er sich und verzichtete auf eine Begrüßung.

»Hast du schon was für mich?«

»Was brennt dir besonders unter den Nägeln?«, fragte Buhl.

»Ist der Fundort auch der Tatort?«

»Gute Frage. Die Spurenlage so dicht am Wasser, noch dazu auf dem steinigen Untergrund, ist alles andere als ideal«, erklärte Buhl. »Da sind mehrere Szenarien möglich.«

»Könnte man die Leiche dorthin gebracht haben?«

»Nicht völlig auszuschließen. Wir haben uns auf dem Weg nach oben und auf dem Wanderweg selbstverständlich sehr genau umgesehen – ohne fündig zu werden. Keine Spurenlage, die auf Besonderheiten hinweist, besser gesagt: Da ist ja immer viel los, und es lässt sich bislang und ohne weitere Anhaltspunkte kaum etwas feststellen, das mit einem Verbrechen zu tun haben könnte – Kampfspuren zum Beispiel.«

»Wer immer da unterwegs war, hat sich demnach zu Fuß an ihre Fersen geheftet – die Wege sind ja für Fahrzeuge gesperrt«, stellte Romy fest.

»Was erst mal nichts heißen muss, aber wir haben keine entsprechenden Hinweise entdeckt, und mein Team war den ganzen Tag dort und hat sich gründlich umgesehen. Es bleibt noch die Möglichkeit, dass sie mit dem Boot unterwegs waren. Nachts wäre das kaum aufgefallen.«

»Klingt zu umständlich, aber mir ist natürlich klar, dass das kein schlagendes Argument ist«, entgegnete Romy. »Wir wissen, dass sie abends zu einem Spaziergang Richtung Zickersche Berge aufgebrochen ist. Und im Moment spricht einiges für ein Szenario, in dem sie verfolgt und überfallen wurde – und möglicherweise waren es sogar mehrere Täter, sagt Möller.«

Einen Moment blieb es still. Ein Abendspaziergang über die Zickerschen Berge, während die Sonne allmählich unterging. Ein Verfolger – oder auch mehrere – würden kaum auffallen, wenn sie sich einigermaßen unauffällig bewegten.

»Wir schauen uns morgen gründlich in dem Bungalow um, und die Kollegen in Neubrandenburg machen in der Wohnung ihren Job«, ergriff Buhl schließlich wieder das Wort. »Vielleicht entdecken wir etwas.«

»Vergesst den Wagen nicht.«

»Tun wir nicht.«

Romy setzte den Blinker und bog ab in Richtung Mönchgut. Buhl war noch in der Leitung. »Sie muss jemandem ganz gewaltig auf die Füße getreten sein«, sagte sie plötzlich. »Diese Brutalität ist keine Zufallstat eines entgleisten Psychopathen – der hätte kaum seine Spuren verwischt oder sich größere Mühe gegeben, nicht aufzufallen. Das ist jedenfalls meine Einschätzung – die natürlich im Moment einfach nur meinem Bauchgefühl entspringt.« Und meinem Entsetzen, fügte sie lautlos hinzu.

»Für Brutalität braucht es manchmal nur einen winzigen Auslöser – einen Trigger, der eine ganze Hasswelle auslösen kann.«

Romy wartete.

»Und dann ist der Täter nicht mehr zu stoppen.« Buhl räusperte sich leise.

»Willst du auf etwas Bestimmtes hinaus?«

»Wir haben vor einiger Zeit mal in Greifswald ausgeholfen – da hat eine fünfzigjährige Frau ihren alten Vater totgeschlagen. Scheinbar aus dem Nichts heraus. Der Fall hat mir keine Ruhe gelassen, und ich habe nachgehakt. Die Täterin hat einige unschöne Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt. Ihr Vater war ein brutaler und grausamer Schläger. Er hat regelmäßig seinen Gürtel benutzt und sie grün und blau geprügelt, während er irgendeinen Schlager summte.«

Romy holte tief Luft.

»An dem Abend, als sie bei ihm war, wollte sie reinen Tisch machen«, fuhr Buhl fort. »Ihr Leben neu sortieren und Altes aufarbeiten. Ihr Vater fand das eher lächerlich, und irgendwann summte er diese Melodie. Die Angeklagte sagte aus, dass sie einfach rotgesehen und nach dem erstbesten Gegenstand gegriffen hätte. Als sie wieder zu sich kam, lag ihr Vater mit eingeschlagenem Schädel vor ihr. Und sie war froh, dass er still war – ihre Worte. Übrigens – kein schöner Anblick, das kann ich dir sagen.«

»Das klingt aufschlussreich und erschreckend zugleich«, murmelte Romy. »Aber …«

»Ich weiß, so schlimm sah Svenja nicht aus. Und dennoch könnte die Situation eskaliert sein, und dem Täter blieb dann nur noch der Mord – aus Angst vor Entdeckung.«

»Sie wurde auch vergewaltigt«, fügte Romy hinzu.

Buhl überlegte kurz. »Und danach hat man sie wieder angekleidet?«

»Ja, das ist merkwürdig, oder?«

»In der Tat.«

»Warten wir den vollständigen Bericht ab, bevor wir uns das Hirn weiter zermartern.«

»Alles klar, Chefin. Mach jetzt besser Feierabend.«

»Gute Idee – gilt für dich auch.«

Romy fuhr direkt nach Hause. Jan war noch unterwegs; sie setzte sich auf die Terrasse, schrieb ein Memo und mailte es nach Bergen und Stralsund. Dann stellte sie ihr Handy auf lautlos und machte sich auf den Weg zum Strand. Sie nahm die Route quer durch die Salzwiesen. Eine leichte Brise war aufgekommen.

3

Bis zum nächsten Mittag hatten Romy und Finn einen großen Teil von Svenjas Kontakten abtelefoniert beziehungsweise um Rückruf gebeten. Es war niemand dabei, der nicht entsetzt und ratlos reagierte. Eine Kommilitonin aus Svenjas Uni-Lerngruppe brachte minutenlang kein Wort heraus und bat schließlich darum, später zurückrufen zu können. Ein Mitspieler aus der Squash-Gruppe war so erschüttert, dass er das Gespräch abbrach.

Schließlich meldete sich eine Freundin, die gerade von einer Geschäftsreise zurückgekehrt war. »Ich habe es eben erfahren«, sagte Viola Klamm leise. »Wir haben uns bei einem Surfseminar auf Rügen beziehungsweise Ummanz kennengelernt – im letzten Jahr. Svenja gehörte zu den Fortgeschrittenen, ich stand das erste Mal auf dem Brett. Seitdem sind wir im lockeren Kontakt geblieben und haben uns immer mal wieder zum Surfen verabredet …«

Romy warf einen Blick in die Kontaktinformationen, die Max auf die Schnelle recherchiert hatte. Viola Klamm war Ende zwanzig und in einer Immobilienfirma beschäftigt, in der sie für überregionale Projekte zuständig war. Den Fotos in den sozialen Netzwerken nach zu urteilen war sie eine erfolgreiche und attraktive Frau, die wusste, wie man sich präsentierte.

»Wann haben Sie sich das letzte Mal gesehen oder miteinander gesprochen?«, fragte Romy.

»Das liegt zwei, drei Wochen zurück. Wir haben uns in der Stadt auf einen Kaffee getroffen. Sie war fröhlich und aufgeregt …« Viola unterbrach für einen Moment. »Die überstandene Prüfung und die Aussicht auf ihre Rügenreise haben sie förmlich strahlen lassen.«

»Hat Svenja von ihren Bewerbungen erzählt?«

»Ja – sie hatte die Hoffnung, zu zwei Gesprächen eingeladen zu werden. Es war alles bestens, und jetzt …« Sie schluckte.

Romy wartete einen Moment. »Svenja war bereits seit einigen Monaten von ihrem Freund getrennt. Wissen Sie von Problemen?«

»Warum fragen Sie danach?«

»Weil ich danach fragen muss. Ein derartiges Verbrechen rechtfertigt die unterschiedlichsten Fragen in sämtliche Richtungen. Es bedeutet keineswegs, dass bereits ein Verdacht besteht.«

»Okay. Na ja, die beiden haben das ganz gut über die Bühne gekriegt – also die Trennung«, berichtete Viola Klamm weiter. »Soweit ich weiß, gab es kein großes Theater. Er ist ausgezogen und Ende. Allerdings denke ich, dass sie mir nicht unbedingt von Details berichtet hätte. Wir waren ja nur locker befreundet. Auf jeden Fall wirkte sie nicht auffallend mitgenommen und auch nicht wie jemand, der seinen Schmerz verdrängt.«

Das entsprach in etwa dem, was Svenjas Mutter und Jascha Fehlberg berichtet hatten.

»Es war Jascha wichtig, dass alles diskret abläuft und er nicht blöd dasteht – so etwas hat sie mal erwähnt.«

Romy runzelte die Stirn. »Wie ist das zu verstehen?«

»Er wollte nicht der Loser sein, der abserviert wird. Männer sind manchmal merkwürdig, auch oder gerade wenn es um eine gescheiterte Beziehung geht.«

»Hat nicht er Schluss gemacht?«

»So klang das nicht für mich. Aber wie gesagt – genauer weiß ich es nicht. Vielleicht war es ihm wichtig gewesen, nicht als der Verlassene zu wirken, sondern als derjenige, der eine klare Entscheidung getroffen hat. Damit steht man auch im Freundeskreis besser da. Manche Männer legen gesteigerten Wert auf die Außenwirkung, wenn ich das mal so pauschal sagen darf.«

Interessante Einschätzung, dachte Romy. Doch das Ganze lag Monate zurück. Wer die Beziehung warum beendet hatte, dürfte inzwischen bedeutungslos sein. Sowohl Jascha als auch Svenja waren ihre eigenen Wege gegangen, und nichts wies darauf hin, dass es im Zusammenhang mit der Trennung zu tiefergreifenden Konflikten gekommen war. Hinweise auf eine neue Beziehung hatte Max bislang nicht entdeckt.

»Danke, dass Sie sich gemeldet haben«, sagte Romy schließlich.

»Das ist doch selbstverständlich.«

Romy notierte einige Stichpunkte, sprach kurz mit den Neubrandenburger Kollegen und überflog gerade einen Zwischenbericht von Buhl, als Max mit dem Tablet in der Hand in der Tür stand. Sie sah auf. »Komm rein. Hast du was entdeckt?«

Er setzte sich zu ihr. »Ein Foto, hinter dem möglicherweise mehr stecken könnte.«

Romy betrachtete die Aufnahme – ein Selfie, das Svenja in einer Eisdiele zeigte. Ihre Miene war nachdenklich, still. Im Hintergrund war die aktuelle Angebots- und Preistafel zu erkennen, vor der eine Familie Aufstellung genommen hatte. Das jüngste Kind blickte mit offenem Mund nach oben.

»Das ist in Göhren«, erklärte Max. »Wirkt ziemlich belanglos – auf den ersten Blick.«

»Kann man so sagen – Kategorie: Touristen fotografieren sich beim Essen, am Strand, in der Hotelbar …«

»Sie war aber keine normale Touristin«, gab Max zu bedenken. »Und das Bild ist für sich genommen komplett bedeutungslos, wenn man es mit den anderen Aufnahmen vergleicht – erst recht mit ihren wirklich schönen Naturfotos. Also habe ich einen Blick in die Mediathek geworfen. Sie hat das Foto dort mit einem Hinweis versehen: ›Hier haben wir vor sieben Jahren oft unser Eis gegessen, und alles war noch in bester Ordnung.‹«

»Vor sieben Jahren? Hast du dazu schon was in Erfahrung bringen können?«

Max lächelte – was für eine Frage. »Natürlich. Es geht um eine Kursfahrt mit ihrem Oberstufenjahrgang, ein knappes Jahr vor dem Abi. In ihrem Facebook-Account habe ich dazu einige ältere Fotodateien entdeckt und mir die Liste der Schülerinnen und Schüler genauer angesehen. Ein weiterer Abgleich führte mich dann zu einem Vermisstenfall – auf der Rückreise fehlte die achtzehnjährige Marina Arnold. Ihre Leiche wurde ein halbes Jahr später entdeckt – in der Bauruine eines ehemaligen Ferienlagers an der Boddenstraße gut einen Kilometer außerhalb von Gager.«

Romy runzelte die Stirn. »Was ist passiert?«

»Die Todesursache war nicht mehr eindeutig feststellbar. Marina Arnold wurde unter Schutt und Steinplatten gefunden, und die Verletzungsspuren könnten sowohl auf eine Gewalttat als auch auf ein Unfallgeschehen in dem baufälligen Gebäude hinweisen. Fest steht, dass sich bei der Rückfahrt der Gruppe kaum jemand Sorgen machte. Man ging wohl davon aus, dass Marina spontan beschlossen hatte, alleine in die Sommerferien zu starten. Weitere Ermittlungen führten ins Leere.«

Romy schüttelte den Kopf. »Das klingt merkwürdig.«

»War mir klar, dass du zu dieser Einschätzung gelangen würdest. Du solltest Kasper fragen.«

Romy war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf der Insel tätig gewesen. Der Ex-Kollege Kasper Schneider war inzwischen pensioniert, unterstützte das Team aber immer wieder und dürfte demnach mehr dazu wissen. »Das werde ich tun – solange wir keine anderen Hinweise haben, kann es nicht schaden, an der Stelle tiefer zu graben.«

Max nickte. »Und ich guck mir die Sache auf meine Art auch noch mal genauer an.«

Sie griff nach ihrem Handy, kaum dass Max ihr den Rücken zugekehrt hatte. Kasper nahm das Gespräch sofort an, doch Romy konnte den Hintergrundgeräuschen entnehmen, dass er unterwegs war. »Moin, Kollege. Ich störe nur ungern. Soll ich später noch mal anrufen?«

»Ich bin auf dem Markt in Sassnitz und gerade auf dem Weg zum Auto. Gibt es was Besonderes?«

»Sagt dir der Name Marina Arnold etwas?«

Kasper überlegte nur kurz. »Die vermisste Schülerin, die später in einer Bauruine in Gager entdeckt wurde?«

»Ich bewundere dein Gedächtnis immer wieder.«

»Ich bin ganz zufrieden damit. Dürfte ein paar Jahre zurückliegen – du warst noch nicht auf der Insel.«

»Auch das ist zutreffend. Alle Achtung!«

»Da wir auf Rügen glücklicherweise nicht ständig mit toten Mädchen zu tun haben, ist das kein großes Kunststück«, wiegelte Kasper ab. Romy hörte, dass er in seinen Wagen stieg und die Tür zuschlug.

»Aber habt ihr nicht gerade mit einem aktuellen und besonders hässlichen Fall zu tun?«, schob er nach.

»Stimmt. Der Mord an der jungen Frau hat uns zum Fall von Marina Arnold geführt. Die beiden waren Schulkolleginnen und gemeinsam auf der Jahrgangsfahrt.«

»Du vermutest einen Zusammenhang?«

»Bisher nicht. Aber ich würde gerne mehr dazu erfahren.«

»Komm in einer Stunde vorbei«, meinte Kasper. »Es gibt Fisch.«

»Was sonst?« Romy lächelte. »Danke für die Einladung.«

»Bratkartoffeln oder Kartoffelsalat dazu?«

»Kartoffelsalat.«

»Gute Wahl. Ich werde eine große Portion zubereiten und später Fine auch noch eine Schüssel vorbeibringen.«

Es war früher Nachmittag, als Romy bei Kasper eintraf. Der köstliche Geruch vertrieb für Momente die Anspannung, die jeder neue Fall mit sich brachte. Sie setzten sich auf die Terrasse und aßen schweigend – oder plauderten über Belanglosigkeiten. Erst beim Nachtisch – Erdbeeren mit Vanilleeis und Espresso – ergriff Kasper schließlich das Wort. »Marina Arnold. Das war zunächst mal ein völlig unaufgeregter und unauffälliger Fall oder besser gesagt: Es war anfangs gar kein Fall. Eine Schülerin hatte sich offenbar entschlossen, nicht die gemeinsame Heimreise mit ihrem Jahrgang anzutreten, sondern bereits allein in die großen Ferien aufzubrechen – Richtung Norwegen oder Schweden, wie sie in einer SMS mitgeteilt hatte. Sie war schon am Abend vorher allein unterwegs gewesen, und niemand wunderte sich großartig über ihren spontanen Entschluss. Sie machte wohl häufiger ihr eigenes Ding, wie es bei späteren Befragungen einhellig hieß.«

Romy lehnte sich zurück und strich sich über den gut gefüllten Bauch. Kasper war ein hervorragender Koch und Gastgeber.

»Marina war volljährig, und nicht einmal, als sich herausstellte, dass sie einen Teil ihrer Sachen in der Unterkunft zurückgelassen hatte, kam Unruhe auf – weder bei den Schülern noch im Kreis der Betreuerinnen und Lehrer«, fuhr Kasper nachdenklich fort. »Sie war wohl genau so: impulsiv und unberechenbar, immer für eine Überraschung gut.«

Romy trank einen Schluck Kaffee und wartete, dass Kasper fortfuhr.

»Erst eine gute Woche später kam etwas Bewegung in die Sache. Die Eltern hatten sich bei der Polizei gemeldet und angegeben, dass sie ihre Tochter nicht erreichen konnten. Das hieß aber immer noch nichts. Eine Achtzehnjährige muss sich nicht mit Mama und Papa in Verbindung setzen, wenn sie nicht will.«

»Lass mich raten – bis ein Vermisstenfall daraus wurde, vergingen noch einmal mehrere Wochen.«

»Du hast es erfasst. Als sich die Ferien dem Ende zuneigten und Marina weiterhin verschwunden blieb, wurde es unruhiger. Doch die Befragungen der Mitschüler und Lehrkräfte brachten keinerlei neue Erkenntnisse oder Hinweise. Marina war eine begabte Oberstufenschülerin, sie galt als eigenwillig, forsch und selbstständig, und viele hielten es für wahrscheinlich, dass sie unterwegs war und ihre Ferien genoss, ohne einen Gedanken an ihr Zuhause oder gar besorgte Eltern zu verschwenden. Ihr Handy könnte sie entsorgt haben. Auch auf Rügen fand sich kein einziger Anhaltspunkt zu ihrem Verbleib oder der gewählten Reiseroute. Dennoch wurde Marina nun als vermisst gemeldet.«

»Und es gab nie einen einzigen Hinweis?«

»Nichts, was irgendwie weiterführte. Und als ihre Leiche schließlich Monate später entdeckt wurde, war es nicht mehr möglich, die Todesursache eindeutig feststellen. Es war vieles vorstellbar: ein Unfall, ein Unglück in der Bauruine oder auch eine Gewalttat.« Kasper deutete eine abwägende Handbewegung an. »Kurzum: Wir haben nichts gefunden, was uns dem Geschehen näherbrachte.«

Romy suchte seinen Blick. »Und was dachtest du damals, was passiert sein könnte?«

»Ich hielt es für vorstellbar, dass sie sich dort mit Leuten getroffen hatte – zum Feiern und Trinken. Es gibt Menschen, die das toll finden – in zerfallenen Bauruinen Party machen. Das gibt ihnen einen wie auch immer gearteten Kick.« Kaspers Miene ließ keinerlei Zweifel daran aufkommen, was er von solchen Aktionen hielt – schon die Bezeichnung fand er wohl eher befremdlich.

»Und dann ist es zu einem Unglück gekommen – weil eine Wand einstürzte?«

»So etwas in der Art.« Kasper nickte. »Die baufällige Ruine bot eine Menge Gefahrenpotenzial. Und wer dabei war, hat sich aus dem Staub gemacht.«

»Gab es denn Spuren, die …«

»Jede Menge Flaschen und Kippen, Müll und so weiter, aber nichts, was uns weiterbrachte.«

Oder das Ambiente sollte genau diesen Eindruck erwecken, dachte Romy.

»Ich sehe dir an, dass du schon wieder über ein ganz anderes Hintergrundgeschehen nachdenkst«, stellte Kasper fest. »Die Verletzungen ließen in der Tat verschiedene Deutungen zu. Aber nach einem halben Jahr war es kaum noch möglich, im Detail und eindeutig zwischen Schlag- und Sturzverletzungen zu unterscheiden. Inzwischen gab es ja sogar Tierfraßspuren.«

»Ich verstehe. Die Leiche könnte aber auch dort abgelegt worden sein.«

»Nicht auszuschließen. Doch wir haben nichts entdeckt, was auf einen anderen Tatort hinwies oder auf ein irgendwie geartetes Verbrechen.« Kasper legte die Hände auf den Tisch. »Und was genau beschäftigt dich jetzt?«