Jemand wie ich - Katrin Nienhaus - E-Book

Jemand wie ich E-Book

Katrin Nienhaus

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Beschreibung

Ein ganzes Jahr ist vergangen, seit Isa sich im Sommer von David verabschieden musste. In der Zwischenzeit hat ihr Leben sich um hundertachtzig Grad gewandelt und sie kann es kaum noch erwarten, endlich wieder zu ihm nach Spanien zurückzukehren. Nie zuvor hat sie jemanden so sehr vermisst, den sie gerade einmal drei Wochen lang kannte. Aber hat der attraktive Spanier wirklich die ganze Zeit auf sie gewartet? Und wie soll das mit ihnen auf Dauer funktionieren? Kann sie die Frau sein, die jemand wie er sich an seiner Seite vorstellt? Die intensive Mittelmeer-Serie geht weiter!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Katrin Nienhaus

Jemand wie ich

SOULSWIMMING Teil II

Roman

 

 

Über dieses Buch

 

Ein ganzes Jahr ist vergangen, seit Isa sich im Sommer von David verabschieden musste. In der Zwischenzeit hat ihr Leben sich um hundertachtzig Grad gewandelt und sie kann es kaum noch erwarten, endlich wieder zu ihm nach Spanien zurückzukehren. Nie zuvor hat sie jemanden so sehr vermisst, den sie gerade einmal drei Wochen lang kannte.

Aber hat der attraktive Spanier wirklich die ganze Zeit auf sie gewartet? Und wie soll das mit ihnen auf Dauer funktionieren? Kann sie die Frau sein, die jemand wie er sich an seiner Seite vorstellt?

Die intensive Mittelmeer-Serie geht weiter!

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Die Playlist unseres Sommers

Danke

Es geht weiter

Für AngelaWeil es doch jetzt erst so richtig spannend wird.

  Prolog  

David

Na, princesa? Schon nervös?

Isa

Und wie!!!

David

Kaum zu glauben, dass du gleich im Fernsehen bist …

Isa

Total verrückt, oder? Ich kann’s immer noch nicht fassen. Es war so lange nur ein Traum, aber jetzt … bin ich wirklich hier!

David

¡Increíble!

Isa

O-L-Y-M-P-I-A, David! Ich hab’s echt geschafft.

David

Ich weiß. De nada – gern geschehen ;)

Isa

Allein dein Verdienst natürlich :P

David

Claro :D Auf welcher Bahn schwimmst du?

Isa

Bahn 4. Die untere gelbe ist das.

David

Bien, dann behalte ich dich in deinem sexy Anzug im Blick.

Isa

Musst du nicht eigentlich arbeiten?

David

Du vergisst die Zeitverschiebung, mi amor. Ich habe mich in den Aufenthaltsraum verzogen, weil ich „lernen” muss, und sitze jetzt hier vor dem Fernseher.

Isa

Du kleiner Rebell ;)

David

Bueno, das kann ich mir doch nicht entgehen lassen, oder? Seit einem Jahr warte ich schon darauf, endlich damit angeben zu können, dass ich die heiße Blonde da im Fernsehen kenne, weil ich letzten Sommer was mit der am Laufen hatte.

Isa

DAVID!

David

¿Qué?

Isa

Du bist unmöglich!

David

Ich weiß, das liebst du doch so an mir :P

Isa

David

Viel Glück, mi amor!

Isa

Danke! Drück mir die Daumen, dass das gleich kein Reinfall wird …

David

Ach, chorradas … Ich glaub an dich! Ich erwarte dich nächste Woche mit einer Medaille am Flughafen. Und denk daran, das Kleid zu tragen ;)

Isa

Ja, ja … Ich kann‘s kaum erwarten, dich endlich wiederzusehen! Über die Medaille reden wir noch …

David

Vale. ¡Mucha suerte, princesa!

Isa

Gracias, du Verrückter <3

  1  

Mit einem Lächeln lasse ich das Handy in meinen Schoß sinken. Die letzten Stunden während des Fluges habe ich damit verbracht, den Chatverlauf zwischen David und mir noch mal durchzulesen. Angefangen mit seiner ersten spanischen Nachricht nach unserem Sommerurlaub im letzten Jahr bis zu unserem digitalen Gespräch vor wenigen Tagen. Noch nie ist mir ein einziges Jahr so verdammt lang vorgekommen wie dieses.

Wenn ich zurückblicke, kann ich kaum glauben, was in der Zwischenzeit alles passiert ist. Wie sehr sich mein Leben seit dem letzten Sommer verändert hat. Als ich damals nach Spanien kam, hatte ich mich innerlich längst aufgegeben. Das Einzige, was ich in meinem Leben wirklich tun wollte, schien durch meine eigenen Fehler unmöglich geworden zu sein, sodass ich keinen Sinn mehr darin sah, überhaupt noch irgendwas zu tun. Jeden Tag ließ ich mich von meiner Freundin Kathi mit zur Uni schleppen, wo ich mich in den Vorlesungen zu Tode langweilte, bis ich mich in den Freistunden im Uni-Bad abreagieren und meinen Frust aufs Leben am Wasser auslassen konnte.

Doch dann begegnete ich David. Und irgendwie schaffte dieser verrückte Spanier es, mich aus meiner selbst gebauten Sackgasse zu befreien. Obwohl er mich mit seiner unverschämten Art und charmanten Aufdringlichkeit zunächst regelrecht in den Wahnsinn trieb, kam ich nicht gegen die Gefühle an, die ich mit jedem Tag mehr für ihn entwickelte. Wenn er mich ansah, wollte ich in seinen wunderschönen dunklen Augen ertrinken. Noch nie zuvor hatte ich für jemanden so viel empfunden. In nur drei Wochen kam er mir näher als jeder andere Mensch zuvor. Ich fühlte mich von ihm verstanden. Und er ermutigte mich dazu, mein Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Meine Zukunft aktiv zu gestalten, genau wie er es tun wollte – auch wenn das bedeutete, dass wir uns dadurch viel zu lange nicht mehr wiedersehen konnten.

Bis heute.

David

Bis gleich, mi amor. Ich kann’s kaum noch erwarten!

Mit dem Daumen streiche ich über seine letzte Nachricht, die er mir vor dem Abflug geschickt hat. Ich kann nicht fassen, dass ich ihn nach all dieser Zeit gleich endlich wiedersehe, so von Angesicht zu Angesicht. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, doch ich erinnere mich noch genau an das tränenglitzernde Lächeln, mit dem er sich im letzten Sommer von mir verabschiedet hat.

Das Ende unseres Urlaubs war eine emotionale Achterbahnfahrt. Die eine Nacht, die ich in seinen Armen verbracht habe, war das Intensivste, was ich je zuvor erlebt hatte, und am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Doch das zwischen uns war gerade mal ein paar Stunden alt, als wir uns schon wieder voneinander verabschieden mussten. Mit nichts als einem letzten Kuss und einem Versprechen kehrte ich mit meiner Familie nach Deutschland zurück, während er in Spanien blieb, um neben seinem Job im Hotel an seiner beruflichen Zukunft zu arbeiten. Und obwohl mir klar war, dass die Zeit für uns nicht einfach werden würde, hatte ich keine Ahnung, wie sehr man jemanden vermissen kann, den man gerade erst drei Wochen lang kennt.

Mit einem Kopfschütteln schiebe ich mir den zweiten Kopfhörer ins Ohr, um das Schnarchen meines Sitznachbarn auszublenden, während ich auf den endlosen tiefblauen Ozean unter uns schaue und tonlos die wunderschöne Ballade Nada von Shakira mitsinge. Ich kenne den Liedtext längst in‑ und auswendig. Er spricht mir nach den letzten Monaten so sehr aus dem Herzen.

Während ich in diesem langen Jahr alles dafür gegeben habe, meinen großen Traum zu erfüllen und nach meinem frühzeitigen Karriere-Ende doch noch bei den Olympischen Spielen anzutreten, war die Trennung von David das emotional Härteste, was ich je durchgemacht habe. Die ersten Tage ohne ihn bereiteten mir geradezu körperliche Schmerzen. Es war, als hätte mich das Leben auf kalten Entzug gesetzt. Die Sehnsucht nach ihm wurde zu meinem ständigen Begleiter.

Bis ich ihn kennenlernte, dachte ich, dass das Schwimmen alles wäre, was ich im Leben brauche, um glücklich zu sein. Nur ich und das gluckernde, glitzernde Wasser um mich herum. Doch was ist die Jagd nach Bestzeiten und sportlichen Erfolgen schon wert, wenn ich dafür auch nur noch einen einzigen Tag länger auf David verzichten muss?

Mein Umfeld, allen voran meine Eltern haben mich für verrückt erklärt, dass ich so an einer Sommerromanze mit einem dahergelaufenen spanischen Masseur-Schrägstrich-Playboy festhalten wollte, den ich kaum drei Wochen lang kannte. Aber selbst wenn alles gegen uns sprach – die Entfernung, unsere Lebensumstände – und ich keine Ahnung hatte, wie das mit uns funktionieren sollte, wusste ich, dass ich es versuchen muss. Noch nie hat mir jemand dermaßen viel bedeutet.

Ich kann David nicht verlieren.

Und ich glaube, dass es ihm genauso geht. Ein ganzes Jahr lang haben wir uns bemüht, eine Fernbeziehung aufzubauen. Haben täglich telefoniert oder wenigstens Nachrichten geschrieben, um einander zumindest virtuell nahe zu sein, wenn wir schon physisch getrennt bleiben mussten. Während mein Leben sich in ein einziges Trainingslager verwandelte, fing ich an, dem müden Klang seiner Stimme am Ende eines jeden langen Tages entgegenzufiebern. Seinen spanischen Worten, die er mir wie süße Versprechungen ins Ohr hauchte. Jedes verheißungsvolle princesa ließ mein Herz höherschlagen, während ich gleichzeitig die unterschwellige Angst verspürte, dass es vielleicht nicht reichen würde. Dass er mich doch vergessen könnte oder ihm all das Warten und die Belastungen zu viel werden würden. Dass eine einzige Nacht einfach nicht genug wäre, um unsere noch so frischen Gefühle über den Winter zu bringen.

In meiner Sorge habe ich mich bemüht, ihn trotz der Distanz so gut wie möglich an meinem Leben teilhaben zu lassen, auch wenn das hauptsächlich aus Schwimmen, Essen und Schlafen – in dieser Reihenfolge – bestand. Habe versucht, nicht daran zu denken, von wie vielen hübschen Frauen er in der Zwischenzeit umgeben war, die mit Sicherheit so viel attraktiver und interessanter waren als ich. Sogar Spanisch habe ich für ihn gelernt, um auch das letzte kleine Wort in seinen Nachrichten zu verstehen. Es war ein ständiges Strampeln in einem Meer aus Zweifeln und Ungewissheit, angetrieben von dieser übermenschlichen Sehnsucht nach seiner Nähe und der Erinnerung an sein Versprechen, dass er auf mich warten wird.

Und nun scheint sich meine Hoffnung endlich auszuzahlen. In weniger als drei Stunden werde ich endlich wieder dort sein, wo ich im letzten Jahr mein Herz zurückgelassen habe. Endlich wieder in Spanien.

Endlich wieder bei David.

Mit einem Seufzen drücke ich das Handy an die Brust. Bei der Vorstellung, ihm gleich zum ersten Mal wieder in der analogen Realität gegenüberzustehen, in Fleisch und Blut und ohne einen Bildschirm oder tausende Kilometer zwischen uns, spüre ich ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Ich frage mich, ob es wohl auf Anhieb wieder so sein wird wie im letzten Jahr. Diese unerklärliche Anziehungskraft zwischen uns, die sich jeder Logik widersetzt. Oder ob wir uns durch die Distanz voneinander entfernt haben. Was würde ich dafür geben, diese ständigen Sorgen endlich gegen ein bisschen Gewissheit einzutauschen!

„Dear passengers”, ertönt die Stimme der Pilotin aus den Lautsprechern, die die nahende Landung ankündigt, und ordnungsgemäß schließe ich meinen Gurt, bevor ich meinen Blick zurück auf die trockene grau-braune Landschaft unter uns richte. Wie es aussieht, haben wir das spanische Festland erreicht.

Nach einem kurzen Stop-over in Madrid sitze ich wenig später im Regionalflieger an die Küste. Da ich leider nach wie vor chronisch pleite bin, musste ich meinen Trainer zuerst davon überzeugen, mein gesponsertes Rückflugticket nach Deutschland in mehrere Etappen umzubuchen. Ein bisschen Erholung unter der spanischen Sonne könne mir nach dem letzten Jahr nicht schaden, habe ich behauptet und angesichts meiner Leistungen in den vergangenen Tagen wollte mir niemand den wohlverdienten Urlaub am Mittelmeer streitig machen. Dass ich die Zeit in erster Linie dazu nutzen werde, endlich meinen Freund wiederzusehen, habe ich für mich behalten.

Mit nur wenigen Minuten Verspätung erreichen wir den Flughafen, an dem vor einem Jahr alles begonnen hat, und mit klopfendem Herzen folge ich dem Tross der Urlauber zur Gepäckannahme. Ich weiß noch genau, wie ich damals zum ersten Mal mit meiner völlig zerstrittenen Familie hier in der Halle stand und voller Grauen an die vor uns liegenden Ferien dachte, doch ich schiebe die Erinnerungen beiseite, um stattdessen in dem Gewühl meinen Koffer ausfindig zu machen. Zu meinem Glück ist der große silberne Trolley einer der ersten, die auf das Transportband purzeln, sodass ich mich eilig damit auf die Suche nach einer Toilette begeben kann. Die Schlange vor dem Damenklo erscheint mir wie immer deutlich zu lang, doch bevor ich auf die Idee komme, stattdessen das Männerklo anzusteuern, entdecke ich eine weitere Tür, die zu einem Wickelraum mit barrierefreier Toilette führt.

Noch besser.

Nachdem ich mich kurz vergewissert habe, dass keine Rollstuhl-fahrenden oder Kinderwagen-schiebenden Reisenden, geschweige denn Reporter mit Kameras in der Nähe sind, stoße ich die Tür auf und schlüpfe mit meinem Gepäck hinein. So werde ich mir beim Umziehen nicht mal die langen Gliedmaßen einhauen.

In Windeseile habe ich meinen Koffer auf die Seite gekippt, damit sich beim Öffnen nicht der gesamte Inhalt auf dem Boden verteilt, und ziehe zielstrebig das oberste Kleidungsstück heraus. Das blaue Batikkleid war eine Leihgabe meiner Freundin Charlotte für die Fiesta an unserem letzten gemeinsamen Abend in Spanien. Sie wollte, dass ich David damit unter die Nase reibe, was ihm entgeht, und da ich anschließend keine wirkliche Gelegenheit mehr hatte, es der Französin zurückzugeben, ist es stattdessen in meinen Besitz übergegangen.

Prüfend halte ich das dünne Stückchen Stoff vor meinen Körper. Die changierenden Blautöne harmonieren auf erstaunliche Weise mit dem Türkisblau meiner Augen und katapultieren mich geradewegs zurück in jene Nacht, die meinem Leben eine unerwartete Hundertachtzig-Grad-Wende beschert hat. Bilder von meinen Freunden tauchen vor meinem inneren Auge auf, wie wir zusammen am Strand gefeiert haben. Wie David mich in diesem Kleid gesehen hat und ich ihm meinen Drink ins Gesicht geschüttet habe. Unser Streit. Die darauffolgende Versöhnung.

Unsere einzige gemeinsame Nacht.

Ob er wohl auch daran denken muss, wenn er mich gleich zum ersten Mal so wiedersieht?

Ich spüre ein aufgeregtes Flattern im Magen und versuche, nicht darüber nachzudenken, dass er genauso gut enttäuscht sein könnte, wenn die Realität nicht mit seiner Erinnerung mithält.

Schließlich bin ich immer noch ich.

Die bequemen Joggingklamotten, die ich auf dem Langstreckenflug getragen habe, erscheinen mir mit einem Mal noch unattraktiver als zuvor und eilig schlüpfe ich stattdessen in das viel zu kurze Kleid. Der weiche Stoff fällt fließend über meine schmalen Hüften, wobei er mit viel Fantasie den Ansatz meiner Oberschenkel bedeckt. Das ist der eindeutige Nachteil daran, wenn man mindestens ein bis zwei Köpfe größer ist als seine Freundinnen oder andere Frauen.

Mühsam ziehe ich das geraffte Bündchen über meiner Brust zurecht und schaue in den Spiegel.

Na ja.

Wenn ich ehrlich bin, sehe ich einfach nur ziemlich lächerlich aus. Das Kleid sitzt obenrum sogar noch enger als beim letzten Mal, was angesichts des vielen Trainings definitiv kein Wunder ist, und mein breites Kreuz wirkt auch in Wasserfarben nicht wesentlich attraktiver. Es ist eigentlich ein Witz, dass ich in diesem Hauch von Nichts gleich durch den gesamten Flughafen laufen will. Aber gut, ich habe es nun mal versprochen.

Bevor ich es mir noch mal anders überlegen kann, straffe ich meinen blonden Zopf und stopfe die Joggingklamotten zurück in den halb geöffneten Koffer. Ich will gerade den Reißverschluss zuziehen und ihn zurück auf die Rollen stellen, um aus der Tür nach draußen zu rauschen, als mir einfällt, dass ich mich noch gar nicht bei meiner Schwester gemeldet habe.

Mist.

Mit einem ungeduldigen Seufzen krame ich mein Handy aus der bereits eingepackten Hose und schalte es ein. Eine Kurzmitteilung begrüßt mich in Spanien – ach, sag bloß – und schnell schicke ich Luisa eine Nachricht, dass ich sicher gelandet bin. Obwohl sie ihre Handynutzung seit dem letzten Jahr stark reduziert hat, dauert es kaum drei Sekunden, bis ihre Antwort eintrifft.

Lulu

Super! Dann viel Spaß & viele Grüße :)

Mit einem Lächeln schiebe ich das Gerät zu meinen Kopfhörern in den Rucksack, ehe ich mein Gepäck zusammenraffe und mich endlich auf den Weg aus diesem Flughafen mache.

Die Eingangshalle wird wie im letzten Jahr von unzähligen Menschen belagert, die dem sommerlichen Ruf des Mittelmeers gefolgt sind. Reisende aus aller Welt stehen vor den riesigen Anzeigetafeln, den Kopf in den Nacken gelegt, und studieren Abflugzeiten, während Reiseveranstalter Schilder schwenken, um diejenigen zu empfangen, die gerade gelandet sind. Vor einem Schalter haben sich lange Schlangen gebildet, zwischen denen sich Familien in den Armen liegen, die ihr Wiedersehen feiern, während andere mit feuchtem Blick denen winken, die in diesem Moment hinter den Sicherheitskontrollen verschwinden. Suchend recke ich den Hals, um nach David Ausschau zu halten. Er hatte versprochen, dass er mich hier am Flughafen abholt, damit ich den Weg nach Milagromar nicht allein bestreiten muss, doch in dem Meer aus Gesichtern kann ich seines nirgendwo entdecken.

Ob er sich vielleicht verspätet hat?

Pünktlichkeit liegt den Spaniern ja nicht unbedingt im Blut. Wir hatten doch verabredet, dass er hier drinnen warten wollte und nicht draußen im Schatten, oder? Bin ich vielleicht schon an ihm vorbeigelaufen? Oder kommt er womöglich doch nicht?

Leise Zweifel steigen in mir auf und ich will gerade mein Handy rausholen, um zu überprüfen, ob er mir vielleicht noch mal geschrieben hat, als ich im selben Moment jemanden nach mir rufen höre: „¡Princesa!”

Ruckartig drehe ich den Kopf.

„Princesa, ¡estoy aquí! Hier bin ich!”

Tatsächlich, da ist er!

Angesichts meiner großen blonden Statur hat David mich zuerst entdeckt und winkt mir vom anderen Ende der Halle aufgeregt zu. Augenblicklich breitet sich bei seinem Anblick ein Strahlen auf meinem Gesicht aus und sämtliche Sorgen sind wie weggeblasen. Vergessen ist der Trubel um mich herum, das alberne Kleid, das ich trage, sogar, wo ich gerade herkomme und was das für mich und mein Leben bedeutet. Ohne einen einzigen Gedanken setze ich mich in Bewegung. Schiebe mich, so schnell ich kann, mit dem Koffer zwischen den Menschen hindurch, bis ich die letzten Meter zu ihm beinahe renne.

„David!”

Wir fallen uns so heftig in die Arme, dass er ein paar Schritte rückwärts taumelt. Mein Rucksack fällt zu Boden und aus meiner Kehle entschlüpft ein seltsamer Laut, irgendwo zwischen Freude und Schluchzen, als ich mich zum ersten Mal seit einem Jahr wieder an seinen Körper schmiege. Von seinem unvergesslichen Duft umhüllt werde. Dieser Wärme, die ich so lange nicht mehr gespürt habe. Ich kann es nicht fassen.

Er ist wirklich hier!

Ich spüre sein Herz an meiner Brust schlagen, laut und polternd. Oder ist das meins?

Egal.

Ich drücke ihn noch ein bisschen fester. Am liebsten würde ich ihn nie wieder loslassen.

„Princesa”, flüstert er an meinem Hals und klingt dabei genauso atemlos wie ich.

„Ich bin wieder hier”, wispere ich.

Er nickt überwältigt. „Sí. Endlich! Noch eine Minute länger und ich wäre vermutlich durchgedreht.” Er lacht über seine eigene Emotionalität. „Ich hab dich so sehr vermisst.”

„Und ich dich erst!”

Es ist so schön, mein Gesicht an seinem Hals vergraben zu können. Seinen Puls zu spüren statt dem harten Handydisplay zwischen uns. Seine Umarmung fühlt sich unendlich gut an.

„Das letzte Jahr war die Hölle”, klage ich an seiner Schulter.

„Und wie!”, bestätigt er. „Tan terrible.”

„Nicht auszuhalten.”

„Sí. Aber weißt du was, mi amor?” Er löst sich gerade so weit von mir, dass wir einander in die Augen sehen können. „Jetzt ist es vorbei.”

Ich nicke langsam.

In sanften Bewegungen streicht er über meinen Rücken, zeichnet kleine Kreise auf meine Wirbelsäule, während ich noch immer nicht glauben kann, dass ich ihn gerade wirklich wieder im Arm halte. Dass dieser wundervolle Mann mich genauso sehr vermisst hat, wie ich ihn.

Es ist viel zu schön, um wahr zu sein.

Er lehnt die Stirn gegen meine, ohne unseren Blickkontakt dabei zu unterbrechen. „Dich endlich wiederzusehen”, murmelt er und streicht mit dem Daumen über meine Wange, „war all diese schrecklichen Wochen doch so was von wert.”

Ich genieße das leichte Prickeln auf der Haut, während mein Blick Zentimeter für Zentimeter über sein Gesicht wandert. Er sieht anders aus, wenn er nicht von einer Kamera verzerrt wird.

Besser.

Und irgendwie auch … erwachsener. Wie es scheint, hat er sich extra für unser Wiedersehen rasiert und auch das dunkle Haar wirkt kürzer als beim letzten Mal. Zögernd strecke ich die Hand danach aus, um mit den Fingerspitzen durch die dichten Strähnen zu fahren, die ihm zerzaust in die Stirn fallen. Es ist seltsam, auf einmal berühren zu können, was so lange unerreichbar war.

„Mmh, das hab ich auch vermisst”, schnurrt David, dem es offenbar genauso ergeht.

Stück für Stück lässt er die Hand an meiner Seite hinabgleiten, streicht über den gerafften Stoff, bis er meine Taille erreicht. Die Berührung erzeugt eine leichte Gänsehaut unter meinem dünnen Kleidchen, als er lächelnd meine Hüften umfasst. Das vielsagende Funkeln in seinen Augen bringt mein Herz zum Stolpern.

„Zwei ganze Wochen nur wir beide, princesa”, raunt er an meinem Ohr und ich spüre einen Anflug von Nervosität bei dem Gedanken, dass ich nun zum ersten Mal wirklich mit ihm zusammen sein werde.

Im letzten Sommer hatten wir gerade mal ein paar Stunden, um einander näherzukommen, bevor wir uns für lange Zeit voneinander verabschieden mussten. Diese eine Nacht war nicht mehr als ein Vorgeschmack auf das, was sein könnte. Doch dieses Mal gibt es keine tickende Uhr. Keine Familie oder Freunde, die uns in die Quere kommen können. Und obwohl ich mich einerseits danach gesehnt habe, macht es mir gleichzeitig auch ein wenig Angst. Eine unschuldige Umarmung wie diese ist sicher nicht das Erste, was David bei einer richtigen Beziehung in den Sinn kommt. Vielmehr kann er nun all die Dinge, die er mir am Telefon zugeflüstert hat, tatsächlich tun.

Werde ich seine Erwartungen erfüllen?

Kann ich die Frau sein, die jemand wie er sich an seiner Seite vorstellt?

Die einzige Beziehung, die ich vor ihm geführt habe, war die mit meinem Sport. Was, wenn ich ihn mit meiner Unerfahrenheit enttäusche? Wenn er es bereut, dass er ein ganzes Jahr damit verschwendet hat, auf mich zu warten?

Ich versuche, mir meine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen, als er sanft mein Gesicht mit den Händen umfasst und mit den Daumen über meine Wangen streicht. „Nicht so viel denken, princesa”, murmelt er und haucht einen zärtlichen Kuss auf meine Stirn, um die feinen Linien auf meiner Haut zu glätten.

Die Berührung sendet kleine Stromstöße durch meinen Körper, während er langsam weiter über meine Schläfe wandert, sich seinen Weg hinab zu meinen Lippen bahnt. Als sein Mund schließlich den meinen erreicht, löst sich auch der letzte hartnäckige Gedanke fürs Erste in Luft auf. Der Abstand zwischen uns verschwindet.

Von tausendfünfhundert Kilometern auf null.

Wie ein Blitz schießen die Endorphine durch meinen Körper, lassen mich vergessen, wer ich bin oder wo ich mich befinde. Seine Lippen liegen warm und fest auf meinen. Schmecken vertraut und so wunderbar nach David, dass sich Tränen der Erleichterung hinter meinen Lidern sammeln, weil all das hier real ist.

Überwältigt schnappe ich nach Luft, als er mich noch ein bisschen enger an sich zieht.

Wie habe ich das vermisst!

Mit beiden Händen umklammere ich seine Schultern, lasse mich endgültig in diesen Kuss fallen, den er mit der gleichen Hingabe erwidert. War unsere Berührung zuerst noch zögerlich, beinahe zaghaft, so küsst er mich nun mit einer solchen Leidenschaft, dass mir die Knie weich werden. In meinem Herzen spüre ich dieses Glücksgefühl, das ich im letzten Jahr in seinen Armen entdeckt habe. Alle haben mich für verrückt erklärt, doch in diesem Moment bereue ich nichts.

Endlich bin ich wieder da, wo ich hingehöre!

Viel zu schnell scheint unser Kuss zu enden, in eine weitere Umarmung überzugehen. Davids Lippen streichen zärtlich über meinen Mundwinkel, dann meine Wange. „Wow.” Sein warmer Atem kitzelt auf meiner Haut. „Also, wenn du mich fragst, hat sich das Warten mehr als gelohnt, oder?”

Anstelle einer Antwort schlinge ich lediglich die Arme um seinen Hals, schmiege mich mit geschlossenen Augen an seinen Körper.

Und wie es das hat.

  2  

Eine kleine Ewigkeit vergeht, bis wir uns irgendwann wieder voneinander lösen. Mit einem verlegenen Lächeln senke ich den Blick.

„Es ist so schön, dass du endlich wieder hier bist”, murmelt David und streicht mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus dem Zopf gelöst hat. Seine Berührung erzeugt ein sanftes Kribbeln auf meiner Haut, das mir in Kombination mit seinem beinahe schüchternen Lächeln das Herz aufgehen lässt.

Die anderen Urlauber sind längst aus der Eingangshalle in die spanische Sommersonne verschwunden, doch ich kann mein Glück noch immer nicht richtig fassen. Er hat tatsächlich hier auf mich gewartet. Auf das schwimmverrückte Mädchen aus dem Ruhrgebiet. Es tut so gut, endlich wieder mit ihm vereint zu sein.

„Wollen wir uns langsam auf den Weg machen?”, fragt er und deutet in Richtung der Glastüren.

„Ja, gerne”, nicke ich.

„Gut …” Er reibt sich verlegen den Nacken. „Du, ähm … Ich bin nicht mit dem Roller gekommen, weil ich mir schon dachte, dass du viel Gepäck dabeihaben wirst”, sagt er und lässt den Blick über meinen Rucksack und den großen Rollkoffer schweifen. „Ist es okay für dich, wenn wir stattdessen den Bus nehmen? Oder soll ich ein Auto mieten?”

„Nein, nein!” In Gedanken sehe ich uns bereits in einem billigen Mietwagen schwitzen, wie mein Vater ihn letztes Jahr aufgetrieben hat. „Bus ist völlig in Ordnung”, versichere ich schnell.

„Okay, vale.”

David wirkt erleichtert über meine Anspruchslosigkeit, schließlich weiß ich, dass er ähnlich knapp bei Kasse ist wie ich. „Dann lass uns mal gehen”, meint er und hebt meinen Rucksack vom Boden auf, um ihn mir anzureichen. „Dieses Monster kannst du selbst tragen. Ich übernehme den Koffer.”

Mit einem Lachen schultere ich die schwere Tasche, die ich im normalen Leben als Schwimmrucksack benutze. „Was bist du doch für ein caballero”, kommentiere ich, während wir gemeinsam den Flughafen verlassen.

Vor dem Gebäude empfangen uns die üblichen dreißig Grad im Schatten, die ich mir im kalten deutschen Winter so oft herbeigesehnt habe, und zusammen steuern wir den modernen Busbahnhof an, der ganz in der Nähe des Terminals liegt. Obwohl ich inzwischen einigermaßen passabel Spanisch spreche, bin ich froh, dass David wie selbstverständlich die Organisation der Fahrt übernimmt, und bevor ich überhaupt den richtigen Bus identifiziert habe, hat er bereits den Koffer im Bauch des Fahrzeuges verstaut und mir eines der Tickets überreicht.

„Hier, bitte. Nach dir, mi amor!”

„Oh, vielen Dank!” Mit dem Rucksack schiebe ich mich durch den Mittelgang zu unserer angegebenen Sitzreihe. „Möchtest du ans Fenster?”

„No, no, schon gut.”

Ich lasse mich auf den Fensterplatz sinken.

„Willst du mir jetzt den Rucksack geben?”, bietet David an und deutet auf die gut gefüllte Tasche auf meinem Schoß, während er neben mir ins Polster rutscht.

Ich hebe eine Augenbraue. „Ach, auf einmal ist der Herr stark genug, das Gewicht zu stemmen, oder wie?”, ziehe ich ihn auf.

Er stupst mich in die Seite. „Im Sitzen geht’s.”

Mit einem Lachen schaue ich aus dem Fenster.

„Also, willst du oder willst du nicht?”, hakt er nach.

„Nein, nein, passt schon”, wehre ich dankend ab und balanciere das Gewicht auf meinen Knien. Eigentlich habe ich gar nichts dagegen, dass die Tasche meine nackten Beine bedeckt.

„Na gut. Wenn du meinst … Falls du’s dir anders überlegst, weißt du ja, wo du mich findest”, erinnert er mich und mit einem Lächeln nicke ich.

„Danke.”

Für einen langen Moment sehen wir uns einfach nur in die Augen, bis ich schließlich den Blick senke und zaghaft nach seiner Hand greife. Seine Haut ist ganz warm, als er bereitwillig die Handfläche für mich öffnet, um seine schlanken Finger mit meinen zu verschränken. In meinem Brustkorb macht sich ein wohliges Gefühl breit, das sich wie Wellen in meinem Körper fortsetzt. Es ist nur eine einfache Geste, aber in diesem Moment habe ich endgültig das Gefühl, hierherzugehören.

Zu ihm.

Der Bus hat sich in der Zwischenzeit in Bewegung gesetzt, und während von vorne leise Radiomusik durch den Innenraum schwebt, lasse ich entspannt den Blick aus dem Fenster gleiten.

Obwohl der Fahrer eine etwas andere Route wählt als mein Vater im letzten Jahr, habe ich das Gefühl, vieles wiederzuerkennen. Einfache Gewächshäuser und abgeschottete Fincas ziehen am Rand der Straße an uns vorbei. Stromleitungen, die quer durch die staubige Landschaft gespannt sind, bevor sie irgendwo im Nirgendwo verschwinden. Nur vereinzelt kommen kleine Dörfer in Sicht, die wir innerhalb weniger Minuten passieren.

Meine Aufmerksamkeit wandert zu den kargen Bergen, die sich in allen Richtungen vor dem wolkenlosen Himmel abzeichnen. Sie gehören zu Spanien wie die Hitze und das endlose Meer. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie trostlos mir diese Landschaft vorkam, als ich sie das erste Mal sah, bevor ich sie immer mehr zu lieben lernte. Inzwischen fühlt es sich an, als würde ich nach langer Zeit endlich wieder nach Hause kommen.

Mit einem Lächeln hole ich mein Handy und die Kopfhörer raus, von denen ich David einen der Ohrhörer anbiete. Während Sebastián Yatra und Reik mit Un año die Kraft der Liebe besingen, die auch ein ganzes Jahr ohne Kontakt überstehen kann, lehne ich den Kopf an seine Schulter und genieße die wunderschöne Aussicht.

Es dauert eine knappe Stunde, bis wir die einsamen Landschaften schließlich hinter uns lassen und der Bus die verschiedenen Küstenorte ansteuert. An jedem Halt steigen Touristen ein und aus, während ich versuche, zwischen den Hotels einen ersten Blick aufs Mittelmeer zu erhaschen. Obwohl ich als Schwimmerin täglich von Wasser umgeben bin, ist der Blick aufs Meer für mich immer noch etwas Besonderes.

Leider sind wir beide so sehr mit Gucken beschäftigt – ich nach draußen und David zu mir – dass wir beinahe unsere eigene Haltestelle verpassen. Die anderen Urlauber schlängeln sich bereits durch den Gang, als David plötzlich hochschreckt.

„Hey, Mist, wir müssen hier raus! ¡Ven, rápido!”

Überrumpelt stolpere ich mit meinem Monsterrucksack hinter ihm her auf den Bürgersteig. „Wir sind ja schon da”, stelle ich überflüssigerweise fest, während er im Bauch des Busses nach meinem Koffer fischt.

„Mhmm”, höre ich ihn murmeln.

Doch bevor ich ihm zur Hand gehen kann, hat er das silberne Gepäckstück bereits auf den Gehweg gezogen und lautstark die Klappe hinter uns geschlossen, damit der Bus weiterfahren kann. „Tut mir leid, dass ich nicht besser aufgepasst habe. Bist du bereit?”, fragt er und deutet in Richtung der Promenade.

„Oh, ja, und wie!” Aufgeregt laufe ich voran, um das Meer zehn Sekunden eher zu sehen als er. Ich kann es gar nicht mehr erwarten. So oft hab ich mir bei unseren Telefonaten das Rauschen der Wellen vorgestellt oder auf das Kreischen der Möwen im Hintergrund gelauscht. Doch als sich das endlose Blau nun tatsächlich vor mir ausbreitet, bleibe ich überwältigt stehen.

„Da ist es!” Begeistert lasse ich den Blick über die glitzernden Wellen schweifen, die in einiger Entfernung sanft an den Strand branden. Es ist noch genau wie in meiner Erinnerung.

So schön!

Fasziniert folgen meine Augen dem Flug einer Möwe, die über unseren Köpfen ihre Kreise zieht, bevor sie in Richtung Horizont davonsegelt. „Wahnsinn! Ist das nicht toll?”, strahle ich und drehe mich zu David um, der mit meinem Koffer zu mir aufgeholt hat.

„Ja, zum Hotel geht es dort entlang”, erinnert er mich und deutet mit dem Finger nach links, als wüsste ich das nicht selbst. Dabei erinnere ich mich an jedes noch so kleine Detail dieses Ortes. Die sattgrünen Palmen, die die kilometerlange Promenade säumen, den weißen Sand, die himmelhohen Hoteltürme. Während er den Rollkoffer neben uns über die Steine zieht, wandert mein begeisterter Blick von einem Punkt zum nächsten. Ich kann mich gar nicht sattsehen.

Endlich bin ich wieder hier!

Die warme Nachmittagssonne scheint auf meine vom Freibad gebräunte Haut und verzaubert genieße ich die Aussicht, auch wenn wir dadurch ungefähr zehn Minuten länger für die wenigen hundert Meter brauchen. David, der dieses Paradies jeden Tag vor der Tür hat, scheint sich über meine kindliche Freude sichtlich zu amüsieren.

„So langsam hab ich das Gefühl, dir gefällt’s hier”, kommentiert er, als ich bereits zum x‑ten Mal davon schwärme, wie schön das Wasser glitzert und wie traumhaft blau der Himmel ist.

„Ach, merkt man das?”, erwidere ich unschuldig.

Sein Schmunzeln ist Antwort genug. „Vielleicht ein bisschen.”

Mit einem Augenrollen knuffe ich ihn in die Seite, bevor ich den Blick zurück aufs Meer richte. Wahrscheinlich kommt einem das alles hier längst nicht mehr so zauberhaft vor, wenn man es jeden Tag vor der Nase hat. Dabei könnte ich niemals genug von diesem Anblick bekommen.

Genauso wenig wie von David.

Während ich dem leisen Rascheln der Palmblätter gelauscht habe, ist er stehen geblieben und hat einen Mundwinkel zu einem wunderschönen Lächeln gehoben, das für den Moment die weißen Zähne in seinem sonnengeküssten Gesicht aufblitzen lässt. Hypnotisiert gleitet mein Blick von seinem markanten Kinn über die gerade Nase zu seinen dunklen Augen, in denen sich die Strahlen der Sonne spiegeln. Wie habe ich es vermisst, ihn so ansehen zu können! Ohne Zweifel ist er der schönste Mann, dem ich je begegnet bin, und ich kann gar nicht fassen, dass er sich ausgerechnet für mich entschieden hat.

Der sanfte Druck seiner Hand holt mich zurück in die Realität. „Princesa?”

„Hm?” Verzögert realisiere ich, dass er wohl irgendwas gesagt haben muss.

Ups.

„Ähm, wie bitte?”, frage ich. Offenbar bin ich heute ein kleines bisschen abgelenkt … Kein Wunder, bei all den Eindrücken und Emotionen, die so plötzlich mitsamt meinen Erinnerungen auf mich einstürmen.

Er deutet über seine Schulter auf das weiße Hotel, das hinter ihm in den Himmel aufragt. „Wir sind da.”

„Oh, tatsächlich.” Erfreut gleitet mein Blick an der Fassade des Destino Aguamor empor, in dem ich letztes Jahr mit meiner Familie Urlaub gemacht habe. Die weißen Mauern erheben sich in erster Reihe aus dem Meer der Hoteltürme und erinnern mich daran, welch traumhafte Aussicht man aus den oberen Etagen hatte. Dafür, dass ich ursprünglich gar nicht mit nach Spanien kommen wollte, bin ich mittlerweile verdammt froh, dass ich mich dazu habe erpressen lassen.

Schließlich hat hier alles angefangen.

David, der meinem Blick gefolgt ist, räuspert sich leise. „Hör mal, Isa, du …” Er schaut verlegen auf seine Hände. „Ich weiß, du hast letzten Sommer hier im Hotel übernachtet, aber … also …”

Er schluckt. Die Situation scheint ihm mehr als unangenehm zu sein. „Ich fürchte, dieses Jahr ist erst mal nur das Wohnheim drin, okay? Also, ehm … wenn das für dich in Ordnung ist …”

„Oh”, wiederhole ich und spüre, wie mein Herz augenblicklich schneller schlägt. „Ja, ähm, klar”, versichere ich. Zwar macht mich der Gedanke, ein Zimmer oder sogar ein Bett mit ihm zu teilen, tierisch nervös, doch selbst wenn wir bislang nicht im Detail darüber gesprochen hatten, wo ich in meinem Urlaub unterkomme, war ich unbewusst irgendwie davon ausgegangen, dass es darauf hinauslaufen würde. Nicht mal im Traum könnte ich mir ein Hotelzimmer in diesem Luxusschuppen leisten.

„Wohnheim klingt doch super”, behaupte ich somit und weiche seinem Blick aus. „Hauptsache am Meer”, schiebe bemüht fröhlich hinterher.

David lacht verlegen. „Na gut, dann … perfecto.”

Ich bin mir nicht sicher, ob er mir die Antwort abgekauft hat. Sein lockerer Tonfall täuscht zumindest nicht darüber hinweg, dass er erleichtert ist.

„Es tut mir leid, dass ich dir immer noch nicht mehr bieten kann als das”, entschuldigt er sich, während wir am Pool vorbei über das Gelände gehen. „Du weißt ja, ich arbeite daran.”

„Mhm, schon gut”, versichere ich, während ich unauffällig versuche, meine feuchten Handflächen zu trocknen. Dass ich mir ohnehin nichts aus Luxus mache, scheint er vergessen zu haben.

Mit einem kleinen Lächeln hält David mir die Tür zum Anbau auf. „Nach dir.”

Gemeinsam heben wir den Koffer an, um ihn die Treppe hochzutragen. „Bin ich denn dann eigentlich wieder illegal hier?”, erkundige ich mich, während wir hintereinander die Stufen ins Wohnheim hochsteigen, das über den Hauswirtschaftsräumen liegt.

Im letzten Jahr hatte ich jedes Mal Sorge, dass uns jemand erwischen könnte und David seinen Job verliert, wenn ich mich unerlaubterweise hier aufhalte. Doch in den kommenden zwei Wochen niemandem über den Weg zu laufen, erscheint mir nicht sonderlich realistisch.

„Ach, das ist schon okay”, beruhigt er mich, als wir die Tür zum Flur erreichen, und stellt den Koffer zurück auf seine Rollen. „Schließlich bist du inzwischen keine Touristin mehr, oder?”

„Nein”, bestätige ich amüsiert.

„Siehst du?” Er hält mir schmunzelnd die Glastür auf. „Außerdem”, fügt er hinzu, „habe ich dafür gesorgt, dass Rafa sich die nächsten zwei Wochen woanders einquartiert. Es kann sich also niemand gestört fühlen.”

„Dein Kollege Rafael?”, frage ich, um nicht darüber nachzudenken, dass wir tatsächlich ein Zimmer ganz für uns allein haben werden.

„Sí.”

Ich folge ihm über den dämmrigen Flur, der noch unordentlicher wirkt als im letzten Jahr. Die Anzahl der E‑Scooter scheint sich in der Zwischenzeit mehr als verdoppelt zu haben. „Teilt ihr euch jetzt ein Zimmer?”, übertöne ich meine Nervosität, als wir an den Gemeinschaftsduschen vorbeikommen.

„Genau. Wir haben uns seit dem letzten Sommer wieder angenähert und daraufhin ist er bei mir eingezogen.”

„Oh, wie schön”, murmle ich und frage mich, warum ich davon nichts wusste. Hätte er so was nicht am Telefon erzählen müssen?

Doch da spricht David bereits weiter. „Es ist ganz angenehm, ein Zimmer mit jemandem zu teilen, mit dem man sich gut versteht, weißt du?”, meint er und spielt damit unzweifelhaft auf seinen ehemaligen Zimmernachbarn an, dem wegen regelwidriger Frauengeschichten gekündigt wurde. Im letzten Jahr hatte er den Raum dadurch vorübergehend für sich allein, was uns sehr entgegenkam, doch die Plätze im Wohnheim sind sicher begehrt. Ich kann verstehen, dass er sich gefreut hat, stattdessen mit seinem Freund zusammenzuziehen.

„Rafa ist echt okay”, versichert er mir über die Schulter, während er eine Hand auf die Klinke legt. „Du wirst ihn mögen, wenn du ihn kennenlernst. Aber jetzt …”, er stößt mit einem schiefen Grinsen die Tür auf, „lass uns erst mal ankommen. ¡Bienvenida, princesa!”

„Puh.” Ich trete an ihm vorbei ins Zimmer. „Endlich!” Geschafft streife ich mir die Schuhe von den Füßen, um mich mit ausgestreckten Beinen geradewegs auf sein Bett am linken Ende des Raumes fallen zu lassen.

Man, bin ich fertig!

Der Langstreckenflug steckt mir in den Knochen und ächzend löse ich das Haargummi aus meinem Zopf, das sich unangenehm in meinen Hinterkopf drückt. „Himmel!”, seufze ich und breite die Arme auf dem Kissen aus.

„Oh, sí, Himmel”, wiederholt David mit rauer Stimme.

Verwundert drehe ich den Kopf in seine Richtung, wo er noch immer unverändert neben der Tür steht, den Griff meines Koffers in der Hand, als wäre er zur Salzsäule erstarrt.

„Madre mía, debe ser un sueño …”, murmelt er, ohne den Blick von mir zu lösen. „¡Mejor que un sueño!”

Ähm …

Zögernd schaue ich an mir hinab, um herauszufinden, was genau er da in seinen Träumen sieht, als es mir auf einmal wieder einfällt.

Ach, verdammt.

Schlagartig werde ich rot und versuche das kurze Kleid zurechtzuziehen, das ein Stück weit nach oben gerutscht ist, sodass aktuell deutlich mehr nackte Haut zu sehen ist, als seiner Fantasie gutzutun scheint.

„Ich fürchte, ich kann dich nie wieder gehen lassen”, stellt David heiser fest und löst sich von der Tür, um zielstrebig zu mir herüberzukommen. Mein Herz schlägt Purzelbäume, als er sich links und rechts von mir auf die Matratze stützt und langsam den Oberkörper zu mir hinabbeugt.

„Princesa”, haucht er ehrfürchtig.

Sein warmer Atem trifft auf meine Haut, als er sanft die Stirn auf meine senkt. „Du glaubst gar nicht, wie oft ich mir das hier schon vorgestellt habe”, murmelt er und sieht mir in die Augen. „Hab ich dir schon mal gesagt, wie sehr ich dich vermisst habe?”

Ich nicke schwach.

Ich glaube, das hatte er schon das ein oder andere Mal erwähnt …

Mit dem linken Unterarm stützt er sich neben meinen Kopf, während er die andere Hand von der Matratze löst, um damit die Konturen meiner Wange nachzuzeichnen. Seine Berührung löst ein aufgeregtes Kribbeln in mir aus, das sich zu einem Brennen steigert, als er der Spur seiner Finger mit den Lippen folgt. Hauchzart küsst er sich über meinen Kiefer und weiter hinab zu meinem Hals.

Ich bin unfähig zu reagieren, aber – oh man, das fühlt sich gut an!

Wie ferngesteuert lege ich den Kopf in den Nacken, um ihm mehr Platz zu geben. Als seine Lippen mein nacktes Schlüsselbein erreichen, bekomme ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Das geht auf einmal alles so schnell. Mein Verstand ist völlig überfordert.

Ja? Nein?

Ich habe keine Ahnung. Ich spüre nur, wie Davids Blicke weiter über mein Dekolleté nach unten wandern. Doch anstatt den Weg mit seinen Händen fortzusetzen, wie ich es von ihm erwartet hätte, kehrt er langsam zu meinem Gesicht zurück. Verteilt kleine Küsse auf meiner Haut, bis sein Mund schließlich den meinen findet. Intensiv streichen seine Lippen über meine, laden die Luft zwischen uns mit einem elektrischen Knistern auf. Die Spannung ist kaum zu ertragen, als auch mein eigener Körper sich endlich aus seiner vorübergehenden Starre löst und ihm entgegenkommt. Unter meinen Fingern fühle ich den weichen Stoff seines T‑Shirts. Seine athletische Statur. Diesen Mann, den ich so sehr vermisst habe.

Ohne dass ich es bemerkt habe, hat David sein Gewicht auf die Matratze abgesenkt und stößt neckend mit der Zunge gegen meine Lippen. Ich gewähre ihm bereitwillig Einlass. Feucht und warm spielt er mit mir, entzündet ein ganzes Feuerwerk an Empfindungen, während ich langsam unter ihm dahinschmelze. Jegliche Gedanken oder Zweifel haben sich vorübergehend verabschiedet. In diesem Moment gibt es nur noch ihn und mich – zwei verbundene Seelen, wiedervereint in einem Meer aus Emotionen.

Als David sich irgendwann wieder von mir löst, habe ich das Gefühl, in eine andere Welt zurückzukehren. „Madre mía.” Sein Atem geht unregelmäßig, während er mit einem glückseligen Lächeln neben mir auf die Matratze sinkt. „Du weißt gar nicht, was du mit mir anstellst”, murmelt er und schlingt einen Arm um meinen Bauch, während er das Gesicht an meine Seite schmiegt.

Mit geschlossenen Augen spüre ich dem Echo seiner Berührung nach. Die Frage ist eher, was er mit mir anstellt. Noch immer klopft mein Herz viel zu schnell.

„Erzähl mir was”, bittet er in die Stille und streicht mit der Nasenspitze über meine Schulter. „Sonst höre ich heute überhaupt nicht mehr auf, dich anzubeten.”

Ich drehe den Kopf auf dem Kissen in seine Richtung. „Worüber willst du denn reden?”

„Na, über Olympia natürlich. Oder hast du in den letzten Tagen etwa noch irgendwas anderes Aufregendes gemacht, von dem ich nichts weiß?”

Ich schüttle mit einem leisen Lachen den Kopf. Eigentlich habe ich ihm am Telefon längst alles erzählt, was es über diese Zeit zu wissen gibt, doch David lässt nicht locker. „Komm schon, ich will alles wissen”, insistiert er und zeichnet mit dem Daumen kleine Kreise auf meine Seite.

Fünf Ringe.

„Wie hat es sich angefühlt? Was hast du erlebt? Vor welchen attraktiven Schwimmern muss ich mich in Zukunft in Acht nehmen?”

Ich richte mit einem Augenrollen den Blick an die Decke. „Es war einmalig”, beantworte ich seine erste Frage. „Diese Stimmung und der olympische Geist unter den Sportlern.”

Mit lebhaften Bildern erzähle ich ihm vom olympischen Dorf, in dem ich in den letzten Wochen mit dem deutschen Team gelebt habe, dem ausgefallenen Essen und unserem Training zur Akklimatisierung für den großen Wettkampf. Bei jedem Wort hängt David an meinen Lippen, als würde er all das hier zum ersten Mal hören. Wie gebannt lauscht er meinen Erzählungen und lacht über die Anekdoten, die ich in meinen Bericht einstreue.

„Es war die aufregendste Zeit meines Lebens”, fasse ich zusammen.

„Eso seguro. Das glaube ich dir sofort”, nickt er.

---ENDE DER LESEPROBE---