Irrlicht 40 – Mystikroman - Susan Grant - E-Book

Irrlicht 40 – Mystikroman E-Book

Susan Grant

0,0

Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Von ihrem Balkon aus blickte Faye zum Turm hinüber. Der Abend dämmerte bereits. Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung auf der Spitze des Turmes. Die Gestalt dort oben sah aus wie eine riesige Fledermaus. Von ihr schien etwas Bedrohliches auszugehen. Ein kalter Schauer lief Faye über den Rücken. Der ungepflasterte Weg führte sanft bergan, wand sich in langen Serpentinen durch Wälder mit erstem zarten Frühlingsgrün. Angestrengt blickte Faye Barry­moore­ durch die Windschutzscheibe der Limousine. An der Wegbiegung sah sie endlich die grauen mächtigen Mauern von Schloß Barrymoore aufwachsen. Ihr Herz begann unruhig zu klopfen. Wie ein Eisenring legte sich ein beklemmendes Gefühl um ihren Hals. Im diffusen Licht der Dämmerung schien von den dunklen Schloßmauern eine finstere Bedrohung auszugehen. Aber wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Sie war einfach erschöpft nach der langen Reise. »Wir sind gleich da!« erklärte der schweigsame Chauffeur Pete überflüssigerweise. Eine hohe Mauer kreiste das Anwesen ein. Pete stieg aus und öffnete das schmiedeeiserne Tor. Dann rumpelte der Wagen über den uneben gepflasterten Innenhof und hielt vor der Freitreppe mit dem geschnitzten Hauptportal, über dem eine uralte walisische Inschrift in den Sandstein gemeißelt war. Abergläubische Vorfahren Fayes hatten die Inschrift angebracht in der Hoffnung, Geister damit abzuwehren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 141

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Irrlicht – 40 –

Wenn der Racheengel kommt

Betörend schön – doch sie kannte nur den blanken Haß

Susan Grant

Von ihrem Balkon aus blickte Faye zum Turm hinüber. Der Abend dämmerte bereits. Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung auf der Spitze des Turmes. Die Gestalt dort oben sah aus wie eine riesige Fledermaus. Von ihr schien etwas Bedrohliches auszugehen. Ein kalter Schauer lief Faye über den Rücken. Sie flüchtete…

Der ungepflasterte Weg führte sanft bergan, wand sich in langen Serpentinen durch Wälder mit erstem zarten Frühlingsgrün.

Angestrengt blickte Faye Barry­moore­ durch die Windschutzscheibe der Limousine. An der Wegbiegung sah sie endlich die grauen mächtigen Mauern von Schloß Barrymoore aufwachsen. Ihr Herz begann unruhig zu klopfen. Wie ein Eisenring legte sich ein beklemmendes Gefühl um ihren Hals. Im diffusen Licht der Dämmerung schien von den dunklen Schloßmauern eine finstere Bedrohung auszugehen. Aber wahrscheinlich bildete sie sich das nur ein. Sie war einfach erschöpft nach der langen Reise.

»Wir sind gleich da!« erklärte der schweigsame Chauffeur Pete überflüssigerweise.

Eine hohe Mauer kreiste das Anwesen ein. Pete stieg aus und öffnete das schmiedeeiserne Tor. Dann rumpelte der Wagen über den uneben gepflasterten Innenhof und hielt vor der Freitreppe mit dem geschnitzten Hauptportal, über dem eine uralte walisische Inschrift in den Sandstein gemeißelt war. Abergläubische Vorfahren Fayes hatten die Inschrift angebracht in der Hoffnung, Geister damit abzuwehren.

Langsam schritt Faye die Treppe hinauf. Auf der Schwelle erschien der hagere Butler Burton, der eine Begrüßung murmelte.

»Lord Barrymoore erwartet Sie im kleinen Salon«, meldete er und ging ihr voraus.

Faye fand in der großen Halle alles unverändert. Hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Über dem mächtigen Kamin mit seinen antiken Zinnreliefs hingen wie eh und je die gräßlichen Zeugen von Lord Barrymoores Jagdeifer. Vor den ausgestopften Tierköpfen mit ihren im Lampenschein funkelnden Glasaugen hatte sich Faye als Kind gefürchtet.

Auch jetzt streifte sie die flüchtige Angst vergangener Kinderphantasien. Sie hatte die Halle nie gemocht, die selbst an hellsten Sonnentagen nie ihre Düsternis verlor.

Burton öffnete ihr die Tür zum kleinen Salon. Hier fand sie ihren Onkel, Lord Julian Barrymoore, in Gesellschaft seiner neuen Hausdame Anne Wilkins, die Faye erst jetzt persönlich kennenlernte. Anne Wilkins war eine große schlanke Frau in den Vierzigern. Ihr blasses Gesicht mit den regelmäßigen Zügen war auf eine unauffällige Art hübsch. Ihre Augen erinnerten Faye an das kühle graugrüne Wasser der See. Ihr schmallippiger Mund bemühte sich jetzt um ein gewinnendes Lächeln.

»Ich habe dafür gesorgt, daß Ihre Räume in Ordnung gebracht werden«, sagte Anne. »Ich hoffe, Sie werden alles zu Ihrer Zufriedenheit vorfinden.«

»Du möchtest dich sicher zunächst frisch machen«, sagte ihr Onkel. »Wir haben schon zu Abend gegessen. Burton wird dir eine Kleinigkeit aufs Zimmer bringen. Es ist dir doch recht?«

»Ich werde frühzeitig zu Bett gehen. Die Reise von der Schweiz bis nach Wales war lang und anstrengend. Wir sehen uns dann morgen.«

Was für ein Empfang, dachte Faye deprimiert. Sie fröstelte, als hätte eine eisige Hand ihren Rücken berührt. Zwar hatte sie keine liebevolle Umarmung erwartet, keine verwandtschaftlichen Küsse, doch ein wenig Herzlichkeit von seiten ihres Onkels hatte sie sich doch erhofft. Schließlich war sie seine einzige nähere Verwandte, die Tochter seines jüngeren Bruders, der vor zehn Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall mit seiner Frau ums Leben kam.

Wenn meine Eltern noch leben würden, wäre alles anders, dachte Faye traurig. Wie schön war meine Kindheit unter ihrer liebevollen Fürsorge. Doch keine Macht der Welt bringt mir meine Lieben zurück. Ich muß mich damit abfinden, allein zu sein, allein und ungeliebt, und vielleicht sogar unerwünscht.

Einen Seufzer unterdrückend trat Faye in ihr Wohnzimmer, das durch einen offenen Rundbogen mit ihrem Schlafraum verbunden war. Ein junges, kräftiges Mädchen, etwa in ihrem Alter, kam aus ihrem Schlafraum und knickste errötend.

»Mein Name ist Betty«, sagte sie. »Ich habe Ihre Sachen in die Schränke geräumt. Haben Sie noch einen Wunsch, gnädiges Fräulein?«

»Danke, Betty! Im Moment nicht!«

Auf Barrymoore wurden selbst im Sommer die hohen Räume nicht richtig warm. Die dicken Steinmauern hielten die Wärme ab. An den kühlen Abenden war man auf das Kaminfeuer angewiesen. Während Faye ihren Hunger stillte, ließ sie die Blicke durch den Raum wandern. Auch hier war nichts verändert. Alles war noch genau so, wie sie es vor drei Jahren verlassen hatte.

In den letzten drei Jahren war sie selbst in den Ferien im Schweizer Internat geblieben oder hatte die Wochen bei einer ihrer Freundinnen verbracht, die nicht so eine weite Reise bis zu ihrem Heimatort hatten wie sie.

Über dem Kamin hing das Hochzeitsbild ihrer Eltern. Sie lächelten auf dem Gemälde einander an, ein Lächeln, das ihre innige Liebe deutlich machte.

Mit den Jahren war Faye ihrer attraktiven Mutter immer ähnlicher geworden, sah man mal von den keltischen tiefblauen Augen ab, ein Erbteil ihres Vaters. In Fayes Erinnerung lebten die Eltern so jung, schön und fröhlich weiter, wie sie damals von ihr Abschied genommen hatten. Es hatte lange gedauert, bis die zehnjährige Faye begriffen hatte, daß es ein Abschied für immer gewesen war.

*

Wie magisch angezogen verweilte Fayes Blick auf dem Turm. Es hatte sie oft gereizt, einmal den Turm zu besteigen.

Von dort oben mußte man eine grandiose Aussicht auf das Meer haben. Doch schon als Kind war es ihr strengstens verboten worden, auch nur in die Nähe des Turmes zu gehen.

Noch heute glaubte sie die erregte Stimme ihres abergläubischen Kinderfräuleins zu hören. »Im Turm wohnt eine böse Hexe!« hatte die törichte Mabel ihr zugeraunt. »Sie wird dich verzaubern, wenn du nur in ihre Nähe kommst.«

Auch heute noch konnte Faye den Turm nur mit Furcht betrachten, obwohl sie längst nicht mehr an die Existenz von Hexen glaubte. Inzwischen hatte sie erfahren, daß in dem Turm eine arme, geistesgestörte Person versorgt wurde. Faye hatte sie niemals zu Gesicht bekommen.

Hinter einem der schmalen Fenster zuckte plötzlich ein Licht auf. Wie ge bannt starrte Faye auf das Licht, das nur von einer Kerze herrühren konnte. Sie fragte sich, ob der Turm immer noch bewohnt war, als sie plötzlich einen grauenvollen Schrei hörte, einen Schrei, bei dem ihr das Blut in den Adern gefror. Atemlos lauschte sie. Ihr Herz schlug wild. Sie hörte, wie der Schrei in einem jammervollen Wimmern erstarb, fast noch furchtbarer als der Schrei.

Schaudernd floh sie in die stille Behaglichkeit ihres Zimmers und schloß fest die Balkontür. Doch noch immer glaubte sie den Schrei zu hören, diesen qualvollen Aufschrei einer gemarterten Seele.

Sie fand lange keinen Schlaf. Un­ablässig grübelte sie darüber nach, wer in dem Turm leben mochte, und ob er vielleicht ihre Hilfe brauchte. Sie nahm sich vor, mit ihrem Onkel darüber zu reden. Sie war jetzt kein Kind mehr und hatte ein Recht darauf zu erfahren, was dort vor sich ging.

*

Pünktlich um kurz vor neun Uhr betrat Faye das kleine Eßzimmer, das nur benutzt wurde, wenn die Familie unter sich war. Es überraschte sie nicht, daß ihr Onkel bereits an dem gedeckten runden Tisch saß. Lord Julian lebte streng nach der Uhr und verabscheute Unpünktlichkeit. Doch daß die Hausdame Anne ihm Gesellschaft leistete, überraschte Faye nun doch. Miß Wilkins schien bei ihm eine Vertrauensstelle einzunehmen. Im allgemeinen war es nicht üblich, daß einer der Angestellten an den Familientisch gebeten wurde. »Ich hoffe, du hattest eine gute Nacht«, begrüßte sie ihr Onkel in dem kühlen, höflichen Tonfall, den er ihr gegenüber anzuschlagen pflegte.

»Danke, Onkel Julian! Ich habe wie eine Tote geschlafen.« Wie immer war das Frühstück reichlich, und Faye griff herzhaft zu.

»Nach dem lebhaften Internatsleben muß es Ihnen ja auf Barrymoore ziemlich still und einsam vorkommen«, sagte Anne und blickte sie ausdruckslos an.

Faye erwiderte fest ihren Blick. »Ich bin froh, endlich mal wieder zu Hause zu sein. Ich hatte eine schöne Zeit im Internat, aber ich hatte auch oft Heimweh nach Barrymoore. Drei Jahre sind eine lange Zeit, Miß Wilkins.«

»Nach dem Frühstück muß ich zum Gut. Wenn du mitkommen möchtest, Faye…«

»Schrecklich gern, Onkel Julian! Ich brenne darauf, die neuen Rennpferde zu sehen. Bekomme ich ein eigenes Reitpferd, Onkel?«

»Das würde sich doch nur lohnen, wenn du längere Zeit hierbleiben und dich um das Pferd kümmern könntest«, wandte Lord Julian ein.

»Genau das habe ich vor.« Faye lachte erstaunt. »Hast du etwas anderes erwartet?«

»Genieße nur erst mal deine Ferien. Im Herbst wirst du dann sicher ein Studium aufnehmen wollen. Wir werden die geeignete Highschool für dich aussuchen.«

Faye schwieg. Die Worte des Onkels hatten sie wie ein Schock getroffen. Bildete er sich tatsächlich ein, sie hätte Lust, noch einmal die Schulbank zu drücken, nach all den Jahren im Internat? Aber es war noch zu früh, diese Probleme zu erörtern. Zunächst einmal wollte sie sich auf Barrymoore einleben und das Gefühl, frei zu sein, in vollen Zügen auskosten.

Gut Barrymoore lag nur einige Meilen vom Schloß entfernt. Aus dem weißgetünchten Gutsgebäude sah Faye jetzt einen hochgewachsenen Mann treten, den sie im ersten Moment gar nicht erkannte. Doch dann sah sie, daß es Damien Shannon war, der Sohn des Gutsverwalters. Ihr Jugendfreund Damien.

Freudestrahlend lief sie auf ihn zu. »Damien!« rief sie.

Auch er stutzte im ersten Moment. Dann erhellte ein breites Lächeln seine Züge.

»Du mußt Faye sein«, sagte er überwältigt. »Himmel noch mal, hast du dich aber verändert!«

»So schrecklich kann ich mich gar nicht verändert haben«, scherzte sie. »Du bist noch immer größer als ich, Damien!« Zur Begrüßung streckte sie ihm beide Hände entgegen, die er zärtlich in die seinen nahm. »Ich freu mich so, dich zu sehen«, sagte sie herzlich.

»Ich freu mich auch! Als wir uns das letzte Mal trafen, vor fünf Jahren, warst du noch ein magerer Teenager mit Sommersprossen auf der Nase«, erinnerte er sie. »Jetzt muß ich wohl gnädiges Fräulein zu dir sagen.«

»Untersteh dich«, sagte Faye lachend. »Oder du riskierst es, daß ich dich mit Mr. Shannon anrede. Wie geht es deinen Eltern, Damien?«

»Die Guten haben sich zur Ruhe gesetzt«, erzählte er ihr. »Meine Großeltern sind kränklich, und meine Eltern sorgen jetzt für sie und bewirtschaften den kleinen Bauernhof. Dein Onkel war so freundlich, mich als Gutsverwalter einzusetzen. Ich bin sehr froh, diese Stellung bekommen zu haben.«

Lebhaft wandte er sich jetzt an Lord Barrymoore, der inzwischen zu ihnen getreten war: »Wir haben wieder zwei Bestellungen aus Amerika! Unsere zierlichen braunen Stuten mit den schönen schmalen Köpfen sind dort großartig angekommen. Für junge Damen sind diese Pferde ja auch ideal. Die Kunden bezahlen zwölftausend Dollar und natürlich den Flug.«

»Großartig!« Die strenge Miene des Lords erhellte sich eine Spur. »Ich werde selbst die Pferde begleiten und bei dieser Gelegenheit neue Kontakte schließen. Ist die Post schon fertig, Shannon?«

»Es liegt alles zur Unterschrift bereit auf Ihrem Schreibtisch. Erlauben Sie, daß ich Ihre Nichte ein wenig herumführe und ihr die Neuerungen zeige?«

»Geht nur!« Gleichgültig wandte sich Lord Julian ab und begab sich ins Büro, um der Gutssekretärin Hilary einige Briefe zu diktieren.

Voller Stolz führte Damien Faye durch die neugebauten Ställe, die weißgetünchte Wände hatten und große Boxen, in denen sich die Pferde im Winter wohl fühlen konnten.

»Wie sieht es mit einem Reitpferd für mich aus?« fragte Faye den Jugendfreund. »Wir könnten dann wieder ausreiten wie früher, erinnerst du dich?«

»Wie könnte ich das vergessen?« Damien schmunzelte. »Aber stell dir vor, ich habe erwartet, daß du den Wunsch nach einem Pferd haben würdest, wenn du zurückkommst. Ich habe es persönlich aufgezogen. Willst du es sehen?«

»Natürlich, wie kannst du nur fragen? Wo steht es denn?«

Damien ging mit ihr zu einer abgelegenen Weide am Waldrand, auf der die Privatpferde grasten. Er holte einen Apfel aus seiner Jackentasche und rief gebieterisch: »Freya!«

Sogleich löste sich ein vierjähriger Fuchs aus der Gruppe, wieherte und kam auf Damien zugelaufen.

Damien gab Faye den Apfel, und sie reichte ihn der jungen Stute, die ihn genüßlich mit ihren kräftigen Zähnen zermalmte.

»Oh, Damien, sie ist so schön!« rief Faye begeistert. »Sie hat sogar blaue Augen. Willst du sie mir wirklich verkaufen?«

Damien grinste. Seine hellen Augen blitzten. »Ich denke nicht daran, auch nur einen Penny für sie zu nehmen. Ich schenke dir Freya. Sie war ja von Anfang an für dich gedacht. Sie ist von Fire und Summertime, eine gute Abstammung. Ich hoffe, du wirst Freude an ihr haben.«

»Danke, Damien! Du bist so lieb!« Faye umarmte ihn stürmisch und küßte ihm die Wange. »Wann darf ich Freya das erste Mal reiten?«

»Wie wäre es mit heute abend? Ich kann um siebzehn Uhr Feierabend machen und dich an die Longe nehmen.«

»Einverstanden! Ich kann es kaum erwarten.« Sie blickte ihn strahlend an. »Ich werde mir Mühe geben, damit sich Freya rasch an mich gewöhnt. Bis heute nachmittag, Damien!«

Damien Shannon blickte ihr nach, bis ihre schlanke Gestalt hinter den Büschen verschwand. In seinen hellen Augen lag ein weicher Glanz, und er lächelte, ohne es selbst zu merken.

*

Faye hatte jetzt die Enttäuschung über den frostigen Empfang durch ihren Onkel überwunden. Die Begegnung mit Damien hatte ihre gute Laune wiederhergestellt. Es hatte ihr gutgetan zu erfahren, daß Damien noch immer ihr Freund war. Wenigstens gab es einen Menschen hier, der sie gern hatte.

Auf Umwegen kehrte Faye zum Schloß zurück. Sie gelangte in den großen, verwilderten Park an der Rückseite des Schlosses. Hier stand das Unkraut so hoch, daß es ihr bis zu den Hüften reichte.

Aus reiner Gewohnheit machte sie einen weiten Bogen um den Wachturm, der alles überragend im Hintergrund des Parks stand und von einer hohen Mauer umgeben wurde.

Plötzlich raschelte es im Gebüsch hinter ihr.

Faye blickte sich um. Wahrscheinlich ein wildes Kaninchen, dachte sie und wollte schon weitergehen, als ein gespenstisches Kichern aufklang.

»Ist da jemand?« rief sie verstört. Das Kichern brach ab. Tödliche Stille herrschte.

Doch Faye hatte das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden. Nicht von einem wilden Kaninchen! Sie spürte gleichsam Blicke, wie Spinnweben auf ihrer Haut. Die Augen starr auf das Gestrüpp gerichtet, unternahm sie einige Schritte rückwärts, prallte mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und schrie erschrocken auf. Im ersten Schreck hatte sie sich eingebildet, gegen eine Gestalt getaumelt zu sein.

Faye warf sich herum und floh zum Schloß, und das geisterhafte Kichern folgte ihr.

*

Das Schloß lag wie ausgestorben. Sie begegnete niemandem. Doch sobald sie ihre Räume betreten hatte, fühlte sie, daß jemand in ihrem Zimmer gewesen sein mußte. Die Bücher, die sie ordentlich auf dem Tisch aufgestapelt gehabt hatte, um sie später ins Regal zu räumen, lagen wild durcheinander.

Im Schlafzimmer klafften die Schranktüren. Ihr Schlafanzug lag auf dem Boden, und die Bettdecken waren verwühlt.

Faye läutete nach ihrem Zimmermädchen. Minuten später erschien Betty. »Hast du mein Schlafzimmer nicht gerichtet?« fragte Faye sie ruhig.

Betty errötete. »Ich habe das Bett gemacht, sobald Sie fortgegangen sind!« beteuerte sie.

»Bist du dir sicher? Es ist ja nicht schlimm, wenn du es vergessen hast.«

»Ich habe es nicht vergessen, bestimmt nicht!« rief Betty schrill.

»Wie erklärst du dir dann die Unordnung? Hast du vielleicht gesehen, daß jemand in mein Zimmer gegangen ist?«

»Ich habe niemanden gesehen.« Ein Ausdruck von Furcht trat in Bettys blaßbraune Augen. »Vielleicht war es der Geist von Barrymoore?« wisperte sie schaudernd.

Faye blickte sie fest an. »Red keinen Unsinn. Es gibt keine Geister.«

»In jedem alten Schloß gibt es Geister«, behauptete Betty stur.

Faye kümmerte sich nicht weiter um sie. Sie stellte ihre Bücher ins Regal und räumte den Schreibtisch mit ihren Sachen voll. Verärgert mußte sie feststellen, daß auch jemand in ihrer Briefmappe herumgeschnüffelt haben mußte. Alle Briefe waren aus den Umschlägen genommen und zerknittert wieder hineingesteckt worden.

Wer kann ein Interesse daran haben, meine Korrespondenz zu lesen? fragte sich Faye. Betty traute sie das einfach nicht zu. Es sei denn, das Mädchen wäre krankhaft neugierig. Es würde wenig Sinn haben, Betty danach zu fragen. Falls sie wirklich in ihren Sachen herumgestöbert hatte, würde sie es doch nicht zugeben.

Faye nahm sich vor, das Mädchen im Auge zu behalten.

*

Auch an diesem Abend mußte Faye allein zu Abend essen. Onkel Julian und die Hausdame waren bei Bekannten eingeladen. Niemand hatte sie gebeten, mitzukommen.

Jetzt, am Abend, schlug das Wetter schon wieder um. Hier war kein Tag wie der andere. Durch die offenstehende Balkontür hörte Faye das Donnern der Brandung, die Schreie der Möwen. Schon im Schlafanzug trat sie auf den Balkon.

Es war noch nicht völlig dunkel. Ein heftiger Wind ließ die Zweige der Bäume und Büsche tanzen. Das zarte Grün wirkte grau in der Dämmerung. Ruhelos wanderten Wolken über den Himmel, wie dunkle Tiere auf der Flucht. Der letzte Schein der versunkenen Sonne färbte den Horizont blutrot.

Der kühle Wind riß an ihren Haaren. Ihr Blick fiel auf den Turm, der gen Himmel ragte, wie ein drohend erhobener Finger. Wie blinde Augen wirkten die Fenster.

Kann dort wirklich jemand wohnen? fragte sich Faye. Sie beschloß, ihren Onkel danach zu fragen. War sie nicht alt genug, alles über die geheimnisvolle Person im Turm zu erfahren?

Wohnte überhaupt noch jemand dort? Faye glaubte, einen Schatten hinter einem der Fenster zu entdecken. Vielleicht narrte sie auch das wechselnde Licht. Sie schloß mit einem Seufzer die Balkontür und ging zu Bett.