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Jemand wie du E-Book

Katrin Nienhaus

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Beschreibung

Sommerurlaub in Spanien? Am liebsten wäre Isa einfach zuhause geblieben. Ihr Leben gleicht seit einem verhängnisvollen Wendepunkt ohnehin schon einer Katastrophe. Und nun sieht sie sich auch noch gezwungen, die nächsten drei Wochen mit ihrer völlig zerstrittenen Familie am Mittelmeer auszuhalten. Immerhin hat das Hotel einen Pool und auch ihre neuen Urlaubsbekanntschaften sind netter als erwartet. Nur auf die spanischen Männer hätte sie definitiv verzichten können. Vor allem einer geht ihr mit seinen unverschämt charmanten Sprüchen einfach nicht mehr aus dem Kopf. Dabei ist es doch offensichtlich, dass er keine ernsthaften Absichten verfolgt. Also wieso fällt es ihr zunehmend schwerer, sich von ihm und seinen dunklen Augen fernzuhalten?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Katrin Nienhaus

Jemand wie du

SOULSWIMMING Teil I

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

Sommerurlaub in Spanien? Am liebsten wäre Isa einfach zuhause geblieben. Ihr Leben gleicht seit einem verhängnisvollen Wendepunkt ohnehin schon einer Katastrophe. Und nun sieht sie sich auch noch gezwungen, die nächsten drei Wochen mit ihrer völlig zerstrittenen Familie am Mittelmeer auszuhalten.

Immerhin hat das Hotel einen Pool und auch ihre neuen Urlaubsbekanntschaften sind netter als erwartet. Nur auf die spanischen Männer hätte sie definitiv verzichten können.

Vor allem einer geht ihr mit seinen unverschämt charmanten Sprüchen einfach nicht mehr aus dem Kopf. Dabei ist es doch offensichtlich, dass er keine ernsthaften Absichten verfolgt. Also wieso fällt es ihr zunehmend schwerer, sich von ihm und seinen dunklen Augen fernzuhalten?

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Die Playlist meines Sommers

Danke

Es geht weiter

A EspañaPorque agua es vida

  Prolog  

„Ganz ehrlich? Ich verstehe dich nicht, Isabelle.” Mit verschränkten Armen sieht er auf mich hinab. „Warum tust du dir das an? Warum machst du nicht einfach mal irgendwas, das dich interessiert?”

Ich schüttle langsam den Kopf. „Da gibt es nichts.”

„Ach nein?” Obwohl ich ihn nicht ansehe, weiß ich, dass er die Stirn gerunzelt hat. Die Skepsis in seiner Stimme ist nicht zu überhören. „Bist du dir da ganz sicher?”, hakt er nach.

Ich presse nur schweigend die Lippen zusammen. Natürlich weiß ich genau, worauf er hinauswill. Es ist dasselbe, was er mir bereits seit Jahren vorhält. Doch was soll man schon machen, wenn alles, wovon man immer geträumt hat, unmöglich geworden ist?

Am liebsten würde ich überhaupt nicht mehr darüber nachdenken. Das Thema einfach vergessen.Aber dafür ist es jetzt zu spät. Seinetwegen sind die Gedanken wieder in meinem Kopf.

Und mit ihnen die Unruhe.

„Ganz sicher”, bekräftige ich deshalb nur entschlossen, und noch bevor er die Chance hat, etwas darauf zu erwidern, bin ich bereits mit einem kräftigen Zug untergetaucht. Das leise Gluckern des Wassers verschluckt jedes weitere Wort, während seine Silhouette mit all seinen Fragen in dem hellen Blau über mir verschwimmt.

Fragen, auf die es keine Antwort gibt.

Was tust du, wenn sämtliche Brücken hinter dir abgerissen sind – und alles, was du je wolltest, liegt auf der anderen Seite?

Ich schwimme.

  1  

„Verehrte Fluggäste, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Soeben haben wir unsere Reiseflughöhe verlassen und beginnen nun mit dem Landeanflug …”

„Isa?” Ein wenig unsanft rüttelt mein Vater mich an der Schulter. „Isabelle?”

„Hm?” Ich drehe widerstrebend den Kopf in seine Richtung. „Was ist denn?”

„Wir haben … Sag mal, hörst du mich?”

Augenrollend ziehe ich einen der Kopfhörer aus den Ohren. „Ja, wieso?”

„Gut, ähm … Wir landen”, setzt er neu an. „Schnall dich bitte an.”

„Ja, ja, bin ja schon dabei.”

Mein Vater hebt skeptisch eine Augenbraue.

„Ernsthaft”, beteuere ich genervt und mache mich daran, den Gurt aus dem Spalt zwischen unseren Sitzen zu befreien.

Als hätte er nur auf diesen Beweis gewartet, dreht er sich endlich in die andere Richtung, um auch meine jüngere Schwester von den Vorzügen des Anschnallens zu überzeugen. „Und schalt bitte das Handy aus”, fügt er noch hinzu, als ob man das von einem sechzehnjährigen Teenager heutzutage noch verlangen könnte.

Ihre Reaktion lässt kaum eine Sekunde lang auf sich warten: „Man, Papa, Alter! Chill mal!”

Ich merke, wie er sich bemüht, ruhig zu bleiben. „Luisa, bitte”, beschwichtigt er sie mit gedämpfter Stimme.

Die anderen Fluggäste sehen sich bereits zum wiederholten Mal zu uns um. Schon als ich mich nach dem Einsteigen auf den Fensterplatz gequetscht habe, hat Luisa lautstark eine Szene gemacht und jedes Mal, wenn mein Vater seitdem etwas zu ihr gesagt hat, sowieso. Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass meine Mutter sich noch nicht dazu berufen gefühlt hat, von der anderen Seite des Gangs ebenfalls auf sie einzuwirken. Unsere Mitreisenden tun mir wirklich leid, dass sie ausgerechnet mit uns in einem Flugzeug gelandet sind.

Ich versuche, mich in meinem Sitz möglichst klein zu machen, auch wenn das bei meiner Körpergröße eigentlich sinnlos ist, und richte den Blick zurück aus dem Fenster auf die karge braun-graue Landschaft unter uns. Gerade eben haben wir eine weitere Bergkette hinter uns gelassen und alles wirkt von hier oben einfach nur völlig vertrocknet und verlassen. Das also ist Spanien, denke ich bei mir, während das Flugzeug langsam, aber unaufhaltsam Kurs auf die Mittelmeerküste nimmt.

Wirklich fantastisch.

Die Landung verläuft unspektakulär, und während die anderen Passagiere noch voller Vorfreude auf ihren Sommerurlaub durcheinanderreden, drängle ich mich bereits mit meinem Rucksack durch die Reihen, um endlich diese für Kleinwüchsige gemachte Blechbüchse zu verlassen.

„Einen schönen Aufenthalt”, wünschen die strahlenden Crewmitglieder jedem, der sie passiert. „Vielen Dank für Ihre Reise mit German Airlines. Wir freuen uns darauf, Sie bald wieder bei uns begrüßen zu dürfen.”

Ja, genau, bis ganz bald, höhnt es in meinem Kopf.

Drei verdammte Wochen …

Mein höfliches Lächeln gerät zu einer Grimasse, während ich mich an den uniformierten Damen vorbei nach draußen schiebe. Schon in der Tür schlägt mir eine brütende Hitze entgegen, die mir augenblicklich den Schweiß austreten lässt.

„Ach du Sch…”

Ich fächle mir mit der freien Hand Luft zu.

Die flirrende Hitze über dem Asphalt verwandelt jeden Atemzug in einen Kraftakt und am liebsten würde ich geradewegs umdrehen, um mich einfach zurück auf meinen Platz zu quetschen – die Sardinenbüchse von Flugzeug hatte immerhin eine Klimaanlage. Doch die anderen Urlauber stauen sich bereits hinter mir im Ausgang und so beiße auch ich die Zähne zusammen, um mich übers Rollfeld auf den Weg zur Gepäckausgabe zu machen.

Im Flughafengebäude herrscht angesichts der Ferienzeit ein geschäftiges Treiben. Reisende aus aller Welt strömen von den landenden Maschinen zu den Ausgängen, buntes Stimmengewirr mischt sich mit den Lautsprecherdurchsagen und es dauert eine Weile, bis ich in dem ganzen Getümmel meinen Koffer entdeckt habe. Mit einem gezielten Handgriff wuchte ich den silbernen Trolley auf den Boden, ehe ich darauf warte, dass auch meine Familie ihre Habseligkeiten vom Transportband auf die zwei Gepäckkarren verlädt.

„Habt ihr dann alles?”, fragt mein Vater schließlich, während er den Blick über den modernen Turmbau zu Babel schweifen lässt.

„Ich denke schon … Ach nein, da ist ja noch die rote Tasche!” Meine Mutter, die noch nie viel davon gehalten hat, einfach nur das Nötigste einzupacken, eilt zurück zum Gepäckband. „Verflixt, ist das Ding schwer! Du könntest mir auch ruhig mal helfen, Isabelle”, ächzt sie vorwurfsvoll und deutet auf das rote Monster, das trotz ihrer Bemühungen noch immer unbeirrt auf dem Band im Kreis fährt. Ich frage mich, wozu die Airlines eigentlich Gepäckbestimmungen erlassen, wenn man im Zweifel für einen Aufpreis sowieso alles mitnehmen kann, was man will.

Kommentarlos hebe ich die Tasche hinüber auf den Wagen, der bereits jetzt unter der Last gefährlich schwankt. „Können wir dann langsam?”

„Ja, wenn das jetzt alles war?” Der Blick meines Vaters wandert weiter zu meiner Mutter.

„Mhm, ja, das sollte alles gewesen sein”, bestätigt sie mit einem Nicken.

„Gut. Dann übernimmst du den anderen Wagen, Isa”, bestimmt er, als ob irgendjemand außer mir das Ding noch bewegt bekommen würde, und geht mit dem ersten Karren voran.

Seufzend greife ich mir den zweiten Schwertransport, um ihm damit in Richtung Ausgang zu folgen. Während die meisten unserer Mitreisenden bereits in der Eingangshalle von jemandem mit einem Herzlich-Willkommen-Schild in Empfang genommen wurden, fand mein Vater einen komfortablen Hoteltransfer leider zu teuer, weshalb er uns stattdessen den billigsten Mietwagen beschafft hat, den er in ganz Spanien auftreiben konnte.

„Und da sind wir auch schon”, stellt er zufrieden fest, als wir nach einem schweißtreibenden Fußmarsch endlich den Parkplatz erreichen, und öffnet die Heckklappe einer schwarzen Rostlaube, die in der Mittagssonne auf uns gewartet hat.

Entgeistert sehen wir das Auto an.

„Ist das dein Ernst?”, fragt Luisa, die in ihrem Manga-Outfit mit Lederjäckchen und viel zu kurzem Rock wahrscheinlich eher auf eine Stretchlimousine gehofft hatte. Mit der Spitze ihres Lackschuhs tippt sie probehalber gegen den Reifen, als könnte der Wagen daraufhin in seine Einzelteile zerfallen. „Fährt dieser Schrotthaufen überhaupt noch?”

Mein Vater verdreht bloß die Augen. „Ihr könnt ja den Bus nehmen, wenn’s euch nicht passt”, erwidert er inzwischen sichtlich genervt, während er versucht, das Gepäck wie ein Tetris-Meister in den viel zu kleinen Kofferraum zu verladen. So wie ich ihn kenne, würde er das Auto eher eigenhändig bis zum Meer schieben, als zuzugeben, dass seine Sparmaßnahme eine Schnapsidee war.

Dabei muss ich Luisa in diesem Fall ausnahmsweise mal recht geben. Der Wagen sieht aus, als stamme er noch aus dem letzten Jahrhundert – Klimatisierung oder Komfort sind bei einer einstündigen Fahrt durch die spanische Sommerhitze offenbar zu viel verlangt.

Mit einem leisen Murren zwängen wir uns in den aufgeheizten Innenraum, wo ich mit meinem Rucksack zwischen den Beinen vergeblich versuche, auf der Rückbank eine akzeptable Position für meine langen Gliedmaßen zu finden. Leider bietet der Wagen auch nicht mehr Platz als das Flugzeug zuvor, sodass ich nach einer Weile resigniert aufgebe und mir stattdessen wieder die Kopfhörer in die Ohren schiebe. Die laute Musik übertönt zumindest für den Moment die gereizten Stimmen meiner Familie, und während mein Vater langsam losfährt, kurble ich das Seitenfenster hinunter, um die minimal frischere Luft hereinzulassen. Der heiße Fahrtwind zerzaust mir die blonden Haare und macht das Atmen ein klein wenig leichter, auch wenn mir schon nach wenigen Minuten Fahrt die Klamotten unwiederbringlich auf der Haut kleben.

Mein Blick wandert hinüber zu Luisa, die sich mit ihrem Smartphone ans andere Ende der Rückbank verzogen hat. Nachdem sie durch den Flug fast drei Stunden gezwungenermaßen offline war, klammert sie sich nun an das kleine Gerät wie eine Ertrinkende. Der pink-schwarz gefärbte Pony fällt ihr tief in die Stirn und ihre lackierten Fingernägel fliegen in einem Tempo über das Display, als müssten sie die versäumten Minuten so schnell wie möglich wieder aufholen. Wenn ich meine kleine Schwester so betrachte, kann ich jedes Mal kaum glauben, wie nah wir uns einmal waren. Damals, bevor sich alles verändert hat …

„Ist was?”, faucht Luisa, als sie bemerkt, dass ich sie beobachte, und zieht gereizt ihre Kniestrümpfe zurecht.

Ich wende bloß schweigend den Blick von ihr ab, um in meinem Rucksack nach einem Fächer zu kramen. Ich war mir eigentlich ziemlich sicher, in weiser Voraussicht einen eingesteckt zu haben, doch stattdessen stoßen meine Hände lediglich auf einen fein säuberlich zusammengefalteten Zettel. Für Isa, steht in einem Herzchen auf der Außenseite und darunter: Schönen Urlaub!

Einen Moment lang stutze ich, ehe es mir wieder einfällt. Na klar, den Zettel hat Kathi mir gestern zugesteckt, als wir uns abends vor dem Freibad verabschiedet haben. In dem ganzen Reisechaos hatte ich ihn komplett vergessen, dabei musste ich ihr eigentlich versprechen, ihn spätestens im Flugzeug zu lesen. Wahrscheinlich wollte sie mir irgendetwas Nettes mit auf den Weg geben. Wenn ich an die nächsten drei Wochen denke, kann ich ein bisschen Aufmunterung definitiv gebrauchen. Und andernfalls gibt der Zettel sicher auch einen guten Ersatz für meinen Fächer ab – Kathi muss es ja nicht erfahren …

Als ich das Papier neugierig auseinanderfalte, staune ich allerdings nicht schlecht. In ihrer kleinen, sorgfältigen Handschrift hat sie mir eine spanische Vokabelliste zusammengestellt.

Hallo!

¡Hola!

Guten Morgen!/Guten Tag!

¡Buenos días!

Guten Abend!/Gute Nacht!

¡Buenas tardes/noches!

Bis dann!/Tschüss!

¡Hasta luego!

Ja

Nein

No

Vielleicht

Quizás

Bitte

Por favor

Danke

Gracias

Gern geschehen

De nada

(Sehr) gut

(Muy) bien

Entschuldigung

Perdón

Tut mir leid

Lo siento

Einverstanden

Vale

Sprechen Sie Deutsch?

¿Habla alemán?

Ich bin Deutsche/aus Deutschland.

Soy alemana/de Alemaña.

Mein Gott!/Meine Güte!

¡Dios mío!, ¡Madre mía!

Scheiße!

¡Mierda!, ¡Joder!

Du Idiot!

¡Idiota!

Lass mich in Ruhe!

¡Déjame (en paz)!

Komm!

¡Ven!

Tanz mit mir!

¡Baila conmigo!

Küss mich!

¡Bésame!

Ich habe (k)einen Freund.

(No) tengo novio.

Ich liebe dich.

Te quiero., Te amo.

Ich blinzle. Bitte was?

Beinahe muss ich lachen, so absurd ist das Ganze. Hätte ich es nicht schwarz auf weiß vor mir, würde ich es nicht glauben. Was bezweckt Kathi denn damit? Glaubt sie wirklich, ich würde mich freiwillig mit einem Spanier unterhalten? Und noch dazu auf Spanisch?

Nie im Leben.

Eher fliege ich zum Spaß für drei Wochen mit meiner Familie in den Sommerurlaub.

Haha, sehr witzig.

Nein, da bleibe ich doch wirklich lieber bei meinem eingeschlafenen Schul-Englisch und der Handy-Translator-App. Und was sollen denn bitte die letzten Vokabeln?

Das ist ja mal wieder typisch Kathi.

Manchmal frage ich mich, ob sie mich überhaupt kennt. Diesem Zettel nach zu urteilen, wohl eher nicht. Zwar halten uns die meisten seit Jahren für die besten Freundinnen, aber Freundin ist eindeutig zu hoch gegriffen.

Kathi ist eben … Kathi.

Sie ist einfach da.

Ohne sie wäre ich schon lange erledigt gewesen. Na ja, und mit ihr bin ich es auch …

Mein Blick gleitet aus dem Wagenfenster über die öde Landschaft, die am Rande der Straße an uns vorbeizieht. Einzelne Dörfer liegen verstreut zwischen vertrockneten Hügeln. Schmucke Fincas hinter hohen Mauern, die sich von den endlosen Ansammlungen klappriger Gewächshäuser abheben. Meine Abneigung gegen dieses Land wächst mit jeder Minute.

Es ist mir zu heiß. Zu trocken. Zu fremd.

Wehmütig denke ich zurück ans Ruhrgebiet, meine Heimat mit ihren zahlreichen grünen Oasen, die aus der einstigen Bergbauregion eine so lebenswerte Metropole machen. Was würde ich dafür geben, jetzt dort zu sein. Wenigstens noch einmal in das erfrischende Nass meines geliebten Waldfreibades springen …

Stattdessen schmore ich hier in dieser stickigen Klapperkiste, um die nächsten drei Wochen mit meiner unausstehlichen Familie zu verbringen. Hätte ich geahnt, worauf das alles hinausläuft, hätte ich garantiert mit mehr Elan versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Aber wie hätte ich auch darauf kommen sollen, dass wir wegen dieser dämlichen Geschichte ausgerechnet in Spanien landen würden? Das war ja nun wirklich nicht vorherzusehen.

Und nun ist es zu spät.

Nach einer knappen Stunde Fahrt durch die staubige Hitze kommt am Horizont das Mittelmeer in Sicht. Oder zumindest wäre es sichtbar gewesen, wenn sich davor nicht die immense Hotel-City von Milagromar aufgetürmt hätte. Ein riesiger Luxusschuppen reiht sich neben den nächsten, jeder höher und protziger als der andere. Auch unser Ziel, das Hotel Destino Aguamor, ist schon von Weitem zu erkennen. Wie ein weißer Riese ragt es an der Promenade in den Himmel, als wollte es dem einstigen Fischerdorf am Hang nicht nur den Meerblick, sondern am liebsten auch noch die Sonne nehmen.

Die Begeisterung meiner Mutter, die uns dazu animiert, aus dem Fenster zu schauen, verhallt ungehört im Wagen. Es ist mir ein Rätsel, wie man sich darüber freuen kann, hier Urlaub zu machen.

Erst als wir wenig später auf dem Parkstreifen am Fuße des Hotels halten, ziehe ich die Kopfhörer aus den Ohren und schäle mich aus dem Sitz. Mein zum Zopf gebundenes Haar klebt mir feucht und schwer im Nacken und das Einzige, was mich mittlerweile noch aufrecht hält, ist die Hoffnung auf eine kalte Dusche. Während mein Vater in einiger Entfernung die Unterbringung unseres Leihwagens klärt, wuchte ich schon mal das Gepäck aus dem Kofferraum, um den Prozess zu beschleunigen. Taschen, Koffer, Rucksäcke – man könnte meinen, wir wollten auswandern und nicht bloß für drei Wochen all-inclusive in einem Luxushotel absteigen.

Als mein Vater schließlich wieder zu uns stößt, ist der Wagen dennoch bereits leer. „Habt ihr alles?”, fragt er mit einem Blick in den Kofferraum und wirft die Klappe zu.

„Ja, lasst uns reingehen”, nickt meine Mutter.

Mit einem stummen Seufzen schultere ich meinen Rucksack, um meiner Familie mit dem Gepäck um das riesige Gebäude herum zu folgen. Die weiß getünchten Mauern ragen zu unserer Linken mindestens zwanzig Etagen oder mehr in die Höhe und wie automatisch gleitet mein Blick an der Fassade empor.

Was für ein gigantomanischer Luxusschuppen.

Der blaue Himmel spiegelt sich in den Fensterfronten der Balkone und ich stelle mir vor, dass man von dort oben sicher eine tolle Aussicht haben muss – jedenfalls, wenn man die hundert anderen Hochhäuser um sich herum ausblenden kann …

Ich bin so abgelenkt, dass ich beinahe über die erste der Stufen stolpere, die hinauf zum Eingang führen. Hoppla. Eilig hebe ich meinen Koffer und die rote Tasche an, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Auch hier im Erdgeschoss ist die Front des Hotels fast vollständig verglast und neben dem Eingang wachsen Palmen aus Kübeln, deren frisches Grün sich wie ein leuchtender Farbtupfer von den weißen Pfeilern abhebt. Stumm folge ich meiner Schwester durch die Glastüren, über denen in großen roten Lettern der Name des Hotels schwebt. Als ich ins Innere trete, seufze ich unwillkürlich auf.

Himmel, ist das kühl!

Mit dem Handrücken wische ich mir die verschwitzten Strähnen aus der Stirn, während ich hinter meiner Familie die klimatisierte Rezeption ansteuere. Die massive Holztheke erstreckt sich auf der rechten Seite über einen großen Teil der Eingangshalle und böte Arbeitsplätze für mindestens fünf Personen, wenn nicht vier der Plätze bereits durch überdimensionierte Topfpflanzen besetzt wären. Der einzige menschliche Angestellte, der zwischen seinen pflanzlichen Kollegen Dienst schiebt, sieht mit einem breiten Lächeln zu uns auf.

„¡Hola, buenos días! Bienvenidos to beautiful hotel Destino Aguamor”, begrüßt er uns in sehr spanisch klingendem Englisch.

Mein Vater nickt höflich. „Guten Tag. Familie Püttman. Wir würden gerne einchecken”, erklärt er das Offensichtliche.

„Oh, sí, sí, claro.” Geschäftsmäßig nimmt der Rezeptionist die Buchungsunterlagen entgegen. „Sólo un momentito, por favor.”

Das Strahlen auf seinem Gesicht leuchtet beinahe so weiß wie seine Hoteluniform, während er munter beginnt, auf seinem Computer herumzutippen. Dabei fällt ihm das krause Haar, das er mit einem Tuch zusammengebunden hat, so über die Schulter, dass sein Namensschild nicht zu erkennen ist. Mit seiner unkonventionellen Ausstrahlung wirkt er irgendwie ein wenig fehl am Platz in dieser edlen Umgebung.

Mein Blick gleitet über den blitzblanken Marmorfußboden zu den dunklen Wänden, die in einem deutlichen Kontrast zu den hellen Fensterfronten stehen. Geschmackvoll platzierte Pflanzen und gezielte Farbakzente verleihen dem Empfangsbereich einen modernen Look, der die Halle gleichermaßen einladend und stilvoll wirken lässt. Über einer Sitzecke aus dunklem Leder leuchtet genau wie draußen in sattem Rot der Name des Hotels. Geschwungene Buchstaben, gefolgt von einem Logo, das auch auf der Uniform des Mitarbeiters aufgestickt ist und zwei Wellen zeigt, die sich zu einem Herzen formen.

Ich will gerade mein Handy rausholen, um nachzuschauen, ob die Wörter wohl das bedeuten, was ich vermute, als der Rezeptionist die Formalia für den Check-in erledigt hat.

„Bien, eso es todo. Aquí tienen las llaves”, verkündet er und überreicht meinem Vater die Zimmerschlüssel.

Zwei Stück.

„Hey, Moment mal, das geht nicht!”, mische ich mich alarmiert ein. „Ich brauche auch einen Schlüssel.”

„Ja, ich auch”, schließt meine Schwester sich mir an.

Mit einem Seufzen wendet mein Vater sich erneut an den Rezeptionisten, um sich nach weiteren Schlüsseln zu erkundigen. Ich frage mich, welches moderne Hotel dieser Größe heutzutage überhaupt noch echte Schlüssel statt Keycards verteilt, doch nach einer kurzen Diskussion bekommt er schließlich noch einen dritten ausgehändigt, den er mir wortlos in die Hand drückt.

„Ey, und was ist mit mir?”, beschwert Luisa sich.

Mein Vater zuckt bloß mit den Schultern. „Tut mir leid, aber es gibt nur drei, also bekommt Isa den dritten.” Er wendet sich seinen Koffern zu. „Sie ist volljährig.”

Volljährig?

Ich verdrehe hinter seinem Rücken genervt die Augen. Ich hasse es, dass er mich mit meinen quasi einundzwanzig Jahren immer noch nicht als erwachsen bezeichnen kann …

Aber egal.

Hauptsache, ich habe meinen eigenen Schlüssel und muss mich nicht wie meine Schwester rund um die Uhr nach Mami und Papi richten.

Während ich mein metallisches Stückchen Freiheit in die Hosentasche schiebe, probt Luisa neben mir noch immer den Aufstand. „Boah, das ist so unfair! Ich will auch einen Schlüssel haben”, zetert sie herum. „Immer kriegt Isa alles, was sie will, nur weil sie älter ist.”

Pff, schön wär’s, denke ich augenrollend, während ich meinem Vater mit dem Gepäck zum Fahrstuhl am hinteren Ende der Eingangshalle folge. Wenn dem tatsächlich so wäre, würde ich jetzt garantiert nicht hier stehen. Aber das scheint meine Schwester nur zu gerne zu vergessen …

„Isabelle kriegt auch nicht alles, was sie will”, bestätigt meine Mutter matt, deren blond getönte Frisur inzwischen sichtlich unter der Hitze gelitten hat, und hebt ihre Taschen an. „Also mach jetzt bitte hier kein Drama und komm mit hoch.”

„Alter, ihr seid so sch…”

„Luisa, Schluss jetzt!”, fährt mein Vater dazwischen und deutet quer durch die Halle auf ihren glitzernden Trolley. „Wir gehen hoch.”

„Ach man, ey.” Die rosa geschminkten Lippen zu einer wütenden Linie gepresst, rafft Luisa ihr Gepäck zusammen, um uns damit in den Aufzug zu folgen.

Eingepfercht zwischen den Koffern drückt mein Vater den Knopf für die achte Etage und mit einem leisen Zischen schließen sich die Metalltüren zwischen uns und der Eingangshalle. Das Letzte, was ich durch den schmalen Spalt noch zu sehen glaube, ist ein Paar Augen.

Dunkle Augen.

  2  

Verwirrt blinzle ich gegen das spiegelnde Metall vor meiner Nase, während sich der Aufzug mit einem leichten Ruck in Bewegung setzt. Hat mich da gerade jemand angeguckt?

Ach was, denke ich kopfschüttelnd. Wer sollte das schon gewesen sein? Bei dem Aufstand, den Luisa ständig veranstaltet, starren uns doch sowieso alle Leute an. Kaum zu glauben, dass wir gerade erst angekommen sind …

Ich bemühe mich, ruhig durchzuatmen, während der Fahrstuhl lautlos mit uns in die Höhe gleitet. In der achten Etage steigen wir schließlich aus und folgen dem langen, mit rotem Teppich ausgelegten Flur zu unserem Hotelzimmer.

„Achthundertfünf, hier ist es”, stellt meine Mutter fest und schließt die Tür auf.

Wir treten hinter ihr über die Schwelle.

Damit wir in unserem Urlaub alle zusammenbleiben können, haben meine Eltern eines der Aguamor-Familienzimmer gebucht. Durch einen Eingangsbereich mit minimalistischer Garderobe gelangt man zunächst in den Hauptwohnraum, in dessen Mitte ein weinrotes Sofa samt dazu passenden Sesseln um einen Fernseher gruppiert ist. Drei weiß lackierte Türen führen von dort weiter nach rechts in das Bad und die zwei Schlafzimmer. Das Spektakulärste an dem Raum ist eindeutig der Blick nach draußen. Endlos weit erstreckt sich hinter der Brüstung des kleinen Balkons das Mittelmeer.

Ich spüre, wie beim Anblick der glitzernden Wasseroberfläche ein sehnsüchtiges Ziehen in mir aufsteigt. Von hier oben hat man wirklich eine fantastische Aussicht. Zu schade, dass man die Balkontür nicht öffnen kann, wenn man keinen Hitzschlag erleiden will …

Aber zumindest gibt es auch hier oben eine funktionierende Klimaanlage. Ich wende den Blick vom Meer ab, um mir auch den Rest des Hotelzimmers anzugucken. Da meine Eltern bereits das Doppelzimmer neben dem Eingang in Beschlag genommen haben, steuere ich mit meinem Gepäck die mittlere der drei Türen an und stelle erleichtert fest, dass sich dahinter zwei L‑förmig angeordnete Einzelbetten befinden. Es ist schlimm genug, dass ich mir überhaupt ein Zimmer mit meiner Schwester teilen muss, aber drei Wochen mit Luisa im Doppelbett wären wirklich mein Ende gewesen.

Achtlos lasse ich den Rucksack auf die Matratze gegenüber der Tür fallen und hole mein Handy raus, um es nach dem Flug wieder einzuschalten. Eine freundliche Kurzmitteilung informiert mich darüber, dass ich mich derzeit im EU-Ausland befinde – ein Umstand, auf den ich sicher von alleine nicht gekommen wäre – und mit einem Augenrollen wische ich die Nachricht beiseite, um Kathi Bescheid zu geben, dass wir angekommen sind. Es dauert kaum eine Minute, bis ich auch schon eine Antwort erhalte.

Kathi

Super! Dann hab einen ganz tollen Urlaub, Isa :) Ich beneide dich!!!

Wie automatisch lege ich beim Lesen die Stirn in Falten. Kathi beneidet mich? Was gibt es denn an meiner Situation bitte zu beneiden?

Das kann wirklich nur jemand behaupten, der keine Ahnung hat. Dieser Urlaub steht wie ein Sinnbild für das absurde Theater, in das sich mein Leben verwandelt hat.

Isa

Wir können gerne tauschen. Es ist einfach nur irre heiß und nervig hier. Wie sage ich das auf Spanisch? Das hast du auf deinem schlauen Zettel vergessen.

Schon als ich die Nachricht abschicke, weiß ich, dass Kathi die Augen über mich verdrehen wird, aber den Seitenhieb kann ich mir nicht verkneifen. Es ist ja nur die Wahrheit!

Kathi

Gemecker übersetze ich nicht. Lass dich einfach mal darauf ein. Du wirst es schon nicht bereuen.

Ja, ja, da wäre ich mir an ihrer Stelle nicht so sicher. Wenn ich ehrlich bin, bereue ich bereits so einiges, was ich in meinem kurzen bisherigen Leben getan habe. Hätte ich als Kind meine Eltern ein bisschen mehr auf Trab gehalten, dann hätten sie mir vielleicht nicht noch eine Schwester vor die Nase gesetzt. Und hätte ich mich ein bisschen mehr bemüht, wäre vielleicht auch nicht alles so aus dem Ruder gelaufen und wir wären jetzt nicht hier. Und hätte ich nicht mit dem Training aufgehört, dann …

Nein!

Entschlossen schiebe ich den Gedanken beiseite. Da will ich jetzt überhaupt nicht drüber nachdenken.

Schluss damit!

Kathi hat ganz offensichtlich keine Ahnung. Sie kennt mich und mein Leben nicht. Zumindest nicht wirklich. Was kann sie also schon wissen?

Ich stecke das Handy weg und krame stattdessen meinen Kulturbeutel aus dem Koffer, um mit dem flauschigen weißen Hotelhandtuch ins Badezimmer zu flüchten. Duschen ist jetzt genau das Richtige. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Wasser grundsätzlich meine Stimmung hebt, aber als die kühlen Tropfen aus der Brause auf mich herabprasseln, fühlt sich die Welt gleich schon wieder ein Stückchen besser an. Ich nehme mir Zeit, um mich so richtig zu erfrischen, und erst als auch der letzte hartnäckige Gedanke zusammen mit dem Schweiß der Anreise im Abfluss verschwunden ist, steige ich wieder aus der Kabine, um mich abzutrocknen.

In mein Handtuch gewickelt gehe ich anschließend zurück ins Zimmer. Meine Schwester, die sich in der Zwischenzeit auf das rechte Bett in der Ecke zurückgezogen hat, schenkt ihrem Handy zum Glück wesentlich mehr Beachtung als mir und so beuge ich mich ungestört über meinen Koffer, um etwas Frisches zum Anziehen rauszusuchen. Meine Urlaubsgarderobe besteht in Erwartung der hiesigen Temperaturen hauptsächlich aus kurzen Shorts, Funktionsshirts und Tanktops. Dazu habe ich außerdem einen leuchtend blauen Bikini eingepackt, den ich extra für diesen Urlaub ausgesucht habe. Meine Mutter war der Meinung, dass ich am Strand nicht in meinen normalen Badeanzügen herumlaufen kann, und auch wenn ich nach wie vor anderer Ansicht bin, habe ich das Ding ja jetzt dabei, also kann ich es auch genauso gut anziehen.

Noch während ich die Bänder des Oberteils im Nacken verknote, bemerke ich von der Seite Luisas skeptischen Blick. „Was ist?”, frage ich verwundert.

„Ach, nichts. Das sieht beschissen aus”, kommentiert sie ungerührt.

Ich sehe an mir herunter. „Wie bitte?”

„Du hast voll keine Bikinifigur. Ich mein‘ ja nur.” Sie widmet sich wieder ihrem Handy.

„Hömma, geht’s noch?” Ich stemme empört die Hände in die Hüften. „Bei dir piept’s wohl!” Was fällt ihr ein, mich so zu beleidigen? Nur weil ich ein bisschen anders aussehe als die meisten Frauen?

Na gut, das breite Kreuz und die Muskeln sind so eine Sache, aber ich habe wahrlich schon genug Selbstzweifel. Ich brauche definitiv nicht noch jemanden in meinem Leben, der mich daran erinnert, wie ungewöhnlich meine Figur ist. Und überhaupt: Was bildet sie sich eigentlich ein? Verkleidet sich selbst wie ein Anime-Mädchen und will mir erzählen, wie ich auszusehen habe.

Pah!

Mit einem Grummeln steige ich in meine dunkelblauen Lieblingsshorts. Sie sollte sich mal lieber selbst im Spiegel anschauen, bevor sie mir das Leben schwer macht.

Manga-Monster …

Ich bin gerade dabei, ein hellblaues Top über den Bikini zu streifen, als hinter mir ohne Vorwarnung die Tür aufgerissen wird.

„Isabelle?” Meine Mutter streckt den Kopf ins Zimmer.

Erschrocken fahre ich herum. „Hallo? Schon mal was von Klopfen gehört?”

Sie weicht verlegen einen Schritt zurück. „Oh, ähm, Entschuldigung.” Reumütig klopft sie im Nachhinein gegen den Türrahmen. „So besser?”

Ich sehe sie augenrollend an. „Was ist denn?”

„Ich wollte nur fragen … Könntest du vielleicht kurz nach unten gehen und rausfinden, wann es Abendessen gibt? Das haben wir vorhin vergessen.”

„Wieso ich? Warum gehst du nicht selbst?”

„Ach Isabelle …”, nörgelt sie. „Du weißt doch, dass ich kein Englisch kann.”

„Na und? Dann lass Luisa gehen”, erwidere ich unbeeindruckt. „Wegen Englisch ist sie doch nicht sitzengeblieben, oder?”

„Isa!”, faucht meine Schwester verärgert.

Ich ignoriere ihre finsteren Blicke von der Seite. „Wozu schickt ihr sie sonst in die Schule?”

„Isabelle!” Meine Mutter sieht mich flehend an. „Bitte.”

„Na gut, von mir aus”, lenke ich ein und binde meine feuchten Haare zu einem Zopf. Ich brauche sowieso Bewegung, und wenn ich dafür ein paar Minuten Ruhe vor meiner Familie bekomme, soll es mir nur recht sein. Mit meinem Handy und dem Schlüssel in der Hand dränge ich mich an meiner Mutter vorbei aus dem Raum. „Dann bis später.”

„Ja, vielen, vielen Dank!”, ruft sie mir hinterher. „Du hast auch was gut bei mir.”

„Ja, ja …” Ich schlüpfe barfuß in meine Turnschuhe.

„Und jetzt zu dir, Luisa”, höre ich sie noch aus dem Zimmer. „Hast du heute schon deine Nachhilfe-Aufgaben gemacht?”

Ha!

Mit einem schadenfrohen Lachen verlasse ich das Hotelzimmer. Das hat sie jetzt davon. Wäre sie mal freiwillig gegangen.

Der Fahrstuhl braucht keine zwei Minuten, um mich aus dem achten Stock zurück in die Eingangshalle zu bringen, und mit einem leisen Pling gleiten die Türen auf, hinter denen mich anstelle irgendwelcher dunklen Augen lediglich der namenlose Mitarbeiter von unserem Check-in erwartet. Sein Blick ist auf den Computermonitor vor ihm gerichtet und auch dieses Mal werde ich das Gefühl nicht los, dass er in der edlen Halle irgendwie deplatziert wirkt. Mit seinem silbernen Ohrring und dem Kopftuch, dessen Muster sich bei genauerem Hinsehen als grinsende Totenschädel herausstellt, erinnert er mich ein wenig an einen Piraten. Vielleicht sollte ich ihn Jack nennen …

Mit einem Schmunzeln räuspere ich mich, um Captain Jack auf mich aufmerksam zu machen. „Oh, buenas tardes, señorita”, begrüßt er mich daraufhin und sieht von seinem Bildschirm auf.

„Ähm, ja, buenas tardes”, erwidere ich höflich und versuche, mich an Kathis Zettel zu erinnern. Hieß das nicht so was wie guten Tag?

Der Pirat scheint aus meiner Antwort jedenfalls fälschlicherweise zu schließen, dass ich ihn verstanden habe, denn er redet einfach munter auf Spanisch weiter: „¿Qué pasa? ¿Todo bien? ¿Puedo ayudarle?”

Sein Tonfall und das abwartende Lächeln legen nahe, dass er mich irgendwas gefragt haben muss, doch natürlich habe ich keinen blassen Schimmer, was es war.

Und jetzt?

Soll ich tatsächlich versuchen, mich halb auf Englisch, halb auf Spanisch mit ihm zu unterhalten? Am besten noch mit Kathis lustigem Vokabelzettel?

Das kann doch nur im Chaos enden.

Kurzerhand ziehe ich mein Handy aus der Tasche, um die Translator-App zu öffnen und sie ihm mit gedrückter Aufnahmetaste hinzuhalten. Genau für solche Fälle gibt es diesen modernen Technikkram doch.

Es dauert nur einen kurzen Moment, bis Jack begriffen hat, was ich von ihm will. „Buenas tardes, ¿cómo puedo ayudarle?”, wiederholt er seine Frage ein zweites Mal, woraufhin die leicht abgehackte Frauenstimme aus meinem Handy übersetzt: „Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?”

Aha, na, das ist doch leicht.

Schnell tippe ich meine Frage ein, wann es im Hotel Abendessen gibt, und starte die Übersetzung. „Cuando no está aquí, en la cena de hotel”, liest die Stimme vor.

Der Pirat runzelt für einen Moment die Stirn, ehe er lauthals loslacht.

Okay …?

Ein wenig verwirrt sehe ich ihn an. Das kommt jetzt unerwartet. Warum lacht er? Habe ich irgendwas Falsches eingegeben? Ich drücke probehalber auf die Rückübersetzung ins Deutsche. Wenn er nicht hier im Hotel das Abendessen, zeigt die App mir an.

Na toll.

Da ist wohl irgendwas schiefgegangen. Kein Wunder, dass er mich nicht verstanden hat. In der Hoffnung, dass der Wortsalat vielleicht nur ein Ausrutscher war, tippe ich meine Frage erneut ein, diesmal mit anderer Wortwahl. Cuándo la cena, ist das Ergebnis, was mir zwar ein bisschen zu kurz erscheint, diesmal aber offensichtlich ausreicht, um Jack verständlich zu machen, was ich von ihm will.

„La cena”, sagt er noch immer merklich amüsiert und deutet auf einen Flyer, den er mir über die breite Holztheke schiebt, „empieza a las seis de la tarde en el comedor.” Er deutet über meine Schulter. „Por allí.”

„Ah-hm?” Ich folge seinem Finger mit den Augen zu einer Doppelschwingtür neben dem Aufzug, ehe ich meinen Blick zurück auf den Infozettel senke. Am Ende eines Abschnitts finde ich die Angabe 18:00 – 21:00 Uhr im Dining Room. Da habe ich dann wohl meine Antwort.

„Okay, ähm, thank you”, bedanke ich mich und nehme das Papier an mich. „Gracias.”

Oder so ähnlich.

Abgesehen von den Startschwierigkeiten hat das doch eigentlich ganz gut geklappt. Der Pirat wird mich zwar jetzt wahrscheinlich drei Wochen lang für etwas bescheuert halten, aber zumindest habe ich gelernt, dass die App wohl nur möglichst einfache Sätze übersetzen kann. Das ist doch auch schon mal was.

Mit dem Flyer in der Hand drehe ich mich um und laufe in Richtung Ausgang, wobei ich im Gehen eine Nachricht an meine Mutter tippe. Ihre Antwort lässt nicht lange auf sich warten.

Mama

Danke für die Info, aber wo bist du denn? Du solltest doch wieder hochkommen!

Hochkommen?

Ich stelle das Gerät auf Stumm, ehe ich es, ohne zu antworten, in die Hosentasche stecke. Von Hochkommen hat sie nichts gesagt. Und da ich jetzt sowieso schon mal hier unten bin, kann ich die Gelegenheit auch genauso gut nutzen, um mir mal ein bisschen die Gegend anzusehen, in die man mich verfrachtet hat. Mit einem beherzten Schritt trete ich hinaus in die Nachmittagssonne.

„Uff!”

Noch bevor sich die Glastüren ganz hinter mir geschlossen haben, bereue ich meine Entscheidung. Die Hitze steht vor dem Gebäude wie eine Wand.

Brennend. Drückend.

Instinktiv will ich zurück in die kühlere Halle hinter mir flüchten, doch dort wartet ja nur Captain Jack auf mich, der sich so köstlich über mich und meine App amüsiert – und oben meine Familie.

Nein, da ist die Hitze in diesem Moment doch tatsächlich das kleinere Übel. Bestimmt kann man sich daran gewöhnen. Mit einem entschlossenen Atemzug schiebe ich den Flyer in die Hosentasche und trabe die Stufen vor dem Eingang hinunter. Da wir vorhin von rechts gekommen sind, schlage ich nun stattdessen den Weg nach links ein und folge einem geschwungenen Pfad, der zwischen Palmen hindurch über das Hotelgelände führt. Als ich um die Ecke des Gebäudes trete, traue ich dabei meinen eigenen Augen nicht.

Ein Swimmingpool. Aber was für einer!

Staunend lasse ich den Blick über das hellblaue Becken schweifen, das sich vor mir auf dem Gelände erstreckt. So viel wunderschönes Wasser! Damit hatte ich ja überhaupt nicht gerechnet. Die meisten Hotels haben doch im Grunde nicht mehr als einen kleinen Alibipool, aber dieser hier misst an der längsten Stelle sicherlich fast vierzig Meter.

Das ist ja wie ein feuchter Traum!

Der einzige Wermutstropfen sind die Unmengen von Urlaubern, die sich darin tummeln. Ihre krebsrote Haut glänzt speckig in der Sonne und der süßliche Geruch von Sonnencreme überlagert den dezenten Duft nach warmem Chlor. Zu schade, dass auch alles einen Haken haben muss … Vielleicht sollte ich noch mal wiederkommen, wenn es irgendwann weniger voll ist.

Nachts zum Beispiel.

Jetzt ist mir hier eindeutig zu viel los. Mit den Händen in den Taschen kehre ich dem Pool den Rücken zu und folge stattdessen weiter dem geschwungenen Pfad, der mich zurück auf die Promenade leitet. Das helle Pflaster erstreckt sich in beiden Richtungen kilometerweit die Küste entlang und für ein paar Schritte halte ich mich an die niedrige Steinmauer, die den feinen Sand vom Weg trennt, bis ich den nächsten offiziellen Strandzugang erreiche. Mit meinen Turnschuhen in der Hand schlängle ich mich zwischen den blau-weißen Liegestühlen hindurch, die hier zu Tausenden am Strand stehen, bis ich schließlich das Meer erreiche und die Füße für einen Augenblick im nassen Sand vergraben kann.

Herrlich!

Die kühle Brandung umspült meine Knöchel und macht die Nachmittagshitze gleich viel erträglicher, während ich mit geschlossenen Augen dem Klang des Meeres lausche. Kinderlachen vereint sich mit dem Rauschen der Wellen und Kreischen der Möwen zu einer einzigartigen Melodie, die mir für einen Moment ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Wenn man hier so steht, könnte man fast meinen, dass vielleicht doch nicht alles an diesem Land schrecklich ist.

Das Meer zum Beispiel, das gefällt mir …

Fasziniert beobachte ich, wie die Wellen schäumend auf den Strand laufen, am weitesten Punkt kurz innehalten, nur um sich anschließend wieder zurück in die Fluten zu stürzen. Übrig bleibt lediglich ein Hauch der glitzernden Gischt, die sich schon bald darauf mit der nächsten Welle mischen wird. Ich spüre, wie beim Anblick des schimmernden Funkelns das Herz in meiner Brust ein wenig schneller schlägt. Wenn ich jetzt einen Badeanzug anhätte und nicht diesen dummen Bikini, dann …

Aber nein, ich werde ganz sicher nicht meine Wertsachen unbeaufsichtigt am Strand liegen lassen. Beim nächsten Mal, Isa, tröste ich mich.

Jetzt schlackere ich erst mal behutsam den nassen Sand von meinen Zehen und gehe weiter. Bis zum nächsten Strandaufgang vor dem Hotel ist es nicht mehr weit, und während ich mich auf die Steinmauer an der Promenade setze, um meine Füße trocknen zu lassen, überlege ich, was ich mit der restlichen Zeit bis zum Abendessen anfangen soll. Ich könnte natürlich zurück nach oben gehen, wie meine Mutter es von mir erwartet, aber wer würde sich das schon freiwillig antun?

Viel zu sehen gibt es hier in dieser Touristenhochburg allerdings auch nicht. Vielleicht könnte ich stattdessen ein bisschen Musik hören. Als Kathi im Freibad auf mein Handy aufgepasst hat, hat sie mir irgendeine Playlist erstellt. Für das richtige Urlaubsfeeling, wie sie es nannte. Bislang habe ich mich geweigert, reinzuhören, weil ich überhaupt keine Lust auf Urlaub hatte. Aber vielleicht könnte ich mich ja tatsächlich mal darauf einlassen. Viel mehr, als dass es mir nicht gefällt, kann doch eigentlich nicht passieren, oder?

Noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, habe ich bereits die Kopfhörer aus der Hosentasche gezogen und die Zufallswiedergabe gestartet. Wie es aussieht, stehen passend zu meinem Aufenthaltsort ausschließlich spanische Lieder auf Kathis Liste. Das erste stammt von einem Künstler namens Manu Chao und trägt den Titel Me gustas tú. Nie davon gehört.

Neugierig warte ich darauf, dass die Musik einsetzt, verziehe allerdings schon bei den ersten Tönen unwillkürlich das Gesicht.

Was ist denn das?

Die Melodie und diese seltsamen Geräusche im Hintergrund klingen ungewohnt fremd für meine Ohren.

Ist das Musik?

Ich runzle die Stirn. Der Rhythmus ist definitiv eingängig, aber die Sounds wirken irgendwie verstörend auf mich. Und obwohl ich nichts verstehe, habe ich den Eindruck, dass sich der Text die ganze Zeit nur wiederholt.

Das ist ja verrückt.

Hört Kathi etwa privat solche Lieder?

Scheinbar kenne ich sie genauso wenig wie sie mich …

Ich entsperre das Handydisplay, um nachzuschauen, ob sie mir vielleicht eine Erklärung mitgeliefert hat, warum ich mir so etwas anhören soll. Tatsächlich scheint es zu jedem Song eine deutsche Übersetzung zu geben, die mir in diesem Fall allerdings auch nicht weiterhilft. Me gustas tú bedeutet demnach nichts anderes als Ich mag dich und der Sänger zählt einfach nur vier Minuten lang irgendwelche Dinge auf, die er mag.

Wirklich faszinierend.

Was auch immer Kathi sich dabei gedacht hat – mein Lieblingslied wird das mit Sicherheit nicht werden, auch wenn ich mich am Ende tatsächlich dabei ertappe, wie ich mit dem Kopf im Takt wippe.

Peinlich.

Aber egal. Vielleicht steht ja auch noch normale Musik auf der Liste. Ich will gerade zum nächsten Lied weiterschalten, als ich durch die Schlusstöne des Songs eine Stimme höre und mir jemand auf die Schulter tippt.

„Hey!”

  3  

Überrascht sehe ich auf und finde mich Auge in Auge mit meinem eigenen Gesicht wieder, das sich in den dunklen Gläsern einer Sonnenbrille spiegelt. Die Brille wiederum gehört zu einer blassen jungen Frau, die im blumigen Sommerkleid direkt vor mir steht. Durch die seltsame Musik habe ich sie überhaupt nicht bemerkt, obwohl sie eigentlich kaum zu übersehen ist. Unter ihrem eleganten Strohhut quillt langes rotes Haar hervor, das ihr in sanften Wellen über die Schultern fällt, und alles, was mir an Kurven fehlt, formt sich bei ihr auf knapp einem Meter sechzig zu einer schönen weiblichen Silhouette.

Dabei strahlt sie mich mit ihrem sommersprossigen Lächeln so erwartungsvoll an, dass ich zögernd die Kopfhörer aus den Ohren nehme, obwohl ich eigentlich gar keine Lust auf ein Gespräch habe.

Als hätte sie nur darauf gewartet, beginnt die Fremde auch schon, drauflos zu quatschen, und es dauert einige Sekunden, bis ich realisiere, dass sie dabei nicht Kisuaheli, sondern tatsächlich Englisch spricht. Irgendwas mit sunburn habe ich verstanden. Der Rest war aufgrund ihres Akzents nicht so schnell zu entziffern.

Sonnenbrand?

Ich begutachte meine nackten Arme, die dank der vielen Stunden im Freibad eigentlich noch ganz passabel aussehen. Skeptisch blicke ich zurück zu der jungen Frau.

„Was hörst du da?”, fragt sie neugierig und deutet auf meine Kopfhörer, die ich noch immer in der Hand halte. Jetzt, da ich weiß, dass sie Englisch spricht, fällt es mir leichter, ihre Sätze zu verstehen.

„Eine Playlist von einer Freundin”, antworte ich knapp.

„Ach, wie schön.” Sie hüpft neben mir auf die Mauer, wo sie unter meinen verwunderten Blicken beginnt, in ihrer Umhängetasche zu kramen.

Wäre ich ein Mensch, der einfach so auf Fremde zugeht – was definitiv nicht der Fall ist – dann hätte ich mein Verhalten sicherlich nicht als Einladung verstanden, mich einfach ungefragt dazuzusetzen. Doch meine Einsilbigkeit scheint sie nicht besonders zu stören. Unbeirrt wühlt sie weiter in ihrer Tasche, bis sie schließlich eine kleine Sonnenmilchflasche zutage fördert.

„Voilà, hier.” Sie hält sie mir auffordernd hin.

„Oh, ähm, danke.”

Zögernd nehme ich das kleine Fläschchen entgegen, um mich damit einzureiben. Die Creme hinterlässt ein unangenehm klebriges Gefühl auf der Haut, doch es ist mit Sicherheit besser, als schon am ersten Urlaubstag einen Sonnenbrand zu riskieren.

Dankbar gebe ihr das Fläschchen zurück, damit sie es wieder in ihrer Tasche verstauen kann. „Das war … sehr nett von dir”, sage ich, um die seltsame Stille zwischen uns zu füllen.

Sie nimmt mit einem Lächeln die Sonnenbrille ab. „Gern geschehen”, erwidert sie. „Ich bin übrigens Charlotte.” Sie spricht ihren Namen ohne e aus.

Es klingt sehr französisch.

„Isabelle”, stelle ich mich vor. „Aus Deutschland.”

„Ah, cool. Ich komme aus Frankreich”, bestätigt sie meine Vermutung. „Bist du allein hier?”

„Nein.” Mit einem Augenrollen schüttle ich den Kopf. „Leider nicht. Wir sind gerade eben erst angekommen. Meine Familie ist oben im Hotel.”

„Ach so. Sitzt du deshalb hier draußen?”, vermutet sie.

Ich nicke vage. „Ja, so ungefähr …”

Charlotte lacht. „Verstehe. Aber wenn du noch lange hier so sitzen bleibst, dann bekommst du einen … ehm … une insolation … Wie sagt man?” Sie sucht nach dem richtigen Wort. „A sunstroke”, fällt es ihr ein.

„Sonnenstich?”, rate ich und deute auf meinen Kopf.

Sie nickt. „Ja, genau! Hast du keinen Hut?”

„Nein”, stelle ich nach kurzem Überlegen fest. „Habe ich nicht.” Irgendwas vergisst man ja immer. Und wahrscheinlich hat sie recht, dass mir die viele Sonne auf Dauer nicht gut bekommen wird. Aber sollte ich deshalb tatsächlich wieder reingehen?

„Wie wär’s, wenn wir dir eben einen schönen Hut aussuchen?”, schlägt Charlotte stattdessen vor, als hätte sie meine Gedanken gelesen. „Komm, ich weiß, wo es hier in der Nähe einen Laden gibt. Viens!” Enthusiastisch zieht sie mich mit sich von der Mauer.

Ich folge ihr überrumpelt über die Promenade, die Turnschuhe noch in der freien Hand, da ich so schnell keine Chance mehr gehabt habe, sie wieder anzuziehen. Der Laden, von dem Charlotte gesprochen hat, stellt sich als ein kleiner Souvenirstand heraus, unter dessen Stoffdach sich jede Menge Strandzubehör, Plastikbälle, Hüte, T‑Shirts und Taschen türmen.

„Also, welcher Hut kommt denn für dich infrage?”, überlegt die Französin laut, während sie zielstrebig durch die Stapel mit den Kopfbedeckungen stöbert. „Wir wär‘s mit diesem hier?” Sie greift nach dem erstbesten Exemplar, das sie zu fassen bekommt, und streckt sich, um es mir aufzusetzen. Da ich ungefähr zwei Köpfe größer bin als sie, muss ich ein Stück in die Knie gehen.

„Très chic”, kommentiert sie, nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe.

Ich werfe einen prüfenden Blick in den Spiegel zwischen den Kleiderständern und muss unfreiwillig lachen.

Schick?

Na, ich weiß nicht …

Mein Auftritt erinnert stark an ein Cowgirl, das sich versehentlich ans Mittelmeer verirrt hat. Schnell nehme ich den albernen Hut wieder ab, um nach einem etwas weniger peinlichen Exemplar Ausschau zu halten.

Leider bin ich wirklich nicht der Hut-Typ. Große Strohhüte, so wie Charlotte einen trägt, stehen mir überhaupt nicht und mit den praktischen Outdoor-Hüten sehe ich aus wie eine angehende Tropenforscherin. Wir haben uns bereits erfolglos durch den halben Souvenirstand probiert, als ich an einem Stapel mit verschiedenen Kappen vorbeikomme.

„Hey, guck mal, wie wär‘s denn hiermit?”, schlage ich vor und ziehe eine der blauen Basecaps heraus.

„Oh, ja!” Charlotte klatscht begeistert in die Hände. „Das ist genau dein Stil. Steht dir fantastisch!” Sie sagt fantastique, was sogar ich verstehe.

Mit einem Lächeln betrachte ich für einen Moment mein Spiegelbild. Tatsächlich gefällt mir, wie das dunkle Blau der Kappe meine türkisblauen Augen betont. Als mein Blick allerdings auf das Preisschild fällt, erstirbt mein Lächeln.

Ach, shit.

Das ist jetzt echt irgendwie peinlich. Aber ich habe ja überhaupt nicht daran gedacht, dass ich die Mütze natürlich nicht nur aussuchen, sondern am Ende auch bezahlen muss. Das ist jetzt allerdings ungünstig …

„Was ist?”, fragt Charlotte, die sich über mein Zögern wundert.

„Ich, ähm, hab gar kein Geld dabei”, gebe ich verlegen zu und lege die Kappe zurück. „Muss ich wohl später noch mal wiederkommen.”

„Ach, Quatsch!”, widerspricht sie kopfschüttelnd und setzt mir die Mütze wieder auf. „Ich leih dir einfach was”, bietet sie an. „Kannst du mir nachher wiedergeben.”

„Wow, echt?” Ich werfe ihr einen überraschten Blick zu.

„Aber klar”, nickt Charlotte achselzuckend, als wäre es für sie selbstverständlich, einer völlig Fremden so etwas anzubieten.

Und sind wir überhaupt noch Fremde?

Immerhin hat sie mich von Anfang an wie eine alte Bekannte behandelt …

Ich spüre, wie meine übliche Reserviertheit – zumindest für den Moment – ein wenig in den Hintergrund tritt. „Okay, na gut, wenn du meinst”, nehme ich ihr Angebot an und rücke die blaue Kappe auf meinem Kopf zurecht. „Dann … danke.”

„De rien”, winkt sie ab. „Nichts zu danken. Brauchst du sonst noch irgendwas?” Sie mustert mich von Kopf bis Fuß, und als sie bei meinen nackten sandigen Zehen angekommen ist, hat sie auch schon etwas gefunden. „Hast du nur diese Schuhe dabei?”, fragt sie und deutet auf die Turnschuhe in meiner Hand.

„Ähm, ja, wieso?”

„Ouf, okay, das geht gar nicht. Du brauchst Flipflops”, stellt sie entschieden fest. „Alles andere ist viel zu unpraktisch.”

„Okay …?”

Mit dem Thema Schuhe stehe ich eigentlich noch mehr auf Kriegsfuß als mit Hüten, doch Charlotte ist bereits zu dem Ständer mit den Sandalen weitergeeilt. „Hier, wie gefallen dir diese?”, schlägt sie vor und lässt ein blaues Paar mit España-Schriftzug vor meiner Nase herumbaumeln. „Passend zu deiner Kappe.”

Ich verkneife mir den Kommentar, dass ich lieber etwas ohne Spanien-Aufdruck genommen hätte, damit ich nicht mein Leben lang an diesen Trip erinnert werde, und probiere die Schlappen an. Die Größe scheint zumindest auszureichen, und sobald man einmal mit den Zehen drinsteckt, ist der Schriftzug ja auch gar nicht mehr zu erkennen. „Die sind gut”, stelle ich somit fest und recke den Daumen nach oben. „Très bien.”

Charlotte lacht. „Du sprichst Französisch?”

„Non, Madame.”

Ich muss ebenfalls lachen. Zwar habe ich die Sprache offiziell jahrelang in der Schule gelernt, aber wenn wir mal ehrlich sind, war es doch ausschließlich Kathis Verdienst, dass ich das Fach bestanden habe. Genauso wie alle anderen Fächer …

Ich bücke mich, um die Flipflops aufzuheben. „Dann also diese hier und die Kappe”, stelle ich fest.

Charlotte nickt. „Brauchst du sonst noch irgendwas? Hast du eine Sonnenbrille?”

Ertappt sehe ich sie an.

So langsam wird das hier zum Großeinkauf und in meinem Kopf versuche ich zu überschlagen, welchen unangenehm hohen Betrag ich ihr inzwischen schulde. Ich hätte wirklich früher darüber nachdenken sollen, in welches Dilemma ich mich da manövriere. Aber nachdem Charlotte bezahlt hat und mir die Einkäufe überreicht, ziehe ich dennoch alles an.

„Vielen Dank”, murmle ich verlegen.

Sie lächelt. „Jetzt bist du bereit für den Urlaub.”

Ich nicke langsam.

Vielleicht bin ich das. Vielleicht auch nicht. Aber zumindest bin ich dank meiner neuen Zufallsbekanntschaft nun angemessen ausgestattet, um die nächsten drei Wochen in Angriff zu nehmen.

„In welchem Hotel wohnst du eigentlich?”, fragt sie neugierig, während wir über die Promenade zurück in die Richtung laufen, wo wir uns kennengelernt haben.

„In dem weißen”, erwidere ich und deute auf den riesigen Luxusschuppen, der trotz der umgebenden Hotels gut zu erkennen ist.

„Oh, wirklich? Ich auch”, stellt sie begeistert fest. Wahrscheinlich hat sie mich deshalb vor dem Eingang auf der Mauer sitzen sehen. „Dann begegnen wir uns bestimmt heute nicht zum letzten Mal”, vermutet sie. „Ich bin zwar schon ein paar Tage hier, aber ich bleibe noch die ganzen Ferien, also knapp fünf Wochen. Ich bin Lehrerin”, erklärt sie auf meinen verwunderten Blick hin. „Na ja, also zumindest fast.”

„Wow.” Es fällt mir schwer, meine Überraschung zu verbergen. Weniger darüber, dass Charlotte Lehrerin ist – das kann ich mir bei ihrer schillernden Persönlichkeit bestens vorstellen – sondern eher über die Dauer ihres Aufenthalts.

„Fünf volle Wochen in Milagromar?”, frage ich ungläubig. „Was willst du denn die ganze Zeit hier machen? Ist das nicht irre langweilig?”

Sie zuckt mit den Schultern, als würde sie sich darüber gar keine Gedanken machen. „Mal sehen, was sich ergibt. Meine Großeltern haben mich mitgenommen und da sage ich natürlich nicht Nein. Meine Mutter konnte sich so was ja nie leisten. Aber meine Oma steht voll auf das Spa und na ja … Nach dem dritten Peeling wollte ich mich dann mal ein bisschen hier draußen umschauen.”

„Ach so, klar.” Ich lache leise. Jetzt verstehe ich auch, warum sie alleine herumläuft und wildfremde Menschen anquatscht. Ihr ist tatsächlich langweilig.

„Und du?”, will sie im Gegenzug wissen.

„Ich? Ach … Ich bin für drei Wochen hier. Semesterferien”, antworte ich vage und weiche ihrem Blick aus.

„Du studierst?”

„Ja, genau.” Auf der Treppe zum Hotel nehme ich zwei Stufen auf einmal, damit sie nicht auf die Idee kommt, weiter nachzuhaken. Obwohl ich zugeben muss, dass Charlottes Gesellschaft eigentlich ganz angenehm ist, verspüre ich nicht das Bedürfnis, meine Lebensgeschichte vor ihr auszubreiten. Ich brauche kein Mitleid von ihr und schon gar keine gutgemeinten Ratschläge von jemandem, den ich seit nicht einmal einer Stunde kenne – oder generell von irgendwem. Ich bin ein Mensch, der sich am liebsten auf sich selbst verlässt, und daran wird mit Sicherheit auch dieser Urlaub nichts ändern.

Ich halte Charlotte die Glastür zur Eingangshalle auf, damit wir gemeinsam zum Aufzug gehen können. Wie es aussieht, hat inzwischen das Abendessen begonnen, denn zahlreiche Urlauber sind auf dem Weg zum Speisesaal, in dem bereits reger Trubel herrscht. Doch bevor mir bei den köstlichen Gerüchen ebenfalls das Wasser im Mund zusammenlaufen kann, muss ich zunächst mal irgendwie meine Schulden begleichen.

„Am besten wartest du kurz hier”, schlage ich vor, als wir im achten Stock angekommen sind, und deute auf die Tür des Hotelzimmers. „Ich bin sofort wieder da.”

„Ja, d’accord. Bis gleich.”

Mit einem tiefen Atemzug drehe ich den Schlüssel im Schloss und wage mich ins Haifischbecken. Meine Schuhe sind noch nicht ganz auf das Rost neben dem Eingang gefallen, als meine Mutter auch schon im Wohnraum erscheint.

„Isabelle!” Sie stemmt die Hände in die Hüften. „Da bist du ja!” Wie zu erwarten, wirkt sie nicht sonderlich begeistert über mein Verschwinden. „Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?”, will sie wissen.

„Ich? Na, draußen …”, murmle ich, als wäre das nicht offensichtlich.

Sie sieht mich kopfschüttelnd an. „Aber ich habe dir doch eine Nachricht geschrieben. Wieso kommst du denn nicht hoch, wenn ich dich darum bitte?” Der vorwurfsvolle Tonfall in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

„Ähm …” Ich winde mich unter ihrem Blick.

Am liebsten würde ich Charlotte die Sachen ja einfach selbst bezahlen, damit ich niemandem mehr Rechenschaft schuldig bin, doch wir wissen alle, dass ich gar nicht hier wäre, wenn ich mir das leisten könnte. Notgedrungen berichte ich somit von dem ungeplanten Einkauf und dass ich mir Geld geliehen habe, um einen Sonnenstich zu vermeiden. Mit jedem Wort, das meinen Mund verlässt, habe ich das Gefühl, mich ein bisschen mehr zu erniedrigen.

„Ach Kind …”, seufzt meine Mutter, als ich schließlich geendet habe, und geht zum Sofa hinüber, um aus ihrer Handtasche ein paar Scheine hervorzukramen. „Warum kommst du denn nicht einfach vorher zu mir? Wir hätten doch auch zusammen einkaufen gehen können. Bestimmt braucht Luisa ebenfalls einen Hut.” Sie drückt mir das Geld in die Hand. „Reicht das so?”

„Ja.” Widerstrebend nehme ich die Scheine entgegen, um sie in meine Hosentasche zu stecken. „Danke.” Mein Blick wandert zurück zur Tür, hinter der Charlotte noch immer nichtsahnend auf mich wartet. „Dann gehe ich mal eben bezahlen, ja?”

Sie nickt. „Mach das. Aber Isabelle?”, ruft sie mir noch hinterher, als ich bereits halb auf dem Flur bin. „Beim nächsten Mal reagierst du bitte auf meine Nachrichten, okay?”

Ich ziehe anstelle einer Antwort die Tür hinter mir zu.

„Hey.”

Mit einem Lächeln sieht Charlotte von ihrem Handy auf. „Da bist du wieder.”

„Ja, hier”, sage ich und reiche ihr das Geld.

„Merci.”

Für einen kurzen Moment stehen wir uns stumm gegenüber, ehe ich verlegen mit den Schultern zucke. „Also dann …?”

Sie nickt lächelnd. „Es war nett, dich kennenzulernen, Isabelle. Gibst du mir deine Nummer?”, schlägt sie vor. „Dann können wir uns wiederfinden, falls wir uns nicht zufällig über den Weg laufen.”

„Oh, ja, ähm, klar. Warum nicht?” Zögernd tippe ich die Nummer in ihr Display ein und Charlotte ruft mich an, sodass ich ihre ebenfalls habe.

Zum Abschied lächeln wir uns erneut an.

„Dann bis zum nächsten Mal, mon amie”, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Mit Freunden macht Urlaub doch noch viel mehr Spaß.”

„Ja …”

Mit einem stummen Nicken sehe ich ihr hinterher, während sie über den roten Teppich zum Aufzug davongeht. Freunde, denke ich. So ein ungewohntes Wort. Viel zu groß für eine flüchtige Urlaubsbekanntschaft.

Oder etwa nicht?

Tatsächlich muss ich zugeben, dass ich in diesem Moment wesentlich lieber weiter mit Charlotte abgehangen hätte, als mit meiner Familie zum Abendessen zu gehen. Leider ist die Französin jedoch bereits verschwunden und so schreite ich kurz darauf hinter meinem Vater die Fensterfront des Speisesaals entlang, um mir am Buffet den Teller voll zu laden. Die Auswahl an Speisen ist wirklich beachtlich und ich stelle mir eine ordentliche Portion mit Gemüse, Fleisch, zwei Sorten Pasta und drei Sorten Sauce zusammen. Nach kurzem Zögern wähle ich noch eine dritte Pastasorte, schließlich weiß jeder, dass die Nudelgeometrie entscheidend für den Geschmack ist. Mit einem Glas Wasser in der Hand balanciere ich mein randvolles Tablett anschließend zu meiner Familie an den Tisch.

„Guten Appetit”, wünscht meine Mutter mir.

„Mhm.” Ich setze mich neben ihr auf den freien Stuhl.

Zuhause kommt es aus gutem Grund nur noch selten vor, dass wir alle gemeinsam essen, doch meine Mutter meint ja, hier unbedingt einen auf heile Familienwelt machen zu müssen. „Wie findet ihr denn bisher das Hotel?”, fragt sie nach einer Weile über die Lautstärke der anderen Hotelgäste hinweg und sieht erwartungsvoll in die Runde. „Isabelle?”

Ich zucke bloß kauend mit den Schultern. Es gibt kaum etwas, das mich noch weniger interessiert als diese Luxusbude.

„Ist okay”, befindet mein Vater an meiner Stelle. „Auch wenn wir das sicher hätten günstiger haben können.”

„Thorsten!” Sie wirft ihm einen mahnenden Blick zu, als ob das je etwas an seiner Meinung geändert hätte. „Und was ist mit dir, Luisa?”, wendet sie sich an meine Schwester, die allerdings gerade dabei ist, auf ihrem Schoß eine Nachricht zu tippen, und deshalb leider gar nicht erst zugehört hat.

Und da geht es auch schon wieder los …

„Luisa!”, schimpft meine Mutter verärgert und langt über den Tisch nach ihrem Handy.

Meine Schwester hält das Gerät schützend außer Reichweite. „Man Mama, ey!”

„Nichts, man Mama! Wir haben das doch schon tausendmal diskutiert. Leg bitte das Handy weg, während wir essen.”

„Aber ich esse ja gar nicht mehr”, kontert sie und schiebt wie zum Beweis ihren Stuhl zurück.

„Dann bleibst du trotzdem sitzen, bis wir alle fertig sind”, ermahnt mein Vater sie. „Isa isst noch.”

„Na und?” Sie steht achselzuckend auf. „Dann soll sie halt mal nicht so viel fressen”, erwidert sie ungerührt und wendet sich zum Gehen.

Mir fällt vor Entrüstung beinahe die Gabel aus der Hand. „Wie bitte?!”

„Also das geht jetzt aber zu weit!”, ruft meine Mutter ärgerlich und springt auf, um ihr hinterher zu eilen. „Bleib sofort stehen, junge Dame!”

Mein Vater räumt kopfschüttelnd das Geschirr der beiden zusammen. „Ich glaube, ich muss da mal eben hinterher”, entschuldigt er sich, ehe er im nächsten Moment ebenfalls verschwunden ist.

Ich lasse mit einem Seufzen die Luft aus meiner Lunge entweichen. Du meine Güte!

Diese Familie ist echt eine Katastrophe.

Fast bin ich erleichtert, dass ich zumindest den Rest der Mahlzeit in Ruhe genießen kann. Es wäre doch schade um das gute Essen …

Obwohl Luisas Kommentar mir noch immer aufstößt, hat das Hotel nämlich wirklich ein ausgezeichnetes Buffet. Die Auswahl und Zubereitung der Speisen ist von hervorragender Qualität. Wer sagt, dass ich mich da nicht bedienen sollte? Am liebsten würde ich mir sogar glatt noch eine zweite Portion holen.

Oder zumindest einen Nachtisch?

Nach kurzem Abwägen schnappe ich mir mein Tablett, um die inzwischen leeren Teller zum Geschirrwagen zu bringen und Platz für ein oder zwei Desserts zu schaffen. Vielleicht gönne ich mir heute mal einen Schokopudding. Oder einen Muffin? Ich glaube, ich hatte sie vorhin dort drüben bei den Brotkörben gesehen.

Oder war es doch da hinten?

Suchend recke ich im Gehen den Hals, als ich auf einmal unvorbereitet mit jemandem zusammenpralle. Erschrocken umklammere ich das Geschirr in meinen Händen, während ich vergeblich versuche, die Balance zu halten. Der Raum beginnt sich zu drehen, schwankt zu den Seiten. Gedanklich kann ich das Porzellan bereits auf dem Boden zerschellen sehen, als mich im letzten Moment jemand am Oberarm zu fassen bekommt.

„¡Ay, cuidado!”

Erschrocken schnappe ich nach Luft, während mein Körper zurück in die Senkrechte schnellt.

Oh mein Gott!

Erstarrt blicke ich den Typen an, der mich angerempelt hat. Spritzer von drei Sorten Sauce zieren sein ehemals weißes Hemd, doch die Entschuldigung dafür, dass ich ihm sein Outfit versaut habe, bleibt mir unvermittelt im Hals stecken. Denn alles, was ich in diesem Moment noch sehe, sind seine Augen.

Dunkle Augen.

Schwankend stütze ich mich an einer Tischkante ab, um mein Gleichgewicht wiederzufinden.

Das ist er!

Ich kenne diese Augen. Er hat mich bei unserer Ankunft angesehen!

Durch seine Iris zieht sich ein tief dunkles Braun, das unter den dichten Wimpern beinahe schwarz wirkt, und noch immer spüre ich seine warme Hand an meinem Arm, während sein Blick mich förmlich zu hypnotisieren scheint. Sekunden vergehen, in denen ich ihn einfach nur anstarre.

„¿Estás bien?”, erklingt seine Stimme wie aus weiter Ferne und die fremden Worte sind es, die mich langsam wieder aus meiner Erstarrung wecken.

Oh Gott, wie peinlich!

Mit einem Kopfschütteln mache ich mich von ihm los, um mit weichen Knien meinen Weg zum Geschirrwagen fortzusetzen.

Was bin ich bloß für ein Trampeltier!

Zwar wirkte der Typ im ersten Moment eher besorgt als verärgert, doch was auch immer er gerade zu mir gesagt hat – ich sollte schleunigst von hier verschwinden, bevor ich noch mehr Unheil anrichten kann.

Dessert hin oder her.

  4