Inspector Ghote hört auf sein Herz - H. R. F. Keating - E-Book

Inspector Ghote hört auf sein Herz E-Book

H. R. F. Keating

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Beschreibung

Kindesentführung in Bombay. »Keine Polizei!«, fordern die Erpresser. Aber weil Detective Inspector Ghote so unauffällig und gar nicht wie ein Polizeibeamter aussieht, wird er in die elegante Penthousewohnung des reichen Fabrikanten Manibhai Desai geschickt, um dabeizusein, wenn die Kidnapper anrufen. Da stellt sich heraus, dass die Entführer das falsche Kind erwischt haben: Desais Sohn hatte mit Pidku, dem Sohn des Schneiders, im Spiel die Kleider getauscht. Wird Desai trotzdem bezahlen? Und was werden die Verbrecher tun, wenn sie ihren Irrtum entdecken? Ein fünfjähriger Junge, Sohn eines armen Schneiders, bringt keine Rupie ein, sondern ist nur hinderlich, ja gefährlich …

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Seitenzahl: 284

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Über dieses Buch

Kindesentführung in Bombay. Detective Inspector Ghote wird in die Wohnung des reichen Fabrikanten Manibhai Desai geschickt, um ihm dabeizusein, wenn die Kidnapper anrufen. Doch die haben das falsche Kind erwischt: den Sohn des armen Schneiders. Wird Desai trotzdem bezahlen? Und was werden die Verbrecher tun, wenn sie ihren Irrtum bemerken?

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H. R. F. Keating (1926-2011) war freier Schriftsteller und auch als Krimi-Kritiker eine Autorität. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, für sein Gesamtwerk erhielt er 1996 den Cartier Diamond Dagger.

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Edda Janus (eigentlich Edda Rönckendorff, *1924) war ab den Sechzigerjahren als Übersetzerin und Autorin tätig. Ihre Romane erschienen unter ihrem richtigen Namen, alle anderen Werke, darunter auch ihre Übersetzungen, unter Pseudonym.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

H. R. F. Keating

Inspector Ghote hört auf sein Herz

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Edda Janus

Ein Inspector-Ghote-Krimi (3)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

HINWEIS: Ihr Lesegerät arbeitet einer veralteten Software (MOBI). Die Darstellung dieses E-Books ist vermutlich an gewissen Stellen unvollkommen. Der Text des Buches ist davon nicht betroffen.

Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 1972 unter dem Titel Inspector Ghote Trusts The Heart bei Collins in London.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1975 unter dem Titel Geben Sie’s auf, Inspector Ghote! im Rowohlt Verlag, Reinbek.

Originaltitel: Inspector Ghote Trusts the Heart (1972)

© by H. R. F. Keating 1972

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Janez Skok/Corbis

Umschlaggestaltung:

ISBN 978-3-293-30373-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 02.03.2022, 11:53h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

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Inhaltsverzeichnis

INSPECTOR GHOTE HÖRT AUF SEIN HERZ

1 – Inspector Ganesh Ghote warf rasch einen Blick über …2 – Ghote zuckte zusammen und stürzte sich auf den …3 – Sowohl Manibhai Desai als auch Ghote standen da …4 – Das weiße Telefon klingelte einmal, zweimal. Ghote hatte …5 – Ghote fasste den Umschlag, den ihm der kleine …6 – Die Verzögerung am anderen Ende der Leitung …7 – Der dritte Anruf kam wiederum auf die Minute …8 – Während Ghote sofort die Anweisungen der Kidnapper meldete …9 – Die kritzeligen roten Blockbuchstaben sprangen Ghote ins Auge …10 – Der unerwartete freie Tag zu Hause war für …11 – Manibhai Desai hatte seinen Gefangenen in einem großen …12 – Ghote blieb. Der Besitzer von Trust-X gab sich …13 – Am Ende deutete alles darauf hin, dass das …14 – Ghote hielt sich mit einer Hand an der …15 – Am nächsten Tag wurde Ghote durch ein beharrliches …16 – Es waren nur sechs Worte. Aber für Ghote …17 – Der Blick, den Ghote auf den bärtigen Mann …

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Über H. R. F. Keating

H. R. F. Keating : »Inspector Ghote, c’est moi!«

Jochen Schmidt: »Ghote, das ist der, der das Beweismaterial nie manipuliert.«

Über Edda Janus

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1

Inspector Ganesh Ghote warf rasch einen Blick über die Schulter. Nie_mand. Soweit er es feststellen konnte, war niemand in der Nähe, der ihn kannte. Das war der richtige Moment.

»Sahib, Sahib«, rief der neue junge Bettler an der anderen Seite der Treppe des Polizeipräsidiums Bombay. »Du bist mein Vater und meine Mutter. Gib mir, Sahib, gib!«

Und trotz des flehenden Tonfalls lag ein klein wenig Frechheit in der Stimme, eine glückliche Gewissheit.

Ghote ging ein paar Schritte über das Pflaster zur Treppe und blieb bei dem Jungen stehen. Er blickte auf ihn herab und sah jede Einzelheit des verkümmerten rechten Beins, das lang ausgestreckt auf den staubigen Kopfsteinen lag. Es war wie ein kleiner Ast eines toten Baums, glänzend von vielen achtlosen Verletzungen der Haut. Ein Etwas ohne Funktion.

»Warum sollte ich dir etwas geben?«, sagte er zu dem ihm zugewandten Gesicht. »Viele haben dir schon was gegeben, und es ist noch früh am Tag.«

»Sahib, keiner hat was gegeben, keiner. Du bist mein Vater und …«

»Unsinn. Ich kann sehen, dass du auf den Münzen sitzt.«

Ganz unvermittelt grinste der Junge, keineswegs eingeschüchtert, seine lachenden Augen glänzten vor Freude.

Ghote schob die Hand in die Hosentasche und tastete mit schweißnassen Fingern nach dem welligen Rand des Zwei-Paista-Stücks, das er eigens für diesen Zweck eingesteckt hatte. Er konnte der Lebendigkeit des Jungen nicht widerstehen, konnte ihr seit sechs Wochen nicht widerstehen, seit der Bursche den Platz seines verstorbenen Vorgängers übernommen hatte. Er zog die Münze heraus und drückte sie hastig und heimlich in die magere, harte, erwartungsvolle Hand des Jungen. Jetzt wars getan.

Von einer Last befreit, wandte er sich rasch ab und wollte die Treppe hinaufrennen.

»Oh. Da ist Ghote. Inspector Ghote.«

Kalter Schrecken ließ ihn erstarren. Ertappt. Entdeckt. Ein klar denkender Inspector des CID von Bombay dabei erwischt, wie er sich von einem Bettlerjungen einwickeln lässt.

Langsam drehte er sich um.

Und es war schlimmer, viel schlimmer als alles, was er sich hätte ausmalen können. Der Mann, der direkt hinter dem Bettlerjungen stand und ihn, Ghote, mit kaltem, befehlerischem Blick maß, war niemand anders als der Commissioner höchstpersönlich.

Hinter ihm, am Bordsteinrand, parkte der dezent-prächtige Wagen, der dem Chef der Polizei des Stadtbezirks Bombay zustand. Der Fahrer mit der dunklen Mütze saß kerzengerade hinter dem Steuer. Der Motor lief so leise wie ein gut geöltes Uhrwerk.

»Ja, Inspector Ghote«, sagte der Commissioner, als käme er soeben in aller Ruhe zu seinem Schluss, »Sie sehen wirklich nicht sehr nach einem Polizisten aus.«

Für Ghote klang dieser Satz wie ein Todesurteil. Er erkannte aber auch, dass er bis zur letzten Silbe gerecht war. Nein, er sah gar nicht wie ein Polizist aus. Und das war ja die ganze Tragödie: Er wollte nichts lieber sein als ein Polizist. Und der Commissioner, der nur wenige Schritte von ihm entfernt mit leicht gespreizten Beinen, gelassen und in voller Selbstbeherrschung auf dem Pflaster stand, war der Inbegriff des zur höchsten Stufe aufgestiegenen Polizisten. Die Verbindung, die es eben noch zwischen ihnen gegeben hatte, war in einer Sekunde zu einem gähnenden Abgrund geworden.

»Gut«, sagte der Commissioner streng.

Jetzt kam das Urteil. Für ewig ins Archiv verbannt? Zur Verkehrspolizei versetzt?

»Hören Sie mir genau zu, Inspector. Die Zeit ist sehr knapp. Ich habe gerade einen äußerst dringenden Anruf von einem persönlichen Freund bekommen, von Mr Manibhai Desai. Sein kleiner Sohn wäre beinahe entführt worden. Zum Glück haben die Männer das falsche Kind mitgenommen, den Sohn eines Schneiders. Aber es sieht so aus, als wüssten sie das noch nicht; und in dem Brief, den sie zurückgelassen haben, drohen sie, den Jungen zu ermorden, wenn Mr Desai sich mit der Polizei in Verbindung setzt. Nun müssen wir einen Mann im Haus haben, der einsatzbereit ist, wenn sie wieder anrufen. Es muss jemand sein, dem man nicht schon von weitem ansieht, dass er Polizist ist. Und dafür, Ghote, sind Sie genau der Richtige.«

Keine zwei Minuten später saß Inspector Ghote klein und zusammengekauert allein im Fond des Dienstwagens des Commissioners. Vor ihnen schien sich der dichte Verkehr des morgendlichen Bombay im Glanz des blank polierten Kühlers aufzulösen. In Ghotes Ohren klangen noch die letzten Worte des Commissioners. Er hatte ihm den Wagen überlassen und gesagt, er würde ihn von jeglichem anderen Dienst entbinden. Und dann, als er ihm die Tür aufhielt und ihn drängte einzusteigen, hatte er eine letzte abschließende Bemerkung gemacht.

»Inspector, dieser Auftrag verlangt ein Höchstmaß an Takt. Es braucht einen Mann mit Feingefühl. Als ich gerade vorfuhr, habe ich gesehen, dass Sie dem Bettlerjungen ein Almosen gegeben haben. Ich freue mich zu sehen, dass sich wenigstens einer meiner Leute trotz seines Berufs einen Rest von Herz bewahrt hat.«

Ein warmes Leuchten erfüllte Ghote von innen heraus wie der Schein einer Laterne in dunkler Nacht.

Aber was für eine Aufgabe erwartete ihn, wenn der Fahrer des großen Wagens ihn zum Cumballa Hill und zum Heim von Mr Manibhai Desai gebracht hatte?

Er beugte sich noch ein wenig weiter nach vorn und schob die schwere, gläserne Trennscheibe zum Fahrer zur Seite.

»Sagen Sie, kennen Sie Mr Desai? Besucht der Commissioner ihn häufig?«

»Nicht sehr oft, Inspector Sahib«, antwortete der Fahrer. »Ich glaube, ich habe ihn nur dreimal im letzten Jahr hingefahren. Es ist wohl mehr so, dass die Memsahibs befreundet sind, denke ich.«

Ghote glaubte zu verstehen, warum der Commissioner zum Präsidium gefahren war. Wenn ein Mann von seiner Frau angetrieben wird – auch wenn er der Commissioner der Polizei von Groß-Bombay ist –, liegt es nahe, dass er alles ihm Mögliche unternimmt, um ihren Wunsch zu erfüllen.

»Und Mr Desai?«, fragte Ghote weiter. »Was wissen Sie über ihn?«

»Er ist der Mann, der Trust-X herstellt«, sagte der Fahrer schlicht.

Mehr brauchte er auch nicht zu sagen. Jeder kannte das Trust-X-Tonikum. Trust-X war das Tonikum, »das man seiner Familie schuldig ist»; jeder wusste das von den großen Reklamewänden, vom Radio und aus den Zeitungen. Und jeder, so sah es fast aus, folgte dem Aufruf und kaufte die Tablettenkartons, auf denen die Tage des Monats feuerrot auf die kleine Tasche gedruckt waren, in der sich die Tablette befand. Auch Ghote kaufte sie für seine Protima. Sie waren ihm eigentlich zu teuer, und manchmal wagte er zu bezweifeln, ob sie wirklich weniger müde war, seit sie sie einnahm. Aber wenn ein Monatsvorrat zu Ende ging, ließ er einen neuen kommen. Und wenn dann der feste, weiße, quadratische Umschlag – »Trust-X erreicht Sie in unauffälliger Verpackung«: was für unausgesprochene Versprechen sexueller Erneuerung – nicht rechtzeitig eintraf, war er jedes Mal beunruhigt.

Kein Wunder also, dass sie auf dem Weg zum Cumballa Hill und seinen großen Wohnblocks mit Luxus-Apartments waren. Alle hatten zentrale Klimaanlagen, waren von Gärten umgeben und boten Aussicht auf die blaue Fläche des Indischen Ozeans. Der Mann, der Trust-X erfunden hatte, musste in einer solchen Umgebung wohnen.

Aber wie waren seine übrigen Familienumstände?

Ghote beugte sich vor und fragte den Fahrer noch einmal. »Hat Mr Desai viele Kinder?«

»Nur den einen Sohn, Sahib. Er ist etwa vier Jahre alt. Die Mutter ist bei der Geburt gestorben, und Mr Desai hat vor zwei Jahren wieder geheiratet. Ich glaube, die zweite Mrs Desai ist jünger als ihr Mann. Die Burra-Memsahib sagt oft, Mrs Desai ist ihr wie eine Tochter.«

»Hm«, sagte Ghote und bekam ein immer hohleres Gefühl im Magen. Die Bürde, für den Commissioner direkt zu arbeiten, war schon schwer genug: jetzt sah es aber so aus, als würde er direkt für die Frau des Commissioners arbeiten müssen.

»Hat der Commissioner Ihnen Einzelheiten über das erzählt, was bei Mr Desai vorgefallen ist?«, fragte er.

»Nein, Sahib. Der Commissioner-Sahib hat nur gesagt, ich müsse einen Officer zu Desai Sahib fahren. Ich soll in einiger Entfernung vom Haus halten und darf, verdammt nochmal, kein Wort davon zu irgendjemand sagen, Sahib.«

»In Ordnung«, sagte Ghote. »Eine solche Tat ist zweifellos das Werk einer Bande. Es ist gut möglich, dass sie einen oder sogar mehrere Männer haben, die auf das Auftauchen der Polizei achten. Sie haben gedroht, dem Kind etwas anzutun, wenn die Polizei sich einmischt.«

»Und dem Sohn des Schneiders«, fragte der Fahrer, »würden sie ihm auch was antun?«

Darüber hatte Ghote auch schon nachgedacht und war zu der Erkenntnis gekommen, dass er die Frage nicht beantworten konnte. Was würden erbarmungslose Entführer tun, wenn sie entdeckten, dass sie das falsche Opfer mitgenommen hatten? Würden sie den Jungen einfach laufen lassen und damit zu einem der viertausend Kinder machen, die jährlich in Bombay verloren gingen? Ihn auf die Straße werfen wie ein Fischer, der in seinem Netz einen Fisch hat, der zu klein ist? Oder würden sie ihn töten?

Das wäre möglich. Es wäre leider zu leicht möglich, wenn sie glaubten, er könne sie verraten. Denn wenn sie einmal die Macht verloren hatten, die der gekidnappte Sohn des reichen und bekannten Mannes ihnen verlieh, hatten sie die gesamte Polizei gegen sich, das wussten sie. Wenn eine Kindesentführung stattfindet, ist es die wichtigste Aufgabe der Polizei, den Kidnappern klar zu machen, dass es sich nicht lohnt. Die Entführung eines Kindes ist selten wirklich schwierig. Wenn sich die Entführer dann einbilden, die viel schwerere Aufgabe, nämlich das Lösegeld zu kassieren und unentdeckt zu bleiben, auch noch lösen zu können, kommt es bestimmt zu Wiederholungen dieses grausamsten aller Verbrechen. Darum ist es von so großer Wichtigkeit, den Verbrechern, die sich auf ein derartiges Unterfangen eingelassen haben, sofort auf die Spur zu kommen. Aber leider wissen solche Männer das genau.

Und das bedeutete, dass die Chancen für den kleinen Sohn des Schneiders nur sehr gering waren. Andererseits aber wissen Kidnapper sehr bald, dass die Jagd nach ihnen an Schärfe verliert, wenn sie sich strikt an ihre Seite des Abkommens halten und das Opfer prompt gegen das Lösegeld austauschen. Und das bedeutet wiederum, dass sie jede Maßnahme ergreifen, die es dem Opfer, solange es in ihrem Gewahrsam ist, unmöglich macht, seinen Aufenthaltsort zu erkennen.

Wenn die Männer das Gefühl hatten, vorsichtig genug gewesen zu sein, mochten die Chancen für den Sohn des Schneiders ein wenig besser stehen.

»Ich glaube, hier könnte ich Sie gut absetzen, Sahib«, sagte der Fahrer. »Die Wohnung ist das Penthouse im übernächsten Block. Er heißt Mount Greatest.«

Als Ghote das Stahlgehäuse des Express-Lifts verließ, der ihn die fünfzehn Stock des rosafarbenen Luxus-Wohnturms Mount Greatest hinaufgeschossen hatte, ging er eiligen Schrittes über die gepflegten Marmorplatten zur Wohnungstür des Penthouse, die aus glänzend geöltem Teakholz war. Er legte den Finger auf den Klingelknopf, der mitten in der Tür über dem stählernen Briefkasten eingelassen war.

Die Tür öffnete sich überraschend schnell, kaum dass er den Knopf berührt hatte. Ghote stand vor einem großen, breitschultrigen Mann mit ausgeprägten Zügen: tief liegende Augen, ein breiter Mund, unter dem große, ebenmäßige Zähne sichtbar wurden, ein starkes, spitzes Kinn und – das war am auffälligsten – eine riesige Nase mit Pferdenüstern. Nur ein Anflug von Grau im gepflegten, welligen Haar und eine leise Rundung der Taille zeigten, dass er kein jugendlicher Dreißigjähriger mehr war, sondern ein Mann um die Fünfzig. Er war europäisch gekleidet, in einem eleganten Seidenanzug, einem strahlend weißen Hemd und einer breiten, fließenden und bunten, handbedruckten Seidenkrawatte.

In der vorgestreckten rechten Hand hielt er einen großen Revolver.

»Mr Desai«, sagte Ghote schnell. Er hegte keinen Zweifel, dass dies der mächtige, Wohltaten um sich streuende Erfinder und Hersteller vors Trust-X war. »Mr Desai, ich bin von der Polizei.«

Manibhai Desai richtete den großen Revolver weiter auf Ghotes Bauch. »Wie heißen Sie?«, fragte er barsch.

»Ghote. Inspector Ghote vom CID.«

Ganz plötzlich fuhr der Revolver herum und hieß Ghote eintreten. Er trat über die Schwelle, und der Besitzer von Trust-X schlug die breite Teaktür hinter ihm zu.

»Ihr Glück, dass ich Ihren Namen schon wusste«, sagte er. »Wenn ich Sie für eines der Schweine gehalten hätte, die mir meinen Haribhai wegnehmen wollten, hätte ich Sie wie einen Hund niedergeschossen.«

»Aber Sie hätten irgendeinen harmlosen Besucher erschießen können«, sagte Ghote.

»Die sollen mir nicht im Weg rumstehen«, verkündete Manibhai Desai mit bebenden Pferdenüstern.

Ghote bot seine gesammelte Aufmerksamkeit auf. »Bitte stecken Sie die Waffe wenigstens in die Tasche«, sagte er. »Es ist im Augenblick sehr wichtig, allen Anrufen größte Aufmerksamkeit zu widmen. Und wenn die Gefahr besteht, dass ein Schuss losgeht, ist das nicht möglich.«

Mr Desai schob den großen Revolver in die Jackentasche des fabelhaft geschnittenen Anzugs, als würde er glühen.

»Oh, bitte«, sagte Ghote entsetzt, »Sie müssen die Waffe sichern. Wenn Sie das nicht tun, bringen Sie sich in Gefahr.«

Ebenso energisch, wie er ihn in die Tasche gestopft hatte, zog ihn Mr Desai wieder heraus und untersuchte ihn fieberhaft.

»Vielleicht sind Sie den Umgang mit Feuerwaffen nicht so gewöhnt«, bemerkte Ghote. »Darf ich bitte mal …«

Er streckte die Hand vor, und es gelang ihm, den großen Revolver aus Mr Desais gefährlichem Griff zu lösen. Er warf einen Blick darauf. Es war ein Enfield .380. Ohne besondere Überraschung stellte er fest, dass er von Anfang an gesichert gewesen war.

»Warum sollte ich ein Waffen-Experte sein?«, fragte Mr Desai angriffslustig. »Ich bin kein Goonda. Ich bin Geschäftsmann. Ich habe meinen Weg gemacht, indem ich meinen Mitmenschen geholfen habe, und nicht damit, dass ich geschossen, getötet und verwundet habe.«

»Nein, nein, natürlich sind Sie kein Experte«, antwortete Ghote. »Aber da Sie es nicht sind, wäre es vielleicht besser, wenn ich die Waffe an mich nähme, solange ich hier bei Ihnen bin.«

»Ja, ja«, stimmte Mr Desai zu. »Aber wenn diese verdammten Schweine auftauchen, bringen Sie sie um, ja?«

»Sir, Sie können sich auf mich verlassen.« Ghote legte jede ihm nur mögliche Emphase in diese nicht ganz klare Erklärung. »Aber, bitte, zeigen Sie mir doch sofort, wo Ihr Telefon ist. Es ist von größter Wichtigkeit, dass ich höre, was diese Unmenschen zu sagen haben.«

»Ein Telefon ist hier, aber es gibt überall in der Wohnung andere Apparate. Wollen Sie von einer Nebenstelle mithören, während ich hier spreche?«

»Nein. Das halte ich nicht für gut. Es ist wichtig, dass ich bei Ihnen bin, um Sie beraten zu können. Wir müssen uns alle erdenkliche Mühe geben, Einzelheiten aus ihnen herauszuholen. Je mehr wir von ihnen wissen, umso besser kann die Polizei mit diesen Kerlen fertig werden.«

Im Augenblick, in dem Ghote die Kidnapper erwähnte, funkelten Manibhai Desais tief liegende Augen. »Diese Hunde und Söhne von Hunden!«, rief er. »Sie müssen gefangen und erhängt werden! Es zu wagen, mir meinen Haribhai wegnehmen zu wollen! Diese Frechheit!«

»Sie können nicht gefasst werden, ehe ich nicht genaue Einzelheiten höre«, sagte Ghote ein wenig schroff.

Der große Fabrikant von Trust-X rang um Fassung.

»Ja, gut. Ich werde alles sagen. Es ist gleich heute Morgen passiert. Mein Haribhai geht immer am frühen Morgen zum Spielen in den Garten an der Seite des Hauses. Er ist gern im Freien. Er rennt gern draußen herum.«

Ganz plötzlich wirbelte er herum und ging mit großen Schritten zur gegenüberliegenden Tür, gegen die er mit der Faust hämmerte. »Mein Haribhai, mein Haribhai«, rief er in schriller Angst. »Ist er da? Ist er sicher?«

Eine Frauenstimme antwortete. Ghote konnte nicht hören, was sie sagte. Die Tür war zu dick. Aber was es auch war, es musste Haribhais Vater beruhigt haben. Er kehrte zurück und warf sich in einen runden, weichen und sehr modernen Sessel, der leuchtend orange gepolstert war und neben dem Tisch stand, auf dem Ghote das Telefon entdeckte.

»Heute«, fuhr Manibhai Desai fort, »war der Schneider hier. Wir brauchen neue Vorhänge. Überall neue Vorhänge. Hier oben bleicht sie die Sonne so aus.«

Ghote warf einen Blick auf das große Dielenfenster, durch das die Sonne in der Tat blendend hereinschien, frisch und leuchtend über dem Dunst der Stadt. Die Vorhänge waren aus dickem goldgelbem Samt. Er konnte keine Spuren des Verbleichens entdecken.

»Der Schneider«, fragte er, »sein Sohn ist entführt worden, ja?«

»Ja, ja.« Mr Desai fuhr mit der großen Hand durch die Luft. »Das ist der Junge. Der Schneider kommt oft, verstehen Sie. Es gibt immer so viel für ihn zu tun. Meine Frau legt großen Wert darauf, mit der Mode Schritt zu halten. Sofort das Allerneueste. Darum muss der Schneider so oft kommen. Er ist Witwer, glaube ich. Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall bringt er immer seinen Sohn mit, der so ungefähr fünf ist.«

»Und die beiden Kinder haben sich angefreundet?«

»Nein, nein, nein, gar nicht. Mein Sohn soll mit dem Sohn eines Schneiders befreundet sein? Ausgeschlossen!«

»Aber die beiden Kleinen waren zusammen, als es passierte?«, fragte Ghote.

»Jaja. Zum Spielen. Sie haben zusammen gespielt.«

»Ich verstehe.«

»Nein, nein. Sie verstehen überhaupt nichts. Sie wissen nicht, was geschehen ist.«

»Ja, was ist denn dann passiert, bitte?«, fragte Ghote und blinzelte.

»Das ist ja gerade das Unglaubliche. Die beiden haben die Kleider getauscht. Als mein Sohn schreiend zu seiner Ayah in den Garten gerannt kam und sagte, dass Männer in einem Auto mit Pidku fortgefahren seien, hatte er Pidkus Kleider an. Ich musste sie verbrennen lassen.«

»Verbrennen? Sie hätten uns vielleicht helfen können.«

»Mit den Kleidern der Armen muss man vorsichtig sein. Es hätten Krankheiten, Ungeziefer, ach, alles hätte drin sein können. Sie mussten verbrannt werden, ek dum.«

»Ich verstehe«, sagte Ghote. »Bitte, erzählen Sie mir mehr über die Vorfälle. Ihr Sohn war in den Garten gegangen, um unter der Aufsicht seiner Ayah zu spielen, und der Sohn des Schneiders war auch dort. Wie kam es dazu, dass die Kinder die Kleider getauscht haben?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Mein kleiner Haribhai würde so armseliges Zeug nie tragen wollen. Nur ein altes T-Shirt, sicher secondhand gekauft, mit einem Bild von einem Schiff auf dem Meer darauf, und die Hose war auf der Rückseite zerrissen. Er hat immer nur die besten, ganz modernen Sachen; er bekommt alles, was neu in die Geschäfte kommt.«

Ghote fand es sehr verständlich, dass der reiche kleine Haribhai das T-Shirt mit dem Schiff hatte anziehen wollen. Sehr bald schon würde er sich eine Beschreibung der ganz »modernen« Sachen geben lassen müssen, die Pidku, der Sohn des Schneiders, getragen hatte, als er entführt worden war. Aber das durfte er nicht Haribhais Vater fragen. Um eine richtig genaue Beschreibung zu bekommen, musste er sich an die Ayah halten.

»Die Ayah«, fragte er nun, »warum hat sie nicht auf Ihren Sohn aufgepasst? Ist sie schon befragt worden?«

»Befragt worden ist sie, und Tränen hat sie geweint. Aber sie sagt nur, dass die Kinder ein Stück fortgelaufen seien, wie sie es oft tun. Sie ist jetzt eingesperrt, und mein Chauffeur bewacht sie.«

Genugtuung klang aus Mr Desais Stimme. Ghote fand, dass die Ayah, jetzt, wo jeden Augenblick der Anruf der Kidnapper kommen konnte, noch ein wenig länger in der inoffiziellen und illegalen Haft bleiben konnte.

»Hat sie gesagt, warum sie nicht aufgepasst hat?«

»Sie sagt, sie hätte mit der Ayah der Familie Mehta gesprochen«, antwortete Mr Desai. »Sie wohnen in einer der unteren Wohnungen. Sie haben nur drei kleine Mädchen.«

»Aha. Und da sind die beiden Jungen fortgegangen. Wenn sie einfach zum Spaß die Kleider austauschen wollten, mussten sie einen Ort suchen, wo niemand sie sehen konnte. Wo waren sie?«

»Es gibt da Büsche«, sagte Mr Desai finster. »Ich werde verlangen, dass sie noch heute abgehackt werden.«

»Und Ihr Sohn? Konnte er Ihnen erzählen, was geschehen ist?«

»Jaja. Er ist ein Schwätzer vor dem Herrn, mein Haribhai. Sie sollten mal hören, wie er den Dienern Befehle gibt. Was für eine Stimme! Ich könnte es selbst nicht besser.«

»Und was sagte er?« Die Gereiztheit in Ghotes Stimme war nicht zu überhören.

»Dass zwei Männer kamen und ihnen Süßigkeiten aus ihrem Wagen angeboten haben. Mein Haribhai ist hingegangen. Wahrscheinlich nur, weil der kleine Teufel von Schneiderssohn auch hingegangen ist. Die Männer boten ihnen dann an, sie im Auto spazieren zu fahren, und das taten sie auch. Aber nach einem kurzen Stück auf der Lieferantenzufahrt haben sie angehalten und meinen Sohn aus dem Wagen gestoßen. Dann sind sie fortgefahren. Rasend schnell. Und es hätte mein Haribhai sein können, der …«

In dem Augenblick klingelte das Telefon.

2

Ghote zuckte zusammen und stürzte sich auf den Apparat, der matt schimmernd und weiß auf dem Tisch stand. Er nahm den Hörer ab und deckte die Hand über die Muschel. »Sagen Sie nur ›Hallo‹«, instruierte er Manibhai Desai, der jetzt auf der Kante des orangefarbenen Sessels saß, als hätte er plötzlich ein Stahlkorsett bekommen.

Ghote hielt dem Fabrikanten von Trust-X den Hörer hin und hob vorsichtig die Handfläche von der Muschel. Mr Desai schluckte. »Hallo«, sagte er und brachte kaum das eine Wort heraus.

Ghote zog seine Hand vom Hörer. Beide lauschten gebannt.

»Sind Sie das, Manibhai?«

Die Stimme war unverkennbar: der Commissioner.

Ghote übergab Mr Desai den Hörer und trat ehrerbietig zurück. Prasselnde Fragen drangen aus dem Telefon bis zu ihm.

»Ja, ja, er ist hier. Wir warten, dass diese Schweine hier anrufen.«

Das nächste Fragenbombardement.

»Ja, ja, ich werde es versuchen. Ich werde mein Möglichstes tun, Ruhe zu bewahren, aber wenn ich daran denke …«

Fragen, Fragen.

»Ja, er steht hier neben mir. Ich gebe ihn Ihnen.«

Ghote nahm den Hörer. »Inspector Ghote, Sir.«

»Na, was halten Sie von der Sache?«

Es war eine Frage von Mann zu Mann. Ghote richtete den gekrümmten Rücken gerade auf.

»Hier in der Wohnung, Commissioner Sahib, können wir nur abwarten, bis sie uns anrufen. Bis dahin muss alles andere warten. Aber ich mache mir Gedanken über die Tatzeugen, Sir.«

»Wo ist da die Schwierigkeit?«

»Sir, die Entführer haben offenbar die Zufahrt für Lieferanten benutzt, die hinter dem Haus liegt und an den Garten grenzt. Es ist sehr gut möglich, dass es Zeugen gibt, die ihre Ankunft beobachtet haben. Aber man bräuchte sehr viele Beamte, diese Zeugen aufzufinden, und das würde natürlich wieder die Gefahr erhöhen.«

»Ja, es würde überall von Polizisten wimmeln. Nein, Ghote, das müssen wir fürs Erste unbedingt vermeiden.«

»Andererseits, Commissioner Sahib, vergessen Zeugen sehr rasch, oder sie werden in jeder Viertelstunde, die vergeht, den wirklichen Erinnerungen Neues hinzufügen.«

»Sehr richtig, sehr richtig. Aber das Risiko müssen wir eingehen. Meine Frau … ich will nicht, dass Mr Desais Sohn in irgendeiner Weise gefährdet wird, wenn es sich vermeiden lässt. Sie können sagen, dass sie meine Anordnungen befolgt haben.«

»Jawohl, Commissioner Sahib. Vielen Dank, Sir. Ich lege jetzt auf, falls diese Verbrecher anzurufen versuchen.«

»Gut. Sehr gut.«

Ghote legte den weißen Hörer auf. Heilige Ehrfurcht erfüllte ihn.

»Ja«, sagte er zu Mr Desai, »jetzt müssen wir warten und warten. Aber Sie haben noch mehr zu erzählen. Was, zum Beispiel, ist mit dem Brief, den die Übeltäter zurückgelassen haben? Wo ist er?«

»Hier, hier.« Manibhai Desai schob die Hand in die Jackentasche und zog ein einzelnes Blatt billigen gelblich weißen Papiers heraus.

»Das haben Sie dauernd in der Tasche gehabt? Sie haben es herausgenommen und wieder hineingesteckt? Haben es auch andere in die Hand genommen? War das Blatt in einem Umschlag? Wo ist der?«

Als ihm die Folgen klar wurden, spürte er den Ärger in sich wachsen. Was hier so sorglos behandelt worden war, war ein Beweisstück, vielleicht ein solides Beweisstück mit Fingerabdrücken. Manibhai Desais Antwort auf seine geblaffte Frage bestätigte Ghotes schlimmste Befürchtungen.

»Wenn ein Umschlag da war, ist er fortgeworfen worden. Zu was nützt denn ein Umschlag? Es kommt doch nur auf das an, was hier geschrieben ist, hier.« Ein langer Zeigefinger tippte und tippte abermals auf das grobe Blatt und fügte zweifellos zwei weitere deutliche, andere überdeckende Fingerabdrücke denen hinzu, die schon darauf waren.

»Wer hat das außer Ihnen noch gelesen?«, fragte Ghote mit hohler Stimme.

»Aber viele. Viele, natürlich. Glauben Sie, meine Frau möchte nicht sehen, was diese Schweine geschrieben haben? Denken Sie denn nicht, dass alle in meinem Haushalt, die meinen kleinen Haribhai lieben, das sehen wollen?«

»Da das Blatt nun schon voller Fingerabdrücke ist«, sagte Ghote, »kann ich es auch noch in die Hand nehmen.«

»Fingerabdrücke, Fingerabdrücke!«, sagte Mr Desai plötzlich völlig entgeistert. »Wird es heißen, ich hätte die Fingerabdrücke dieser Hundesöhne verwischt?«

»Das ist nun mal geschehen«, antwortete Ghote müde und nahm das Blatt aus Mr Desais Hand. Er las die kurze Botschaft, die mit rotem Stift in groben Blockbuchstaben geschrieben war.

WENN SIE SON LEBEN SEHEN WOLLEN, NICHT POLIZEI RUFEN – AM TELEFON AUF NACHRICH WARTEN.

Und dann, am unteren Rand des Blattes, kam abermals die hastig gekritzelte Botschaft: NICHT POLIZEI-WALAS HOLEN!

Ghote überlegte. Da war nicht viel zu machen. Insgesamt zu wenige Wörter. Natürlich deuteten sie darauf hin, dass die Männer gebildet genug waren, um zu schreiben, und dass sie ein bisschen Englisch konnten. Aber in Bombay würde das auf fast jeden zutreffen, sofern er kühn genug war, einen solchen Plan auszuhecken und sich einen Mann wie den Besitzer von Trust-X zum Ziel zu machen. Und unter den Kriminellen würden Tausende, vielleicht sogar Zehntausende sein, die unter diese Kategorie fielen.

Nein, es würde wirklich auf den Telefonanruf ankommen. Wenn er denn käme.

Und es war auch klar, dass die Kidnapper, wer auch immer sie waren, sich bereits im Voraus bewusst waren, wie die Reaktion der Polizei ausfallen würde. Sie müssen gewusst haben, dass ihr Verbrechen von den Ordnungskräften nicht unentdeckt bleiben konnte.

Wenn die Verbrecher geschnappt wurden, falls sie geschnappt wurden, dann war hier genügend Material, sie zu überführen. Offensichtlich wussten diese Männer nichts über Schriften. Ein Experte würde bestimmt vor Gericht bestätigen können, dass es sich um die Handschrift eines von ihnen handelte, selbst wenn es nur um diese ungelenken Blockbuchstaben ging. Möglicherweise gab es sogar Beweise durch Fingerabdrücke, wenn der Schreiber der Botschaft erst mal in Polizeigewahrsam war; selbst wenn die Chance, gute Abdrücke zu finden, die man mit denen aus der Verbrecherkartei vergleichen konnte, jetzt so gut wie vertan war.

Er steckte das Blatt vorsichtig in die Hemdtasche und knöpfte die Klappe darüber zu.

Und dann ließ ihn die in Fleisch und Blut übergegangene Gewissenhaftigkeit noch eine Frage stellen, obwohl er wusste, dass diese Zähigkeit ihn bei dem imposanten Mr Desai wenig beliebt machen würde. »Bitte«, sagte er, »wo ist der Umschlag geblieben?«

Manibhai Desai, dessen ausdrucksvollem Gesicht immer noch anzusehen war, dass ihn der Fehler mit den Fingerabdrücken und die Angst, dadurch die Angreifer seines Sohnes ungestraft davonkommen zu lassen, sehr bedrückte, saß mit hängenden Schultern auf dem niedrigen orangefarbenen Schalensessel und sagte nichts.

Ghote betrachtete das weiße Telefon. Wenn es in diesem Augenblick klingelte, könnte diese unangenehme Fragerei hintangestellt werden. Das Telefon stand auf dem glänzenden, laminierten Tisch aus Rosenholzimitat, unpersönlich und kalt, als sei es nur ein kleiner Gegenstand, dessen Funktion nicht sofort ersichtlich war.

Ghote räusperte sich so laut er konnte.

»Der Um… Bitte, es ist unbedingt nötig, dass ich auch den Umschlag prüfe.«

Manibhai Desai warf ihm einen wütenden Blick zu.

Solche Blicke, machte Ghote sich klar, würden unter anderen Umständen so manch einem ranghohen Angestellten des Trust-X-Unternehmens blanke Angst um seine Weiterbeschäftigung einjagen.

»Was regen Sie sich darüber auf?«, blaffte der Eigentümer von Trust-X. »Jeden Moment wird das Telefon klingeln, und wir können uns diese schmutzigen Schweine schnappen. Wieso kümmern Sie sich um derartige Lappalien?«

»Die Frage ist, wohin der Umschlag entsorgt wurde«, sagte Ghote schwerfällig. »Sie haben gesagt, er wurde weggeworfen. In modernen Wohnungen dieser Art wird, soviel ich weiß, der Müll häufig durch spezielle Maschinen beseitigt.«

»Natürlich, natürlich«, pflichtete Mr Desai ihm bei. »Glauben Sie etwa, bei uns gibt es so etwas nicht?«

Ghote sackte das Herz in die Hose. Er war sich sicher, dass der Umschlag einen Hinweis darauf geben würde, wer die Kidnapper waren.

»Wären Sie bitte so freundlich, während wir warten zu überlegen, ob der Umschlag in einer solchen Maschine gelandet ist.«

»Er wurde weggeworfen. Weg«, antwortete Mr Desai mit einer gereizten Unbestimmtheit.

»Aber er könnte einen wertvollen Hinweis darstellen.«

»Hinweis? Hinweis? Was für ein Hinweis kann ein Umschlag sein? Ein brauner, ganz billiger Umschlag.«

Ghote zermarterte sich das Gehirn, fand aber keine einzige Antwort, die nicht lächerlich klingen würde. Wenn die Fingerabdrücke auf dem Brief verschmiert waren, dann die auf dem Umschlag doch erst recht. Und war es wahrscheinlich, dass die Kidnapper die Rückseite des Umschlags akribisch mit Name und Adresse beschriftet hatten? Und wie konnte ein Kuvert, das am Tatort zurückgelassen worden war, einen Poststempel haben?

»In einem solchen Fall«, sagte er langsam, »kann man nie voraussagen, was eine genaue Untersuchung ergibt …«

Und dann klingelte das Telefon.

Ehe Manibhai Desai sich melden konnte, hatte Ghote schon den weißen Hörer an sich gerissen, die Handfläche auf die Muschel gelegt und in zischelndem Flüstern seine Anweisungen gegeben.

»Sagen Sie nur ›Hallo‹.«

»Hallo?«

Einen Augenblick Schweigen. Ihre angestrengt lauschenden Ohren vernahmen nur das murmelnde Insektengezirp in der Leitung. Dann fragte eine Stimme: »Ist dort Mr Trust-X?«

Die Hand wieder fest auf der Muschel, gab Ghote zischelnd weitere Anweisungen. »Sagen Sie ›Ja‹ und fragen Sie ›Wer ist dort?‹«

»Ja, ja, hier spricht Manibhai Desai. Und wer sind Sie, Sie dreckiger Kindes…«

Ghote schaffte es, die Muschel mit den Fingern zuzudecken. Er warf Mr Desai einen kalten, verachtungsvollen Blick zu.