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Jung, blond, Informatiklehrerin – als Linda ihre neue Stelle am Albert-Einstein-Gymnasium antritt, ist das Interesse ihrer männlichen Kollegen geweckt. Dabei hat sie nun wirklich anderes im Kopf, als sich zu verlieben! Viel lieber stürzt sie sich voller Tatendrang in die Arbeit, um das Beste aus ihren Schülern herauszuholen. Schließlich ist dieser Job ihre Chance, sich endlich zu beweisen.
Doch schon bald muss sie feststellen, welches Chaos ihr Vorgänger hinterlassen hat. Und auch der charmante Sportlehrer ist hartnäckiger, als Linda dachte …
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Katrin Nienhaus
Lehrer
HERZ
Nerds mit Herz: Band I
Roman
Prolog
Kapitel 00001
Kapitel 00010
Kapitel 00011
Kapitel 00100
Kapitel 00101
Kapitel 00110
Kapitel 00111
Kapitel 01000
Kapitel 01001
Kapitel 01010
Kapitel 01011
Kapitel 01100
Kapitel 01101
Kapitel 01110
Kapitel 01111
Kapitel 10000
Kapitel 10001
Kapitel 10010
Kapitel 10011
Kapitel 10100
Kapitel 10101
Kapitel 10110
Epilog
Über dieses Buch
Jung, blond, Informatiklehrerin – als Linda ihre neue Stelle am Albert-Einstein-Gymnasium antritt, ist das Interesse ihrer männlichen Kollegen geweckt. Dabei hat sie nun wirklich anderes im Kopf, als sich zu verlieben! Viel lieber stürzt sie sich voller Tatendrang in die Arbeit, um das Beste aus ihren Schülern herauszuholen. Schließlich ist dieser Job ihre Chance, sich endlich zu beweisen.
Doch schon bald muss sie feststellen, welches Chaos ihr Vorgänger hinterlassen hat. Und auch der charmante Sportlehrer ist hartnäckiger, als Linda dachte …
Prolog
Nur noch zwei Wochen. Zwei Wochen und zwei Tage, um genau zu sein. Der Sommer ist wie immer viel zu kurz. Ich wünschte, die Ferien würden einfach niemals enden. Dann müsste ich nie wieder eine Schule betreten und könnte endlich wieder frei atmen. Ach, das wäre so traumhaft …
Schade nur, dass das nicht passieren wird. Die Zeit lässt sich nicht aufhalten, ob es mir gefällt oder nicht. Der August ist längst hier und in zwei Wochen geht es wieder los. Mir wird nichts anderes übrigbleiben, als mich zusammenzureißen und weiter meine Rolle in diesem Theater zu spielen. Eine andere Wahl gibt es nicht – da muss ich einfach durch.
Wahrscheinlich sollte ich mich nicht so anstellen. Aber wenn das mal so einfach wäre! Wie gerne würde ich glauben, dass ich das schon schaffen werde. Dass alles gar nicht so schlimm wird. Dass es vielleicht sogar gut wird. Doch wie realistisch ist das?
Allein bei dem Gedanken daran, einen Fuß in dieses Schulgebäude zu setzen, wird mir schlecht …
Mein erster Schultag
„Meine werten Kolleginnen und Kollegen, herzlich willkommen zurück an unserem wunderschönen Albert-Einstein-Gymnasium!“, begann Direktor Grünwald seine feierliche Ansprache an die versammelte Lehrerschaft. „Ich hoffe, Sie haben wundervolle Sommerferien genossen und können nun gut erholt in dieses neue Schuljahr starten. Bevor wir gleich offiziell mit dem Unterricht beginnen, gibt es noch einige organisatorische Punkte zu klären. Doch zuallererst möchte ich Ihnen eine neue Kollegin vorstellen: Das ist Linda Heine.“
Der Schulleiter trat einen kleinen Schritt zur Seite und nervös glitt mein Blick über das anwesende Kollegium, das sich an diesem Mittwochmorgen Ende August in dem engen Lehrerzimmer eingefunden hatte. Etwa dreißig fremde Gesichter sahen mir neugierig entgegen.
Ich schluckte.
Meine Handflächen wurden feucht und ich bemühte mich um ein Lächeln, das vermutlich etwas verkrampft ausfiel.
„Frau Heine unterrichtet Informatik und Französisch und wird unser Kollegium in Zukunft tatkräftig unterstützen“, fuhr der Direktor in seiner bedächtigen Art fort. „Sie wird dabei in erster Linie Herrn Winkler ersetzen, der uns, wie Sie alle wissen, im vergangenen Schuljahr leider nach vielen treuen Jahren verlassen hat. Ich freue mich sehr, dass wir mit Ihnen, Frau Heine, eine hervorragende Nachfolgerin für die Stelle gefunden haben und Sie ab heute bei uns sind!“
Ein kleiner Applaus kam auf und mit einem aufmunternden Nicken übergab Direktor Grünwald das Wort an mich. Jetzt war es also so weit. Mein großer Moment war gekommen. Im Raum kehrte langsam Ruhe ein und alle Augen waren erwartungsvoll auf mich gerichtet, als ich mit klopfendem Herzen einen Schritt nach vorne trat, um meine einstudierte Rede zu halten.
„Danke, ähm, hallo allerseits“, krächzte ich in die Runde und räusperte mich leise. „Guten Morgen auch von mir. Ja, ähm, ich freue mich, hier zu sein. Ich, äh … ähm …“ Nervös zupfte ich am Saum meiner Bluse und versuchte, mich an meinen Text zu erinnern, doch die sorgsam zurechtgelegten Worte wollten mir in diesem Moment nicht mehr einfallen.
So ein Mist.
Ich räusperte mich erneut, um Zeit zu gewinnen, aber mein Kopf war wie leergefegt. Ausgerechnet jetzt! Reichte es nicht, dass ich hier wie auf dem Präsentierteller stand und von allen Seiten neugierig beäugt wurde? Musste ich jetzt auch noch vor der versammelten Belegschaft einen Texthänger haben?
Peinlicher ging’s ja wohl nicht …
Endlose Sekunden verstrichen, doch meine Erinnerung wollte scheinbar nicht zurückkehren. Dann eben nicht. Um mich zumindest nicht noch lächerlicher zu machen, beschloss ich, die ganze Prozedur abzukürzen. „Ja, also dann …“ Mit geröteten Wangen hob ich die Schultern. „Auf ein erfolgreiches Schuljahr!“, beendete ich meine Ansprache und trat zurück neben den Direktor.
Stille legte sich über den Raum. Niemand klatschte.
Natürlich nicht.
Es hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass ein paar Grillen zu zirpen begannen. Na wow, was für ein Einstand, Linda, schoss es mir durch den Kopf. Da hast du ja gleich einen richtig überzeugenden Eindruck gemacht. So viel zu meinen einstudierten Worten, welche Ehre es für mich war, an dieser Schule arbeiten zu dürfen, und wie sehr ich mich darauf freute, meine neuen Kollegen und die Schüler kennenzulernen. So schwierig sollte das doch eigentlich nicht sein. Ich hatte es immerhin schon tausend Mal vor dem Spiegel geübt. Aber das hatte ich wohl ordentlich vergeigt.
Blöde Nervosität!
Am liebsten wäre ich in diesem Moment geradewegs aus der Tür verschwunden, auf Nimmerwiedersehen. Doch auch wenn das sicherlich einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, konnte ich das an meinem ersten Tag an einer neuen Schule wohl nicht machen. Also presste ich stattdessen nur peinlich berührt die Lippen zusammen und ergab mich in mein Schicksal.
Mittlerweile schienen auch die Letzten im Raum realisiert zu haben, dass meine tolle Rede beendet war, bevor sie überhaupt begonnen hatte, denn vereinzelt waren verhaltene Grüße zu vernehmen.
„Willkommen.“
„Hallo.“
Dankbar, dass sie mich für meinen misslungenen Auftritt zumindest nicht auslachten, bemühte ich mich um ein tapferes Lächeln. Einfach ganz cool bleiben, Linda, redete ich mir in Gedanken selbst gut zu. Gleich würde der Rektor wieder das Wort übernehmen und dann interessierte sich kein Mensch mehr für mich. Nur noch ein bisschen durchhalten.
Und das Lächeln nicht vergessen!
Ich war so davon abgelenkt, mir selbst innerlich Mut zuzusprechen, dass ich erst verzögert bemerkte, wie sich einer der Lehrer von links aus der Gruppe löste und nun geradewegs auf mich zu steuerte.
„Buenos días y bienvenida, Linda!“, begrüßte er mich überschwänglich auf Spanisch und gab sich damit unverkennbar als Spanischlehrer der Schule zu erkennen. „Ich bin Rodrigo“, stellte er sich vor. „Encantado de conocerte.“ Der Spanier streckte mir die Hand entgegen. „Es freut mich, dich kennenzulernen.“
Wie ferngesteuert reichte ich ihm meine Hand zum Gruß. Freut mich auch, wollte ich höflich erwidern, doch im letzten Moment, bevor unsere Finger sich trafen, beugte er sich auf einmal vor. Noch ehe ich realisiert hatte, was geschah, deutete er einen leichten Handkuss an.
Der Gruß blieb mir im Hals stecken.
Sein warmer Atem streifte meinen Handrücken und perplex blickte ich auf meine blasse Hand in seiner, die er nur langsam und mit einem strahlenden Lächeln wieder freigab.
Okay?!
Damit hatte ich jetzt ehrlich gesagt nicht gerechnet.
Der Direktor neben uns richtete hüstelnd seine Krawatte, während auf den Gesichtern meiner zukünftigen Kollegen das ein oder andere amüsierte Schmunzeln zu erkennen war. Immerhin hatten sie ihren Spaß … Wahrscheinlich war ich nicht die erste junge, blonde Lehrerin, die der Spanier auf diese charmante Weise an der Schule willkommen hieß.
Also – zumindest hoffte ich das!
Ich hatte nämlich keine Ahnung, wie ich darauf am besten reagieren sollte. Ein wenig hilflos blickte ich zu Direktor Grünwald, der mich zum Glück gnädig aus der Situation erlöste.
„Lieber Herr Hernandéz Villa“, wandte er sich an den Spanier. „Sie werden noch das ganze Jahr lang Gelegenheit haben, Frau Heine näher kennenzulernen“, stellte er fest und erntete für seine schalkhafte Bemerkung leises Gelächter aus dem Kollegium. „Aber jetzt ist es zunächst einmal an der Zeit, dass wir das neue Schuljahr einläuten.“
Er schob sich die schmale Lesebrille auf die Nase und gab damit der Sekretärin, Frau Brückner, das Zeichen, ihm einige Unterlagen zu reichen, die sie pflichtbewusst für ihn bereitgehalten hatte. Erleichtert, dass der Fokus somit endlich nicht mehr auf mir lag, schob ich mich etwas in den Hintergrund, während der Rektor die letzten organisatorischen Punkte vor dem Start des neuen Schuljahres durchging. Im Gegensatz zu mir hatte er keine Probleme, die richtigen Worte zu finden, und so erfuhren wir nicht nur von den erfreulich hohen Anmeldezahlen für die fünfte Jahrgangsstufe, die in diesem Jahr mit drei Parallelklassen starten würde. Auch die in diesem Schuljahr zur Verfügung stehenden Fördergelder für Klassenfahrten und das schulische Nachhilfeprogramm sowie die Anschaffung von zwanzig Tablet-PCs für den digital unterstützten Unterricht und die erfolgreiche Sanierung der WC-Anlagen in den Ferien wurden stolz verkündet. Ich wusste, dass das Albert-Einstein-Gymnasium, oder AEG, wie es von allen kurz genannt wurde, wie die meisten anderen Schulen in der Region nicht gerade in Geld schwamm. Zwar hatte das Ruhrgebiet seine industrielle Vergangenheit lange hinter sich gelassen, aber der Weg in eine strahlende Zukunft als multikulturelle Metropole war kein leichter, wie man nur zu deutlich an den häufig unterfinanzierten oder sogar baufälligen Schulen sehen konnte.
Doch was machte das letztlich schon, wenn die Lehrkräfte jeden Tag engagiert und voller Leidenschaft für ihre Fächer zur Arbeit erschienen, um das Heranwachsen der Schüler – der Zukunft der Region und unseres Landes – zu verantwortungsvollen und selbstbestimmten Mitgliedern der Gesellschaft zu begleiten?
Na gut, vielleicht war ich ein wenig idealistisch.
Aber im Grunde hatte ich recht! Mit Klagen über finanzielle oder sonstige Probleme hatte garantiert noch niemand sein Ziel erreicht. Mit Motivation und Einsatz war dagegen fast alles möglich, davon war ich fest überzeugt.
Nachdem Direktor Grünwald die finanziellen und anderweitig erfreulichen Neuigkeiten vorgetragen hatte, applaudierte das Kollegium und er ging mit Frau Brückners Hilfe dazu über, die Stundenpläne und sonstige Materialien für das neue Schuljahr an die Klassenlehrer zu verteilen. Von der fünften bis zur zehnten Klasse wurden die Kinder am AEG im Klassenverband von etwa dreißig Schülern unterrichtet. Lediglich Wahlfächer wie Fremdsprachen oder Informatik wurden klassenübergreifend angeboten. In der Oberstufe, also den Jahrgangsstufen elf bis dreizehn, wurden die Schüler dann kursweise unterrichtet und konnten sich auf dem Weg zum Abitur ihr eigenes Qualifikationsprofil zusammenstellen.
All diese Informationen hatte mir der Schulleiter bereits bei meinem Einstellungsgespräch vor den Ferien detailliert erläutert. Als Neuzugang hatte man mir natürlich nicht direkt die Verantwortung für eine Klasse oder Jahrgangsstufe übertragen und so konnte ich erst einmal verschnaufen, als sich die Klassenlehrerinnen und -lehrer schließlich mit dem Ertönen der Schulklingel um neun Uhr auf den Weg zu ihren Klassen machten, um ihre Schüler im neuen Schuljahr zu begrüßen.
Der Raum leerte sich schnell und ich atmete für einen Moment durch. Abgesehen von meiner missglückten Rede, die diese Bezeichnung eigentlich gar nicht verdiente, und dem überraschenden Handkuss des Spanischlehrers hatte das bisher doch ganz gut geklappt. Zumindest hatte ich mich nicht direkt völlig blamiert. Und außerdem hatte ich ja auch noch das ganze Schuljahr Zeit, um den ersten Eindruck zu verbessern, den ich gerade hinterlassen hatte. Ich zupfte den Saum meiner ordentlichen Bluse zurecht und straffte entschlossen die Schultern, ehe ich mich zu Direktor Grünwald umdrehte.
Der Schulleiter war gerade in ein Gespräch mit Sekretärin Brückner vertieft und erklärte ihr ausführlich, was sie mit den übrig gebliebenen Unterlagen tun sollte, die er ihr zurückgegeben hatte.
Die kleine rundliche Dame nickte eifrig. „Jawohl, Herr Direktor. Aber natürlich! Ganz wie Sie wünschen.“
„Prima“, lächelte er wohlwollend. „Haben Sie vielen Dank!“
„Sehr gerne“, versicherte sie. „Dann mache ich mich gleich an die Arbeit.“ Sie nickte noch einmal und schenkte uns ein freundliches Lächeln, bevor sie aus dem Raum eilte. Wir sahen ihr nach, bis sie aus der Tür verschwunden war.
„Also dann, Frau Heine“, wandte sich der Direktor anschließend wieder an mich. „Nun zu Ihnen.“
„Ja?“ Aufmerksam blickte ich ihn an.
„Um Viertel vor zehn beginnt die große Pause und danach haben Sie, wenn ich mich nicht täusche, Ihre erste Unterrichtsstunde.“
„Das ist korrekt“, bestätigte ich.
Er schob den Ärmel seines Sakkos ein Stück hoch, um einen Blick auf seine altmodische Armbanduhr zu werfen. „Bis dahin ist ja noch ein bisschen Zeit“, stellte er fest. „Sie könnten sich solange vielleicht schon mal im Informatikraum einrichten, was meinen Sie?“
„Eine sehr gute Idee“, nickte ich und schulterte pflichtbewusst meinen Rucksack, um mich direkt auf den Weg zu machen. Ich war schon ehrlich gespannt auf meine neue Wirkungsstätte. Hoffentlich würde ich mich allein im Gebäude zurechtfinden. Das fehlte gerade noch, dass ich mich gleich am ersten Morgen verlief. Dann wäre mir der Titel für den misslungensten ersten Schultag auf jeden Fall sicher.
Doch schon im nächsten Moment erübrigte sich meine Sorge, denn der Direktor bot mir persönlich seine Hilfe an. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie dorthin begleite?“, fragte er.
Fast glaubte ich, mich verhört zu haben.
„Aber ganz und gar nicht“, beeilte ich mich zu sagen. „Das wäre sehr nett von Ihnen!“ Niemals hätte ich mich gewagt, ihn darum zu bitten. Schließlich war er als Schulleiter vielbeschäftigt. Dass er mir dennoch höchstpersönlich den Weg zeigen wollte, ehrte mich. Dann war mein erster Eindruck gerade vielleicht doch nicht so furchtbar gewesen wie befürchtet. Oder aber er hatte nur keine Lust, die Stelle direkt wieder neu ausschreiben zu müssen, weil ich auf dem Weg zum Informatikraum verloren gegangen war.
Wie auch immer.
Direktor Grünwald schien jedenfalls zufrieden mit meiner Antwort zu sein. „Wunderbar, Frau Heine“, freute er sich. Mit seinem aufrichtigen Lächeln und dem dunkelgrauen Haar, das an den Schläfen bereits in ein Silbergrau überging, erinnerte er mich an einen gutmütigen Großvater, auch wenn er für einen solchen ziemlich vornehm gekleidet war. „Dann lassen Sie uns doch gleich losgehen“, schlug er jetzt vor und schob die Lesebrille zurück in die Brusttasche seines Oberhemds.
Ich nickte aufgeregt. „Sehr gerne!“, willigte ich ein und folgte ihm zur Tür.
Das Lehrerzimmer lag an einem abgetrennten Flur ganz in der Nähe des Haupteingangs. Nachdem wir das Büro des Direktors und das unmittelbar benachbarte Sekretariat passiert hatten, gelangten wir in die kleine schmucklose Eingangshalle. Links von uns lagen nun die Eingangstüren, durch die ich heute Morgen gekommen war, und rechts führte eine breite Steintreppe ins erste Obergeschoss. Wir nahmen stattdessen die Tür gleich neben dem Treppenhaus, die auf einen langen, geraden Gang führte, an dem rechts und links die Klassenzimmer der unteren Jahrgangsstufen lagen. Die Wände des Flurs waren in demselben hellen Blauton gehalten wie das Logo der Schule und durch die dunklen Holztüren drangen einzelne Kinderstimmen aus den Klassenräumen.
Ich hatte mir die Schule bereits auf Luftbildern angeschaut und wusste, dass am Ende dieses Gangs ein weiterer Gebäudeteil nach rechts abzweigte, der zusammen mit den anderen beiden Teilen von drei Seiten den asphaltierten Schulhof säumte. Auf der gegenüberliegenden Seite bildete das langgezogene Turnhallengebäude die Abgrenzung zur dahinterliegenden Hauptstraße. Die Schritte unserer Schuhe auf dem Steinfußboden hallten im leeren Flur wider und wir passierten ein weiteres Treppenhaus, ehe wir die Tür zu besagtem drittem Gebäudeteil erreichten. Zuvorkommend hielt Direktor Grünwald sie mir auf.
„Danke“, sagte ich höflich, bevor ich ihm hindurch folgte.
Gleich dahinter blieb er stehen, um auf die Räume zu deuten, die nun rechts von uns im Flur lagen. „Hier befinden sich die Klassenzimmer der siebten und achten Klassen“, erklärte er mir. „Das heißt, Ihre Französischkurse werden zum Teil hier stattfinden.“
Ich nickte und versuchte, mir diese Informationen gut zu merken, damit ich mich später auf der Suche nach den Räumen nicht verirren würde. Doch bevor ich die ersten Französischstunden unterrichten würde, stand für heute zunächst einmal Informatik auf meinem Stundenplan. Somit steuerte der Direktor nun das unscheinbare schmale Treppenhaus zu unserer Linken an, in dem eine steinerne Wendeltreppe in den Keller führte. Schweigend stiegen wir die Stufen hinab. Mit jedem Schritt wurde es merklich kühler. Im Sommer war das sicherlich ein angenehmer Ort zum Unterrichten, dachte ich bei mir. Vielleicht nur ein bisschen düster …
Ich folgte Direktor Grünwald zu einer Glastür, die einen langgezogenen dunklen Flur vom Treppenhaus abtrennte. Ich hatte auf der Wendeltreppe geringfügig die Orientierung verloren, aber offenbar verfügte nur der mittlere Teil des Schulgebäudes über ein Untergeschoss. Zumindest vermutete ich, dass wir uns genau unter ebenjenem Gang befanden, über den wir im Erdgeschoss aus entgegengesetzter Richtung gekommen waren. Gleich hinter der Glastür entdeckte ich einen schwach leuchtenden Schalter an der Wand und kurz nachdem ich ihn betätigt hatte, flackerten nackte Leuchtstoffröhren an der Decke auf. Mein Blick wanderte über den gräulichen Putz, der an einigen Stellen bereits von den Wänden bröckelte. Bis hier unten waren die Anstreicher mit der Schulfarbe offenbar noch nicht vorgedrungen. Aber das waren ja bloß Nebensächlichkeiten – ich wollte hier schließlich Informatik unterrichten und keine Seminare zur Innenraumgestaltung leiten.
Der Direktor schien ganz meiner Meinung zu sein, denn er nickte mir nur aufmunternd zu und zusammen liefen wir den Gang entlang, vorbei an einigen verschlossenen Türen, die zu diversen Putzkammern und Abstellräumen führten, bis wir schließlich die Tür des Informatikraums erreichten. Anders als die Türen der Klassenzimmer bestand diese aus dickem Metall und klimpernd holte ich meinen neuen Schlüssel heraus, um sie zu öffnen. Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür auf und gab den Blick auf den Computerraum frei. Staubkörner tanzten im schummrigen Schein der Sonnenstrahlen, die von der linken Seite durch die Kellerfenster fielen und den Raum in ein diffuses Licht tauchten.
Das also war von nun an mein Reich.
Zögernd trat ich über die Schwelle auf den PVC-Fußboden und schaltete die Deckenleuchten ein, um mich umzusehen. Links neben der Tür war ein großes Whiteboard an der weiß gestrichenen Wand befestigt und gleich davor stand der Tisch, den ich als mein Pult identifizierte. Ich stellte den Rucksack mit meinen Schulunterlagen neben den dazugehörigen, einst vermutlich gepolsterten Holzstuhl. Gegenüber von meinem Pult waren u-förmig die Tische der Schüler angeordnet, auf denen Computerbildschirme mit Tastatur und Maus angeschlossen waren. Insgesamt zählte ich fünfzehn Computerarbeitsplätze, die vielleicht nicht dem neuesten Stand der Technik entsprachen, aber zumindest funktional wirkten. Im linken hinteren Teil des Raums waren zudem weitere Stühle und drei oder vier zusätzliche Tische gestapelt, um den Raum bei Bedarf für größere Gruppen nutzen zu können. Neugierig ging ich weiter in den Raum hinein, rechts an den Arbeitsplätzen vorbei, und bemerkte zwei weitere Türen. Die eine führte geradeaus wieder hinaus in den Keller und wäre wohl ein direkterer Weg zum Lehrerzimmer gewesen. Wie der Direktor mir jedoch erklärte, war dieser Weg leider baufällig – also noch baufälliger als der, über den wir gekommen waren. Zudem verfügte er nur über eine Notbeleuchtung, weshalb er auch nur im Notfall, beispielsweise bei einem Brand, genutzt werden sollte. Ich merkte mir, dass ich immer den langen Weg zum Lehrerzimmer nehmen würde, und stellte mich schon mal auf eine ordentliche Menge Bewegung im Laufe des Schuljahres ein.
Die zweite unscheinbare Tür war vom Haupteingang des Raums aus nicht einsehbar und führte auf der rechten Seite in einen schmalen, abgetrennten Serverraum. Hier standen die Schulserver, auf denen unter anderem die an der Schule genutzte Lernplattform betrieben wurde. Und auch der digitale Vertretungsplan, die Schulwebseite und weitere Online-Angebote wurden von hier aus bereitgestellt. Ich wusste, dass diese Dienste bislang von Herrn Winkler, dem ehemaligen Informatiklehrer, organisiert worden waren und mir nun in meiner neuen Stelle die Ehre zuteilwurde, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Ich überprüfte kurz, dass mein Schlüssel auch auf diese Tür passte, bevor ich zurück zu Direktor Grünwald ging, der geduldig am Eingang auf mich gewartet hatte.
„Und, sieht alles so weit gut aus?“, fragte er.
„Ja“, bestätigte ich. „Alles wunderbar.“
„Prima. Na dann …“ Ein wenig zerstreut strich er sich über den silbrigen Schnauzbart. „Brauchen Sie dann noch irgendwas oder kann ich Sie hier unten allein lassen?“, erkundigte er sich erstaunlich fürsorglich.
„Ich denke, ich habe alles. Falls nicht, weiß ich ja, wo ich Sie oder Frau Brückner finde.“
Der Rektor nickte zufrieden. „Sehr schön.“ Er rieb sich die Hände. „Also, dann wünsche ich Ihnen einen erfolgreichen Start in dieses Schuljahr, Frau Heine!“ Die Feierlichkeit in seiner Stimme wirkte irgendwie unpassend in dieser Umgebung. Trotzdem freute ich mich über seine netten Worte.
„Vielen Dank!“, erwiderte ich höflich und schob sogleich in Gedanken hinterher: Ich werde Sie nicht enttäuschen.
Direktor Grünwald lächelte und nickte mir ein letztes Mal zu, bevor er sich umdrehte. Ich sah ihm nach, wie er über den dunklen Flur verschwand. Erst als die Tür zum Treppenhaus hinter ihm zufiel, atmete ich geräuschvoll aus.
„Also dann, Linda“, murmelte ich und ließ meinen Blick erneut durch den Computerraum schweifen. In etwa einer halben Stunde würde es zur ersten Pause klingeln. Ausreichend Zeit, um mich bis dahin mit meiner neuen Wirkstätte vertraut zu machen. Als erste Amtshandlung schaltete ich den Computer an meinem Pult ein und während er hochfuhr, versuchte ich, die Fenster zu öffnen, die auf der linken Seite nach oben hinaus zum Schulhof führten. Der Kellerraum roch nach sechs Wochen Sommerferien merkbar muffig und abgestanden, weshalb etwas frische Luft wahrlich nicht schaden konnte. Mir war klar, dass die meisten über diesen Raum wohl bloß die Nase gerümpft und gleich auf dem Absatz kehrt gemacht hätten, doch ich wollte mich nicht über meine neue Arbeitsstelle beklagen.
Immerhin gab es einen Computerraum!
Wie ich schmerzlich gelernt hatte, war das leider noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dieser muffige, etwas düstere Raum war meine Chance. Und ich war fest entschlossen, sie zu nutzen.
Ich kehrte zu meinem Pult zurück und sah zu, wie das Betriebssystem startete. Mein eigenes Spiegelbild war matt auf dem Bildschirm zu erkennen. Kritisch überprüfte ich, dass die strenge Frisur, in die ich meine strohblonden Haare heute gezwängt hatte, den turbulenten Morgen bislang unbeschadet überstanden hatte, als auch schon der Anmeldebildschirm erschien. Ich kramte meine Unterlagen aus dem Rucksack und loggte mich mit dem neuen Account ein, den Frau Brückner mir vor den Ferien per Post zugeschickt hatte, um mir einen Überblick über die technische Ausstattung zu verschaffen. Die wichtigsten Programme waren erfreulicherweise bereits installiert und auch der Beamer, der in der Mitte des Raums an der Decke angebracht war, ließ sich problemlos einschalten. Nachdem ich einige Knöpfe auf der kleinen Fernbedienung ausprobiert hatte, wurde das Abbild meines Desktops hinter mir auf das Whiteboard geworfen. Und als ich die Schüler-PCs probehalber ebenfalls gestartet hatte, konnte ich sogar beliebige Bildschirme über den Beamer freigeben.
„Gar nicht so übel“, dachte ich laut.
Das waren doch gute Voraussetzungen für den Unterricht. Und sogar eine recht stabile Internetverbindung schien das AEG zu haben, sodass ich mich problemlos auf der Lernplattform der Schule einloggen konnte. Da ich bereits bei einer früheren Stelle mit derselben Software gearbeitet hatte, fand ich mich auf Anhieb leicht zurecht und konnte mich gezielt durch das Menü klicken. Jeder Lehrer hatte die Möglichkeit, virtuelle Kurse für seine Unterrichtsstunden anzulegen und den Schülern über die Plattform Inhalte wie Texte oder Aufgabenzettel digital zur Verfügung zu stellen. Auch die digitale Abgabe und Bewertung von Hausaufgaben war über die Plattform möglich. Für die meisten Lehrer war diese Option vermutlich nicht allzu relevant, da sie vor allem mit Kreide und Tafel beziehungsweise Stift und Papier arbeiteten. Doch für den Informatikunterricht war eine digitale Plattform zum Austausch von Aufgaben und Lösungen in meinen Augen unverzichtbar. Gewissenhaft legte ich somit für meine ersten Informatikstunden neue digitale Kursräume an, bis der Blick auf die Uhr mich daran erinnerte, dass es gleich zu meiner ersten Pause klingeln würde.
Sofort spürte ich wieder ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch.
Bald würde es losgehen!
Ich loggte mich aus der Lernplattform und dem Computer aus, wie es mir nach meiner Einstellung aus Sicherheitsgründen eingeschärft worden war, und stand auf, um die Fenster zu schließen. Obwohl ich mit meinen ein Meter fünfundsiebzig relativ groß war, musste ich mich leicht strecken, um die Griffe der Fenster zu erreichen. Mein Blick blieb für einen Moment an den dicken Metallgittern hinter den Fensterscheiben hängen, die optisch ein wenig an ein Gefängnis erinnerten – auch wenn sie in diesem Fall vermutlich eher zur Sicherheit vor unerwünschten Eindringlingen als vor Ausbrechern gedacht waren. Ich schloss auch noch das letzte Fenster und war gerade dabei, meine Bluse nach der Verrenkung wieder zu richten, als jemand an die geöffnete Metalltür klopfte.
Überrascht drehte ich mich um.
„Hola, Linda“, grüßte mich der Spanischlehrer, der lässig im Türrahmen lehnte.
„Oh, ähm, hi Rodrigo“, erwiderte ich und musterte ihn.
Was machte er denn hier unten? Wollte er auch lieber im Keller unterrichten?
Blöde Frage, Linda – natürlich nicht!
So wie er mich mit seinen dunklen Augen anstrahlte, war er ganz offensichtlich meinetwegen hier. Zum Glück befand ich mich diesmal in sicherer Entfernung zu ihm, sodass ich zumindest nicht Gefahr lief, mir noch einen Handkuss einzufangen. Stattdessen nutzte ich die Gelegenheit, während ich zu meinem Pult zurück ging, um ihn unauffällig in Augenschein zu nehmen. Rodrigo war ein eher kleiner, drahtiger Typ, grob geschätzt Mitte dreißig. Sein gelocktes schwarzes Haar trug er genau wie seinen gepflegten Bart relativ kurz – ganz im Gegensatz zu seinem üppigen Brusthaar, das ungehemmt aus dem zu weit geöffneten, bunten Hemd herausquoll. Einen ähnlich schrillen Typen wie ihn hatte ich an einer Schule noch nicht oft kennengelernt und ich musste zugeben, dass er zwar sehr unkonventionell, aber auf seine Weise durchaus attraktiv wirkte. Ganz zu schweigen von seiner charmanten Ausstrahlung!
Sobald das zahnpastaweiße Lächeln auf sein kaffeebraunes Gesicht trat, wäre wohl jede Schwiegermutter vor Entzücken dahingeschmolzen und hätte sich nur zu gern die Hand von ihm küssen lassen.
Bei der Erinnerung an seinen Handkuss stieg mir wieder die Wärme in die Wangen. Obwohl ich auf diese Erfahrung heute Morgen durchaus hätte verzichten können, zeugte sie unbestreitbar von einem gesunden Selbstbewusstsein. Ich bezweifelte, dass allzu viele Männer ihre neue Kollegin vor ihrem Chef und der versammelten Belegschaft auf diese Weise begrüßen würden. Mir war das vorher jedenfalls noch nie passiert. Aber irgendwann war wohl immer das erste Mal und ich fürchtete fast, dass der Spanier sein Charme-Arsenal damit noch längst nicht ausgeschöpft hatte. Seine Kollegin zu sein, versprach auf jeden Fall interessant zu werden.
Ich hatte gerade mein Pult erreicht, als hinter Rodrigo im Flur die Schulklingel ertönte, die den Beginn der großen Pause verkündete. „Ay, so spät schon“, stellte er mit seinem unüberhörbaren spanischen Akzent fest. „Musst du bis zur nächsten Stunde noch was erledigen? Oder darf ich dich in deiner ersten Pause zum Lehrerzimmer begleiten?“
Ich zögerte.
Eigentlich war für meinen ersten Unterricht alles vorbereitet und ich hätte etwas Ablenkung bis dahin gut gebrauchen können. Aber wollte ich wirklich mit Rodrigo durch die Schule laufen? Andererseits hatte ich meinen Handkuss heute ja bereits bekommen, also was sollte schon passieren? Und vielleicht konnte ich auf dem Weg sogar einige nützliche Informationen aus ihm herausbekommen.
„Ja, gern“, rang ich mich zu einer Entscheidung durch.
Auf seinem Gesicht erschien ein aufrichtiges Strahlen, das ihn fast ein bisschen jungenhaft wirken ließ. „Fantástico“, freute er sich. „Dann lass uns gleich losgehen.“
„Ja, ich bin sofort da.“ Ich überprüfte noch kurz, dass mein Computer wirklich richtig ausgeschaltet war, und knipste auch das Deckenlicht aus, bevor ich ihm hinaus auf den Flur folgte. „Ist es üblich, dass alle Lehrer in den Pausen ins Lehrerzimmer gehen?“, erkundigte ich mich, während ich die Tür abschloss. Es war so dunkel, dass ich drei Anläufe brauchte, um das Schloss zu treffen. Aber einen Lichtschalter entdeckte ich nicht.
Vielleicht hatten sie vergessen, auf dieser Seite des Flurs einen anzubringen.
Konnte ja mal passieren …
„Sí, sí“, bestätigte Rodrigo meine Vermutung, dass sich das Kollegium in den großen Pausen im Lehrerzimmer versammelte. „Die meisten kommen für einen schnellen Kaffee. Und um ihre Unterlagen zu tauschen.“
Das konnte ich gut nachvollziehen. Gerade wenn man nicht wie ich die meiste Zeit im selben Raum unterrichtete, war es sicher angenehmer, nicht immer alles mit sich herumzutragen. Nebeneinander liefen wir den dunklen Gang entlang zum Treppenhaus. Das schwache Licht, das von dort durch die Glastür fiel, wies uns den Weg.
„Die Pause ist aber nicht gerade sehr lang, oder?“, dachte ich laut, während wir anschließend die Stufen der Wendeltreppe hochstiegen. „Von den fünfzehn Minuten brauche ich ja schon fünf, um überhaupt den ganzen Weg zu laufen.“
Obwohl ich das vollkommen ernst gemeint hatte, lachte Rodrigo nur, während er mir die Tür zum Erdgeschoss aufhielt. Schüler rannten lärmend aus den Klassenräumen an uns vorbei und verschwanden durch die Ausgänge auf den Schulhof. Wir bogen in dem Gedränge auf den Flur, der zum Haupteingang führte. Je weiter wir uns vom Ausgang entfernten, desto mehr leerte sich der Gang.
„Müssen die Schüler in den Pausen raus?“, nutzte ich die Gelegenheit, meinen neuen Kollegen weiter im Gehen auszufragen. Da wir ungefähr gleich groß waren, konnte ich bestens mit ihm Schritt halten.
„Exacto“, bestätigte Rodrigo auch meine Vermutung bezüglich der Schüler. „Kinder brauchen Bewegung. Immer müssen sie so lange stillsitzen. Das ist nicht gut. Die müssen sich bewegen!“ Er sprach und gestikulierte so lebhaft, dass es kaum auffiel, wenn sein Deutsch an manchen Stellen etwas holprig war. „Die Kinder lieben die Pausen“, fuhr er überzeugt fort. „Sie spielen draußen mit ihren Freunden und haben Spaß. Und zwei Lehrer machen immer Pausenaufsicht, um aufzupassen. Damit sie friedlich sind und sich niemand beim Toben verletzt, weißt du? Die Pläne, wer dran ist, hängen vor dem Lehrerzimmer in der Vitrine.“
„Interessant“, murmelte ich.
Wir erreichten die Eingangshalle, in der sich eine Traube von Schülern vor einem Bildschirm drängte.
„Das ist der Vertretungsplan“, erklärte Rodrigo mit einem Nicken in Richtung der Kinder. „Da wird angezeigt, wenn Stunden ausfallen oder von einem anderen Lehrer vertreten werden.“
„Passiert das häufig?“, fragte ich interessiert.
„Ach, es geht. Du kannst die Informationen dazu übrigens auch über deinen Lehreraccount einsehen“, fügte er hinzu. „Dann musst du nicht immer hierherlaufen.“
„Oh, gut zu wissen.“
Rodrigo nickte lächelnd. Es schien ihm zu gefallen, dass er mich durch die Schule führen und mir alles erklären konnte. Wieder hielt er mir die Türen auf, bis wir den Flur vor dem Lehrerzimmer erreichten. Der Gedanke an die zahllosen fremden Personen, die mich darin erwarten würden, ließ meine Hände erneut ein wenig feucht werden und unauffällig wischte ich sie an meiner dunklen Stoffhose ab. Auf einmal war ich irgendwie ganz froh, dass Rodrigo an meiner Seite war, als ich den Raum heute zum zweiten Mal betrat.
Zu meiner Erleichterung war es drinnen allerdings gar nicht ganz so voll wie vor einer Stunde. Wahrscheinlich hatten noch nicht alle Klassenlehrer den Weg zurück ins Lehrerzimmer geschafft. Trotzdem herrschte bereits eine ordentliche Lautstärke – da standen die aufgeregt schwatzenden Lehrer einer fünften Klasse in nichts nach.
Rodrigo erklärte mir, dass jeder im Kollegium einen eigenen festen Platz an einem der dunklen Holztische hatte, die hufeisenförmig im Raum angeordnet waren. Ich hatte den freigewordenen Platz von Herrn Winkler geerbt, der gleich bei der Tür lag, und Rodrigo begleitete mich noch bis dorthin, ehe er auf seinen Tisch am hinteren Ende des Raumes wies.
„Ich werde dann mal meine Materialien für den Unterricht vorbereiten. Mucha suerte bei deinen ersten Stunden“, wünschte er mir. „Viel Glück!“
Ich musste unwillkürlich lächeln. „Danke, dass du mich begleitet hast.“
„Ach, immer wieder gerne“, erwiderte er. „Adiós, mi linda.“ Er wandte sich ab und ging zu seinem Platz, während ich ihm sprachlos hinterher sah. Obwohl meine Spanischkenntnisse nicht allzu ausgeprägt waren, kannte ich die Bedeutung meines Namens und hatte sehr genau verstanden, was er gerade gesagt hatte.
Tschüss, meine Schöne.
Auweia!
Ich versuchte, ganz ruhig zu bleiben, und atmete einmal tief durch. War ich gerade noch froh gewesen, ihn unterstützend an meiner Seite zu haben und ihn über die Schule ausfragen zu können, so war ich jetzt auf einmal ausgesprochen dankbar dafür, dass er in einigen Metern Entfernung mit seinen Unterlagen beschäftigt war. Denn ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich darauf angemessen reagieren sollte. Ein Handkuss vor dem versammelten Kollegium war das eine, aber offene Komplimente für mein Äußeres fühlten sich fast noch unangemessener an. Es war nicht so, dass ich mit meinem Aussehen unzufrieden gewesen wäre – eigentlich gefiel mir mein Erscheinungsbild sogar recht gut. Ich mochte besonders meine blauen Augen, aber auch an meiner schlanken Figur hatte ich für gewöhnlich nichts auszusetzen. Doch ich hätte meine Person und insbesondere mein Aussehen niemals in den Vordergrund gestellt. Frauen wurden ohnehin viel zu oft auf ihr Äußeres reduziert und gerade für eine Lehrerin ziemte sich das einfach nicht. Wahrscheinlich sollte ich Rodrigo beim nächsten Mal höflich darauf ansprechen. Ob das bei einem temperamentvollen Spanier wie ihm allerdings helfen würde, konnte ich schwer einschätzen.
Ich beschloss, das Thema trotzdem fürs Erste gedanklich abzuhaken, und begann stattdessen, mich vorsichtig im Raum umzusehen. Während heute Morgen noch alle Blicke auf mich gerichtet gewesen waren, war nun jeder mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt, was mir die Gelegenheit gab, mir in Ruhe die ersten Gesichter einzuprägen. Ich hatte das Kollegium bereits auf der Schulwebseite ausgiebig studiert und konnte einige Personen somit gleich zuordnen. Der Philosophielehrer Jürgen Rhode stach mir mit seinem ungewöhnlichen Outfit aus Tweedhosen und dazu passender Weste direkt ins Auge. Er stand in der Nähe der gegenüberliegenden Fensterfront und unterhielt sich angeregt mit einem großgewachsenen rothaarigen Kollegen, den ich als Kunstlehrer Florian Funkel identifizierte. Die Stimmen der beiden waren so laut, dass ich Teile ihres Gesprächs trotz der allgemeinen Unruhe im Raum noch an meinem Platz verstehen konnte.
„Aber stell dir doch mal vor, es gäbe kein Licht“, sagte der Philosophielehrer gerade und kraulte nachdenklich seinen grauen Vollbart.
Der Kunstlehrer wirkte regelrecht schockiert. „Hör mal, Jürgen!“, empörte er sich. „Mein Lieber! Ohne Licht würde doch gar kein Leben existieren. Ohne Licht keine Kunst – das ist doch unvorstellbar!“, ereiferte er sich.
Ich verkniff mir ein Schmunzeln und obwohl es sicherlich unterhaltsam gewesen wäre, diesem Duo noch länger zu lauschen, ließ ich meinen Blick weiter schweifen, um auch die Gesichter der anderen Anwesenden zu scannen. Ich erkannte unter anderem die Deutsch- und Biologielehrerin mit den krausen blonden Haaren wieder, konnte mich jedoch leider nicht mehr an ihren Namen erinnern. Auch die Französischlehrerin, die ich auf der Webseite gesehen hatte, konnte ich im Raum bedauerlicherweise nicht entdecken. Dabei wäre ich wirklich neugierig gewesen, sie kennenzulernen und aus erster Hand mehr über den Französischunterricht an der Schule zu erfahren, bevor ich selbst meine ersten Französischstunden geben würde. Hoffentlich würde ich später noch die Gelegenheit dazu bekommen.
Ich hörte, wie neben mir zum wiederholten Mal die Tür zum Lehrerzimmer geöffnet wurde, und sah im Augenwinkel zwei weitere Kollegen hereinkommen. In der Hoffnung, zufällig die Französischlehrerin darunter zu erkennen, drehte ich den Kopf und mein Blick kreuzte den eines jungen Lehrers. Er blieb so abrupt stehen, dass die dunkelhaarige Frau, die dicht hinter ihm gelaufen war, ihn beinahe anrempelte. Sie fluchte leise, doch ihre Stimme klang in meinen Ohren unendlich weit entfernt.
Mit einem Mal schien es ganz still im Raum zu sein und wie mit einem Tunnelblick starrte ich den anderen Lehrer an. Als hätte er genau das vorgehabt, änderte der Lehrer seine Richtung, um die fehlenden zwei Schritte auf mich zuzukommen.
Mein Herzschlag beschleunigte sich.
„Hi!“, grüßte er und ließ mich zu ihm aufsehen.
Seine Präsenz zog mich magnetisch in seinen Bann und ich musste mich arg zusammenreißen, um ihm wie ein halbwegs normaler Mensch zur Begrüßung die Hand zu reichen. Warm umschlossen seine Finger meine.
„Ich bin Mark“, stellte er sich vor, ohne meine Hand dabei loszulassen. „Ich unterrichte Mathe und Sport hier am AEG. Du bist Linda, richtig?“
Ich brachte nur ein stummes Nicken zustande. Mein Hals war wie zugeschnürt und meine Haut brannte förmlich unter seiner Berührung. Erst als er mich langsam losließ, hatte ich das Gefühl, wieder atmen zu können.
Oh Gott, was war denn mit mir los?
Ich blickte in seine braunen Augen, die mich an die Farbe von flüssigem Karamell erinnerten, und fragte mich, wieso er mir auf der Webseite nicht aufgefallen war. Mit seiner sportlichen Statur, den leicht verwuschelten braunen Haaren und der lässig-aufrechten Haltung war es doch quasi unmöglich, ihn nicht wahrzunehmen.
Ich war so hypnotisiert von seinem Anblick, dass ich nur am Rande mitbekam, wie er mir seine Begleiterin, Englischlehrerin Nicole Kubitschek, vorstellte. Viel zu sehr war ich auf ihn fokussiert. Seine Haut war gleichmäßig gebräunt und auf seinem Gesicht zeichnete sich ein leichter Bartschatten ab. Ich musste mich erneut zusammenreißen, um ihn nicht wie eine Irre anzustarren. Mark schien von meinem seltsamen Verhalten zum Glück nichts zu merken oder zumindest hoffte ich das, da er sich nichts anmerken ließ.
„Hast du gleich deinen ersten Unterricht?“, erkundigte er sich höflich.
Ich nickte. „Ja, genau“, war die erste verbale Reaktion, die ich zustande brachte. Noch immer schlug das Herz in meiner Brust viel zu schnell und verlegen räusperte ich mich. „Informatik“, schob ich hinterher.
„Wie cool“, lächelte Mark, wobei er eine Reihe gerader weißer Zähne entblößte. Ich bemerkte einen Schneidezahn, dem eine kleine Ecke fehlte, was ihn irgendwie noch sympathischer aussehen ließ. „Wir hatten gerade schon die erste Klassenlehrerstunde“, erzählte er, ohne dabei das Lächeln einzustellen, und lenkte meinen Blick damit zurück zu seinen Augen. „Meine achte Klasse war völlig aufgedreht.“
„Ja, meine Sieben auch“, mischte sich Nicole von hinten in das Gespräch ein und zog Mark leicht am Arm. „Kommst du? Die Pause ist fast vorbei und wir müssen noch unsere Sachen holen“, erinnerte sie ihn.
Mark nickte und ich glaubte, für einen Moment einen Anflug von Bedauern in seinem Blick zu erkennen. Aber schon im nächsten Augenblick trat das einnehmende Lächeln wieder auf sein Gesicht. „Stimmt. Also, es war nett, dich kennenzulernen, Linda“, stellte er fest und schien kurz zu überlegen, mir noch mal die Hand zu geben. Allein die Vorstellung erzeugte bereits ein Kribbeln auf meiner Haut, doch letztlich entschied er sich offenbar dagegen. „Bis dann mal“, verabschiedete er sich nur mit einem letzten Lächeln, ehe er sich umdrehte und Nicole zu ihren Plätzen auf der gegenüberliegenden Seite des Raums folgte.
Ich schluckte, während ich ihm wortlos nachschaute. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich langsam in die Realität zurückkehrte. Erst jetzt nahm ich auch wieder die Geräuschkulisse um mich herum wahr.
Was war das denn gewesen?
Ich schüttelte mich leicht und wandte den Blick ab. So hatte ich mich ja noch nie erlebt! Wo war denn in den letzten fünf Minuten die kühle, beherrschte Linda gewesen? Hatte ich die etwa unten im Keller vergessen?
Ich versuchte, meine Atmung und meinen Herzschlag zu beruhigen, und schüttelte immer wieder den Kopf über meine heftige Reaktion. Ich hatte keine Ahnung, was gerade passiert war, aber nein, so kannte ich mich nicht. Und egal, was das gewesen war, ich konnte es jetzt gerade echt nicht gebrauchen. Ich hatte einen neuen Job, in dem ich endlich zeigen wollte, was ich konnte. Es war eine einmalige Chance, mich zu beweisen – vielleicht die letzte, die ich bekommen würde. Die konnte ich doch nicht einfach vorbeiziehen lassen. Schon gar nicht wegen irgendeinem x-beliebigen Typen mit hübschen Augen. Also ehrlich, was dachte ich mir bloß?
Auch wenn er wirklich sehr schöne Augen hatte.
Karamellbraun …
Schluss jetzt, Linda, ermahnte ich mich.
Ich musste mich zusammenreißen. Da war jetzt kein Platz für irgendwas anderes. Nicht für irgendwelche Hände küssenden Spanier und für attraktive Sportlehrer gleich doppelt nicht! Noch einmal atmete ich tief durch und straffte die Schultern, bevor ich mit entschiedenen Schritten zur Tür des Lehrerzimmers ging – fest entschlossen, mich von jetzt an ausschließlich auf meine Aufgabe zu konzentrieren.
Pauker & Chiller
Informatik-Doppelstunde, neunte Klasse, im Computerraum. Noch einmal überprüfte ich meinen Stundenplan und versicherte mich, dass ich mir alles richtig eingeprägt hatte. Ja, genau so stand es auch auf dem Zettel. Es war der erste von insgesamt fünf Informatikkursen, die ich in diesem Schuljahr unterrichten würde. Da ich seit dem Ausscheiden von Herrn Winkler die einzige Informatiklehrerin am AEG war, hatte ich neben den Neuntklässlern auch die Verantwortung für den Informatikunterricht in der zehnten Klasse sowie in den drei Jahrgängen der Oberstufe übernommen. Für jede Jahrgangsstufe waren jeweils zwei separate Unterrichtseinheiten pro Woche vorgesehen. Mein Blick wanderte über den ausgebreiteten Zettel auf meinem Pult, auf dem ich die zusammengehörigen Kurse farbig markiert hatte. Der Rest meines Stundenplans war mit Französischunterricht gefüllt, der allerdings erst am Freitag beginnen würde. Ich faltete den Stundenplan wieder zusammen und zog stattdessen mit leicht zittrigen Fingern den ausgedruckten Lehrplan zu mir herüber. Es hatte bereits vor zwei Minuten zum Pausenende geklingelt und ich erwartete, dass in wenigen Augenblicken die ersten Schüler eintreffen würden.
Verdammt, war ich aufgeregt!
Es war ja nicht einmal so, dass ich noch nie unterrichtet hätte. Ganz im Gegenteil sogar. Aber der erste Tag an einer neuen Schule war einfach aufregend, selbst wenn ich diese Erfahrung mit meinen siebenundzwanzig Jahren heute schon zum wiederholten Mal machte. Außerdem stand für mich eindeutig zu viel auf dem Spiel, um das hier nicht auf die Reihe zu bekommen.
Unruhig wanderte mein Blick zurück zur Uhr. Mittlerweile waren schon fünf Minuten Unterrichtszeit verstrichen, ohne dass ein einziger Schüler aufgetaucht war. Hatte ich vielleicht irgendwas falsch verstanden? Sollte ich die Kinder möglicherweise persönlich oben abholen? Oder war der Weg in den Keller einfach nur zu weit, um pünktlich hier unten zu erscheinen?
Ungeduldig erhob ich mich von meinem Stuhl. Doch just in dem Moment, als ich nachschauen wollte, wo die Neuntklässler abgeblieben waren, konnte ich hören, wie schwungvoll die Tür zum Treppenhaus aufflog.
Na also.
Ich atmete ein letztes Mal tief durch und straffte dann die Schultern, um meine Lehrerrolle einzunehmen, während ich darauf wartete, dass die Kinder für ihre erste Informatikstunde an den Tischen vor mir Platz nahmen. Da es offenbar schon in der ersten Stunde mehr Teilnehmer als Arbeitsplätze gab, wurden noch eine ganze Weile zusätzliche Stühle verrückt, bis schließlich Ruhe im Raum einkehrte. Ich ließ meinen Blick über die Gesichter schweifen. Insgesamt zählte ich etwa zwanzig Jungen und Mädchen, die mich erwartungsvoll ansahen.
Also dann Linda, du weißt, was du zu tun hast.
„Hallo zusammen! Schön, dass ihr da seid!“, begrüßte ich sie mit meiner freundlichsten Stimme. „Mein Name ist Frau Heine und ich bin eure Informatiklehrerin.“ Ich schrieb meinen Namen mit einem Marker an das Whiteboard hinter mir. „Es freut mich sehr, dass ihr euch entschieden habt, Informatik zu wählen“, fuhr ich in meinem Text fort. „Ich bin sicher, dass wir in diesem Schuljahr zusammen ganz viele spannende Sachen lernen werden. Bevor wir damit anfangen, würde ich euch aber gerne erstmal kennenlernen.“ Ich nahm eine Liste mit den Namen der Kursteilnehmer aus meinen Unterlagen und schaute das Mädchen vorn zu meiner Rechten an. „Möchtest du beginnen? Wie heißt du denn und warum hast du Informatik gewählt?“
„Ähm, ja, also ich bin die Emily“, fing sie an. „Und … ich finde Computer voll interessant und … was man damit alles machen kann und ähm, ja …“
Ich nickte lächelnd und machte mir einen Vermerk auf einem skizzierten Raumplan, damit ich mir die Namen besser merken konnte. „Super Emily, klasse! Dann bist du hier genau richtig“, versicherte ich ihr. „Wie Computer eigentlich funktionieren und wie sie entwickelt wurden, wird direkt unser erstes Thema sein. Das wird bestimmt sehr interessant für dich. Okay, wer ist die Nächste?“, fragte ich.
Nachdem Emilys Nachbarin sich vorgestellt hatte, waren die ersten Jungs an der Reihe. Wie zu erwarten, waren die Mädchen im Kurs in der klaren Minderheit. Obwohl es inzwischen zahlreiche Förderprogramme für Mädchen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern gab, war die ungleiche Verteilung der Geschlechter leider noch immer ein verbreitetes Phänomen. Als Informatikstudentin war ich selbst eine unter wenigen gewesen. Und auch wenn Mädchen meiner Erfahrung nach mindestens genauso gut in Informatik waren und oft sogar bessere schulische Leistungen erzielten, gaben sich die Jungs genau wie in diesem Kurs deutlich selbstbewusster.
„Ich bin Jason“, nannte ein Blondschopf unter ihnen seinen Namen. „Und ich hab Informatik gewählt, weil die anderen Fächer doch alle Mist sind.“
Seine Kumpels lachten.
„Okay, das ist natürlich auch ein guter Grund“, schmunzelte ich, obwohl die Ausdrucksweise vielleicht noch verbesserungswürdig war. „Aber hast du denn auch bestimmte Interessen an informatischen Themen, Jason, oder relevante Erfahrungen aus deinem Alltag, bei denen du gerne mehr über die Hintergründe lernen würdest?“
Er dachte einen Moment nach, bevor er mit den Schultern zuckte. „Nö“, behauptete er mit einem frechen Grinsen.
Wieder lachten die anderen Schüler.
Ich hob eine Augenbraue. Offenbar hatte ich es hier mit dem Klassenclown höchstpersönlich zu tun. Welch eine Ehre, dass er sich ausgerechnet in meinen Unterricht verirrt hatte …
„Okay, na gut“, blieb ich trotzdem ganz ruhig. „Auch kein Problem. Dann kannst du dich ja einfach überraschen lassen, was wir im Laufe des Jahres alles machen werden“, schlug ich vor. „Bestimmt fallen dir dann auch Fälle auf, in denen das, was wir hier lernen, zum Beispiel mit deiner Mediennutzung im Alltag zu tun hat.“
„Au ja, ganz bestimmt“, bemerkte Jason augenrollend, womit er erneut Gelächter provozierte.
Ich beschloss, seinen Kommentar zu übergehen. „Okay, der Nächste bitte!“, nahm ich seinen Sitznachbarn dran, der sich als Kerim vorstellte. Ich notierte mir auch diesen Namen auf meinem Sitzplan und nachdem schließlich alle Schüler einmal an der Reihe gewesen waren, platzierte ich den Zettel gut sichtbar auf meinem Pult, um jeden persönlich ansprechen zu können. Dann wurde es Zeit, endlich mit dem eigentlichen Unterricht zu starten. Ich öffnete eine kurze einführende Präsentation, die ich vorbereitet hatte, und erklärte den Neuntklässlern, was wir dem Lehrplan zufolge in diesem Halbjahr zusammen durchnehmen würden. Abgesehen von einigen Zwischenrufen durch Klassenclown Jason verlief der Unterricht genau, wie ich es geplant hatte, und mit jeder Minute schwand meine Nervosität ein wenig mehr. Schließlich klingelte es auch schon zu der kleinen fünfminütigen Pause, die jede Doppelstunde in zwei Hälften teilte.
„Pause, endlich!“, rief Jason und sprang auf.
Wie auf Kommando lösten sich auch seine Mitschüler aus ihrer aufmerksamen Unterrichtshaltung und schnell herrschte eine ziemliche Lautstärke im Raum. Ich fand es immer wieder erstaunlich, wie viel Lärm ein paar Kinder produzieren konnten, wenn man sie einfach sie selbst sein ließ. Ich war persönlich nie ein Fan von so viel Trubel gewesen, aber ich musste zugeben, dass ich meine Schüler auch gerne hin und wieder unauffällig in den Pausen beobachtete. So lebhaft, wie sie mit ihren Freunden sprachen, bekam ich als Lehrerin doch gleich ein viel umfassenderes Bild von den Kindern, die täglich meiner Fürsorgepflicht anvertraut wurden. Als ich jedoch bemerkte, dass einige der Schüler ihre Brotboxen herausholten, um sich ihr zweites Frühstück zu genehmigen, beeilte ich mich, dazwischen zu gehen.
„Halt, halt, stopp!“
Überrascht drehten sich alle Köpfe in meine Richtung.
„Hier drin bitte nicht essen!“, hielt ich sie zum Schutz der Computer vom weiteren Auspacken ihrer krümeligen Pausenbrote ab. „Wenn ihr essen oder trinken möchtet, müsst ihr bitte auf den Flur gehen, ja?“
„Na gut.“
„Auch kein Wasser?“, fragte Kerim und hielt seine Trinkflasche hoch.
„Ich fürchte, auch das würde dem Computer nicht guttun.“ Ich hatte schon oft genug erlebt, wie jemand versehentlich sein Getränk über die Tastatur geschüttet hatte und danach die Hälfte der Tasten klebte oder nicht mehr reagierte. Da musste nur mal einer den anderen anstoßen und schon war das Unheil passiert. Und ich bezweifelte, dass das AEG sich jedes Mal nach einem solchen Unfall die Reparatur oder den Ersatz der Geräte leisten könnte. Es gab ja jetzt schon nicht genügend Arbeitsplätze für alle Schüler.
„Okay, stimmt“, schien auch Kerim meine Befürchtung zu verstehen und brav standen die meisten daraufhin auf, um mit ihren Broten und Getränken in den dunklen Flur zu verschwinden. Ich machte mich unterdessen daran, die Fenster zum Lüften zu öffnen, um den Sauerstoffgehalt im Raum nach der Stunde wieder etwas zu erhöhen und selbst ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen. Während die frische Luft in den Keller strömte, ließ ich in Gedanken die erste Unterrichtsstunde Revue passieren und wären die Schüler nicht im Raum gewesen, hätte ich mir dabei vermutlich selbst zufrieden auf die Schulter geklopft. Der Start war mir doch echt ziemlich gut gelungen. Viel besser als meine missglückte Rede heute Morgen!
Und auch wenn mir mein Gestammel immer noch etwas peinlich war, war der Unterricht schließlich das, worauf es wirklich ankam. Ich konnte also zurecht stolz auf mich sein, die erste Stunde so gut gemeistert zu haben.
Als es nach der Fünf-Minuten-Pause erneut klingelte, war die Luft im Raum noch nicht merklich besser geworden und ich beschloss, die Fenster einfach offen zu lassen. Immerhin hatten wir Sommer, da konnte man das ruhig mal machen. Die frische Luft würde den Schülern sicher auch beim Denken helfen, denn als Nächstes stand eine Gruppenarbeit zu unserem ersten Unterrichtsthema an. Ich hatte verschiedene grundlegende Fragen vorbereitet, die die Schüler zu dritt oder zu viert an den zur Verfügung stehenden Rechnern recherchieren sollten. Und während die meisten sich direkt motiviert an die Arbeit machten und versuchten, mehr über die Entstehung und den Aufbau von Computern und die Anfänge der Informatik herauszufinden, ging ich von Gruppe zu Gruppe, um Fragen zu beantworten. Es freute mich wirklich sehr, zu sehen, mit welchem Eifer die Mehrheit der Schüler bei der Sache war. Natürlich gab es immer ein paar Ausnahmen – Jungs wie Jason zum Beispiel, die lieber Unsinn machten, als etwas zu lernen – aber das waren zum Glück nur Einzelfälle. Die anderen wirkten aufrichtig interessiert an dem Fach, das sie gewählt hatten, und weckten damit in mir die leise Hoffnung auf ein angenehmes, erfolgreiches Schuljahr.
Trotzdem war ich durchaus froh, als auch die zweite Schulstunde schließlich vorbei war. „Das war ein klasse Start heute“, lobte ich die Neuntklässler, während sie, wie ich es ihnen aufgetragen hatte, die Computer ausschalteten. „Wir sehen uns …“ Ich schielte auf meinen Stundenplan. „Wir sehen uns am Freitag nach der zweiten Pause wieder.“
„Ja, ja“, rief Jason und war mit dem Pausenklingeln schon aus der Tür verschwunden.
Kopfschüttelnd sah ich ihm nach.
„Tschüss, Frau Heine“, verabschiedeten sich nach und nach auch die anderen, bis der Raum schließlich leer war.
Ich wartete noch, bis die Tür zum Treppenhaus hinter den Letzten zugefallen war, ehe ich erleichtert ausatmete: „Puh.“ Das war anstrengend gewesen.
Aber gute Leistung, Linda, lobte ich mich selbst.
Die erste Doppelstunde war geschafft! Und man wusste ja, dass die erste Stunde immer die Schwierigste war. Ab jetzt würde mit Sicherheit alles leichter werden. Man musste nur einmal richtig in Fahrt kommen.
Ich heftete die Zettel mit den Namen der Kursteilnehmer und dem provisorischen Sitzplan in meine Mappe und stand auf, um mich zu strecken. Durch die geöffneten Kellerfenster konnte ich das Lachen und Toben der Kinder auf dem Schulhof hören, die zur zweiten großen Pause nach draußen geströmt waren. Kurz überlegte ich, ob ich mich auch auf den langen Weg ins Lehrerzimmer machen sollte. Vielleicht konnte ich diesmal die Französischlehrerin ausfindig machen und sie ein bisschen über den Unterricht ausfragen. Andererseits würde ich damit das Risiko eingehen, mir noch mal einen Handkuss einzuhandeln. Oder sogar noch Schlimmeres …
Vor meinem inneren Auge sah ich wieder den Sportlehrer mit seinem umwerfenden Lächeln auf mich zu kommen und selbst bei der Erinnerung daran klopfte mein Herz augenblicklich schneller.
Nein, am besten würde ich hier unten bleiben.
Ich ging zum Fenster hinüber und nahm ein paar langsame, tiefe Atemzüge, um mich wieder zu beruhigen. Ich hatte wirklich keine Ahnung, was mit mir los war oder was da vorhin zwischen uns passiert war, aber das würde sich nicht wiederholen.
Auf gar keinen Fall!
Zusätzliche Aufregung und die Lautstärke im Lehrerzimmer konnte ich gerade wahrlich nicht gebrauchen. Ich war aufgrund meines ersten Tages schon aufgedreht genug. Außerdem konnte ich mich so in der gewonnenen Zeit ganz in Ruhe auf meinen zweiten Kurs vorbereiten.
Genau, guter Plan!
Ich nickte mir gedanklich selbst zu, um meine Entscheidung zu bekräftigen, und überprüfte noch einmal meine Frisur, die sich in der Scheibe des gekippten Kellerfensters spiegelte, bevor ich zurück zu meinem Pult ging.
Mein nächster Kurs war der Informatik-Grundkurs in der zwölften Jahrgangsstufe oder Qualifikationsphase Q1, wie sie hier genannt wurde. Ich musste zugeben, dass ich mich auf den Unterricht in der Oberstufe besonders freute. Natürlich war es auch ein tolles Gefühl, die jüngeren Schüler bei ihren ersten Schritten im Fachbereich der Informatik zu begleiten, aber während in der Unterstufe vor allem theoretische Grundlagen im Mittelpunkt standen, ging es in der Oberstufe endlich um mein Lieblingsgebiet, die Programmierung. Die Zwölftklässler hatten laut den Lehrplänen, die Sekretärin Brückner mir ausgedruckt hatte, bereits ein ganzes Jahr Programmier-Erfahrung mit der Programmiersprache Python und ich freute mich darauf, ihre Fähigkeiten weiter auszubauen. Gewissenhaft ging ich noch einmal meinen Plan für die nächste Doppelstunde durch, um mir alle Details in Erinnerung zu rufen.
Nachdem es zum Ende der zweiten Pause geklingelt hatte, dauerte es dann wieder einige Minuten, bis sich alle Schüler für den Unterricht im Computerraum eingefunden hatten. Ich wusste ja inzwischen selbst, wie weit der Weg nach hier unten in den Keller war, und hätte als Schüler vielleicht auch keine große Lust gehabt, mich mehr als nötig zu beeilen, nur um noch einigermaßen pünktlich zu sein. Doch etwa fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn schienen auch die letzten Nachzügler eingetroffen zu sein. Die Informatikkurse in der Oberstufe waren erfahrungsgemäß etwas kleiner als in der Unterstufe und tatsächlich zählte ich nur zehn Schülerinnen und Schüler, die sich an den Arbeitsplätzen verteilt hatten. Mit einem Lächeln erhob ich mich hinter meinem Pult.
„Sind Sie die Neue?“, fragte einer der Jungs laut und kam damit meiner Ansprache zuvor.
Ich nickte. „Ja, genau. Ich bin Frau Heine, eure neue Informatiklehrerin“, stellte ich mich vor und deutete auf meinen Namen, der noch immer hinter mir am Whiteboard stand. „Ich freue mich, dass ihr euch entschieden habt, in der Qualifikationsphase weiterhin Informatik zu wählen“, spulte ich meine einstudierte Begrüßung ab. „Im kommenden Schuljahr werden wir gemeinsam euer bisheriges Wissen und eure Programmierfähigkeiten vertiefen, um euch erfolgreich aufs Abitur vorzubereiten.“
Na, wenn das mal kein professioneller Einstieg gewesen war!
So hätte das heute Morgen laufen müssen.
Doch leider schienen die Schüler meine gelungene Einleitung gar nicht zu schätzen zu wissen. „Als ob hier irgendeiner Info im Abi wählt“, unkte einer der Jungs zu meiner Rechten nur.
„Echt mal“, stimmte ihm sein Nachbar zu. Und auch von den meisten anderen erntete er ein Nicken oder zustimmendes Gemurmel.
Allerdings nicht von allen. „Also ich habe das vor“, erwiderte ein Schüler zu meiner Linken spitz.
Die anderen im Kurs stöhnten genervt. „Ja du!“, meinte irgendjemand.
„Streber.“
Besagter Streber wurde rot und nestelte an seiner Brille.
Das fing ja gut an …
„Alles klar“, unterbrach ich die Diskussion und atmete einmal tief durch. „Wer Informatik im Abitur wählt und wer nicht, müsst ihr ja jetzt noch gar nicht entscheiden“, hielt ich fest. „Ich werde mit euch sowieso alle Themen durchgehen, die der Lehrplan vorsieht, damit jeder die Möglichkeit hat, sich hinterher in Informatik prüfen zu lassen, wenn er oder sie das will. Ich denke, darauf können wir uns einigen, oder?“
„Gut.“ Ich wartete die Antwort der Schüler gar nicht ab und zog die Kursliste der Q1 aus meiner Mappe. „Bevor wir starten, würde ich gerne einmal kurz eure Namen durchgehen, damit ich weiß, wer hier ist, und damit ich euch persönlich ansprechen kann.“ Der Reihe nach rief ich die Namen auf meiner Liste auf und trug in meinem provisorischen Sitzplan ein, wem sie zuzuordnen waren. Die ersten drei Minuten hatten mir bereits vollkommen ausgereicht, um einzuschätzen, dass eine richtige Vorstellungsrunde wie bei den Neuntklässlern in diesem Kurs wohl wenig produktiv würde. Und da ich keine Lust auf weitere Diskussionen dieser Art hatte, bevor der Unterricht überhaupt richtig begonnen hatte, beschränkte ich mich auf Handmeldungen, um die Gesichter den Namen zuzuordnen.
Neben dem potenziellen Abiturkandidaten Christian, der sich gleich den ersten Platz zu meiner Linken ausgesucht hatte, saßen mit etwas Abstand zwei weitere Halbstarke. Während Ahmed mit Muskelshirt und Goldkettchen fast schon zu prollig für eine ehrenwerte Institution wie das AEG wirkte, schien sein Kumpel Yusuf seinem bisherigen Verhalten nach zu urteilen ein eher zurückhaltenderer Typ zu sein.
Die Reihe auf meiner rechten Seite begann mit einem dicklichen Jungen mit kariertem Hemd, der auf den Namen Martin hörte. Gleich daneben kippelte Richard, ein schlaksiger blonder Typ, mit seinem Stuhl, als wollte er unbedingt die Grenzen der Schwerkraft ausreizen. Ich war versucht, ihn davon abzubringen, aber Risikoscheu oder Gleichgewichtsprobleme schien er wohl generell nicht zu kennen, denn anstelle einer Schultasche hatte er offenbar nur ein Skateboard dabei. Dennis und Katharina wiederum teilten sich, obwohl angesichts der geringen Kursgröße eigentlich reichlich Platz für alle war, nicht nur die letzten Plätze der Reihe, sondern gleich einen gemeinsamen Stuhl. Ich vermutete, dass sie wohl ein Pärchen sein mussten und nicht bloß versuchten, mir das Eintragen der Namen in den vorgefertigten Sitzplan zu erschweren. Die hintere Reihe war schließlich von drei Mädchen besetzt, von denen zwei, Ayleen und Dilara, die meiste Zeit nicht gerade unauffällig tuschelten. Das dritte Mädchen saß hingegen vollkommen stumm da und hob nur einmal kurz die Hand, als ich ihren Namen, Sophie, aufrief. Die Zwölftklässler als einen bunt gemischten Haufen zu bezeichnen, wäre in meinen Augen noch untertrieben gewesen. So unterschiedlich, wie sie alle wirkten, konnte das mit diesem Kurs ja nur ein interessantes Schuljahr werden …
Schnell zählte ich nach, ob ich alle zehn Personen einmal aufgerufen hatte, bevor ich den Sitzplan gut sichtbar vor mir aufs Pult legte. Dann startete ich genau wie in meiner ersten Stunde eine kurze Präsentation, um einen Überblick über die Unterrichtsthemen zu geben.
„Okay, wie ich schon gesagt habe, gibt es fürs Abitur klare Vorgaben, was im Unterricht behandelt werden muss“, fing ich an und blendete eine Folie mit den Unterrichtsvorhaben für das erste Halbjahr der Q1 ein. „Ich nehme an, ihr hattet im letzten Jahr bei Herrn Winkler Informatik, richtig?“, fragte ich.
Die Schüler nickten.
„Was habt ihr denn da alles gemacht? Ja, Martin“, nahm ich den dicklichen Jungen zu meiner Rechten dran.
„Wir haben programmiert.“
„Alter, gechillt haben wir“, rief Ahmed von links dazwischen.
Die anderen Schüler lachten.
„Gechillt“, wiederholte ich mit hochgezogenen Augenbrauen. „Es wäre mir neu, dass das im Lehrplan steht.“ Ich tat so, als würde ich die Zettel auf meinem Pult durchblättern. „Nein, also von Chillen steht hier nichts. Aber vielleicht solltest du das der Bildungsministerin mal vorschlagen. Das klingt nach einer echten Kernkompetenz.“
Einige der Kursteilnehmer grinsten.
Guter Konter!
Ich kehrte zurück zu meiner Präsentation und klickte eine andere Folie an, die die Unterrichtsinhalte der elften Klasse zeigte. „Also, das hier sind die Bereiche, die ihr abgedeckt haben solltet“, stellte ich fest und deutete zum Whiteboard. „Wer ist so freundlich und verrät mir, was ihr davon letztes Jahr gemacht habt?“
Niemand meldete sich.
„Gehen wir es Punkt für Punkt durch“, schlug ich vor. „Ja, Christian?“
„Also die ersten vier hatten wir“, sagte er. „Und den sechsten und siebten.“
Ich nickte. „Okay, danke, Christian. Das heißt, Punkt fünf und Punkt acht bis zehn habt ihr ausgelassen?“, schlussfolgerte ich. Das war natürlich ärgerlich für mich. Offenbar hatte Herr Winkler tatsächlich mit diesem Kurs mehr gechillt als gearbeitet. Ob ich ihm das allerdings zum Vorwurf machen konnte, war nach so kurzer Zeit schwer zu sagen. Vielleicht war auch eher die Motivation der Schüler das Problem gewesen, was mir nach meinem ersten Eindruck gar nicht so unwahrscheinlich erschien. Oder aber es war eine Mischung aus beidem gewesen. Doch was auch immer letztlich der Grund war, es sollte mich nicht aufhalten. Ich war fest entschlossen, aus jedem Kursteilnehmer das Beste herauszuholen, und zur Not würde ich eben auch Versäumnisse meines Vorgängers nacharbeiten.
Ich schaltete wieder zurück zur Folie mit den Themen für dieses Halbjahr und ging jedes einmal kurz für den Kurs durch. Bevor wir allerdings mit dem ersten davon starteten, wollte ich mir zunächst ein Bild des individuellen Kenntnisstands aller Kursteilnehmer verschaffen. Ich hatte extra zu diesem Zweck eine erste kleine Programmierübung vorbereitet, die mir nun gerade angesichts der Lücken im Vorjahrespensum sogar noch wichtiger erschien.
Ich klickte zur nächsten Folie und stand auf. „Bevor wir nächste Woche mit dem ersten Thema loslegen, habe ich als Einstieg eine kleine Aufgabe zur Wiederholung für euch mitgebracht“, erklärte ich und deutete auf den Aufgabentext, der hinter mir auf das Whiteboard projiziert wurde.