Jawra - Nadja Fischlin - E-Book

Jawra E-Book

Nadja Fischlin

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Beschreibung

Alexandra ist vor zehn Jahren mit ihren Eltern aus der Schweiz nach Neufundland ausgewandert. Dort lernte sie auch Fenrir kennen, der bis heute ihr bester Freund ist, in den sie sich jedoch verliebt hat. Beide stehen diesen Sommer vor ihrem 18. Geburtstag und dem Abschluss an der High School. Ein Kuss am Abschlussabend stellt für Lexi und Fen alles auf den Kopf. An ihrem Geburtstag erfährt sie, wer sie wirklich ist und woher sie kommt. Und als wäre das nicht genug, kommt noch ein schreckliches Familiengeheimnis ans Licht. Ihr Leben ist auf einen Schlag nicht mehr wie vorher. Denn plötzlich stehen Fen und sie einer alten Prophezeiung gegenüber. Wie soll sie mit all dem neuen Wissen und ihren Fähigkeiten bloß weitermachen? Und was passiert jetzt mit Fen und ihr?

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EPUB
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Seitenzahl: 546

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-840-0

ISBN e-book: 978-3-99146-841-7

Lektorat: Julia Brandner

Umschlagfoto: Rachel Galbiati

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Rachel Galbiati, www.rachelgalbiati.com

www.novumverlag.com

Kapitel 1

Lexi

Ich schwebe durch den nächtlichen Wald. Einen Wald, den ich kennen sollte, doch es fühlt sich irgendwie komisch an, ihn aus dieser Perspektive zu sehen. Darum dauert es auch einen Moment, bis ich ihn erkenne.

Als Nächstes höre ich Geräusche. Geräusche, die nicht ganz hierhin gehören. Als ich mich umsehe, entdecke ich, was es verursacht, es ist tatsächlich ein Wolf. Nicht einfach ein Wolf, sondern der schönste und imposanteste, den ich je gesehen habe. Nicht, dass ich jemals einen echten Wolf gesehen hätte. Sein Fell ist hellbraun und schimmert auf eine Art und Weise, die mich sofort in ihren Bann zieht.

Ich schwebe näher zu ihm heran, erst da bemerke ich, dass er in einem sehr hohen Tempo unterwegs ist und von zwei Männern verfolgt wird. Erstaunlich ist, dass diese Männer keine Probleme damit zu haben scheinen, den Wolf in einem Tempo zu verfolgen, das nicht menschlich ist. Als ich sie genauer betrachte, sehe ich, dass sie mit Pfeil und Bogen sowie mit einem Schwert ausgerüstet sind. Sowas hat doch heute keiner mehr …

Es wirkt fast so, als habe der Wolf Spaß daran, von diesen Männern gejagt zu werden. Ich verfolge das Geschehen gespannt und folge ihnen. Plötzlich sehe ich, dass direkt vor dem Wolf die große Schlucht in Sicht kommt. Ich möchte ihm zurufen und ihn warnen, dass er abbremsen und die Richtung ändern muss, doch es kommt nichts aus meinem Mund.

Die Schlucht ist viel zu breit, um einfach darüber zu springen, er wird unweigerlich in den Tod stürzen, wenn er nicht endlich abdreht. Doch es wirkt, als ob der Wolf noch an Tempo zulegt. Er steuert geradewegs auf diese Schlucht zu. Automatisch halte ich den Atem an. Ich möchte meine Augen schließen, doch ich kann mich nicht von dieser Szene losreißen. Kurz bevor er in die Tiefe stürzt, stößt er sich kraftvoll vom Boden ab und segelt federleicht über die Schlucht. Als er auf der anderen Seite ankommt, stürzen die Männer auf die Schlucht zu, können aber im letzten Moment abbremsen, ohne in die Tiefe zu stürzen. Ich atme erleichtert aus …

Der Wolf bremst und wendet sich im Schutz der nahen Bäume den Männern zu. Ich sehe sogar von hier, wie seine Augen spitzbübisch leuchten. Als er dann noch triumphierend aufheult, kann ich ein Grinsen nicht unterdrücken. Fasziniert von seiner Schönheit kann ich den Blick fast nicht abwenden und mustere ihn ausgiebig. Seinen starken Körper mit seinen kräftigen Beinen und großen Pfoten, seinen kräftigen Schwanz. Auch sein ausdrucksstarkes Gesicht mit den spitzen Ohren, die lange Schnauze mit den scharfen Zähnen.

Und dann diese Augen, ich weiß, ich kenne diese Augen. Doch als ich noch näher zu ihm heran möchte, spannen die Männer ihre Bogen und schießen auf ihn. Aber bevor sie ihn erreichen können, ist er schon in der Tiefe des Waldes verschwunden. Sofort folge ich ihm …

Piiiep, Piiiiiep, Piiiiiep, Piiiiep, Piiiiiep … Ich schrecke aus meinem Traum hoch, als ich den Wecker höre. Einen Moment bin ich völlig orientierungslos und sitze stocksteif und perplex in meinem Bett. Als mir dann nach einigen Augenblicken klar wird, wo ich bin, bekomme ich den Wecker zu fassen und stelle ihn stöhnend aus. Ich bette meinen Kopf nochmal aufs Kissen und versuche, mich an alle Details dieses Traums zu erinnern. Es ist schon komisch, eigentlich sollte mich das Gesehene nicht so in seinem Bann halten, da ich sowieso schon eine sehr lebhafte Fantasie besitze. Doch dieser Wolf war unglaublich faszinierend und seine Augen – ich kenne doch diese Augen von irgendwoher …

Ich schüttle den Kopf, öffne verschlafen die Augen und schiele auf den Wecker. Sofort springe ich aus dem Bett naja, eher falle ich aus dem Bett, da ich mich in meiner Decke verheddere. Verdammt, ich habe länger an diesen Traum gedacht, als ich wollte. Fen wird heute schon wieder auf mich warten müssen.

Schon, wenn ich an ihn denke, fühle ich, wie sich ein wohliger Schauer in mir ausbreitet. Er ist mein bester Freund seit nun fast zehn Jahren und eigentlich heißt er Fenrir, doch alle nennen ihn Fen. Seine Familie zog im gleichen Jahr nach Neufundland wie wir, somit waren wir beide neu an der Schule und freundeten uns deshalb schnell an.

Ich rapple mich vom Boden auf und gehe zum Kleiderschrank, reiße frische Unterwäsche raus und flitze ins Bad, um kurz zu duschen. Irgendwie muss ich diesen Traum loswerden, da wir heute noch einen Test in Geschichte schreiben und ich mich voll und ganz darauf konzentrieren muss. Also hoffe ich, dass das warme Wasser meine rasenden Gedanken beruhigen kann.

Nach der Dusche trockne ich meine Haare mit dem Föhn, da ich sie zum größten Teil kurz trage, geht das zum Glück schnell. Ich trage ein wenig schwarzen Eyeliner und Wimperntusche auf. Dann renne ich zurück in mein Zimmer und ziehe mich fertig an. Da heute Freitag ist und ich nach der Schule mit Fen in seinen Geburtstag reinfeiern möchte, entscheide ich mich für eine enge löchrige helle Jeans und ein Top einer meiner Lieblings-Rockbands.

Ich betrachte mich im Spiegel und bin ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Kurz betrachte ich mich genauer, meine grünen Augen haben mir schon immer am besten gefallen. Und jetzt durch meine knallroten Haare und den Eyeliner kommen sie erst recht zur Geltung. Auch mag ich meine Lippen, die schön geschwungen und voll sind, aber danach hat es sich auch schon mit meiner Zufriedenheit. Ich lasse meinen Blick weiter wandern und er bleibt an meinen Brüsten hängen, die für meinen Geschmack einfach zu groß sind. Auch mein Bauch könnte ein wenig kleiner sein, doch ich esse einfach zu gerne … Zum Glück sind meine Beine vorzeigbar, was einiges wieder rausreißt, finde ich. Trotzdem seufze ich kurz auf. Dann wandern meine Gedanken automatisch wieder zu meinem Traum und diesem wunderschönen Wolf und ich seufze erneut.

Plötzlich höre ich meine Mam von unten rufen: „Alexandra, beeil dich! Fenrir ist da und muss wie immer auf dich warten!“ Ich packe sofort meine Schultasche, meine Sporttasche und meine schwarze Lederjacke. Mein Handy, das noch auf meiner Kommode liegt, werfe ich in die Schultasche und stürme die Treppe hinunter. Ein Wunder, dass ich immer heil diese Treppe runterkomme, da ich tagtäglich in einem Affenzahn nach unten rennen muss.

Mam wartet schon an der Haustüre auf mich, wie immer. Sie schüttelt lächelnd den Kopf, hält mir eine Lunch-Tüte hin und drückt mir zwei Müsliriegel in die Hand. „Gib einen davon Fenrir und hab einen schönen Tag und pass auf dich auf!“ Sie drückt mir einen Kuss auf die Schläfe und zwinkert mir zu. Ich verstaue meinen Lunch in der Schultasche und grinse sie an.

„Danke, Mam und ja, Mam, ich wünschte, die Schule wäre schon vorbei, diese Geschichtsprüfung macht mir ein wenig Sorgen. Ach ja, nach der Schule bin ich bei Fen.“

Als ich nach draußen laufe, folgt mir Mam und ruft: „Hallo, Fenrir, habt einen tollen Tag und pass mir gut auf meine Tochter auf! Tschüss zusammen!“

Sofort fällt mein Blick auf Fen, der lässig neben seinem Wagen steht und meiner Mam lächelnd zuwinkt und „Vielen Dank, Mrs. Foxx“ ruft. Sein Wagen ist ein blauer Ford Pick-up F350, 7.5 Liter mit 245 PS und Jahrgang 1986. Wieso ich das alles weiß? Weil er sein Auto über alles liebt und als er ihn bekam, nur noch davon gesprochen hat. Besser gesagt von ihr, denn er nennt sie liebevoll Blue.

Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, machen meine Schmetterlinge im Bauch einen Looping und mein Herz setzt einen Schlag aus, um danach schneller zu schlagen als üblich. Er sieht einfach umwerfend aus. Er ist 198 cm groß, hat ein wunderschönes symmetrisches Gesicht mit braunen welligen kurzen Haaren, die ihm ein wenig in die Stirn fallen, dann seine unglaublichen karamellfarbenen Augen, die mich anstrahlen, und sein umwerfendes Lächeln mit seinen wunderschön geschwungenen Lippen.

Er ist einfach perfekt, so wie er neben seinem Ford steht, groß und muskulös. Ich laufe lächelnd auf ihn zu und wir umarmen uns.

„Hi, Fen!“

„Hi, Lexi, warst du wieder Mal in deiner Tagträumerei gefangen?“

Er kennt mich einfach zu gut. Ich boxe ihm auf den Arm. „Nein, diesmal war es ein richtiger Traum, der mich die Zeit vergessen lassen hat. Komm, wir müssen los, ich erzähl es dir während der Fahrt zur Schule.“

Als wir im Ford sitzen und losfahren, öffne ich einen Müsliriegel und strecke ihn ihm entgegen. Er nimmt ihn lächelnd entgegen und meint: „Deine Mam ist die Beste.“ Genüsslich beißt er in den Riegel und seufzt wohlig.

Ich öffne den zweiten Riegel und beiße ein Stück ab. „Also, dieser Traum war echt irre!“ Als ich ihm den ganzen Traum haarklein erzählt habe, muss ich selber staunen, dass ich noch all diese Details weiß. Irgendwie hat sich mir alles so genau in mein Hirn eingebrannt, sodass ich sogar den Geruch beschreiben könnte, wenn ich müsste.

Fen hat alles stillschweigend aufgenommen und auf die Straße gestarrt.

„Was meinst du dazu?“, will ich gespannt wissen. Er schaut mich an und meint lächelnd: „Du fängst ja langsam aber sicher an, echt schräge Dinge zu träumen. Vor allem, welche Männer sind heute noch mit Pfeil und Bogen und Schwert bewaffnet? Vielleicht ist das eine Reaktion auf die heutige Geschichtsprüfung. Die Wikinger haben schließlich auch mit solchen Waffen gekämpft.“

Ich sehe ihn von der Seite an und bin ein wenig enttäuscht von seiner Antwort. „Ja, vielleicht hast du Recht“, seufze ich.

Er blickt stur geradeaus, doch ich kann sehen, wie er die Stirn in Falten legt und nachdenklich auf die Straße starrt. „Ist alles okay?“, frage ich ihn.

Er schüttelt leicht den Kopf, als ob er sich aus seinen Gedanken reißen müsste, und sieht dann lächelnd zu mir rüber und meint: „Na klar, ich bin nur ein wenig nervös wegen der Geschichtsprüfung.“

Ich merke, dass das Lächeln seine Augen nicht erreicht. Prüfend mustere ich ihn.

„Du weißt, dass du dir am allerwenigsten Sorgen um eine Geschichtsprüfung machen musst? In diesem Fach bist du der Beste. Also nochmal, was ist los, Fen?“

Ich merke, wie er sich mit dem Lächeln mehr Mühe gibt.

„Lexi, es ist wirklich alles okay. Lass uns nochmal über die Wikinger sprechen, damit du dieses Mal bei der Prüfung nicht völlig verloren bist.“

Also sprechen wir die restliche Fahrt zur Schule über die Wikinger und ganz ehrlich, ich bin froh darüber, denn ich brauche noch eine gute Note in Geschichte, damit mein Abschluss kein Desaster wird.

Als wir in der Schule ankommen, ist mein Wissen über die Wikinger so weit so gut, dass es für die Prüfung reichen sollte. Fen parkt auf einem freien Parkplatz und da wir ein wenig spät dran sind, wie immer, wegen mir, müssen wir uns ein wenig beeilen.

Wie üblich warten Ella und Ethan vor der Schule auf uns. Ella ist mit mir im Volleyball-Team, sie ist meine einzige echte Freundin. Sie ist echt toll, obwohl sie ein Auge auf Fen geworfen hat.

Als sie ihn entdeckt, strahlt sie ihn schon von Weitem an und er lächelt, charmant, wie er ist, zurück.

Okay, ich kann es ihm nicht verübeln, denn sie ist nicht nur nett, sondern auch echt hübsch und lustig. Sie ist gleich groß wie ich, 165 cm, hat braune schulterlange lockige Haare und schöne dunkle Augen, ihre Lippen sind voll und lächeln immer ein wenig und sie hat eine süße Stupsnase mit ganz dezenten Sommersprossen.

Quirlig, wie sie ist, läuft sie uns entgegen und umarmt zuerst mich und dann Fen, ihn ein bisschen länger als nötig, was mir sofort einen kleinen Stich versetzt. Doch ich kann nicht lange darüber nachdenken, denn Ethan steht schon vor mir und zieht mich an sich.

Wäre Fen nicht, könnte ich mich glatt in Ethan verlieben. Er ist mit Fen im Footballteam und darum auch sehr groß und durchtrainiert. Er hat braune kurze Haare, freundliche braune Augen und feine Lippen. Ich glaube, Ethan mag mich ein bisschen mehr, als mir lieb ist, aber da er sehr schüchtern ist, würden von ihm nie irgendwelche blöden Flirtversuche kommen und darüber bin ich echt froh. Denn ich mag ihn als Freund sehr, aber ich möchte ihn nicht zurückweisen müssen, das würde unserer Freundschaft einen echten Knacks verpassen. Als er mich wieder freigibt, begrüßt er Fen mit einem Handschlag und einem breiten Grinsen.

Ella packt mich am Arm.

„Ihr seid schon wieder ziemlich spät dran! Ich hoffe, du hast für die Prüfung gelernt, Lexi?“

Sie zieht mich ins Schulgebäude, wo schon die meisten Schüler verschwunden sind. Die Jungs folgen uns und ich höre, wie sie über das Football-Spiel vom kommenden Sonntag sprechen. Ich antworte ihr mit einem Augenrollen.

„Klar habe ich dafür gelernt und Fen hat mir während der Autofahrt nochmal das Wichtigste darüber eingetrichtert. Ich denke, dass ich die Prüfung schaffen sollte.“

Fen fasst mir von hinten an die Schulter und meint zu ihr: „Keine Angst, Ella, ich habe ihr alles nochmals eingebläut, was Mr. Sheppard fragen könnte.“

Als er das sagt, ist er mir so nahe, dass mein Puls zu rasen beginnt und mich sein erdig männlicher Geruch einhüllt. Er drückt nochmal meine Schulter und nimmt dann die Hand wieder weg, was mich einen Moment aus dem Gleichgewicht bringt.

Es ist kaum zu glauben, was so eine kleine Berührung von ihm in mir auslöst. Ich wende mich ihm zu und lächle ihn dankend an. Ethan stellt sich zwischen uns und sagt: „Viel Glück da drin, Lexi, du schaffst das schon.“

Wir betreten alle das Klassenzimmer und gehen zu unseren Plätzen.

Mr. Sheppard ist ein kleiner, rundlicher Mann mit grauen Haaren und braunen, freundlichen Augen, die hinter einer Brille stecken. Als alle Schüler auf ihren Plätzen sitzen, schließt er die Tür und wendet sich uns zu.

„Guten Morgen, alle zusammen! Ich hoffe, ihr habt euch alle gut auf diese allerletzte Prüfung vorbereitet. Ich hoffe auch Sie, Mrs. Foxx, haben sich Mühe gegeben, denn für Sie wird die Note ausschlaggebend für ihren Abschluss sein.“

Ich ziehe automatisch den Kopf ein und laufe rot an. Ich bekomme nicht gerne die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse. Im Allgemeinen bin ich nicht gerne im Mittelpunkt. Sofort grinsen mich Liam und Medison höhnisch an. Sie sind das Traumpaar an unserer Schule, beide sind sie sehr attraktiv und sehen supergut aus. Doch mit ihrem Charakter könnten sie nicht einmal einen Blumentopf gewinnen … Da sie das Gefühl haben, was Besseres zu sein, behandeln sie alle, außer ihre Clique, ziemlich beschissen.

Ja klar, sie sind hübsch, sind gut in der Schule und Liam ist der Quarterback vom Footballteam und Medison ist der Captain von unserem Volleyballteam. Aber ich finde, das berechtigt sie nicht dazu, uns andere schlecht zu behandeln. Tja, so ist die High School nun mal.

Mr. Sheppard verteilt die Prüfung, wünscht jedem viel Glück und setzt sich an sein Pult. Ich blicke kurz zu Fen rüber, der direkt links neben mir sitzt. Er lächelt mir aufmunternd zu und ich lächle nervös zurück.

Also, Lexi, jetzt heißt es alles geben! Ich atme tief durch und wende mich der Prüfung zu. Zu meinem Erstaunen läuft es gar nicht so schlecht. Ich kann alle Fragen beantworten, was zum größten Teil daran liegt, dass mir Fen am Morgen das Wichtigste nochmal erklärt hat.

Ich bin so vertieft in die Prüfung, dass ich gar nicht bemerke, dass alle schon fertig sind und das Klassenzimmer verlassen haben.

Mr. Sheppard schaut mich erwartungsvoll an. Ich packe lächelnd meine Sachen zusammen und gehe mit der Prüfung zu seinem Pult.

„Na, Mrs.Foxx wie ist es gelaufen?“, will er wissen.

„Naja, Mr. Sheppard, ich habe tatsächlich ein gutes Gefühl.“

Er sieht mir prüfend in die Augen, ich halte seinem Blick stand und lächle ihn an.

„Na gut, ich hoffe, dass dein Gefühl dich nicht trügt. Diese Note ist wirklich sehr wichtig für dich, ich hoffe, du nimmst das nicht auf die leichte Schulter.“

„Keine Angst, Mr. Sheppard, ich weiß, was auf dem Spiel steht. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“

„Na gut, danke, das wünsche ich dir auch, Lexi.“

Ich verlasse das Klassenzimmer. Als ich auf den Gang trete, stellt sich Fen vor mich und sieht mich fragend an. Ich falle ihm glücklich lachend um den Hals, er drückt mich fest an sich, hebt mich hoch und schmiegt sein Gesicht an meinen Hals.

Vor lauter Glück und Schmetterlingen im Bauch vergesse ich fast zu atmen. Er riecht einfach umwerfend, nach Freiheit, Wildheit und nach Wald, männlich halt. Ich nehme den Geruch tief in mir auf und würde ihn am liebsten nie mehr loslassen. Genau jetzt könnte die Zeit einfach stehen bleiben …

Doch dann höre ich ein Quieken und Ella kommt angestürmt. Er lässt mich mit einem scheuen Lächeln wieder runter. Kaum berühren meine Füße den Boden, umarmt Ella mich auch schon.

„Na, Lexi, so, wie du strahlst, ist die Prüfung gut gelaufen?“

„Ja, ich habe ein sehr gutes Gefühl. Ich denke, es sollte reichen, um meinen Abschluss zu kriegen.“

„Das freut mich sehr für dich, das sollten wir heute Abend feiern, was meint ihr?“

Sie sieht Fen und mich fragend an, auch Ethan ist wieder zu uns gestoßen. Dieser meint sofort: „Das klingt gut, ich bin dabei.“

Er sieht mir direkt in die Augen, ich kann ein bisschen Hoffnung darin erkennen. Doch ich sage nur: „Naja, eigentlich wollten Fen und ich heute Abend in seinen Geburtstag reinfeiern.“

Ich sehe zu ihm und stelle fest, dass er sich nicht wohl zu fühlen scheint, denn er tritt von einem Fuß auf den anderen. Ohne mich anzusehen, sagt er dann: „Lexi, darüber wollte ich noch mit dir reden. Meine Brüder möchten den Abend mit mir alleine verbringen, frauenfreie Zone, du weißt ja, wie sie sind. Es tut mir leid, aber wir wollten ja morgen Abend alle zusammen ins Kino gehen, dann können wir alle zusammen meinen Geburtstag feiern.“

Seine Worte versetzen mir einen Stich ins Herz, ich stammle nur: „Ohh, okay, na dann …“

Ella merkt nichts von der Stimmung, die gerade gekippt ist. Sie ruft nur: „Also dann geht das klar, Ethan, Lexi und ich gehen heute ihre bestandene Prüfung feiern und morgen feiern wir Fens Geburtstag. Aber jetzt müssen wir zuerst den restlichen Schultag überstehen.“

Den restlichen Morgen kann ich mich nicht mehr wirklich auf den Unterricht konzentrieren. Wieso hat Fen mir nicht früher gesagt, dass er den heutigen Abend nicht mit mir verbringen möchte? Ich bin enttäuscht und auch wütend auf ihn, obwohl ich weiß, dass ich kein Recht habe, wütend zu sein, da wir ja keine Beziehung führen.

Als wir uns alle wieder treffen, um zusammen zu Mittag zu essen, bin ich nicht sonderlich gesprächig, da ich in meinen eigenen Gedanken und Gefühlen gefangen bin. Doch das scheint niemandem aufzufallen. Ella spricht wie immer ohne Punkt und Komma. Heute über den Abschlussball, der nächstes Wochenende stattfinden soll. Was mir ganz recht ist …

Wir haben schon lange ausgemacht, dass wir da zu viert hingehen. Fen, Ethan, Ella und ich. Eigentlich freue ich mich auf den Abschlussball. Doch im Moment ist meine Stimmung so getrübt, dass ich nicht mitbekommen habe, wie Ella mich was gefragt hat, da ich nur mit halbem Ohr dabei bin. Ethan, der neben mir sitzt, stößt mich leicht an und sieht mir fragend ins Gesicht.

Ich schrecke hoch und sage schnell: „Sorry, Leute, was habe ich verpasst?“

Ella meint kopfschüttelnd: „Deine Tagträumerei ist manchmal echt anstrengend, Lexi. Ich wollte wissen, ob du morgen mit mir in die Stadt fährst, um ein Kleid zu kaufen. Oder hast du schon eines?“

„Nein, Ella, ich habe noch kein Kleid und ich komme gerne morgen mit dir einkaufen. Ich hoffe, wir finden was Schönes.“ Und das meine ich ernst, ich möchte Fen aus den Socken hauen mit meinem Outfit.

Da ich mir vorgenommen habe, ihm an diesem Abend meine Gefühle, die ich für ihn habe, zu gestehen, muss ich einfach das perfekte Kleid finden. Ethan rümpft die Nase.

„Ich hoffe, ihr braucht uns nicht, um die Kleider zu kaufen?“

Fen schaut uns mit großen Augen an, doch Ella erwidert nur: „Nein, Jungs, das ist eine reine Mädelsangelegenheit. Wir kaufen euch die passenden Krawatten zu unseren Kleidern und geben sie euch dann am Montag in der Schule, sodass wir farblich als Paare zusammenpassen. Eure Aufgabe ist es, einen schönen Anzug zu kaufen oder zu mieten und uns tolle Ansteckblumen an diesem Abend zu überreichen.“

Sie lächelt mich zufrieden an, die Jungs klatschen sich erleichtert ab. Da Ethan nun die ganze Zeit mit Fen über das Football-Spiel diskutiert, komme ich nicht dazu, mit ihm alleine zu reden. Ella ist vertieft in ihr Handy, zeigt mir ab und an eine Frisur, die ihr gefällt, und ich gebe einen kurzen Kommentar zu jedem gezeigten Bild ab. Doch die ganze Zeit bin ich damit beschäftigt, mich zu fragen, wieso er mir nichts von seinen heutigen Plänen erzählt hat. Verbringt er den Abend wirklich mit seinen Brüdern oder hat er ein Mädchen kennengelernt? Bei diesem Gedanken muss sogar ich den Kopf schütteln. Wir verbringen so viel Zeit miteinander, dass er gar keine Zeit hat, jemanden kennenzulernen. Oder doch?

Als die Mittagspause vorbei ist, trennen wir uns wieder. Wir Mädels haben Volleyball-Training und die Jungs müssen ins Football-Training.

In der Umkleidekabine herrscht schon wildes Treiben. Alle sind am Umziehen und natürlich ist Medison schon fertig und schwärmt allen von ihrem tollen Abschlussballkleid vor. Ich ignoriere die staunenden Blicke der anderen und konzentriere mich darauf, meine Schuhe zu binden.

Als ich hochblicke, steht Medison direkt vor mir.

„Na, Lexi, was wirst du zum Abschlussball tragen? Ich hoffe, du weißt, dass du da nicht mit kaputten Jeans und einem Top erscheinen kannst.“ Sie lächelt mich boshaft an und alle anderen fangen an zu lachen, außer Ella.

Sie baut sich vor ihr auf und sagt kühl: „Du wirst staunen, wie toll sie aussehen wird. Vielleicht macht sie dir ja den Platz um die Ballkönigin streitig.“

Doch Medison lacht nur laut auf.

„Naja, darum muss ich mir bestimmt keine Sorgen machen. Mädels, beeilt euch, wir müssen trainieren.“ Sie wirft Ella und mir nochmal ein überhebliches Lächeln zu und verschwindet in die Halle, die anderen folgen ihr.

Ich seufze auf und starre ihnen hinterher.

„Mach dir nicht zu viele Gedanken um diese Kuh, sie will dich nur provozieren“, meint Ella zu mir.

„Ja, ich weiß, aber ich verstehe nicht, wieso sie immer nur auf mir rumhackt.“ Doch eigentlich kann ich es mir denken: Ich bin mit Fen befreundet und das stört sie.

Denn immer, wenn sie sich unbeobachtet fühlt, himmelt sie ihn an, obwohl sie mit Liam zusammen ist. Sie würde perfekt zu Fen passen, sie ist hübsch, klug und hat eine tolle Figur. Mit ihren langen blonden Haaren und blauen Augen kann sie jeden Typen um den Finger wickeln – außer ihn, er scheint immun gegen ihr Äußeres zu sein. Worüber ich natürlich sehr froh bin.

Als wir in die Halle kommen, kommt auch schon unsere Trainerin Grace in die Halle. Grace ist Medisons Mam und bevorzugt sie darum, wo es nur geht. Doch das ist mir egal, ich will einfach nur Volleyball spielen, weil es mir Spaß macht und ich recht gut darin bin.

„Hallo, Mädels, wir haben nur noch zwei Wochen zusammen und keine Wettkämpfe mehr vor uns. Darum möchte ich einfach, dass wir Spaß zusammen haben und Volleyball spielen.“ Grace sieht uns alle nacheinander an und lächelt. „Na los, Ladys, bewegt euch! Das Aufwärmtraining läuft trotzdem wie immer ab. Danach gilt es, Spaß zu haben.“ Lächelnd setzen wir uns in Bewegung und freuen uns auf das Training.

Nach zwei Stunden sind wir fertig, gehen unter die Dusche und ziehen wieder unsere normalen Klamotten an. Ella und ich sind immer zuerst fertig, da wir nicht noch Stunden vor dem Spiegel stehen, um perfekt auszusehen.

„Okay, ich komme dich dann heute um acht Uhr abholen, danach holen wir Ethan und gehen in die Stadt, dann sehen wir, wohin es uns verschlägt. Aber ich denke, das Diner ist eine gute Idee.“ Sie sieht mich mit leuchtenden Augen an. Ich seufze leise und zwinge mich zu einem Lächeln.

„Ja, das klingt toll. Bis später.“

„Bis später, und nimm es ihm nicht übel, dass er heute mit seinen Brüdern feiern möchte. Der achtzehnte Geburtstag ist ja nicht so wichtig wie der einundzwanzigste. Tschüss, Lexi.“ Wir umarmen uns, ich murmle „Tschüss, Ella“ in ihr Haar.

Wenn sie nur wüsste … Bei uns in Europa ist der achtzehnte Geburtstag der wichtigste. Fen stammt aus Irland und ich aus der Schweiz, da ist man mit achtzehn volljährig und hat dann alle Vorzüge, die das Leben so mit sich bringt. Hier in Neufundland ist das erst mit einundzwanzig der Fall. Außer Auto fahren, das kann man hier schon mit sechzehn. Bei uns wäre so etwas unvorstellbar. Nur bei dem Gedanken daran, was für ein riesiges Chaos bei uns herrschen würde, wenn man mit sechzehn schon Auto fahren könnte, muss ich breit grinsen.

Auf dem Weg zu Fens Wagen begegne ich noch Ethan. Er umarmt mich und sagt: „Bye, Lexi. Bis später.“ Ich erwidere das Gleiche.

Als ich mich abwende und weitergehen möchte, packt er mich sanft am Arm, grinst mich an und meint: „Ich freue mich auf heute Abend.“

Ich sehe auf seine Hand an meinem Arm und dann in sein Gesicht mit dem breiten Grinsen. Er ist wirklich süß. Unwillkürlich muss ich lächeln und sage: „Ja, es wird bestimmt ein lustiger Abend werden.“ Dann lässt er mich los und geht seiner Wege.

Ich sehe ihm einen Moment hinterher, wende mich dann ab und gehe weiter zum Wagen. Von Weitem sehe ich schon, dass Fen auf mich wartet. Er sitzt ein wenig angespannt auf der Ladefläche seines Wagens und lächelt mir scheu entgegen.

Eigentlich will ich wütend auf ihn sein, doch sein Anblick raubt mir fast den Verstand. Er hat vom Duschen noch nasses Haar, das ihm in die Augen fällt und wild auf allen Seiten absteht. Und ich kann nicht anders, als zurückzulächeln.

Seine Anspannung lässt ein wenig nach.

„Wie war dein Training?“, fragt er mich.

„Es war richtig gut, Grace war heute total locker drauf. Wir hatten jede Menge Spaß. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir die Saison als Tabellenerste abgeschlossen haben und kein Spiel mehr haben. Wie war es bei euch?“, will ich wissen.

Er fährt sich durch das nasse Haar, eine Geste, die er immer macht, wenn er gestresst ist.

„Naja, da wir am Sonntag unser letztes Spiel haben und gewinnen müssen, um die Saison als Sieger zu beenden, war das Training sehr hart und laut.“ Er lächelt mich gequält an und steigt in seinen Wagen.

Als ich auf dem Beifahrersitz Platz genommen und mich angeschnallt habe, fährt er los.

„Du kennst Jack ja. Ihr könnt zum ersten Mal die Saison gewinnen, er meint es bestimmt nicht böse, dass er euch so hart rangenommen hat“, sage ich zu ihm. Er sieht mich von der Seite an, nickt und meint: „Ja, da hast du bestimmt recht.“

Den Rest der Strecke legen wir schweigend zurück. Ich starre aus dem Fenster und hänge meinen Gedanken nach, mein Traum kommt mir wieder in den Sinn. Dieser Wolf war einfach zu schön, um wahr zu sein. Aber ich kann mir nicht erklären, wieso ich von einem Wolf träume. Hier in Neufundland gibt es gar keine und auch sonst habe ich keine nähere Beziehung zu Wölfen, außer, dass sie mir gefallen, wenn ich sie auf einem Bild sehe, aber wem geht es nicht so?

Viel logischer wäre es gewesen, wenn diese „Wikinger“, einen Elch gejagt hätten, denn Elche sieht man bei uns sehr häufig. Ich mag Elche sehr, sie wirken so unschuldig und tapsig mit ihren langen Beinen und dem zu großen Kopf. Automatisch muss ich grinsen, diese Tiere sind echt toll.

Ich bin so vertieft in meine Analyse, dass ich gar nicht merke, dass Fen vor meinem Haus angehalten hat. Keiner von uns sagt ein Wort.

Als ich die Wagentür öffnen will, hält er mich zurück.

„Es tut mir leid, Lexi, ich wollte dir schon die ganze Zeit sagen, dass ich nicht mit dir in meinen Geburtstag reinfeiern kann. Meine Brüder haben es mir am Sonntag gesagt und keine Wahl gelassen. Ich habe die ganze Woche versucht, sie zu überreden, dass du dabei sein kannst, aber sie bestehen darauf, dass nur wir drei diesen Abend zusammen verbringen. Kannst du mir verzeihen?“ Er sieht mich mit seinen karamellfarbenen Augen an und ich sehe ihm an, wie leid ihm das Ganze tut.

„Weißt du, es hat mich einfach verletzt, dass du mir das nicht unter vier Augen erzählt hast, sondern vor den anderen. Du hattest die ganze Woche Zeit, es mir zu erzählen, wir fahren jeden Tag zusammen zur Schule und wieder nach Hause.“

„Es tut mir leid, wirklich. Bitte lass es mich irgendwie wieder gut machen. Wir könnten morgen zusammen ein wenig Nahkampftraining machen?“, meint er und schaut mich flehend an.

Er weiß genau, wie sehr ich es liebe, mit ihm zu trainieren. Als ich vor drei Jahren einmal unangekündigt bei ihm vorbei gefahren bin, habe ich ihn und seinen älteren Bruder Kilian dabei beobachtet, wie sie zusammen trainiert haben, und danach habe ich ihn regelrecht angefleht, es mir beizubringen.

Nun trainieren wir schon knapp drei Jahre zusammen und es macht mir richtig Spaß und ich finde, ich bin auch richtig gut darin geworden und habe viel von ihm gelernt.

Doch ich antworte ihm: „Du hast doch heute mitbekommen, dass ich morgen mit Ella ein Kleid kaufen gehe. Wir sehen uns ja dann am Abend im Kino.“ Erst jetzt ist mir aufgefallen, dass er immer noch meinen Arm festhält. Im selben Moment fällt es ihm auch auf und er lässt mich los.

Er fährt sich mit der Hand durch sein Haar.

„Klar, das habe ich ganz vergessen. Dann sehen wir uns morgen Abend?“ Er sieht mich fragend an.

„Ja, wir sehen uns morgen Abend. Ich lasse es mir doch nicht entgehen, dir zum Geburtstag zu gratulieren.“ Ich lächle ihn an und er lächelt erleichtert zurück.

Als ich erneut zum Türgriff greifen möchte, fragt er: „Bekomme ich keine Umarmung mehr?“

Am liebsten würde ich einfach aus dem Wagen steigen, denn ich weiß, dass diese Umarmung mich gänzlich aus der Fassung bringen wird. Der Tag heute war ein Auf und Ab meiner Gefühle und am liebsten würde ich einfach unter meine Decke kriechen und den Tag vergessen.

Doch ich kann diesem Mann einfach keinen Wunsch abschlagen, wenn er mich so ansieht. Ich beuge mich zu ihm und wir umarmen uns. Er zieht mich so nahe an sich ran, wie es der Umstand, dass wir in einem Auto sitzen, zulässt. Sein Geruch umfängt mich und mein Herz beginnt zu rasen. Ich habe Angst, dass er es merkt, und befreie mich schnell aus seiner Umarmung.

Ich steige aus dem Wagen und sehe nochmal zu ihm hoch. „Bye, Fen, hab einen schönen Abend.“

Und das meinte ich ernst. Er sieht mir in die Augen. „Danke, Lexi, ich wünsche dir auch viel Spaß mit Ethan und Ella.“ Als er Ethans Namen sagt, zuckt er ein wenig zusammen, aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.

Ich schließe die Tür und laufe hoch zum Haus. Vor der Haustür bleibe ich nochmal stehen und sehe zu ihm, er steht immer noch vor dem Haus, winkt mir nochmal zu, wendet seinen Wagen und fährt die Einfahrt runter. Ich sehe ihm nach und gehe ins Haus, als er aus meinem Blickfeld verschwindet.

Kapitel 2

Fen

Ich sitze im Wagen vor Lexis Haus und warte auf sie, wie immer. Unwillkürlich muss ich lächeln. Sie hängt bestimmt wieder ihren Tagträumen nach und vergisst die Zeit. Die Sonne scheint von einem wolkenlosen Himmel. Also steige ich kurzerhand aus, lehne mich an den Wagen und hänge meinen eigenen Gedanken nach.

Ich werde morgen achtzehn. Und darum muss ich Lexi heute dringend erzählen, dass wir nicht zusammen in meinen Geburtstag reinfeiern können. Doch ich überlege schon die ganze Woche, wie ich das anstelle, ohne dass sie danach wütend auf mich ist. Vielleicht sollte ich einfach ins kalte Wasser springen und ihr erzählen, wie es ist und dass meine Brüder darauf bestanden haben, nur mit mir zu feiern. Wobei, egal, was und wie ich es sage, ich weiß, dass sie enttäuscht sein wird … scheiße.

Sie kennt Kilian und Alvar zwar gut genug, um zu wissen, dass jeder Widerstand zwecklos ist. Ich seufze und schaue auf die Uhr auf meinem Handy. Langsam sollte sie sich wirklich beeilen, damit wir nicht zu spät kommen.

Genau in diesem Moment stürmt sie zur Tür raus, ein Wirbel aus Energie und Wildheit. Mrs. Foxx steht hinter ihr an der Tür und winkt mir zu.

„Hallo, Fenrir, habt einen tollen Tag und pass mir gut auf meine Tochter auf. Tschüss zusammen!“ Ich winke ihr lächelnd zurück und sehe Lexi entgegen.

Mein Herz beginnt zu rasen. Sie weiß gar nicht, wie schön sie ist, mit ihren kurzen knallrot gefärbten Haaren, die an den Seiten abrasiert sind und oben lang genug, dass sie auf einer Seite seidig runterfallen. Dann ihre wunderschönen grünen Augen, die mich anstrahlen und die vollen Lippen, die mich angrinsen.

Heute trägt sie ihre schönen engen hellen Jeans und ein schwarzes Top ihrer Lieblingsband, das ihre Figur perfekt zur Geltung bringt. Ich weiß, dass sie sich ein wenig unwohl fühlt mit ihren für ihren Geschmack zu großen Brüsten. Doch ich finde, sie ist einfach perfekt so, wie sie ist. Und, naja, welcher Mann würde sich über Brüste beschweren?

Sie umarmt mich und ich fühle mich wie im siebten Himmel, wie immer, wenn sie mir so nahe ist. Ich nehme ihren Geruch tief in mir auf, sie riecht wie ein kühler Sommermorgen, frisch und blumig. Wir begrüßen uns und ich frage sie: „Warst du wieder mal in deiner Tagträumerei gefangen?“

Lexi boxt mir auf den Arm. „Nein, diesmal war es ein richtiger Traum, der mich die Zeit vergessen lassen hat. Komm, wir müssen los, ich erzähl es dir während der Fahrt zur Schule.“

Als wir im Wagen sitzen, erzählt sie mir von ihrem Traum. Ich höre ihr gebannt zu, am Anfang finde ich es recht lustig, doch als sie von den zwei bewaffneten Männern erzählt und sie mir haargenau beschreibt, wird mir ein wenig mulmig zumute.

So, wie sie diese Männer beschreibt, sind es Krieger von Kai. Aber woher sollte sie diese Männer kennen? Soweit ich weiß, hat sie diese Männer noch nie zu Gesicht bekommen, dafür sorgen wir. Zumindest nicht in ihrer wahren Gestalt. Und auch dieser Wolf … so, wie sie ihn beschreibt, muss er ein Gestaltwandler sein, sogar einer der wichtigsten in unserer Welt.

Über all das zerbreche ich mir später den Kopf, ich darf mir jetzt nichts anmerken lassen. Darum versuche ich, sie so normal wie möglich anzulächeln, und sage: „Du fängst ja langsam, aber sicher an, echt schräge Dinge zu träumen. Vor allem, welche Männer sind heute noch mit Pfeil und Bogen und Schwert bewaffnet? Vielleicht ist es eine Reaktion auf die heutige Geschichtsprüfung. Die Wikinger haben schließlich mit diesen Waffen gekämpft.“

Doch ich merke, wie sie mich prüfend mustert.

„Ist alles okay?“, will sie wissen. Verdammt, sie kennt mich einfach zu gut! Ich muss überzeugender werden.

Also lüge ich und meine: „Na klar, ich bin nur ein wenig nervös wegen der Geschichtsprüfung.“ Doch ich Idiot sollte eigentlich wissen, dass sie mir DAS am allerwenigsten abkauft, denn Geschichte ist mein Lieblingsfach und darin bin ich wirklich gut.

„Du weißt, dass du dir am allerwenigsten Sorgen um eine Geschichtsprüfung machen musst? In diesem Fach bist du der Beste. Also nochmal, was ist los, Fen?“

Ich merke, wie sie ungeduldig wird, also gebe ich mir noch mehr Mühe, ein sorgloses Lächeln aufzusetzen. „Lexi, es ist wirklich alles okay. Lass uns nochmal über die Wikinger sprechen, damit du dieses Mal bei der Prüfung nicht völlig verloren bist.“ Ich merke, wie sie nachgibt, denn so, wie ich sie kenne, wird sie froh sein, dass wir das Ganze nochmal durchgehen. Denn diese letzte Note ist für Lexis Abschluss ausschlaggebend. Also sprechen wir die restliche Fahrt zur Schule über die Wikinger.

An der Schule angekommen, haben wir zum Glück noch einen Parkplatz gefunden. Da wir ja wie immer ein wenig spät dran sind, ist er im hinteren Teil des Parkplatzes. Vor dem Eingang warten schon Ethan und Ella auf uns.

Ich glaube, Ella steht auf mich, denn sie kommt strahlend auf uns zu und blickt eigentlich nur mich an. Zur Begrüßung umarmen wir uns alle und Ella drückt mich ein bisschen fester, als es für Freunde üblich ist, doch ich versuche, nicht darauf zu reagieren. Denn für mich ist sie nur eine Freundin, mein Herz gehört Lexi.

Als wir zusammen ins Schulgebäude laufen, redet Ella schon auf Lexi ein und Ethan spricht mit mir über das Spiel vom Sonntag. Ich muss aufpassen, dass ich ihm zuhöre und nicht nur auf das Gespräch von den Mädels achte.

Doch als Ella wegen der Prüfung nachhakt, muss ich Lexi zur Seite stehen. Ich berühre von hinten ihre Schulter und meine: „Keine Angst, Ella, ich habe ihr alles nochmal eingebläut, was Mr. Sheppard fragen könnte.“

Lexi lächelt mich dankend an und mir wird sofort warm ums Herz, dann drängt sich Ethan zwischen uns und wünscht ihr viel Glück.

Im Klassenzimmer angekommen, begrüßt uns Mr. Sheppard und erinnert uns, oder besser gesagt Lexi, nochmal daran, wie wichtig diese Prüfung sei. Als er sie direkt anspricht, merke ich, wie unangenehm es ihr ist und natürlich müssen Liam und Medison sie auch noch höhnisch anlächeln. Ich blicke also zu ihr rüber und lächle sie aufmunternd an, als sie zu mir rüber sieht.

Die Prüfung war sehr einfach, aber das habe ich mir schon gedacht. Darum bin ich auch schnell damit durch und habe endlich noch ein wenig Zeit, um über Lexis Traum nachzudenken.

Wieso träumt sie von Kais Männern und von uns Gestaltwandlern? Kai ist das Böse in Person, er ist seit mehreren Jahrhunderten der skrupellose und böse Herrscher unserer wahren Heimat Jawra.

Jawra ist eine Parallelwelt zu dieser normalen Welt und die Heimat von Gestaltwandlern, Sehern und Magiern. Kai hat bei einer schrecklichen Schlacht über die Gestaltwandler und Seher gesiegt, die Magier brachten sich früh genug in Sicherheit auf die Magic Lands, die sie mit einem besonderen Zauber abgeschirmt haben. Somit kommen nur Leute mit Magie im Blut und reinen Gedanken durch diesen Schutzzauber. Abgesehen davon, dass die Anreise nur mit einem Schiff möglich ist, ist es also fast ausgeschlossen für uns, zu ihnen zu gelangen.

Und ja, ich bin ein Gestaltwandler, das heißt, meine ganze Familie besteht aus Gestaltwandlern, aber ich bin eigentlich noch kein richtiger, denn erst am achtzehnten Geburtstag kommt die Fähigkeit, sich in ein Tier zu verwandeln.

Somit ist Jawra meine Heimat, und in der normalen Welt sind wir nur, weil wir einen Auftrag angenommen haben. Dieser Auftrag lautet, eine geflohene Familie vor Kais Leuten zu schützen, denn es wird angenommen, dass diese Familie einen der zwei erwählten Erlöser von Jawra geboren haben soll.

Ich war sieben, als wir unsere Heimat für diesen Auftrag verließen. Damals gingen wir zuerst nach Irland, da wir wussten, dass diese Familie irgendwo in Europa sein musste. Nach ungefähr einem Jahr hieß es dann Sachen packen, da wir von einem Informanten erfahren haben, dass die Familie fliehen musste.

Diesmal war das Ziel Neufundland, eine Insel im Osten Kanadas. Aus Sicherheitsgründen haben wir, also meine Familie und ich, keine Ahnung, wer die Familie ist. Denn falls uns jemand von Kais Männern kriegen sollte, können wir auch unter Folter nichts verraten, das sie gefährden würde, da wir nicht wissen, wer sie sind. Ganz logisch, oder?

Doch das alles weiß Lexi nicht von mir und sie darf es auch nie erfahren. Mein Bruder Alvar ist am allerwenigsten einverstanden damit, dass ich ihr so nahe bin. Er sagt mir immer wieder, ich solle mich nicht in dieses Mädchen verlieben. Wenn er wüsste …

Der Rest meiner Familie mag Lexi sehr, doch auch sie hoffen, dass ich genug Verstand besitze, um ihr nie von unserem Geheimnis zu erzählen.

Plötzlich berührt mich jemand an der Schulter. Ich schrecke hoch, doch es ist nur Ethan, der vorbeigegangen ist, um die Prüfung abzugeben und das Klassenzimmer zu verlassen. Ich merke, wie er mich kurz fragend ansieht, da ich meist der schnellste von uns bin.Auch Ella ist bereits fertig und folgt ihm.

Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal gemerkt habe, dass schon einige das Zimmer verlassen haben. Doch ich warte noch ein paar Minuten, da ich draußen vor der Tür auf Lexi warten und den anderen nicht großartig erklären möchte, wieso ich heute so lange für diese echt einfache Prüfung gebraucht habe.

Als ich dann meine Sachen zusammenpacke und zu ihr rüber blicke, ist sie so vertieft in ihre Prüfung, dass sie mich nicht wahrnimmt. Also gehe ich zu Mr. Sheppard, gebe meine Prüfung ab und warte vor der Tür auf sie.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich abwäge, ob ich meiner Familie von Lexis Traum erzählen soll oder nicht, kommt sie mit ausdrucksloser Miene aus dem Klassenzimmer.

Ich stelle mich fragend vor sie, dann beginnt sie, strahlend zu lachen, und wirft sich mir um den Hals. Vor Freude hebe ich sie hoch und drücke mein Gesicht an ihren Hals. Alles in mir kribbelt, ich atme ihren Duft tief ein, am liebsten würde ich sie nie mehr loslassen. Unsere Körper passen einfach so perfekt zueinander, dass es fast beängstigend ist.

Doch als ich hinter Lexi ein Quietschen vernehme, weiß ich, dass die Zweisamkeit vorbei ist und Ella im Anmarsch ist. Ich setze sie auf ihre Füße und lächle sie an, dann stürmt Ella schon zu ihr und umarmt sie. Auch Ethan ist im Anmarsch und im selben Moment höre ich, wie Ella vorschlägt, heute Abend zu feiern, weil Lexi ein gutes Gefühl wegen der Prüfung hat.

Ethan stimmt sofort zu. Doch sie meint nur: „Naja, eigentlich wollten Fen und ich heute Abend in seinen Geburtstag reinfeiern.“

Scheiße, so wollte ich ihr das Ganze nicht sagen! Zerknirscht antworte ich: „Lexi, darüber wollte ich noch mit dir reden. Meine Brüder möchten den Abend mit mir alleine verbringen, frauenfreie Zone, du weißt ja, wie sie sind. Es tut mir leid, aber wir wollten ja morgen Abend alle zusammen ins Kino, dann können wir alle meinen Geburtstag feiern.“

Ich sehe, wie sie bei meinen Worten zusammenzuckt, doch sie meint nur: „Ohh, okay, na dann …“

Ella merkt nichts von der Stimmung, die gerade gekippt ist. Sie ruft nur: „Also, dann geht das klar. Ethan, Lexi und ich gehen heute ihre bestandene Prüfung feiern und morgen feiern wir Fens Geburtstag. Aber jetzt müssen wir zuerst den restlichen Schultag überstehen.“

Ich sehe den Mädels nach, wie sie zur nächsten Unterrichtsstunde gehen. Zerknirscht gehe ich mit Ethan in die andere Richtung, da wir die nächsten Fächer nicht zusammen haben. Als ich Ethan von der Seite anschaue, sehe ich, wie er vor sich hin lächelt.

Ich bin so ein Idiot, so mache ich es Ethan nur leichter, an sie ranzukommen. Ich weiß, dass er auf sie steht. Er kam vor ein paar Wochen zu mir und wollte wissen, ob sie und ich was am Laufen hätten, denn wenn nicht, würde er sein Glück bei ihr versuchen.

Da ich ja eigentlich weiß, dass ich nie mit ihr zusammen sein kann, wegen unserer unterschiedlichen Welten und so, sagte ich ihm, das zwischen uns nichts läuft. Doch am liebsten hätte ich ihm klipp und klar gesagt, dass Lexi zu mir gehört, nur zu mir, und er gefälligst die Hände von ihr lassen solle. Ich balle meine Hände zu Fäusten und versuche, mich zu beruhigen. Ich führe mich auf wie ein besitzergreifender Idiot … Aber soweit ich weiß, will sie nichts von ihm. Oder täusche ich mich da?

Zu Mittag sitzen wir dann alle wieder zusammen, doch Lexi ist nicht sehr gesprächig. Erst als Ella sie fragt, ob sie morgen mit ihr ein Kleid für den Abschlussball kaufen geht, erwacht sie aus ihrer Starre und sagt ihr zu.

Nach dem Mittagessen haben wir Jungs Football und die Mädels Volleyball, also verabschieden wir uns voneinander und gehen unserer Wege.

Beim Training bin ich nicht bei der Sache, so viel schwirrt mir im Kopf herum. Der Traum von Lexi, dann, dass ich ein Idiot bin, weil ich ihr das mit heute Abend nicht schon früher gesagt habe und andererseits, weil ich mich auf diesen Abend schon seit ich denken kann freue. Denn für uns Gestaltwandler ist dies die wichtigste Nacht unseres Lebens.

Um Mitternacht werde ich mich zum ersten Mal verwandeln und erfahren, was ich für eine Tierform annehmen werde. Am liebsten wäre ich ja ein …

Plötzlich werde ich von einem Mitspieler hart zu Boden geworfen, ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich gar nicht richtig aufs Spiel geachtet habe. Verdammt! Natürlich war es Liam, er grinst mich höhnisch an und läuft davon. Was für ein Idiot.

Coach Jack schreit mich an: „Schläfst du, O’Conners? Was ist nur los mit dir? Fang an zu spielen!“

Ich rapple mich hoch und lasse mir das nicht zweimal sagen. Ich bin viel zu ehrgeizig und ein zu guter Spieler, um mich einfach so von Liam, unserem Quarterback, überrumpeln zu lassen.

Das restliche Training über bin ich dann voll bei der Sache, am Schluss klopft mir der Coach auf die Schulter und fragt: „Warum ging das nicht von Anfang an so? Gutes Spiel, Fen, ich erwarte von dir, dass du am Sonntag dein Bestes gibst. Es geht schließlich um den Saisonsieg und dann müssen alle bei der Sache sein.“ Der Coach grinst mich an, ich grinse zurück und nicke.

Dann taucht Liam neben mir auf und meint spöttisch: „Na, O’Conners, du warst wohl nicht bei der Sache? Ich hoffe, du hast dir nicht wehgetan?“ Ich stelle mich vor ihn und sehe ihm in die Augen.

„Keine Angst, Smith, du könntest mir gar nicht weh tun, auch wenn du wolltest.“

Ich grinse ihn höhnisch an, wende mich ab und gehe zur Umkleidekabine, um zu duschen. Auf dem Weg zur Umkleide holt Ethan mich ein.

„Was war denn vorhin los mit dir?“, will er wissen.

„Ach, keine Ahnung, ich war ein wenig abgelenkt. Aber es ist alles okay“, lüge ich ihn an. Denn am liebsten würde ich ihn schütteln und ihm verbieten, sich heute Abend mit Lexi und Ella zu treffen. Doch zu meinem Glück ist Ella ja dabei und Ethan ist zu schüchtern, um vor ihr mit Lexi zu flirten.

Als ich geduscht habe, verabschiede ich mich von den Jungs und gehe zu meinem Wagen, um auf Lexi zu warten. Ich werfe meine Tasche in den Wagen und setze mich auf die Ladefläche. Als ich beobachte, wie Lexi mit Ethan spricht und er sie berührt und anlächelt, versteife ich mich vor Eifersucht. Reiß dich zusammen, Fen!

Als sie sich von ihm verabschiedet und auf mich zukommt, lächle ich sie an. Ich hoffe, sie ist nicht mehr allzu wütend auf mich.

Erleichtert stelle ich fest, dass sie zurücklächelt. Schon mal ein gutes Zeichen.

„Wie war dein Training?“, frage ich sie, als sie bei mir ist.

„Es war richtig gut. Grace war heute total locker drauf. Wir hatten jede Menge Spaß. Was vielleicht auch daran liegt, dass wir die Saison als Tabellenerste gewonnen haben und kein Spiel mehr haben. Wie war es bei euch?“, will sie wissen. Ich fahre mir mit der Hand durch mein nasses Haar und sage: „Naja, da wir am Sonntag unser letztes Spiel haben und gewinnen müssen, um die Saison als Sieger zu beenden, war das Training sehr hart und laut.“

Ich lächele sie gequält an, weil ich schon wieder nicht die ganze Wahrheit sage, doch ich möchte ihr nicht erklären müssen, wieso ich heute beim Training nicht von Anfang an bei der Sache war. Es wird immer schwieriger, mein wahres Leben vor ihr geheim zu halten. Darum steige ich einfach in meinen geliebten Wagen.

Als sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen und sich angeschnallt hat, fahre ich los.

„Du kennst Jack ja, ihr könnt zum ersten Mal die Saison gewinnen. Er meint es bestimmt nicht böse, dass er euch so hart rangenommen hat“, sagt sie zu mir. Ich sehe sie von der Seite an, nicke und sage: „Ja, da hast du bestimmt recht.“

Den Rest der Strecke legen wir schweigend zurück. Sie starrt die ganze Zeit aus dem Fenster, sie ist immer noch wütend auf mich. Und ich kann es ihr nicht mal übelnehmen. Ich möchte mir ihr reden, doch mir fällt kein gutes Gesprächsthema ein, also sage ich lieber gar nichts.

Als ich vor Lexis Haus anhalte, merkt sie es zuerst gar nicht. Als sie dann sieht, dass wir vor ihrem Haus stehen, will sie zuerst einfach aussteigen, doch ich halte sie zurück.

„Es tut mir leid, Lexi, ich wollte dir schon die ganze Zeit sagen, dass ich nicht mit dir in meinen Geburtstag reinfeiern kann. Meine Brüder haben es mir am Sonntag gesagt und keine Wahl gelassen. Ich habe die ganze Woche versucht, sie zu überreden, dass du dabei sein kannst, aber sie bestehen darauf, dass nur wir drei diesen Abend zusammen verbringen. Kannst du mir verzeihen?“

Ich sehe ihr flehend in die Augen.

„Weißt du, Fen, mich hat einfach verletzt, dass du mir das nicht unter vier Augen erzählt hast, sondern vor den anderen. Du hattest die ganze Woche Zeit, es mir zu erzählen, wir fahren jeden Tag zusammen zur Schule und wieder nach Hause.“

„Es tut mir leid, wirklich. Bitte lass es mich irgendwie wieder gut machen. Wir könnten morgen zusammen ein wenig Nahkampftraining machen?“ Ich sage das, weil ich weiß, dass sie es liebt, mit mir zusammen zu trainieren.

Doch sie meint nur: „Du hast doch heute mitbekommen, dass ich morgen mit Ella ein Kleid kaufen gehe. Wir sehen uns ja dann am Abend im Kino.“ Sie blickt auf meine Hand, die immer noch ihren Arm festhält. Sofort lasse ich sie los.

Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar.

„Klar, das habe ich ganz vergessen. Dann sehen wir uns morgen Abend?“ Ich sehe sie fragend an.

„Ja, wir sehen uns morgen Abend. Ich lasse es mir doch nicht entgehen, dir zum Geburtstag zu gratulieren.“ Sie lächelt mich an und ich lächle erleichtert zurück, ich glaube, sie ist nicht mehr ganz so wütend wie vor diesem Gespräch.

Doch sie greift wieder zum Türgriff, ohne mich zu umarmen, also frage ich schnell: „Bekomme ich keine Umarmung mehr?“ Ich merke, wie sie kurz zögert, doch dann rutscht sie näher zu mir, sodass ich sie in die Arme nehmen kann.

Zum Glück spürt sie nicht, wie mein Herz einen Satz macht, doch viel zu schnell zieht sie sich wieder zurück und steigt aus meinem Wagen. Sie sieht nochmal zu mir. „Bye, Fen, hab einen schönen Abend“, sagt sie. Ich sehe ihr in die Augen.

„Danke, Lexi, ich wünsche dir auch viel Spaß mit Ethan und Ella.“ Als ich Ethans Namen sage, zucke ich ein wenig zusammen, hoffentlich hat sie das nicht bemerkt.

Sie lässt die Wagentür zufallen und läuft hoch zum Eingang. Ich sehe ihr nach, vor der Haustür bleibt sie nochmal stehen und winkt mir zu. Erleichtert winke ich zurück, wende den Wagen und fahre nach Hause.

Auf der ganzen Fahrt nach Hause zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie wütend sie noch auf mich ist. Ich merke, wie mir ein wenig eng ums Herz wird. Hoffentlich kann sie mir das verzeihen.

Ich muss mir morgen im Kino richtig Mühe geben, damit es wieder wird wie vorher. Ich kann ihr ja schlecht erzählen, wieso sie nicht mit mir in meinen Geburtstag feiern kann. „Es tut mir leid, Lexi, ich verwandle mich in dieser Nacht in ein wildes Tier, darum kannst du nicht dabei sein“, würde nicht so gut ankommen. Obwohl ich ihr liebend gern alles erzählen würde, damit ich endlich mit ihr zusammen sein kann, so richtig zusammen.

Doch das bleibt wohl ein Wunsch, der nie in Erfüllung gehen wird. Meine Familie rät mir schon länger, mich langsam zurückzuziehen, da ich, sobald die Schule durch ist, mit ihnen patrouillieren muss und nicht mehr so viel Zeit mir ihr verbringen kann wie jetzt, da ich dann ernste Verpflichtungen habe, wie mein Vater immer betont.

Das Einzige, was Lexi weiß, ist, dass meine ganze Familie, außer Oma Bedelia, beim FBI arbeitet und ich auch zum FBI möchte. Darum habe ich ihr schon gesagt, dass ich nach dem Abschluss weniger Zeit haben werde.

Damals war ich erstaunt, dass sie nicht so viel dazu gesagt hat. Ehrlich gesagt, bin ich es immer noch, angesichts dessen, wie sie heute reagiert hat. Sie hat gesagt, dass ihre Familie eventuell mit ihr ein wenig in der Weltgeschichte herumreisen möchte und sie darum noch nicht genau wisse, was sie nach der Schule machen möchte.

Eigentlich haben wir noch nie so wirklich über unsere Zukunft geredet, was im Grunde gut für mich ist, denn so muss ich ihr keine weiteren Lügengeschichten auftischen.

Doch mich würde schon interessieren, was sie mit ihrem Leben vorhat, obwohl ich dann nicht mehr ein so großer Teil davon sein kann, wie es jetzt der Fall ist. Seit ich in Neufundland angekommen und hier zur Schule gekommen bin, sind wir unzertrennlich, da sie genau im gleichen Jahr aus der Schweiz hierhergezogen ist und wir darum beide die „Neulinge“ waren. Das hat uns automatisch zusammengeschweißt.

Wir verbringen fast unsere ganze Freizeit zusammen, wir gehen viel in die Wälder und erforschen alles. Seit drei Jahren, als sie Kilian und mich beim Training erwischt hat, war sie so begeistert davon, dass sie wollte, dass ich ihr das alles beibringe. Von da an sind wir uns noch nähergekommen, was einerseits wunderschön ist und andererseits von meiner Familie argwöhnisch beobachtet und kommentiert wird.

Wieso müssen wir nur aus unterschiedlichen Welten kommen? Es könnte alles so einfach sein. Doch leider ist uns das verwehrt. Ich grüble also über alles weiter nach, bis ich zu Hause ankomme, obwohl ich weiß, dass alles nichts nützt. Früher oder später werde ich sie gehen lassen müssen …

Kapitel 3

Fen

Ich fahre gerade die Auffahrt zu unserem Haus hoch, als ich sehe, dass Kilian und Alvar, meine beiden älteren Brüder, schon auf der Veranda auf mich warten.

Alvar ist der älteste von uns, er ist 28 Jahre alt und ein Hüne von einem Mann. Durch seine Größe und Muskeln und mit seinen langen gewellten braunen Haaren und seinen eisblauen Augen wirkt er ziemlich einschüchternd.

Hinzu kommt noch, dass er selten lächelt, sondern eher ein mürrisches Gesicht zieht. Doch er ist ein guter Kerl und würde nie jemandem ohne guten Grund etwas zuleide tun.

Kilian ist das pure Gegenteil, er ist zwar auch groß und muskulös, doch er hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Er ist 26 Jahre alt, hat kurze dunkle Haare, karamellfarbene Augen wie ich und einen schön geformten Mund, was alle Frauen in seinen Bann zieht. Hinzu kommt, dass er echt witzig ist und viel Charme besitzt. Somit kann man mit ihm eine Menge Spaß haben. Mit Alvar kann man dafür gut über ernste Themen reden. Ich liebe jeden von ihnen so, wie er ist, schließlich sind sie meine Brüder.

Ich seufze, einerseits freue ich mich riesig auf diesen Abend und andererseits belastet es mich sehr, dass Lexi wütend auf mich ist. Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar, packe meine Taschen, schließe meinen Wagen ab und gehe die Veranda hoch.

Beide strahlen mich an.

„Na, kleiner Bruder, bist du bereit?“, will Kilian wissen. Ich versuche, ein fröhliches Lächeln aufzusetzen, doch allem Anschein nach gelingt mir das nicht so richtig, denn Alvar fragt sofort argwöhnisch: „Was ist los?“ Er zieht fragend eine Braue hoch.

„Nichts“, lüge ich und will an den beiden vorbei ins Haus. Doch sie versperren mir sofort den Weg.

Ich blicke auf meine Füße, um ihnen nicht in die Augen sehen zu müssen.

„Kleiner Bruder, du weißt, dass diese Nacht die wichtigste deines bisherigen Lebens ist? Du solltest voller Freude und Ungeduld sein, aber du wirkst wie sieben Tage Regenwetter. Also nochmal, was ist los? Und versuch nicht, uns anzulügen, du weißt, dass wir das sofort riechen und spüren, wenn du lügst“, sagt Alvar trocken. Ach ja, sobald ich ein Gestaltwandler bin, kann ich Gefühle und Emotionen spüren und riechen, toll. Auch werde ich schneller und noch stärker, und das ist echt cool. Ich sollte mich wirklich auf diese Verwandlung freuen, tue ich ja im Grunde auch.

Ich seufze.

„Okay, Lexi ist wütend auf mich, weil ich sie heute versetzt habe wegen euch und dieses Abends.“Und sie hat von Kais Männern und vermutlich vom Erwählten in Gestalt eines Wolfs geträumt,füge ich in Gedanken hinzu.

Die zwei sehen sich an, Kilian versucht, ein Lachen zu unterdrücken und Alvar verdreht nur die Augen. „Ach, Bruderherz, du weißt doch, sie kann nie lange wütend auf dich sein. Wenn du sie das nächste Mal siehst, lässt du einfach deinen Charme sprühen und sie wird sofort vergessen, dass sie jemals wütend auf dich war“, meint Kilian und lächelt mich aufmunternd an.

„Da bin ich mir diesmal nicht so sicher …“, seufze ich. „Mach dir keinen Kopf, vielleicht ist es ja besser so. Du musst dich sowieso langsam, aber sicher von ihr entfernen und das weißt du. Ich versteh sowieso nicht, wieso du das Ganze so rauszögerst“, sagt Alvar mit ernster Miene. Kilian boxt ihm auf den Arm und meint: „Mann, Alvar, du weißt doch, dass unser kleiner Bruder Hals über Kopf in sie verliebt ist. Und du solltest am besten wissen, wie das ist, jemanden, den man liebt, einfach so zu verlassen.“

Alvar sieht Kilian wütend an.

„Du weißt ganz genau, dass das nicht dieselbe Situation ist. Ich musste Minerva für unseren Auftrag verlassen. Sie hat versprochen, auf mich zu warten, aber ich weiß nicht einmal, ob sie noch lebt, also, Bruder, vergleich mein Liebesleben nicht mit seinem!“, sagt er knurrend, funkelt ihn nochmal wütend an, dreht sich dann um und läuft großen Schrittes ins Haus.

Kilian weiß genau, dass das ein schwieriges Thema für ihn ist, doch er ist dafür bekannt, über Dinge zu sprechen, die er nicht ansprechen sollte.

Minerva war Alvars große Liebe in Jawra, sie ist auch eine Gestaltwandlerin und sie war das perfekte Gegenstück zu ihm. Doch als wir damals unsere Heimat verlassen haben, hat Kai wiedermal ein Exempel an einigen Gestaltwandlern statuiert, obwohl unser Verschwinden niemandem aufgefallen sein sollte durch einen speziellen Schutzzauber. Doch dies macht er alle paar Jahre, um sicherzustellen, dass alle Angst vor ihm haben und somit leichter unter Kontrolle zu halten sind.

Wir haben nie erfahren, ob Minerva überlebt hat, denn seitdem ist sie spurlos verschwunden und mit ihr ihre ganze Familie. Alvar war schon Tausende Male zurück nach Jawra geschlichen, um sie zu suchen, doch er hat sie bis heute nicht gefunden und langsam, aber sicher verliert sogar er die Hoffnung, sie jemals wieder zu sehen.

Ich sehe Kilian an und sage: „Kil, du weißt doch, dass du dieses Thema nicht ansprechen sollst. Diese Situation ist schon schwierig genug für ihn, ohne dass du noch in der Wunde rumbohrst.“

„Ja, ich bin wieder einmal übers Ziel hinaus geschossen, ich werde mich nachher bei ihm entschuldigen“, sagt er ehrlich zerknirscht.

Er legt mir einen Arm um die Schulter.

„Na komm, kleiner Bruder, wir gehen rein. Mum und Oma stehen schon seit Mittag in der Küche und kochen für dich.“

Als ich in die Küche trete, steht Mum am Herd und Oma ist damit beschäftigt, den großen Tisch im gegenüberliegenden Wohnzimmer zu decken. Meine Mum, Shaylee, ist die schönste Frau, die ich kenne. Sie hat langes dunkles lockiges Haar, das ihr fast bis ins Kreuz reicht, karamellfarbene Augen und schöne volle Lippen, die immer ein Lächeln zeigen. Sie hat einen durchtrainierten, starken und schlanken Körper, sie ist immer voller Energie und eine richtige Mutter.