Interkulturelle Lehrkompetenz - Yvonne Weber - E-Book

Interkulturelle Lehrkompetenz E-Book

Yvonne Weber

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Beschreibung

Die Internationalisierung deutscher Hochschulen führt zunehmend zu multikulturell zusammengesetzten Studierendengruppen, die besondere Anforderungen an die Lehrkompetenz der DozentInnen stellen. Eine Konkretisierung dieser Anforderungen auf Basis einer empirischen Analyse ist in der deutschen Hochschuldidaktik jedoch bislang noch kaum erfolgt. Der vorliegende Band geht der Frage nach, welche Dimensionen interkultureller Kompetenz für die Lehre von multikulturellen Studierendengruppen relevant sind. Yvonne Weber setzt dazu eine Triangulation qualitativer Methoden ein, die Befragungen von nationalen und internationalen Studierenden, Experteninterviews mit ProfessorInnen und teilnehmende Beobachtungen in Lehrveranstaltungen an einer Hochschule umfasst. Die empirische Untersuchung mündet in ein Kompetenzprofil, das aus 13 Kompetenzdimensionen besteht. Durch die detaillierte Beschreibung jeder Teilkompetenz werden einerseits die notwendigen Persönlichkeitsmerkmale von Dozierenden sichtbar, die bereits in Auswahlverfahren von PersonalentscheiderInnen an Hochschulen berücksichtigt werden sollten. Andererseits zeigt es erlernbare Fähigkeiten auf, die in hochschuldidaktischen Programmen (weiter-)entwickelt werden können. Somit kann das Kompetenzprofil als Ausgangsbasis für eine zielgerichtete Konzeption von Weiterbildungsmaßnahmen für HochschullehrerInnen herangezogen werden. Die Studie wurde mit dem „Johannes-Wildt-Nachwuchspreis für hochschuldidaktische Forschung“ von der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik ausgezeichnet. Sie richtet sich aufgrund ihrer Implikationen für die hochschuldidaktische Praxis insbesondere an HochschuldidaktikerInnen, PersonalentwicklerInnen im akademischen Umfeld, HochschulforscherInnen, TrainerInnen und Dozierende. Darüber hinaus ist der Band aber auch für alle interessant, die sich mit interkulturellen Arbeitskontexten beschäftigen.

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Seitenzahl: 150

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

1.2 Vorgehensweise

2. Begriffsabgrenzungen und Definitionen

2.1 Der Kulturbegriff

2.1.1 Kultur

2.1.2 Multikulturalität – Interkulturalität

2.2 Der Kompetenzbegriff

2.2.1 Kompetenz

2.2.2 Interkulturelle Kompetenz

2.2.3 Akademische Lehrkompetenz

2.3 Interkulturelle Lehrkompetenz im Hochschulbereich

3. Aktueller Forschungsstand zu interkultureller Kompetenz in der Hochschullehre

3.1 Systematisierung von Kompetenzen anhand von Modellen

3.2 Beiträge zu interkultureller Kompetenz in der (Hochschul-) Lehre

4. Bezugsrahmen interkultureller Lehr-Lernsituationen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)

4.1 Der Bezugsrahmen als Zwei-Ebenen-Modell

4.2 Einflussfaktoren auf der Makroebene

4.2.1 Die Hochschulart DHBW

4.2.2 Bildungsziel der DHBW

4.2.3 Curriculare Vorgaben und ihre Umsetzung

4.3 Einflussfaktoren auf der Mikroebene

4.3.1 Didaktisches Konzept

4.3.2 Multikulturelle Studierendengruppen

4.3.3 Englisch als Lingua franca in den Lehrveranstaltungen

4.4 Zwischenfazit: Kontextuelle Anforderungen an Dozentinnen

5. Gang der Untersuchung

5.1 Datenerhebung an der DHBW Ravensburg

5.1.1 Triangulation qualitativer Datenerhebungsmethoden

5.1.2 Befragung von internationalen Studierenden

5.1.3 Befragung von nationalen Studierenden

5.1.4 Experteninterviews mit Dozentinnen

5.1.5 Teilnehmende Beobachtung in Vorlesungen

5.1.6 Kritische Reflexion der Datenerhebung

5.2 Datenauswertung

5.2.1 Inhaltliche Strukturierung anhand der qualitativen Inhaltsanalyse

5.2.2 Erwartungen der internationalen Studierenden

5.2.3 Erwartungen der nationalen Studierenden

5.2.4 Aussagen der Dozentinnen

5.2.5 Eigene Beobachtungen

5.2.6 Kritische Reflexion der Datenauswertung

6. Dimensionen interkultureller Lehrkompetenz

6.1 Oberflächen- und Tiefenstruktur des Kompetenzprofils

6.2 Handlungsempfehlungen

6.3 Grenzen der Untersuchung

7. Schlussbetrachtung

7.1 Fazit

7.2 Ausblick

Abkürzungsverzeichnis

Quellenverzeichnis

Impressum

Endnoten

Vorwort

vielen Dank... thanks a million… merci beaucoup… muchas gracias… 谢谢… muito obrigada… dziękuję… grazie mille!

 

Diese Studie wäre ohne mein berufsbegleitendes Masterstudium nicht möglich gewesen. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle bei all denjenigen bedanken, die mich dabei unterstützt haben:

Meinen beiden Betreuerinnen an der Hochschule München:

Prof. Dr. Katharina von Helmolt für die hervorragende Unterstützung bei der Durchführung und Publikation dieser Studie. Sie hat - ganz im Sinne der konstrukti-vistischen Lerntheorie - die Rolle einer Lernbegleiterin eingenommen und mir dabei einerseits viele Freiheiten bei der Konzeption und Durchführung der Arbeit zugestanden, andererseits aber auch mit hilfreichen Anregungen notwendige Denkschleifen und Korrekturen angestoßen.

Prof. Dr. Silke Järvenpää, die durch ihre Art der Lehre die Reflexionsfähigkeit ihrer Studierenden permanent fordert und fördert. Ich hoffe, dass ein Teil davon in dieser Studie wiederzufinden ist.

Meinem Kollegenkreis an der DHBW Ravensburg:

Prof. Dr. Wolfgang Bihler, der mir den benötigten Freiraum fürs Studium immer sehr bereitwillig zugestanden hat, indem er jeden Urlaubs- und Gleitzeitantrag kommentarlos genehmigt hat; Prof. Dr. Petra Kroflin, die mich durch die Gespräche über das International Study Program erst auf die Idee für das Thema dieser Studie gebracht hat; Prof. Dr. Christoph Neef für die Unterstützung bei dem „Begriffsdschungel“ zu Pädagogik, Erziehungswissenschaft(en) und Hochschul-didaktik. Ich habe die Thematik jetzt zwar nicht so gelöst, wie er es sich vielleicht gewünscht hätte, aber ich finde, dass eine gewisse Portion Pragmatismus in einer wissenschaftlichen Arbeit durchaus erlaubt sein muss; Prof. Dr. Ernst Deuer, der nicht nur unsere Praxisprojekte im 3. und 4. Semester als Auftraggeber hervorragend betreut, sondern mich auch mit Lesefutter und vitaminreichen Äpfeln zur Stärkung des Immunsystems versorgt hat; Ivonne, Tanja, Bettina und Birgit, die an Brückentagen, an denen ich nach München an die Hochschule fahren musste, auf Urlaub verzichtet haben, um die Anwesenheit im Büro zu gewährleisten; Anja und Tanja, die den Text Korrektur gelesen und wertvolles Feedback gegeben haben.

Allen Studierenden und Dozentinnen, die mir bereitwillig für schriftliche Befragungen, Interviews und teilnehmende Beobachtungen zur Verfügung standen. Durch sie wurde die Realisierung dieser Studie erst möglich.

Ein ganz großes Dankeschön gebührt auch meiner Familie und meinen Freunden, die meine vielen Abwesenheiten auf Geburtstagsfeiern und Familientreffen verständnisvoll hingenommen haben:

Meine Mutter, die mir seit der Schulzeit, auch unter schwierigen Umständen, immer den Rücken fürs Lernen freigehalten hat. Sie hat damit den Grundstein gelegt für meine Lust am Entdecken von neuen Wissensgebieten.

Birgit und Nicky, die mich immer zum richtigen Zeitpunkt sanft aus dem „Mastertunnel“ geholt und darauf hingewiesen haben, dass trotz des Studiums gewisse Rituale in einer Freundschaft zu pflegen sind.

Weniger sanft waren meine beiden Patenkinder Julian und Felix. Sie haben mir mit einem vorwurfsvollen „Gotti, wann kommst du uns endlich mal wieder besuuuuchen?!“, deutlich gemacht, dass das Vorlesen von Geschichten mit der Postkuh Lieselotte mindestens den gleichen Stellenwert einzunehmen hat wie die Auseinandersetzung mit Boltens kulturtheoretischen Ausführungen.

Ihnen allen danke ich von Herzen!

 

 

vielen Dank... thanks a million… merci beaucoup… muchas gracias… 谢谢… muito obrigada… dziękuję… grazie mille!

 

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Aufgrund des demografischen Wandels steht Deutschland ein Rückgang der Erwerbsbevölkerung bevor. So prognostizieren Fuchs/Söhnlein (2013) eine Verringerung der Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter von derzeit ca. 55 Millionen auf knapp 45 Millionen bis zum Jahr 2060. Dem daraus resultierenden Engpass an Fachkräften soll laut Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR 2015) durch eine gezielte Steuerung der Zuwanderung von qualifizierten Personen entgegengewirkt werden. Internationale Studierende rücken dabei immer mehr in den Fokus des Interesses. Der SVR bezeichnet sie sogar als „Idealzuwanderer“ (SVR 2015:4), da sie über eine sehr gute Ausbildung und durch ihren Studienaufenthalt in Deutschland bereits über Kenntnisse der deutschen Sprache und Gesellschaft verfügen, die eine Integration auf dem Arbeitsmarkt erleichtern (SVR 2015).

Im Studienjahr 2015 waren 321.569 ausländische Studierende an deutschen Hochschulen immatrikuliert (DZHW 2016). Deutschland gehört damit neben den USA, Großbritannien und Australien zu den beliebtesten Gastländern für internationale Studierende weltweit (OECD 2013). Um diese Position zu sichern, strebt die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK 2013) in ihrer Internationalisierungsstrategie eine Erhöhung der Zahl der ausländischen Studierenden bis 2020 auf ca. 350.000 an. Als Eckpfeiler dieser Strategie nennt sie u.a. die Steigerung der Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit deutscher Hochschulen durch eine qualitativ hochwertige und serviceorientierte Lehre (GWK 2013). Wie diese Anforderungen an die Lehre allerdings erfüllt werden sollen, wird in dem Strategiepapier nicht näher ausgeführt.

Auch ein Rückgriff auf die Hochschuldidaktik beantwortet die Frage nicht zufriedenstellend. So hat sich diese Disziplin nach Hallet (2013) zwar als Wissenschaft für die akademische Lehre etabliert, jedoch mangelt es ihr noch an empirisch gesichertem Wissen. Lehrmethoden, die als erfolgreich eingestuft werden, basieren daher oft auf intuitiven Annahmen und individuellen Erfahrungswerten (Hallet 2013). Gerade im Umgang mit den ausländischen Studierenden fühlen sich einer Studie von Straub/Schirmer (2010) zufolge aber einige Dozentinnen1 nicht ausreichend vorbereitet. Als ein möglicher Grund wird angeführt, dass die Mehrheit der Lehrenden an deutschen Hochschulen selbst keinen Migrationshintergrund aufweist und daher wenig Sensibilität und Kenntnis über die kulturellen Hintergründe und den daraus resultierenden Lebenssituationen der heterogenen Studierendengruppen zeigt. So wird in der Studie u.a. die Handlungsempfehlung ausgesprochen, Konzepte zur kulturellen Sensibilisierung und Kompetenz-erweiterung der Dozentinnen zu erstellen (Straub/Schirmer 2010). Der Konzeption dieser Maßnahmen muss jedoch die Frage vorangestellt werden, welche interkulturellen Kompetenzen für Lehrveranstaltungen mit multikulturellen Gruppen überhaupt relevant sind. Nur so können Weiterbildungsmaßnahmen in der Hochschuldidaktik zielführend erarbeitet werden.

In dem vorliegenden Text greife ich diese Fragestellung auf und beantworte sie empirisch durch Einbeziehung der verschiedenen Akteure von multikulturellen Lehr-Lernsituationen. Da in der Literatur mehrfach die Forderung erhoben wird, bei der Bestimmung der notwendigen akademischen Lehrkompetenzen auf das für den jeweiligen Hochschultyp übliche Aufgabenfeld einzugehen (Hallet 2013; Tremp 2012), grenze ich das Forschungsfeld ein und beziehe es auf die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Die Untersuchung basiert somit auf folgender Forschungsfrage:

Welche Dimensionen interkultureller Kompetenz sind relevant für Dozentinnen an der DHBW, wenn sie Lehrveranstaltungen mit multikulturellen Gruppen durchführen?

Aus der Beantwortung der Forschungsfrage soll ein Kompetenzprofil resultieren, das die relevanten Dimensionen interkultureller Kompetenz aufzeigt und beschreibt. Die Darstellung der notwendigen interkulturellen Kompetenzen kann anschließend als Ausgangsbasis für Personalentscheidungen bzw. für die Konzeption von Weiterbildungsmaßnahmen herangezogen werden.

 

 

1.2 Vorgehensweise

Um ein einheitliches Verständnis der zentralen Begriffe zu dem vorliegenden Themengebiet zu schaffen, werden diese in Kapitel zwei zunächst diskutiert und definiert. Ausgehend von dem Kultur- und Kompetenzbegriff erfolgt abschließend eine Definition für interkulturelle Lehrkompetenz.

Kapitel drei gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu interkultureller Kompetenz in der akademischen Lehre. Zunächst werden die Systematisierungen notwendig erachteter Kompetenzen anhand unterschiedlicher Kompetenzmodelle diskutiert. Anschließend gehe ich auf theoriegeleitete Annahmen und Ergebnisse von Studien aus dem sekundären Bildungsbereich und dem Ausland ein, da in der deutschen Hochschuldidaktik noch kein empirisch überprüftes Kompetenzmodell zu interkultureller Lehrkompetenz vorliegt.

In Kapitel vier werden das interkulturelle Arbeitsfeld und seine Einflüsse auf das Lehrhandeln der Dozentinnen an der DHBW beschrieben. Aus diesem Bezugsrahmen für Lehr-Lernsituationen mit multikulturellen Studierendengruppen resultieren kontextuelle Anforderungen an die Dozentinnen.

Die empirische Untersuchung, die aus einer Triangulation von qualitativen Methoden besteht, wird in Kapitel fünf vorgestellt. Neben Befragungen von nationalen und internationalen Studierenden werden auch Experteninterviews mit Dozentinnen und teilnehmende Beobachtungen in Vorlesungen an der DHBW Ravensburg durchgeführt. Die in Kapitel vier erstellten kontextuellen Anforderungen fließen in das Kategoriensystem ein, das als Ausgangsbasis für die Auswertung der Daten mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse dient.

Die Ergebnisse der Auswertung münden in ein Kompetenzprofil, das in Kapitel sechs vorgestellt wird. Die Kompetenzen werden darin nicht nur aufgeführt, sondern für ein einheitliches Verständnis auch näher anhand der Ergebnisse aus der Untersuchung beschrieben. Neben Handlungsempfehlungen werden außerdem die Grenzen der Untersuchung diskutiert.

Die Arbeit schließt mit Kapitel sieben, in dem zum einen die Kernaussagen der Arbeit zusammenfassend dargestellt und zum anderen Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen aufgezeigt werden.

2. Begriffsabgrenzungen und Definitionen

2.1 Der Kulturbegriff

2.1.1 Kultur

Als Ausgangsbasis für die Diskussionen zu den Konzepten von interkultureller Kompetenz und akademischer Lehrkompetenz muss zunächst ein Verständnis für den Kulturbegriff und darauf aufbauend für die Bezeichnungen Interkulturalität und Multikulturalität geschaffen werden.

Das in der vorliegenden Untersuchung fokussierte Forschungsfeld einer Hochschule unterliegt permanenten Änderungen in Bezug auf den Umfang und die Zusammensetzung der Studierendenschaft, des Lehrkörpers und der Mitarbeiterinnen. Wenn Kulturen als „soziale Lebenswelten wechselnder Größe und Zusammensetzung“ (Bolten 2015:49) definiert werden, dann stellt eine Hochschule eine solche soziale Lebenswelt und damit eine Kultur dar. Dieser sogenannte offene Kulturbegriff erkennt die Dynamik und Prozesshaftigkeit von Kulturen an (Bolten 2015), die an einer Hochschule vor allem in den Interaktionen während der Lehr-Lernsituationen auftreten.

Ihr Verständnis von der Ausgestaltung dieser Lehr- und Lernprozesse und der zugrunde liegenden Wissensbestände bezieht die Hochschule nach Otten/Hertlein/Teekens (2013) aus den Normen und Werten der Gesellschaft, in die sie eingebettet ist. Durch das Handeln der Beteiligten werden diese Normen und Werte tradiert. Die Angehörigen der Lebenswelt Hochschule prägen somit eine spezifische Hochschulkultur und werden gleichzeitig durch diese selbst geprägt. Zentrale Elemente dieser Kultur sind den Autoren nach die Erwartungen und die Ausgestaltung der Rollen der Kulturteilhaber. So bezeichnen sie die Interaktion in den Lehr-Lernsituationen als ein „institutionalisiertes Rollenhandeln“ (Otten/Hertlein/Teekens 2013:250). Die gesellschaftlichen Vorstellungen des Lehr- und Lernverhaltens beeinflussen aber nicht nur Hochschulen, sondern sämtliche zentralen Institutionen des Bildungswesens (Otten/Hertlein/Teekens 2013), so dass davon ausgegangen werden kann, dass Hochschulangehörige aufgrund ihrer Bildungssozialisation bereits mit einer bestimmten kulturellen Prägung in Bezug auf Lehre und Lernen an die Hochschule kommen.

Im Bereich der Bildungssozialisation wird nun aber häufig der geschlossene Kulturbegriff verwendet, so dass in der kulturtheoretischen Diskussion ein Spannungsfeld auftritt: Der geschlossene Kulturbegriff sieht Kulturen als kohärente, räumlich voneinander abgrenzbare Entitäten an und steht damit dem offenen Kulturbegriff diametral gegenüber (Bolten 2015). So werden diesem Verständnis nach Kulturen häufig mit Nationen gleichgesetzt. Das Statistische Bundesamt (2014) bringt diesen Gedanken in Bezug auf die Studierenden sprachlich zum Ausdruck, indem es zwischen Bildungsinländern und -ausländern unterscheidet. Nach dessen Definition besitzen die Studierenden beider Gruppen eine ausländische Staatsbürgerschaft. Die Bildungsausländer haben jedoch ihre Hochschulzu-gangsberechtigung und damit einen großen Teil ihrer Bildungssozialisation im Ausland erworben, während die Bildungsinländer ihre Fachhochschulreife bzw. ihr Abitur in Deutschland erlangt haben (Statistisches Bundesamt 2014). Es wird folglich eine Differenzierung entlang nationalstaatlicher Grenzen unternommen. Eine Ursache könnte darin liegen, dass Bildungsinstitutionen Vorgaben aus der Bildungspolitik unterliegen, die auf nationaler Ebene getroffen werden. Dadurch kann sich das Verständnis von der Ausgestaltung der Lehr-Lernhandlungen von Staat zu Staat unterscheiden.2

Für das vorliegende Forschungsfeld ziehe ich dennoch den offenen Kulturbegriff heran, da eine Hochschule nicht als in sich kohärente Lebenswelt gesehen werden kann. Es bestehen im Sinne Rathjes (2006) Differenzen und Widersprüche innerhalb dieser Kultur, weil sie sich aus Individuen zusammensetzt, die gleichzeitig unterschiedlichen Lebenswelten mit eventuell verschiedenen Werten und Normen angehören. So ist eine dual Studierende eben nicht nur Akteurin der Lebenswelt DHBW, sondern auch des Unternehmens, in dem sie in den Praxisphasen tätig ist, oder eines Vereins, in dem sie in ihrer Freizeit Sport treibt. Differenz kann ferner aus unterschiedlich genutzten Freiheitsgraden bei der Ausgestaltung der Interaktionen resultieren (Otten/Hertlein/Teekens 2013). In Bezug auf Lehr-Lernsituationen ist der individuelle Gestaltungsspielraum für Dozentinnen in der Bundesrepublik Deutschland durch die Freiheit der Lehre sogar gesetzlich verankert (exemplarisch § 3 LHG).

Die Hochschulkultur auf der Makroebene bzw. die Lehr-Lernkultur in einzelnen Lehrveranstaltungen auf der Mikroebene wird somit permanent durch die Beteiligten neu geschaffen. Sie ist folglich dynamisch und prozessual und damit dem offenen Kulturbegriff zuzuordnen.

 

2.1.2 Multikulturalität – Interkulturalität

Als multikulturell wird nach Bolten (2015) eine Lebenswelt bezeichnet, wenn sie vorrangig aus Mitgliedern mehrerer Kulturen besteht. Damit drückt Multikulturalität die Struktur einer sozialen Organisation aus (Bolten 2015).

Wenn ich im Folgenden von multikulturellen Gruppen in Lehrveranstaltungen spreche, meine ich damit die Gruppe der Studierenden. Diese Gruppe setzt sich folglich aus Personen zusammen, die eine kulturelle Prägung an (Hoch-) Schulen in unterschiedlichen Gesellschaften erfahren haben. Zur sprachlichen Differenzierung werden sie als nationale und internationale Studierende bezeichnet. Mit diesen Bezeichnungen folge ich den Konventionen der Hochschule, an der die Untersuchung durchgeführt wurde. An der DHBW Ravensburg werden die Begriffe „internationale Studierende“ bzw. „international students“ für Gaststudierende der ausländischen Partnerhochschulen verwendet, die im Rahmen eines Austauschprogramms ein bis maximal drei Theoriesemester an der Hochschule verbringen. Im Gegensatz dazu habe ich den Begriff „nationale Studierende“ für die Gruppe der Studierenden gewählt, die während ihres gesamten Studiums an der DHBW Ravensburg immatrikuliert sind.3 Das Begriffspaar macht wie bei der vorherigen Diskussion um Bildungsinländer und –ausländer deutlich, dass in der Praxis häufig der geschlossene Kulturbegriff benutzt wird, um Mitglieder einer sozialen Lebenswelt differenzieren zu können.

Entstehen in der sozialen Organisation zwischen den Angehörigen der verschiedenen Kulturen Interaktionen, so bezeichnet Bolten (2015) dies als Interkulturalität. Der Begriff der Interkulturalität bezieht sich damit auf die Prozesse und die Dynamik des Zusammenlebens (Bolten 2015). Interaktionen zwischen Personen unterschiedlicher kultureller Prägung können an einer Hochschule im administrativen Bereich, in den Lehrveranstaltungen oder in Freizeitveranstaltungen wie dem Hochschulsport stattfinden. Der Fokus der vorliegenden Untersuchung liegt auf den Lehrveranstaltungen, in denen die Dozentinnen mit den Studierenden in Kontakt treten bzw. die Interaktion zwischen den Studierenden beispielsweise während einer Gruppenarbeit stattfindet. Aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Prägungen können in der Interaktion Konflikte u.a. durch divergierende Rollenerwartungen entstehen (Ryan/Viete 2009; Otten/Hertlein/Teekens 2013).

Damit die Interaktion zwischen Personen aus verschiedenen Kulturen dennoch zufriedenstellend für alle Beteiligten gestaltet werden kann, sehen Bertels/Bußmann (2013) interkulturelle Kompetenz als eine notwendige Voraussetzung an. Was dieses Konzept im Detail beinhaltet, wird im folgenden Kapitel näher erläutert.

 

2.2 Der Kompetenzbegriff

2.2.1 Kompetenz

Analog zum Kulturbegriff existiert auch für den Kompetenzbegriff keine allgemein anerkannte Definition. Straub (2007) führt diesen Umstand auf die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zurück, in denen der Begriff Verwendung findet.

Daher erfolgt an dieser Stelle der Rückgriff auf zwei Bezugsdisziplinen, die für die vorliegende Problemstellung relevant sind: Zum einen ist das Thema in der Hochschuldidaktik verortet, die sich nach Hallet (2013) aufgrund ihrer noch relativ jungen Existenz als eigenständige wissenschaftliche Disziplin häufig der Erkenntnisse aus der Pädagogik bzw. den Erziehungswissenschaften bedient.4 Ich stelle daher eine Definition zum Kompetenzbegriff aus dem Bereich der Pädagogik vor.

Zum anderen soll das anvisierte Kompetenzprofil als Grundlage für personalpolitische Entscheidungen dienen, so dass ich eine Begriffsdefinition aus der Personalpsychologie heranziehe.

 

In der Pädagogik wird häufig auf Weinert (2001:27-28) referenziert, der Kompetenzen definiert als

„die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können.“

Nach diesem Verständnis weist der Kompetenzbegriff folgende Merkmale auf:

- Kompetenzen werden einer Person zugeschrieben.

- Sie bestehen aus Fähigkeiten und Fertigkeiten, die bereits in der Person vorhanden sind oder von ihr erlernt werden können.

- Kompetenzen sind auf das Ziel der Problemlösung hin ausgerichtet.

- Nur das Zusammenwirken von kognitiven und affektiven Komponenten befähigt ein Individuum, Problemlösungen in unterschiedlichen Situationen zu finden und damit kompetent zu handeln.

Ähnlich ist auch das Begriffsverständnis in der Personalpsychologie. Krumm/Mertin/Dries (2012:3) definieren Kompetenz dabei wie folgt:

„Eine Kompetenz ist ein Set von Fähigkeiten, Fertigkeiten und anderen Merkmalen, das ursächlich dazu beiträgt, dass eine Person in der Lage ist, komplexe Situationen effektiv zu bewältigen.“

Analog zu Weinert differenzieren auch hier die Autoren zwischen erlernbaren und nicht erlernbaren Komponenten: Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, sind Fähigkeiten demnach Eigenschaften, die nicht oder nur schwer zu erlernen sind. Im Gegensatz dazu stellen Fertigkeiten trainierbare Eigenschaften dar. Unter anderen Merkmalen verstehen sie Persönlichkeitsmerkmale, die die Präferenz einer Person anzeigen, sich in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Das Persönlichkeitsmerkmal ist über die Zeit hin stabil und daher nur schwer veränderbar (Krumm/Mertin/Dries 2012). Mit dem Persönlichkeitsmerkmal nehmen auch diese Autoren eine affektive Komponente in ihre Definition auf.

Abbildung 1: Bestandteile von Kompetenz

Quelle: in Anlehnung an Krumm/Mertin/Dries 2012

Der situative Aspekt einer Kompetenz wird bei Krumm/Mertin/Dries (2012) in Zusammenhang mit dem beruflichen Kontext gebracht: Mithilfe einer Kompetenz gelingt es, komplexe Situationen im Beruf effektiv zu bewältigen, wobei eine Situation immer dann als komplex bezeichnet wird, wenn keine eindeutigen Lösungswege vorhanden sind. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Erfahrungsschatz, mit dem eine Person in einer neuen Situation einschätzen kann, wie sie ihr Handeln ausrichten muss, um zu einem effektiven Abschluss zu gelangen.

Sind Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale für berufliche Leistungen relevant, subsumieren sie die Autoren unter dem Begriff der Anforderungsmerkmale.

Einschränkend weisen sie noch darauf hin, dass eine Person mit einer entsprechenden Kompetenz zwar in der Lage ist, eine komplexe berufliche Situation zu meistern, und damit Leistung erbringen kann. Dies lässt aber nicht den Schluss zu, dass sie die Leistung permanent erbringt. Eine Kompetenz ist vielmehr als Voraussetzung für gute Leistungen zu verstehen (Krumm/Mertin/Dries 2012).

Aufgrund der Einbettung in den beruflichen Kontext bildet diese Definition die Grundlage für den weiteren Verlauf der Arbeit. So befasst sich die Forschungsfrage ausschließlich mit den relevanten interkulturellen Kompetenzen von Dozentinnen in ihrem beruflichen Alltag.