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Die legendäre Kopfgeldjägerin Ava Sharp hat wieder mal einen Auftrag, aber zunächst muss sie in der Bergwildnis der Sierra Nevada einem rachedurstigen Gangster entkommen, ehe sie sich ihrer Hauptaufgabe stellen kann, einer Gangsterbande auf den kalifornischen Goldfeldern das Handwerk zu legen. Mehr denn je ist Ava auf die Gunst des Schicksals angewiesen, und es führt sie mit zwei weiteren Legendengestalten des alten Westens zusammen. Aber selbst Berühmtheiten vom Kaliber Ava Sharps, eines mexikanischen Freiheitshelden und eines sehr seltsamen, schießwütigen Mönchs müssen alle Glückstaler einlösen, die sie je gesammelt haben, um die Konfrontation mit der Krakenbande überhaupt zu überleben, geschweige denn, zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen ...
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Ava und der Freiheitsheld
Vorschau
Impressum
Ava und derFreiheitsheld
Die legendäre Kopfgeldjägerin Ava Sharp hat wieder mal einen Auftrag, aber zunächst muss sie in der Bergwildnis der Sierra Nevada einem rachedurstigen Gangster entkommen, ehe sie sich ihrer Hauptaufgabe stellen kann, einer Gangsterbande auf den kalifornischen Goldfeldern das Handwerk zu legen.
Mehr denn je ist Ava auf die Gunst des Schicksals angewiesen, und es führt sie mit zwei weiteren Legendengestalten des alten Westens zusammen. Aber selbst Berühmtheiten vom Kaliber Ava Sharps, eines mexikanischen Freiheitshelden und eines sehr seltsamen, schießwütigen Mönchs müssen alle Glückstaler einlösen, die sie je gesammelt haben, um die Konfrontation mit der Krakenbande überhaupt zu überleben, geschweige denn, zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen ...
Ava preschte in halsbrecherischem Tempo am Rand des Abgrunds entlang. Sie duckte sich tief über den Hals ihrer gefleckten Stute und trieb sie zu höchstem Tempo an. Sie hatte das Pferd in Carson City gekauft, kurz nachdem sie Little Benjie McCabe erschoss, weil er sich seiner Verhaftung widersetzte.
Persönlich hatte sie nichts gegen Benjie, sie kannte ihn auch nur vom Steckbrief. Er war ein übles Kaliber gewesen und wegen Mordes, schweren Raubs und Vergewaltigung gesucht worden.
Ava sagte ihm auf den Kopf zu, dass er der Gesuchte sei – er leugnete es. Er verkehrte in der Silberminenstadt unter falschem Namen.
Als sie sich zu erkennen gab – Ava Sharp, der Engel des Todes, Kopfgeldjägerin, Pinkerton-Agentin und noch einiges mehr – wollte er sich nicht länger hinter seiner falschen Identität verstecken.
»Dann ergebe ich mich«, hatte er gesagt. »Ava Sharp ist noch keiner entkommen.«
In ›Mackenzies Gambling Hall‹ verständigte er sich per Blick mit zwei Komplizen. Der eine war der Bankhalter am Farotisch, der andere der Barkeeper hinterm Tresen, der die durstigen Kehlen abfüllte.
Der Gambler, ein geschniegelter Typ mit enorm langen Koteletten, sagte »Augenblick mal« und schüttelte seinen Derringer aus dem Ärmel. Der Barkeeper griff unter den Tresen, um die Shotgun hervorzuholen.
Little Benjie – er sah aus, als könnte er kein Wässerchen trüben – griff nach seinem Revolver. Ava handelte instinktiv, denn zum Nachdenken hatte sie keine Zeit. Im Reflex schoss sie zuerst auf den Bankhalter, weil der mit dem Derringer am schnellsten war und die größte Gefahr darstellte – und traf die Perle an seiner Plastronkrawatte.
Die Kugel trieb ihm diese Perle oberhalb des Brustbeins in den Leib. Der Gambler sagte etwas, was sich wie »Urrgh« anhörte, und kippte vom Hocker. Ava sah Little Benjies Revolver. Bevor er ihn auf sie richten konnte, verpasste sie ihm eine Kugel.
Little Benjie hatte sich rasch zur Seite bewegt und wurde nicht so getroffen, wie Ava es wollte – in der Schulter, um ihn kampfunfähig zu machen. Er feuerte, von ihrer Kugel gestoßen, knapp vorbei und kassierte die nächste Kugel.
Weil er noch immer in Bewegung war und Ava schon auf den Barmann achten musste, traf sie ihn ins Herz. Der Barkeeper riss die abgesägte Shotgun hoch.
Es war ihm gleich, dass er auch noch andere traf, wenn er abdrückte. Warum, das begriff Ava später.
Der Barmann – mit langem Haarkränzchen um die Glatze und einem buschigen Backenbart – schaute in die Mündung von Avas Revolver.
»Willst du sterben?«, fragte sie ihn mit klirrender Stimme.
Er hatte die Hähne gespannt. In der Gambling Hall gellten Schreie. Spieler und Personal und überhaupt alle in Avas Nähe flitzten weg oder warfen sich flach auf den Boden und küssten die Dielen.
Der Barkeeper glotzte Ava an, als ob er sie fressen wollte.
Schön und schlank, dunkel gekleidet stand sie da, den Hut im Nacken. Ihr Gesicht zeigte keine Angst und keine andere Regung.
Es war eine sachliche Frage, die sie dem Barkeeper stellte.
Er konnte abdrücken, es bedurfte nur eines Zuckens des Zeigefingers. Selbst nach einem Kopftreffer brachte er das noch fertig. Ava würde allerdings auch abdrücken können.
Schweiß perlte auf der Stirn und der Glatze des Barkeepers.
Er zögerte.
»Lass die Knarre fallen!«, forderte ihn Ava auf. »Von dir will ich heute nichts. Was hast du mit diesem Verbrecher zu schaffen?«
»Er ... er ... er ist der kleine Bruder von Galgen John, von Gallow John McMcabe, der hier alles kontrolliert. Ich sollte ein Auge auf seinen Bruder haben. Ihm aus der Klemme helfen, wenn es notwendig wird.«
»Dem kannst du nicht mehr helfen. Sieh ihn dir an, er ist tot.«
»Yeah. Yeah. Aber wenn ich dabei war und es nicht verhindert habe, dann zieht Galgen John mir die Haut ab. Bei lebendigem Leib.«
»Und wenn du die Shotgun nicht fallen lässt, dann verpasse ich dir eine Unze Blei. Die kriegst du auf jeden Fall, auch wenn du abdrückst.«
Der Barkeeper zögerte. Er wog das Für und Wider ab. Es war klar, dass er eine Heidenangst vor Galgen John hatte.
»Ist Galgen John in der Stadt?«, fragte ihn Ava.
»Nein, auf seiner Ranch am Lake Tahoe.«
»Dann solltest du schleunigst das Weite suchen, Mann. Klemm deinen Hintern auf ein Pferd oder steig in die nächste Postkutsche. Bis Galgen John herkommt, bleibt dir Zeit. Bei mir nicht. Also, was wählst du? Tod oder Leben?«
Der Barkeeper zitterte einen Augenblick. Ihm war, als hätte ein eiskalter Finger seine Wirbelsäule berührt. Er ließ die Gun fallen und hob die Hände.
»Also gut – okay. Ich kriege ich auch anderswo einen Job. Du hast eine Art, einen zu überzeugen, Ava Sharp. Stimmt es, dass du schon hundert Mann umgelegt hast?«
»Die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Jeder macht was dazu. Ich zähle nicht, wen ich töte – immer in Notwehr oder aus gutem Grund. Doch wer hier dazukommt, sollte einer von euch was versuchen, das kann ich genau sagen. Na, was ist?«
Keiner wollte mehr eingreifen, um sich bei Galgen John beliebt zu machen oder aus Verpflichtung ihm und seinem löblichen kleinen Bruder gegenüber. Man holte den Sheriff. Er nahm zur Kenntnis, dass es bei dem erschossenen jungen Mann mit dem Engelsgesicht um Little Benjie McCabe handelte. Benjies wahre Identität war ein offenes Geheimnis gewesen.
Der Steckbrief, den Ava dem Sheriff zeigte, war eindeutig. Die besonderen Kennzeichen stimmten.
»Wer hätte das gedacht«, sagte der Sheriff von Carson City und kratzte sich hinterm Ohr. »Mussten Sie ihn denn gleich erschießen, Miss Sharp? Und den Spieler dort mit dazu?«
»Es blieb mir nichts anderes übrig. Lassen Sie die Toten zum Sargtischler bringen, Sheriff. Wenn Galgen John wirklich ein so mächtiger reicher Mann ist, wird er seinem jüngeren Bruder sicher ein nobles Begräbnis bescheren. In einem Ebenholzsarg mit Silbergriffen und Verzierungen und einer Blaskapelle, die den Trauermarsch spielt. Das wird sicher sehr rührend. Lassen Sie uns in Ihr Office gehen. Dort will ich meine Belohnung haben – das Kopfgeld. Wir wollen ein Wörtchen reden.«
Der Sheriff nickte. Keiner hielt ihn und Ava auf, als sie die Spielhalle verließen. Hinter ihnen setzte ein Stimmengewirr ein.
»Habt ihr das gesehen ...«
Und: »Du solltest dich schleunigst aus dem Staub machen, Duke.« Das galt dem Barkeeper. »Du warst dabei, als der Junge erschossen wurde, hast es nicht verhindert und seinen Tod auch nicht gerächt.«
Das hätte der Barkeeper tun müssen, Ava Sharp in Stücke schießen, auch wenn noch andere von dem Buckshot verletzt worden wären.
Der Barkeeper zog seine Schürze aus und warf sie auf den Tresen.
»Bin schon weg.«
»He!«, rief ihm ein Animiergirl nach, als er die Spielhalle verließ. »Willst du nicht deinen restlichen Lohn kassieren?«
»Ein guter Vorsprung ist mir lieber. Galgen John wird toben. Ihr kennt ihn ja.«
Damit war er weg. Im Sheriff's Office sagte Ava zum Sternträger: »Warum glaube ich Ihnen nur nicht, dass Sie keine Ahnung von der steckbrieflichen Suche nach Galgen Johns kleinem Bruder hatten? Dass Sie nicht wussten, was für ein übler Bursche er ist?«
Der Sheriff saß hinter seinem Schreibtisch. Sie waren allein in dem Office.
»Das verstehst du nicht, Ava. Ich bin hier der Sheriff.«
»Eben drum.«
»John McCabes kleiner Bruder nannte sich hier Billy Bronco. Es war ein offenes Geheimnis, dass das nicht sein richtiger Name war und er John McCabes Bruder war. Doch alle taten so, als ob sie es nicht wussten.«
»Du auch, Sheriff.«
»Was sollte ich tun? In Nevada wird Benjie McCabe nicht gesucht. Sein großer Bruder kontrolliert hier alles. Er hielt ihn im Zaum. Einigermaßen jedenfalls. Gegen Galgen John McCabe liegt nichts vor. Jeder weiß, dass er mehrfach den Tod verdient hat. Oder zumindest lebenslänglich ins Zuchthaus gehört. Doch man kann ihm nichts nachweisen.«
Ava setzte sich auf die Schreibtischkante.
»Das ist eine miese Stadt, und du bist ein schlechter Sheriff. Das soll mich aber nicht kümmern, obwohl ich es melden werde. Das Weitere geht mich nichts mehr an – es sei denn, man schickt mich. Ich will meine Belohnung.«
»Die kannst du haben. Fünftausend Dollar. Ich lasse das Geld von der Bank kommen – nein, ich gebe dir einen Scheck. Dann solltest du besser schnell fortreiten, Ava. Wenn Galgen John hört, dass du seinen kleinen Bruder erschossen hast, wird er ihn rächen wollen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.«
»Heutzutage ist nichts mehr sicher.« Ava stand auf. »Nicht einmal das. Es gibt immer wieder Überraschungen.«
Wenig später ritt sie aus der Stadt, der Sierra Nevada zu. Das offene Geheimnis war geplatzt, als Little Benjie tot dalag. Vorher hatte man nur gemunkelt, was den angeblichen Bronco Billy betraf. Im Westen geschah viel, das Gesetz war der Colt. Ein raffinierter und harter und skrupelloser Mann wie Galgen John konnte eine ganze Stadt unter sein Joch zwingen.
Er bestimmte, wo es langging. Sogar das Gesetz, vertreten durch den Sheriff, beugte sich ihm. Ava hatte ihre Verbindungen und Kontaktleute, sie würde es melden, aber es war nicht ihr Job, gegen Galgen John vorzugehen und Carson City von ihm zu befreien. Dafür sollte die Regierung State Marshals schicken.
Schon in der ersten Nacht in der Sierra Nevada bemerkte Ava, dass sie verfolgt wurde. Eine starke Bande war hinter ihr her, zu stark, um sich ihr zum Kampf zu stellen. Zweibeinige Sattelwölfe waren das. Sie jagten sie gnadenlos.
Galgen John hatte schnell reagiert. Er brachte fünfzig Mann in den Sattel – er war wohl auch selbst dabei. Er wollte Rache für seinen Bruder – Avas Tod. Und es sollte, wenn irgend möglich, kein leichter Tod sein.
✰
Die Jagd wurde immer wilder und hektischer. Ava hatte ihr Nachtlager abgebrochen. Sie ritt durch die Berge – nach Kalifornien hatte sie ohnehin gewollt. Dort in den Goldfeldern hatte sie ihren nächsten Job, diesmal im Dienst von Wells Fargo.
Galgen Johns Männer hatten sich aufgeteilt – sie kannten die Berge besser als Ava Sharp. Sie mussten wohl auch noch Verbündete haben. Ava musste sich höllisch sputen, wenn die Prämie für Little Benjie nicht die letzte war, die sie je kassierte.
Von verschiedenen Seiten gejagt, preschte sie in den Black Butte Hills am Abgrund entlang. Hinter ihr war die Bande her, ein Teil davon jedenfalls. Sie hörte die Schreie der Verfolger, mit denen sie sich gegenseitig anspornten. Ab und zu schoss einer, obwohl die Entfernung für einen gezielten Schuss noch viel zu weit war.
Vormittag war es. Kühl war die Bergluft, obwohl hell die Sonne am klaren Himmel schien. Schmal war der Weg. Rechts von Ava ging es Hunderte von Yards tief hinab. In der Tiefe rauschte ein Bergbach.
Ava spornte ihr Pferd an, um einen Vorsprung zu gewinnen. Sonst konnte sie einpacken. Der Reitpfad war schmal und unsicher, und sie konnte nur hoffen, dass ihre Stute trittsicher genug war. Bisher war das der Fall gewesen, der Weg allerdings auch ungefährlicher.
Ava schaute zurück. Sie hörte eine Kugel pfeifen, die in der Nähe vorbeiflog. Auf diese Distanz eine Glückssache. Unterhalb von Ava, auf einer tieferen Serpentine, galoppierten Verfolger. Es konnten zwei Dutzend sei – Ava hielt sich nicht mit Zählen auf.
Auf die Verfolger schießen wollte sie auch nicht. Das hätte nur Zeit gekostet.
Schon glaubte sie, die schwierigste Strecke bergauf überwunden zu haben. Auf der anderen Seite bergab ging es leichter. Dort musste, wenn sie die Karten richtig gedeutet hatte, eine Wildnis sein, in der sie vielleicht untertauchen konnte.
Ava glaubte aufatmen zu können. Da gab es einen Ruck, und ihr Pferd stürzte völlig unverhofft. Es flog nach vorn, wie von einem Katapult geschleudert. Die Stute stürzte vom Pfad in den Abgrund.
Ava schaffte es, die Stiefel aus den Steigbügeln zu lösen. Ihr Pferd fiel schrill wiehernd. Es schlug voller Panik mit den Hufen, konnte jedoch nicht durch die Luft laufen. Das Wiehern klang wie eine Trompete.
Ava sauste durch die Luft in den gähnenden Abgrund. Zweihundert Yard ging es hinab. Das überlebte niemand. Die Luft pfiff an Ava vorbei. Die Felswand raste links von ihr vorüber. Rasend schnell ging es, dennoch schien der Fall endlos lange zu dauern.
Aus, dachte Ava Sharp. Du wirst unten zerschmettert, und dir bleibt kein Knochen im Leib heil. Das war's, das Leben und die Laufbahn der Kopfgeldjägerin endeten hier. Dass es, ein krachender Aufprall, vielleicht noch ein kurz zuckender Schmerz, ein schneller Tod sein würde, tröstete Ava nicht.
✰
Ein Bergläufer und Trapper wartete auf dem Pfad direkt an der Absturzstelle auf Galgen John und seine Reiter. Der Boss kam allein. Seine Männer ließ er zurück, denn der Weg war zu gefährlich. Die letzte Strecke zu dem Trapper legte der Big Boss zu Fuß zurück.
Galgen John war groß und knochig. Dunkelhaarig und bärtig. Er trug speckige Kleidung, obwohl sehr reich war und sich Besseres hätte leisten können. Sein Äußeres interessierte ihn nicht.
Er war mit Gewehr und Revolver und einem Bowiemesser bewaffnet. Seine Augen standen eng beieinander. Er sah aus, wie das, was er war – ein harter und skrupelloser Mann, der über Leichen ging.
Sein Gegenüber, der Trapper, trug fransenbesetzte Lederkleidung. Er rauchte eine kurzstielige Pfeife. Sein Gesicht war vom Bart fast zu gewuchert. Von der Figur her war er eher kurz und stämmig.
Über den Weg zwischen einem Strauch und einem Stein war ein Seil gespannt. Es war dunkel gefärbt. Man konnte es nur erkennen, wenn man es direkt vor sich hatte und genau hinschaute. Für jemanden, der nicht damit rechnete, war es eine tödliche nicht zu bemerkende, gemeine Falle.
Niemand rechnete auf einem abgelegenen steilen Bergpfad mit so einer Falle. Das Seil hatte Avas Pferd zum Stürzen gebracht, und beide waren sie kopfüber in den Abgrund gesegelt, Felsklippen und dem rauschenden Wildbach entgegen.
Das schrille Todeswiehern des Pferdes war längst verhallt, auch das von den Bergen widerhallende Echo. Nur das Rauschen des Wildbachs hallte herauf. Ein Felsenadler schrie hoch oben schrill in der Luft und ließ sich mit ausgebreiteten Flügeln in einem Aufwind tragen, ein König der Berge.
Die Probleme der Menschen und Mord und Totschlag interessierten ihn nicht. Viel mehr die Murmeltiere, die einen Großteil seiner Beute und Nahrung darstellten.
Galgen John trat an die Kante des Abgrunds, beugte sich vor und schaute hinunter. Der Trapper warnte ihn.
»Pass auf, dass du nicht runterfällst, Johnnie.« Er war einer der wenigen, die den Big Boss so nennen durften. »Jedenfalls nicht, bevor du mich bezahlt hast.«
»Keine Sorge«, sagte Galgen John. »Wer für den Galgen bestimmt ist, ertrinkt nicht im Fluss.«
Er grinste und wandte sich kurz dem Trapper zu.
»Mir hat mal eine Zigeunerin gewahrsagt, dass ich gehängt würde.«
»Aha, daher hast du den Spitznamen. Meinst du, die Alte hatte recht?«
»Woher weißt du, dass sie alt war, Mountain Ike? Sie war jung und hübsch. Das ist eine heiße Nacht gewesen. Zum Schluss las sie mir aus der Hand.«
Der Bandit – der er in Wirklichkeit war – sah tief unten Avas zerschmettertes Pferd liegen. Das Wasser umspülte es.
Ava selbst sah er nicht.
»Die Schlampe hat der Bach fortgespült«, sagte er. »Das hast du gut gemacht, Ike. Dafür erhältst du eine Belohnung.«
John trat von der Kante weg, zog seinen Geldbeutel und zählte dem Trapper fünfundzwanzig goldene Zwanzig-Dollar-Stücke ab.
»Da, kriech wieder in deine Hütte und lass dich von deiner Squaw wärmen.«
»Das werde ich, aber zuerst gehe ich auf die Jagd. Es war keine Kunst, hier das Seil zu spannen. Ich habe eure Rauch- und Blinkzeichen gesehen, John, und entsprechend gehandelt.« Er leckte sich über die Lippen. »Das war ein bildhübsches Weib. Ich belauerte die Stelle und sah sie, als sie in den Abgrund flog. Mit der hätte man noch was anderes anstellen können.«
»Das war Ava Sharp, die Kopfgeldjägerin. Auch Engel des Todes wurde sie genannt.«
»Nie von gehört.« Der Bergläufer und Trapper interessierte sich nicht dafür, was außerhalb seiner Bergwelt geschah. »Wenn sie der Engel des Todes ist, kann sie sich jetzt mit den anderen Engeln unterhalten. Wieso hattest du es auf sie abgesehen, Johnnie?«
»Sie hat meinen kleinen Bruder erschossen – Little Benjie. Und einen anderen, der ihm helfen wollte, noch mit dazu. Benjie taugte nicht viel, ich hatte eine Menge Ärger und Probleme mit ihm. Doch er war nun einmal mein Bruder. Ich konnte nicht durchgehen lassen, dass jemand ihn umlegt.«
Galgen John schaute zum Abgrund.
»Fünftausend Dollar Belohnung standen auf seinen Kopf. Die hat das Aas kassiert – Ava Sharp. Sie hat die Knete mit in den Abgrund genommen.«
»Der Abgrund wird es zu würdigen wissen«, antwortete Mountain Ike trocken. »Das war's dann für heute. Hier trennen sich unsere Wege.«
Er bückte sich und durchschnitt das Seil, das Avas Pferd zu Fall gebracht und sie in den Abgrund geschleudert hatte.
»Für alle Fälle«, murmelte er. »Hier kommt sonst keiner vorbei, doch sicher ist sicher. Man will ja nicht, das Unbeteiligte sterben.«
Er grüßte John mit einem Nicken.
»Gern wieder zu Diensten. Pass auf dich auf, Galgen John. Lass dich nicht hängen.«
»Das werde ich nicht. Mir gehört Carson City, die ganze Stadt, mit allem Drum und Dran. Auf die Minen im Umkreis habe oder lege ich auch meine Hand. Halt Ausschau, ob wir uns mal wieder melden, Ike.«
»Klar. Das alte Morsealphabet kenne ich ja. Ihr habt mir diese Sharp zugetrieben. Ich hätte sie auch für dich abgeknallt, John.«
»Das ist schon okay. So war es besser. Dann hat sie wenigstens noch was von ihrem Tod gehabt, als sie hinunterstürzte. Sonst hätte sie nicht mal den Schuss gehört. Trotzdem war es eigentlich ein viel zu schneller Tod für dieses Aas. Sei's drum. Schmore in der Hölle, Ava Sharp. Dort kannst du meinem kleinen Bruder die Stiefel putzen.«
Er schaute nicht mehr in den Abgrund. In verschiedene Richtungen gingen Mountain Ike und der Big Boss davon. Der Felsenadler schrie wieder. Er sah von seiner Flughöhe aus eine Bewegung in der Felswand.
Doch er stieß nicht hinab. Für eine Beute, in die er seine messerscharfen Krallen hätte schlagen können, war das, was sich da bewegte, zu groß. Es war Ava Sharp.
✰
Ava stürzte mit rasender Geschwindigkeit kopfüber in den Abgrund. Aus, dachte sie. Doch dann sah sie den Felszacken außerhalb von ihrer Flugbahn. Fliegen konnte sie nicht, wohl aber ihre Haltung verändern, so dass sie die Fallbahn ein wenig veränderte.
Dazu gehörten eine außerordentliche Körperbeherrschung und Kaltblütigkeit. Ava besaß beides. Sie breitete die Arme aus, krümmte sich, gab sich Schwung nach links. Ein Zirkusartist hätte es nicht besser fertiggebracht.