Japan mit dem Zug entdecken - Matthias Reich - E-Book

Japan mit dem Zug entdecken E-Book

Matthias Reich

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Beschreibung

Japan ist ein Land voller Kontraste und faszinierender Landschaften – und mit dem Zug lässt sich all das auf einzigartige Weise entdecken. Dieses Buch zeigt dir, dass eine Zugreise in Japan weit mehr ist als nur eine Möglichkeit, von A nach B zu kommen. Entdecke das Land mit dem legendären Shinkansen, erkunde die japanischen Alpen mit der Hida-Bahn oder genieße die spektakuläre Küstenstrecke entlang der Noto-Halbinsel.

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Unterwegs im hohen Norden

1Soya – Von Asahikawa dahin, wo die Robben wohnen

Quer durch den wildromantischen Nordwesten von Hokkaidō

2Hanasaki – Der einsame Nordosten von Hokkaidō

Kaum eine Gegend in Japan ist abgelegener

3Senmo – Von den Kranichsümpfen bis zum Treibeis

Diese Strecke durchquert den Osten von Hokkaidō von Nord nach Süd

Mit dem Zug durch Japan reisen

4Hakodate – Gemächlich durch Süd-Hokkaidō

Meer, Berge und wilde Natur – Ein Streifzug durch das »alte« Hokkaidō

Die Pazifikküste

5Ōminato – Per Bahn zum Berg der Furcht

Der hohe Norden der Insel Honshū wird kaum besucht

Die besten Reisezeiten

6Izu – Mit dem Sonderzug auf die Izu-Halbinsel

Ein herrlicher Tagesausflug ab Tōkyō

7Sanriku – Im Triebwagen entlang der rauen Küste

Wo der Tsunami Japan am härtesten traf

8Kominato – Per Ferkeltaxi durch die Reisfelder

Im Bummelzug in die tiefste Provinz – nahe Tōkyō

9San’yo – Am Rückgrat von Westjapan

Auf der über 500 Kilometer langen Strecke kann man Tage verbringen

10Kinokuni – Von der Kaiserstadt Kyōto bis nach Shingu

Eine Strecke im Zeichen von Religion und Natur

11Yurikamome – Auf Stelzen durch die Hauptstadt

Mit der vollautomatisierten Yurikamome-Linie durch Neu-Tōkyō

Die Japanmeerküste

12Gono – Mit dem Bummelzug durch Aomori

Die Gono-Linie fährt weitgehend durch fast unberührte Natur

13Akita – Im Mini-Shinkansen von Tōkyō nach Akita

Erst ganz schnell, dann gemächlich: Dieser Shinkansen ist etwas anders

Meine TOP 10

14Uetsu – Wo der Reisanbau herkommt

Für Küstenfans ist diese Linie ein Highlight

15Izumo – Nachtzug quer durch Japan

Über Nacht mit viel Komfort von Tōkyō bis ins ferne Izumo

16Echigo – Meterhoher Schnee und ein Gourmet-Zug

Ein Abstecher in die weniger gut besuchte Präfektur Niigata

17Kyōtango – Kyōto mal ganz anders

Der Hinterhof der alten Kaiserstadt wird gern übersehen

18Noto – Wilde Schönheit

Die Spezialisten für Onsen und Lackwaren

Kyushu und Shikoku

19Dosan – Kreuz und quer über die Insel Shikoku

Eine Reise von der Nord- zur Südküste

20Yosan – Hinter sieben Bergen und sieben Tälern

Von Matsuyama geht es tief in die japanische Provinz

21Kyudai – Luxuriös durch Kyūshūs Norden

Mit dem Yufuin-no-Mori von Fukuoka bis nach Beppu

22Nichinan – Gemütlich durch den sonnigen Süden

Mit der Bummelbahn an Miyazakis Küste entlang

Japanische Küche

23Ibusuki – Japans südlichste Bahnlinie am Kaimon-Berg

Vulkane gibt es überall, doch auf Kyūshū sind sie besonders schön geformt

24Takamori – Mit der Bahn über den Feuerkessel

Der Aso ist ein bewohnter Krater – und ein aktiver Vulkan

25Shimabara – Bühne vieler Dramen

Die Shimabara-Halbinsel in Nagasaki ist ein historisch brisantes Gebiet

Quer durch die Berge

26Tadami – Von der Samurai-Stadt ab in die Natur

Diese Linie gilt als eine der malerischsten Bahnstrecken Japans

27Fujikyu – Zum ikonischen Fuji-san und seinen fünf Seen

In nur zwei Stunden zum 3.776 Meter hohen Wahrzeichen

Alles Japanisch oder was?

28Hanawa – Der einsame Nordosten von Honshū

Gemächlich durch das Kernland der Tohoku-Region

29Koumi – Vom Fuß des Yatsugatake bis Nagano

Mit der Überlandbahn bis auf mehr als 1.300 Meter Höhe

30Oigawa – In historischen Bahnen durch die Provinz

Ein rollendes Museum – die Oigawa-Linie in Shizuoka

31Etsuminan – Mit dem Luxuszug durch Japans Mitte

Erlesene japanische Küche im noblen Ambiente

32Hakubi – Von Meer zu Meer, bitte sehr!

Die Hakubi-Linie verbindet die beiden Küsten

Register

Bildnachweis

Impressum

Kirschbäume bilden einen regelrechten Tunnel am winzigen Bahnhof Miura in der Präfektur Okayama in Westjapan.

Vorwort

Hört man vom Zugfahren in Japan, kommt sicherlich den meisten der Shinkansen in den Sinn – ein Expresszug, der die wichtigsten Städte des Landes mit Geschwindigkeiten von bis zu 320 Kilometern pro Stunde verbindet. Weniger bekannt ist, dass hier neun der zehn meistgenutzten Bahnhöfe weltweit liegen. Doch Japan bedeutet nicht nur Hochpräzision und Hektik. Kaum hat man die Städte hinter sich gelassen, geht es sehr ländlich zu – mehr als zwei Drittel des Landes sind bergig. Die über 14.000 Inseln kommen auf rund 35.000 Kilometer Küstenlänge. Japaner lieben ihre Züge und stecken bei ihrer Gestaltung viel Liebe ins Detail: Von uralten Dampfloks über offene Waggons bis hin zu liebevoll ausstaffierten Sonderzügen, in denen exquisite Speisen gereicht werden, ist alles auf Japans Schienen vertreten.

Es sind jedoch nicht nur die Überlandfahrten, egal ob man mit dem Shinkansen mal eben 1.200 Kilometer in rund fünf Stunden zurücklegt oder im Triebwagen in der gleichen Zeit 135 Kilometer fährt – die urbanen Bahnen sind genauso faszinierend, denn sie funktionieren wie ein Schweizer Uhrwerk. Dazu kommt ein unglaublicher Kundenservice, bei dem sich schon für eine Minute Verspätung entschuldigt wird. Wer es nicht selbst gesehen hat, macht sich keinen Begriff von der Gelassenheit, die selbst im hektischsten Bahnhof herrscht. Zum Erlebnis gehört freilich auch, sich beim Suchen nach dem richtigen der bis zu 200 Ausgänge eines Bahnhofs zu verlaufen.

Abseits der Bahnhöfe lässt sich im Inselreich unendlich viel entdecken. Japan hat bei fast gleicher Fläche wie Deutschland mehr als doppelt so viele Nationalparks zu bieten. Dazu kommen rund 80.000 Schreine, fast genau so viele Tempel; Burgen, Samurai-Viertel und natürlich die freundlichen Bewohner mit einem feinen Sinn für gute Speisen. Allein in Tōkyō gibt es weit mehr Restaurants als in ganz Deutschland.

Unterwegs im hohen Norden

Der Mashu-See auf Hokkaidō gilt mit einer Sichttiefe von fast 40 Metern als klarstes Gewässer der Welt.

1 Soya – Von Asahikawa dahin, wo die Robben wohnen

Quer durch den wildromantischen Nordwesten von Hokkaidō

Von der Stadt Asahikawa im Herzen der nördlichen Insel Hokkaidō bis zur Nordwestspitze der Insel – hier geht es 260 Kilometer durch spärlich besiedeltes Gebiet mit viel Grün. Oder Schnee, wenn man im Winter reist.

Auf der Insel Hokkaidō, hier nahe Sapporo, kann es im Winter knackig kalt werden.

Japan besteht aus vier großen Inseln und Tausenden kleinen. Die größte Insel im Norden wird seit dem 19. Jahrhundert Hokkaidō genannt – bis dahin war sie das Gebiet der Ainu, einem indigenen Volk, dessen Spuren man auch heute noch dort findet. Erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist die Insel fester Bestandteil Japans, und erst ab jener Zeit begann man ernsthaft damit, sie zu besiedeln. Etwas größer als Bayern, hat sie nur rund ein Drittel seiner Einwohner. Weite Gebiete sind ursprünglich geblieben, der Rest wird vornehmlich landwirtschaftlich genutzt. Eine gewisse Parallele zu Deutschland lässt sich vor allem klimatisch leicht ziehen – die Sommer sind nicht so heiß wie im übrigen Japan, und im Winter kann es ordentlich kalt werden, dank sibirischer Winde. Für Japaner ist Hokkaidō ein bisschen exotisch und sehr angenehm, da deutlich weniger hektisch als der Rest des Landes. Kulinarisch – und das zählt in Japan wirklich viel – ist die Insel ein absolutes Highlight, denn hier gibt es neben hervorragenden Meeresfrüchten wie Krabben, Jakobsmuscheln und wildem Lachs auch viele Milchprodukte inklusive Käse, aber ebenso Fleischspezialitäten von Schaf (Gerichte mit Schafsfleisch heißen im Japanischen übrigens fast immer »Dschingis Khan«), Bär und Wild sind auf Hokkaidō erhältlich, ganz zu schweigen von Obst und Gemüse wie Kürbissen, Kartoffeln und Melonen. Dazu kommen ausgezeichnete Bier- und Sakesorten.

Schneebedeckte Berge und ein famoser Zoo

Die Reise beginnt, so man nicht schon in den Expresszug in Sapporo eingestiegen ist, in der Stadt Asahikawa. Die ist wie viele Städte auf Hokkaidō großzügig angelegt, doch historisch nicht besonders interessant. Dafür rühmt sie sich, den besten Zoologischen Garten Japans zu haben – zu Recht. In Asahikawa hat man sich einiges einfallen lassen, um es für Mensch und Tier interessant zu gestalten. Auch das Stadtmuseum macht etwas her: Hier kann man etliches über die Ureinwohner, die Ainu, lernen. Leider ist aufgrund der aggressiven japanischen Siedlungspolitik vieles verloren gegangen, doch das Brauchtum der Ainu erfuhr in jüngerer Zeit wieder deutlich mehr Beachtung.

Im Museum von Asahikawa dreht sich alles um die Ainu, die Ureinwohner von Hokkaidō.

Bei gutem Wetter kann man von der Bahn aus den Daisetsuzan sehen – der größte Nationalpark Japans lautet übersetzt »Große Schneeberge« und umfasst 16 Gipfel mit mehr als 2.000 Metern Höhe. Die stark vulkanisch geprägte Landschaft empfiehlt sich als hervorragendes Wander- und Skigebiet, doch Achtung ist geboten, denn die 12.000 auf Hokkaidō lebenden Bären finden die Gegend ebenfalls paradiesisch. Die Berge sind zwar allesamt auch von Laien begehbar, doch Wanderer sollten sich genau überlegen, ob sie an schneereichen oder windigen Tagen losziehen wollen: Hier haben selbst hartgesottene Alpinisten aufgrund plötzlicher Wetterumschwünge ihr Leben gelassen.

Tipp

Seeigel ist eine Delikatesse in Japan – aber er verdirbt schnell und wenn der Stachelball auch nur ein bisschen älter ist, schmeckt er furchtbar. Fangfrisch kann man ihn zum Beispiel im Sommer auf der Insel Rishiri probieren.

Der Soya-Express muss sich im Winter regelrecht durch den Schnee fräsen.

»Alles, was näher liegt als Wakkanai, gehört zur Nachbarschaft.«

Volksmund

Ein Hauch Sibirien

Die Bahn zuckelt immer weiter gen Norden, um nach einer Stunde Nayoro zu erreichen, die »kälteste Stadt Japans«. Im Schnitt fallen hier acht Meter Schnee von November bis April. Nachttemperaturen von –30 °C sind im Winter keine Seltenheit. Die Stadt selbst sieht ein bisschen so aus, wie man sich eine Siedlung im Wilden Westen vorstellt; alle Häuser sind ziemlich klein und haben ein Flachdach, das im Winter beheizt wird, um die Schneelast zu mindern.

Das raue Klima wirkt abschreckend – lebten 1960 noch knapp 50.000 Menschen in der Stadt, so sind es heute weniger als 30.000, Tendenz stark fallend, zumal die verbliebenen Bewohner immer älter werden. Die Jüngeren zieht es vor allem wegen der Bildung in die großen Städte, denn in Japan gilt der Name der besuchten Oberschule oder Universität als Schlüsselfaktor für die Karriere. Zunehmend mehr Gemeinden auf Hokkaidō versuchen der Landflucht entgegenzusteuern, indem man potentiellen Zuwanderern bis zu einem gewissen Alter und aus anderen Landesteilen Grundstücke und mitunter sogar kostenlose Wohnungen zur Verfügung stellt, unter der Bedingung, dass die Menschen dort mindestens zehn Jahre wohnen bleiben. Doch die Konkurrenz ist groß, die Zahl der Interessierten dagegen eher klein. Bis zur Endhaltestelle, der Stadt Wakkanai, vergeht noch eine halbe Ewigkeit, aber mit etwas Glück und guter Sicht kann man bald aus der Ferne den Rishiri Fuji sehen, einen markanten Vulkan, der aufgrund seiner konischen Form als Referenz an den Fuji-san dessen Namen trägt.

Asahikawa verfügt über den mit Abstand besten Zoo Japans.

Der Nordwestküste von Hokkaidō vorgelagert liegen zwei kleinere Inseln – Rishiri und Rebun. Hier lohnt es sich, kurz über die Dimensionen des Landes nachzudenken. Japan ist zwar ziemlich genauso groß wie Deutschland, würde man jedoch Japan auf dem Globus rund 9.000 Kilometer gen Westen schieben, befände sich die Nordostspitze von Hokkaidō dort, wo Hamburg liegt – und die südlichen Inseln der Präfektur Okinawa lägen irgendwo im Atlantik, südlich von Casablanca. Aber während es in Hamburg dank des Golfstroms halbwegs warm ist, sieht es mangels warmer Meeresströmung auf Hokkaidō eher aus wie im Norden Schottlands oder auf den Shetland-Inseln.

Abstecher auf entlegene Inseln

Die fast kreisrunde Insel Rishiri ist im Prinzip ein einziger großer Berg von 1.721 Metern Höhe, während die etwas weiter im Meer gelegene Insel Rebun wesentlich flacher, dafür aber landschaftlich abwechslungsreicher ist. Hier gibt es eine einzige Ampel, und die wurde auch nur aufgestellt, damit die Kinder der Insel lernen, was eine Ampel überhaupt ist. Beide Inseln sind Bestandteil des Rishiri-Rebun-Sarobetsu-Nationalparks und leicht innerhalb weniger Stunden von Wakkanai aus mit der Fähre erreichbar. Ganz im Norden von Rebun ist eine große Robbenkolonie zu sehen – und zu hören.

An der Endhaltestelle Wakkanai, keine sonderlich attraktive Stadt, bemerkt der aufmerksame Besucher sofort die zweisprachige Beschilderung – neben Japanisch sind hier auch viele Schilder auf Russisch ausgewiesen und somit Zeugen einer friedlicheren Zeit, als noch ein reger Austausch zwischen Russland und Japan stattfand. Die Insel Sachalin liegt nur rund 50 Kilometer entfernt. Am besten sieht man sie vom Kap Soya aus, das dem Expresszug auch den Namen verlieh. Dort befindet sich der nördlichste Punkt Japans – zumindest de facto, denn der japanischen Ansicht zufolge ist Japan hier de jure noch nicht zu Ende, was Russland natürlich ganz anders sieht.

Blick über den Hafen von Wakkanai – an klaren Tagen sieht man von hier Sachalin.

Nordwestlich von Hokkaidō ragt der Rishiri-Vulkan aus dem Meer.

Info

Von Asahikawa kann man entweder mit dem Expresszug oder dem normalen Zug nach Wakkanai fahren. Wählt man den Bummelzug, muss man in Nayoro umsteigen, mit zwei Stunden Wartezeit. Von Asahikawa nach Nayoro ist es nur eine gute Stunde, doch von dort benötigt der Bummelzug geschlagene sechs Stunden für die letzten 190 Kilometer. Die zwei Expresszüge pro Tag legen die gesamte Strecke in »nur« knapp vier Stunden zurück, kosten dafür aber auch rund 3.000 Yen mehr.

Der Soya-Express fährt am frühen Morgen von Sapporo ab, der Sarobetsu am Nachmittag in Asahikawa. Für die lange Fahrt deckt man sich besser am Startbahnhof mit Proviant ein – er ist in den Bahnhöfen von Sapporo, Asahikawa und Wakkanai erhältlich. Bei Schneemalheur fallen die Züge schon mal aus – vorab informieren!

2 Hanasaki – Der einsame Nordosten von Hokkaidō

Kaum eine Gegend in Japan ist abgelegener

Von der traumhaft schönen Steilküste bei Kushiro bis zu der schon fast tundrahaften Spitze der Nemuro-Halbinsel ist es ein weiter Weg. Am Ende des Wegs kann man einen guten Blick auf Russland erhaschen.

Die Küste bei Nemuro entspricht nicht den gängigen Japan-Vorstellungen.

Fast erscheint es wie eine andere Welt: Selbst im Sommer, wenn der Großteil Japans bei Tagestemperaturen von über 35 °C und Nachttemperaturen von um die 30 °C im eigenen Saft schmort, und das auch noch bei einer mörderischen Luftfeuchtigkeit, können die Bewohner von Nemuro froh sein, wenn die Temperatur die 20 °C-Marke übersteigt. Dafür schneit es an 100 Tagen im Jahr, wenn auch bei Weitem nicht so viel wie an der Westküste von Hokkaidō und Honshū. Der Stadtname entstammt möglicherweise der Sprache der Ainu, der Ureinwohner, und bedeutet »wo Bäume wachsen«. Das trifft es gut, denn während die Halbinsel aufgrund des rauen Klimas weitgehend baumfrei ist, verteilen sich übers Stadtgebiet immerhin einige Bäume.

Ein Triebwagen der lokalen Hanasaki-Linie auf seinem Weg nach Nemuro

Die JR Nemuro-Hauptlinie, so der offizielle Name der Eisenbahnstrecke, an die die Stadt seit 1921 angeschlossen ist, beginnt in Takikawa, einer Stadt im Zentrum von Hokkaidō, und ist 444 Kilometer lang. Den letzten, rund 135 Kilometer langen Abschnitt nennt man jedoch inoffiziell Hanasaki-Linie, was so viel wie »blühende Blumen« bedeutet. Der poetische Name ist eine Kunstschöpfung und bezeichnet nicht nur diese Eisenbahnlinie, sondern zugleich auch eine Spezialität aus Nemuro – die Hanasaki-Krabben, die sehr martialisch aussehen und aufgrund ihres stacheligen Panzers auch beim Verzehr eine große Herausforderung darstellen.

Wo die gute Milch herkommt

Die Hanasaki-Linie beginnt in Kushiro, dem Zentrum des östlichen Hokkaidō. Auf der meist eingleisigen Strecke zuckelt der Zug erstmal durch die einsamen Mischwälder von Kamibeppo-Genya, bevor man sich wieder dem Meer nähert. Weite Flure und Felder folgen – auf Hokkaidō befinden sich die einzigen nennenswerten Ebenen, auf denen man im größeren Stil Landwirtschaft betreiben kann. Fast genau die Hälfte der japanischen Nutzflächen nimmt der Reisanbau ein. Dieser wird stark vom Staat subventioniert, weshalb Reis eines der wenigen Nahrungsmittel ist, mit dem sich Japan komplett selbst versorgen kann. Eine sinnvolle Investition, denn ohne Reis können die meisten Japaner tatsächlich nicht leben: Egal, was auf den Tisch kommt, ohne eine Schale Reis ist die Mahlzeit einfach nicht komplett. Das Klima auf Hokkaidō ist jedoch in den meisten Gegenden zu rau oder zu trocken, weshalb hier nur wenig Reis angebaut wird. Stattdessen dominieren Viehzucht – der Großteil der Milch- und Molkereiprodukte kommt von der Insel – und der Anbau von Kartoffeln, Weizen und Gemüse. Das spiegelt sich auch in der lokalen Küche wider.

Tipp

Seit 2018 verkauft eine neugegründete Brennerei in Akkeshi ihren vor Ort gebrannten Whisky unter dem gleichen Namen. Japan ist seit Jahrzehnten ein Land mit vielen Whiskyliebhabern und zahlreichen, zum Teil ausgezeichneten Destillen. Die neuen Whiskys von Akkeshi gelten als sehr viel versprechend, denn der Südosten von Hokkaidō bietet alles, was ein guter Whisky braucht – vor allem hervorragendes Wasser.

Bärenkult der Ainu

Nach knapp 50 Kilometern erreicht die Bahn die einzige nennenswerte Siedlung zwischen Kushiro und Nemuro, die Kleinstadt Akkeshi. Obwohl die Stadt jüngeren Datums ist, landete hier bereits in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein Schiff der holländischen Ostindien-Kompanie. Der Kapitän hinterließ wertvolle Informationen über die einst in der Gegend lebenden Ainu und deren bemerkenswerten Bärenkult. Bei diesem als iomante bekannten Brauch, der Name bedeutet wörtlich übersetzt »jemanden zurückschicken« und ist auch bei Stämmen im fernen Osten Russlands bekannt, hielt man einen Braunbär erst für ein gutes Jahr in der Siedlung gefangen und schickte ihn dann durch seine rituelle Tötung zum Schöpfer zurück. Das Blut wurde nach vollbrachter Schlachtung getrunken, das Fleisch verteilt und der Schädel mit dem Pelz drappiert – der so »zurückgeschickte« Bär galt als heiliges Objekt in der animistischen Religion der Ainu. Iomante war im 20. Jahrhundert durchaus noch üblich, heute wird es jedoch nur vereinzelt als Zeremonie für durch Unfälle zu Tode gekommene Tiere vollzogen.

Mahnmal am Kap Nosappu für die von Russland besetzten Inseln

Die Stadt Akkeshi liegt an einer großen Lagune, mit dem Kap Aikappu auf deren südlicher Seite – ein fantastisches Steilufer, von dem der Blick auf die winzige, einst ziemlich dicht besiedelte Insel Kojima reicht. 1955 lebten noch knapp 100 Menschen auf dem nur 0,05 Quadratkilometer großen Eiland. Es gab eine Schule, und die Bewohner verdienten sich ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit der Heringsfischerei. Doch mit den Heringen verschwanden auch die Menschen nach und nach. Heute leben dort nur noch sechs Personen in vier Haushalten. Und sie leben gefährlich, denn Akkeshi und seine Umgebung gehören zu den besonders gefährdeten Orten in Japan – in der Region gibt es immer wieder schwere Erdbeben. Da der Großteil der Stadt auf Höhe des Meeresspiegels liegt, stellen selbst kleinere Tsunamis eine große Gefahr dar. Die Inselbewohner leben sogar noch gefährlicher: Die höchste Erhebung misst gerade einmal 27 Meter und kann so leicht von einem schweren Tsunami verschlungen werden.

Leuchtturm mit der nur von Wildpferden bewohnten Insel Yururi

Die Zugfahrt geht immer weiter gen Osten. Der aufmerksame Passagier wird hier und da stillgelegte Bahnhöfe bemerken, zum Beispiel den namensgebenden Bahnhof Hanasaki, der aus nichts weiter als einem alten Bahnwaggon besteht. Vor allem auf Hokkaidō werden immer mehr Bahnhöfe mangels Fahrgästen geschlossen – ein Zeichen der geringen Geburtenrate, der Landflucht und der Überalterung der Gesellschaft. Das erzeugt einen Teufelskreis, denn mit der Schließung von Bahnhöfen verlieren manche Gemeinden auch die letzten Einwohner. Sie ziehen entweder in die nächste Stadt oder gleich in eine der japanischen Metropolen.

Info

Die Hanasaki-Linie fährt im Abstand von zwei bis drei Stunden fünf mal täglich von Kushiro bis Nemuro und zurück. Dabei kommen zwei verschiedene Züge zum Einsatz – der sogenannte Chikyu tansaku (vier Mal täglich) und der Nosappu-Express (ein Mal täglich). Für beide, obwohl eigentlich eher gewöhnliche Triebwagen, kann man Plätze reservieren. Die einfache Fahrt kostet 2.860 Yen (der Japan Rail Pass gilt), eine Platzkarte 840 Yen extra. Für die Strecke benötigen die Züge gut zwei Stunden.

Was die passende Jahreszeit anbelangt, ist eine Fahrt zwischen Mai und September zu empfehlen; im Winter kann es grau und ungemütlich werden.

Aug’ in Aug’ mit dem russischen Bären

Nähert man sich von Akkeshi aus der Stadt Nemuro, so werden die Bäume zunehmend weniger und die Häuser immer kleiner. Vor allem in den wärmeren Monaten kann man regelrecht spüren, wie die Temperatur stetig abnimmt, denn in Nemuro ist es oft einige Grad kühler als an anderen Orten in Hokkaidō. Wenige Minuten vor der Endhaltestelle hält der Zug in Ost-Nemuro, der östlichsten Bahnstation Japans.

Könnte so auch in Sibirien stehen: der unscheinbare Bahnhof Nemuro

»Nichts, was vom Himmel zur Erde kam, ist ohne Bedeutung.«

Ainu-Sprichwort

Die Stadt hat eine ganz eigene Atmosphäre – es gibt kaum größere Gebäude und historische Bauwerke, aber viele Freiflächen mit üppigem Grün. Die meisten Besucher von außerhalb sind nicht unbedingt wegen der Stadt hier, sondern um das gut 20 Kilometer weiter östlich gelegene Kap Nosappu zu sehen, die Ostspitze von Hokkaidō. Wer sich hier im äußersten Osten Japans wähnt, liegt jedoch falsch, denn der befindet sich auf der winzigen Insel Minamitōri-shima, fast 2.000 Kilometer südöstlich von Tōkyō, doch um die zu besuchen, muss man Mitglied der japanischen Selbstverteidigungskräfte sein. Nach einhelliger Meinung ist beim Kap Nosappu ohnehin nicht Schluss mit Japan – denn die nur wenige Kilometer entfernt liegenden südlichsten Inseln der Kurilen gehören nach hiesiger Lesart immer noch zu Japan, aber Russland, als Nachfolger der Sowjetunion, ist da anderer Meinung. Ein paar der umstrittenen Inseln kann man vom Kap selbst bei mäßigem Wetter gut sehen, man hat sogar eigens den sogenannten Aurora-Turm dorthin gebaut, doch die Anlage zerfällt und ist nicht mehr begehbar. Dafür gibt es etliche mal mehr, mal weniger große Denkmäler am Kap, die an die Zugehörigkeit der Südkurilen zu Japan erinnern. Wer ein gutes Fernglas oder eine Kamera mit passablem Zoom dabeihat, kann auf den Inseln sogar diverse Bauwerke und ein Schiffswrack erkennen – und mit Glück auch einen russischen Soldaten, der mit einem Fernglas gen Japan schaut. Es bestehen allerdings keinerlei direkte Verbindungen zu den Inseln.

Der berühmte Radstein bei Nemuro – eine einmalige geologische Formation

Im Nordosten von Hokkaidō ist es wesentlich kühler als im Rest von Japan – doch im Frühling blüht die gesamte Region.

3 Senmo – Von den Kranichsümpfen bis zum Treibeis

Diese Strecke durchquert den Osten von Hokkaidō von Nord nach Süd

Allein auf Hokkaidō findet sich auf kurzer Entfernung sehr viel Abwechslung – dies beweist eine Zugfahrt auf der 166 Kilometer langen Senmo-Linie von Kushiro am Pazifik nach Abashiri am Ochotskischen Meer

In Japan werden die meisten Ortsnamen mit zwei ursprünglich chinesischen Schriftzeichen geschrieben – die Schwierigkeit besteht dabei weniger darin, dass die Schriftzeichen im Japanischen wie Hieroglyphen aussehen, sondern sie hat damit zu tun, dass es oft gleich mehrere Lesarten der Zeichen gibt. Bei Bahnlinien nimmt man deshalb gern die Lesung des ersten Schriftzeichens des Start- und des Zielbahnhofs. Die Senmo-Strecke beginnt in Kushiro, einer Stadt, deren erstes Schriftzeichen man auch sen lesen kann, und endet in Abashiri, dessen erstes Schriftzeichen mo lauten kann, und fertig ist der Name der Bahnlinie.

Mandschurenkraniche im Nationalpark

Die Senmo-Linie wurde in den 1930er-Jahren fertiggestellt und sollte den Pazifikhafen im Südosten von Hokkaidō mit dem unwirtlichen Nordosten verbinden. Mit mehr als 150.000 Einwohnern zählt Kushiro zu den größten Städten von Hokkaidō. Obwohl die Promenaden beiderseits der Nusamai-Brücke durchaus reizvoll sind, hat die Stadt selbst wenig zu bieten – zumindest am Tag, denn abends lässt sich in den Restaurants im Viertel Suehiro-chō nördlich der Brücke hervorragend speisen. Wenn man aber schon mal vor Ort ist, lohnt sich auf jeden Fall ein Abstecher zum Grand Kushiro City Museum: Allein der massive Bau, er soll einen Mandschurenkranich darstellen, ist durchaus sehenswert. Im Inneren wird die kurze Vergangenheit der Stadt und die lange Geschichte der Ainu, der Ureinwohner von Hokkaidō, thematisiert.

Die Mandschurenkraniche haben eine hohe kulturelle Bedeutung in ganz Ostasien.

Von Kushiro geht es mit dem Zug Richtung Norden, wo schon nach wenigen Kilometern das erste Highlight wartet, denn die Trasse führt direkt durch das Feuchtgebiet des Kushiro-Shitsugen-Nationalparks. Der Kushiro-Fluss und unzählige Seitenarme mäandern durch ein weitgehend baumfreies Becken, aus dem ein paar kleinere Erhebungen ragen. Die Gegend ist, wie es sich für einen Nationalpark gehört, mehr oder weniger naturbelassen und ein Paradies für zahlreiche Vogelarten. Dazu gehört auch der Mandschurenkranich, ein ebenso imposantes wie elegantes schwarz-weißes Tier mit markanter roter Haube. Die Kraniche sind bis anderthalb Meter groß und erreichen eine Flügelspannweite von mehr als zwei Metern. Man entdeckt sie auf unzähligen chinesischen und japanischen Zeichnungen sowie auf dem alten 1.000-Yen-Schein. Mandschurenkraniche galten aufgrund ihrer Größe und Schönheit schon immer als etwas Besonders. Die Ainu verehrten sie als »Götter der Sümpfe« und nur dem japanischen Hochadel war es erlaubt, die Vögel zu jagen. Doch genau diese Jagd, und sicher auch Wilderei, sorgten dafür, dass die Tiere fast ausgerottet wurden – seit Beginn des 20. Jahrhunderts ließen sich die eleganten Vögel jahrzehntelang nicht mehr auf Hokkaidō blicken. Heute finden wieder Dutzende Kraniche regelmäßig den Weg nach Kushiro, doch leider machen sie hier nur im Winter Rast, die Landschaft selbst ist jedoch auch im Sommer sehr schön und ideal, um zahlreiche Vogelarten zu beobachten, zum Beispiel Seeadler, Riesenseeadler und den Amurschmätzer, eine Schwarzkehlchenart.

Open Air mit dem fensterlosen Waggon durch die Sümpfe bei Kushiro

Glasklare Seen und rauchende Vulkane

Kaum hat der Zug die Feuchtgebiete von Kushiro verlassen, geht es schon in die Berge, hin zum nächsten Nationalpark. Im Akan-Mashu-Nationalpark gibt es zahlreiche Seen, von denen drei besonders groß sind. Am weitesten von der Bahn entfernt liegt der Akan-ko (ko bedeutet »See»), an dessen Ufern der Nachbau eines traditionellen Ainu-Dorfs steht, diese Siedlungen werden kotan genannt. Der See wird von dem 1.370 Meter hohen Oakan und dem 1.499 Meter hohen Meakan flankiert, beide aktive Stratovulkane. Die Senmo-Linie führt jedoch etwas weiter östlich, zwischen dem großen Kussharo-See und dem Mashu-See, vorbei. Letzteren sieht man vom Zug aus nicht, er befindet sich in einem Krater ein paar hundert Meter oberhalb der Gleise. Der See ist jedoch leicht vom Bahnhof Kawayu-Onsen erreichbar, aber man braucht ein bisschen Glück, denn vor allem zwischen Juni und August hängt an den meisten Tagen eine dichte Wolkendecke über dem den Ainu heiligen See. Der Mashu-See wird rundherum von steilen, über 100 Meter hohen Felswänden eingefasst – es ist quasi unmöglich, zum Ufer zu gelangen, und es gibt auch keinen Zufluss. Aus diesen und anderen Gründen ist das Wasser extrem klar: 1931 maßen Forscher eine Sichttiefe von über 40 Metern, ein bis heute ungebrochener Weltrekord.

Wenig einladend: das Tor zum berühmtesten japanischen Knast

Info

Die »normalen« Züge brauchen für die knapp 170 Kilometer lange Strecke fast genau drei Stunden; da kann es auch schon mal vorkommen, dass der Lokführer kurz hinter einem der winzigen Bahnhöfe austreten geht. Die einfache Fahrt kostet gut 4.000 Yen, der Japan Rail Pass ist gültig. Insgesamt fahren drei Züge pro Tag. Von Ende April bis Anfang Oktober verkehren Sonderzüge wie der Kushiro Shitsugen Norokko-go mit alter Lok und teils offenen Waggons. Diese fahren allerdings nur von Kushiro bis Toro im Norden des Feuchtgebiets, in manchen Fällen aber auch bis Kawayu-Onsen nahe dem Mashu-See. Sie sollten lange im Voraus gebucht werden, da vor allem die Panoramawagen sehr beliebt sind.

Zwar erblickt man von der Bahn aus den Mashu-See nicht, doch von Süden kommend auf gleicher Höhe zum Mashu-See und linkerhand gelegen lässt sich der Berg Io, wörtlich »Schwefelberg« und von den Ainu Atosa-nupuri genannt, nicht übersehen. Seine kahlen, dampfenden Schwefelfelder liegen keine zwei Kilometer von der Eisenbahntrasse entfernt. Der nur knapp 500 Meter hohe Berg erinnert die Besucher daran, dass man sich hier in einer seismisch aktiven Gegend befindet. Vor langer Zeit baute man an seinen Hängen Schwefel ab, was den kahlen Bergrücken erklärt.

Kalter Gruß aus Sibirien