Irish Rover - Susanne Rapp - E-Book

Irish Rover E-Book

Susanne Rapp

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Beschreibung

Irgendwo in Deutschland. Maika und Vicky sind beste Freundinnen, könnten jedoch unterschiedlicher nicht sein. Beide suchen nach dem perfekten Gefährten. Doch während die draufgängerische Vicky bereit ist, alles für ihre große Liebe aufzugeben, wird Maika von Zweifeln und ihrer nachdenklichen Art vereinnahmt, so dass der Ire Patrick kämpfen muss, um sie für sich zu gewinnen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Freundschaft der beiden Frauen, die sich mit Offenheit und Vertrauen unterstützen, um gesellschaftliche Hürden und Zwänge zu überwinden. Sie entdecken, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen, neue Wege zu gehen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Alle Akteure sind Wanderer auf der Suche nach dem Glück. Und bei allen spielt die grüne Insel eine besondere Rolle.

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Seitenzahl: 463

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Susanne Rapp

Irish Rover

Roman

Deutsche Erstausgabe 2016

Text © Copyright 2016 für die

deutschsprachige Erstausgabe:

Susanne Rapp

Waldgartenstraße 32

65428 Rüsselsheim am Main

www.susannerapp.de

Alle Rechte vorbehalten.

Coverfoto: Susanne Rapp

Covergestaltung: Susanne Rapp

Prolog

Ich folgte ihm in ein Land, das ich nicht kannte.

Und er zeigte mir einen Ort, wo die Feen atmen.

Schweigend auf einem Felsen sitzend, den Blick in die Ferne gerichtet, über mir der weite Himmel, habe ich eine Ahnung von etwas Höherem, etwas Ungreifbarem, das in allem um mich herum existiert.

Die alten Gemäuer, die lächelnden Hunde, die verlockend schönen Abgründe der Cliffs of Moher.

Er geht voraus mit sicherem Schritt. Mein Gefährte kennt mich und manch einen Ort, der dem Unwissenden unerreichbar bleibt.

Und seine Liebe zu diesem Land, diesen Menschen, geht ein wenig auch auf mich über. Denn ich lasse es zu.

Was macht sie so freundlich, so redselig, die Menschen dieser Insel? Ist es die Einsamkeit? Oder ein Wissen, das alt ist, wie die Gezeiten?

Aufbewahren will ich die Augenblicke, wie Momentaufnahmen, die ein Foto niemals wiedergeben kann. Und wenn ein langer harter Winter kommt, schließe ich meine Augen und kehre zurück zu den endlos aneinandergereihten grünen Mosaikstückchen, auf denen Schafe, Kühe und weiße Pferde grasen. Ich erinnere mich der Farbe des Shannon und der Moorseen mit ihren rotbraunen Tiefen. Felsen, auf denen weißes Moos sich wie Landkarten erstreckt und das Rhododendronmeer von Rosa und Violett. Dann erahne ich den Grund für die tiefe Verbundenheit, die er für diese Insel, seine Heimat, empfindet.

Hab Dank für all die schönen Orte und Momente, die meine Sorgen verblassen lassen, mich verzaubern und lehren.

Bei dir finde ich, wonach ich immer suchte. Du wirst bei mir sein und mir ein verstehendes Lächeln schenken, wenn ich tief einatme und für immer zu einem kleinen Teil dieser gewaltigen Schönheit werde.

1

Patrick Cullom stand neben der Bühne und beobachtete die Menschen, die es sich auf den Bänken im Kellergewölbe bequem gemacht hatten. So feierten also die Deutschen den St. Patricks Day. Im Grunde genommen unterschied sich das Geschehen nicht wesentlich davon, wie dieser Tag bei ihm zu Hause gefeiert wurde. Die Musik, die Darbietungen auf der Bühne und ein aus Jung und Alt gemischtes Publikum. Die meisten von ihnen hatten bereits einen recht hohen Alkoholpegel erreicht, der sie munterer und auch hemmungsloser machte. Menschen waren doch überall gleich, wenn es ums Feiern ging. Für ihn war es dieses Mal anders.

Normalerweise war er es, der den ganzen Abend lang schuftete, um die ausgelassenen Gäste bei Laune zu halten, Unmengen von Bier auszuschenken und dafür zu sorgen, dass niemand etwas tat, was er später bereuen könnte.

Patrick hatte gemeinsam mit seiner Schwester Rose ein Inn an der Westküste Irlands. Dort, wo während der Saison tausende von Touristen die atemberaubende Landschaft mit ihren starken Kontrasten, das irische Flair und die meist ruppig dreinblickenden alten Fischer fanden, die in fortgeschrittenem Alter mehr als Statisten und weniger als Seeleute arbeiteten. Patrick kannte alte Männer mit markanten und wettergegerbten Gesichtern, die sich ein Zubrot verdienten, indem sie den ganzen Abend herumsaßen, tranken und Anekdoten längst vergangener Tage erzählten. So liebten das die Touristen. So sah ihre Vorstellung von Irland aus.

Heute war Patrick nur als Gast hier in Deutschland, konnte sich betrinken und das tun, was er gern machte, nämlich Menschen beobachten. Besonders die jungen Frauen, von denen hier in dem großen Kellergewölbe, dessen dicke Mauern aus hellbraunen Sandsteinblöcken bestanden, in Hülle und Fülle vorhanden waren, gehörten zu seinen bevorzugten Jagdobjekten.

Mit seinem roten Dreitagebart den dunkelblonden, kurzen Haaren und lindgrünen Augen war es schwierig, seine Abstammung zu verleugnen. Irischer konnte man nicht aussehen. Er war stolz darauf, mit seinen 42 Jahren noch keinen Bauch zu haben. Ganz im Gegenteil. Er war schlank, aber nicht hager, seine Oberarme sehnig und leicht muskulös.

Er sah an sich herunter. Sein dunkelgraues Hemd stand halb offen, die Ärmel waren lässig hochgekrempelt und seine graue Jeans saß locker auf seinen schmalen Hüften. Er war zufrieden mit seinem Aussehen, das auf den ersten Blick als durchschnittlich hätte bezeichnet werden können. Ausgeprägte Lachfalten um seine Augen, ließen ihn älter wirken. In der Rechten hielt er ein Glas Bier, das nur noch zur Hälfte gefüllt war. Bald war es Zeit, sich um Nachschub zu kümmern.

Er hatte viele Stunden hinter der Bühne gemeinsam mit Toms Band »Irish Rover« verbracht und mit den Jungs herumgeblödelt und getrunken. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie ihren Auftritt an diesem Abend hatten.

Patrick lernte die Jungs vor zwei Jahren in Irland kennen. Sie waren die Küste entlang gereist und überall dort aufgetreten, wo man bereit war, sie zu bezahlen. Der Name von Patricks Inn hatte ihnen gefallen, so dass sie Kontakt mit ihm aufnahmen, mehr, um etwas über die Geschichte des alten Hauses zu erfahren, als um nach einem Auftritt zu fragen.

Das Inn mit dem Namen »Cowards Inn« hatte nur acht Doppelzimmer, einen kleinen, gemütlich eingerichteten Garten und ein etwas größeres Pub mit Bühne. Patrick hatte schon als Kind mitgeholfen und das rund 200 Jahre alte Haus, das lange seinen Eltern gehörte, später zusammen mit seiner Schwester übernommen.

Tom und seine Jungs waren ihm gleich sympathisch gewesen, so dass er einen Auftritt mit ihnen vereinbarte und sie im Gartenhaus übernachten ließ. Irgendetwas faszinierte ihn an den deutschen Jungs, die so viel mehr Enthusiasmus, als viele einheimische Musiker zeigten, wenn sie ihre Instrumente zum Klingen brachten.

Es war mitten in der Saison gewesen, so dass Patrick und Rose alle Hände voll zu tun hatten. Als das Pub gegen Mitternacht schloss und die letzten Gäste nach Hause geschickt waren, saß er noch stundenlang mit ihnen zusammen und hörte ihnen zu, wenn sie von ihrer Heimat Deutschland schwärmten. Vom guten Bier und den schönen Frauen, von denen es angeblich sehr viele dort gab. In bester Bierlaune hatte Tom ihn irgendwann eingeladen, einmal nach Deutschland zu kommen und sich anzusehen, wie seine Leute den St. Patricks Day feierten. Mitte März hatte die Touristensaison in Irland noch nicht begonnen, so dass es wenig zu tun gab. Da könne er, der Rotbart, wie ihn die Bandmitglieder nannten, doch für ein paar Tage nach Deutschland kommen und den Feiertag seines Namenspatrons dort verbringen.

Im darauffolgenden Jahr hatte es nicht geklappt. Größere Reparaturen standen an, die dringend erledigt werden mussten. Aber ein Jahr darauf hatte ihn nichts mehr davon abgehalten, sich Deutschland oder zumindest die Heimatstadt seines Kumpels Tom, mit dem er in regelmäßigem Kontakt stand, anzusehen.

Rose hatte ihn regelrecht rausgeworfen. Sie hatte ihn gezwungen, online ein Flugticket zu buchen und seine Sachen zu packen.

»Verdammt noch mal Bruder. Wann hast du das letzte Mal Urlaub gemacht? Das sind gefühlte 100 Jahre«, hatte sie gerufen, theatralisch die Arme gehoben und die Augen verdreht. »Ich komme wunderbar allein zurecht. Es ist genügend Bier im Keller, um halb Irland abzufüllen und Essen haben wir auch jede Menge im Vorratsraum. Du weißt doch, die Stammkunden kommen nicht zum Essen vorbei und die ersten Touristen reisen nicht vor Mitte April an.«

Sie hatte sich zu ihm gebeugt und ihn mit ihren gutmütigen, dunkelgrauen Augen angelächelt. »Fahre nach Deutschland und bleibe dort, bis ich dich zurückrufe. Schau dich um, lerne die Deutschen noch besser kennen. Das ist gut fürs Geschäft«, fügte sie hinzu und hob lehrerhaft den Zeigefinger. »Wir müssen doch wissen, wie unsere Lieblingstouristen ticken.«

Es stimmte schon, dass ganz besonders Touristen aus Deutschland im Cowards Inn Zimmer buchten. Schon als kleiner Junge hatte Patrick mit Kindern aus Deutschland gespielt und dabei deren Sprache gelernt, die er fließend sprach. Nur ein kleiner Akzent verriet seine irische Herkunft.

Seine drei Jahre ältere Schwester Rose bedeutete Patrick alles. Sie war immer für ihn da gewesen und ihre Ratschläge zu befolgen, hatte sich immer als richtig erwiesen. »Wirst du es wirklich ohne mich schaffen?«, hatte er sie mit übertrieben gerunzelter Stirn gefragt. Da hatte sie die Hände in die Hüften gestemmt und sich mit entrüsteter Miene vor ihm aufgebaut.

»Ich werde froh sein, wenn mein kleiner Bruder mir mal für ein, zwei Wochen nicht auf den Geist geht.« Dann folgten ihr fröhliches Lachen und ein Klaps auf seine Schulter, womit die Sache besiegelt war.

Auf der Bühne tanzten gerade ein paar hübsche junge Frauen mit langem Haar und grünen, eng anliegenden Kleidern. Gertenschlank und mit langen Beinen ausgestattet, wirkten sie anmutig wie Elfen, als sie um einen Fiddler, der im Zentrum der Bühne stand, tanzten und mit hämmernden Tritten die metallenen Sohlen ihrer Steppschuhe auf den Holzboden stießen. Patrick hätte sofort mittanzen können, denn er kannte die Schritte seit seiner frühesten Kindheit. Doch so hübsch, wie die jungen Frauen anzusehen waren, interessierte ihn viel mehr das, was vor der Bühne geschah.

Da saßen ein paar feiste Kerle mit ihren gelangweilten Frauen und stierten auf die Beine der Mädchen, so dass ihnen fast der Sabber aus den Mündern lief. Natürlich trugen sie auch diese Leprechaunhüte in leuchtendem Grün und künstliche rote Bärte. Die gab es nach fünf halben Litern Bier als Zugabe der Brauerei. Nie hatte Patrick verstanden, wie man so etwas freiwillig tragen und sich zum Volltrottel machen konnte. Doch hier in Deutschland schien das sehr lustig zu sein. Manche Gesichter zeigten sogar ein wenig Stolz, wenn sie nach dem fünften Bier ihren kühn erworbenen Kopfschmuck aufsetzten.

Hunderte Menschen saßen auf den Bankreihen, die längs zur Bühne aufgestellt waren, eng beieinander. Sie erinnerten an Ölsardinen in einer Blechbüchse, schienen sich aber nicht daran zu stören, ständig von ihrem Nachbarn angerempelt zu werden.

Es war dunkel, stickig und heiß in dem überfüllten Keller, der von bunten Lampions, die an den Wänden aufgehängt waren, beleuchtet wurde. Doch Grün war definitiv die dominierende Farbe. Dennoch waren viele Gäste nach vorne gekommen, um die Mädchen aus nächster Nähe tanzen zu sehen.

Patrick strich sich über die roten Bartstoppeln am Kinn und genoss es, einfach nur einer von vielen zu sein. Zu feiern, zu trinken und sich zu amüsieren. Seine Schwester hatte schon Recht gehabt, als sie behauptete, er habe seit gefühlten 100 Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Dennoch war es ihm schwergefallen zu gehen, da er sie nicht mit all der Arbeit allein lassen wollte. Spätestens, wenn die ersten Touristen anrückten, wollte er wieder zurück sein.

Ja, es war eine gute Idee gewesen, für ein paar Tage zu verschwinden. Raus aus dem täglichen Trott, um andere Dinge sehen, andere Menschen kennen zu lernen. Das war schließlich einer der Gründe, weshalb er nach Deutschland gekommen war.

Tom und seine Frau Miriam hatten sich sehr gefreut, als er gestern angekommen war, obwohl sie jede Menge Arbeit hatten, um das Fest zu organisieren. Denn Toms eigentlicher Beruf war der eines Eventmanagers. Gitarrist und Sänger der Irish Rover zu sein, war eher ein Hobby, auch wenn er oft mit der Band auf Tour war.

Patrick hatte Tom als gut gelauntes Organisationstalent kennen gelernt. Mit seinem Bäuchlein, dem fusseligen Kinnbart und den abstehenden blonden Haaren sah er ein wenig wie ein kleiner Kobold aus. Seine lebendigen Augen und seine quirlige Art verbreiteten stets gute Laune. Patrick hatte festgestellt, dass Tom ein Mann war, der mit seiner direkten und ehrlichen Art, die Welt zu sehen, ein guter Ratgeber war.

Der Auftritt der Irish Rover vor zwei Jahren im Cowards Inn war gut angekommen, so dass die Band eine Woche lang geblieben war und jeden Abend spielte. Besonders die Stunden nach den Auftritten, wenn sie es sich an der Theke gemütlich machten, Bier tranken und bis in die frühen Morgenstunden quatschten, hatten Patrick gefallen, so dass er sich darauf freute, dies in Deutschland wieder zu tun.

Es waren nur wenige Tage gewesen, aber Patrick hatte Tom schnell ins Herz geschlossen und ihm irgendwann auch anvertraut, dass er auf der Suche nach seiner Traumfrau sei. Es sollte eine mit eigenem Willen, eine, mit der man Pferde stehlen kann, sein. Tom hatte ihn forschend mit seinen großen, braunen Augen angesehen und ihm dann erklärt, dass er ein tolles Mädchen kenne, das ihm gefallen würde. Sie sei Single, ungefähr so alt wie er und arbeite als freie Journalistin.

Patrick war es peinlich gewesen, über ein so persönliches Thema zu reden. Er musste sich eingestehen, dass er noch nie zuvor mit jemandem über diese Sache gesprochen hatte. Es lag an Toms vertrauenswürdiger Art, mit der er die Dinge ernst, aber nicht zu ernst nahm.

Patrick hatte sich noch nie ernsthafte Gedanken darüber gemacht, wie seine Traumfrau sein sollte. Eigener Wille? Pferde stehlen? Die Worte waren ihm einfach so herausgerutscht. Doch als sie seine Lippen verlassen hatten, war er sich ganz sicher, dass sie sich richtig anfühlten. Natürlich war auch wichtig, wie sie aussah und, wenn er ehrlich mit sich war, ob sie es mit ihm aushalten würde. Denn das war kein leichtes Unterfangen.

Wenn es um Sex ging, hatte er ein bestimmtes Beuteschema, das geradezu lächerlich klischeehaft war. Weiblich, sinnlich und bereit. Doch wenn es eine sein sollte, die er sich an seiner Seite vorstellen konnte, dann sahen die Kriterien ganz anders aus.

»Komm nach Deutschland. Ich stell sie dir vor. Sie ist böse. Du wirst sie mögen.«

Allein diese Worte hatten ausgereicht, um ihn neugierig zu machen. »Wie meinst du das, sie ist böse?«

»Oh, sie sprüht vor Sarkasmus. Sie ist ein Dickkopf und nicht aufs Maul gefallen. Sie kann dich mit einem Satz niederstrecken. Ist mir auch schon passiert, glaub mir«, hatte Tom ihm mit einem Augenzwinkern erklärt. »Aber wenn sie dich erst mal ins Herz geschlossen hat, ist sie eine echte Traumfrau. Du musst sie halt erst einmal erobern.«

Tom hatte sich und Patrick an diesem Abend vor zwei Jahren noch ein Bier geholt und sich wieder vor ihn gesetzt, wobei der alte Barhocker, auf dem er sich niedergelassen hatte, verdächtig knarrte. »Ist so eine Art Herausforderung, Rotbart. Ich hab dich in den letzten Tagen ein bisschen kennengelernt und bin ganz sicher, dass ihr bestens zusammenpassen würdet.« Tom hatte sich vorgebeugt und Patrick sein Bierglas entgegengehalten: »Prost, Alter. Ich werd sie dir vorstellen, wenn du kommst. Sie wird auch beim Fest sein, um darüber zu schreiben. Das macht sie immer. Sie ist die Beste. Schreibt nie irgendwelchen Scheiß und fängt mit wenigen Worten die Atmosphäre ein. Du wirst sie lieben.«

Patrick versuchte sich die Frau, von der Tom ihm vorschwärmte, vorzustellen. Eine Journalistin. Wie sah eine Journalistin aus?

Die typischen Klischees begannen, sich in seinem Kopf zu bilden. Desinteressierter Gesichtsausdruck, einen kleinen Block in der einen, den Kugelschreiber in der anderen Hand. War sie blond, klein, mollig? Oder doch ganz anders? Tom hatte ihn wirklich neugierig gemacht. Das war ein Talent, das er, als Eventmanager, bestens beherrschte. Doch er hatte ihm bisher weder ihren Namen, noch, irgendwelche äußerlichen Merkmale, verraten. Tom war die Sorte Mann, die bei einer Frau auf ganz andere Dinge Wert legte. Und über die ließ er sich in dieser letzten gemeinsamen Nacht im Cowards Inn ausführlich aus.

Die anderen Musiker waren längst schlafen gegangen, so dass die beiden Männer ungestört reden konnten.

»Sie hat viel Humor, ist schlagfertig und sehr gescheit. Aber das lässt sie nicht raushängen, wenn du weißt, was ich meine. Sie hat das Herz an der richtigen Stelle. Ein verdammt großes Herz. Mitfühlend ist sie auch.« Tom hatte einen Schluck Bier getrunken und mit versonnenem Lächeln die Flaschenreihen auf der Rückseite der Theke angesehen. »Sie ist der beste Kumpel, den man haben kann. Wenn ich nicht mit meiner Miriam so glücklich wäre, würde ich alles daran setzen, sie für mich zu gewinnen. Ja, sie ist eine echte Traumfrau.«

Und das war der zweite Grund, weshalb Patrick nach Deutschland gekommen war. Er wollte unbedingt diese Frau kennen lernen. Sie war Single wie er. Sie suchte auch nach dem richtigen Gefährten.

Patrick hatte nie Probleme damit gehabt, Frauen aufzureißen. Er wusste, dass er ein eher unscheinbarer Typ war. Doch er hatte etwas, womit er sie alle ins Bett bekam. Es waren seine Augen oder vielmehr die Fältchen darum. Diese Fältchen, kombiniert mit einem sehr selbstsicheren Lächeln seiner schmalen, doch sinnlichen Lippen, ließen ihn cool und attraktiv wirken.

Sex zu bekommen war geradezu lächerlich einfach. Das war überall auf der Welt das Gleiche. Doch mit echter Liebe war das etwas völlig anderes. Die konnte man nur geschenkt bekommen oder sich durch harte Arbeit verdienen. Das war ihm klar. Und das war vielleicht auch ein Grund, weshalb er immer noch allein war.

Sein besonderes Lächeln war ihm oft sehr nützlich gewesen. Doch irgendwann, vor langer Zeit, war ihm eben dieses Lächeln zum Verhängnis geworden.

Für einen kurzen Augenblick tauchten Erinnerungen auf, die sich wie tausend Nadelstiche in seinem Kopf anfühlten. Bilder aus der Vergangenheit drangen auf ihn ein, so dass er die Augen schloss und die Geräusche, die von allen Seiten auf ihn eindrangen, zu einem Wabern verschwammen. Nicht daran denken. Du musst es ausblenden. Lass es nicht die Oberhand gewinnen. Patrick öffnete die Augen und sah nur verschwommene Farben, die um ihn herum zuckten.

Da war eine Melodie, zu der der Fiddler gerade ansetzte. Eine Melodie, die er kannte. Doch er konnte sie nicht einordnen.

Beinahe hätte er sein Glas fallen lassen. Schweiß stand ihm auf der Stirn und eine, ihm sehr vertraute Übelkeit, drängte sich seine Brust hinauf.

Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und sah auf. Das Geschehen vor ihm begann wieder, Konturen anzunehmen. Konzentrier dich, verdammt nochmal, redete er sich ein. Das Erste, was sein Blick traf, nachdem die Erinnerung verflogen war, war eine junge blonde Frau, die ihn fasziniert ansah. Sie saß ganz vorne in der ersten Reihe neben ihrem Freund, der etwas dümmlich wirkte und sein Mädchen nicht zu beachten schien. Beute.

Der Jagdinstinkt nahm überhand und veranlasste Patrick, seine Waffe zu aktivieren. Das Mädchen starrte ihn unverhohlen an. Faszination und Erregung lagen bereits in ihrem Blick. Er schien ihr zu gefallen. Patrick lächelte sie an und dies bewirkte, dass das Mädchen unruhig auf seinem Hintern herumrutschte und sich mit einem Bierdeckel Luft zufächelte. Mit diesem Lächeln, leicht lasziv, fordernd, aufreizend, bekam er jede, die er wollte.

Langsam sah er sich um und fand weitere weibliche Gesichter, die seinen Wandel entdeckt hatten und ihn anstarrten. Der Typ neben der Blondine bemerkte die plötzliche Unruhe seiner Freundin und legte die Arme besitzergreifend um ihre Hüften, wobei er Patrick wütend anfunkelte. Meins, schien sein Blick zu sagen, und als Patrick ihn unverfroren angrinste, war für einen kurzen Augenblick Aggression im Gebaren des Mannes zu erkennen.

Patrick wandte den Blick ab. Er hatte bekommen, was er wollte, was er gebraucht hatte. Er wurde begehrt. Die kleine Blondine würde heute Nacht von ihm träumen. Doch sie war es nicht, nach der er Ausschau hielt.

Tom hatte nicht viel verraten. Nicht einmal ihren Namen. Alles was er über die Frau, die er kennen lernen wollte, wusste, war, dass sie hier im Kellergewölbe war und wahrscheinlich mit einem Schreibblock und einer Kamera bewaffnet, herumlief.

Toms Grinsen, als Patrick versucht hatte, ihn auszuquetschen, war nervig gewesen. »Ich stell sie dir vor«, hatte er nur gesagt. »Wenn sie arbeiten muss, ist sie voll konzentriert und hat keine Zeit zum Flirten. Aber du bist ja noch eine Weile da. Da wird sich sicher eine Gelegenheit ergeben.«

Verdammt, hier waren hunderte von Frauen und keine hatte eine Kamera oder einen Schreibblock in der Hand.

Der Auftritt der Tänzerinnen ging seinem Ende zu und wurde mit ohrenbetäubendem Applaus belohnt. Die Mädchen mit den langen Beinen verschwanden hinter der Bühne und die Musiker von Irish Rover begannen, ihre Instrumente aufzubauen. Tom griff zum Mikrofon und fragte mit gespielt unschuldigem Lächeln: »Na, gefällt’s euch hier?« Die Antwort der Gäste war mehr als positiv und drückte sich durch lauten Applaus und Gejohle aus. Tom erklärte, es sei nun an der Zeit, sich hinten am Tresen noch ein Bier zu holen. In etwa einer halben Stunde ginge es dann weiter.

Patrick drehte sich nach seinem Freund um und hielt ihm den erhobenen Daumen entgegen. Tom sprang von der Bühne und kam zu ihm.

»Und hast du sie schon entdeckt?«

»Wie soll ich denn? Ich weiß nicht einmal, wie sie aussieht.«

Tom schielte auf Patricks leeres Glas. »Du solltest es mal am Tresen versuchen. Da wird jetzt zwar viel los sein, aber du kannst einfach zu Miriam gehen. Die ist bestimmt auch dort und wird dich nicht warten lassen. Vielleicht ist »sie« ja auch dort.« Tom sprang zurück auf die Bühne, deutete in Richtung Theke und nickte Patrick aufmunternd zu.

Als Patrick sich langsam durch die Menge manövrierte, war das blonde Mädchen, mit dem er vor wenigen Minuten noch geflirtet hatte, völlig aus seiner Erinnerung gelöscht. Er sah nicht ihren sehnsüchtigen Blick, als er ganz nah an ihr vorbei ging.

Der Jäger in ihm, den er nicht kontrollieren konnte, hatte sich vorerst zurückgezogen.

2

Maika und Vicky standen hinter dem Tresen am anderen Ende des Kellers und bedienten die Gäste. Noch war nicht viel los, da die meisten vor der Bühne standen, um sich die tanzenden Mädchen anzusehen.

Vicky war die Attraktivere der beiden. Sie war ein wenig größer als ihre beste Freundin Maika und ihre dunkelroten Haare fielen ihr lockig über den Rücken. Sie betonte gern ihre weibliche Figur, indem sie enge Sachen trug, die ihre üppigen Formen noch besser zur Geltung brachten und ihre Tätowierungen am Oberarm frei ließen. Maika hingegen bevorzugte weite Kleidung, die ihre Formen verdeckten, und der Schnitt ihres kurzen blonden Haars verlieh ihr etwas Jungenhaftes.

Unterschiedlicher hätten zwei Frauen nicht sein können. Sowohl ihr Aussehen als auch die Art, wie sie sich bewegten und sprachen, waren Welten voneinander entfernt. Nur, wer die beiden kannte, wusste, dass sie unzertrennlich waren.

»Ganz schön was los heute«, rief Vicky Maika über den Lärm zu und griff routiniert nach zwei leeren Gläsern, die ihr jemand entgegenhielt. »Soll ich die für dich vollmachen oder willst du sie zurückgeben, Schätzchen?«, fragte sie den Mann mit einem aufreizenden Lächeln und zeigte ihm, worauf sein Blick ohnehin schon lag, noch ein wenig deutlicher, indem sie ihm ihren Busen entgegen streckte.

Maika beobachtete sie mit grimmigem Gesicht und kommentierte ihren Flirtversuch bissig. »Lass stecken, du Schlampe. Der Mann ist verheiratet. Hör auf, ihm Appetit zu machen. Sonst bekommt er Ärger.«

Vicky lachte laut und drehte sich zur Spüle, wo sie die Gläser abstellte. Dann zapfte sie zwei frische Bier und reichte sie dem, etwas verstört dreinblickenden, Mann mit einem zuckersüßen Lächeln.

Als er sich umdrehte und ging, rief Vicky: »Das ist der beste Ort zum Flirten, Süße. Hinter dem Tresen. Da hast du immer was zwischen dir und dem Kerl. Da kann er nicht grapschen. Wie sieht’s aus? Probier’s doch auch mal.« Sie ging zu Maika, die die Augen verdrehte, legte den Arm um ihre Schultern und gab ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange. »Hab dich lieb, Kleine.«

»Ich dich auch«, kam die gemurmelte Antwort und ein kleines Lächeln spielte um Maikas Lippen.

Die Mädchen hatten aufgehört zu tanzen und Tom betrat die Bühne, um alle dazu aufzufordern, sich noch ein Bier zu holen. Maika spülte die Gläser und stand mit dem Rücken zum Saal.

»Oh, oh«, rief Vicky.

»Schon gut Vicky. Wir kriegen das hin, wenn jetzt 100 Leute gleichzeitig ihr Bier wollen«, reagierte Maika auf Vickys Ausruf.

»Nein Süße, das meine ich nicht.«

Maika drehte sich zu ihr und beobachtete, wie sie ihren Busen zurechtrückte und einen bestimmten Punkt im Raum fixierte. »Was haben wir denn da. Das sieht aber lecker aus. Schau mal Maika. Auf 11 Uhr. Sexy.«

Maika sah in die gleiche Richtung ihrer Freundin und fand, worauf diese sich konzentrierte.

»Ein Jäger auf der Pirsch. Schau und lerne Maika. Da, ein Rundblick, um die Situation abzuchecken. Na, wer könnte ein potentielles Opfer sein?« Vicky stützte die Ellenbogen auf den Tresen und kommentierte ihre Beobachtungen weiter für die unwissende Freundin. »Na, wie wäre es mit der kleinen Blondine? Das wäre doch ein netter Snack. Nein? Dabei ist ihr Höschen bestimmt schon ganz feucht, so wie sie dich ansieht. Ist sie dir zu jung? Vielleicht. Hey Baby, komm zu mir. Hier kommst du auf deine Kosten. Oh, ja.«

Maika stöhnte. Ihre Freundin hatte den Flirtmodus aktiviert. Das durfte jetzt nicht wahr sein. Gerade walzte eine Hundertschaft durstiger Menschen auf die Theke zu, die alle bedient werden wollten, und dieses Weib hatte nichts Besseres zu tun, als Ausschau nach einem Spielzeug für die Nacht zu halten.

»Gleich wird hier die Hölle los sein. Reiß dich mal von deinem Sunnyboy los. Den kannst du nachher immer noch vernaschen.«

»Was ist mit dir? Bleibst du heute nüchtern und allein? So wie immer?«

Maika kannte ihre Freundin zu gut, um ihr diesen Spruch übel zu nehmen. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«

Vicky seufzte theatralisch. »Und wie das bei dir mit dem Vergnügen aussieht, kann ich mir gut vorstellen. Ein dickes Buch und ne Tasse Tee mit viel Milch. Stimmt’s Schatz?« Vicky machte einen Schritt auf Maika zu, legte ihren Arm um ihre Taille und zog sie an sich.

»Du kennst mich«, murmelte Maika und konzentrierte sich mit gesenktem Blick darauf, ein Bierglas abzutrocknen. »Ich bin ein Feigling mit großer Klappe und nichts dahinter.« Sie sah zu ihrer Freundin auf. »Ich wünschte, ich wäre so mutig wie du.«

Vicky küsste Maika auf die Nasenspitze. »Das wird schon, Schatz. Du brauchst halt ein wenig mehr Zeit. Weißt du, Männer sind dämlich. Wenn du denen keine klare Ansage machst, kapieren sie es nicht.« Sie ließ Maika los und taxierte sie mit einem freundlichen Blick. »Du bist so eine Süße. Aber mal ehrlich. Eine heiße Nacht täte dir auch mal gut.«

Maika warf das Geschirrhandtuch nach ihr, was Vicky mit lautem Lachen quittierte, bevor sie sich wieder in Positur warf und den Mann mit dem roten Dreitagebart fixierte.

Vicky war diejenige, die schon Millionen Mal in irgendwelchen Kneipen gearbeitet hatte. Sie war sozusagen der Profi, während Maika sich eher als Zuarbeiter sah. Bis Maika ein, ihrer Meinung nach, perfektes Bier gezapft hatte, war bei Vicky schon ein halbes Dutzend über den Tresen gegangen. Und nun war da dieser Typ, der sie ablenkte. Das Chaos war praktisch vorprogrammiert.

Bleib ruhig, redete sich Maika ein und fuhr mit den Fingern hektisch durch ihr Haar. Ihre Freundin begann zu lächeln, während Maika in einem Anflug von Panik die frisch gespülten Gläser zählte und nach den Bierfässern schielte. Na gut, los geht’s, dachte sie, krempelte sich die Ärmel ihrer Bluse hoch und schenkte dem ersten Kunden, der vor ihr stand ein unsicheres Lächeln.

Vicky fixierte noch immer reglos den Typen und Maika dachte, tu mir das nicht an. Nicht jetzt. Bitte. Vicky schien sie gehört zu haben, oder ihre Gedanken zu lesen. So, wie das irgendwie immer bei den beiden der Fall war. Ein seltsames Band ließ sie ständig dasselbe denken, sagen oder auch tun. Meistens jedenfalls. Wenn es um Männer ging, war das etwas anderes.

Zunächst zeigte sich Vicky kooperativ und schubste ihre Freundin lachend mit dem Hintern an. Der Rotbart war noch nicht in Reichweite. In Windeseile zapfte sie ein Bier nach dem anderen, während Maika abkassierte. Keiner regte sich auf. Das war gut. Doch die Schlange vor der Theke wurde immer länger.

Hilfe, ich hasse das, dachte Maika und machte weiter. Doch dann hörte der Nachschub an gefüllten Gläsern plötzlich auf. Maika drehte sich um und sah, dass der Rotbart angekommen war.

Er stand vor dem Tresen und lächelte Vicky an. Wieso der? Wieso gerade jetzt? Was war denn so besonders an diesem Kerl? Sie hatte jetzt keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen, warum Vicky ausgerechnet ihn auserkoren hatte.

Sie begann selbst die Gläser zu füllen, und für einen kleinen Augenblick hasste sie ihre beste Freundin. Aber sie tat ja schließlich nur das, was gut für sie war. Vicky nahm sich, was sie wollte und scherte sich wenig darum, was andere von ihr dachten. Das war eine dieser Eigenschaften, für die Maika sie bewunderte. Sie selbst hätte sich nie getraut, einem Mann so offenkundig zu zeigen, dass sie sich für ihn interessierte.

Der Kerl, der vor Vicky stand, schien sich definitiv für sie zu interessieren. Wäre es nicht so laut im Keller gewesen, hätte man es zwischen den beiden knistern hören. Mit Blicken schien er sie bereits auszuziehen und ja, er hatte irgendetwas an sich, dass ihn attraktiv machte. Doch um sich jetzt Gedanken darüber zu machen, fehlten Maika die Nerven.

Erste Bemerkungen darüber, dass es nicht voranging, wurden geäußert und Maikas Lächeln verlor sich.

Und weil es, wie jeder weiß, immer noch schlimmer kommen konnte, war auf einmal das Guinnessfass leer.

»Es tut mir leid. Sie müssen warten. Bitte, ich beeil mich«, versuchte Maika, die Wartenden zu beschwichtigen. Sie schaute verzweifelt zu Vicky, die jedoch schwer beschäftigt zu sein schien. Maika drehte sich panisch um und lief in den Nebenraum, um dort ein neues Fass zu holen.

Da gab es nur 50 Liter Fässer, die sehr schwer aussahen. Und wie zum Henker sticht man ein Bierfass an? Sie hatte keine Ahnung. Und bei Guinness war die Sache noch schwieriger. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass der sahnige Schaum des dunklen Biers durch eine Mischung aus Kohlensäure und Stickstoff entsteht.

Ja, ja, schön und gut. So weit zur Theorie. Doch jetzt war Praxis angesagt. Wenn jetzt kein Wunder geschah, würde es Ärger geben. Maika stemmte die Fäuste in die Hüften und brüllte nach Vicky.

Patrick hatte sich in Richtung Tresen vorgekämpft und die beiden Frauen dort entdeckt. Eine kleine Blonde mit ernstem Gesicht und ein ziemlich gutaussehendes Vollweib. Ob es eine von den beiden war? Als er den Tresen erreichte, kurz bevor sich eine endlose Schlange davor bildete, war ihm klar, dass die Größere mit den langen Fingernägeln ein Auge auf ihn geworfen hatte. Sie schien auf der Suche nach einem Mann zu sein. Also, warum nicht.

Patrick schenkte ihr sein bezauberndes Lächeln, das ein wenig spitzbübisch und gleichermaßen durchtrieben wirkte. Sie reagierte so, wie er es gewohnt war. Die blonde Frau daneben blendete er völlig aus. Diese Rundungen wollte er heute Nacht haben. Diese Fingernägel sollten ihm den Rücken zerkratzen.

Die leicht rauchige Stimme und ihr verruchtes Lachen, als er sie ansprach, machten ihn total an. Sie sah nicht unbedingt wie eine Journalistin aus. Aber das hatte nichts zu sagen. Er hatte schließlich noch nie eine Journalistin kennen gelernt. Kommunikativ war sie jedenfalls, als sie begann, ihn anzubaggern. Er bat sie um ein Bier und sie nahm ihm sein Glas ab, wobei ihre Fingernägel einladend über seinen Handrücken kratzten.

Der Jäger meldete sich zurück. Er ging um die Theke und stellte sich vor sie. Ihre Signale waren mehr als deutlich. Sie war auf der Suche. Auch die Journalistin suchte. War sie es? Die Frau, die da vor ihm stand, wollte ihn. Sollte es so einfach sein?

Wütende Stimmen lenkten ihn ab und er sah zur Seite, wo die andere Frau gerade im Nebenraum verschwand.

»Du solltest deiner Freundin helfen«, hauchte er in das lockige Haar der Frau, die ihn förmlich mit Blicken auffraß.

»Oh, meinst du? Ich glaube, sie schafft das schon allein.«

Vicky legte ihre Hand auf die Brust des Mannes und näherte sich seinem Mund. Da hörte sie Maika, die nach ihr rief. Der gutaussehende Typ hatte sie auch gehört, ließ sie mit einem entschuldigenden Lächeln los und ging in den Nebenraum.

Erst als er fort war, bemerkte Vicky den Aufruhr vor der Theke, kam zu sich und begann damit, Bestellungen aufzunehmen.

Heute Nacht würde er ihr gehören. Und wenn er jetzt Maika half, war das doch nur ein Zeichen dafür, dass der Typ auch eine gute Kinderstube besaß. Nett irgendwie. Und, dass Maika ihn ihr nicht abspenstig machen würde, war auch klar. Sie hatte schließlich gesehen, dass Vicky sich für ihn interessierte. Und wenn es anders wäre, würde Maika seit sehr langer Zeit mal wieder eine aufregende Nacht haben. Aber Vicky kannte ihre Freundin. Adonis höchstpersönlich würde nicht bei ihr landen können. Nicht in der ersten Nacht und wahrscheinlich auch nicht in der zehnten. Bevor Maika einen Mann nicht wirklich kannte, lief gar nichts.

Als Patrick in den Nebenraum kam, wäre er fast wieder gegangen. Da stand eine kleine Furie und funkelte ihn wütend an.

»Was willst du denn hier?«, fauchte sie.

»Helfen?«, versuchte er eine Antwort.

Die Wut verschwand augenblicklich in den dunkelgrünen Augen der Frau und wurde von ruhiger Sachlichkeit abgelöst.

»Das Guinnessfass ist leer. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich das Fass nach draußen bringen und in Betrieb nehmen soll. Kannst du das?«

Er grinste und griff nach dem Fass, das wenige Augenblicke später dort war, wo es hingehörte. Maika staunte und folgte dem Mann, der mit sehr viel Routine den Keg von dem vorherigen Fass löste, die Verplombung des neuen Fasses entfernte, den Zapfkopf aufschob und den Hebel herunterdrückte. Eine saubere Sache war das, wenn man wusste, wie es geht. Maika stand neben dem Mann und beobachtete jeden seiner Handgriffe mit interessierten Blicken.

Seine Finger deuteten auf die beiden Schläuche am Keg. »Stickstoff und Sauerstoff. So entsteht der schöne Schaum.« Er griff nach einem leeren Glas und hielt es Maika hin, die ihn beeindruckt ansah.

»Hier bitte. Du kannst jetzt weiter machen. Ich heiße übrigens Patrick. Hallo.«

Sie nahm das Glas und Falten bildeten sich zwischen ihren schmalen Augenbrauen. »Das machst du nicht zum ersten Mal. Stimmt’s?«

Er grinste. »Hab schon das eine oder andere Fass angezapft und geleert in meinem Leben.«

Sie erwiderte kurz sein Lächeln, murmelte ein Danke und begann zu zapfen. Als sie es geschafft hatte ein, ihrer Meinung nach, perfektes Bier zu zapfen, hielt sie ihm das Glas hin. »Das Erste ist für dich. Als Dankeschön.«

Doch Patrick schüttelte den Kopf. »Das will ich nicht. Ist nicht richtig gezapft.«

Maika sah ihn kritisch an und hob eine Augenbraue, doch ihr Blick war nicht wütend. Es musste einen Grund geben, weshalb das Bier nicht in Ordnung war. »Dann erklär’s mir, du Profi. Was gibt es an dem Bier zu kritisieren?«

Sie hatte eine herbe Art an sich, die ihm Spaß machte. Sie ließ sich nicht ins Boxhorn jagen. Und außerdem wusste er genau, dass die Andere, die er wollte, ihn beobachtete. Da schadete es nicht, ein wenig den Schlauberger raushängen zu lassen. »Schau, ich zeig es dir«, sagte Patrick und ließ sich das Glas zurückgeben. »Ihr Deutschen mögt viel Schaum auf dem Bier. Das nennt man eine Krone, richtig?« Maika nickte und die Leute vor dem Tresen hörten ihm nun auch interessiert zu, so dass das Schimpfen aufhörte. »Wir Iren wollen Bier und keinen Schaum. Siehst du die Harfe auf dem Glas?« Er deutete mit der Fingerspitze auf die goldene Harfe, die Guinness als Logo verwendete. »Das Schwarze muss bis zur Oberkante der Harfe gehen. Sonst ist es nicht richtig gezapft.« Patrick setzte einen Schuss Bier in das Glas, so dass der perfekte Pegel erreicht war. »Prost«, rief er und nahm einen herzhaften Schluck.

Statt sich wieder der Frau zu widmen, mit der er die Nacht verbringen würde, begann er nun ein Bier nach dem anderen zu zapfen, während die beiden Frauen sich um den Rest kümmerten. Vickys und Maikas Blicke trafen sich und drückten, ohne dass ein Wort fiel, dasselbe aus. Oder vielleicht nur fast dasselbe. Erstaunlich, dachte Maika. Das hätte ich nicht von ihm erwartet. Vicky dagegen dachte: Verdammt sexy. Sogar beim Zapfen.

Schnell war die Schlange, Dank Patricks Unterstützung, abgearbeitet und Vicky widmete sich wieder intensiv dem Flirten, wobei sie in Patrick den perfekten Partner gefunden hatte. Als Toms Frau Miriam an den Tresen kam, um nach dem Rechten zu sehen und Bier für die Band zu holen, gingen Vicky und Patrick gerade Arm in Arm nach oben, um im Hof eine Zigarette zu rauchen. Miriam lächelte ihnen hinterher. »Das ging aber schnell mit den beiden.«

»Oh, du weißt doch, wie sie ist. Nur nichts anbrennen lassen.« Maika blickte ihrer Freundin nach, die sie wohl heute Abend nicht mehr sehen würde.

»Der Kerl hat uns eben den Hintern gerettet. Hat es echt drauf. Kennst du ihn?«

»Oh, das sollte er. Das ist Patrick, ein Freund aus Irland. Er hat dort ein Hotel mit Pub. Also wenn sich einer mit Bierzapfen auskennen sollte, dann er.«

Miriam kam hinter den Tresen und begann Biergläser zu spülen. »Ich lös dich hier mal ab, Maika. Schließlich bist du zum Arbeiten hier und nicht, um die Gäste mit Bier abzufüllen.«

»Stimmt«, entgegnete Maika und holte ihr Handwerkszeug, einen Schreibblock und eine Kamera aus der Tasche, die auf einem Stapel Bierkästen gelegen hatte.

»Mach ein Paar schöne Fotos von der Band und nimm bitte den Bierkasten für die Jungs mit«, rief Miriam Maika zu, die bereits mit geübtem Blick nach passenden Motiven suchte. Nun war sie in ihrem Element. Als Journalistin war sie ein Profi. Und wie man ein Guinnessfass ansticht, hatte sie nun auch gelernt.

Maika ging zur Bühne, grüßte die Bandmitglieder und stellte den Bierkasten ab. »Geht das in Ordnung oder wollt ihr Bier vom Fass?«, fragte sie. Adrian, der die Bodhran in der Band spielte, griff nach dem Bierkasten und schenkte Maika ein bezauberndes Lächeln. »Danke Maika. Nein, Flaschen sind günstiger auf der Bühne. Die gehen nicht so schnell kaputt wie Biergläser.«

Er sah süß aus mit seiner runden Nickelbrille und den braunen Locken. Maika wusste, dass er sie mochte. Aber er war so schrecklich jung und auch ein wenig tollpatschig. Er hatte sie mal zum Essen eingeladen und der Abend endete mit einem mittelprächtigen Fiasko. Ein Glas Rotwein war auf ihrem Lieblingskleid gelandet und irgendwann hatte sie den untröstlichen und angetrunkenen Adrian nach Hause gefahren. Dabei hatte sie sich eher wie seine Mutter als wie sein Date gefühlt. Sie erklärte ihm, dass sie ihn gern hat, aber für mehr reiche es nicht.

Sie waren noch immer gute Freunde und er brachte sie oft zum Lachen. Sie schätzte an ihm, dass er trotz ihrer Abfuhr ein guter Kumpel blieb, mit dem man Pferde stehlen konnte. Und das war in ihren Augen wichtiger als eine zum Scheitern verurteilte Liebesbeziehung, die vielleicht schön war, aber am Ende den Tod jeder Freundschaft bedeutete.

Tom kam zu ihr. »Hat er dich gefunden?«

»Wer?«

»Oh, äh. Patrick.«

»Ja, hat er.«

»Und?«

»Und was?«

»Ähm, gefällt er dir?«

»Nun, ich weiß nicht, was du meinst. Aber er ist gerade mit Vicky rausgegangen, um eine zu rauchen. Und ich denke, die beiden werden nicht nur gemeinsam rauchen.«

Tom sah Maika verwirrt an. Dann schüttelte er leicht den Kopf.

»Gibt es da etwas, das du mir erklären willst?« Maika grinste. Was immer Tommy ausgeheckt haben mochte, es schien gründlich misslungen zu sein.

»Keine Zeit«, wiegelte Tom mit geschäftiger Miene ab. »Wir müssen jetzt spielen. Mach ein paar schöne Fotos von uns, ja?«

»Geht klar.« Maika zwinkerte ihm zu und legte mit der Kamera auf ihn an.

Natürlich war Vicky nicht mehr zurück in den Keller gekommen. Dieser Patrick auch nicht. Als Maika gegen zwei Uhr morgens nach Hause fuhr, dachte sie an ihre Freundin, die wahrscheinlich gerade jede Menge Spaß hatte. Morgen würde sie Vicky ausquetschen und jedes Detail der Nacht erfahren wollen.

Das war kein Problem. Vicky und Maika hatten keine Geheimnisse voreinander. Und ihre Freundin liebte es, Maika den Mund wässrig zu machen. Dann erzählte sie ihr manchmal Dinge, die sie gar nicht hören wollte. Aber ob dieser Weltmeister im Bierzapfen auch gut im Bett war, interessierte sie irgendwie schon.

Es war Jahre her, dass sie einen Freund hatte, dem sie so weit vertraute, dass sie auch mit ihm schlief. Affären, die nur eine Nacht andauerten, waren nichts für sie. Da musste Vertrauen und viel Gefühl eine Rolle spielen, bis sie sich auf jemanden einließ. Bei Vicky war das ganz anders. Sie sollte sich ein Beispiel an ihrer Freundin nehmen, mit dem Gegrübel aufhören und Spaß haben. Aber das funktionierte nicht. Sie war aus einem anderen Holz gemacht. Du bist viel zu romantisch, hatte Vicky mal zu ihr gesagt und die Sache damit sehr liebevoll umschrieben. Denn in Wirklichkeit hatte Maika Angst davor, enttäuscht zu werden, und ihr fehlte auch das Selbstbewusstsein ihrer Freundin. Einen Kerl fünf Minuten zu kennen, um dann mit ihm ins Bett zu gehen, war undenkbar. Vielleicht sollte sie es mal mit Alkohol probieren, um ihre Hemmungen abzustreifen. Aber meist musste sie nüchtern bleiben, um ihren Job anständig zu erledigen. Heute Abend wäre es ein Leichtes gewesen, sich mit zwei oder drei Bier abzuschießen. Mehr brauchte es nicht, da sie nur selten trank. Freunde waren genug da, die sie nach Hause gebracht hätten. Aber am nächsten Morgen mit einem Kater den Artikel zu schreiben, entsprach nicht ihren Vorstellungen von guter Arbeit. Da war sie ein Prinzipienreiter. Und manchmal hasste sie sich selbst für diese hinderliche Eigenschaft.

Als sie in die Wohnung kam, nahm sie ihr Handy und schrieb eine SMS an Vicky. »Frühstück. Morgen um 14 Uhr. Ich bin neugierig. Kuss M.«

3

Als Vicky am nächsten Tag in das kleine Lieblingscafé der beiden Freundinnen stürmte, reichte ihr Grinsen bis zu den Ohren. Sie war, wie immer, zu spät und ein wenig außer Atem. Sie musste sich beeilt haben. Ihre Locken waren noch feucht vom Duschen. Sie trug ein Top mit freizügigem Ausschnitt und eine, wie immer, viel zu enge Jeans.

Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Stuhl gegenüber Maika fallen. »Man, hab ich einen Hunger. Und ich brauche mindestens zwei Liter Kaffee.« Dann stand sie noch einmal auf, beugte sich über den kleinen Bistrotisch, auf dem ein Blumensträußchen mit künstlichen Blüten stand, und gab Maika einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich wieder zurückplumpsen ließ.

Maika grinste zurück. »Du siehst abgekämpft aus.«

»Tu ich das? Seltsam.« Sie griff nach der Menükarte und begann sie provokativ zu studieren. Sie kannte die Angebote auswendig. Die beiden Frauen waren fast jede Woche im Café und bestellten auch meist das gleiche Frühstück.

Maika fixierte ihr Gegenüber und wartete. Es war verdammt schwierig darauf zu warten, dass Vicky loslegte, und Vicky genoss sichtlich die Ungeduld der Freundin.

Eine kleine Frau kam an den Tisch und nahm die Bestellung auf. Als sie gegangen war, hielt Maika es nicht mehr aus.

»Du Miststück hättest ja wenigstens noch mal runterkommen können, um Tschüss zu sagen. Einfach so abziehen und mich allein lassen. Zum Glück ist Miriam gekommen und hat mich abgelöst. Sonst hätte ich meinen Job nicht machen können.«

»He, du bist ein Profi. Ich weiß, wie du arbeitest. War schließlich schon oft genug dabei. Selbst wenn du an dem Abend nicht da gewesen wärst, könntest du einen fantastischen Artikel schreiben. Stimmt doch, Süße«, rief Vicky und tätschelte gut gelaunt Maikas Hand.

Die kleine Frau brachte zwei große Tassen Milchkaffee und stellte einen Korb voller Brötchen auf den Tisch. Wenig später kam der Rest des Frühstücks, zu dem auch ein Schälchen Oliven gehörte, das Vicky Maika kommentarlos herüberschob. Vicky nahm einen großen Schluck von ihrem Milchkaffee, stellte die Tasse ab und beugte sich zu Maika. »Frag schon.«

»Was denn?«, entgegnete Maika mit einem Augenaufschlag.

Vicky fletschte die Zähne und knurrte. »Frag mich endlich. Oder interessiert es dich nicht?«

»Schon.« Maika begann, ein Brötchen aufzuschneiden, und versuchte, gelangweilt auszusehen. »Und, wie war es?«

Jetzt hatte Vicky ihren großen Auftritt. Sie griff sich auch ein Brötchen und meinte: »Ganz nett.«

»Wie ganz nett? Details. Ich will alles wissen. Mach schon.«

Vicky fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum. »Ihr Journalisten seid einfach unausstehlich. Immer wollt ihr alles wissen.« Dann beugte sie sich mit einem gefährlichen Grinsen nach vorne und flüsterte: »Willst du wirklich alles wissen? Ich meine, so jedes Detail?« Dann lehnte sie sich zurück und fügte hinzu: »Ich will ja nicht, dass dir schlecht wird oder dass du eifersüchtig wirst.«

Maika nahm eine Olive und tat so, als wollte sie diese nach ihr werfen, bevor die Olive in ihrem Mund verschwand. »Du Miststück. Ich will alles wissen. Jedes Detail. Du weißt, ich brauche dich als Informantin für mein Lebenswerk. Irgendwann schreibe ich den Roman, den ich seit Ewigkeiten im Kopf habe. Und dafür brauche ich jede Menge Sexdetails.«

Zwei Handwerker kamen in das Café und schienen Maikas letztes Wort aufgeschnappt zu haben. Sie grinsten sich gegenseitig an und Maika wurde rot, während Vicky sich umsah. »Lecker, der Rechte.«

»Lenk jetzt nicht ab. Du hast gerade eine heiße Nacht hinter dir. Also werd jetzt nicht gierig.«

»Schon gut, schon gut.« Vicky wiegelte ab und begann leise zu erzählen, so dass die beiden Jungs hinter ihr nichts mitbekamen.

»Also, er heißt Patrick und ist Ire.«

»Weiß ich.«

»Er hat ein Hotel und ist ein Freund von Tom.«

»Weiß ich.«

»Na, wenn du schon alles weißt, muss ich dir ja nichts mehr erzählen«, konterte Vicky und spielte die Eingeschnappte.

»Du machst mich wahnsinnig. Ich will was ganz anderes von dir wissen«, schnaubte Maika und sah sie mit gespielter Wut an.

»Okay, okay. Das Hotel heißt »Cowards Inn«. Was bedeutet das?«

Maika erklärte es ihr. »Coward heißt Feigling und Inn heißen die Hotels mit Pub auf der Insel.«

Vicky nickte verstehend und drehte sich nach den beiden Handwerkern um, die gerade das Café verließen. Nun waren die beiden allein und Vicky kam endlich zur Sache. »Also wir sind hochgegangen und haben eine geraucht.«

Maika trommelte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Weiter.«

»Dann haben wir noch eine geraucht.«

Maika sprang auf und legte die Hände um Vickys Hals. »Ich bring dich um, Weib. Machs nicht so spannend.«

Vicky lachte ihr lautes, verruchtes Lachen und verschluckte sich dabei an einem Bissen. Als sie mit der Husterei aufgehört und mit einem Schluck Kaffee nachgespült hatte, beugte sie sich wieder vor und erzählte weiter.

»Wir sind zum Parkplatz gegangen und haben ein bisschen rumgemacht. Und da war schon klar, dass der Typ scharf wie ein Rettich war. Himmel, der hat ordentlich was in der Hose, hab ich gedacht. Und ich wurde nicht enttäuscht.« Sie biss wieder in ihr Brötchen und sprach kauend weiter. »Also sind wir zu mir gefahren. Ich hatte irgendwie keinen Bock drauf, mit ihm ins Hotel zu gehen. Aber vielleicht probieren wir es heute Nacht mal dort aus. Hab ich dir gesagt, dass er heute Abend ins Pub kommt? Er meinte, er bleibt noch ein paar Tage.«

Maika grinste. »Du lenkst schon wieder ab. Aber es ist gut, zu wissen, dass er ins Pub kommt. Dann hab ich die Gelegenheit, mir diesen Hengst mal genauer anzusehen. Erzähl weiter.«

»Also das Wort Hengst passt irgendwie. Der ist echt abgegangen. Da war nichts von wegen, ein wenig quatschen oder kuscheln oder Vorspiel. Der ist gleich zur Sache gekommen. Ich hab noch nie einen Kerl gehabt, der so schnell seine Klamotten ausgezogen hat. Schon als er ins Schlafzimmer kam, hat er sich nur kurz umgesehen und dann ging es los. Tja, ich würde sagen, der ist nichts, wenn man es langsam angehen will. Aber was das Ficken anbetrifft, da kennt er sich aus. Das hat er echt gut gemacht, und zwar die ganze Nacht. Keine Ahnung, wo er die Ausdauer hernimmt. Aber sein Appetit war nicht zu zügeln und außerdem weiß er auch, dass man eine Frau nicht nur mit dem Schwanz befriedigen kann.«

Maika hob die Hand. »Ich glaube, jetzt hast du das Stadium erreicht, wo ich passen muss.«

»Wieso?« Vicky grinste. »Aber gut. Ich wollte damit nur andeuten, dass Patrick sehr kreativ ist. Also was Stellungen und so anbetrifft.«

Dann schwieg sie und ließ das Gesagte auf ihre Freundin wirken. Maika verfiel ins Grübeln. »Also bist du zufrieden mit der letzten Nacht?«

»Jep. War genau das, worauf ich Bock hatte.«

»Und ihr habt gar nicht miteinander geredet?«

»Wenig.« Vicky runzelte die Stirn und es wirkte auf einmal, als müsste sie sich vor Maika rechtfertigen. »Immerhin weiß ich wie er heißt, wo er herkommt und dass er ein Inn hat. Das Cowards Inn. Muss ihn unbedingt fragen, wo der lustige Namen herkommt.« Sie schwieg einen Moment. »Weißt du Schatz, ich war schon mit Kerlen im Bett, von denen ich viel weniger wusste.« Dann wurde sie plötzlich ernst. »Bei einer Zigarettenpause hat er mich was Komisches gefragt. Er wollte wissen, was ich beruflich mache.«

»Und was hast du ihm geantwortet?«

»Ich hab ihm gesagt, mal dies, mal das. Alles, was so anfällt. Ich bin nämlich ein Multitalent.«

»Und was hat er geantwortet?«

»Er meinte nur, das würde stimmen. Und dann ging die nächste Runde los.«

Maika nahm die letzte Olive und schob sie sich in den Mund. »Und wie seid ihr auseinandergegangen?«

»Es wurde schon hell draußen, als unser letzter Ritt zu Ende war. Ich hab mich zur Seite gedreht und wollte schlafen. Da hat er mich auf den Mund geküsst, ist aufgestanden und hat sich angezogen. Und bevor er gegangen ist, hat er mich von der Tür aus angelächelt und bis später gesagt. Wahrscheinlich hat er sich ein Taxi gerufen.«

»Das klingt alles andere als romantisch«, meinte Maika und sah ein wenig enttäuscht aus.

»Ich weiß schon, der ist nichts für dich. Ficken spielt bei dir eine untergeordnete Rolle.«

»Sag das nicht«, entgegnete Maika. »Ich würde auch gern mal wieder, du weißt schon, mit einem Partner. Nichts gegen Spielzeug. Mal abgesehen davon, dass ich definitiv zu viele Batterien verbrauche.« Maika grinste ihre Freundin verschmitzt an und wartete darauf, dass ihre kleine Anspielung wirkte. Sie wurde mit Vickys lautem Lachen belohnt.

»Für mich gehört einfach viel mehr zum Sex, als das lapidare Rein-Raus-Spiel. Das ist doch etwas ganz Intimes. Da gehören Zuneigung und Zärtlichkeit dazu, Vor- und Nachspiel. Da ist wichtig, wie dein Partner riecht, wie er schmeckt und wie er sich anfühlt.«

»Also Patrick riecht fantastisch. Und er schmeckt auch gut. Das kann ich dir sagen.« Vicky tunkte den Zeigefinger in die übriggebliebene Marmelade und leckte sich lasziv den Finger ab.

»Na, ja«, fuhr Maika fort. »Und dann ist da auch noch die Sache mit dem Vertrauen.«

»Oh ja. Du immer mit deinem Vertrauen. Hör mal Schatz. Ich sag dir was. Wenn Vicky einem Menschen auf dieser Welt vertraut, dann nur sich selber. Ich hab zu viel Scheiße durchgemacht, um irgendeinem anderen Menschen zu vertrauen, und ganz besonders keinem Kerl.«

»Und was ist, wenn er loszieht und allen detailliert von eurem Schäferstündchen erzählt?«

»Süße, das nennt man Risiko. Und außerdem ist mir das scheißegal. Schließlich hab ich dir auch detailliert von der letzten Nacht erzählt.«

Maika sah ihre Freundin entrüstet an. »Aber das ist doch was ganz anderes.«

»Ist es das?« Vicky grinste verschmitzt. »Schon gut. Ich weiß, bei dir ist es gut aufgehoben. Und außerdem nennst du das, wie war das noch? Feldforschung oder Recherche.« Sie lachte und begann die Tasse in ihren Handflächen zu drehen. Dann schwiegen die beiden und die kleine Frau kam, um abzuräumen und noch einen Kaffee für beide zu bringen.

»Eigentlich passt dieser Patrick überhaupt nicht in dein Beuteschema, oder?«, fragte Maika.

»Das stimmt wohl.«

»Du stehst doch eigentlich auf diesen Muskelberg, der seit ein paar Tagen ins Pub kommt.«

Vicky legte den Kopf in den Nacken und seufzte. »Jep.«

»Wir müssen unbedingt mehr über ihn herausfinden.« Maikas Stimme klang entschlossen.

»Jep.«

»Was ist, warum bist du auf einmal so kurz angebunden?«

»Wenn es um diesen Muskelberg, wie du ihn nennst, geht, bin ich genau so verdammt schüchtern wie du. Weißt du, den würde ich nie nur für eine Nacht mitnehmen. Den finde ich echt toll. Nicht nur lecker.«

»Oh. Jetzt bin ich aber platt. Vicky, meine Heldin. Miss Furchtlos hat auf einmal Muffensausen?«

»Ja, es ist nicht zu glauben. Aber das liegt daran, dass ich für ihn sowas wie Gefühle habe. Klingt irgendwie seltsam, das von mir zu hören. Aber auch ich hab eine romantische Ader. Jedenfalls bei ihm. Und wenn du meine Freundin bist, und das bist du, sogar meine Beste, dann wirst du für mich herausfinden, was das für einer ist, wie er heißt und all so was. Schließlich bist du Journalistin, oder? Du kannst das.«

»Abgemacht.« Maika hob ihre Kaffeetasse und prostete ihrer Freundin zu. »Für dich mach ich das. Und wenn ich mich mal verliebe, machst du dasselbe für mich, okay?«

»Genau. So machen wir das. Ach und übrigens. Was ich vorhin gesagt habe, stimmt nicht so ganz.« Maika runzelte die Stirn und sah Vicky fragend an. »Na ja, das mit dem Vertrauen und dass ich nur mir und sonst keinem anderen Menschen traue. Das stimmt nicht. Weil ich nämlich dir vertraue. Voll und ganz. Aber das weißt du ja, oder?«

»Weiß ich«, flüsterte Maika und strich ihrer Freundin sanft über den Handrücken. Durch die Hölle würde sie für Vicky gehen. Und umgekehrt war es genau so.

»So und jetzt schick ich dich ins Bett.« Maika stand entschlossen auf. »Schließlich musst du heute Abend wieder ausgeschlafen sein und zum Anbeißen aussehen. Egal für wen. Ob für den Muskelberg oder diesen Hengst Patrick.«

»Meinst du, er kommt heute?« Da war ein ganz kleiner Hauch von Unsicherheit in Vickys Blick.

»Sagtest du nicht, er würde kommen?« Maika grinste. Sie wusste genau, von wem die Freundin gerade gesprochen hatte.

»Na, ich meine doch den schönen Unbekannten, nicht den Iren.«

»Wenn der Hübsche heute Abend kommt, und er kommt schließlich jeden Abend, dann solltest du nicht mit Patrick rumknutschen. Sonst denkt er, du bist vergeben.«

Vicky knabberte auf ihrer Unterlippe. »Ja, du hast Recht. Das würde komisch aussehen. Wie gut, dass ich so eine umsichtige Freundin wie dich habe. Danke für den Tipp.«

Sie bezahlten und umarmten sich herzlich zum Abschied.

4

Maika hatte Vicky vor ein paar Jahren auf einem Kleiderflohmarkt kennen gelernt. Sie hielt sich einen Pullover an und betrachtete sich in dem großen alten Spiegel des Händlers, der so fleckig und verzogen war, dass sie nicht viel erkennen konnte. Überall lagen bergeweise gebrauchte Klamotten direkt auf dem Boden. Frauen und Kinder standen davor gebeugt und zogen einzelne Stücke heraus, begutachteten sie, um sie einen Moment später wieder achtlos auf den Haufen zurückzuwerfen.

Viele der Frauen und kleinen Mädchen trugen Kopftücher, und durch die Duftproben eines Parfümhändlers, der zwei Dutzend Räucherstäbchen entzündet hatte, um Kunden anzulocken, bekam der Markt ein wenig den Charme eines orientalischen Basars. Die Menschen um sie herum sprachen Arabisch und Türkisch, was dem Geschehen ein weiteres exotisches Flair gab.

Sie stand vor dem Spiegel und war unschlüssig, ob der Pullover ihr gefiel oder ob sein heller Fliederton einfach nur eine schöne Farbe war, als eine Stimme hinter ihr einen unerwarteten Kommentar losließ.

»Vergiss es. Ist nicht deine Farbe. Die lässt dich wie eine Leiche aussehen. Warte, probier den mal.«

Als Maika sich umsah, um herauszufinden, wer da auf Deutsch und mit resolutem Ton, ehrliche Worte an sie richtete, sah sie eine großgewachsene Frau, die sie mit breitem Grinsen und fröhlichen dunkelblauen Augen anlächelte. In der Hand hielt sie einen Pullover, der ähnlich wie der fliederfarbene geschnitten war, doch ein tiefes Flaschengrün hatte.

Als Maika nicht reagierte, machte die Frau einen Schritt auf sie zu und hielt ihr den Pullover vor die Nase. »Mach schon. Das ist deine Farbe. Der wird dir stehen.«

Warum duzte sie diese Frau?

Mit ihren dunkelroten Locken, die ihr bis auf den prallen Hintern fielen, der rauchigen Stimme, langen lackierten Fingernägeln und einem ausgewaschenen T-Shirt mit Harley-Logo darauf, hatte sie etwas Vulgäres, das Maika sofort gefiel. Inmitten der Kopftuch tragenden Frauen und herumwuselnden Kinder stach sie deutlich aus der Menge hervor. Sie stand aufrecht, das Kinn ein wenig erhoben und an ihren Handgelenken glitzerten hunderte von schmalen Silberreifen. Sie war eine stattliche Frau, deren Körper Kraft und Sinnlichkeit ausstrahlte. Maika erinnerte sie an eine Kriegerin. Da fehlten eigentlich nur noch ein Lederkorsett und ein Schwert. Ihre Fantasie ging mit ihr durch. Das geschah häufig, wenn sie sich einsam fühlte.

»Gleich krieg ich einen Krampf im Arm«, sagte die Kriegerin und verwandelte sich wieder in eine ganz normale Frau. Maika murmelte eine Entschuldigung, nahm ihr den Pullover ab und hielt ihn sich an.

»Passt«, sagte die Frau, griff sich den Pullover und drehte sich mit den Worten, »jetzt wird gehandelt«, um.