Is it Love? - Carter Corp: Ryan - Angel Arekin - E-Book

Is it Love? - Carter Corp: Ryan E-Book

Angel Arekin

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Band 3 der prickelnden Romanreihe zu Ubisofts Blockbuster-Mobile-Game "Is it love?" Wie soll Frau unbeeindruckt bleiben, wenn ihr Chef ausgerechnet Ryan Carter ist? Mit dieser Frage sieht sich June Brown unversehens konfrontiert, als sie nach einer nächtlichen Fahrstuhl-Begegnung in einem Strudel aus Leidenschaft, rauschenden Festen und verrückten Fahrten in einer Limousine wiederfindet. June spürt instinktiv, dass sich hinter dem charismatischen Geschäftsmann ein düsteres Geheimnis verbirgt, doch wie lange wird sie dem verführerischen Charme ihres Chefs widerstehen können – und was sind die Konsequenzen, wenn sie es nicht tut?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 465

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



IS IT LOVE? Romane von Panini

IS IT LOVE? Carter Corp. – Gabriel

Angel Arekin, ISBN 978-3-8332-3950-2

IS IT LOVE? Carter Corp. – Matt

Eva de Kerlan, ISBN 978-3-8332-3951-9

IS IT LOVE? Carter Corp. – Ryan

Eva de Kerlan, ISBN 978-3-8332-4089-8

Nähere Infos und weitere spannende Romane unter www.paninibooks.de

Nach einer Idee von Claire Zamora

EVA DE KERLAN

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Französische Originalausgabe: „Is it Love? – Carter Corp. – Ryan“ von Eva de Kerlan, nach einer Idee von Claire Zamora, erschienen bei Hugo Publishing, Paris.

© Nisha Editions 2019

Copyright © 2021 Ubisoft. Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schlossstr. 76, 70176 Stuttgart.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (email: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Anne Thies

Lektorat: Dinah Goebel, Jürgen Zahn

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDISIT003E

ISBN 978-3-7367-9862-5

Gedruckte Ausgabe:

ISBN 978-3-8332-4089-8

1. Auflage, August 2021

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

Vorwort

In den „Is it Love? Carter Corporation“-Games spielt Ryan eine zentrale Rolle. Er ist der Big Boss – sowohl in seiner Rolle als CEO und Gründer des Unternehmens, der Carter Corp., als auch beim Spielen. Er ist die rätselhafteste und unerreichbarste Figur. Derjenige, über den geredet wird, dessen Aura über allem schwebt, den man jedoch selten zu Gesicht bekommt. Derjenige, dessen Geschichte man unbedingt erfahren will.

Die Handlung des Spiels beginnt mit einer sehr sinnlichen Szene im Fahrstuhl. Einer Szene, die die Richtung vorgibt: Ryan Carter ist ein starker Mann. Mit ihm werden wir außergewöhnliche Momente erleben.

In diesem engen Raum, hundert Meter über dem Boden, ereignet sich etwas Bedeutsames, Unwiderstehliches, das die Sinne der Heldin völlig durcheinanderbringt. Wer lässt sich in den Armen eines Unbekannten so gehen? Niemand. Doch dieser Unbekannte ist nicht irgendwer. Und die Fiktion erlaubt uns, dieses Spiel zu spielen. Als besäße er eine magische Aura oder wäre ein Wesen mit einer sinnlichen Macht, reißt Ryan die Heldin in neue Höhen empor. Sie lässt sich gehen, gibt sich ganz ihrer Wunschvorstellung hin. Es geht so weit, dass man sich am Ende der Szene fragt, ob das alles wirklich geschehen ist oder ob die Heldin nur geträumt hat.

Doch man kann durchaus behaupten, dass Ryan genauso wie die Heldin die Kontrolle verloren hat und dass sie auf ihn eine ebenso große Anziehungskraft ausübt wie er auf sie. Auf diesem Spiel der Verführung und des Verbotenen werde ich ihre Beziehung aufbauen.

Mir kommt es so vor, als wäre die Begegnung in einem Aufzug die einzige Möglichkeit für einen Angestellten, dem Unternehmensgründer zu begegnen, wenn er nicht gerade in derselben Etage wie die „Oberen“ arbeitet. Ausgehend von dieser Idee habe ich mir also in sämtlichen Geschichten den Spaß erlaubt, Ryan einzig und allein an diesem Ort auftauchen zu lassen, wie einen „Running Gag“, damit die Spielerinnen sich hinterher die logische Frage stellen: „Okay, wenn ich den Aufzug nehme, werde ich dann vielleicht dem Schönling Ryan über den Weg laufen …?“

Ja, Ryan ist gut aussehend. Trotz seines jungen Alters war es mir wichtig, dass er Charisma besitzt und diese Selbstsicherheit, die von Führungspersönlichkeiten ausgeht. Dementsprechend habe ich viel Arbeit in sein Auftreten, seine Gestik, den Klang seiner Stimme, aber auch in seinen Blick und Ausdruck gesteckt. Ryan ist mysteriös, insbesondere was sein Privatleben angeht. Deshalb musste ich ihm eine subtile Mimik verleihen, die seine eigentlichen Gedanken im Dunkeln lässt. Es gibt nichts Besseres als ein verstohlenes Lächeln, einen aufrichtigen, aber gleichzeitig auch amüsierten Blick, das präzise Geraderücken eines Manschettenknopfs oder ganz einfach Schweigen.

Carter soll eine unerreichbare Person sein. Aber es war mir auch wichtig, ihn menschlich darzustellen, er sollte sich von den üblichen Klischees eines Geschäftsmanns abheben. Natürlich hat Ryan ein schickes Auto, ein tolles Haus, ein luxuriöses Apartment … Aber das Wichtigste ist, dass hinter dieser goldenen Fassade ein wirklich anständiger und fairer Mann steckt. Er hat Prinzipien und Ideale, die weit über die Verlockungen des Geldes hinausgehen. Und manchmal bringen ihn seine Prinzipien dazu, sich in Gefahr zu begeben.

Er ist brillant. Seine Intelligenz ist überdurchschnittlich, was ihn äußerst gefährlich in geschäftlichen Angelegenheiten macht, aber auch in Diskussionen, bei denen es schlagfertige Antworten hagelt. Ryan spricht nicht viel und beschränkt sich aufs Wesentliche. Wenn er das Wort ergreift, dann um eine Lösung zu präsentieren, während andere noch nach Erklärungen suchen. Er hat das Problem bereits analysiert und alle Gedankengänge durchlaufen, die zum Ergebnis führen.

Tatsächlich war mein Ehemann Vorbild für den Großteil von Ryans Innenleben. Auch er ist ein brillanter und wohlwollender Unternehmer. Er hat eine starke Bindung zu seinen Mitarbeitern, die jeden Tag mit neuen Ideen aufstehen und diese in die Tat umsetzen. Im Grunde genommen sind sie beide Männer, denen man nur schwer folgen kann, weil sie unglaublich schnell denken und keine Angst haben, Risiken einzugehen oder sich in neue Projekte zu stürzen. Mit solch außergewöhnlichen Männern erlebt man Außergewöhnliches. Sie gehen dorthin, wo andere sich nicht hintrauen. Sie bringen uns dazu, unsere eigenen Grenzen zu überwinden und aus unserer Komfortzone herauszutreten, um uns weiterzuentwickeln. Das war es, was ich mir für Ryan und die Heldin vorgestellt habe.

Ryan ermuntert die Heldin, aus ihrem Schutzpanzer hervorzukommen. Im Gegenzug bringt die Heldin Ryan bei, dass nicht alles auf ein lösbares Problem reduziert werden kann. Menschliche Beziehungen sind wesentlich komplexer. Oftmals erringen die Gefühle die Oberhand über die Vernunft – mein Held hat in dieser Hinsicht noch viel zu lernen.

Es ist also nicht überraschend, dass Ryan eine meiner Lieblingsfiguren ist. Ich habe seine guten Eigenschaften und auch seine Fehler mit großer Sorgfalt herausgearbeitet, da er mich stark an den Mann erinnert, den ich liebe. Während meines kreativen Schaffensprozesses kam es also immer wieder vor, dass ich meinem Mann simple Fragen gestellt habe, beispielsweise: „Das ist die Situation, das ist passiert, das ist das Problem … Also, wenn du Ryan wärst, was würdest du sagen? Wie würdest du reagieren?“ Ryan funktioniert nicht nach den gleichen psychologischen Maßstäben wie ich, und ich wollte ihn glaubwürdig gestalten.

Was Ryan auch im Spiel so interessant macht und was schnell über das hinausgeht, was man über diesen Mann zu wissen glaubt, ist seine Vergangenheit, die psychische Entwicklung, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Dieser Teil meiner Arbeit begeistert mich am meisten: eine komplexe Figur zu erschaffen, die sich nach dem ersten Eindruck, der von unseren Vorurteilen geprägt wird – er ist reich, also muss er auch materialistisch sein, er ist ein Geschäftsmann, also interessiert er sich nur fürs Geld –, als wesentlich vielschichtiger und verletzlicher herausstellt, als wir zunächst angenommen haben. Dies zu entdecken treibt uns an, seine Geschichte in Erfahrung bringen zu wollen. Nach und nach schließt man ihn ins Herz, ganz besonders während der letzten Kapitel, denn hier zeigt er sich durch und durch menschlich …

Claire Zamora

Carter Corporation. Zum jetzigen Zeitpunkt eine der einflussreichsten Firmen überhaupt. Ein florierendes Unternehmen, das mehrere Niederlassungen auf der ganzen Welt unterhält und auf zahlreichen Gebieten tätig ist, von Sponsoring über Informationstechnologie bis hin zum humanitären Bereich.

Der Hauptsitz befindet sich in New York, in einem gigantischen Wolkenkratzer. Die oberste Etage hat einen fast schon legendären Ruf bei den Angestellten: Sie ist das Refugium des Bosses, jenes Mannes, den man fast nie sieht und über den allerhand Gerüchte kursieren.

Multimilliardär, Single, jung, alt, inexistent oder im Ausland lebend – man erzählt sich alles und noch viel mehr über ihn. Denn der Boss gehört zu denen, die man zwar selten zu Gesicht bekommt, über die aber ständig auf den Fluren getuschelt wird.

Doch die Gerüchte haben meist weder Hand noch Fuß. Ich weiß, wovon ich rede: Ich arbeite auf jener berüchtigten obersten Etage.

Allerdings nicht mehr lange.

Die E-Mail, die ich heute Morgen erhalten habe, deutet stark darauf hin. Sie eröffnet mir für meine Zukunft zwei Wahlmöglichkeiten: hierbleiben – oder gehen und von vorne anfangen.

Aber ich bin etwas vorschnell. Zurück zum Anfang. So hat alles begonnen.

BUCH I

Verführen

Prolog

Ryan

„Natürlich werden wir unser Bestes geben, doch ohne das nötige Material … Sie verstehen?“

„Sorgen Sie einfach dafür, dass dieses Projekt höchste Priorität hat“, unterbreche ich meinen Gesprächspartner.

Der Mann ergeht sich in Plattitüden und anderen Banalitäten, ich höre gar nicht mehr zu. Meine Gedanken sind bereits in weiter Ferne. Weit weg von den gegenwärtigen Problemen, die dieser Baustellenleiter erwähnt hat. Für einen kurzen Moment bin ich woanders.

Jenseits der Fensterscheibe der Limousine ziehen die dunklen Straßen New Yorks vorbei, ihre Neonleuchten und Fußgänger. Noch ein paar Blocks.

Ausgezeichnet.

„Bis Ende nächster Woche möchte ich einen Statusbericht über die Fortschritte haben“, falle ich meinem Gesprächspartner erneut ins Wort, bevor ich auflege.

Das Blinken meines Smartphones erinnert mich daran, dass noch diverse andere Angelegenheiten meine Aufmerksamkeit erfordern.

Rasch überfliege ich meine ungelesenen Nachrichten und E-Mails, während das Auto in eine Avenue einbiegt und langsamer wird.

„Sir, wir sind da.“

Wie üblich steigt mein Chauffeur rasch aus, um mir die Tür zu öffnen. Ich blicke empor zu dem Gebäude, auf dem mein Name prangt: groß, wuchtig, imposant und doch mit einer gewissen Eleganz. Das perfekte Abbild dessen, was ich erreichen will. Meinen Aktenkoffer in einer Hand, rücke ich meine Krawatte zurecht. Ich bin bereit.

Ich muss die Unterlagen so schnell wie möglich Mark zukommen lassen, notiere ich mir in Gedanken, während ich mein Jackett glatt streiche. So können wir die Fertigstellung der Brunnen in einigen Wochen garantieren. Ich muss sofort unsere Investoren kontaktieren.

„Danke, Jake“, sage ich, wobei meine Augen bereits meinen Handybildschirm fixieren. Ich scrolle über die Kontaktliste.

„Sie müssen nicht auf mich warten“, füge ich hinzu. „Holen Sie mich in zwei Stunden wieder ab.“

„Ja, Sir“, bestätigt er.

Wir tauschen einen kurzen wissenden Blick aus. Jake Stewart, mein Chauffeur, ist ein Mann mit vielen Talenten. Meinen Wagen zu fahren und im richtigen Moment zu schweigen sind nur zwei davon. Ich nicke ihm zu und starte meinen Anruf. Ich zähle die Klingeltöne, während ich unter dem eifrigen Gruß des Sicherheitsmannes das Gebäude durch die gläserne Eingangstür betrete.

Die weiträumige Eingangshalle liegt menschenleer und still da. Zu dieser späten Stunde haben sämtliche Angestellten bereits Feierabend.

Ich nehme mir einen Moment, um den Ort zu betrachten, wobei ich an den Großbuchstaben hängen bleibe, die an der Wand angebracht sind: CARTER’S.

„Tja, wer hätte das gedacht?“, murmele ich vor mich hin.

Mit einem charakteristischen Knacken wird mein Anruf angenommen und die heisere Stimme eines meiner Investoren ertönt. Entschlossenen Schrittes begebe ich mich zum Aufzug, während ich Anweisungen erteile.

„Verstanden, Mister Carter“, bestätigt der Finanzier, nachdem ich geendet habe. „Ich werde mich darum kümmern.“

„Sofort“, berichtige ich ihn, während ich den Aufzug rufe.

„Ja, natürlich, Sir.“

Ich beende das Gespräch, rufe erneut meine Kontaktliste auf und wähle die Nummer des Leiters der New Yorker Niederlassung – Mark Leviels.

Der Mann ist jung, aber ambitioniert, und rechnet weder die Stunden noch seinen Einsatz für die Firma auf. Er ist genau der Richtige für die Carter Corporation, um sämtliche Projekte in die Tat umzusetzen, die ich für das Unternehmen geplant habe. Doch im Moment scheint er nicht erreichbar zu sein, was ihm nicht ähnlich sieht. Verärgert darüber, den Vorgang nicht wie geplant mit ihm besprechen zu können, verziehe ich den Mund.

Ich lege auf und schicke ihm stattdessen eine kurze und bissige Nachricht.

Water-Akte: dringend.

Mit einem leisen Bing kommt die Kabine im Erdgeschoss an, ihre Türen öffnen sich. Ich betrete sie und drücke den Knopf für die obere Etage, die Augen noch immer auf mein Smartphone gerichtet.

Zwei E-Mails ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich und beschwören sofort meinen Ärger herauf. Scheinbar nur unbedeutende Kleinigkeiten, die jedoch den nächsten Empfang gefährden könnten, der zugunsten der Stiftung vom Unternehmen organisiert wird.

„Eine Assistentin hätte diese Angelegenheit aus der Welt geschafft“, bemerke ich mit leiser Stimme.

Doch meine hat vor Kurzem gekündigt, und keiner der Vorschläge der HR-Abteilung des Unternehmens hat mir zugesagt.

Ich leite die E-Mails an Leviels weiter, wobei ich meine Gedanken bereits auf den Finanzbericht fokussiere, der mich in meinem Büro erwarten sollte.

Ich brauche die Zahlen unserer Partnerunternehmen, denke ich, während ich ein Memo tippe. Plötzlich verändert sich der Bildschirm wegen eines eingehenden Anrufs, und ich erkenne sofort, wer es ist: der Leiter einer meiner europäischen Niederlassungen.

„Carter“, melde ich mich.

„Sir, hier … bevorstehender Call und …“

Ich verziehe den Mund. Schlechte Verbindung.

„Einen Augenblick“, sage ich, wobei ich den Knopf für die nächste Etage drücke.

Nach einem kurzen Moment bleibt die Kabine stehen, und die Türen geben den Blick auf einen Gang frei, der zu dieser Stunde leer ist. Ein dicker Teppich dämpft das Echo meiner Schritte, während ich darübergehe, um mich vom Aufzug zu entfernen und mein Gespräch weiterzuführen.

„Ich höre“, sage ich mit ruhiger, beinahe flüsternder Stimme.

Die Stille des Gebäudes kommt mir beinahe andächtig vor. Mit scharfem Auge beobachte ich die leeren Schreibtische, die sich hinter den getönten Glaswänden erahnen lassen, während meine Gedanken auf das Telefonat konzentriert sind.

Call, Geschäftsführung, Projekt, Verwaltung, Rückkauf …

„Ich brauche Ihre Zustimmung“, schließt er nervös. „Ohne diese werden die Finanziers nicht einverstanden sein …“

„Die haben Sie.“

„Danke, Sir.“

Ohne Weiteres beende ich das Telefonat. Ich blicke erneut zu den aneinandergereihten Schreibtischen, die von Dunkelheit umgeben sind. So viele Beschäftigte, Aussichten, Anforderungen, die von meinen Worten abhängen …

Ungeduldig rufe ich erneut den Aufzug herbei. Ob der Experte, den ich für die Zusammenarbeit mit den Deutschen engagiert habe, um diese Zeit noch erreichbar ist? Es wäre gut, wenn er sein Gutachten noch um einige Prognosen für die nächsten zehn Jahre erweitern könnte.

Gerade als ich anrufen will, Zeitverschiebung hin oder her, ertönt das charakteristische Geräusch des eintreffenden Aufzugs, und die Türen öffnen sich.

Was ich darin erblicke, wischt jäh all meine gegenwärtigen Sorgen beiseite.

1

June

Oh nein! Jetzt bin ich wirklich spät dran! Ich schnappe mir meine Handtasche und schieße aus meiner Box heraus in den Gang.

Was für eine blöde Idee, hierzubleiben, um neue Rezepte durchzusehen!

Ich mache einen kurzen Umweg zu den Toiletten, um meine Locken zu einem ordentlichen Knoten hochzustecken. Währenddessen spielt mein Smartphone verrückt. Rasch greife ich danach: Es werden mehrere Nachrichten angezeigt, zusätzlich leuchtet das Lämpchen, das mich darauf hinweist, dass ich völlig vergessen habe, mein Telefon aufzuladen. Ach, was soll’s! Ich gehe essen, nicht zu einer Telefonkonferenz!

Lisa. Lisa. Noch mal Lisa.

Ich seufze und gehe die lange Liste an Nachrichten meiner Freundin durch. Im Wesentlichen steht da Folgendes:

Wo bist du?

In der Küche, würde ich ihr am liebsten antworten.

Lisa ist die junge und lebhafte Rezeptionistin, die ich an meinem ersten Tag hier in der Carter Corporation, einem imposanten Wolkenkratzer, der aus zig Etagen besteht, kennengelernt habe. Ein einflussreiches Unternehmen, das einen faszinierenden Job mit guten Zukunftsaussichten bietet, welcher allerdings Engagement und eine schnelle Ausführung erfordert, ganz zu schweigen von Genauigkeit und hervorragender Qualität. Seit einigen Monaten bin ich nun hier, und auch wenn ich das keineswegs bereue, schlaucht mich dieser Arbeitsrhythmus manchmal ziemlich.

Meine Anfänge als Kommunikationsassistentin in der Abteilung von Gabriel Simons waren geprägt von meiner Nervosität und meiner legendären Tollpatschigkeit, und so habe ich Lisa kennengelernt: Ich bin gestolpert, gegen sie geprallt und habe uns beide mit Kaffee bekleckert! Zum Glück hat dieser Vorfall nicht noch mehr Schaden angerichtet – und ich habe dadurch eine treue Freundin mit einem sonnigen Gemüt gefunden. Es hat nicht lange gedauert, bis Lisa zur Chefverkosterin meiner Kochexperimente und zum größten Fan meiner Pseudokarriere als Chefköchin geworden ist.

Ich lächle bei der Erinnerung an ihren überraschten und begeisterten Gesichtsausdruck, als sie vor Kurzem abends bei mir war und das Soufflé gekostet hat, das ich zubereitet hatte; dann antworte ich ihr kurz auf ihre letzte Nachricht.

Mit großen Schritten durchquere ich den Flur. Die Etage ist menschenleer – es sieht tatsächlich so aus, als wäre ich ziemlich spät dran.

Erneut vibriert es in meiner Hand, als ich den Aufzug rufe.

Lisa

Workaholic! Beweg deinen Arsch schleunigst hierher, sonst schicke ich Matt los, um dich zu holen.

Ihre Nachricht bringt mich zum Lachen. Matt ist mein Arbeitskollege, ein junger Grafiker, der sowohl witzig als auch talentiert ist. Er hat immer einen lustigen Spruch auf den Lippen und erhellt meine Tage mit seinem Humor und seiner guten Laune.

Ich stürme in den Aufzug, während ich eine Antwort an meine Freundin tippe, dann öffne ich die neue Nachricht, die gerade angekommen ist. Besagter Matt.

Matt

Lisa hat mir gesagt, dass du ein Stelldichein hast! Muss ich dich befreien kommen, oder wurdest du schon vernascht?

Ich kichere. Das sieht Matt ähnlich! Lächelnd tippe ich:

June

Zu spät, ich wurde mit Haut und Haaren verschlungen!

Seine Antwort lässt nicht lange auf sich warten:

Matt

Nein! Das bricht mir das Herz!

Dieses Mal muss ich laut lachen, und gerade als ich ihm antworten will, kommt die Kabine zum Stehen … viel zu früh, um an meinem Ziel angekommen zu sein, da bin ich mir sicher.

Ein schneller Blick auf die Fahrstuhlanzeige: Tatsächlich, das ist nicht mein Stockwerk.

Ein Workaholic, dem genau wie mir gerade eingefallen ist, dass eine kleine Party im Gebäude stattfindet?

Egal. Ich wende mich wieder meinem Bildschirm zu. Ich nehme nur eine hochgewachsene männliche Silhouette wahr, die den kleinen Raum betritt, nachdem sich die Türen geöffnet haben. Der Duft seines Rasierwassers, maskulin und herb, streift mich flüchtig.

Ich schreibe die Antwort an meinen Kollegen fertig, ohne mich dazu herabzulassen, von meinem Bildschirm aufzuschauen, während der Aufzug sich wieder in Bewegung setzt – und abrupt stehen bleibt.

Plötzliche Dunkelheit, absolute Stille.

Was?

Diesmal schaue ich auf.

„Was ist hier los?“, schimpfe ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Kann dieser verfluchte Fahrstuhl nicht vernünftig funktionieren?“

Ein Totalausfall? Eine temporäre Fehlfunktion? Ich bin absolut kein Fan von engen Räumen, noch weniger, wenn sie dunkel sind.

Ich umklammere mein Smartphone fester. Mein Smartphone! Ich muss nur eine Nachricht an Lisa schicken, dann holt man mich hier raus! Ich entsperre meinen Bildschirm und freue mich, so schnell einen Notfallplan entwickelt zu haben, als ich abrupt in meiner Bewegung innehalte.

Ein Schauder überläuft mich – ein Schauder, der von meinem Nacken ausgeht und sich über meinen ganzen Rücken ausbreitet.

Jemand beobachtet mich. Jemand nähert sich mir. Jemand elektrisiert meine Sinne. Ein diffuses Gefühl ergreift von mir Besitz: eine Mischung aus Fiebrigkeit und Angst, die mich total aufwühlt. Und auch wenn ich den Ursprung nicht exakt bestimmen kann, ist es doch unglaublich aufregend – schließlich ist es kein großes Geheimnis, von wem es ausgeht, da wir in einer Aufzugkabine feststecken.

Der Unbekannte, der gerade eingestiegen ist!

Meine Reaktion überrascht mich umso mehr, da ich eigentlich nicht zu den Menschen gehöre, die nur auf die reine Anwesenheit einer Person reagieren.

Doch seine Gegenwart durchdringt mein ganzes Wesen und erschüttert es bis ins Mark, das lässt sich nicht abstreiten!

Langsam hebe ich den Kopf, um herauszufinden, ob ich nicht unter einem klaustrophobischen Anfall leide, als ein Flüstern zu mir dringt.

„Nein.“

Eine raue Stimme, zweifellos männlich, warm und sanft. Ich erzittere und unterdrücke einen kleinen Aufschrei, als ich seinen Atem in meinem Nacken spüre. Ein Atem, der meine Empfindungen noch mehr anstachelt und unzählige Schauder auslöst, die sich auf entzückende Weise bis in meinen Bauch ausdehnen.

Okay. Über das Fantasieren reden wir später noch mal!

Und als ich spüre, dass seine Hände meine Hüften streifen, bevor sie sich wieder zurückziehen, lasse ich vor Verwunderung mein Handy fallen, so sehr überrascht mich meine Reaktion: eine Welle purer Lust.

„Aber was …?“

„Scht.“

Wieder diese tiefe und zärtliche Stimme. Ich rieche seinen Duft, stärker als zuvor. Holzig und herb … maskulin. Er erzeugt das Bild des perfekten Mannes in meinem Geist und in meinen Gedanken, die, gelinde gesagt, unerwartet sind.

Seine Hände schlingen sich erneut um meine Taille, zuerst zögerlich – hält er sich zurück? Kämpft er gegen irgendein verwirrendes Gefühl an? –, dann etwas kühner. Schließlich ergreifen sie komplett von mir Besitz und zwingen mich mit sanfter Autorität dazu, mich umzudrehen. Ich lehne mich nicht gegen diese Autorität auf, denn tatsächlich habe ich überhaupt nichts dagegen, dass er mir nah ist, mich streichelt, mich berührt, mich …

Der Gedanke, der mir kommt, lässt mich zwangsläufig rot werden, dessen bin ich mir sicher! Aber es ist quasi völlig dunkel, und nur anhand des schwachen Lichts meines Bildschirms auf dem Boden könnte er es bemerken. Allerdings kann ich kaum seine Gesichtszüge erkennen. Als hätte es meine Gedanken gelesen, entscheidet sich mein Telefon genau in diesem Moment, aufzugeben und seinem leeren Akku zu erliegen.

Jetzt herrscht völlige Dunkelheit.

Ich habe gerade noch Zeit, innerlich zu fluchen, bevor eine der Hände des Unbekannten zu meinem Kinn hinaufgleitet und meine Gedanken verjagt.

„Ich …“

Sein Finger legt sich auf meine Lippen und erinnert mich so an seine Aufforderung zu schweigen. Der Druck bleibt noch einen Moment bestehen, bevor er zu einer Liebkosung wird. Absolut entwaffnend. Ich versuche nicht einmal, dagegen zu protestieren.

Diese simple Geste ist viel zu betörend, um abgewehrt zu werden. Er zeichnet die Kontur meiner Lippen nach, umspielt dann meine Wange und kehrt zu meinen Lippen zurück.

Ich widerstehe dem Drang, sie zu öffnen, um ihn bei seiner Entdeckungsreise weiter vordringen zu lassen. Das Gefühl vereinnahmt meinen ganzen Körper, es ist, als würde sein Finger überall auf mir herumwandern … langsam, auf totale, absolute und definitiv überwältigende Weise.

Ich spüre, wie er sich herunterbeugt und sein Atem über mein Ohr, meinen Hals, meine Wange streift. Und in mir brandet ein feuriger Lavastrom auf, der ein Feuerwerk bis in meine letzten Nervenenden hervorruft. Dieses Gefühl, dieser Atem, der so sanft über meine Haut streicht, ist göttlich und zugleich schamlos … und ich verzehre mich danach!

Für eine Sekunde bin ich überrascht, doch dann gebe ich mich dem Genuss hin. Denn der Unbekannte spielt noch einen Moment länger mit meinem Mund, sein Finger windet sich sinnlich hin und her … dann verstärkt sich sein Griff um meine Taille, und er zieht mich an sich. Seine feurigen Lippen finden meine und lassen mich sofort in Flammen aufgehen. Ein heftiges Schwindelgefühl überkommt mich. Als sich unsere Münder vereinen, durchströmt mich eine unbeschreibliche Empfindung, denn was er in mir erzeugt, kann man als Ekstase, Verlangen, Begierde oder Lust bezeichnen, gepaart mit Ungeduld – ich erkenne mich kaum wieder.

Natürlich hätte ich ihn zurückstoßen müssen. Ich sollte mich befreien. Ich könnte ihn von mir wegschieben. Meine Hände auf seinen Oberkörper legen und ihn fortdrängen.

Ihn ohrfeigen. Ihn dort treffen, wo es wehtut. Ihn kratzen. Doch ich tue nichts dergleichen. Nein, ich wehre mich nicht, ich empöre mich nicht. Ich lasse mich vom Strom der Gefühle mitreißen, den er in mir erweckt und schürt. Ich unterwerfe mich seinem Willen. Ich küsse ihn.

Was ist nur in mich gefahren?

Er ist in mich gefahren, wird mir klar, während seine Zunge sich hineindrängt und mir gebietet, ihr nachzugeben. Er ist in mich gefahren, einfach nur, indem er mich auf diese Weise mit den Fingerspitzen berührt, er hat Besitz von mir ergriffen. Er hat mich erzittern lassen, hat mich gefügig gemacht, willig. Durch eine einfache Berührung hat er eine Unmenge an Empfindungen in mir hervorgerufen, gegen die ich mich nicht wehren kann – dafür sind sie viel zu übermächtig! Und seit dem Moment, als wir uns zum ersten Mal berührt haben, habe ich nur noch einen einzigen Wunsch: dass er mich küsst. Ich verzehre mich danach … aus einem mir unerklärlichen Grund.

Der Unbekannte zieht mich noch fester an sich, sein Mund drängt sich fieberhaft an meinen, als würde er sich schließlich doch gehen lassen und den Gefühlen, die auch ihn übermannt haben, freien Lauf lassen. Plötzlich ist sein Kuss gebieterisch, leidenschaftlich, entschlossen. Er bringt mich völlig durcheinander, erfüllt mich kurz mit unvergleichlicher Zufriedenheit, bevor eine andere Wahrnehmung folgt: die unbändige Lust, weiterzugehen, wie mir die köstliche Verkrampfung in meinem Unterleib signalisiert.

Flüchtig erhebt sich eine leise, sarkastische Stimme in meinem Kopf und prangert meine Schamlosigkeit an. Ich bin auf der Arbeit, verdammt!

Mit einem absolut fremden Mann! Solch ein Verhalten missbillige ich normalerweise! Es steht im absoluten Widerspruch zu meinen Prinzipien!

Der Mann verschlingt meine Lippen mit Inbrunst, beinahe gewaltsam. Seine Hand gleitet über mein Kreuz, umschlingt meine Taille. Fast grob drückt er mich gegen die Wand, wodurch ich sowohl das Atmen als auch jeden Gedanken vergesse. Die leise Stimme verstummt … zumindest höre ich sie nicht mehr. Er macht mich total wahnsinnig.

Meine Hände, noch immer zögerlich, wandern zu seinem Gesicht hinauf und streichen dabei über den weichen Stoff seines Anzugs, der mit Sicherheit teuer war. Ich spüre das Verlangen, seine Haut zu berühren, seine Gesichtszüge zu erkunden, indem ich sie ertaste. Als hätte er meine Gedanken erraten, greift er nach meinen Händen, um sie daran zu hindern, sie weiter zu seinem Gesicht zu bewegen. Und mit der ruhigen Kraft seiner Autorität hebt er meine Arme über meinen Kopf und lässt sein Bein mit einer flüssigen Bewegung zwischen meine gleiten.

Oh verdammt!

Plötzlich geraten Unmengen an Schmetterlingen in meinem Inneren in Panik und strömen in Wogen hin und her.

Dieser Typ macht mich fertig!

Denn während er mit einer Hand meine Handgelenke fest umschlossen hält, gleitet die andere Hand erneut über meinen Körper, und seine Liebkosung lässt meine Haut durch den Stoff meiner Kleider hindurch entflammen. Zweifellos hätte ich einen Ausruf der Überraschung und der Ekstase ausgestoßen, als seine Hand mein Bein findet und meinen Oberschenkel streichelt, wenn ich nicht noch immer durch einen Kuss, der sowohl erregend als auch fordernd ist, mundtot gemacht worden wäre.

Während er langsam, behutsam und sinnlich meinen Rock hochschiebt, um seinen geradezu ungehörigen Vorstoß fortzuführen, toben sich seine Finger auf meiner Haut aus und entfachen ein unwiderstehliches Verlangen in meinem ganzen Körper.

Als er sich schließlich von meinem Mund löst, um meinen Hals zu erforschen, ringe ich nach Luft, von wachsender Begierde erfasst, die im Rhythmus meines hämmernden Herzens dröhnt.

Verdammt noch mal, ich habe sie nicht mehr alle! Ich kenne ihn noch nicht einmal!

Na und?, antwortet meine innere Stimme, völlig durcheinander von diesem unerwarteten Liebesspiel.

Ein Stöhnen entfährt mir. Der Unbekannte hat gerade meinen Slip berührt, was mir überaus genüssliche Qualen bereitet.

June, verdammt! Reiß dich zusammen!

Ich befreie eine meiner Hände, um sein Jackett zu ergreifen, und er gibt meinen Hals frei, um meine Lippen mit zärtlichen Küssen zu bedecken, bevor er sich wieder voll und ganz auf sie stürzt. Ungestüm. Feurig.

Ich stehe kurz davor, ihm die Kleider vom Leib zu reißen. Ihn anzuflehen, mich leidenschaftlich zu nehmen, hier, jetzt. Dieser Typ macht mich wahnsinnig, und das mit einem einfachen Kuss und ein paar Zärtlichkeiten!

Oh Gott!

Ich schließe die Augen, um seinen Mund noch mehr zu genießen, seine Zunge, die meine umspielt, seine Hand, die völlig schamlos das Innere meines Oberschenkels erkundet und sich dabei Millimeter um Millimeter auf meinen Intimbereich zubewegt … als plötzlich mit einem sonoren Klacken der Strom wieder angeht.

Hm? Was?

Mit nach wie vor geschlossenen Augen nehme ich das Licht wahr und spüre, dass sich der Fahrstuhl wieder in Gang setzt.

Mein wahnsinnig aufregender Unbekannter beendet seinen Kuss und richtet sich auf.

„Lassen Sie die Augen geschlossen“, bittet er mich mit seiner tiefen, betörenden Stimme.

„Befiehlt“ trifft es wohl eher, denn die natürliche Autorität, die von ihm ausgeht, hält mich davon ab, mich ihm zu widersetzen.

„Ich werde aussteigen“, fügt er flüsternd hinzu, seine Lippen an meinem Ohr. „Dieser Moment soll unser Geheimnis bleiben, einverstanden?“

Ich nicke mit leicht geöffnetem Mund. Alles in mir verzehrt sich nach ihm, verlangt nach ihm. Noch nie hat mich jemand so in Wallung gebracht, so vollständig erregt, jede einzelne Nervenzelle meines Körpers stimuliert und solch ein brennendes Verlangen in meinem Unterleib entfacht.

Das charakteristische Bing ertönt, und die Türen öffnen sich. Ein leichter Windhauch weist mich darauf hin, dass er fort ist. Stille. Für kurze Zeit. Dann setzt der Aufzug seinen Aufstieg fort.

Ich öffne die Augen. Mit Ausnahme von mir ist die Kabine leer. Ich stehe total neben mir. Etwas verloren und völlig durcheinander knie ich mich hin, um mein Handy aufzuheben.

Als der Fahrstuhl schließlich mein Ziel erreicht, entlässt er mich mitten in eine Schar gut gelaunter Kollegen, die sich um ein offensichtlich leckeres Büfett drängen. Erst als ich wieder ins normale Dasein eintauche, stelle ich mir die Frage: Habe ich das etwa geträumt?

2

June

Offenbar ist New York die Stadt, die niemals schläft. Immer aktiv, immer voller Bewegung, Leben, Lichter und Geräusche. Und auch wenn diese beinahe ununterbrochene Aktivität mich als Mädchen aus der Provinz bei meiner Ankunft ziemlich überrumpelt hat, habe ich mich doch mittlerweile daran gewöhnt.

Und so ist auch nichts Ungewöhnliches daran, dass ich die Tür zu meinem Apartment um ein Uhr nachts aufschließe, was viele für anstößig gehalten hätten.

Ich schleudere meine Pumps mit einer geschmeidigen Bewegung in die Ecke, bevor ich das Licht einschalte. Ich betrachte die schlichte, aber einladende Einrichtung meines Zuhauses. Zu meiner Linken meine gemütliche Kuschelecke: Sessel, Sofa mit Beistelltisch, Fernseher. Vor mir ein runder Tisch mit vier Stühlen und dahinter ein großes Fenster, durch das ich um diese Uhrzeit die tausend Lichter des Big Apple betrachten kann. Auf der einen Seite des Fensters befindet sich mein Schlafzimmer, auf der anderen mein Badezimmer. Und zu meiner Rechten mein Lieblingsort: die Küche. Müden Schrittes begebe ich mich hinein und lege meinen Schlüssel und meine Handtasche auf dem Tresen ab, bevor ich mich aufs Sofa fallen lasse.

„Was für ein Tag!“

Mein Satz verhallt im Nichts. An sich ist das normal: Hier ist niemand außer mir. Einzig und allein ich – fast jedenfalls.

Ich drehe den Kopf zur nächstgelegenen Wand und kneife die Augen zusammen, denn dort befindet sich der XXL-Käfig meines Hamsters Smiley. Ja, ich weiß: ein komisches Haustier, aber was soll ich sagen? Als ich in der Zoohandlung sein rundes Gesichtchen gesehen habe, bin ich schwach geworden. Seither ist Smiley mein Mitbewohner – und er ist nicht gerade anspruchsvoll: ein paar Samenkörner und Kekse, hin und wieder ein kleiner Ausflug in der Wohnung, und das Tierchen ist zufrieden.

Im Moment trainiert er gerade in seinem Laufrad für den nächsten Marathon, dabei will ich ihn nicht stören. Wenn Smiley trainiert, dann macht er ernst, und es kann eine Weile dauern.

Ich lehne mich im Sofa zurück, um etwas zu Atem zu kommen – es ist Zeit, mich ein wenig zu entspannen. Ich muss sagen, der Tag war anstrengend – sehr, sehr anstrengend. Unter anderem musste ich ein komplexes Dossier vorbereiten, hatte einen kleinen Zusammenstoß mit dem Hausdrachen, der zufälligerweise die Chefin der HR-Abteilung des Unternehmens ist, und dann war da noch die Feier, die von der Firma organisiert wurde und die wir in unserer kultigen Lieblingsbar, dem Starlite, haben ausklingen lassen. Ich habe also allen Grund, erschöpft zu sein!

„Und nicht zu vergessen …“

Ich beende meinen Satz nicht, sondern richte mich auf.

Und nicht zu vergessen die Sache im Fahrstuhl … ein so unwahrscheinliches Erlebnis an der Grenze zur Schamlosigkeit, dass ich mich frage, ob ich mir das nicht einfach nur eingebildet habe. Denn mal ehrlich, um mich mit einer einzigen Berührung so heißzumachen, hätte er entweder ein griechischer Gott sein müssen oder ein überaus glaubwürdiges Produkt meiner Fantasie.

Ja, das ist es: eine Halluzination, ein Traum. Eine Wunschvorstellung …

„Wenn auch ultrareal!“, murmele ich vor mich hin.

In seinem Käfig unterbricht Smiley für einen Moment sein Training, um seine Schnauze in meine Richtung zu recken, bevor er noch schwungvoller mit seinem Sport weitermacht. Ich strecke die Hand nach meinem Laptop aus, der auf meinem Couchtisch liegt. Ich habe Lust, im Web herumzustöbern, mir irgendwelchen Unsinn anzuschauen, bei dem man den Kopf definitiv nicht anstrengen muss … Wie üblich ist die Seite, die ich als Erstes sehe, mein Blog: Junes Leckerbissen – mein kleiner und einfacher Blog, auf dem ich einer überschaubaren Gruppe von Fans meine Rezepte und andere innovative Versuche rund ums Kochen präsentiere. Und, das darf ich gut und gerne behaupten, manche meiner kulinarischen Kreationen erfreuen sich reger Beliebtheit unter meinen Followern.

Aus Gewohnheit lese ich mir die neuesten Kommentare und andere Nachrichten durch, bevor ich mich dranmache, mit trübem Blick mehrere belanglose Videos anzuschauen. Und ohne nachzudenken, bin ich schon dabei, einen kurzen Eintrag über diese unglaubliche Episode im Fahrstuhl auf der Arbeit zu posten …

Ich lese ihn mir nicht noch mal durch – sonst würde ich den Eintrag vermutlich löschen –, klappe meinen Laptop zu und lasse mich ins Bett fallen.

Als ich gerade am Eindösen bin, kommt mir jedoch ein Gedanke. Diese raue Stimme, der heiße Atem auf meiner Haut, seine Lippen auf meinen, seine Hände auf meinem Körper … dieser Schauder, diese mit einem Mal brennende, unkontrollierbare Leidenschaft …

Wer war er? Ein Angestellter? Ein Gast?

Eine Fantasiegestalt?!

Ich drehe mich in meinem Bett um, unsicher, unentschlossen. Und bevor ich der Frage weiter nachgehe, bevor ich mein Verhalten, meine aufgewühlten Emotionen noch mehr hinterfragen kann, schließe ich die Augen und schlafe sofort ein.

***

Auch wenn New York die Stadt ist, die niemals schläft, so trifft das nicht auf mich zu, und die wenigen Stunden Schlaf, die ich mir gönnen konnte, reichen längst nicht aus, damit ich heute Morgen in Bestform bin. Mein Kopf ist außerdem noch völlig benebelt, als ich mit einem einzigen Ziel im Sinn im Büro aufschlage: starker Kaffee!

„June!“

Abrupt bleibe ich stehen und unternehme eine übermenschliche Anstrengung, um nicht den Kopf einzuziehen oder die Augen zu schließen. Denn die tiefe, schmeichlerische und etwas spöttische Stimme, die mich gerade gerufen hat, gehört keinem anderen als meinem direkten Vorgesetzten, Gabriel Simons.

Ich drehe mich um, wobei ich ein gezwungenes Lächeln aufsetze, und sehe, wie er durch den Open Space zu mir kommt.

Blond, ziemlich gut aussehend, ein strahlendes Lächeln, funkelnde blaue Augen, eine stattliche Erscheinung, die Hand in Hand mit seiner Arroganz geht … Der Mann in all seiner Pracht.

„Oh, Gabriel, guten Morgen“, bringe ich hervor und weiche einen Schritt in Richtung meines Schreibtischs zurück.

„Du bist genau die Person, die ich zu finden gehofft hatte!“, erwidert er einschmeichelnd.

Ich sehe das Unheil schon kommen und verkrampfe mich. Worum geht es diesmal? Ein schwieriges Dossier in letzter Sekunde? Eine Kommunikation wieder aufnehmen? Oder …

„Ich kann Matt nicht erreichen, aber ich brauche die Grafik und das Layout für die Water-Kampagne, die er fertigstellen sollte, jetzt.“

„Oh …“

Perplex ziehe ich die Augenbrauen etwas nach oben. Mir ist nicht ganz klar, was ich so früh am Morgen in dieser Hinsicht unternehmen kann … Mit einer lässigen Geste weist Gabriel auf den Schreibtisch meines Kollegen und Teampartners, dann dreht er an seinem Siegelring, den Mund zu einem Lächeln verzogen.

„Könntest du dich darum kümmern und sie mir beschaffen? Es ist ziemlich dringend.“

„Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht …“

„Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann!“, fällt er mir ins Wort, bevor er kehrtmacht, bereits in sein Handy vertieft.

Für einen kurzen Moment bin ich verblüfft, unentschlossen, ob ich protestieren oder mein Schicksal stoisch hinnehmen soll. Gabriel steht in der Hierarchie direkt über mir. Technisch gesehen gehört es nicht zum guten Ton, sich gegen ihn aufzulehnen. Müde werfe ich meine Handtasche auf meinen Schreibtischstuhl und gehe dann um die Box herum zu der meines Kollegen.

Beim Anblick des Durcheinanders, das hier herrscht, schnaube ich. Matt gehört nicht zu den ordentlichen Leuten, und allein schon der Gedanke daran, mich ohne Erlaubnis durch das durchzuwühlen, was ich ohne die geringste Scham als Saustall bezeichnen würde, laugt mich völlig aus.

„June? Findest du das Dossier?“, ruft mir Gabriel aus seinem Büro zu.

Das macht er absichtlich!

Ohne zu antworten, setze ich mich und beginne damit, Unterlagen und Umschläge hochzuheben. Notizen, Skizzen, Briefings … aber nicht die Water-Mappe.

Ich unterdrücke ein Seufzen und mache mich daran, eine andere Stelle unter die Lupe zu nehmen.

„Also echt, Matt, wie kannst du in so einem Chaos arbeiten?“

„June?“

„Komme gleich!“, versetze ich, während ich wahllos eine Mappe herausfische.

Ein kurzer Blick auf die Vorderseite: nada. Ich ziehe das Gummiband ab und blättere auf die Schnelle das Innere durch: Bingo!

„Die Water-Unterlagen! Hab ich euch!“

Triumphierend stehe ich auf und verlasse die Box genau in dem Moment, als Gabriel schon wieder aus seinem Büro herauskommt.

„Bitte sehr“, verkünde ich und reiche ihm die Mappe mit einer Geste, die bedeutet: Die wäre ich los.

Und jetzt zu meinem herrlichen heißen Kaffee!

„Ah, danke“, antwortet mein Chef, doch irgendetwas in seiner Stimme sagt mir, dass mein Kaffee noch auf sich warten lassen wird. „Es ist nur so, weißt du, ich werde erwartet, wenn du das also direkt zu Mark Leviels bringen könntest …“

Mark Leviels. Der Finanzdirektor der Carter Corporation und zusätzlich noch Gabriel Simons’ Chef. Und dementsprechend auch mein Chef.

„Eigentlich wollte ich …“

„Du bist wirklich ein Goldstück von einer Mitarbeiterin!“, ruft er freudig aus, wobei er kurz seine Hände auf meine Schultern legt.

Und bevor ich etwas erwidern kann, hat er sich bereits in Richtung Ausgang aufgemacht. Ich folge ihm in den Flur hinaus, bereit, für mich einzutreten, um der lästigen Aufgabe als Mädchen für alles zu entgehen. Doch er ist bereits im Aufzug!

„Ach“, ruft er mit funkelndem Blick, als er mich sieht. „Leviels ist auf dem obersten Stockwerk, beeil dich, er ist wahrscheinlich schon ziemlich ungeduldig!“

Die Türen schließen sich vor seinem wissenden Lächeln, und mir entfährt ein verzweifelter Seufzer. Mein mordlüsterner Blick richtet sich auf die Unterlagen in meinen Händen.

„Matt …“, murre ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

Da hat er sich ja einen tollen Tag ausgesucht, um zu spät zu kommen. Eigentlich ist er immer zu spät! Resigniert drücke ich auf den Knopf, um den Fahrstuhl zu holen. Als dieser ankommt, stürze ich hinein. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, denn immerhin darf ich ins „oberste Stockwerk“ – die legendäre Etage der Carter Corporation, in die normale Mitarbeiter nie einen Fuß setzen … die Etage des CEO Ryan Carter höchstpersönlich! Und dieser Gedanke begeistert mich weitaus mehr als ein heißer Kaffee!

Als ich in der obersten Etage ankomme und den Aufzug verlasse, bin ich völlig aus dem Häuschen und mittlerweile hellwach: Luxus, lange Flure, gedämpfte Atmosphäre …

„Uhh, stilvoll!“

Beinahe schüchtern gehe ich zum Empfangstresen, an dem eine Sekretärin sitzt, deren Blick auf ihrem Bildschirm ruht.

„Guten Tag“, sage ich und lasse meine Augen umherstreifen. „Ich soll diese Unterlagen Mister Leviels übergeben und …“

„Besprechungsraum, rechts“, antwortet sie mir knapp, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Ah, okay. Danke.“

Ich zucke mit den Achseln und wende mich in die angegebene Richtung.

Hier oben ist es geräumig, modern, nüchtern. Ich fühle mich beinahe deplatziert, wie ein Eindringling, der nicht das Recht hat, hier zu sein. Mit kleinen Schritten gehe ich weiter, als mein Blick von einer großen Glasfront angezogen wird. Abgesehen davon, dass sie hervorragende Lichtverhältnisse schafft, ermöglicht sie es, die Stadt von einer beachtlichen Höhe aus zu betrachten, und der Ausblick ist erstaunlich. Begeistert hefte ich meinen Blick darauf und versinke in kontemplativer Betrachtung. Wolkenkratzer, Glastürme und Hochhäuser breiten sich majestätisch vor mir aus, so weit das Auge reicht. Der Anblick ist einfach atemberaubend! Er zieht mich in seinen Bann, und ich bleibe stehen, um jede Einzelheit in mich aufzunehmen. Im morgendlichen Licht schillern das Glas und die stählerne Inneneinrichtung durch die Sonnenstrahlen, ein wirklich beeindruckendes Bild. Ich verharre eine Weile, bis ich mich an den Grund meines Hierseins erinnere.

Die Mappe!

Ich zucke wie von der Tarantel gestochen zusammen und mache auf dem Absatz kehrt, um mich von der Glaswand zu lösen … als ich erstarre.

Ich befinde mich weniger als zehn Zentimeter von einem eindeutig männlichen Körper entfernt!

3

June

Mein erster Reflex besteht darin, schnell zurückzuweichen. Mein zweiter ist es, den Blick zu heben, um das Gesicht meines Gegenübers auszumachen. Ich erkenne Mark Leviels, den Vorgesetzten meines Vorgesetzten: schlank, in einem überaus geschmackvollen maßgeschneiderten Anzug, einen dicken Ordner unter dem Arm. Hinter seiner Brille mustern mich zwei hellgrüne Augen überrascht.

„Miss … Miss Brown!“, ruft er aus und weicht nun seinerseits zurück.

Röte steigt mir in die Wangen, und ich trete so weit zurück, dass ich gegen die Glaswand pralle.

Auweia, beinahe wäre ich in ihn hineingerannt!

„Ich bitte um Entschuldigung“, sage ich, „ich habe nicht aufgepasst und …“

„Nicht doch, es war meine Schuld“, unterbricht er mich entgegenkommend.

Ein nervöses Lächeln zeichnet sich auf meinem Gesicht ab, und ich hebe die Mappe, die ich bei mir habe, um einen oder zwei Zentimeter höher.

„Gabriel … ich meine, Mister Simons … er hat mich gebeten … die Mappe … und …“

Ich verhaspele mich bei meiner Entschuldigung, noch immer völlig durcheinander, weil ich meinem Chefchef auf diese Weise begegnet bin! Das sieht mir nicht ähnlich. Ich atme tief durch, um meine Erklärung erneut in Worte zu fassen, als mich etwas verstummen lässt. Eine Präsenz. Jemand starrt mich an, und zwar nicht Mister Leviels. Aus der Fassung gebracht, schaue ich mich um und entdecke eine weitere Person neben meinem Chef. Mein Blick gleitet von zwei langen Beinen in einer tadellos geschnittenen Hose aus kostspieligem Stoff hinauf zu einem muskulösen Oberkörper mit einer Krawatte, die perfekt zu seinem Jackett passt … Ich bleibe an zwei Augen von intensivem Grau hängen, die mich sofort in ihren Bann schlagen.

Oh Gott!

„Ah, perfekt, danke.“

Er streckt bereits die Hand aus, um die Mappe entgegenzunehmen, wodurch er mich zwingt, mich aus dem Bann dieses unergründlichen, intensiven und beunruhigenden Blickes zu lösen.

Wer ist das?

Nunmehr nervös, denn dieser Mann hört nicht auf, mich forschend anzusehen, übergebe ich Mark Leviels die Mappe.

„Mister Simons meinte, ich solle sie Ihnen möglichst schnell überbringen“, füge ich hinzu.

„Und damit lag er nicht falsch“, antwortet mir mein Chef, während er danach greift.

Dann ziehe ich mich zurück, bereit, mich in Richtung Aufzug aus dem Staub zu machen, um diesem intensiven Blick zu entkommen. Ich drehe mich noch einmal um, nachdem ich mich leise verabschiedet habe, da Mark Leviels bereits zugunsten seines mysteriösen Begleiters jegliches Interesse an mir verloren hat. Während ich mich durch den Gang entferne, spüre ich immer noch den Blick des Unbekannten, der mir sowohl Unbehagen bereitet als auch meine Neugier weckt.

Die Stimme meines Chefchefs dringt bis zu mir, sie ist zwar durch die Entfernung gedämpft, dennoch erreichen mich einige Worte klar und deutlich.

Menü. Saumur. Saint-Jacques.

„Wie bitte?“

Es ist stärker als ich: Ich drehe mich um und finde mich nur wenige Meter von den beiden Männern entfernt wieder. Beide schauen mich an, erstaunt darüber, dass ich mich einmische.

Oh Mist!, realisiere ich plötzlich verlegen. Ich habe gerade einen Vorgesetzten unterbrochen! Was ist nur in mich gefahren? Betreten mache ich den Mund auf – um mich zu entschuldigen? Um „gastronomischer Skandal!“ zu rufen? –, als der Unbekannte mir zuvorkommt.

„Haben Sie etwas an diesem Menüvorschlag auszusetzen, Miss?“

Eine ernste, tiefe, sanfte und zugleich autoritäre Stimme. Eine Stimme, die umschmeichelt und umhüllt. Eine Stimme, der man nichts abschlagen kann … Überaus langsam richte ich meine Aufmerksamkeit auf ihn und begegne dem Feuer dieses aufwühlenden Blicks.

„Eigentlich …“

„Sie haben bei der Erwähnung der Speisen aufgehorcht. Haben Sie einen anderen Vorschlag?“

Etwas verblüfft schaue ich meinen Chefchef fragend an. Wer ist dieser Mann? Soll ich antworten? Mark räuspert sich, offensichtlich peinlich berührt.

„Sir“, sagt er rasch, „ich bezweifle, dass Miss Brown …“

„Nicht doch, Mark“, unterbricht ihn der Unbekannte mit einer Autorität, die mich verdutzt. „Ich möchte hören, was diese junge Dame zu sagen hat. Lassen Sie uns ins Besprechungszimmer gehen, einverstanden?“

Und einfach so läuft er an uns vorbei und marschiert zu einer Doppelglastür. Schicksalsergeben folgt Mark Leviels ihm, und auch mir bleibt nichts anderes übrig, als ihnen hinterherzutrotten. Kurz kommt mir der Gedanke, heimlich auf die zweiundvierzigste Etage zu flüchten … aber das gehört sich nicht. Resigniert betrete ich als Letzte den Besprechungsraum, der dem Rest des Stockwerks gleicht: schlicht, aber luxuriös. Mark hält mir galant die Tür auf. Der Unbekannte hat bereits auf einem Ledersessel Platz genommen, der allein schon mein Monatsgehalt wert sein muss! Gemächlich stützt er die Ellenbogen auf den Tisch und richtet seinen verwirrenden Blick erneut auf mich.

„Wir sind ganz Ohr, Miss. Was schlagen Sie statt Saumur und Jakobsmuscheln als Menü für die Gala vor?“

Ich schlucke und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Jakobsmuscheln, Saumur … Das geht besser, da bin ich mir sicher …

Doch mein Verstand ist blockiert. Der Blick aus diesen grauen Augen hält mich gefangen, zieht mich an … verunsichert mich. Ich schaffe es nicht, mich von ihm loszureißen. Ein Glitzern erscheint in seinem Blick, vielleicht ein amüsiertes Funkeln. Testet er mich gerade? Glaubt er, wer immer er sein mag, dass ich einen Rückzieher machen werde?

So weit kommt’s noch!

Entschlossen reiße ich mich von seinen hypnotischen Augen los, straffe meine Schultern und wage mein Glück.

„Nun gut, beginnen wir mit den Jakobsmuscheln. Es stimmt, auf den ersten Blick scheint ein roter Saumur gut zu dieser edlen Speise zu passen, jedoch …“

Ein flüchtiger Blick auf meine Zuhörer. Während Mark mir nur mit halbem Ohr zuhört, nebenher mit der Fingerspitze auf seinem Smartphone herumtippt und sich in dieser Situation sichtlich unwohl fühlt, hat der zweite Geschäftsmann seine gesamte Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Er starrt mich streng und überaus ernst an.

Okay. Weiter geht’s.

„Dieser Wein ist jedoch tanninhaltig, womit er Gefahr läuft, den Geschmack der Jakobsmuscheln zu erdrücken, was, wie Sie mir sicher zustimmen werden, bedauerlich wäre.“

Kurze Pause, um wieder zu Atem zu kommen. Ich bin furchtbar angespannt, das ist verrückt! Schlimmer noch als ein Vorstellungsgespräch! Ich zwinge mich, die Schultern zu entspannen und mein Kinn zu heben. Dann, während ich in das Grau seiner verwirrenden Augen eintauche, fahre ich mit meiner Argumentation fort.

„Daher würde ich eher einen weißen Château Larrivet Haut-Brion wählen. Ein kräftiger und subtiler Wein, dessen Hauch von Vanille den delikaten Geschmack der Jakobsmuscheln perfekt hervorheben wird.“

Doziere ich wirklich gerade in der obersten Etage der Carter Corporation über französischen Wein und Jakobsmuscheln? Ein leichtes Lächeln zeichnet sich auf dem Gesicht von Mister graue Augen ab, die übrigens wirklich verführerisch sind. Junge und dynamische Gesichtszüge, ein harmonisches Gesicht, glatt rasiert, ein gepflegter Haarschnitt …

Und dann ist da noch dieses Funkeln in seinen Augen, das sich über mich lustig zu machen scheint … dem ich verfallen könnte. Doch sein schelmischer Ausdruck stachelt mich geradezu an, mir nichts gefallen zu lassen, also füge ich in lässigem und leicht selbstzufriedenem Ton hinzu:

„Verbunden mit einer feinen Trüffelemulsion wäre das einfach perfekt.“

Ich werfe Mark Leviels einen kurzen Blick zu, der mich verblüfft anschaut, bevor ich mich wieder meinem anderen Gesprächspartner zuwende. Er beobachtet mich aufmerksam, wobei sein Zeigefinger in der Nähe seines Ohrs ruht. Seine Augen leuchten vergnügt, und er richtet sich auf, um die Hände auf den Tisch zu legen.

„Hervorragende Wahl, Miss …“

„Brown. June Brown.“

„Miss Brown. Aber glauben Sie nicht auch, dass ein Chablis Premier Cru passen könnte? Schließlich würden sich seine Honig- und Vanillenoten wunderbar mit dem milden Geschmack der Jakobsmuscheln verbinden, den sie angesprochen haben …“

Kalt erwischt! Mir fällt keine schlagfertige Antwort ein. Er scheint sich in Önologie auszukennen!

„Ich …“

„Sind Sie eine Kennerin, Miss Brown?“, fragt er, ohne mir wirklich Zeit für eine Antwort zu lassen.

Ich senke den Blick. Seine Augen erscheinen mir mit einem Mal viel zu forschend … und angesichts ihrer irritierenden Sanftheit habe ich das Gefühl, langsam zu verbrennen.

„Nein“, flüstere ich, „nur eine Liebhaberin guter Dinge.“

Langsam weiche ich zur Tür zurück. Ich glaube, für heute habe ich mich genügend zur Schau gestellt. In diesem Moment leuchtet das Smartphone des einschüchternden Mannes kurz auf, was ihn dazu bringt, darauf zu schauen und seine schönen Augenbrauen hochzuziehen. Aha, sieht ganz so aus, als gäbe es ein Problem.

„Ich … ich störe Sie dann mal nicht weiter“, sage ich zu meinem Vorgesetzten.

„Mister Leviels“, sagt mein Gegenüber plötzlich, „würden Sie bitte die Vorschläge von Miss Brown notieren?“

Lässig erhebt er sich, wobei er sein Smartphone mit einer beiläufigen Bewegung in der Hosentasche verschwinden lässt. Nervös tut Mark es ihm gleich.

„Ich muss leider gehen, um mich um einen Zwischenfall zu kümmern“, fährt er fort. „Miss Brown, vielen Dank, dass Sie Ihr Wissen mit uns geteilt haben.“

Ich deute ein Kopfnicken an, ohne wirklich zu wissen, wie ich diese Bemerkung auffassen soll. Ist sie ehrlich gemeint, oder verbirgt sich eine subtilere Botschaft dahinter?

„Würden Sie die Zusammenstellung des Menüs durchsehen, um sicherzugehen, dass sich kein Fehler einschleicht?“, fügt er mit einem leichten Lächeln hinzu.

Ein Lächeln, das mich innerlich etwas zu unruhig werden lässt, um einfach nur unschuldig zu sein.

„Wir wollen schließlich nicht die Geschmacksknospen unserer Charity-Gäste beleidigen.“

„Wir wollen sie nicht beleidigen“? Träume ich, oder macht er sich über mich lustig?

„Nein, es ist nicht nötig, sie zu beleidigen“, erwidere ich, indem ich seine Worte aufgreife und ihm direkt in die Augen schaue.

Der graue Blick ruht auf mir, und ich halte ihm unbeirrt stand. Er glaubt wohl, mich mit seinem vornehmen Gehabe beeindrucken zu können …

Nach einem kurzen Augenblick wendet er sich Mark zu. „Passen Sie das Budget für die Veranstaltung an, und sorgen Sie dafür, dass alles für das morgige Meeting mit den französischen Investoren vorbereitet ist. Stellen Sie mir einen detaillierten Bericht über die FSO des australischen Küstengebiets zusammen, und bestätigen Sie mein morgiges Treffen mit Forbes.“

„Wird erledigt, Mister Carter“, bestätigt Mark mit müdem Gesichtsausdruck.

„Miss“, wendet er sich im Vorbeigehen an mich, „es war mir ein Vergnügen.“

Aber ich höre ihm nicht mehr wirklich zu. Ich bin an Marks Worten hängen geblieben … Mister Carter? Carter … wie in Carter Corporation? Der Mister Carter? Der Chef aller Chefs?

Meine Augen weiten sich, und ich versinke im Boden. Nein! Ich habe doch nicht gerade wirklich dem Oberboss Carter einen Vortrag über Wein gehalten?

Oh verdammt!

Ein letztes Mal begegnet sein Blick dem meinen, und als würde er meine Gedanken lesen und mich herausfordern wollen, etwas dazu zu sagen, hebt er eine Augenbraue. Ich bleibe stumm und halte dem Grau seiner Augen stand. Kommt nicht infrage, dass ich den Eindruck erwecke, als würde mich sein Blick aus der Ruhe bringen! Drei Sekunden lang taxieren wir einander, dann reißt er sich von meinem Blick los, um sich mit einer Kopfbewegung von seinem Angestellten zu verabschieden, bevor er im Flur verschwindet.

***

Als ich mich in der zweiundvierzigsten Etage auf meinen Schreibtischstuhl fallen lasse, bin ich noch immer ganz betroffen von dem, was ich eben erlebt habe. Habe ich gerade wirklich mein kulinarisches Wissen vor dem Big Boss persönlich ausgebreitet? Ich seufze und fahre mir gedankenverloren mit der Hand durch die Haare, wobei ich meinen Haarknoten in Unordnung bringe. Zum Teufel mit meiner Frisur!

„Hey, Prinzessin!“

Der Ruf lässt mich zusammenzucken, und ich stoße einen leisen Schrei aus, während ich mich schnell aufrichte. Direkt vor mir steht Matt Ortega, mein Kollege und Freund. Athletische Schultern, zerzauste Haare, Motorradjacke, schöne haselnussbraune Augen und stets ein Lächeln, das einen schwach werden lässt, auf den Lippen.

„Matt!“, rufe ich aus. „Hast du mich erschreckt!“

„Das sehe ich! Was ist los? Wo warst du?“

„Ich …“

Wie soll ich in wenigen Worten zusammenfassen, was gerade passiert ist? Matt setzt sich lässig auf seinen Sessel und zwinkert mir anzüglich über die Trennwand unserer Box hinweg zu.

„Ist das Fräulein dem großen bösen Wolf begegnet und hat sich fressen lassen?“

Ich zucke mit den Achseln.

„Schlimmer. Ich wurde in die oberste Etage geschickt und bin Carter über den Weg gelaufen.“

4

June

Ryan Carter. Ich glaub’s nicht – ich habe das Menü der Gala vor Ryan Carter infrage gestellt! Ich schaue von meinem Monitor auf, mein Kopf schwirrt noch immer von dieser Begegnung am heutigen Morgen. Es ist schon nach zwölf Uhr mittags. In der Nachbarbox ist Matt schwer damit beschäftigt, kreativ zu sein. Ich lächele beim Gedanken an seinen fassungslosen Gesichtsausdruck, als ich ihm erzählt habe, wen ich kennengelernt habe. Ryan Carter. Den mysteriösen Big Boss der Carter Corporation in Person!

Oh, natürlich habe ich nicht nur seinen verblüfften Blick abbekommen, sondern wie üblich auch noch ein paar Sprüche obendrauf. Und als ich ihm erzählt habe, dass mir Mister Carter persönlich einen Job anvertraut hat, hat es meinem armen Kollegen und Freund für einige Sekunden die Sprache verschlagen.

„Das Fräulein schreckt ja vor nichts zurück“, hat er schließlich grinsend erwidert. „Man verkehrt jetzt in der High Society, man spaziert auf der obersten Etage herum!“

„Ja“, habe ich geantwortet. „Wenn du hier gewesen wärst, hätte ich nicht dorthin gehen müssen, dann hättest du dich selbst darum kümmern können.“

„Goldbesteck und Krawatten sind nicht gerade mein Ding, weißt du. Aber wenn das deine Wunschvorstellung ist …“

Ich habe gelacht, bevor ich mich wieder an die Arbeit gemacht habe.

Matt lehnt sich in seinem Stuhl zurück und reckt die Arme nach oben.

„Also gut, Prinzessin“, sagt er zu mir und richtet seinen schelmischen Blick auf mich, „es ist spät. Gehen wir zum Italiener?“

Ich lächle und nicke.

„Ja. Nur einen Moment, okay? Ich möchte das hier noch fertig machen.“

Aber er ist schon aufgestanden und schaut mich fragend an.

„Geh schon mal los“, schlage ich vor, „ich will nur noch etwas überprüfen, dann komme ich nach.“

Mit gespielter Ehrerbietung verbeugt sich Matt vor mir und zieht sich zurück.

„Euer Wunsch ist mir Befehl, Prinzessin.“

Ich lache.

„Beeil dich, sonst …“

Ein Funkeln blitzt in seinen Augen auf, und mit einem amüsierten Augenzwinkern dreht er mir den Rücken zu und verlässt den Open Space. Ich strecke eine zittrige Hand nach der Mappe „Oberste Etage“ aus. Das Gala-Menü. Einen Moment lang betrachte ich den kartonierten Umschlag mit dem Gefühl, ganz eindeutig gegen ein göttliches Gesetz zu verstoßen, sollte ich ihn aufschlagen.

Verdammt, June, was ist nur los mit dir?

Mit den Fingerspitzen streiche ich unentschlossen über die Kante. Ihn öffnen? Ihn links liegen lassen? Eine Ausrede finden, um den Job zu verweigern?

Ja, klar! Als könnte ich einfach hinaufgehen, Mister Carters Bürotür aufstoßen und das Ganze noch mit folgendem Satz garnieren: „Danke, aber für dieses Mal verzichte ich.“

Ich seufze, und nachdem ich mich verstohlen umgesehen habe, als würde ich ein schweres Verbrechen begehen, öffne ich die Water-Akte und nehme Matts Seitenlayout des Menüs heraus. Ich kann seine „Handschrift“ in der Komposition erkennen.

Mit sachverständigem Auge überfliege ich den Inhalt … und runzele die Stirn. Nein, bei diesem Essen passt wirklich absolut gar nichts zusammen! Der Wein, die Vorspeisen, die Gerichte, die Soßen … alles scheint auf die Schnelle – ohne jedwede gastronomischen Kenntnisse – zu einem Schein-Menü zusammengewürfelt worden zu sein. Ich schnappe mir einen Kuli und fange zügig an, das Dokument mit Anmerkungen zu versehen.

***

Mein Smartphone wackelt auf meinem Schreibtisch herum und zwingt mich dazu, vom Menü aufzusehen, das jetzt von oben bis unten voller Anmerkungen ist. Ich schnappe mir das Gerät. Eine Nachricht von Matt blinkt auf dem Bildschirm:

Matt

Bist du im Hungerstreik?

Kurzer Blick auf die Uhr. Schon dreißig Minuten, seit Matt in die Pause gegangen ist!

Hastig lege ich die Unterlagen in die Mappe zurück und greife nach meiner Handtasche und meinem Smartphone, um zum Aufzug zu stürzen. Beim Einsteigen tippe ich eine unmissverständliche Nachricht an Matt:

June

Von wegen!

Ich zähle die Sekunden, während meine Gedanken abdriften. Ich denke an Matt, der beim Italiener auf mich wartet. An meinen Blog. An das Menü, das komplett überarbeitet werden muss. An Mister Carter. An diesen Blick, der mich auf so eindringliche Weise gemustert hat …

STOPP! Reiß dich zusammen.

Ich blinzele und bleibe an meinem Spiegelbild hängen, das von dem Spiegel an der Decke reflektiert wird. Es ist das Bild einer jungen Frau von vierundzwanzig Jahren mit kastanienbraunem Haar, das zu einem lockeren Knoten hochgesteckt ist, und einem klaren Blick, der unbeirrt zurückschaut. Ein kleines Grübchen am Kinn, ein durchaus sympathisches Gesicht …

Mein Smartphone vibriert in meiner Tasche, und ich wende mich von meiner Doppelgängerin im Spiegel ab, um darin herumzuwühlen, bis ich das Ding schließlich in die Finger bekomme. Matt.

Matt

Ich habe die Vorspeise komplett verputzt. Wenn du nicht auftauchst, nehme ich mir deine Pizza vor!

Das bringt mich zum Lachen, und während ich in die Eingangshalle stürme, beginne ich damit, eine drohende Antwort zu tippen. Leider komme ich nicht weiter als bis: