Jimmy und Sandy - Friederike von Buchner - E-Book

Jimmy und Sandy E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Die Sonne stand schon tief über Waldkogel. Doktor Martin Engler war mit seinen Hausbesuchen fertig. Er fuhr langsam die Dorfstraße entlang und bog auf den alten Schwanninger Hof ein, den er gegen ein lebenslanges Wohnrecht und eine kleine Leibrente von der Schwanninger-Bäuerin übernommen hatte. Jetzt lebte und arbeitete er dort. Er parkte im Carport. Aus den Fenstern des Altenteils, in dem Waltraud Schwanniger wohnte, drang leise Radiomusik auf den Hof. Martin ging zuerst in die Praxis. Er packte die Karteikarten der Patienten aus und legte sie auf den Schreibtisch. Er würde sie am anderen Tag einsortieren. Dann ergänzte er die verbrauchten Medikamente in seiner Arzttasche, die immer gut bestückt sein musste, falls er zu einem Notfall gerufen würde. Martin ging danach in die obere Etage und nahm eine Dusche. Er zog eine bequeme Cordhose an und einen Pullover. »Ich habe dich kommen gehört, Martin«, sagte Karla Engler, als er die große Wohnküche betrat. Martins Frau stand an der Anrichte und machte das Abendessen. Martin ging zu ihr und gab ihr einen Kuss. »Du bist spät«, bemerkte Karla. »Ja, ich habe zu lange mit den Patienten geplaudert. Heute habe ich die Älteren besucht, die nicht mehr in die Praxis kommen. Viele sind ein bisserl einsam. Aber dagegen gibt es keine Medizin aus der Apotheke.« »Ich weiß, Martin. Bist du so nett und bringst das Geschirr, die Gläser und das Bier in die Gartenlaube? Stell alles auf den Tisch!« »Besteck, Teller und Gläser für drei Leute? Die Walli ist drüben. Soll ich sie rufen?« Karla lachte. »Walli hat schon gegessen. Ich soll dich schön grüßen. Sie

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Toni der Hüttenwirt – 169–

Jimmy und Sandy

… lüften ihr Geheimnis

Friederike von Buchner

Die Sonne stand schon tief über Waldkogel.

Doktor Martin Engler war mit seinen Hausbesuchen fertig. Er fuhr langsam die Dorfstraße entlang und bog auf den alten Schwanninger Hof ein, den er gegen ein lebenslanges Wohnrecht und eine kleine Leibrente von der Schwanninger-Bäuerin übernommen hatte. Jetzt lebte und arbeitete er dort.

Er parkte im Carport. Aus den Fenstern des Altenteils, in dem Waltraud Schwanniger wohnte, drang leise Radiomusik auf den Hof.

Martin ging zuerst in die Praxis. Er packte die Karteikarten der Patienten aus und legte sie auf den Schreibtisch.

Er würde sie am anderen Tag einsortieren.

Dann ergänzte er die verbrauchten Medikamente in seiner Arzttasche, die immer gut bestückt sein musste, falls er zu einem Notfall gerufen würde.

Martin ging danach in die obere Etage und nahm eine Dusche. Er zog eine bequeme Cordhose an und einen Pullover.

»Ich habe dich kommen gehört, Martin«, sagte Karla Engler, als er die große Wohnküche betrat.

Martins Frau stand an der Anrichte und machte das Abendessen. Martin ging zu ihr und gab ihr einen Kuss.

»Du bist spät«, bemerkte Karla.

»Ja, ich habe zu lange mit den Patienten geplaudert. Heute habe ich die Älteren besucht, die nicht mehr in die Praxis kommen. Viele sind ein bisserl einsam. Aber dagegen gibt es keine Medizin aus der Apotheke.«

»Ich weiß, Martin. Bist du so nett und bringst das Geschirr, die Gläser und das Bier in die Gartenlaube? Stell alles auf den Tisch!«

»Besteck, Teller und Gläser für drei Leute? Die Walli ist drüben. Soll ich sie rufen?«

Karla lachte.

»Walli hat schon gegessen. Ich soll dich schön grüßen. Sie ist heute früher in ihre Wohnung gegangen. Du kennst sie. Sie ist sehr rücksichtsvoll und wollte nicht stören. Martin, wir haben Besuch.«

»Wen?«

»Das errätst du nie!«

»Karla, es war ein anstrengender Tag. Wer kommt zu Besuch?«

»Jörg ist hier, Doktor Jörg Zimmermann.«

»Mei, das ist wirklich eine Überraschung. Wie oft haben wir ihn schon eingeladen, aber nie hat er Zeit gefunden. Wir haben ihn seit unserer Hochzeit nicht mehr gesehen. Dabei arbeitet er in München. Das ist, von hier aus gesehen, nicht am Ende der Welt.«

Karla schmunzelte.

»Der gute Jörg hat auch ein ganz schlechtes Gewissen.«

»So?«, staunte Martin. »Das passt gar net zu ihm.«

»Er braucht wohl Hilfe in einer Angelegenheit, Martin.«

»Um was geht es?«

»Das soll er dir selbst sagen.«

Martin nahm das Tablett und ging in den Garten.

Jörg saß in der Gartenlaube. Er stand auf, als er Martin sah. Dieser stellte das Tablett ab.

»Des ist ja eine Überraschung, Jörg. Sei willkommen! Mei, freu ich mich, dich zu sehen.«

»Grüß Gott, Martin! Ich freue mich auch. Übrigens, vielen Dank für deine Geduld. Wie oft hast du mich schon eingeladen, aber immer war etwas dazwischengekommen.«

»Setz dich! Jetzt stoßen wir erst mal an.«

Martin öffnete die beiden Bierflaschen und schenkte ein.

»Zum Wohl, Jörg! Auf unsere Freundschaft!«

»Die trotz des seltenen Kontakts immer noch hält«, lachte Jörg.

»Des stimmt net, Jörg. Wir sehen uns zwar net so oft, aber wir telefonieren regelmäßig.«

Sie tranken.

Martin deckte den Tisch. Karla kam und brachte die Platten mit Wurst, Schinken, Käse und Brot. Dazu gab es einen grünen Salat.

»Wohl bekomm’s!«, sagte Martin.

Sie fingen an zu essen.

»Karla hatte mich gewarnt, dass du heute länger unterwegs sein würdest.«

»Das stimmt, Jörg. Einmal in der Woche mache ich am späten Nachmittag Hausbesuche bei meinen ganz alten Patienten. Für sie wäre es zu mühsam in die Praxis zu kommen. Ernsthaft krank ist keiner von ihnen, es ist das Alter mit seinen Zipperlein. Am besten hilft Verständnis und wenn ich zuhöre und ein bisserl plaudere. Das ist Seelenmedizin, die es nicht als Tabletten oder Tropfen gibt.«

»Das stimmt, gegenüber früher, als noch alle in einer Großfamilie zusammenlebten und arbeiteten, ist es für die alten Leute einsam geworden. Doch die Landwirtschaft hat sich geändert. Kinder und Enkel gehen heute anderen Berufen nach. Dagegen ist nichts zu sagen. Aber es bringt eben zwangsläufig mit sich, dass alle etwas anderes machen und auch oft woanders leben.«

Jörg nickte.

»So ist es eben, leider, sagt man auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist es auch gut. Fortschritt und Wandel kann ohnehin niemand aufhalten.«

»Du sagst es«, stimmte Martin Jörg zu.

Karla forderte Jörg auf, sich noch einmal Salat zu nehmen.

»Danke, Karla, ich werde mich richtig sattessen. Als Junggeselle bekommt man so etwas nicht jeden Tag.«

Sie lachten.

»Hast du noch niemanden für dein Herz und deinen Magen gefunden, Jörg?«, fragte Martin.

»Da gibt es seit einigen Wochen jemanden, eine Kollegin. Es entwickelt sich ganz gut.«

»Dann wüsche ich dir von Herzen, dass du das findest, wonach dein Herz sich sehnt.«

»Danke! Du hast deine Karla und bist zu beneiden.«

»Geduld, Jörg, Geduld!«

»Das sagt sich leicht. Ich bin eben mit meinen Beruf verheiratet, Martin. Und ich will auch gleich zum Thema kommen. Wobei ich mich ein bisserl schäme, dass ich euch nicht einmal nur so besucht habe.«

Martin schaute Jörg neugierig an.

»Nun sag schon. Wolltest dich mit mir über einen schwierigen Fall bereden, wie wir es oft am Telefon machen? Ist er so gravierend, dass du persönlich vorbeigekommen bist?«

»Ja, das kann man so sagen. Also, ich habe da eine Patientin, sie ist noch keine dreißig. Sie wurde letzte Woche eingeliefert, weil sie Erschöpfungszustände hatte. Das ist auch kein Wunder. Sie wurde vor zwei Jahren Witwe. Ihr Mann arbeitete beim Bau. Er fiel vom Gerüst, weil ein Lastwagen ins Baugerüst gerast ist, trotz der Absperrung. Er lag mehrere Wochen im Koma, dann starb er. Das junge Paar hat einen Buben, er ist jetzt vier Jahre alt. Außerdem hatten sie gebaut. Der Mann machte wohl mit seinen Kumpels viel selbst. Diese stellten dann auch den Rohbau fertig, damit die junge Witwe und der Bub einziehen konnten. Sie geht arbeiten, der Bub ist im Kinderhort. Auch wenn er sich bewusst nicht mehr an seinen Vater erinnern kann, vermisst er ihn wohl. Der Junge spricht wenig und ist sehr unruhig.«

»Auch wenn er nicht dabei war, muss das Geschehen auch bei ihm ein Trauma ausgelöst haben. Außerdem denke ich, dass der kleine Bursche die Trauer seiner Mutter mitempfindet.«

»Das denke ich auch, Martin. Jedenfalls liegt jetzt die Mutter bei mir auf der Station. Zum Glück fehlt ihr außer Erschöpfung und Untergewicht nichts. Wir werden sie noch drei bis vier Wochen lang ein bisserl aufpäppeln, dann muss sie in Kur.« Jörg seufzte. »Sie will aber nicht! Sie will weder im Krankenhaus bleiben, noch in Kur gehen.«

»Wegen des Buben«, sagte Karla. »Gibt es keine Kur für sie und den Buben?«

»Sicher gibt es Mutter- und Kindkuren, aber die junge Frau braucht besondere psychische Behandlung. Der Kummer und das ganze Leid haben sich in ihr angestaut. Diese Einrichtungen nehmen keine Kinder auf.«

Jörg nahm einen Schluck Bier.

»Ich dachte mir, es gibt vielleicht eine Familie mit Kindern, die bereit ist, den kleinen stillen Burschen für einige Wochen aufzunehmen. Ich denke, dass frische Luft ihm guttun würde. Außerdem ist doch bekannt, dass Kinder Tiere lieben. Deshalb bin ich hergekommen. Martin, Karla, könnt ihr euch mal umhören? Bitte! Die Gastfamilie muss es auch nicht umsonst machen. Die Unkosten werden übernommen.«

»Um die Kosten geht es nicht. Es muss eine geeignete Familie gefunden werden. Ich werde mich umhören.«

»Danke, Martin.«

Jörg sah Martin und Karla an.

»Ihr wisst, dass man in unserem Beruf immer Abstand bewahren soll, damit man helfen kann. Doch es gibt Schicksale, die gehen einem unter die Haut. Da kann man keine Distanz wahren oder nur sehr schwer. Die Sozialarbeiterin im Klinikum in München bearbeitet den Fall. Sie hat auch schon ein Kinderheim ausfindig gemacht, das den Buben nehmen würde. Aber ich denke, bei einer Familie, hier in den Bergen, wäre er viel besser aufgehoben.«

»Ganz bestimmt, Jörg. Darüber müssen wir uns nicht unterhalten. Ich werde morgen in aller Ruhe meine Patientendatei durchgehen und mir überlegen, wer in Frage kommt. Wir werden schon jemanden finden. Und wenn wir niemanden finden, dann nehmen Karla und ich den Kleinen. Bist du einverstanden, Karla?«

»Sicher, das wollte ich auch vorschlagen, Martin. Walli wird sich ganz sicher um den Buben kümmern und ihn bemuttern. So, wie ich Walli kenne, wird er die meiste Zeit drüben bei ihr sein.«

Sie waren sich einig, dass die Aufnahme des kleinen Buben erst mal eine Zwischenlösung war. Denn es wäre besser, wenn er in einer Familie mit Kindern sein könnte. Aber wenn gar keine Familie aufzutreiben wäre, dann wäre der Bub bei ihnen gut aufgehoben. Er würde im Kindergarten in Waldkogel angemeldet werden und hätte dann auch Kontakt zu anderen Kindern.

»Du kannst der Mutter sagen, sie soll sich keine Sorgen machen, Jörg. Wir kümmern uns. Karla kann sie in München besuchen, damit sie weiß, wohin der Bub kommt.«

»Das ist eine gute Idee«, stimmte Karla zu.

Sie bat Jörg, sie sofort anzurufen, wenn er mit der Mutter gesprochen hatte und sie sich soweit erholt hatte, dass Karla sie besuchen konnte.

Jörg freute sich.

»Solch eine Lösung habe ich mir erhofft«, sagte er.

Sie aßen zu Ende. Dann plauderten sie noch eine Weile. Es war schon fast Mitternacht, als Jörg zurück nach München fuhr. Leider konnte er nicht bleiben, da er am nächsten Morgen den Wochenenddienst übernehmen musste.

Er versprach, bald wiederzukommen, besonders, wenn der Bub bei ihnen war.

Martin und Karla brachten Jörg zum Auto und sahen ihm nach, wie er davonfuhr. Dann gingen sie Arm in Arm ins Haus. Karla lehnte den Kopf an Martin. Sie seufzte.

»Ach, Martin, wie gut es uns geht, wenn man bedenkt, welche Schicksale es gibt.«

»Das stimmt, Karla. Es ist erschütternd. Aber wir können helfen und wir werden helfen.«

Sie räumten noch zusammen auf, dann gingen sie schlafen.

*

Tom Springwater saß hinter seinem Schreibtisch und studierte Akten. Der große Raum war im Stil der Gründerjahre eingerichtet. Toms Urgroßvater Adam hatte das stattliche Haus erbaut, seither war es in Familienbesitz. Die Springwaters gehörten zu den ältesten Familien in Helena. Sie waren ebenso eine der angesehensten Familien in ganz Montana. Als Rechtsanwälte hatte sie den besten Ruf.

Es klopfte.

Mary, die Sekretärin, trat leise ein und schloss die Tür.

»Mister Springwater, Mister Farmer ist da.«

Toms Gesicht erhellte sich. Er klappte die Akte zu und stand auf. Mary hielt ihrem Chef die Tür auf.

»Hallo, du altes Haus!«, rief Tom begeistert aus. »Ich habe nicht gedacht, dass du aus deinen Bergen herunterkommst. Schön, dich zu sehen! Du schaust gut aus, jung und frisch.«

»Du alter Schmeichler«, lachte Jack Farmer. »Das sagst du nur, um von unserem Alter abzulenken.«

Die beiden alten Männer, die beide demnächst ihren achtzigsten Geburtstag feierten, fielen sich in die Arme.

»Komm, wir gehen rauf in die Wohnung! So einen guten Freund, den empfange ich nicht im Büro.«

»Dann wolltest du mich nur sehen? Es gibt nichts zu regeln?«

»So ist es nicht ganz, Jack. Aber zuerst kommt die Pflege unserer Freundschaft und dann das andere.«

Sie gingen die große Innentreppe des Bürgerhauses hinauf. Der dicke rote Läufer schluckte das Geräusch ihrer Schritte.

Bald saßen sie im Wohnzimmer und tranken Whisky. Sie sprachen über alte Zeiten und die Geschäfte.

»Alles läuft gut, Tom. Die Minen in den Rocky Mountains werfen immer noch Edelmetalle aus. Die Farm im Tal läuft gut, die Viehpreise sind stabil, die Rinder gesund. Ich habe prächtige junge Leute, die sich um alles kümmern. Trotzdem schaue ich jeden Tag nach dem Rechten.«

»Das ist schön, so soll es sein, Jack.«

Tom trank einen Schluck Whisky. Er betrachtete den Rest im Glas und ließ die Eiswürfel kreisen. Er räusperte sich.

»Schaust aus, als brenne dir etwas auf der Seele, Tom? Spuck es aus! Und sei es noch so unangenehm, ich werde es schon verkraften«, sagte Jack.

»Dass du aus bestem Holz geschnitzt bist, Jack, das hast du schon oft bewiesen. Aber ich bin in Sorge.«

Tom atmete tief ein.

»Jack, hast du kein Testament gemacht oder bist du noch bei einem anderen Anwalt?«

»Tom, du kennst mich so gut, du müsstest wissen, dass ich mir niemals einen anderen Anwalt nehmen würde. Wie kannst du nur so etwas überhaupt denken? Du weißt, dass du der einzige Mensch bist, zu dem ich Vertrauen habe. Waren wir uns nicht immer sehr nahe? Willst du mich ärgern?«

»Nein, ich will dich nicht ärgern. Also ist ›Nein‹ deine Antwort, richtig?«

»Ich habe dir doch gesagt, ich habe keinen anderen Anwalt«, brauste Jack auf.

»Ruhig, ruhig! Das meine ich nicht, Jack. Ich bezog die Verneinung auf meine Frage, ob du ein Testament gemacht hast.«

»Ah so! Nein, ich habe kein Testament gemacht, das weiß du doch.«

»Hast du auch kein handschriftliches Testament gemacht? Wenn es so ist, dann solltest du es hier bei mir deponieren.«

»Tom, das habe ich auch nicht.«

»Du bist leichtsinnig. Du bist ein reicher Mann. Du besitzt mehrere Edelmetallminen, es wurde Öl auf deinem Land gefunden. Du bist ein erfolgreicher Farmer und Viehzüchter.«

»Das hat sich alles eben irgendwie ergeben, Tom. Hier ist mir alles gelungen, was die Bankkonten füllt. Aber du kennst mich. Ich habe immer gearbeitet.«

Jack trank einen Schluck Whisky. Er schaute Tom nicht an. »Tom, oft denke ich, dass mein ganzer Reichtum eine Entschädigung des Schicksals ist.«

»Wenn du es so siehst, dann betrügst du dich selbst, Jack. Verstehe mich richtig. Geld ist gut. Es ist noch besser, viel Geld zu haben. Aber das Herz kann es nicht füllen.«

»Das stimmt, Tom. Aber Geld kann auch einem einsamen Herzen etwas Ruhe und Stabilität geben.«

»OK. Aber was soll damit geschehen, wenn du eines Tages nicht mehr bist? Wir beide sind in einem Alter, da ist es normal, wenn man sein Testament macht.«

Jack sah Tom ernst an.

»Normal, wenn man Familie hat wie du, Tom. Du hast einen Sohn und einen reizenden Enkel. Dein Enkel Jimmy ist ein Goldstück. Du kannst stolz auf ihn sein.«

»Das bin ich, Jack. Doch lenke jetzt bitte nicht vom Thema ab. Ich werde mich mit deinem Nachlass herumschlagen müssen oder, falls du mich überlebst, mein Sohn oder mein Enkel. Das möchte ich verhindern. Das würde nur unnötig viel Zeit, Kraft und Geld kosten. Und das nur, weil du zu feige warst.«

»Nenne es, wie du willst, Tom, nenne es meinetwegen auch Feigheit. Ich habe mit meinem damaligen Leben abgeschlossen. Es war ein schlimmer Schmerz. Du hast es damals miterlebt. Du warst der Erste, dem ich hier in den Vereinigen Staaten meine Geschichte erzählte.«

»Ich erinnere mich an jedes Wort. Ich sehe dich noch vor mir, wie du auf dem Stuhl vor meinem Schreibtisch saßest, schmal und übermüdet.«

»Ja, und hungrig dazu. Es war ein weiter Weg, von der Ostküste bis nach Montana. Du weißt, ich war zwei Wochen unterwegs – nur per Anhalter. Wenn mich niemand mitnahm, bin ich stundenlang die Straße entlanggewandert.«

»Du hattest damals ein Ziel. Das hast du stur verfolgt.«

»Ja, das hatte ich.«

»Wäre es nicht gut, endlich Frieden zu machen mit deiner Vergangenheit, Jack?«

»Tom, dränge mich nicht! Ich habe auf meine Weise Frieden gemacht. Außerdem gibt es vieles, worüber ich sogar mit dir nicht gesprochen habe. Ich hatte es damals verdrängt, einfach ausgeblendet, weil ich mich nicht erinnern wollte. Das gilt auch für jetzt und heute. Für mich ist alles von damals erledigt. Mein Leben begann erst hier in Montana als Jack Farmer.«

»So ganz nehme ich dir das nicht ab, Jack. Ich kann dich nicht zwingen, ein Testament zu machen. Aber ich bitte dich dringend, es zu tun. Wer soll erben, wenn du in die ewigen Jagdgründe eingehst?«

Jack Farmer dachte nach. Dann zuckte er mit den Schultern.