Isleen - Kirsten Weinhold - E-Book

Isleen E-Book

Kirsten Weinhold

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Beschreibung

Isleen Feeney, frischgebackene Detective Inspector beim Morddezernat in Dublin, wird ein Fall an der Westküste Irlands übertragen. Die Leiche einer sehr jungen Frau wurde als Braut Christie auf einem Altar in einer Klosterruine zur Schau gestellt. Kurz darauf wird ein toter Mönch aus einem nahegelegenen Fluss geborgen und ein zweites Mädchen verschwindet. Erst als Isleen und ihr Team begreifen, dass sie gegen einen intelligenten, religiös konservativen Gegner ankämpfen müssen, zeigt sich die erste erfolgsversprechende Spur.

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Seitenzahl: 396

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Vorwort
Erstes Kapitel
Mittwoch, 8. März 2023 Dublin/Garda Headquarters
Auf dem Weg nach Killarney
Killarney/Garda Station
Zweites Kapitel
Donnerstag, 9. März 2023 Killarney/ Nelly’s B&B
Zwei Stunden später
Dromavally/ College
Dromavally/Piper View
Killarney/Garda Station
Castlemaine/ John’s Carpentry
Dromavally/Pipers View
Dromavally/St. Michael’s Gemeinde
Killarney/Garda Station
Drittes Kapitel
Freitag, 10. März 2023, Killarney/Garda Station
Groyne / Farm der Duffys
Milltown/Kilderry Forrest
Milltown/Milltown Center of Arts
Nahe Castlemaine/Mündung River Maine
Killarney/ Franziskaner-Konvent
Killarney/Garda Station
Viertes Kapitel
Samstag, 11. März 2023, Killarney/Garda Station
District Killarney/Knockaculling
Killarney/ Gardastation
Zwei Stunden später
Killarney/Reidy’s
Killarney/Garda Station
Killarney/Innenstadt
Fünf Stunden später
Fünftes Kapitel
Sonntag, 12. März 2023, N 22 Richtung Süden
Auf der N 22 Richtung Norden
Groyne/ Farm der Duffys
Killarney/ Nelly’s B&B
Killarney/Garda Station
Sechstes Kapitel
Montag, 13. März 2023, Killarney/Garda Station
Eine halbe Stunde später
Drei Stunden später
Killarney/Franziskaner-Konvent
Killarney/Gardastation
Eine Stunde später
Siebtes Kapitel
Dienstag, 14. März 2023, Killarney/ Nelly’s B&B
Killarney/Garda Station
Eine Stunde später
Dingle-Halbinsel/R 561
Milltown/Killagha Abbey
Killarney/Franziskaner-Konvent
Killarney/ Garda Station
Achtes Kapitel
Mittwoch, 15. März 2023, Killarney/Garda-Station
Zwei Stunden später
Killarney/ Nellys B&B
Neuntes Kapitel
Donnerstag, 16. März 2023, Milltown/White Church Chapel
Killarney/Garda Station
Killarney/St. Mary’s Cathedral
Killarney/ Saint Finian’s Hospital
Zwei Tage später, Killarney/ Garda Station
Acht Stunden später

Kirsten Weinhold

Isleen – Tödliche Seligkeit

ein Irland-Krimi

Ruhrkrimi-Verlag

Mülheim an der Ruhr

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2024 Kirsten Weinhold

© 2024 Ruhrkrimi-Verlag

Taschenbuch: ISBN 978-3-947848-98-0

Auch als ebook erhältlich

Originalausgabe

Coverfoto: Wikipedia, © Superbass / CC-BY-SA-4.0

Alle Personen, Namen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Namen und Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten!

Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

https://www.ruhrkrimi.de

Die Autorin

1960 am Westfälischen Meer geboren und groß geworden, gestaltete sich das Leben der Autorin Kirsten Weinhold, wie bei vielen Frauen ihrer Generation: Schule, Ausbildung, Hochzeit, Kinder. Doch dann wich sie von dem ›normalen‹ Weg ab. Mit dreißig begann sie ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften und promovierte.

Danach machte sie sich als Coach und Konfliktberaterin selbstständig. Zurzeit lebt sie mit ihrem Mann und Labrador Cosmo in einem pittoresken Dorf in der Soester Börde.

Das Schreiben hatte die Autorin schon von Kindesbeinen an begeistert. Etwas zu Papier bringen, war und ist für sie etwas ganz Normales. Aber egal, was sie schrieb, von der Kurzgeschichte bis hin zu Gutachten für Bachelorarbeiten, sie begann immer zuerst mit dem letzten Satz.

Corona brachte ihr schließlich ausreichend Zeit und Lust, ein Buch zu schreiben. 2021 veröffentlichte sie den ersten Band ihrer Cornwall-Krimitrilogie - RACHESEELE. Im selben Jahr folgte SÜHNESEELE. Der letzte Band HASS SEELE erschien im Juni 2022. Als echtes Möhne-Kind war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich zum Schreiben des Regionalkrimis, MORD AM YACHT CLUB, entschloss.

ISLEEN - TÖTLICHE SEELIGKEIT ist ihr bisher letzter veröffentlichter Krimi - eine Hommage an das mystische Irland.

Für Emma

»Man darf nicht verlernen, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen.«

Henri Matisse (1869 – 1954)

Vorwort

Mystisch, pittoresk, grün. So habe ich Irland kennengelernt. Eine Insel, auf der alles möglich zu sein scheint und der Fantasie Flügel verleiht. Der perfekte Rahmen für einen Krimi.

Bei den handelnden Charakteren sowie dem Inhalt dieses Kriminalromans habe ich mich ohne Ausnahme auf meine Fantasie verlassen. Bei den Schauplätzen, die in diesem Buch beschrieben werden, gibt es einige, die Sie, liebe Leserin, lieber Leser, ohne Schwierigkeiten erkennen würden, sollten Sie Irland einen Besuch abstatten. Andere Schauplätze existieren in der Realität, jedoch musste ich ihr Aussehen der Geschichte anpassen. Und dann wären da noch die Orte, die lediglich fiktiv in meinem Kopf entstanden sind.

Da ein veröffentlichtes Buch nie das Produkt einer einzelnen Person ist, ist es mir ein Bedürfnis, an dieser Stelle Dankeschön zu sagen. Danke an alle, die, in welcher Form auch immer, mitgeholfen haben, diesen Krimi fertig zu stellen.

So seien speziell genannt: Meine Erstleserinnen Corinna Aust und Claudia Thielmann-Holzmayer, die mir wertvolle Hinweise und Anregungen gegeben haben. Daniela Richter -Wittenfeld, die mit viel Wertschätzung mein Manuskript lektoriert hat. Der Ruhrkrimi-Verlag, personifiziert durch Uwe Wittenfeld, der mir die Chance der Veröffentlichung als Verlagsautorin gewährt hat. Und natürlich meine Familie, die stets mit mir Nachsicht übte, wenn ich mich mit Mord und Ermittlungen beschäftigte.

Nun bleibt mir nur noch zu hoffen, dass es mir gelingt, Sie, liebe Leserin, lieber Leser, für einige Stunden nach Irland zu entführen und Ihnen spannende Lesestunden zu schenken.

Herzlichst

Kirsten Weinhold

Erstes Kapitel

Süße Innisfallen, lebe wohl, Möge Ruhe und Sonnenschein lange dein sein! Wie schön du bist, lass andere erzählen, Zu fühlen, wie schön du bist, soll lange mein sein. Süße Innisfallen, lange wird dieses sonnige Lächeln im Traum der Erinnerung verweilen, Das an jenem Abend über dich fiel, Als ich zum ersten Mal deine Feeninsel sah.

Thomas Moore(1779-1852, irischer Dichter)

Psychiatrische Praxis, Dr. Blake & McDeep

Auszug: Gesprächsprotokoll vom 3. November 2001

»Es war nachmittags. Ein heißer Tag, wie all die Tage zuvor. Die Hitze flirrte auf dem Asphalt und Staub wirbelte durch die Luft. Ich packte meine Sachen für das Fußballtraining. Mummy brachte mich bis zum Gartentürchen, wuschelte durch mein Haar und winkte mir nach. Als ich am Sportplatz ankam, war dort nur der Trainer. Er sagte mir, dass kein Training stattfinden würde, weil es zu heiß sei, und ich wieder nach Hause gehen solle. Ich ließ mir Zeit, trottete durch die stillen Straßen, schaute mir die Schaufenster an. Ein Eiswagen fuhr bimmelnd an mir vorbei. Ich lief ihm hinterher. Der Fahrer stoppte. Ich kaufte mir eine Kugel Eis - Schokolade.

Zurück zu Hause empfing mich eine ungewöhnliche Stille. Mummy ließ sonst immer das Radio in der Küche laufen, aber es war ausgeschaltet. Ich ging hinaus auf die Terrasse. Doch Mummy war nicht im Garten. Lucy, meine kleine Schwester, saß im Sandkasten. Sie hatte eine Burg gebaut. Ganz oben stand Barbie als Burgfräulein in ihrem schönsten Kleid und sah hinunter zu Ken, ihrem Ritter, den Lucy ganz mit Alufolie eingewickelt hatte.

Weißt du, wo Mummy ist, fragte ich sie. Doch sie war so in ihr Spiel vertieft, dass sie nicht antwortete.

Also ging ich zurück ins Wohnzimmer und lauschte, ob Mummy im Haus war.

Dann hörte ich ein Stöhnen von oben. Ich bekam Angst, dass Mummy etwas passiert war. Ich rannte die Treppe hinauf. Das Stöhnen kam aus dem Schlafzimmer. Die Tür war nur angelehnt. Vorsichtig schob ich sie auf und … Mummy lag mit einem fremden Mann im Bett meiner Eltern.« …

Mittwoch, 8. März 2023 Dublin/Garda Headquarters

Eilig lief Isleen Feeney über den Parkplatz auf den Haupteingang der Garda Síochána zu.

Ausgerechnet heute Morgen hatte ihr Wecker keinen Mucks von sich gegeben. Bei genauerer Untersuchung musste Isleen feststellen, dass sie schlichtweg vergessen hatte, den Schaltknopf auf ON zu drücken. Ohne das morgendliche Duschen, das bei ihr wie ein Energiebrunnen wirkte, selbst wenn sie vollkommen übermüdet war, hatte sie nach ihrer Kleidung gegriffen und beim hastigen Überziehen mit Entsetzen bemerkt, dass sie heute etwas anderes anziehen musste. Mit einem unwilligen Brummen beförderte sie ihre Jeans und den bequemen Aran-Pullover in die Zimmerecke und riss die Tür des Kleiderschranks auf. Unaufhaltsam, in grausamer Gleichförmigkeit, hatten sich die Zeiger auf dem Ziffernblatt ihres Weckers auf die Neun zubewegt, die Uhrzeit, zu der sie eigentlich plante, bereits im Revier zu sein. Panisch hatte sie nach ihrem grünen Cordrock und dem schwarzen Kaschmir-Pullover gegriffen, war in ihre schwarzen Stiefel geschlüpft und hatte das Haus verlassen.

Noch bevor sie ihren Dienstausweis vor den Scanner halten konnte, ertönte das Surren des Türöffners. Überrascht zog sie die Tür auf und wurde von dem gutmütigen Grinsen des wachhabenden Officers begrüßt.

»Cainín[Fußnote 1], du bist ganz schön spät dran!«, empfing sie Peter Dillon, dienstältester Garda im Morddezernat und steter Fels in der Brandung. »Sie sind alle schon oben in der Great Hall.«

»Mein Wecker hat nicht geklingelt!«

»Denk dir für den DSI[Fußnote 2] was anderes aus. Diese Ausrede hast du diesen Monat schon zweimal benutzt.« Peters Grinsen vertiefte sich.

»Wirklich, Pitty! Es war der Wecker«, beharrte Isleen. »Und jetzt muss ich los!«

»Solltest vielleicht vorher noch einmal in den Spiegel gucken«, warf Peter ein und deutete auf ihr Haar.

Isleen griff automatisch an ihren Schopf. Verdammt, sie hatte vergessen, sich zu kämmen.

»Viel Glück, Cainín!«, rief der Kollege ihr noch nach, während sie bereits die weit geschwungene Marmortreppe des gregorianischen Gebäudes hinauf hastete und in ihrer Tasche nach einem Kamm suchte.

Außer Atem, die dunkelbraunen Locken immer noch zerzaust, betrat sie die Great Hall, das Großraumbüro der Detectives und Herzstück des Morddezernates. Er bot Platz für vierzig Ermittler, die sich im Augenblick, so schien es Isleen jedenfalls, allesamt am Kopfende des riesigen Raumes tummelten.

»Na, hast es ja gerade noch geschafft, meinen Erfolg mitzuerleben.«

Isleen wirbelte herum und blickte in das überheblich lächelnde Gesicht von Tyron Sheehan, der mit vor der Brust verschränkten Armen entspannt an der Wand neben der Tür lehnte.

»Hast du schon in den Spiegel geschaut?«, fragte er süffisant.

»Dir ebenfalls einen schönen, guten Morgen, Tyron. Tut mir ehrlich leid, dass du hier so lange auf mich warten musstest. Und ob es dein Erfolg ist, wird sich gleich zeigen«, gab sie mit einem Lächeln zurück, obwohl sie ihm am liebsten einen Stoß versetzt hätte. Tyron, groß, gutaussehend, mit seinen schwarzen, glänzenden Haaren, dem gepflegten Bart und dem dunklen, geheimnisvollen Blick, war nicht nur ihr erbittertster Konkurrent, sondern gehörte auch zu den Kollegen, die der Meinung waren, dass Frauen in der kriminalistischen Königsdisziplin, den Mordermittlungen, nichts zu suchen hätten. So war es nicht verwunderlich, dass lediglich drei Frauen den Sprung in dieses Dezernat geschafft hatten. Zwei von ihnen, schon einige Jahre länger als Isleen bei der Truppe, fristeten ihr Dasein, das in erster Linie aus Laufarbeiten und Kaffeekochen für die männlichen Detectives bestand, als Constables. Umso verwunderlicher war es, dass Isleen es bereits bis zum Sergeant, mit Aussicht auf eine Beförderung zum Inspector geschafft hatte. Normalerweise funktionierte eine so schnelle Karriere nur, wenn man zu den von sich selbstüberzeugten Alpha-Männchen gehörte und Beziehungen besaß. Tyron war genau der richtige Kandidat dafür. Doch Isleen hatte in den vergangenen zwei Jahren so viele erfolgreiche Ermittlungen durchgeführt, dass man an den zuständigen Stellen ihre hervorragende Arbeit nicht einfach übergehen konnte. Auch hatte sie es geschafft, sich bei einem großen Teil der, wie sie sich selbst nannten, stahlharten Mordermittler, eine gewisse Akzeptanz und Anerkennung zu verschaffen. Selbst ihr, was Frauen betraf, äußerst konservativer, direkter Vorgesetzter, Superintendent Siamus Cook, begegnete ihr mittlerweile mit Respekt und Wohlwollen.

Tyron stieß sich von der Wand ab, baute sich nah vor ihr auf und senkte die Stimme zu einem rauen Flüstern.

»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass du je eine Chance hattest, gegen mich zu gewinnen. Und ich stehe da nicht allein mit dieser Ansicht.«

»Warum regst du dich dann so auf?«, erwiderte Isleen gelassen.

Ärgerlich starrte er sie an.

Trottel, schalt er sich selbst. Wusste er doch, dass sie aus direkten Konfrontationen meistens als Siegerin hervorging.

»Ah, da ist ja auch unsere letzte Hauptperson eingetroffen!«, ertönte eine wohlklingende Bassstimme. »Dann können wir jetzt endlich anfangen!«

Hutch Gorman-Reevs, stellvertretender Commissioner, winkte die beiden Detectives mit ausholender Gestik zu sich nach vorn.

»Herrschaften! Ich habe Ihnen heute zwei erfreuliche Neuigkeiten mitgebracht. Zum einen möchte ich mit Ihnen gemeinsam unseren Neuzugang Detective Constable Kilian Davis in unseren Reihen begrüßen. Obwohl er noch sehr jung ist, hat er sich bereits im Dezernat für Rauschgiftdelikte beachtliche Lorbeeren verdient. Ich freue mich, dass solch ein heller Kopf diese Truppe fortan bereichern wird.« Gorman-Reevs wies mit der Hand zu einem jungen Mann, der ein strahlendes Lächeln in die Gruppe warf.

Isleen gefiel der Neue, der sich allein schon durch sein Äußeres von den anderen Kollegen abhob. Der weinrote Anzug, die tintenblaue Krawatte, machten ihn zu einem Paradiesvogel zwischen all dem Grau, Braun und Schwarz, das in diesem Raum vorherrschte, dazu das verwuschelte blonde Haar und ein Drei-Tage-Bart. Doch den größten Unterschied zwischen ihm und den anderen Anwesenden waren seine strahlend grünblauen Augen und das herzliche Lächeln.

Ein Sunnyboy, dachte sie amüsiert. Sie hoffte inständig, dass den sauertöpfischen Kollegen, die Davis bereits mit unverhohlenem Missfallen beäugten, es nicht gelingen würde, ihm dieses wunderbar jugendliche Lächeln aus seinem Gesicht zu verscheuchen.

Kilian Davis verbeugte sich kurz, die rechte Hand auf sein Herz gelegt.

»Ich danke Ihnen allen für diese freundliche Begrüßung.« Davis Worte flossen durch den Raum wie eine sommerliche Brise. »Ich bin mir bewusst, welche Ehre es ist, hier im Morddezernat arbeiten zu dürfen. Ich habe noch viel zu lernen und ich würde mich freuen, bei Ihnen Unterstützung zu finden.«

Isleen hörte das verächtliche Schnauben von Tyron neben sich. Sie wandte sich ihm zu.

»Endlich mal ein netter Kerl. Vielleicht kannst du dir von ihm etwas abgucken«, stichelte sie leise.

»Das wüsste ich aber!«, blaffte Tyron flüsternd zurück. »Wir brauchen hier keine Weicheier.«

»Nein, nur stahlharte Kerle«, wisperte sie ironisch.

Der Commissioner, ein Hüne mit kastanienrotem Haar, räusperte sich kurz. »Heute ist also der Tag, an dem ich endlich das Geheimnis um die Neubesetzung der Inspector-Stelle bekannt geben darf.« Lächelnd ließ er seine flinken, braunen Augen über die Anwesenden schweifen. »Wie Sie alle wissen, hatten wir dieses Mal fünf Anwärter auf den Posten.« Er nahm sich die Zeit, jedem der fünf Bewerber ein freundliches Lächeln zu schenken. »Uns ist die Entscheidung nicht leichtgefallen. Alle fünf Kollegen sind hervorragende Kriminalbeamte, die bis jetzt bei den Ermittlungsarbeiten durch mannigfaltige Erfolge glänzten. Wir haben darum sehr sorgfältig die Stärken und Schwächen jedes Einzelnen gegeneinander abgewogen und sind letztendlich zu einem, so hoffen wir, bestmöglichen Ergebnis gelangt.« Gorman-Reevs legte erneut eine Pause ein, um ein imaginäres Fädchen von seinem dunkelblauen Maßanzug zu zupfen.

Du selbstgefälliger Lackaffe, dachte Isleen verdrossen. Doch sie spürte, dass Gorman-Reevs dramatisches Gehabe ihren Herzschlag beschleunigt hatte. Wenn Gorman-Reevs eins bis zur Perfektion beherrschte, musste sie sich widerwillig eingestehen, dann war es die emotionale Manipulation.

»Na, dann will ich Sie mal nicht länger auf die Folter spannen! The Winner is Detective Inspector …«, fast väterlich blickte er in die Runde. »… Isleen Feeney!«

Die Reaktionen auf diese Verkündung hätten gegensätzlicher nicht sein können. Sie reichten von Ausrufen, die ihr Glück wünschten, bis hin zu einem halblaut gemurmelten: »Die Tusse. Na, dann gute Nacht, Morddezernat.«

»Kommen Sie bitte zu mir, Inspector Feeney!« Gorman-Reevs streckte Isleen die Hand entgegen. »Meinen herzlichen Glückwunsch!«

Seine Hand war warm und trocken, der Griff fest, zu fest für Isleens Geschmack und sie vermutete, dass Gorman-Reevs bei der Abstimmung nicht auf ihrer Seite gewesen war. Er drehte sich um, nahm eine schwarze Schatulle von dem Schreibtisch hinter sich, öffnete diese und hielt sie Isleen entgegen. Es waren die Schulterstücke mit den roten, aufgestickten Balken und das Mützenabzeichen.

»Damit man Ihnen auch glaubt, dass Sie Inspector sind. Eine Frau als Inspector, daran müssen wir uns alle noch gewöhnen, nicht wahr?« Beifall heischend blickte er sich um. »Aber wir sahen uns verpflichtet, dem neuen Zeitgeist zu folgen«, fügte er witzelnd hinzu und bestätigte damit Isleens Vermutung. Er hatte sie gerade vor versammelter Mannschaft mit nur einem Satz zur Quotenfrau abgestempelt. Und so war es auch nicht verwunderlich, dass in einer Ecke des Raums plötzlich Gelächter zu hören war.

»Meine Herren, bitte!«, warf der Commissioner gespielt tadelnd ein, was zu weiterer Erheiterung bei manchen Kollegen führte. »So, ich muss jetzt los. Viel Glück, Feeney!« Mit einer Behändigkeit, die Isleen ihm gar nicht zugetraut hätte, schlängelte er sich durch die Anwesenden und verschwand winkend hinaus in den Flur.

»Mach dir nichts draus!« Ein Kollege hatte sich neben Isleen gestellt und stupste sie freundschaftlich mit der Schulter an. »Das sind im Kopf alles alte, weiße Männer mit Angst vor Veränderungen und intelligenten Frauen.«

Obwohl ihr im Moment nicht danach war, musste sie lächeln. Dankbar schaute sie ihren Vorgesetzten und Mentor, Superintendent Siamus Cook, an.

»Wenn du meinst.«

»Ich weiß es. Herzlichen Glückwunsch! Ich wusste, dass du es schaffen wirst. Und die da«, er nickte mit dem Kopf in Richtung der männlichen Kollegen, die sich zu schwatzenden Grüppchen zusammengefunden hatten, »die wissen das ebenfalls. An deine Fähigkeiten kommt nämlich niemand von denen heran.«

»Ja, ja. Und wenn du in Rente gehst, werde ich der erste weibliche Superintendent der Mordkommission sein«, erwiderte Isleen lachend. »Da muss aber noch eine Menge Wasser die Liffey hinunterfließen.«

»Ich bin vollkommen überzeugt, dass du auch das schaffen wirst.« Cook schaute zur Tür, an der einige Unruhe entstanden war. »Schau, selbst Pitty kommt dir gratulieren.« Er hob die Hand und winkte dem Officer zu. Dann ließ er sie langsam wieder sinken. »Oh, oh. So wie der aussieht, scheint etwas passiert zu sein.«

Heftig schnaufend erreichte Peter Dillon die beiden Detectives. »Chief, wir haben eine Tote. Killarney hat gerade angerufen.« Umständlich suchte er in der Uniformjacke nach seinem Notizblock. »Touristen habe heute Morgen in der Ruine des Klosters auf Innisfallen eine junge Frau tot aufgefunden. Irgendwer hat sie in ein Brautkleid gesteckt und sie auf den Altarstein gelegt.«

»Ist die Forensik schon informiert?«

»Ja. Und die Rechtsmedizin weiß auch Bescheid.«

»Gut, dann teile den Kollegen in Killarney mit, dass wir übernehmen. Sie sollen die ganze Insel absperren und den Leichnam mit einem Pavillon schützen. Wird ein Weilchen dauern, bis wir da sein können.«

Geschäftig eilte der Garda davon und die ersten Kollegen, die sich Hoffnung auf die Leitung der Ermittlungen machten, schlenderten auf Cook und Isleen zu.

»Jungs, keine Chance!«, wehrte der Superintendent sofort ab. »Dieser Fall ist die Feuertaufe unserer neuen Detective Inspector.«

Zögernd wandten sich die anderen ab und gingen murrend zurück an ihre Schreibtische.

»Ich soll das machen?« Vor Freude über ihren ersten Auftrag als Inspector hatten sich auf Isleens Wangen kleine rote Flecken gebildet.

»Natürlich, warum denn nicht. Es hört sich nämlich an, als wenn es ein guter Fall wäre. Wen möchtest du mitnehmen?«

Die junge Frau blickte sich in dem Großraumbüro um.

»Tyron«, entschied sie spontan.

Cook schaute sie fassungslos an. Er wusste nicht, ob sie lediglich scherzte.

»Was ist? Hast du damit ein Problem?«

»Ich nicht, Isleen, aber du wirst ein Problem bekommen, falls du das gerade ernst meintest.«

»Wieso? Er ist einer der Besten.«

»Ja, aber du hast ihm gerade seine Beförderung vor der Nase weggeschnappt. Glaubst du tatsächlich, dass er sich ausgerechnet für dich richtig ins Zeug legen wird?«

Isleen schüttelte lächelnd den Kopf. »Siamus, er will Inspector werden und dafür benötigt er Erfolge bei außergewöhnlichen Mordfällen. Und dass wir es hier mit einem besonderen Fall zu tun haben, sagt mir mein Bauchgefühl. Ein Bräutigam, der seine Zukünftige auf eine einsame Insel schleppt, um sie dort zu töten und im Brautkleid aufzubahren…«, unwillig verzog sie den Mund. »Nie und nimmer!«

»Und wenn Tyron so tut, als würde er dir helfen und später alles so dreht, als habe er das allein geschafft?«

»Lass gut sein, Siamus! Tyron wird mir schon nichts tun. Er kommt mit.«

»Was ist das gerade? So ein Frauending? Die bösen Jungs zu guten zu machen?« Siamus hatte seine Stimme leicht erhoben und einige der Anwesenden im Raum schauten neugierig auf. Sie wussten, dass der Superintendent immer seine Hand über Isleen hielt, mitunter ein Grund, warum manche Kollegen Isleen nicht ernst nahmen. Also, was konnte passiert sein, dass Cook so ärgerlich wirkte.

»Nein! Es geht mir nur um die schnelle Aufklärung des Mordes an einer jungen Frau.«

»Na gut. Aber du nimmst noch jemanden mit, auf den du dich verlassen kannst.«

»Kilian.«

»Welchen Kilian?« Langsam wurde Cook ungeduldig.

»Unseren Neuling, Kilian Davis. Gorman-Reevs hat ihn über den grünen Klee gelobt. Außerdem will der Knabe etwas lernen. Und so ein bisschen frischer Wind wird den Ermittlungen sicher guttun.«

»Das geht nicht.«

»Nicht? Dann nenn mir ein stichhaltiges Argument.«

»Er ist neu.«

Isleen zog die linke Augenbraue hoch und legte den Kopf schief - abwartend.

»Du kennst ihn nicht gut genug.«

»Das wird sich ändern. Und Siamus, ich will ja nichts sagen, aber ich gebe diesem netten Jungen hier drei Tage, dann werden sich unsere Superbullen auf ihn eingeschossen haben, bis er heult. Ich nehme ihn nur aus der Gefahrenzone.«

»Ach mach doch, was du willst«, gab Cook mürrisch zurück. »Ich erwarte von dir jeden Tag einen Bericht, verstanden?«

Auf dem Weg nach Killarney

Isleen bog auf die M 7 und beschleunigte den RAV4. Pitty hatte ihr augenzwinkernd den Schlüssel für den Toyota gegeben.

»Der Einzige im Pool, der die 300 km nach Killarney durchhalten wird«, hatte er lachend erklärt. 

Unter normalen Umständen hätte sie diesen Wagen nicht bekommen, sondern irgendeine Schrottkarre, die von den männlichen Kollegen keiner fahren wollte. Nicht, weil sie eine schlechte Fahrerin gewesen wäre, sondern einfach, weil sie eine Frau war.

Kilian, der auf dem Beifahrersitz saß, plapperte munter drauflos. Wie klasse es doch wäre, dass er gleich am ersten Tag einen spannenden Einsatz hätte. Wie glücklich er wäre, beim Morddezernat zu arbeiten. Wie nett die Kollegen seien. Wie stolz seine Eltern auf ihn sind.

Irgendwann reichte Isleen sein ununterbrochenes Schwatzen.

»Sag mal, Kilian, wie war das denn so bei den Drogenfahndern?«

»Och, nicht schlecht. Die Leute da waren ganz nett.«

»Nett?« Die kleine Schwester von Scheiße, dachte sie, behielt es aber für sich. »Gorman-Reevs hat von deinen Erfolgen gesprochen. Was hast du denn Großartiges angestellt?«

»Ähm, ich hab bei einer Razzia gegen die Vietnamesen einen der Hauptbosse verhaftet.«

»Respekt!«

»Na ja, war eher Zufall. Der ist bei der Flucht gestolpert, direkt vor meine Füße, und da habe ich ihm die Handschellen angelegt.«

Isleen lachte laut auf. »Und damit den Kollegen sicherlich ihren Erfolg versaut!«

Das Plappermäulchen nickte lediglich.

»Und die haben dir dann das Leben zur Hölle gemacht?«

Kilian nickte erneut.

»Und deswegen wolltest du dort weg?«

Wieder nur ein Nicken.

»Mit wem von den Oberhäuptlingen bist du verwandt?«

Nun blickte der junge Mann sie erschrocken an. Sein Adamsapfel hüpfte aufgeregt.

»Komm, Kilian, mach mir nichts vor. Niemand in deinem Alter und mit deiner wenigen Erfahrung kommt so mir nichts, dir nichts ins Morddezernat. Also, wer hat dich gepuscht?«

Kilian schwieg beharrlich.

»Gorman-Reevs?« Ein Schuss ins Blaue.

»Woher …?«, ertappt schlug er die Hand vor den Mund.

Isleen verdrehte innerlich die Augen über so viel jugendliche Naivität. »Also Gorman-Reevs. In welchem Verhältnis stehst du zu ihm?«

»Meine Mutter und er sind Cousine und Cousin zweiten Grades. Onkel Hutch hat aber gesagt, dass ich das keinesfalls jemandem erzählen soll.«

Isleen schlug wütend auf das Lenkrad. »Was hat der sich dabei gedacht, dich in einem Haifischbecken unterzubringen?« Ihr kam ein neuer Gedanke. »Und Siamus Cook wusste darüber natürlich Bescheid.« Jetzt wurde ihr einiges klar. Mit einem gewagten Schlenker wechselte sie die Fahrbahn und schoss auf die Ausfahrt nach Adare zu. Ein gewaltiges Hupkonzert war die Folge.

»Ich brauch jetzt einen Kaffee und was zwischen die Zähne. Wir machen eine Pause und ich werde dir mal ein wenig von der Truppe im Morddezernat erzählen.«

Isleen fand einen Parkplatz in der Main Street von Adare, einem kleinen Ort, der sich durch seine reetgedeckten Cottages, drei Klosterruinen und ein Herrenhaus zu einem touristischen Anziehungspunkt gemausert hatte. Nach einer kurzen Orientierung wählte sie einen alten Pub, in dessen Vorgarten ein dunkelgrüner Oldtimer die interessierten Blicke der Passanten auf sich zog.

»Mensch, das ist ja ein Austin 10/4 von 33!«, rief Kilian begeistert aus.

»Du interessierst dich für Oldtimer?«

»Ja. Mein Großvater hatte einige davon und ich durfte ihm immer helfen, wenn etwas daran gemacht werden musste.«

An der Bar des traditionellen Pubs bestellte sie für Kilian und bestellte sich einige Sandwiches und eine Kanne Kaffee. Dann ging sie zu einem ruhigen Tisch am Fenster. 

»So, Kilian. Wir beiden unterhalten uns jetzt mal über diese vermaledeite Situation, in der du gerade steckst. Ich möchte nicht, dass du von den netten Jungs im Dezernat in Scheiben geschnitten und danach wieder falsch zusammengesetzt wirst. Die sind nämlich nicht dumm. Und wenn einer von ihnen bei den Drogenkollegen anruft und von denen deine Story hört, dann wird deren animalischer Instinkt wach und dann suchen die so lange, bis sie wissen, was mit dir ist. Wenn das passiert, kann selbst dein großartiger Onkel Hutch dich nicht retten.«

Isleen unterbrach sich, als die Wirtin die Sandwiches und den Kaffee an den Tisch brachte.

»Du hast allerdings eine Chance, aber nur, weil du ein Mann bist. Gesell dich zu den Jungs. Gib ihnen das Gefühl, dass sie die Größten für dich sind. Wenn sie ihre zotigen Witze reißen oder sich über jemanden lustig machen, lach mit. Rede mit ihnen über typische Männerthemen – Autos, Oldtimer, Fußball, Frauen. Aber plaudere nichts Privates aus! Und gewöhne dir an, so zu sprechen, wie sie es tun.«

Kilian hatte ihr mit großen Augen zugehört. Fast erwartete Isleen, dass er ihr widersprach, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es im Morddezernat so rau zuging. Doch dann nickte er.

»Hätte mir das mal jemand gesagt, als ich im Drogendezernat war«, reagierte er leise.

Isleen lehnte sich zurück und betrachtete ihn eine Weile. »Du hast also schon reichlich Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht.«

»Darum musste ich dort auch weg«, bestätigte er nach einem kurzen Zögern.

»Okay. Gegen die Alphas aus dem Morddezernat sind die von den Drogen handzahme Häschen. Ich will dir keine Angst machen, aber ich will, dass du sehr vorsichtig bist. Und es ist gut, dass du erst einmal für ein paar Tage aus der Schusslinie kommst.«

»Und was ist mit diesem Tyron?«

»Hm.« Isleen biss in ihr Sandwich und kaute bedächtig. »Tyron gehört nicht wirklich zu denen. Eigentlich ist er ein Einzelgänger. Die anderen haben allerdings Respekt vor ihm, weil er ein verdammt guter Ermittler ist. Im Moment jedoch ist er wegen der Beförderung ziemlich sauer auf mich. Und über Frauen hat er äußerst konservative Ansichten. Deswegen ist Vorsicht durchaus angebracht.«

»Darum ist er also nicht mit uns gefahren, sondern kommt allein nach Killarney?«

»Genau. Und jetzt lass uns hier fertig werden, damit Tyron nicht vor uns am Tatort eintrifft.«

Killarney/Innisfallen

Um kurz nach zwei erreichten sie den Parkplatz von Ross Castle. Isleen spürte die Anstrengungen der Fahrt. Langsam ließ sie ihre verspannten Schultern kreisen, während sie über den nur mäßig besuchten Platz schaute. Doch es wunderte sie nicht, dass kaum ein Fahrzeug dort abgestellt war. Zum einen war es mitten in der Woche und zum anderen lockte der März keine Reisebusse, die täglich hunderte von Touristen, die sich die alte Burg aus dem 15. Jahrhundert oder den Lough Leane ansehen wollten, ausspuckten. Ihr aufmerksamer Blick fing einen unscheinbaren Wegweiser ein, auf dem Visit InnisfallenIsland stand.

Der schmale, geteerte Weg führte durch ein lichtes Buchenwäldchen und endete in einer betonierten Plattform direkt am See. Auf einer verwitterten Bank saß ein vierschrötiger Mann in einem ausgebeulten Aran-Pullover, auf dem Kopf eine Docker-Cap und im Mund eine Tabakpfeife. Neben ihm döste ein älterer Garda, die Augen geschlossen und sein Gesicht mit dem grauen Backenbart und einem Walrossschnäuzer der Sonne zugewandt. Der Mann mit der Docker-Cap stieß den Polizisten in die Seite, was dieser mit einem übellaunigen Brummen kommentierte. Er öffnete die Augen, blinzelte in Isleens Richtung und sprang mit einem weiteren Brummen auf.

»Tut mir leid, Ma’am, heute keine Fahrten zum Kloster«, rief er aus und hob abwehrend die Arme.

»Wir müssen aber hinüber«, antwortete Isleen mit dem für sie typischen Lächeln und zog ihren Dienstausweis heraus. »Detective Feeney und das ist Detective Davis.«

»Ähm, Guten Tag! Sergeant Grady«, reagierte der Garda sichtlich verwirrt und musterte abschätzend das Gespann.

Eine Frau und ein Grünschnabel, ging es ihm durch den Kopf. Armes Irland!

»Liam wird Sie rüberbringen.« Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter.

»Wer ist schon auf der Insel?«

»Das Team der Spurensicherung und Doktor Mullen, der Rechtsmediziner.«

»Und Detective Sheehan?«

»Tut mir leid. Sie sind die ersten Detectives heute.«

»Wer hat die Leiche gefunden?«

»Touris aus England. Eine Familie. Vater, Mutter, ein Sohn und eine Tochter. Die sind mit einem Wohnmobil hier und bleiben bis übermorgen in Killarney. Habe sie befragt. Wussten aber nix. Sie kommen morgen früh ins Revier und unterschreiben ihre Aussagen.«

»Und wie sind die zur Insel gekommen?«

»Liam hat sie gefahren. War seine erste Fuhre heute Morgen. Hat auch schon seine Aussage gemacht. Sie können aber gern noch mal mit ihm reden.«

Das ist aber nett, dass ich das kann, dachte Isleen amüsiert. »Das werde ich tun. Danke!«

Sie schlenderte zu der Bank hinüber und setzte sich. »Detective Isleen Feeney. Guten Morgen. Würden Sie mir bitte erzählen, was Sie auf der Insel erlebt haben.«

Der Mann musterte sie unverhohlen und zog an seiner Pfeife. Eine würzig riechende Rauchschwade wehte in Isleens Richtung.

»Dia duit[Fußnote 3]!« Seine Stimme war tief und wohlklingend. »Also, die vier Touris tauchten gegen halb neun hier auf. Ich hab´ sie rübergefahren, mir ein Pfeifchen gegönnt und zugesehen, wie sie mit vielen Ohs und Ahs die Ruine erkundeten. Dann sind sie in die Kirche rein und sofort ging ein fürchterliches Geschrei los. Ich bin dann natürlich hinterher, weil ich dachte, dass was Schlimmes passiert ist.«

»Es ist ja auch etwas Schlimmes passiert«, warf Isleen mit hochgezogener Augenbraue und schief gelegtem Kopf ein.

»Nee, ich dachte, dass einem von denen vielleicht ein Stein auf den Kopf gefallen ist. So was halt. Na, ich also in die Kirche und da sah ich den Schlamassel. Und ich bemerkte zufällig, dass der junge Rotzlöffel heimlich Fotos mit dem Handy machte. Hab’s ihm weggenommen. Das gab ja vielleicht ein Geschrei von dem Balg und der Alte von dem fing auch noch an zu meckern. Aber ich hab’s nicht rausgerückt. Als Owen Grady endlich auftauchte, hab´ ich es ihm übergeben. Der hat dann dafür gesorgt, dass die Bilder gelöscht wurden.«

Isleen nickte. »Vielen Dank, dass Sie so umsichtig gehandelt haben, Liam.«

»Da nicht für«, wehrte er mit einer kleinen Geste ab.

»Ist Ihnen denn sonst noch irgendetwas aufgefallen? War etwas anders als üblich? Haben Sie vielleicht jemanden auf dem Wasser oder am Ufer gesehen, der sich merkwürdig verhielt?«

»Nee! Wir waren ja so früh dran, dass noch niemand auf dem See war. Und die Backpacker kommen erst später. Na, und die paar Bustouris saßen zu der Zeit noch am Frühstückstisch.«

»Was Sie mir erzählt haben, haben Sie auch Grady erzählt?«

»Genau so. Er hat alles notiert und morgen unterschreibe ich es.«

»Prima. Nochmals herzlichen Dank.« Isleen stand auf und ging zurück zu Kilian und Grady, die sich scheinbar hervorragend unterhielten.

»Sergeant Grady, würden Sie bitte Ihren Kollegen Bescheid geben, dass sie einen SOKO-Raum für uns einrichten?«

»Ähm.« Grady kratzte sich am Kopf. Es konnte doch nicht sein, dass eine Frau ihm Befehle gab. Dann entdeckte er einen Mann den Weg entlangkommend und atmete dankbar auf. »Ah, da kommt wohl Ihr Kollege!«

Isleen drehte sich um und sah Tyron, die Hände lässig in den Hosentaschen vergraben und ein selbstbewusstes Lächeln auf dem Gesicht.

»Na, wenn das kein Timing ist, Tyron.«

»Du weißt doch, Pünktlichkeit ist eine meiner Stärken«, gab er grinsend zurück.

»Sir!« Grady hatte Haltung angenommen und tippte an seinen Mützenschirm. »Liam wird Sie zu der Insel bringen. Und ich kümmere mich gleich um den SOKO-Raum.«

»Sagen Sie das nicht mir, Sergeant. Detective Feeney ist die Ermittlungsleiterin.« Sein Grinsen vertiefte sich.

»Ähm! Oh! Ja dann, tut mir leid, Ma’am«, stammelte der Garda und sah Isleen mit großen Augen an.

»Schon gut, Officer Grady. Wenn Sie so nett wären, uns in einem guten B&B drei Zimmer zu reservieren.«

»Ja, Ma’am! Meine Schwester führt eine sehr gute Pension. Und ein hervorragendes Frühstück macht sie auch.«

Vetternwirtschaft! Auch das Frühstück konnte sich Isleen lebhaft vorstellen: Bohnen, Speck, Eier, Black Pudding und Würstchen – alles, was ein Männerherz höherschlagen ließ. Hoffentlich hatte die Dame des Hauses auch Obst und Müsli im Angebot. Grady hatte Glück, dass Isleen im Moment nicht in der Laune war, sich über Begünstigungen von Verwandten oder ein ungesundes Frühstück auszulassen. Sie wollte schnellstmöglich zum Tatort.

»Gut. Die Adresse können Sie uns später noch geben. Und jetzt würden wir gern übersetzten.«

Nachdem Liam sorgfältig seine Pfeife an einem Felsen ausgeklopft hatte, erhob er sich und kam gewichtigen Schrittes auf die kleine Gruppe zu.

»Ihr müsst Rettungswesten anziehen. Vorschrift!« Ohne ein weiteres Wort marschierte er zu einem Holzsteg, an dem zwei überlange Ruderboote auf den sanften Wellen des Sees dümpelten. Dann hielt er jedem eine Weste entgegen und wies auf eines der in dunklem Rot gestrichenen Boote, an dessen Heck bereits ein Außenborder eingehängt war. Isleen stieg zur Verwunderung des alten Seebärs, trotz ihrer mit einem mittelhohen Absatz bewehrten Stiefel und des engen Rocks, ohne Probleme in das schwankende Boot und ließ sich auf die Ruderbank direkt vor Liam nieder. Es war ein sonniger Tag und eine warme Brise zog über den Lough Leane. Trotzdem war sie froh, dass sie ihren Daunenparker trug. Tyron tat ihr fast schon leid in seinem ledernen Blouson. Aber er hatte gewusst, dass eine Fahrt über das Wasser zu erwarten war, also hielt sich ihr Mitgefühl in Grenzen.

Liam löste die Festmacher und startete den Motor. Dann lenkte er das Boot gekonnt durch den Schilfgürtel hinaus auf den See.

»Sagen Sie, Liam, wenn ich bei Dunkelheit hinaus nach Innisfallen will, was würden Sie mir raten?«

»Die Finger davon zu lassen«, antwortete er knapp.

»Warum?«

»Weil es zwischen hier und der Insel einige Untiefen gibt.«

»Das heißt, wenn man sich nicht auskennt, könnte man irgendwo auflaufen?«

»Und ertrinken!« Dann gab er einen Seufzer von sich. »Also gut. Hier ist es nachts verdammt dunkel. Dazu kommen noch einige Oberflächenströmungen, die einen vom angepeilten Ziel ganz schnell versetzen können, gerade in der Dunkelheit.« Nach einer Pause fuhr er fort: »Wenn jemand mit ´ner Leiche, und darum geht’s ja wohl bei Ihrer Frage, zur Insel will, muss er sich verdammt gut auskennen.«

»Und er benötigt ein stabiles Boot«, überlegte Isleen laut. »Könnte er sich hier eins gemietet haben?«

Ohne zu antworten, drehte Liam nach links ab und steuerte auf die Mündung eines schmalen Kanals zu. Dann drosselte er den Motor.

»Da, suchen Sie sich eins aus!« In dem schmalen Wasserlauf lagen rund fünfzig Boote von der Art, wie Liam es fuhr.

»Und die kann man alle mieten?«, rief Kilian überrascht aus, der dem Gespräch zwischen seiner Chefin und dem Bootsführer aufmerksam gelauscht hatte.

»Nun, nicht alle, aber die meisten«, bestätigte Liam nickend und nahm wieder Kurs auf den See. »Allerdings nur für den Tag. Bis zum Dunkelwerden müssen sie wieder zurückgebracht werden.«

»Man könnte jedoch eins stehlen?«, warf Isleen ein.

»Wenn man einen Außenborder dabeihat, ja. Denn Rudern bis zur Insel ist nicht.«

Isleen sah zu Tyron hinüber. Er saß auf der vordersten Ruderbank und starrte nach vorn zu der Klosterinsel, die ins Blickfeld kam. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er an dem Gespräch Interesse hatte.

»Was denken Sie denn über diese Sache, Liam?«

»Ich hab´ mich natürlich mit meinen Kumpeln darüber unterhalten. Also wenn das Mädchen noch lebte, dann wäre sie selbst ins Boot gestiegen und gut wär’s gewesen. Aber wenn sie schon tot war, wird die ganz Geschichte etwas kniffliger.«

»Wie meinen Sie das?«

»Gute Frau, ich habe mal versucht, einen Sack Kartoffeln vom Steg aus ins Boot zu bekommen. Der Sack landete im Wasser und ich beinahe auch. Und falls der Kerl die Tote einfach ins Boot geworfen haben sollte, dann sähe man es der Leiche mit Sicherheit an.«

Isleen biss sich auf die Unterlippe und dachte nach. Der Doktor würde auf jeden Fall erkennen, ob der Leichnam post mortem verletzt wurde. Und ob die Klosterruine der Tatort war, würde sich ebenfalls schnell zeigen. Wahrscheinlich blieb ihnen nichts anderes übrig, als alle Bootsbesitzer am Lough Leane zu befragen und die Boote unter die Lupe zu nehmen. Innerlich verdrehte sie die Augen über solch einen Aufwand.

»Was glauben Sie und Ihre Freunde denn, wie die Frau auf die Insel kam?«

Liam schob seine Cap in den Nacken und kratzte sich am Kopf. »Wir würden, wenn sie schon tot war, eine flache Bucht aussuchen, in der wir die Leiche problemlos ins Boot schaffen können. Da wir aber keine Lust hätten, uns mit einer Toten auf dem Arm kilometerweit durch Büsche und Felsen zu schlagen, würden wir eine flache Bucht wählen, zu der wir mit dem Auto kämen und ein Boot slippen könnten.«

»Und wie viele gibt es davon am See?«

»Vier«, antwortete Liam wie aus der Pistole geschossen. »Wobei zwei davon für meinen Geschmack zu weit weg von Innis sind. Also am cleversten wäre der Deenagh Point. Der ist dort.« Er wies mit dem ausgestreckten Arm nach rechts zu einer schmalen Landzunge. »Da kommt so gut wie nie jemand lang und es ist bis zur Insel nur halb so weit wie von Ross Castle.« Zufrieden lehnte er sich zurück. Hatte er doch die Vermutungen von sich und seinen Freunden geschickt weitergeben können. Aber er musste auch zugeben, dass es ohne die Steilvorlage dieser Feeney schwieriger geworden wäre. Doch so, wie sie ihn jetzt ansah, beschlich ihn das Gefühl, dass sie seinen Plan durchschaut hatte. Rasch rückte er seine Cap wieder zurecht und wies mit der Hand nach vorn. »In zwei Minuten sind wir da.«

»Danke, Liam. Es wäre nett, wenn Sie uns die vier Buchten nachher auf einer Karte einzeichnen könnten.« Isleen lächelte und zog eine Visitenkarte aus ihrer Tasche. »Falls Ihnen und Ihren Freunden noch etwas einfällt, dann melden Sie sich einfach bei mir.«

Innisfallen war eine circa neun Hektar große, dicht bewaldete und recht steinige Insel. Keine dreißig Meter vom Bootsanleger entfernt erhob sich die Ruine des Klosters, das bereits im 6. Jahrhundert von dem Heiligen Finian gegründet wurde.

Isleen blieb auf dem betonierten Steg stehen und ließ ihren Blick langsam über das Gelände schweifen. Ihre Augen verharrten bei einer uralten Eibe, die gnädig ihre mächtige Krone aus Ästen und Zweigen wie einen Schirm über die zerfallenen Klostermauern spannte. Einzig die Chormauer der ehemaligen Kirche, mit zwei langen, romanischen Fensternischen, erhob sich, dem Verfall trotzend, neben dem Baum, der für Tod und ewiges Leben stand.

»Warum ausgerechnet hier?«, sagte Isleen mehr zu sich selbst, aber laut genug, dass Tyron, der hinter ihr stehen geblieben war, es hören konnte.

»Und warum das Risiko, mit einer toten oder eventuell lebenden Frau, die sich wehren könnte, eine nicht ganz ungefährliche Bootsfahrt auf sich zu nehmen?« Tyron ging an ihr vorbei und folgte Kilian, der bereits das Ufer erreicht hatte. Mit einem stillen Seufzer folgte Isleen ihm langsam.

»Übrigens, die letzten Besucher haben die Insel gestern gegen Viertel vor fünf verlassen«, bemerkte Tyron wie nebenbei.

»Woher weißt du das?«

»Weil ich vor euch hier war und mich schon ein wenig umgehört habe«, antwortete er gleichmütig.

Isleen sah ihn überrascht an. Sie hätte wetten können, dass Tyron die Gelegenheit ausgenutzt hätte, um als Erster am Tatort zu sein.

»Am Kassenhäuschen stand, dass die letzte Abfahrt zur Insel zu dieser Jahreszeit um vier ist«, fuhr Tyron gelassen fort. »Ich habe mich dann mit dem Kartenknipser unterhalten und er bestätigte, dass die Touris um fünf wieder zurück waren.«

»Die Dämmerung setzt gegen sechs ein. Das heißt, dass es gegen sieben richtig dunkel ist«, bemerkte Kilian.

»Und?«, warf Tyron unfreundlich dazwischen.

»Wenn um fünf keiner mehr auf der Insel war, hätte der Täter doch schon rüberfahren können. Ein Boot auf dem Wasser ist doch nichts Auffälliges. Außerdem, von Ross Castle aus, kann man gar nicht sehen, was auf der Insel passiert. Und sonst ist ringsherum doch nur Wald.«

»Du meinst, dass er schon im Hellen rübergefahren ist und später mit ausreichend Tageslicht zurück«, hakte Isleen nach.

Kilian nickte. »Und es sind doch so gut wie keine Touristen unterwegs, auch nicht auf dem Rundweg um den See. Und selbst wenn ihn einer gesehen hätte, hätte der sich nichts dabei gedacht.«

»Du könntest recht haben«, stimmte Isleen zu. »Aber bevor wir hier weiter spekulieren, sehen wir uns erst einmal die Tote an und hören, was die Spurensicherung und der Rechtsmediziner zu sagen haben.«

Ein junger Garda lehnte an der Kirchenmauer. Als sich die Detectives auf ihn zubewegten, nahm er Haltung an, grüßte formell und hob das polizeiliche Absperrband hoch.

»Die soll ich Ihnen geben und darauf achten, dass Sie die auch anziehen.« Er hielt den Dreien Einmalhandschuhe und Schuhüberzieher entgegen. »Hat Jackson gesagt«, ergänzte er mit entschuldigender Miene.

»Danke!«, reagierte Isleen mit einem Lächeln und streifte die Sachen über. »Wo finden wir Jackson?«

»Im Chorraum beim Altar und Doktor Mullen müsste auch dort sein.«

Ihr Weg führte entlang der Reste der südlichen Kirchenmauer, bis sie auf einen Durchbruch stießen, der ehemals ein Seiteneingang des Kirchenschiffs gewesen sein mochte. Sie betraten den Innenraum. Den Wind und Wetter ausgesetzten Boden aus festgestampfter Erde überdeckte eine Schicht feiner Kies. Doch buckliges Moos hatte viele Stellen erobert und strahlte in hellem Grün dort, wo Touristenfüße seinen Wuchs nicht gestört hatten.

»Isleen!«, hallte es fröhlich durch das alte Gemäuer. Ein drahtiger Mann Mitte fünfzig eilte mit einem breiten Grinsen im Gesicht, die Grabplatten im Boden sorgfältig umgehend, auf die Neuankömmlinge zu. »Herzlichen Glückwunsch! Hab’s gerade erfahren, als wir uns auf den Weg hierher machten. Ich freue mich so für dich! Hätte nicht gedacht, dass die Häuptlinge eine Frau nehmen würden. Aber du bist eindeutig die Beste für den Job.«

»Danke, JJ«, antwortete Isleen lächelnd. Dann warf sie einen schnellen Blick hinüber zu Tyron, der ein Stück hinter ihr stand und anscheinend interessiert ein in Stein gemeißeltes Gesicht an einem Kapitell begutachtete.

Jacob Jackson, Leiter der Forensik, folgte ihrem Blick und fuhr sich mit der Hand über seinen haarlosen, glänzenden Schädel. »Oha, da bin ich ja wohl ins Fettnäpfchen getreten. Hi, Tyron, nichts für ungut!«

»Ich werde es verkraften, JJ«, erwiderte der Detective mit einem säuerlichen Zug um den Mund und stellte sich neben Isleen.

»Und wer bist du, junger Mann?«

»Kilian Davis, Sir. Bin heute meinen ersten Tag beim Morddezernat.«

»Und dann gleich ein richtig guter Fall! Gratuliere. Hier kannst du echt was lernen, Junge.« Er klopfte Kilian leicht auf die Schulter. »Übrigens, ich bin JJ. Gut, dann lasst uns mal rübergehen, damit sich unser guter Doktor Mullen nicht so einsam fühlt.«

Der kleine, dickliche Rechtsmediziner stand hinter dem einstmaligen Altar und sah der Gruppe neugierig entgegen. Isleen kannte ihn nicht, was in Anbetracht der Tatsache, dass sie noch nie so weit im Südwesten von Irland an einem Fall mitgearbeitet hatte, auch nicht verwunderlich war.

»Das ist Dr. Peter Mullen. Er gilt in den Kreisen der Rechtsmedizin als Genie. Hat sein Schnippelkabinett in Cork«, erklärte JJ mit einem breiten Grinsen. Dann stellte er die Detectives vor.

»So, dass hier ist unser unglückliches Mädchen«, fuhr er fort und wies mit der Hand auf den Altar. »Wir haben sie erst einmal Maria genannt. Wie sie wirklich heißt, müsst ihr herausfinden. Wir sind hier im Innenraum so weit fertig und der Doc hat auch alles erledigt. Wir haben nur noch auf euch gewartet.«

»Dann kann ich sie mir genauer ansehen?« Isleen trat an den Altarstein.

»Klar, kannst sie sogar anfassen.« JJ stellte sich neben den Doktor und stieß ihm leicht in die Rippen. »Dann wollen wir doch mal sehen, was das Mädel draufhat. Was, Mullen?«

Der Doktor funkelte Jackson empört an. Es schien, als käme er mit der laxen Art des Forensikers nicht besonders gut klar.

Isleen betrachtete das ebenmäßige Gesicht. Die Augen der noch sehr jungen Frau waren geschlossen und ihre Lippen schienen ein kleines Lächeln für den Betrachter bereitzuhalten, gerade so, als würde sie im Schlaf von einem schönen Traum umfangen. Auf ihrem Kopf trug sie einen weißen Blütenkranz, der einen hauchzarten Schleier hielt und ihr dickes blondes Haar war zu einem lockeren Seitenzopf geflochten, der ihr fast bis hinunter zur Taille reichte. Ihre Hände waren wie zum Gebet gefaltet, in ihnen eine Blume mit weißer Blüte. Ihr Kleid aus weißem Taft war am Hals und den Ärmeln leicht gerüscht und umspielte locker ihren Körper. Es wies weder Knitter noch Schmutzflecken auf.

Isleen griff an den Saum des Gewandes. Mit Erstaunen stellte sie fest, dass es sich um einen billigen Stoff handelte, der so unprofessionell bearbeitet worden war, dass sie an ein Karnevalskostüm erinnert wurde. Schließlich betrachtete sie die makellosen, nackten Füße der Toten. An den Sohlen konnte Isleen keinerlei Schmutzspuren erkennen, dafür stieg ihr ein zarter Duft nach Kräutern in die Nase. Anzeichen für die Todesursache fand Isleen nicht. Sie berührte sacht den Arm der Toten. 

»Die Leichenstarre löst sich bereits«, stellte sie fest. »Also muss sie vorgestern zwischen frühem Nachmittag und Mitternacht gestorben sein?«

Mullen nickte. »Ich denke, wenn wir von 36 Stunden plus minus zwei Stunden ausgehen, liegen wir richtig. Nach der Autopsie kann ich es weiter eingrenzen.«

»Was glauben Sie, wie Maria getötet wurde?«

»Nun, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, und nageln Sie mich bloß nicht darauf fest, aber ich glaube, dass uns der Täter einen Hinweis hinterlassen hat.« Er deutete mit der Hand auf die Blume. »Papaver Somniverum.«

»Schlafmohn!«, schoss es förmlich aus Kilian heraus.

»Schlafmohn?«, wiederholte Isleen irritiert. »Der Anbau ist bei uns verboten.«

»Das stimmt nicht ganz«, widersprach Kilian. »Als Schnittblumen können sie von zertifizierten Gärtnereien verkauft werden. Und in kontrollierten Kloster- oder Apothekergärten dürfen sie für die Herstellung von Medikamenten angebaut werden.«

»Respekt!«, entfuhr es Jackson. Selbst Tyron nickte dem jungen Kollegen anerkennend zu.

»Danke, Kilian, für die Info. Doktor, Sie glauben, dass man ihr die Überdosis eines Opiats verabreicht hatte?«

»In der Tat. Dieser friedliche, fast glückliche Gesichtsausdruck und dann die Blume. Ich habe, gleich als ich ankam, eine Speichelprobe genommen und sofort an das Labor geschickt. Vielleicht hat sich der Wirkstoff noch nicht verflüchtigt. Falls doch, müssen wir die Obduktion abwarten.«

»Apropos! Für wann haben Sie die Leichenschau geplant?«

»Hab noch zwei Kandidaten auf dem Tisch. Darum schlage ich morgen um 9.00 Uhr vor.«

»Darf ich das machen?«

Erstaunte Blicke trafen Kilian.

»Du willst zur Autopsie?«, fragte Isleen verwundert.

»Absolut. Ich finde das total spannend.«

»Kilian, du wirst mir immer sympathischer«, bemerkte Tyron und zwinkerte dem jungen Kollegen zu. Die Anwesenheit bei Obduktionen war nicht gerade seine Lieblingsbeschäftigung.

Kilian legte seine Hand aufs Herz und deutete eine leichte Verbeugung an.

»Zwei Dinge wären da noch. Das Kleid ist aus billigem Stoff und laienhaft genäht worden. Das ist kein richtiges Brautkleid, also ist Maria auch keine wirkliche Braut.«

»Doch, Isleen, es ist eine Braut.« Tyron, der sich bis jetzt zurückhaltend gezeigt hatte, räusperte sich. »Eine Braut Christi. Genau diese Art von Kleidern tragen Postulantinnen, wenn sie als Novizinnen im Kloster aufgenommen werden.«

»Was für Postulantinnen?«

»Sie ist nicht katholisch. Sie kann das nicht wissen«, erklärte Tyron in die Runde. Es sollte sich wie ein kleiner Scherz über Isleens Unwissenheit anhören, doch der zynische Unterton, den Tyron in seine Stimme gelegt hatte, machte es für sie zu einer Demütigung.

Mullens Augenbrauen schossen in die Höhe. »Mögen Sie keine Protestanten, Detective? Ich bin ebenfalls einer - oder mögen Sie ihre Kollegin nicht?«

»Es war nur ein Scherz.« Tyrons Wangen überzogen sich mit Röte.

»Dann ist ja gut«, kam die harsche Reaktion. »Dann plaudern Sie doch mal ein wenig aus dem katholischen Nähkästchen.«

Tyron räusperte sich verlegen. »Das Postulat ist eine Art Probezeit, in der die Frau herausfinden kann, ob sie tatsächlich für das klösterliche Leben geeignet ist. Danach wird entschieden, ob die Frau das Noviziat, so eine Art Ausbildungszeit antreten kann. In dieser Zeremonie, die häufig als Verlobung mit der Kirche, manche sagen, mit Christus, dargestellt wird, wird in einigen Orden die Postulantin als Braut eingekleidet.«

»Und der Duft an ihren Füßen, gehört der auch dazu?«

»Das könnte eine Fußsalbung sein, die manchmal bei Verstorbenen gemacht wird.«

»Das heißt, wir suchen nicht nach einem realen Bräutigam als möglichen Verdächtigen, sondern einem religiösen motivierten Täter«, schlussfolgerte Mullen.

Isleen spürte ein Prickeln in ihrem Nacken. Ihr Blick fiel auf die einsame, weiße Blume in den Händen der Toten. Dann kam ihr ein schrecklicher Gedanke. »Eine Blume für das erste Opfer?«