Intelligenz verstehen - Eva Stumpf - E-Book

Intelligenz verstehen E-Book

Eva Stumpf

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Beschreibung

In their everyday work, schoolteachers, kindergarten teachers, and also educationalists and psychologists who work in extracurricular institutions are constantly faced with questions and problems in which intelligence is a central aspect. Decisions that have practical implications (such as recommendations on which type of further schooling is appropriate for a student, for example) also depend on the extent to which those responsible are able to grasp, understand and correctly interpret current findings on intelligence. This book explains the concept of intelligence in a way that is understandable for laypersons even without any prior knowledge of psychology. It does not focus purely on diagnosing intelligence, but throws light on many different aspects that are educationally relevant.

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Die Autorin

Dr. Eva Stumpf ist Professorin für Pädagogische Psychologie an der Universität Rostock. Sie forscht u. a. zu Hochbegabung, Intelligenz, Leistungsdeterminanten und Mensch-Tier-Interaktionen.

Eva Stumpf

Intelligenz verstehen

Grundlagenwissen für Pädagogen und Psychologen

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-026904-0

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-026905-7

epub:    ISBN 978-3-17-026906-4

mobi:    ISBN 978-3-17-026907-1

Inhaltsverzeichnis

 

Vorwort

Einleitung

1 Definitionen

2 Theorien

2.1 Kontroverse: ein- vs. mehrdimensionale Modellvorstellungen

2.2 Statistische Methoden der Intelligenzforschung

2.2.1 Korrelation

2.2.2 Faktorenanalyse

2.3 Die sechs wichtigsten Intelligenztheorien

2.3.1 Generalfaktorentheorie nach Charles Spearman

2.3.2 Sieben Primärfaktoren der Intelligenz nach Louis Leon Thurstone

2.3.3 Fluide und kristalline Intelligenz nach Raymond Bernard Cattell

2.3.4 Berliner Intelligenz-Struktur-Modell nach Adolf Otto Jäger

2.3.5 Drei-Schichten-Modell der Intelligenz nach John Bissel Carroll

2.3.6 Vier-Schichten-Modell nach Wendy Johnson und Thomas J. Bouchard Jr.

2.4 Einbettung und Schlussfolgerungen

3 Diagnostik

3.1 Der Intelligenzquotient

3.2 Gütekriterien

3.3 Eindimensionale Testverfahren

3.4 Mehrdimensionale Testverfahren

3.5 Schlussfolgerungen

4 Quellen und Entwicklung von Intelligenz (-unterschieden)

4.1 Einflüsse aus Anlage und Umwelt

4.2 Intelligenzentwicklung über die Lebensspanne

4.3 Kohorteneffekt der Intelligenzentwicklung: der Flynn-Effekt

4.4 Schereneffekte der Intelligenzentwicklung: der Matthäus-Effekt

4.5 Stabilität

4.6 Trainingseffekte

5 Intelligenz und korrespondierende Konstrukte

5.1 Kreativität

5.2 Arbeitsgedächtnis

5.2.1 Das Mehrspeichermodell

5.2.2 Metaanalytische Befunde zu Arbeitsgedächtnis und Intelligenz

5.2.3 Schlussfolgerungen

6 Gruppenunterschiede

6.1 Geschlecht

6.2 Sozio-ökonomische Schicht

7 Zusammenhänge mit weiteren Personenmerkmalen

7.1 Persönlichkeitsfaktoren

7.2 Leistung

8 Intelligenzunterschiede in der Schule

8.1 Intelligenzverteilungen in verschiedenen Schularten

8.2 Effekte von Beschulung auf die Intelligenzentwicklung

9 Fallbeispiel zur Interpretation von Intelligenz- testergebnissen

Literatur

Vorwort

 

 

 

Intelligenz gilt als das am besten erforschte Konstrukt der Psychologie. Das ist Fluch und Segen zugleich: Einerseits verfügen wir über ebenso tiefgehendes wie breites Wissen zu Intelligenz, das andererseits auch schwer zu überblicken ist. In den vergangenen Jahren wurden einige sehr gute Bücher zu Intelligenz veröffentlicht, die aus meiner Sicht entweder sehr anspruchsvoll und für Leser/innen mit wenig psychologischen Fachkenntnissen schwer nachvollziehbar sind oder das Thema sehr stark auf praktisch relevante Fragestellungen zuspitzen und konkrete psychologische Theorien und empirische Ergebnisse nur wenig differenziert erläutern.

Nach meinen Erfahrungen in der Lehre ist das Wissen zu Intelligenz für Studierende des Lehramts oder der Psychologie nicht ganz einfach nachzuvollziehen. Wiederholt habe ich festgestellt, dass selbst Studierende höherer Semester die Bedeutung des Intelligenzquotienten nicht korrekt erläutern und diesen Wert nicht interpretieren konnten. Mein Anliegen war es nun, eine Monographie vorzulegen, in der die wichtigsten Modelle und Befunde zur Struktur der Intelligenz und deren Bedeutung für die Diagnostik differenziert und anschaulich zugleich erläutert werden. Weiterhin sollten die Fragen, wie und wodurch sich Intelligenzunterschiede entwickeln und welche Gruppen sich darin unterscheiden, anhand des aktuellen Forschungsstandes dargelegt werden. Gemeinsamkeiten und Spezifika von Intelligenz und verwandten Konstrukten, wie Arbeitsgedächtnis und Kreativität, werden genauso erläutert wie der Zusammenhang von Intelligenz und Leistung. Im letzten inhaltlichen Kapitel werden schließlich auch Effekte der Beschulung auf die Intelligenz der Schülerinnen und Schüler dargelegt.

Dieses Wissen ist für Studierende des Lehramts und der Psychologie gleichermaßen von Bedeutung. Angereichert durch relevantes Wissen zur Intelligenzdiagnostik ( Kap. 3) werden die Leser/innen außerdem befähigt, verschiedene Intelligenztestergebnisse nachvollziehen und interpretieren zu können. Dies wird anhand eines ausführlichen Fallbeispiels veranschaulicht und vertieft, das den Abschluss dieses Buches bildet.

Neben meiner Lehre haben mich auch meine langjährigen Erfahrungen in der Beratungsarbeit und zahlreichen Lehrerfortbildungen für diese Monographie inspiriert. Auch für bereits tätige Lehrkräfte werden meine Ausführungen daher hoffentlich hilfreich sein. Meine Hoffnungen wären erfüllt, wenn angehende wie auch praktizierende Lehrkräfte und Psycholog/innen unser heutiges Wissen zu Intelligenz dank dieses Buches so gut nachvollziehen können, dass sie für ihre praktische Tätigkeit davon profitieren und evtl. sogar einige Leser/innen zu eigener wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Konstrukt Intelligenz angeregt werden. Denn trotz der Fülle an Erkenntnissen sind einige wichtige Fragen zu Intelligenz auch heute noch unzureichend geklärt.

In Anbetracht der Fülle an Forschungsergebnissen war es mir nicht möglich, für alle Themen die aktuelle Primärliteratur aufzuarbeiten. Als Kompromiss habe ich bei wenig kontrovers diskutierten Themen (wie etwa den Zusammenhang von Intelligenz und Leistung) auf andere Übersichtsarbeiten zurückgegriffen, Themen wie Geschlechterunterschiede dafür umso genauer anhand aktueller Primärstudien dargestellt.

Die Arbeit an diesem Buch erstreckte sich über einen langen Zeitraum, und ich danke dem Kohlhammer-Verlag für die Geduld. Meine studentischen Hilfskräfte Frau Dejosez, Frau Bredehorst und Frau Kallies haben mich durch Literaturrecherchen und andere Zuarbeiten sehr gut unterstützt. Mein besonderer Dank geht an meinen früheren Kollegen PD Dr. Peter Marx (Universität Würzburg), der das Manuskript kurz vor Fertigstellung kritisch geprüft und mich pointiert zu dessen Verbesserung angeregt hat. Herr PD Dr. Horst-Peter Brauns und Herr Prof. Dr. Heinz-Martin Süß haben mir darüber hinaus mit der schnellen und unkomplizierten Bereitstellung von Informationen zu Leben und Werk von Adolf Otto Jäger ebenfalls bei der Erstellung des Manuskripts geholfen. Ihnen allen herzlichen Dank.

Rostock, im Februar 2019

Eva Stumpf

Einleitung

 

 

Intelligenz kann aus mehreren Gründen als das wichtigste Konstrukt der heutigen Psychologie betrachtet werden. Wie wir heute wissen, wirken sich intellektuelle Unterschiede auf verschiedene Lebensbereiche aus. Glücklicherweise befasst sich die Psychologie seit mehr als 100 Jahren intensiv damit, dieses Konstrukt zu beschreiben und dessen Struktur mittels empirischer Studien zu fassen. In dieser Zeit wurde eine außerordentlich große Fülle an wissenschaftlichen Befunden zu Intelligenz zusammengetragen. Intelligenz wird als das am besten untersuchte Persönlichkeitsmerkmal überhaupt bezeichnet (Asendorpf, 2015; Stumpf & Perleth, 2019). Ebenso blicken wir auf eine lange Tradition in der Entwicklung von Testverfahren, die erlauben, Aussagen über die individuellen Ausprägungen der Intelligenz zu treffen. Diese bilden eine Grundlage für Bildungsentscheidungen, indem sie eine Einschätzung des Leistungspotenzials der untersuchten Person erlauben. Auch verfügen wir über umfassendes Wissen darüber, wie sich intellektuelle Unterschiede zwischen Personen in verschiedenen Lebensbereichen auswirken, mit welchen anderen Entwicklungsbereichen sie einhergehen und wodurch sie sich entwickeln können. In unserer westlichen, leistungsorientierten Gesellschaft kommt den intellektuellen Fähigkeiten als Potenzial für hohe Leistungen zudem eine besonders hohe Bedeutung zu. Intelligenztests haben an einigen Hochschulen Einzug in die Vergabe von Studienplätzen gehalten, und auch für Personalentscheidungen werden Intelligenztestergebnisse berücksichtigt. Der hohe Stellenwert der Intelligenz für unsere Gesellschaft zeigt sich auch, wenn Intelligenz als Rohstoff unserer Wissens- und Informationsgesellschaft bezeichnet wird (Stern & Neubauer, 2013).

Die lang andauernde Auseinandersetzung der Psychologie mit dem Konstrukt Intelligenz ist auch durch die Tatsache genährt, dass einige grundlegende Aspekte, z. B. die Struktur der Intelligenz, über lange Zeit sehr kontrovers betrachtet und diskutiert wurden, und nicht alle Kontroversen konnten bis heute beigelegt werden. Aufgrund der Fülle an Erkenntnissen, Perspektiven und Publikationen sind diese Diskussionen schwer zu überblicken. Für die pädagogische Praxis sind diese Kontroversen von enorm hoher Relevanz, da sie unmittelbar bedeutsam für die Interpretation von Intelligenztestergebnissen sind. Deren Verständnis stellt also genauso wie weitere Fakten und Erkenntnisse zu Intelligenz eine wichtige Grundlage dar, um das mühsam angesammelte Wissen über Intelligenz auch korrekt in der Praxis anwenden zu können.

Dem Thema Intelligenz kann man sich aus verschiedenen Perspektiven annähern. Aus klassisch entwicklungspsychologischer Perspektive hat Jean Piaget beispielsweise anschaulich beschrieben, wie und in welcher Reihenfolge sich die Denkfähigkeiten im Kindes- und Jugendalter entwickeln. Psychometrisch orientierte Wissenschaftler/innen fokussieren hingegen maßgeblich auf solche Theorien und Methoden, die auf die Messung der Intelligenz ausgerichtet sind. In der kognitionspsychologischen Forschung stehen die Prozesse in der Aufgabenbearbeitung im Fokus der Betrachtung (Stumpf & Perleth, 2019). Vorliegendes Buch thematisiert überwiegend Theorien und Befunde der psychometrischen Intelligenzforschung, da diese die engsten Bezüge zur pädagogischen Diagnostik und Praxis aufweist. Diesem Ansatz zugrunde liegt die Annahme interindividueller Unterschiede – also Unterschiede zwischen Personen –, die mittels diagnostischer Testverfahren in eine Metrik überführt werden können. Einen kurzen Einblick in die entwicklungs- wie auch kognitionspsychologische Perspektive erhalten Sie zur Abrundung ergänzend in Kapitel 2.4 ( Kap. 2.4).

1          Definitionen

 

 

Für das Konstrukt Intelligenz wurden und werden verschiedene Definitionen angeführt. Einer der frühesten deutschsprachigen Intelligenzforscher, William Stern, sah Intelligenz als » … allgemeine Fähigkeit eines Individuums, sein Denken bewusst auf neue Forderungen einzustellen; sie ist allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens« (Stern, 1920, S. 2f.). Nach Stern ist diejenige Person intelligent, »die unter verschiedenen Bedingungen und auf den verschiedensten Gebieten neuen Situationen geistig gewachsen ist« (Stern, 1920, S. 3). David Wechsler definiert Intelligenz facettenreich als »zusammengefasste oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen« (Wechsler, 1961, S. 13). In beiden Definitionen wird deutlich, dass es sich um ein weitgefasstes Verständnis des Intelligenz-Konstruktes handelt. Stern wie auch Wechsler trugen entscheidend zur Entwicklung des Intelligenzquotienten bei, was später noch genauer erörtert werden soll ( Kap. 3). Etwas pragmatischer wurde Intelligenz vom US-amerikanischen Intelligenzforscher Thurstone als »Fähigkeit zu abstraktem Denken« (Thurstone, 1924, S. 159) oder als »Fähigkeit zur hohen Bildung« (Asendorpf, 2015, S. 82) definiert.

Um in der Fülle unterschiedlicher Definitionen einen roten Faden erkennen zu können, wurden in mehreren Studien Intelligenzexperten/ -innen dazu befragt, welche Fähigkeiten das Intelligenzkonstrukt charakterisieren (im Überblick: Rost, 2013). Dabei kristallisierten sich abstraktes Denken, logisches Schlussfolgern, Problemlösefähigkeiten und die Kapazität zur Wissensaneignung als wichtigste Bausteine der Intelligenz heraus. Weitgehende Übereinstimmung herrschte auch darüber, dass Gedächtnis, mentale Geschwindigkeit, aber auch sprachliche und mathematische Kompetenzen sowie die Anpassung an die Umwelt zu den Bestandteilen der Intelligenz zählen.

Bereits diese kurze Einführung verdeutlicht zweierlei: Erstens handelt es sich bei Intelligenz um ein vielschichtiges Konstrukt, das aus verschiedenen Elementen bestehend verstanden werden kann. Zweitens sind diese Elemente derart breit angelegt, dass sie sich zumindest teilweise einer direkten testpsychologischen Untersuchung entziehen. Wir müssen also unterscheiden zwischen umfassenden Definitionen und Theorien der Intelligenz einerseits und deren Einengung zugunsten der Messbarkeit anderseits. Klar ist, dass wir üblicher Weise in der Bildungsberatung, in der Schulpsychologie, aber auch in der pädagogisch-psychologischen Forschung lediglich diejenigen Intelligenzfacetten beleuchten, die gut operationalisierbar sind, also erfasst und mittels IQ quantifiziert werden können. Expertenurteilen zufolge entzieht sich rekurrierend auf die oben angeführten elementaren Definitionsmerkmale der Intelligenz vor allem die Anpassung an die Umwelt einer Messung, wohingegen Gedächtnis, mentale Geschwindigkeit sowie linguistische und mathematische Kompetenzen recht gut operationalisierbar sind. Später wird noch deutlich werden, inwiefern sich das in den gängigen Intelligenztheorien und Intelligenztests widerspiegelt ( Kap. 2.4).

Der IQ scheint nahezu allgegenwärtig und gilt als Repräsentant für – wofür genau? Intelligenz und IQ sind nicht dasselbe, ein fundierter Einblick in aktuelle Theorien und Befunde zu Intelligenz stellen eine notwendige Voraussetzung für eine sachgerechte Interpretation von IQ-Werten dar. Kapitel 2 bietet einen Überblick zu den wichtigsten Theorien und Befunden zur Beschreibung der Struktur der Intelligenz und zum aktuellen Stand der Theoriebildung. Doch sind diese Grundlagen nicht hinreichend, sondern müssen um spezifische Kenntnisse zur Ermittlung und Bedeutung des IQ erweitert werden. Dieses Wissen wird in knapper und leicht nachvollziehbarer Form in Kapitel 3 ( Kap. 3) zur Verfügung gestellt.

2          Theorien

 

 

Intelligenztheorien beschreiben die Elemente, aus denen sich das Konstrukt Intelligenz zusammensetzt, und deren Zusammenwirken. Heutzutage greift eine ganze Fülle an Theorien bereits auf empirische Datenanalysen zurück, und hier werden fast ausschließlich evidenzbasierte Intelligenztheorien vorgestellt. Die Darstellung ist auf eine Auswahl der Theorien begrenzt, die zum einen die Meilensteine der historischen Entwicklung der Intelligenzstrukturforschung verdeutlichen und zum anderen die bis heute geführte Strukturdebatte akzentuiert vor Augen führen.

2.1       Kontroverse: ein- vs. mehrdimensionale Modellvorstellungen

Die Entwicklung der Intelligenztheorien ist seit nahezu 100 Jahren durchdrungen von einer polarisierenden Debatte über die Struktur des Konstrukts: Handelt es sich dabei um ein eher einheitliches Phänomen, indem eine globale Fähigkeit die Leistungen in verschiedenen inhaltlichen Bereichen maßgeblich speist? Oder setzt sich Intelligenz aus mehreren sehr unterschiedlichen Fähigkeiten zusammen, die sich voneinander unabhängig auf Leistungen auswirken? Für die Praxis haben diese gegensätzlichen Sichtweisen weitreichende Konsequenzen, denn im ersten Fall würden Personen, die einen Aufgabentyp besonders gut bewältigen können, auch andere Aufgabenanforderungen gut lösen; besonders begabt wären also sozusagen intellektuelle Generalisten. Im zweiten Fall existierten hingegen bereichsspezifische Fähigkeiten, und die hohe Fähigkeit in einem Bereich (z. B. sprachliches Denken) ließe keine Rückschlüsse auf die Leistungen in anderen Inhaltsbereichen (z. B. anschauungsgebundenes Denken) zu; demnach würde man intellektuelle Spezialisten als besonders begabt betrachten. Diese Debatte soll nachfolgend mit Inhalten veranschaulicht werden und gleichzeitig dafür einen Leitfaden darstellen. Zum besseren Verständnis werden zuvor kurz die statistischen Methoden der Korrelations- und Faktorenanalysen erläutert, mittels derer diese Theorien entwickelt worden sind.

2.2       Statistische Methoden der Intelligenzforschung

2.2.1     Korrelation

Eine Korrelation beschreibt den linearen Zusammenhang zwischen zwei Variablen und stellt damit ein statistisches Maß für das einhergehende Auftreten zweier Merkmale dar. Um gleich einem häufigen Missverständnis vorzubeugen: Korrelationen erlauben keine Aussagen über Kausalität, also darüber, ob sich die Variablen auch bedingen; dies wird später noch genauer erläutert.

Ein Zusammenhang besteht beispielsweise zwischen der Körpergröße und dem Gewicht des Menschen, denn im Allgemeinen gilt: je größer, desto schwerer und umgekehrt. Selbstredend ist dieser Zusammenhang nicht so hoch, dass man eindeutig aus der Körpergröße das Gewicht (oder umgekehrt) bestimmen könnte. In Einzelfällen finden wir auch sehr große Menschen mit sehr geringem Gewicht, was dem Zusammenhang zu widersprechen scheint. Wie damit deutlich wird, sind Korrelationen Populationskennwerte, die den Zusammenhang insgesamt beschreiben. Dafür werden zwei Informationen gebündelt, nämlich die Richtung und die Stärke des Zusammenhangs (vgl. auch Stumpf, 2012).

Die Richtung des Zusammenhangs findet im positiven oder negativen Vorzeichen des Korrelationskoeffizienten Ausdruck. Ein positiver Zusammenhang bedeutet, dass eine hohe Ausprägung des einen Merkmals mit der ebenfalls hohen Ausprägung des anderen Merkmals einhergeht. Dies ist für das bereits angeführte Beispiel Körpergröße und Gewicht zutreffend, aber auch für Körpergröße und Schuhgröße (je größer der Mensch, umso größer die Füße und umgekehrt) oder für Alter und Anzahl an Falten (je älter, umso mehr Falten). Bei einem negativen Zusammenhang geht die hohe Ausprägung im ersten Merkmal hingegen mit einer niedrigen Ausprägung im zweiten Merkmal einher. Ein negativer Zusammenhang besteht beispielsweise zwischen der Intelligenzausprägung und der Bearbeitungszeit von Aufgaben: je intelligenter die Schülerinnen und Schüler sind, umso weniger Zeit benötigen sie für die Aufgabenlösung. Negative Zusammenhänge bestehen darüber hinaus auch für Leistungsängstlichkeit und Leistung (je höher die Angstwerte desto niedriger die Leistung) sowie für Lebensalter und verbleibender Lebenszeit (je älter desto weniger Lebenszeit bleibt).

In der Psychologie nahm die Erforschung von Zusammenhängen von Merkmalen schon früh eine dominante Rolle ein und stellt eine wichtige Grundlage für die Persönlichkeitspsychologie dar. Hier werden individuelle Besonderheiten des Menschen untersucht. Interessierte Leser/innen finden bei Asendorpf (2015) einen sehr guten Einblick in diese spannende Subdisziplin der Psychologie. Im Grunde kann die psychometrische Intelligenzforschung als eines dieser Themengebiete gesehen werden, das sich aufgrund der hohen Bedeutung der Intelligenz für Bildung zu einem zentralen Forschungszweig der Pädagogischen Psychologie entwickelt hat.

Zwei Besonderheiten der Korrelationsmaße sollen besonders genau erläutert werden, da hierzu häufig Missverständnisse auftreten, die eine sachgerechte Interpretation der relevanten empirischen Ergebnisse behindern.

Erstens erlauben Korrelationskoeffizienten keine Rückschlüsse über eine Kausalität der Beziehung zwischen den beiden Merkmalen. Auch wenn ein Zusammenhang zwischen den Merkmalen A und B wiederholt nachgewiesen wurde, kann allein daraus nicht gefolgert werden, ob Merkmal A kausal Merkmal B bedingt, ob die Kausalkette umgekehrt (B bedingt A) oder in beide Richtungen (wechselseitige Einflüsse) zutreffend ist. Darüber hinaus könnte die Korrelation zwischen den zwei Merkmalen auch dadurch entstanden sein, dass beide Merkmale von einem dritten Merkmal beeinflusst werden, das ggf. nicht erhoben wurde. Untersucht man beispielsweise Kinder unterschiedlicher Altersgruppen, wird man einen positiven Zusammenhang zwischen der Schuhgröße und dem Wortschatz feststellen: Je größer die Füße der Kinder, umso größer ist im Allgemeinen auch ihr Wortschatz und umgekehrt. Dennoch handelt es sich nicht um einen kausalen Zusammenhang zwischen diesen beiden Merkmalen, sondern beide werden maßgeblich vom Lebensalter der Kinder determiniert. Auch die Feststellung, wonach Fernsehkonsum von Kindern mit ihrer Aggressivität positiv korreliert, darf nicht einfach kausal interpretiert werden, selbst wenn es für Sie plausibel erscheinen mag, dass hoher Fernsehkonsum die Aggressivität von Kindern erhöht. Es könnte nämlich durchaus sein, dass eine dritte Variable, wie bestimmte Aspekte der elterlichen Erziehung, sowohl den Fernsehkonsum als auch die Aggressivität der Kinder gleichgerichtet beeinflussen und die Korrelation zwischen den beiden Variablen aus diesem Einfluss resultiert. Experten vermuten sogar, dass die meisten korrelativen Zusammenhänge zwischen zwei Variablen Folge gemeinsamer Ursachen sind (Bortz & Schuster, 2010). Zudem ist denkbar, dass die Korrelation besteht, weil aggressivere Kinder mehr fernsehen.

Zweitens beinhalten Korrelationskoeffizienten keine Aussagen zum absoluten Niveau der miteinander assoziierten Variablen. Die Korrelation zwischen Körper- und Schuhgröße sagt also nichts mehr darüber aus, ob die untersuchten Personen bzw. deren Füße besonders groß oder klein waren. Gleiches gilt für die Korrelation von Intelligenz und Schulnoten.

Die Berechnung des jeweiligen Korrelationskoeffizienten erfordert einige Voraussetzungen, die in den Lehrbüchern zur Statistik vielfach erläutert werden. An dieser Stelle soll ein Phänomen erläutert werden, das für das Verständnis der Intelligenzbefunde von Belang ist: Bei eingeschränkter Varianz1, d. h. in einer Stichprobe, deren Einzelwerte nur geringfügig streuen, wird der wahre Zusammenhang zwischen den beiden Variablen in der Grundgesamtheit möglicher Weise unterschätzt. Beispielsweise wird man in der Gesamtpopulation zweifellos einen relativ hohen positiven Zusammenhang zwischen Körpergröße und Körpergewicht feststellen; untersucht man allerdings nur Personen in einem engen Spektrum der Köpergröße (also von eingeschränkter Varianz), z. B. nur Personen, die zwischen 170 und 175 cm groß sind, wird der Zusammenhang zum Körpergewicht deutlich geringer ausfallen.

Und schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass mittels Korrelationsanalysen lediglich lineare Zusammenhänge aufgedeckt werden können. Existierende nicht-lineare Zusammenhänge werden mit dieser Methode nicht entdeckt. Und solche sind durchaus relevant: Beispielsweise wird sich ein moderates Ausmaß an Erregung bzw. Prüfungsangst vor einer Prüfung in der Regel günstig auf das Lernverhalten auswirken und zu besseren Ergebnissen führen als ein sehr geringes wie auch sehr hohes Ausmaß an Prüfungsangst. Dieser Zusammenhang entspräche einer umgekehrt U-förmigen Kurve und könnte mittels Korrelationsanalysen unentdeckt bleiben.

Zur Veranschaulichung dieser Ausführungen sollen einige Beispiele angeführt werden, wofür die Daten von 105 Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums der Klassenstufen 5 und 6 einer Längsschnittstudie der Autorin analysiert wurden:

Korreliert man die Mathematiknote im Jahreszeugnis der 5. Klasse mit der Anzahl der Geschwister