Inselreise - Corina Lanfranchi - E-Book

Inselreise E-Book

Corina Lanfranchi

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Beschreibung

Eine rätselhaft-poetische Geschichte über eine Reise auf eine unbekannte, abgelegene Insel.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 29

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Mit acht Monotypien von Annegret Dürig

Vielen Dank Serena für deine theatrale Reise-Begleitung auf die Insel!

Die Autorin dankt dem Fachausschuss Literatur BS/BL für die Unterstützung der Buchprojektes »Inselreise«.

Was ist bloss mit den Wörtern los? Ich schüttle Sätze, wie man eine kaputte Uhr schüttelt, und nehme sie auseinander; darüber vergeht die Zeit, die sie nicht anzeigt.

Max Frisch

Ich schreibe. Nicht aus Vernunft, sondern aus Leidenschaft. Ich baue mit Buchstaben Inseln. Wortinseln. Man könnte auch sagen: Inselgeschichten.

Manchmal nehme ich gleich ganze Wörter: Muscheln, zum Beispiel, Fernsicht, Traum, Auszeit, Abgeschiedenheit, Verlorenheit, Wasser, Weite. Verbinde ich Muscheln mit Fernsicht, Traum mit Auszeit, Abgeschiedenheit mit Verlorenheit und Wasser mit Weite – dann sehe ich eine kleine Mittelmeerinsel vor mir. Sie liegt am Äussersten alles Gesagten. Gut möglich, dass es sie gibt.

Ich fühle mich zurzeit etwas schiffbrüchig. Das ist wohl mit ein Grund für meine verbale Inselsehnsucht. Inseln sind wunderbare Fluchtorte. Und verlockende Ziele: Dort scheint die Welt überschaubar. Auch deshalb faszinieren sie mich, sie haben einen Anfang und ein Ende, sind ein Kosmos für sich. Zuweilen erdichte ich mir meine Insel. Auf erfundenen Inseln ist alles möglich. Der Tag, zum Beispiel, kann im Westen beginnen und im Osten enden. Auf solchen Inseln passen Wirklichkeit und Vorstellung immer zusammen. Eine Sehnsuchtsinsel habe ich auch mal entworfen. Damit die Fantasien einen Ort finden. Auf Inseln kann man auch stranden. Mir selber ist das noch nie passiert, doch Robinson hat es vorgemacht. Inseln sind gefährlich. Es gibt solche, von denen kommt man nie mehr los.

Heute ist einer dieser ersten Vorsommerabende, an denen die fein duftenden Veilchen im Garten verheissungsvoll den Sommer ankünden. Beim Zeitungslesen bin ich auf einen Artikel gestossen, der von einer Frau berichtet, die auf einer kleinen Insel im Mittelmeer lebt, und aus Goldmuschelfäden goldene Stoffe webt. GOLDMUSCHELFÄDEN. Das Wort fasziniert mich. Es klingt wie ein Wort aus einem Märchen. So was gibt es nur auf Inseln, denke ich. Lebenslang hat sie sich diesem Handwerk verschrieben; nun ist sie die letzte Hüterin dieser uralten Webkunst. Ein unvorstellbarer Gedanke, lebenslang am selben Ort dasselbe zu tun. Unvorstellbar und faszinierend zugleich: Sich einer Sache ganz zu verschreiben, bedeutet Leidenschaft. Leidenschaftliche Menschen ziehen mich an. Ich suche auf dem Atlas die kleine Insel. Ich finde sie sofort. Über Goldmuscheln und über Rosanna Fiorino, die alte Weberin, ist kaum etwas zu erfahren. So fange ich an, mir ihr Leben vorzustellen.

Ich sehe die Frau an einem alten Webstuhl sitzen, sie ist gross, hager, sie arbeitet konzentriert. Ab und zu streicht sie eine Strähne aus ihrem Gesicht, die sich aus dem strenggebundenen Haarzopf gelöst hat. Ihre dunklen Augen folgen den Schussfäden, die schnell zwischen den Webkanten hin- und herschiessen. Sie lässt sich von nichts ablenken, sie blickt nicht auf, wenn sich die Tür zur Werkstatt öffnet, sie sieht nicht zum Fenster, wenn in der Gasse eine laute Menschenstimme ertönt. Manchmal hält sie inne und fährt mit der Hand dem Stoffmuster nach. Sie arbeitet genau, sehr genau, alles liegt in ihren Händen; sie weiss, dass sie die letzte und einzige ist, die Goldfäden zu weben weiss. Abends sitzt sie in der untergehenden Sonne, irgendwann verschwindet sie im Haus. Durch ein Fenster fällt Licht. Dann ist alles dunkel. Anderntags webt sie dort weiter, wo sie vortags aufgehört hat.

Tut sie dies aus Ehre, Pflicht oder Leidenschaft?