Irrlicht 24 – Mystikroman - Runa Moore - E-Book

Irrlicht 24 – Mystikroman E-Book

Runa Moore

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Celia verstand sich selbst nicht mehr. Hatte sie wirklich gerade laut und deutlich »Nein!« gesagt? Oder war das gar nicht ihre Stimme gewesen, die auf Michaels Frage geantwortet hatte? War das eine Fremde gewesen? »Willst du mich heiraten?« hatte Michael gefragt. Und sie hatte sofort, ohne zu zögern, ein entschiedenes »Nein!« ausgestoßen. Die junge Frau stand am Fenster und hörte, daß sich Michael näherte. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, aus Angst, seine Enttäuschung nicht ertragen zu können. Sie wollte nicht in seine lieben blauen Augen blicken, die so zuversichtlich und hoffnungsvoll aussahen. Sie starrte hinaus in den Garten. Der Regen fiel in Strömen und trommelte so fest auf das Garagendach der Nachbarn, daß die Tropfen wie kleine Fontänen in die Höhe sprangen. Am liebsten hätte sich Celia in Luft aufgelöst. Michaels Schritte kamen näher. Sie hielt die Luft an, als sie spürte, daß er ganz dicht hinter ihr stand. »Celia!« sagte er leise und eindringlich. Behutsam faßte er sie an den Schultern und drehte sie langsam zu sich herum.

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Irrlicht – 24 –

Das Schloß der toten Seelen

…wo dich die Schrecken der Vergangenheit erwarten, Celia!

Runa Moore

Celia verstand sich selbst nicht mehr. Hatte sie wirklich gerade laut und deutlich »Nein!« gesagt? Oder war das gar nicht ihre Stimme gewesen, die auf Michaels Frage geantwortet hatte? War das eine Fremde gewesen?

»Willst du mich heiraten?« hatte Michael gefragt. Und sie hatte sofort, ohne zu zögern, ein entschiedenes »Nein!« ausgestoßen.

Die junge Frau stand am Fenster und hörte, daß sich Michael näherte. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, aus Angst, seine Enttäuschung nicht ertragen zu können. Sie wollte nicht in seine lieben blauen Augen blicken, die so zuversichtlich und hoffnungsvoll aussahen.

Sie starrte hinaus in den Garten. Der Regen fiel in Strömen und trommelte so fest auf das Garagendach der Nachbarn, daß die Tropfen wie kleine Fontänen in die Höhe sprangen. Am liebsten hätte sich Celia in Luft aufgelöst.

Michaels Schritte kamen näher. Sie hielt die Luft an, als sie spürte, daß er ganz dicht hinter ihr stand. »Celia!« sagte er leise und eindringlich. Behutsam faßte er sie an den Schultern und drehte sie langsam zu sich herum. Celia ließ es geschehen, blickte aber zu Boden.

»Sieh mich an!« sagte Michael mit der gleichen eindringlichen Stimme. Als sie sich nicht bewegte, faßte er mit der Hand unter ihr Kinn und drückte es vorsichtig nach oben. »Ich bin dir nicht böse«, flüsterte er.

Celia merkte, wie ihr Herz schneller schlug, und hob den Kopf.

»Michael, es tut mir so leid.«

»Beruhige dich, Celia. Ich weiß, mein Antrag kommt sehr plötzlich. Komm, setz dich.« Er faßte sie am Arm und führte sie zu dem bequemen Sofa an der Wand. Celia ließ es mit sich geschehen.

Sie ließ sich in die Polster fallen und atmete tief aus.

»Ich kann dich nicht heiraten, Michael«, sagte sie schnell. Sie hatte Angst zu kapitulieren und sich von Michaels liebevoller Zuwendung umstimmen zu lassen.

»Celia, warte. Trink eine Tasse Tee und dann laß uns in Ruhe über alles reden.« Er ging zum Büfett hinüber, wo eine dickbauchige blaue Kanne stand und goß zwei Tassen Tee ein. Er stellte sie auf ein Tablett und balancierte es vorsichtig zu dem flachen Tisch vor dem Sofa.

Beide nahmen einen Schluck Tee und stellten gleichzeitig die Tassen zurück. »Celia«, begann Michael. »Hör mir zu. Ich liebe dich und will dich heiraten. Deine Mutter ist vor einem Monat gestorben, und du trauerst sehr um sie. Ich habe gedacht, daß es eine Hilfe für dich ist, wenn wir heiraten. Du sollst wissen, daß du nicht allein bist.«

Michael beugte sich vor und nahm Celias Hand. »Hast du mich verstanden?«

»Ich bin doch kein Kind«, stieß Celia aus, viel heftiger, als sie es beabsichtigt hatte. »Ich weiß, daß du mich liebst und daß du für mich dasein willst.« Sie bemühte sich um Ruhe und sprach absichtlich langsam. »Ich liebe dich auch. Michael. Ich liebe dich sehr, aber ich kann dich nicht heiraten. Nicht jetzt!«

Michael schwieg und starrte auf die Teetasse auf dem Tisch. Dann sah er Celia an. »Ich verstehe dich nicht. Was hast du vor?«

»Ich brauche Zeit für mich. Ich… der Tod meiner Mutter…«

»Sie hätte gewollt, daß du mich heiratest«, sagte Michael und seine Stimme klang hart.

»Das ist gut möglich«, erwiderte Celia. »Aber ich kann… nicht… nicht jetzt!« Sie spürte, daß ihr die Tränen kamen, aber sie mußte stark bleiben. »Michael, es hat keinen Sinn, die Sache zu überstürzen.«

»Die Sache nennst du das?« sagte er mit einem bitteren Unterton in der Stimme.

»Michael, ich weiß, du bist verletzt. Aber es hat nichts mit dir zu tun.«

»Das wird ja immer schöner«, sagte er und stand auf. Er trat ans Fenster, sah hinaus und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Und was hast du vor. Du hast dein Studium gerade beendet, du hast keine Arbeit. Was hast du vor?«

»Ich habe mich um eine Stelle beworben«, sagte Celia.

»Du hast was?« Abrupt blieb Michael stehen.

»Ich habe mich um eine Stelle beworben.«

»Bei wem? Als was?« Michaels Stimme klang fassungslos.

»Bei dem Schriftsteller Dustin Black.«

»Kenne ich nicht. Wer soll das sein?«

Celia konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Das kommt davon, wenn man nur Fachliteratur liest und keine Krimis«, sagte sie.

»Als Arzt mußt du dich auf dem neuesten Stand der Forschung halten«, erwiderte Michael kurz. »Nicht jeder verschlingt so viele Krimis wie du.«

»Das stimmt«, sagte Celia. »Also. Dustin Black schreibt mit großem Erfolg Krimis. Und er sucht jemanden, der seine Manuskripte tippt und korrigiert. Er gehört zu den wenigen Autoren, die ihre Romane noch mit der Hand schreiben.«

»Und du hast diese Stelle bekommen?« fragte Michael ungläubig.

»Ich warte noch auf Antwort«, sagte Celia. »Ich hoffe, daß sie positiv ist, auch wenn die Chancen nicht so hoch sind.«

»Celia, entschuldige, bitte. Aber ich halte das für Unsinn.« Michaels blaue Augen blitzten ärgerlich.

»Ich nicht.« Celia merkte plötzlich, wie sehr sie das Gespräch mit Michael mitgenommen hatte. Sie schwieg.

»Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe«, sagte Michael. »Ich habe Nachtdienst und muß in einer Stunde in der Klinik sein. Wir reden morgen noch einmal darüber.« Er trat zu Celia, die immer noch auf dem Sofa saß, und beugte sich zu ihr. Er drückte ihr einen Kuß auf die Wange und ging zur Tür.

Celia blieb wie versteinert sitzen. Sie hörte, wie die Haustür zufiel, und schloß die Augen. Was hatte sie getan? Sie hatte dem besten und liebsten Mann auf der Welt einen Korb gegeben. Michael war Arzt, sah gut aus und konnte ihr ein sorgenfreies Leben bieten. Wieso hatte sie das getan? Michael gegenüber war es unverzeihlich!

Aber sie hatte nicht anders handeln können. Eine innere Stimme hatte sich gemeldet. Sie hatte nichts dagegen dagegen tun können. Es war zu früh. Sie liebte Michael, seit sie ihm im Aufzug der Klinik gesehen hatte. Das war inzwischen drei Jahre her.

Es war viel geschehen. Ihre Mutter war krank geworden, und Celia hatte sie gepflegt. Über ein Jahr. Es hatte ihre ganze Kraft gekostet. Aber sie hatte es gerne getan. Sie war es ihrer Mutter schuldig gewesen. Celia hatte sich oft gefragt, ob sie noch mehr hätte tun können, um ihrer Mutter die letzten Monate zu erleichtern.

Sie hätte früher nach Hause kommen können. Aber sie hatte noch ihre Prüfung an der Universität abgelegt, bevor sie wieder zu Hause eingezogen war, den Haushalt geführt und ihre Mutter gepflegt hatte. Doch ihre Mutter hatte darauf bestanden, daß sie ihr Studium beendete.

Doch Celia machte sich Vorwürfe. Sie hätte sich gegen den Willen ihrer Mutter durchsetzen müssen, vielleicht hätte ihre Mutter dann noch länger gelebt. Ein, zwei Monate vielleicht.

Celia erhob sich. Ihre Mutter war tot. Das war endgültig. Und sie mußte mit diesem Verlust fertig werden. Sie allein. Eine Heirat mit Michael war ausgeschlossen. Jedenfalls im Augenblick. Michael mußte warten.

»Er wird warten«, sagte Celia laut in die Stille hinein, als müsse sie sich selbst davon überzeugen, daß es so war. Sie erhob sich, trat in den Flur und nahm den Mantel von der Garderobe. Es hatte aufgehört zu regnen. Ein Spaziergang an der frischen Luft würde ihr guttun. Sie öffnete die Tür und trat hinaus in den grauen Oktobertag.

*

Am nächsten Morgen schlief Celia länger als sonst. Der Wecker hatte geklingelt, aber sie hatte ihn ausgestellt und weitergeschlafen. Sie hatte wilde Träume gehabt und fühlte sich müde und zerschlagen wie nach einem langen Lauf.

Sie stand auf, duschte abwechselnd heiß und kalt, dann zog sie sich an und ging nach unten in die Küche. Gedankenverloren sah sie aus dem Fenster, während die Kaffeemaschine fauchte.

Der angenehme Duft belebte ihre Sinne, und sie freute sich auf die erste Tasse Kaffee, nicht ohne mit Wehmut daran zu denken, wie sie mit ihrer Mutter zusammen gefrühstückt hatte. Das war immer der schönste Teil des Tages gewesen. Ihre Mutter war noch nicht erschöpft, sondern verbreitete mit ihrem Frohsinn eine gute Stimmung – trotz der Schmerzen, die sie gehabt hatte.

Celia seufzte und goß sich Kaffee ein. In diesem Augenblick schellte es. Sie stellte die Tasse wieder hin und ging zur Haustür.

Es war der Briefträger, der ihr einen Stapel Post reichte. »Bitte sehr, Miss Robinson, die paßte nicht in den Kasten«, sagte der freundliche junge Mann mit dem roten Haar.

»Vielen Dank«, erwiderte Celia und ging in die Küche zurück. Sie sortierte die Briefe und stutzte. Auf einem großen weißen Umschlag stand in kunstvollen Buchstaben ihr Name und die Adresse. Kein Absender. Rasch öffnete sie den Brief.

Sehr geehrte Miss Robinson,

ich bedanke mich für Ihre Bewerbung und lade Sie recht herzlich zu einem Gespräch in meinem Haus ein. Es liegt in der Nähe von Murray Castle…

Ohne zu Ende zu lesen, ließ Celia den Briefbogen sinken. Sie hatte es geschafft. Dustin Black lud sie ein, um sich mit ihr über eine Zusammenarbeit zu unterhalten. Sie las weiter.

Ihr Brief hat mir besonders gut gefallen, und eine innere Stimme sagt mir, daß Sie diejenige sind, die ich suche. Ich erwarte Sie. Kommen Sie so bald wie möglich. Eine Wegbeschreibung füge ich bei.

Ihr…

Celia empfand keine überschwengliche Freude, aber Erleichterung über diesen Wink des Schicksals. Nicht grundlos hatte sie Michaels Antrag abgelehnt. Sie hatte richtig entschieden, das spürte sie. Die Zeit war noch nicht reif, sich zu binden. Sie würde nach Schottland fahren. Und zwar bald.

Sie ging zum Telefon und wählte Michaels Nummer. Aber die Schwester am Telefon sagte, daß er im Operationssaal sei.

»Ich rufe später noch einmal an«, sagte Celia. Dann ging sie nach oben in ihr Zimmer und begann, ihren Koffer zu packen. Anschließend ging sie hinüber zu Mrs. Duvalry, die sich in ihrer Abwesenheit um das Haus kümmern würde. Sie hatte schon alles mit ihr besprochen.

Am Nachmittag versuchte sie wieder, Michael zu erreichen. Aber sie hatte kein Glück. Er war immer noch im Operationssaal. »Kann ich etwas ausrichten?« fragte die Schwester.

»Nein, danke. Ich versuche es heute abend noch mal«, erwiderte Celia.

Als sie abends anrief, sagte man ihr, daß Michael sich hingelegt habe. Er müsse für einen Kollegen einspringen und den Bereitschaftsdienst übernehmen.

Celia legte sich ins Bett, doch sie fand keine Ruhe. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Hatte sie an alles gedacht? Wie lange würde sie bleiben? Würde Dustin Black sie für eine längere Zeit anstellen oder sagen: Tut mir leid, ich habe mich für jemand anderen entschieden?

Celia wälzte sich hin und her. Als sie um drei Uhr morgens immer noch nicht eingeschlafen war, stand sie kurz entschlossen auf. Sie holte ihren Koffer, überprüfte, ob im Haus alles in Ordnung war und fuhr ihr kleines gelbes Auto aus der Garage.

Eigentlich hätte ich es erst noch einmal in die Werkstatt bringen sollen, dachte sie, als sie vom ersten in den zweiten Gang schaltete. Ach, es wird schon gutgehen, sagte sie sich und warf einen letzten Blick in den Rückspiegel, bevor sie auf die Hauptstraße einbog.

*

Zwölf Stunden später überquerte sie die schottische Grenze. Der Himmel war wolkenverhangen, und die Gegend wurde immer trostloser. Sie befand sich im Niemandsland; soweit das Auge reichte, nur Heide und Farnkraut und in einiger Entfernung die wilden Klippen des Meeres.

Sie fuhr an Bauernhöfen vorbei, an Weiden, auf denen Schafe mit schwarzen Köpfen grasten, und an efeuumwachsenen Ruinen. Zum ersten Mal, seit sie in der Nacht aufgebrochen war, spürte Celia Unsicherheit und Furcht.

Krampfhaft umfaßten ihre Hände das Steuer, und sie bereute ihren plötzlichen Aufbruch. Doch sie schob ihre Furcht auf die Müdigkeit und beschloß, im nächsten Ort eine Rast einzulegen. Sie würde sich ein Café suchen, eine Kanne starken Tee trinken und eine Kleinigkeit essen, um dann die letzten Meilen bis Murray Castle in aller Ruhe zurückzulegen. Sie wollte ja nicht erschöpft und ausgelaugt bei Dustin Black auftauchen, sondern ausgeruht und zuversichtlich. Dann hätte sie wohl die besten Aussichten, die Stelle zu bekommen.

Warum mußte sich der Schriftsteller aber auch in diese unwegsame Gegend zurückziehen? Seit einer halben Stunde war ihr kein einziges Auto entgegengekommen. Hatte sie sich vielleicht verirrt?

Celia hielt an, um einen Blick auf die Karte zu werfen. Der nächste Ort war ungefähr zehn Meilen entfernt und lag an der Straße, die nach Murray Castle führte. Sie atmete auf. Bis jetzt war die Fahrt gut verlaufen, und sie hatte sich kein einziges Mal verfahren. Und ihr kleines gelbes Auto hatte sie nicht im Stich gelassen.

Sie startete den Motor und fuhr weiter. Es konnte nicht mehr lange dauern, und sie würde in einem gemütlichen Café starken heißen Tee trinken. Sie warf einen Blick zum Himmel und erschrak. Das Wetter hatte sich schlagartig verändert. Von Westen her zogen dicke schwarze Wolken heran wie Soldaten einer Armee. Sie wurden immer dicker und schneller, und innerhalb weniger Minuten war der Himmel pechschwarz.

Celia sah, wie sich die verkrüppelten Bäume am Wegrand bogen, und hörte das Heulen des Sturmes. Ihr kleines Auto schlingerte plötzlich hin und her, als würde es von einer mächtigen Faust gepackt und geschüttelt.

Sie nahm den Fuß vom Gas und versuchte, die Spur zu halten. Das Rauschen des Windes drang durch sämtliche Ritzen ihres Minis, und sie merkte, wie es im Wagen immer kälter wurde.

Wie aus dem Nichts ragte plötzlich eine schwarze Wand vor ihr auf. Celia wollte bremsen, aber in ihrer Angst trat sie auf das Gaspedal. Das kleine Auto schoß vorwärts, direkt auf die schwarze Wand zu. Celia schrie. Dann schien sich die Wand zu teilen. Sie nahm den Fuß vom Gas und sah, daß sie durch einen Wald fuhr. Rechts und links ragten hohe Bäume auf. Doch auch hier wütete der Sturm. Die Baumwipfel wurden hin und hergerissen und flatterten wie dunkle Fahnen im Wind.

Am liebsten wäre Celia wieder schneller gefahren, doch das Schwanken der riesigen Bäume hielt sie davon ab. Sie glaubte förmlich das Knacken der Stämme zu hören. Der Sturm gab nicht auf. Sie hatte das Gefühl, er würde keine Ruhe geben, bis er nicht einen dieser Riesen gefällt hatte.

Celias Herz schlug wie eine Trommel, und der Schweiß rann ihr übers Gesicht.

Wann hatte dieser furchtbare Wald ein Ende? Wann würde der Sturm Ruhe geben? Das Tosen wurde immer stärker. Celia fuhr im Schrittempo. Angstvoll sah sie auf die Bäume, die mit den Ästen den Boden zu berühren schienen. Jeden Augenblick glaubte sie, einen der Riesenstämme stürzen zu sehen.

Und dann geschah es: Eine tosende Bö packte ihren Wagen und stellte ihn quer. Im selben Augenblick neigte sich ein mächtiger Baum zur Seite.

Celias Herz krampfte sich zusammen, und sie erstarrte. In weniger als einer Sekunde würde der Baum das Auto zerschmettern. Das riesige Ungetüm raste heran. Mit aller Kraft preßte sich Celia in die Polster und schrie. Das war das Ende!

Ein ohrenbetäubendes Krachen war zu hören, als der Stamm brach, und ein mächtiges Rauschen erfüllte die Luft, als die breiten Äste niedersanken. Dann wurde es stockfinster.

*

Celia hob die Lieder. Millimeter um Millimeter. Es wurde nicht hell. Ich lebe, schoß es ihr durch den Kopf. Ich atme. Sie sah sich um. Vor der Windschutzscheibe türmten sich dunkle Äste. Ich habe Glück gehabt, dachte Celia und sandte ein ganz kurzes Dankgebet zum Himmel, während sie versuchte, die Wagentür zu öffnen.

Auch hier versperrte ein Ast den Weg. Doch schließlich schaffte sie es, die Tür so weit zu öffnen, daß sie sich hinauszwängen konnte. Sie stieg über Gestrüpp und Zweige, die ihr übers Gesicht streiften wie schwere Flügel eines Riesenvogels.

Der Wind heulte immer noch, aber seine Kraft hatte nachgelassen. Eine kurze, heftige Bö riß ihr das Tuch vom Hals. Celia wollte noch danach greifen, aber der Wind trieb es fort wie ein welkes Blatt.

Sie sah, daß ein dicker Baumstamm quer über dem Weg lag, direkt vor ihrem Auto. Das war Maßarbeit dachte sie, und erschauerte nachträglich.

Sie würde ihren Weg nicht fortsetzen können. Der Stamm war so dick, daß es eines Krans bedurft hätte, ihn zu bewegen. Es gab nur eine Möglichkeit. Sie mußte zurücksetzen. Kurz entschlossen stieg sie ein, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr los. Sie wollte so schnell wie möglich diesen gefährlichen Wald verlassen. Sie war ein paar hundert Meter gefahren und wollte gerade erleichtert aufatmen, da ging der Motor aus.

Nein, dachte sie verzweifelt und merkte, wie Panik in ihr hochstieg. Sie startete wieder, aber nach einem kurzen quietschenden Geräusch erstarb der Motor aufs neue. Sie versuchte es noch ein paar Mal, dann legte sie den Kopf auf das Steuerrad. Es war zwar sinnlos. Das kleine gelbe Auto bewegte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Wahrscheinlich war es doch beschädigt worden.

Langsam hob sie den Kopf. Sie befand sich immer noch in dem Wald. Obwohl der Sturm nachgelassen hatte und der Himmel nicht mehr pechschwarz war, sah die Umgebung unheimlich aus. Die Bäume erinnerten sie an finstere Gestalten, die ihr drohend den Weg versperrten.