Jobst von Wüstenteich - Joachim R. Steudel - E-Book

Jobst von Wüstenteich E-Book

Joachim R. Steudel

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Beschreibung

Im Jahr 1333 war die Annektierung Thüringens und Sachsens durch fränkischen Adel und Ministerialen des Kaisers Geschichte. Bedeutende Geschlechter bemühten sich, ihren Einflussbereich zu erweitern. Die Wettiner waren, nach anfänglichen internen Machtkämpfen, besonders erfolgreich und besaßen mittlerweile die Markgrafschaft Meißen und Landgrafschaft Thüringen. Die Grafen Schwarzburg, Weimar-Orlamünde, Lobdeburg und die Vögte von Gera / Greiz / Plauen stellten jedoch ernstzunehmende Konkurrenten dar. Bündnisse wurden geschlossen und gebrochen. Territoriale Machtkämpfe offen und verdeckt ausgefochten. Der Deutschritterorden erhielt in diesem Gebiet Schenkungen und die bedeutendste Kommende befand sich in Plauen. Diese Konstellation bildet den Hintergrund zur fiktiven Geschichte um Jobst von Wüstenteich. Jobst ist ein Bastard, der über seine Abstammung erst im Laufe der Handlung mehr erfährt. Er wächst in einem der wenigen noch rein slawischen Dörfer und einem Vorwerk des Deutschritterordens auf. Sein Vater ist ein ehemaliger Deutschritter, der die Ordensregeln gebrochen hat und deshalb zum Halbkreuzler wurde. Diese sehr milde Bestrafung seiner Vergehen begründet sich in seiner Herkunft, über die nur wenige Näheres wissen. Als bekannt wird, wer sein Vater ist, kommt es zu Konflikten, bei denen sein Halbbruder umkommt. Jobst, dem eine Teilschuld zugewiesen wird, unternimmt stellvertretend für seinen mittlerweile alten Vater eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Nach seiner Rückkehr findet er nur Schutt und Asche vor. Diese Geschichte ist als fiktives intrigantes Vorspiel zum Thüringer Grafenkrieg (1342-1346) gedacht. Beteiligt daran waren die Grafen von Schwarzburg, Weimar-Orlamünde und Hohnstein, sowie die Vögte von Gera und Plauen gegen Friedrich den Ersthaften (Thüringer Landgraf und Markgraf von Meißen). Die Grafen Lobdeburg waren verwandtschaftlich mit einigen dieser Linien verbunden und immer wieder in territoriale Streitigkeiten verwickelt, durch die ihr Einfluss zunehmend schwand. Im damals umstrittenen Grenzgebiet der Herren Lobdeburg zu Elsterberg und Heinrich dem Reußen zu Greiz liegt die Flur Wüstenteich an einer alten Handelsverbindung, die von der Talquerung bei Elsterberg nach Weida / Gera führte.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Joa­chim R. Steu­del

 

 

Jobst von Wüstenteich

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinweise zur Navigation

 

 

Um das Glossar in der E-Book-Version besser erreichbar zu machen, habe ich Links zur Begriffserklärung und zurück eingefügt. Das ist aber aus technischen Gründen nur bedingt möglich.

Deshalb hier die Beschreibung:

Immer wenn ein Name oder Begriff zum ersten Mal im Text auftaucht, ist er mit einem „*“ versehen und zum Glossar verlinkt. Mit dem Anklicken/Antippen springt man zur entsprechenden Stelle im Glossar.

Am Ende der Erklärung ist wieder ein Link „zurück um Text“, mit dem der Leser zur entsprechenden Textstelle zurückspringen kann.

Taucht der Name oder Begriff erneut auf, gibt es diesen Link nicht mehr, weil es technisch kaum lösbar ist (nach meinem Kenntnisstand), an weitere Textstellen zurückzuspringen.

 

Getestet habe ich diese Verlinkung nur im Amazon-Fire-Tablet und in verschiedenen Browser/Apps, auf dem PC/Notebook. Nicht immer hat es fehlerfrei funktioniert. In einigen Browserversionen landete ich beim Zurückspringen auch auf der Buchseite vor der Textstelle. Warum das so ist, konnte ich leider nicht herausfinden.

 

Karte der Herrschaftsgebiete

 

 

 

In­halts­ver­zeich­nis

Co­ver

Titel

Hinweise zur Navigation

Karte der Herrschaftsgebiete

Inhaltsverzeichnis

Ka­pi­tel 1

Die Wüs­tung am Teich

Ka­pi­tel 2

In der Kom­men­de zu Plau­en

Ka­pi­tel 3

Be­ginn der Wall­fahrt

Ka­pi­tel 4

Ers­te Ge­sprä­che

Ka­pi­tel 5

Rät­sel­haf­te Ver­gan­gen­heit

Ka­pi­tel 6

Heu­ern­te mit Fol­gen

Ka­pi­tel 7

Furcht vor Un­be­kann­tem

Ka­pi­tel 8

Ers­te An­halts­punk­te

Ka­pi­tel 9

Am Ziel und zu­rück

Ka­pi­tel 10

Vä­ter und Söh­ne

Ka­pi­tel 11

Auf be­kann­ten We­gen

Ka­pi­tel 12

Nichts bleibt wie es war

Ka­pi­tel 13

Vom Re­gen in die Trau­fe, oder?

Glossar und Nachwort

Pilgerweg von Jobst

Impressum

Buchliste

Ka­pi­tel 1

Die Wüstung am Teich

 

 

Im Jah­re des Herrn 1333 ver­folg­te ein klei­ner Trupp Rei­ter im um­strit­te­nen Grenz­ge­biet des Vog­tes zu Greiz und der Herr­schaft Lob­de­burg* zu Els­ter­berg, wie ein jun­ger Mann vol­ler Wut mit ver­kohl­ten Pa­li­sa­den­über­res­ten um sich warf. Mit un­gläu­bi­gem Stau­nen brach­ten sie ihre Pfer­de zum Ste­hen und be­ob­ach­te­ten das Trei­ben. Sie wa­ren auf dem Weg nach Plau­en und woll­ten sich ein Bild von der Wüs­tung* am Tei­che ma­chen. Der An­füh­rer, Lu­tol­dus von Metsch*, hat­te auf Bit­ten Vogt Hein­rich II* von Plau­en zu Greiz, ge­nannt der Reu­ße, die­sen Auf­trag über­nom­men, um als un­ab­hän­gi­ger Ver­mitt­ler die Um­stän­de mit auf­zu­klä­ren. Da die­se An­ge­le­gen­heit drei Par­tei­en be­traf, die in der Lan­des­ent­wick­lung eine er­heb­li­che Rol­le spiel­ten, wa­ren auch über­ge­ord­ne­te kai­ser­li­che so­wie kirch­li­che In­ter­es­sen be­trof­fen. Der Plaue­ner Kom­tur des Deut­schrit­ter-Or­dens*, dem die­se Wüs­tung als Vor­werk* zu­ge­ord­net war, hat­te ge­klagt, weil er Strei­tig­kei­ten der bei­den an­de­ren Par­tei­en als Grund ver­mu­te­te. Rit­ter Lu­tol­dus war be­gü­tert und ge­ach­tet bis in die höchs­ten Krei­se und sein Wort wür­de Ge­wicht ha­ben, wes­we­gen alle sei­ne Ver­mitt­ler­rol­le ak­zep­tier­ten.

 

In­zwi­schen hat­te sich das wut­ent­brann­te Ge­ze­ter des jun­gen Man­nes in lau­tes Schluch­zen ver­wan­delt. Er war mit dem Rücken zu den Rei­tern auf die Knie ge­sun­ken und barg den Kopf in sei­nen ruß­ver­schmier­ten Hän­den. Lu­tol­dus stieg vom Pferd und gab sei­nen Be­glei­tern mit Zei­chen zu ver­ste­hen, dass sie sich be­reit­hal­ten, aber lei­se sein soll­ten. Vor­sich­tig, je­des Ge­räusch ver­mei­dend, nä­her­te sich der Rit­ter dem mit sich selbst be­schäf­tig­ten Mann. Erst we­ni­ge Schrit­te vor sei­nem Ziel ließ Lu­tol­dus alle Acht­sam­keit fal­len und sprang auf sein Op­fer zu. Der jun­ge Mann schnell­te hoch, konn­te aber die Um­klam­me­rung nicht mehr ver­hin­dern. Der Rit­ter hat­te die Re­ak­ti­on des Man­nes je­doch falsch ein­ge­schätzt, denn die­ser war kein ein­ge­schüch­ter­tes Op­fer, das sich wi­der­stands­los ge­fan­gen neh­men ließ. Ohne zu zö­gern, trat er nach hin­ten ge­gen das rech­te Knie sei­nes Hä­schers und als sich da­durch der Griff des Rit­ters ein we­nig lo­cker­te, schlüpf­te der schmäch­ti­ge Kör­per, ge­wandt wie eine Kat­ze, aus des­sen Ar­men. Kaum frei, hetz­te er, ohne sich auch nur ein­mal um­zu­se­hen, mit großen Sprün­gen in Rich­tung Wald. Die­ses be­dach­te Han­deln ver­wirr­te Lu­tol­dus so sehr, dass er, sein Knie rei­bend, auf der Stel­le ver­harr­te. Sei­ne Man­nen re­agier­ten aber schnell, trie­ben ihre Pfer­de an und noch vor den ers­ten Bäu­men sprang ei­ner der Ver­fol­ger, mit­ten im Ga­lopp vom Pferd und be­grub den Flüch­ten­den un­ter sich.

Der Sturz war hef­tig, der Schmer­zens­laut durch­drin­gend und mit ihm er­lahm­te auch der Wi­der­stand. Das jetzt kraft­lo­se Op­fer wur­de an den Haa­ren em­por­ge­zo­gen und be­kam eine schal­len­de Ohr­fei­ge.

Zur nächs­ten aus­ho­lend, fuhr der Fän­ger das Häuf­lein Elend an:

»Nach mei­nem Herrn zu tre­ten wird dir noch schlecht be­kom­men!«

»Lass gut sein, Bar­thel* und bring ihn her«, rief Lu­tol­dus, doch dass der Hand­rücken die an­de­re Wan­ge traf, ließ sich nicht mehr ver­hin­dern.

Miss­mu­tig schnau­fend kam Bar­thel der An­wei­sung nach. Der ei­ser­ne Griff um den Ober­arm des Ge­fan­ge­nen wäre aber gar nicht mehr nö­tig ge­we­sen, denn die­ser hat­te je­den Ge­dan­ken an Flucht auf­ge­ge­ben, da die an­de­ren Rei­ter um ihn he­r­um dies schnell ver­ei­telt hät­ten. Leicht ge­krümmt und hum­pelnd lief er ne­ben sei­nem Fän­ger her.

Beim Rit­ter an­ge­kom­men, wur­de er zu Bo­den ge­sto­ßen und blieb ein­fach kraft­los lie­gen. Die in­stink­ti­ve Flucht war ge­schei­tert, und da sich an­schei­nend al­les ge­gen ihn ver­schwo­ren zu ha­ben schi­en, war je­der Le­bens­mut aus ihm ge­wi­chen.

»Wie heißt du?«, frag­te Lu­tol­dus.

Der zu­sam­men­ge­krümm­te Mann re­agier­te in kei­ner Wei­se, wor­auf­hin Bar­thel ihn leicht in die Sei­te trat.

Be­schwich­ti­gend hob Lu­tol­dus die Hand und ging in die Hocke.

»Wir kön­nen das auf eine ver­nünf­ti­ge Art zu Ende brin­gen, oder ich las­se Bar­thel freie Hand, der dann schon die ge­wünsch­ten Ant­wor­ten aus dir he­r­aus­brin­gen wird.«

Bar­thel schi­en die­ser Auf­ga­be nicht ab­ge­neigt zu sein, denn ein höh­ni­scher Zug um­spiel­te sei­ne Lip­pen. Ver­stärkt wur­de die­ser Ein­druck noch von der großen Brand­nar­be, die vom Hals über einen Teil der rech­ten Wan­ge bis zum obe­ren Teil des ver­stüm­mel­ten Ohrs reich­te. Der Mann am Bo­den sah das aus den Au­gen­win­keln und hob sein ruß­ver­schmier­tes Ge­sicht.

»Jobst*«, knurr­te er ver­dros­sen.

»Wes­sen Sohn bist du?«

»Der Mann mei­ner Mut­ter war Bo­d­ric aus Bo­dschwicz*«, ant­wor­te­te er und ver­zog das Ge­sicht, als wäre ihm die Er­wäh­nung schmerz­lich.

»Jobst, Sohn von Bo­d­ric«, wie­der­hol­te Lu­tol­dus und setz­te sich ins Gras, da sein Knie noch vom Tritt schmerz­te. »Was für eine selt­sa­me Na­mens­fol­ge. Jobst passt doch gar nicht zum sla­wi­schen Bo­d­ric.«

»Das ist so, weil ich ein Bas­tard bin und mein Er­zeu­ger«, er hat­te die­ses Wort re­gel­recht aus­ge­spien, »kein Sla­we ist.«

Nach­denk­lich rieb sich der Rit­ter sein Knie.

»Bo­d­ric … War nicht ein Bo­d­ric der Dorf­vor­ste­her dort drü­ben?«

Mit der Rech­ten deu­te­te er bei die­sen Wor­ten auf die Block­haus­über­res­te jen­seits des Weges.

»Ja, mein Va…« Jobst stock­te kurz. »Der Mann mei­ner Mut­ter ist«, wie­der un­ter­brach er sich und blick­te auf die Über­res­te des Dor­fes, »war der Dorf­vor­ste­her dort.«

»Wo sind die Dorf­be­woh­ner jetzt und was weißt du über den Brand?«

»Nichts weiß ich. Und wenn ich et­was wüss­te, wür­de mir das auch nicht mehr hel­fen. Al­les, was ich mir er­träum­te und was mir ver­spro­chen war, ist ver­lo­ren. Al­les, was ich in mei­nem Le­ben und vor al­len in die­sem Jahr tat, war um­sonst. Macht doch mit mir, was Ihr wollt. Am bes­ten Ihr er­schlagt mich gleich hier, dann habe ich es we­nigs­tens hin­ter mir.«

Bei den ers­ten trot­zi­gen Wor­ten die­ser Ant­wort woll­te Zorn in Lu­tol­dus auf­stei­gen, doch nach­dem er die Lee­re in den Au­gen sei­nes Ge­gen­übers sah, be­vor der jun­ge Mann sei­nen Kopf senk­te, ver­rauch­te die­se Auf­wal­lung gleich wie­der. Eine klei­ne Zu­recht­wei­sung muss­te aber sein, schon um sei­ne Stel­lung zu wah­ren.

»Sprich ver­nünf­tig mit mir, du Ta­ge­dieb, denn ich bin nicht ir­gend­ein Lüm­mel aus dei­nem Dor­fe«, knurr­te Lu­tol­dus und griff un­ter das Kinn von Jobst, um des­sen Kopf zu he­ben. »Und wei­che mei­nem Blick nicht aus, denn ich will se­hen, ob die Ant­wort ehr­lich ist.«

Der Rit­ter lehn­te sich et­was zu­rück, streck­te das Bein und rieb wie­der sein schmer­zen­des Knie.

»Für einen Bau­ern hast du sehr be­herzt re­agiert«, sag­te er aus sei­nen Ge­dan­ken he­r­aus, ohne eine Ant­wort zu er­war­ten. Be­vor er je­doch fort­fah­ren konn­te, er­wi­der­te Jobst mit Selbst­be­wusst­sein:

»Ich bin kein ein­fa­cher Bau­er. Wäre hier nicht al­les ver­wüs­tet und der Or­dens­rit­ter Si­mon von Ber­gen* an­we­send, könn­te er Euch sa­gen, dass ich sein Schü­ler war und er mir in Aus­sicht ge­stellt hat, nach Ab­schluss mei­ner Pil­ger­rei­se Sa­ri­ant­bru­der* des Or­dens zu wer­den.«

Rit­ter Lu­tol­dus lehn­te sich ein we­nig zu­rück, als kön­ne er ihn da­durch bes­ser er­ken­nen, und mus­ter­te die ab­ge­ris­se­ne Ge­stalt von oben bis un­ten.

»Du, Sa­ri­ant­bru­der des Or­dens? Das wird ja im­mer in­ter­essan­ter. Und was hat es mit die­ser Pil­ger­rei­se auf sich?«

»Ich war in San­tia­go de Com­pos­te­la* und bin heu­te erst wie­der hier an­ge­kom­men. Im Glau­ben, fast am Ziel mei­ner Träu­me zu sein, bin ich schon in den Nacht­stun­den auf­ge­bro­chen, weil ich es nicht mehr er­war­ten konn­te. Doch vor­ge­fun­den habe ich nur Schutt und Asche.«

Die letz­ten Wor­te konn­te Lu­tol­dus kaum noch ver­ste­hen, weil sein Ge­gen­über wie­der den Kopf ge­senkt hat­te und sei­ne Stim­me fast ver­sag­te.

Der Rit­ter muss­te die­se In­for­ma­tio­nen erst ein­mal ver­ar­bei­ten und such­te in Bar­thels Au­gen die Be­stä­ti­gung, dass er sich viel­leicht ver­hört hat­te. Der blick­te aber ge­nau­so er­staunt drein und sich Jobst wie­der zu­wen­dend frag­te Lu­tol­dus:

»Kannst du das be­wei­sen?«

»Geht dort hin«, Jobst deu­te auf eine Stel­le au­ßer­halb des ver­wüs­te­ten Vor­wer­kes. »Ihr wer­det im Gra­se mei­nen Pil­ger­stab und die da­zu­ge­hö­ri­ge Ta­sche fin­den. Au­ßen an der Ta­sche hängt die Ja­kobs­mu­schel, die ich dort be­kom­men habe und drin­nen wer­det Ihr die in San­tia­go de Com­pos­te­la aus­ge­stell­te In­dul­gen­tia* fin­den – die ich nach Vor­la­ge des Ge­leit­brie­fes, den Si­mon von Ber­gen ge­schrie­ben und der Kom­tur* von Plau­en ge­sie­gelt hat­te, be­kom­men habe.«

Jobst wirk­te bei die­sen Aus­sa­gen so selbst­si­cher, dass kei­ner der An­we­sen­den mehr so recht wuss­te, wie er sich ver­hal­ten soll­ten. Nur der Rit­ter be­hielt halb­wegs die Fas­sung und be­deu­te­te Bar­thel mit ei­nem Wink des Kop­fes, dass er die Sa­chen ho­len soll­te.

Lu­tol­dus mus­ter­te Jobst er­neut und frag­te:

»Für wel­che Sün­den hast du den Ab­lass be­kom­men?«

»Nichts, was ich je ge­tan habe, hät­te ei­ner In­dul­genz be­durft. Die Sün­den und Ver­feh­lun­gen ei­nes An­de­ren habe ich mit die­ser Wall­fahrt ge­tilgt, um zu zei­gen, dass ich es wert bin, in den Or­den auf­ge­nom­men zu wer­den.«

Mit hass­er­füll­ter Stim­me und fun­keln­den Au­gen hat­te Jobst geant­wor­tet. Rit­ter von Metsch mus­ter­te ihn zum wie­der­hol­ten Male, aber das Äu­ße­re des jun­gen Man­nes ver­wirr­te ihn im­mer wie­der.

Sei­ne farb­lo­sen Ho­sen wa­ren die ei­nes sla­wi­schen Bau­ern. Zer­schlis­sen, vor Dreck und Ruß star­rend, hät­te sie aber kei­ner die­ser Män­ner mehr an­ge­zo­gen. Das Ober­ge­wand sah nicht bes­ser aus und der Um­hang, der über die Schul­tern fiel, hat­te auch schon bes­se­re Tage ge­se­hen. Am Stoff­gür­tel, der um die schma­le Tail­le ge­wun­den war, hing eine klei­ne Ta­sche und ein Mes­ser, was Lu­tol­dus vor­her gar nicht auf­ge­fal­len war. Jobst hat­te es im­mer ge­schickt mit Arm und Um­hang ver­bor­gen. Als er merk­te, dass der Rit­ter es ent­deckt hat­te, ver­zog er sei­ne Lip­pen zu ei­nem Schmun­zeln, das eine lücken­lo­se Zahn­rei­he durch­blit­zen ließ, und schlug den Um­hang wie­der dar­über.

Lu­tol­dus sah ihm tief in die Au­gen, er­wi­der­te das Schmun­zeln und schüt­tel­te leicht den Kopf.

'Was für ein selt­sa­mer Kerl', dach­te er. Wenn man sich den dün­nen un­ge­pfleg­ten Bart weg­dach­te, das Ge­sicht von Ruß und an­de­rem Dreck be­frei­te, käme si­cher ein ein­neh­men­des jun­ges Ge­sicht zum Vor­schein. Der mun­te­re Blick der blau­grau­en Au­gen, mit de­nen Jobst den Rit­ter jetzt of­fen an­sah, of­fen­bar­te Selbst­si­cher­heit, Wis­sen und in­ne­re Stär­ke. Die Nie­der­ge­schla­gen­heit, die ihn eben noch um­fan­gen hat­te, schi­en wie weg­ge­bla­sen.

Ge­nau die­ser Wech­sel der Aus­strah­lung mach­te den jun­gen Mann aber ir­gend­wie un­be­re­chen­bar und Lu­tol­dus nahm sich vor, sorg­sam vor­zu­ge­hen.

»Wie alt bist du?«

»Ich bin im letz­ten Win­ter zwei­und­zwan­zig Jah­re alt ge­wor­den.«

Zwölf Jah­re jün­ger, und er hat­te an­schei­nend schon Din­ge ge­se­hen, die der Rit­ter viel­leicht nie zu Ge­sicht be­kom­men wür­de.

»Wann bist du zu dei­ner Wall­fahrt auf­ge­bro­chen?«

»Fünf­zehn Tage vor Wal­pur­gis*«, war die knap­pe Ant­wort.

»Die­ses Jah­res?«, frag­te Lu­tol­dus mit hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en.

»Ja si­cher! Ich hät­te es mir nicht leis­ten kön­nen, dort zu über­win­tern.«

»Aber ich dach­te, San­tia­go de Com­pos­te­la ist sehr weit im Sü­den und es feh­len uns nur noch zehn Tage bis Mar­ti­ni*.«

Jobst merk­te, dass er dem Rit­ter ei­ni­ges an Wis­sen über die Welt vor­aus­hat­te, und ge­wann eine Selbst­si­cher­heit, die er nur sel­ten zeig­te.

»Es ist auch sehr weit im Sü­den«, be­gann er mit stol­zer Stim­me. »Als ich Mit­te April los­lief, hat­te ich noch kei­ne Vor­stel­lung von der Ent­fer­nung, die ich zu­rück­le­gen muss­te, aber ich woll­te es hin­ter mich brin­gen und war fro­hen Mu­tes. Für den Hin­weg brauch­te ich sechs­und­neun­zig Tage, ob­wohl ich fast je­den Tag von früh mor­gens bis spät abends wan­der­te. Nach­dem ich ge­beich­tet und den Ab­lass er­hal­ten hat­te, was mich fünf Tage kos­te­te, trat ich den Rück­weg an. Aber nicht wie­der durch das Ge­bir­ge hin­ter Kon­stanz, son­dern west­lich an ihm vor­bei, was nicht so kräf­te­zeh­rend ist. Den­noch be­nö­tig­te ich auch für den Rück­weg acht­und­neun­zig Tage, weil mich Un­vor­her­ge­se­he­nes auf­hielt.«

Lu­tol­dus strich sich sin­nend übers Haupt und setz­te zur nächs­ten Fra­ge an, doch Bar­thel war mit der Ta­sche zu­rück und hielt sie ihm ent­ge­gen.

Der Rit­ter wies sie zu­rück und sag­te:

»Er soll uns den Ab­lass­brief zei­gen.«

Jobst öff­ne­te die über­reich­te Ta­sche und ent­nahm ihr ein Le­der­fut­te­ral, das er öff­ne­te. Mit spit­zen Fin­gern, um es nicht zu be­schmut­zen, zog er ein ge­sie­gel­tes Do­ku­ment he­r­aus, das in la­tei­ni­sche Spra­che ver­fasst war. Es über­reich­te es dem Rit­ter und sag­te stolz:

»Der Erz­bi­schof selbst hat die In­dul­gen­tia aus­ge­stellt, nach­dem er den Ge­leit­brief des Or­dens ge­le­sen hat­te.«

Lu­tol­dus ent­roll­te das Do­ku­ment und be­trach­te­te das un­ten an­ge­häng­te Sie­gel. Ohne den Text zu le­sen, roll­te er es wie­der zu­sam­men und streck­te for­dernd die Hand nach dem Fut­te­ral aus.

Jobst reich­te es ihm, frag­te aber ver­un­si­chert:

»Wollt Ihr es nicht le­sen?«

»Kei­ner hier kann le­sen oder schrei­ben. Wir wer­den es – wie dich auch – mit nach Plau­en* in die Kom­men­de* neh­men und uns dort den In­halt be­stä­ti­gen las­sen.«

Dass sie ihn mit­neh­men woll­ten, schi­en Jobst egal zu sein, doch dass der Rit­ter nicht le­sen konn­te, er­staun­te ihn an­schei­nend.

»Ihr seid doch ein Rit­ter und könnt nicht le­sen!?«

»Die we­nigs­ten Rit­ter kön­nen das. Auch hoch­ge­stell­ten Her­ren geht das oft­mals ab, also müs­sen wir uns auf die schrift­ge­lehr­ten Mön­che, Pries­ter und Schrei­ber ver­las­sen.«

An­schei­nend war der jun­ge Mann von an­de­rem aus­ge­gan­gen, denn die Ver­wun­de­rung war ihm ins Ge­sicht ge­schrie­ben.

»Aber ich kann es doch auch. Soll ich Euch das Do­ku­ment vor­le­sen?«

Jetzt klapp­te Lu­tol­dus der Kie­fer he­r­un­ter.

»Du kannst Le­sen und Schrei­ben?«

»Ja, si­cher. Gebt her und ich lese Euch den Brief vor.«

Für einen Au­gen­blick war der Rit­ter ver­sucht, Jobst den Brief wie­der aus­zu­hän­di­gen, doch dann schob er das zu­sam­men­ge­roll­te Do­ku­ment ins Fut­te­ral und stand auf.

»Nein, du kannst mir sonst was er­zäh­len, was ich aber nicht über­prü­fen kann. Die Or­dens­brü­der sol­len uns den In­halt wie­der­ge­ben.«

Prü­fend blick­te er auf die vor ihm kau­ern­de Ge­stalt.

»Du wirst uns nach Plau­en be­glei­ten. Un­ter Zwang oder frei­wil­lig, was ist dir lie­ber?«

»Frei­wil­lig, denn hier habe ich nichts, was mich hält«, kam die so­for­ti­ge Ant­wort.

»Kann ich mich dar­auf ver­las­sen?«

»Bei mei­ner Ehre als Pil­ger«, kam es stolz über die Lip­pen von Jobst, als er sich auch er­hob.

Lu­tol­dus nick­te zu­frie­den.

»Gut, aber nicht so schmutz­star­rend, wie du jetzt bist. Geh dort run­ter zum Teich und rei­ni­ge dich, denn du stinkst wie ein Schwein.«

Jobst sah an sich he­r­un­ter und sei­ne Wan­gen färb­ten sich rot.

»Ent­schul­digt, das ist sonst nicht mei­ne Art, aber ich be­sit­ze lei­der au­ßer der Bruoch* in mei­ner Ta­sche nur das, was ich an­ha­be. Die Klei­dung hat auf der lan­gen Rei­se sehr ge­lit­ten und als ich hier an­kam, war mir al­les egal«, sag­te er auf sei­ne schwar­zen Hän­de bli­ckend.

»Dann wasch die Sa­chen mit und zieh erst mal die Un­ter­ho­sen aus dei­ner Ta­sche an.« Nach ei­nem prü­fen­den Blick zum Him­mel, füg­te Lu­tol­dus hin­zu. »Die Son­ne steht hoch und es ist un­ge­wöhn­lich warm für die Jah­res­zeit. Die Klei­dung wird schnell trock­nen und du nicht frie­ren.«

Rit­ter von Metsch griff nach Bar­thels Arm und zog in ei­ni­ge Schrit­te weg.

»Pass auf ihn auf, denn so ganz traue ich ihm noch nicht«, raun­te er die­sem zu und be­gab sich zu sei­nen an­de­ren Be­glei­tern.

Wort­los dreh­te sich Bar­thel um und folg­te Jobst zum Teich, der sich dort un­ge­niert ent­klei­de­te und ins Was­ser stieg.

 

Lu­tol­dus be­gut­ach­te­te in­zwi­schen mit sei­nen Män­nern das ver­wüs­te­te Vor­werk. Er such­te in den Trüm­mern nach ver­wert­ba­ren Spu­ren und ließ sei­nen Blick über die Um­ge­bung schwei­fen.

Das ei­gent­li­che Vor­werk be­stand ur­sprüng­lich aus ei­nem an­sehn­li­chen Guts­hof mit ei­ner klei­nen, frei ste­hen­den Ka­pel­le im Schutz ei­nes ho­hen Pa­li­sa­den­wal­les. Nichts von all dem stand mehr. Al­les war ein Raub der Flam­men ge­wor­den. Si­cher hat­ten in der Zwi­schen­zeit auch Be­woh­ner der nächst­ge­le­ge­nen Dör­fer Ver­wert­ba­res ge­bor­gen, was der Rit­ter an­hand der aus­ein­an­der­ge­zo­ge­nen Trüm­mer­res­te ver­mu­te­te. Er­kenn­bar war noch die ge­schlos­se­ne An­ord­nung der vier Ge­bäu­de. In der Front, gleich ge­gen­über dem Pa­li­sa­den­tor, das große Wohn- und Wirt­schafts­ge­bäu­de, das ver­mut­lich nur einen Ein­gang vom Hof her hat­te. Seit­lich im rech­ten Win­kel an­ge­baut, die Stall­ge­bäu­de und auf der Rück­sei­te, ein großes Scheu­nen­ge­bäu­de mit Tor­durch­fahrt. Es war also im­mer nö­tig ge­we­sen, die Ge­bäu­de den Weg rechts an den Pa­li­sa­den ent­lang zur Hälf­te zu um­fah­ren, um in den In­nen­hof zu ge­lan­gen. Eine klu­ge Schutzein­rich­tung und Lu­tol­dus frag­te sich, wie es den An­grei­fern ge­lun­gen war, hier schnell und un­be­merkt ein­zu­drin­gen, denn an­geb­lich soll­te al­les in ei­ner Nacht ge­sche­hen sein.

Links vom Pa­li­sa­den­durch­gang, nahe der Um­wal­lung, hat­te die Ka­pel­le ge­stan­den und eine Lücke zwi­schen Wohn- und Sei­ten­ge­bäu­de ließ ver­mu­ten, dass hier eine Pfor­te den kur­zen Weg zum Got­tes­haus er­mög­licht hat­te. So wie der Rit­ter die Deutsch­her­ren kann­te, war an­zu­neh­men, dass all die­se Öff­nun­gen nachts gut ver­schlos­sen wur­den und auch die eine oder an­de­re Wa­che am Rund­gang auf den Pa­li­sa­den pa­trouil­lier­te.

Kopf­schüt­telnd ver­ließ Lu­tol­dus den in­ne­ren Be­reich und be­gut­ach­te­te die fünf au­ßer­halb der Pa­li­sa­den ge­le­ge­nen Ge­bäu­de. Eine Schmie­de, noch er­kenn­bar am großen Ka­min des Schmie­de­feu­ers, hat­te gleich ne­ben dem Pa­li­sa­den­tor ge­stan­den, die vier an­de­ren Ka­ten links da­ne­ben. Der Platz für die Be­woh­ner des Vor­werks hat­te ver­mut­lich nicht mehr aus­ge­reicht, um alle in­ner­halb der Pa­li­sa­den un­ter­zu­brin­gen.

Nach ei­ni­ger Zeit wech­sel­te er zu den Res­ten der Sied­lung, die etwa drei­hun­dert Schritt* ent­fernt auf der an­de­ren Sei­te des Weges ge­le­gen hat­te.

Die Struk­tur des Rund­dor­fes konn­te Lu­tol­dus noch gut er­ken­nen. Der ova­le Platz in der Mit­te wur­de von ei­nem über­dach­ten Brun­nen be­herrscht, der als ein­zi­ges un­be­scha­de­tes Ob­jekt einen skur­ri­len Ein­druck hin­ter­ließ. Die zehn großen sla­wi­schen Block­häu­ser hat­ten den Platz huf­ei­sen­för­mig um­schlos­sen, be­stan­den aber nur noch aus Asche­h­au­fen, in de­nen der eine oder an­de­re ver­kohl­te Stamm he­r­aus­spieß­te. Selbst die Gar­ten­zäu­ne und Bäu­me wa­ren zum großen Teil den Flam­men zum Op­fer ge­fal­len. Nur die He­cke, die das Dorf – bis auf die Öff­nung zum Vor­werk hin – um­schloss, hat­te über­dau­ert.

Hier war einen Mo­nat nach dem Brand al­ler­dings kaum noch Ver­wert­ba­res zu fin­den. Der Rit­ter hat­te das auch nicht an­ders er­war­tet und brach die Su­che nach ei­ni­ger Zeit ab.

Auf dem Weg hin­ab zum Teich ließ Lu­tol­dus den Blick schwei­fen und kam nicht um­hin den klug ge­wähl­ten Stand­ort des Vor­werks zu be­wun­dern. Die An­la­ge hat­te den Han­dels­weg, der si­cher bald noch mehr an Be­deu­tung ge­win­nen wür­de, voll­kom­men be­herrscht.

Aus Rich­tung Els­ter­berg kom­mend, muss­ten die Be­nut­zer des Weges über den be­fes­tig­ten Damm des großen Tei­ches der leich­ten Win­dung zum Vor­werk hoch fol­gen. Ge­nau beim Vor­werk be­schrieb der Weg einen Bo­gen und führ­te dann auf der frei­en, von Fel­dern be­grenz­ten Höhe, in Rich­tung Wei­da. Durch die­se Schlei­fe wur­de der An­stieg ent­schärft und gleich­zei­tig die Rei­sen­den am Vor­werk vor­bei­ge­führt, was eine si­che­re Kon­trol­le ge­währ­leis­te­te. Es war an­zu­neh­men, dass hier ein­mal Zöl­le er­ho­ben wer­den soll­ten, aber vor­erst war nach Kennt­nis des Rit­ters nichts der­glei­chen ge­sche­hen.

Von den Pa­li­sa­den aus hat­te man mit Si­cher­heit in je­der Rich­tung den Weg gut im Blick ge­habt. Al­ler Wald­wuchs war weit um die An­la­ge ent­fernt. Nur in Rich­tung Os­ten nä­her­te sich ein klei­ner Aus­läu­fer bis auf etwa hun­dert Schritt. Den Tal­grund durch­floss in die­ser Rich­tung ein klei­ner Bach, der aus dem großen Teich ent­sprang. Ober­halb des Tei­ches la­gen Wie­sen. Sie wa­ren lo­cker von Laub­bäu­men be­stan­den, an de­nen nur noch ver­ein­zelt Blät­ter hin­gen, und zo­gen sich bis auf etwa fünf­zig Schritt an das Sla­wen­dorf he­r­an. Die Fel­der des Dor­fes la­gen haupt­säch­lich auf dem Hö­hen­zug.

 

Beim Teich an­ge­kom­men, be­ob­ach­te­ten die Män­ner einen sau­be­ren, nack­ten Jobst beim Wa­schen sei­ner Klei­dung. Bis zum Bauch im Was­ser ver­such­te der, Ruß und an­de­ren Schmutz he­r­aus zu rei­ben, was ihm aber nicht voll­stän­dig ge­lin­gen woll­te.

Rit­ter Lu­tol­dus ver­folg­te die­se Be­mü­hun­gen im­mer un­ge­dul­di­ger, bis er un­wirsch aus­rief:

»Ge­nug jetzt, wir müs­sen auf­bre­chen, sonst sind wir nicht vor Ein­bruch der Nacht in Plau­en.«

Ein biss­chen er­schro­cken ob der har­schen Wor­te, sah Jobst hoch und be­eil­te sich die Klei­dung aus­zu­wrin­gen. Er stieg aus dem Was­ser und sah sich un­schlüs­sig um.

Lu­tol­dus ahn­te, was ihn be­schäf­tig­te und streck­te for­dernd die Hand aus.

»Gib her, wir hän­gen die Fet­zen zum Trock­nen an un­se­re Sät­tel und du ziehst dei­ne Bruoch an, da­mit wir end­lich auf­bre­chen kön­nen.«

Wort­los tat Jobst wie ihm ge­hei­ßen, nahm Stab, Gür­tel und Ta­sche auf und zeig­te an, dass er be­reit sei.

»Hast du kei­ne Stie­fel?«, frag­te der Rit­ter mit ge­run­zel­ter Stirn.

»Die sind mir schon vor über ei­ner Wo­che von den Fü­ßen ge­fal­len und ich lau­fe seit­dem, wie auch vor­her schon des Öf­te­ren, bar­fuß.«

Lu­tol­dus schwang sich in den Sat­tel und ritt ohne Um­schwei­fe auf dem Damm­weg in Rich­tung Mo­schwitz*.

Auf der Flur der Sied­lung zo­gen die Bau­ern ge­ra­de die Herbst­fur­che und ar­bei­te­ten den aus­ge­brach­ten Mist ein. Arg­wöh­nisch be­äug­ten sie den be­waff­ne­ten Trupp, der in Rich­tung Els­ter­berg zog. Die Zei­ten wa­ren un­si­cher und man muss­te mit al­lem rech­nen, wenn die ho­hen Her­ren un­ter­wegs wa­ren. Rit­ter Lu­tol­dus mach­te aber Druck und ging in einen schnel­len Trab über, den Jobst auf die Dau­er nicht mit­hal­ten konn­te. Er fiel im­mer wei­ter zu­rück und der Rit­ter knurr­te un­ge­dul­dig:

»Bar­thel, nimm ihn mit auf dein Pferd, wir müs­sen Bo­den gut ma­chen.«

Der An­ge­spro­che­ne mach­te ein ver­drieß­li­ches Ge­sicht, da es ihm schon die gan­ze Zeit nicht ge­fiel, dass der jun­ge Bas­tard ihm ei­ni­ges vor­aus­hat­te. Lu­tol­dus schloss das Rich­ti­ge aus der Mie­ne und ließ sich zu­rück­fal­len.

»Ach, lass gut sein, mein Pferd ist oh­ne­hin stär­ker als deins.«

Der zor­ni­ge Blick, den er Bar­thel da­bei zu­warf, ließ die­sen be­schämt die Au­gen sen­ken, aber es war zu spät für eine Re­ak­ti­on, denn der Rit­ter griff schon nach un­ten und hob den ab­ge­ma­ger­ten Kör­per mit Leich­tig­keit hoch.

»Hei­li­ge Jung­frau, du bist ja nur Haut und Kno­chen«, stieß er er­schro­cken aus.

»Das ist so, wenn man über Wo­chen so große Stre­cken läuft und nur früh und abends das zu sich nimmt, was ei­nem an­de­re aus Gna­de ge­ben kön­nen.«

Auch wenn er vom schnel­len Lauf au­ßer Atem war und sich aus vie­ler­lei Grün­den schäm­te, hat­te Jobst mit ei­ner ge­wis­sen Wür­de in der Stim­me geant­wor­tet. Bei­de ver­fie­len in Schwei­gen und hin­gen ih­ren Ge­dan­ken nach, was sich auch bis Els­ter­berg nicht än­dern soll­te.

Als sie von der Höhe in das Els­ter­ber­ger Tal hin­a­brit­ten, lie­ßen sie die Stadt links lie­gen und war­fen nur einen kur­zen Blick auf die im­po­san­te Burg, die die Lob­de­bur­ger Her­ren hat­ten bau­en las­sen. Der Ritt in de­ren Sicht­wei­te ver­lief ohne Stö­rung, da die Be­sat­zung von ih­ren Her­ren über Rit­ter Lu­tol­dus von Metsch un­ter­rich­tet war. Burck­hardt von Lob­de­burg* war mit sei­nem Ge­fol­ge schon vor ih­nen nach Plau­en auf­ge­bro­chen, um den Ver­hand­lun­gen bei­zu­woh­nen.

Rit­ter Lu­tol­dus folg­te dem Weg, der dies­seits der Els­ter auf dem Hö­hen­rücken Plau­en zu­streb­te. Eine Fluss­que­rung war nicht not­wen­dig, denn die von Zwickau kom­men­de Via Im­pe­rii auf der an­de­ren Sei­te der Els­ter war zwar bes­ser aus­ge­baut, wäre je­doch ein großer Um­weg ge­we­sen.

Nach ei­ni­ger Zeit, als die Pfer­de dampf­ten und wie­der ein­mal einen ru­hi­ge­ren Schritt brauch­ten, brach Lu­tol­dus das Schwei­gen.

»Viel­leicht kannst du uns bei der Auf­klä­rung der Bran­dum­stän­de hel­fen. Bist du be­reit, mir wahr­heits­ge­treu zu ant­wor­ten, auch wenn es dir viel­leicht zum Nach­teil ge­reicht?«

»Wie meint Ihr das mit dem 'zum Nach­teil ge­rei­chen'?«, frag­te Jobst arg­wöh­nisch.

»Nun, es könn­te sich ja he­r­aus­stel­len, dass du doch et­was mit dem Brand zu tun hast, denn im­mer­hin bist du ein Mit­glied der Dorf­ge­mein­schaft.«

»Ich sag­te doch schon, ich bin ein Bas­tard und nur der Mut­ter nach ein Mit­glied des Dor­fes«, ant­wor­te­te er un­ter tro­ckenem Auf­la­chen. »Au­ßer­dem bin ich mir kei­ner Schuld be­wusst und war weit weg in den letz­ten Mo­na­ten. Also fragt.«

»Hmm, gut.«

Der Rit­ter such­te nach ei­nem güns­ti­gen Aus­gangs­punkt und rich­te­te sei­nen Blick nach in­nen, was er aber so­fort be­reu­te, als ihm ein klei­ner Ast ins Ge­sicht peitsch­te.

»Autsch, arg…«, knurr­te er und rieb sich die Wan­ge, doch die Rich­tung der Be­fra­gung stand für ihn fest.

»Wo leb­test du? Im Dorf oder im Vor­werk?«

»In bei­den, zu fast glei­chen Tei­len, wo­bei ich die Näch­te im­mer im Haus mei­ner Mut­ter zu­brach­te«, war die knap­pe Ant­wort.

»Er­klä­re das nä­her«, sag­te Lu­tol­dus un­ge­dul­dig und rieb jetzt sein trä­nen­des Auge, das er kaum of­fen hal­ten konn­te.

»Die wah­ren Grün­de er­fuhr ich erst kurz vor mei­ner Pil­ger­rei­se, denn kei­ner hat­te sich mir vor­her er­klärt. Auch dass ich ein Bas­tard bin, er­fuh­ren die meis­ten, mich in­be­grif­fen, erst kurz vor­her. Der Mann mei­ner Mut­ter wuss­te es, hat­te aber mit Si­mon von Ber­gen eine Ab­ma­chung we­gen mei­ner Er­zie­hung und Aus­bil­dung ge­trof­fen. Das lag dar­an, weil mein Er­zeu­ger ein Halb­kreuz­ler* in be­son­de­rer Stel­lung ist.«

Lu­tol­dus re­gis­triert, das Jobst kei­nen als Va­ter be­zeich­ne­te und be­son­ders al­les, was mit sei­nem rich­ti­gen Va­ter zu tun hat­te, mit großer Ver­ach­tung aus­sprach. Wäh­rend­des­sen sprach Jobst wei­ter und der Rit­ter be­müh­te sich, den Fa­den nicht zu ver­lie­ren.

»Von nie­de­rem Adel zwar, und ehe­mals Or­dens­rit­ter, wur­de er nach ei­ni­gen Ver­feh­lun­gen zum Halb­kreuz­ler her­ab­ge­stuft. Das war dem aber gar nicht un­recht, denn jetzt stand es ihm frei, sich eine Frau zu neh­men, was er auch um­ge­hend tat. Vor­her hat­te er mei­ne Mut­ter aber beim Bee­ren­pflücken im Wald mit Ge­walt ge­nom­men. Der Mann mei­ner Mut­ter hat bei Si­mon von Ber­gen ge­klagt, wor­auf­hin der gute Or­dens­rit­ter ver­such­te, den Scha­den ein­zu­däm­men. Dem Dorf wur­den große Zu­ge­ständ­nis­se ge­macht, und als sich he­r­aus­stell­te, dass mei­ne Mut­ter mich in sich trug, auch auf mich aus­ge­dehnt. Des­halb bin ich von klein an viel im Vor­werk ge­we­sen und habe beim Rit­ter und dem Pries­ter, der mit dort leb­te, eine gute Aus­bil­dung be­kom­men. Le­sen und Schrei­ben, so­wie an­de­res, habe ich bei den bei­den ge­lernt. Kämp­fen, den Um­gang mit dem Bo­gen und der Arm­brust muss­te ich bei mei­nem Er­zeu­ger ler­nen, weil von Ber­gen we­gen sei­nes ab­ge­schla­ge­nen Ar­mes und feh­len­den Au­ges nicht mein Lehr­meis­ter sein konn­te.«

Jobst schluck­te ver­nehm­lich und mach­te eine län­ge­re Pau­se, da ihm die Er­in­ne­run­gen sehr zu schaf­fen mach­ten. Als Lu­tol­dus ge­ra­de nach­ha­ken woll­te, sprach er aber wei­ter:

»Von den Ar­bei­ten auf den Fel­dern und Wie­sen des Dor­fes, Gän­se hü­ten und an­de­rem, war ich aber nicht be­freit. Wann im­mer es nö­tig war, muss­te ich da mit zu­grei­fen. Nir­gends schi­en ich rich­tig da­zu­zu­ge­hö­ren, wes­halb ich auch viel Spott er­tra­gen muss­te. Der Mann mei­ner Mut­ter ver­hielt sich im­mer sehr halb­her­zig mir ge­gen­über, wäh­rend er mei­ne Halb­ge­schwis­ter oft in­nig herz­te. Das ver­stand ich aber erst, als ich er­fuhr, dass ich nicht sein Sohn bin. Als Kind hat mich das sehr be­drückt, doch al­les, was ich un­ter­nahm, um sei­ne Lie­be zu er­rin­gen, war nicht ge­nug. Jetzt weiß ich, dass er mich doch gern ge­habt ha­ben muss­te, denn ob­wohl ich nicht sein Fleisch und Blut bin, wur­de ich nie ge­schla­gen und an­de­ren ge­gen­über im­mer in Schutz ge­nom­men. Er hat es si­cher auch mei­ner Mut­ter zu­lie­be ge­tan, denn nie sah ich, dass ei­ner acht­sa­mer mit sei­ner Frau um­ging als er.«

»Wie hieß … heißt dein Va­ter«, ver­bes­ser­te sich Lu­tol­dus has­tig und rieb sich wie­der das Auge, das im­mer noch stark trän­te.

»Jobs­ten Deuh­lich*« war die aus­ge­spie­ne Ant­wort.

»Von Deuh­lich«, ver­bes­ser­te der Rit­ter.

»Kei­ner, we­der im Vor­werk noch im Dorf, hat ihm je die Her­ren­eh­re er­wie­sen, was ihm auch egal zu sein schi­en, denn er hat nie dar­auf be­harrt. Ich er­fuhr auch erst in die­sem Früh­jahr, dass er dem Adel an­ge­hört.«

Lu­tol­dus fluch­te lei­se vor sich hin, weil er sein trä­nen­des Auge im­mer noch nicht rich­tig öff­nen konn­te, setz­te aber die Be­fra­gung fort:

»Wie war das Ver­hält­nis zwi­schen Dorf und Vor­werk sonst? Gab es wei­te­re Streit­punk­te?«

»Es gab gar kei­ne Streit­punk­te. Auch das was ich eben sag­te, war nichts, was das Ver­hält­nis trüb­te, denn nur Rit­ter Si­mon von Ber­gen, der Mann mei­ner Mut­ter, der Pries­ter, mein Er­zeu­ger und mei­ne Mut­ter wuss­ten da­von. Erst in die­sem Früh­jahr er­fuh­ren es die an­de­ren, doch ich den­ke nicht, dass es das Ver­hält­nis ge­trübt hat. Sonst ver­lief al­les sehr fried­lich zwi­schen Bo­dschwicz und dem Vor­werk, was si­cher auch an den Zu­ge­ständ­nis­sen lag, die Rit­ter von Ber­gen we­gen der Ver­ge­wal­ti­gung ge­macht hat­te. Die Be­woh­ner leis­te­ten zwar Fron­diens­te, hat­ten aber auch viel Gu­tes von dem, was der Or­den auf­bau­en ließ. An den Tei­chen und der Fisch­zucht durf­ten sie eben­falls teil­ha­ben. Auch wenn sie es an­fangs nicht ver­stan­den, spä­ter wa­ren alle sehr stolz auf die Tei­che.«

»Tei­che? Ich habe nur den ge­se­hen, in dem du dich ge­wa­schen hast.«

»Ein biss­chen ober­halb des großen gab es noch einen klei­nen Teich, der zur Auf­zucht der Fi­sche da war. Der Pries­ter hat da viel Wis­sen mit­ge­bracht und das so an­ge­regt. Der große Teich war für meh­re­re Din­ge gut. Das Wich­tigs­te war die Fisch­hal­tung und auf­grund der großen Flä­che konn­ten wir da je­des Jahr ei­ni­ge he­r­aus­ho­len. Die sump­fi­ge Tal­soh­le er­hielt da­mit auch eine gute Funk­ti­on und mit dem Damm konn­te eine gute Weg­füh­rung durchs Tal ge­schaf­fen wer­den. Sonst ver­sank je­der Wa­gen bis zu den Ach­sen im Dreck und nur in tro­ckenen oder Frost­zei­ten konn­ten über­haupt schwer be­la­de­ne Wa­gen das Tal que­ren. Der Rit­ter pro­phe­zei­te, dass wir alle ein­mal da­von pro­fi­tie­ren wür­den, wenn der Han­del zunäh­me und öf­ter Wa­gen aus Rich­tung Els­ter­berg nach Wei­da oder um­ge­kehrt un­ter­wegs sein wür­den. Be­vor der Damm fer­tig war, muss­ten alle einen großen Ha­ken nach Wes­ten und wie­der zu­rück fah­ren, weil der Weg auf der Höhe tro­ckener ist. Es war auch noch ein wei­te­rer, noch grö­ße­rer Teich das Tal wei­ter hi­n­un­ter ge­plant. Das Bre­chen des Schie­fers, der zur Be­fes­ti­gung des Dam­mes ge­braucht wird, ist aber eine har­te und lang­wie­ri­ge Ar­beit, wes­we­gen der Bau im­mer wie­der ver­scho­ben wur­de. Auch ei­ni­ges an Wald hät­te da noch ge­ro­det wer­den müs­sen.«

»Muss­ten die Stei­ne von weit her­ge­holt wer­den?«

»Nein, es gibt meh­re­re Stein­brü­che ganz in der Nähe.«

»Warum hat der Or­dens­rit­ter es dann nicht als Fron­dienst er­zwun­gen?«

»Si­mon von Ber­gen hat nie et­was er­zwun­gen. Er hat die Leu­te über­zeugt, oder wenn das nicht mög­lich war, ge­war­tet, bis er eine an­de­re Mög­lich­keit fand, das Ge­wünsch­te zu er­rei­chen. Und er hat fast im­mer be­kom­men, was er woll­te.«

Der jun­ge Mann zeich­ne­te hier ein Bild vom Vor­werk und sei­nem Ver­wal­ter, das kei­nen Grund er­ken­nen ließ, warum die Dorf­be­woh­ner in die Brand­schat­zung ver­wi­ckelt sein soll­ten. Den­noch wa­ren sie al­le­samt seit­dem mit Hab und Gut spur­los ver­schwun­den. Kein Schaf, kein Hund, kei­ne Schüs­sel oder et­was an­de­res wa­ren in und um die Brand­stel­le zu fin­den. Es schi­en, als hät­ten sie al­les mit­ge­nom­men und ihre Häu­ser selbst in Brand ge­steckt. Beim Vor­werk sah das an­ders aus. Das war ge­plün­dert, aber es wa­ren auch eine Men­ge zer­schla­ge­ner Krü­ge, Schüs­seln, ein zer­bro­che­ner großer Schleif­stein und zer­stör­te Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de zu fin­den. All das fehl­te beim Dorf, was wie­der den Schluss zuließ, dass die Dorf­be­woh­ner das Vor­werk ge­schleift hat­ten und dann aus Angst vor den Fol­gen mit all ih­ren Hab­se­lig­kei­ten den Ort ver­lie­ßen.

Lu­tol­dus Ge­dan­ken dreh­ten sich im Kreis. So kam er nicht wei­ter. Er brauch­te einen an­de­ren An­halts­punkt und mehr In­for­ma­tio­nen. Er such­te im­mer noch nach ei­nem neu­en An­satz, als Bar­thel ihn dar­auf auf­merk­sam mach­te, dass an dem zu que­ren­den Bach­lauf eine güns­ti­ge Stel­le zum Trän­ken der Pfer­de war.

Alle stie­gen ab und führ­ten nach­ein­an­der die Tie­re ans Was­ser. Jobst nutz­te die Ge­le­gen­heit, um sei­ne in­zwi­schen tro­ckene Klei­dung wie­der an­zu­le­gen und schöpf­te ober­halb der Pfer­de­trän­ke mit sei­ner Ja­kobs­mu­schel Was­ser für sich. Das er­in­ner­te den Rit­ter dar­an, dass er im­mer noch nichts über die Hin­ter­grün­de der Wall­fahrt wuss­te und er ge­sell­te sich zu Jobst.

»Warum muss­test du die Pil­ger­rei­se an­tre­ten und wie­so wur­de im Früh­jahr be­kannt, dass der Dorf­vor­ste­her nicht dein Va­ter ist?«

Jobst ließ sich Zeit mit der Ant­wort, schöpf­te noch ein­mal Was­ser mit der Mu­schel und trank ohne Hast. Zum einen hat­te er ver­spro­chen wahr­heits­ge­mäß zu ant­wor­ten, zum an­de­ren gab es da ein noch viel äl­te­res Ver­spre­chen.

»Dar­über darf ich Euch ohne Zu­stim­mung des Or­dens nichts sa­gen«, ant­wor­te­te er schließ­lich und sah Lu­tol­dus da­bei of­fen in die Au­gen. »Wenn wir in der Kom­men­de sind und mich der Rit­ter von Ber­gen oder der Kom­tur von die­sem Schwur be­freit, hole ich das aber ger­ne nach.«

Lu­tol­dus von Metsch schnauf­te miss­mu­tig.

»Si­mon von Ber­gen k…« Ei­ner plötz­li­chen Ein­ge­bung fol­gend, brach er ab und sag­te: »Aber du hast recht, das be­spre­chen wir im Bei­sein des Kom­turs Hein­rich von Kur­bitz*.«

»Von Kur­bitz? Nein, der ist nicht mehr Kom­tur in Plau­en. Seit vier Jah­ren hat Ni­ko­laus von Frei­berg* die­ses Amt inne.«

Erst jetzt be­merk­te Jobst Lu­tol­dus lau­ern­den Blick und lach­te lei­se auf.

»Ihr traut mir im­mer noch nicht und denkt, ich bin ein un­wis­sen­des Bürsch­chen. Nun, da irrt Ihr euch aber ge­wal­tig. Rit­ter Si­mon hat mich auch in der Or­dens­hier­ar­chie und al­lem an­de­rem, was den Or­den be­trifft, um­fang­reich un­ter­wie­sen. Au­ßer­dem hat Kom­tur Ni­ko­laus von Frei­berg mir vor mei­ner Pil­ge­rrei­se selbst das Schwei­ge­ge­lüb­de be­treffs der Um­stän­de ab­ge­nom­men.«

Von Metsch merk­te, dass er durch­schaut war, und er­wi­der­te das La­chen.

»Gut, gut, aber so wie wir dich vor­ge­fun­den ha­ben und wie du auch im­mer noch aus­siehst, ist es schwer, dir den ge­bil­de­ten Mann ab­zu­neh­men. Also wirst du si­cher auch ver­ste­hen, dass ich dem auf den Grund ge­hen muss­te.«

Jobst nick­te ver­ste­hend, sah kurz zu Bo­den und be­gann dann zö­gernd:

»Darf ich Euch jetzt eine Fra­ge stel­len?« Der Rit­ter nick­te. »Was könnt Ihr mir über den Brand sa­gen?«

Jetzt ließ sich Lu­tol­dus Zeit mit der Ant­wort und sagt dann sin­nend:

»Dar­über … möch­te ich jetzt nicht mit dir spre­chen, denn sonst sind dei­ne Ant­wor­ten bei der wei­te­ren Be­fra­gung viel­leicht nicht mehr so hilf­reich.«

Jobst schi­en ent­täuscht frag­te aber wei­ter:

»Und wo sind die Be­woh­ner des Vor­werks und von Bo­dschwicz jetzt?«

»Auch das wer­de ich dir aus den glei­chen Grün­den jetzt nicht be­ant­wor­ten. Hast du noch an­de­re Fra­gen, die nicht mit der Wüs­tung zu­sam­men­hän­gen?«

Jobst schüt­tel­te ent­täuscht den Kopf.

»Gut, dann set­zen wir un­se­ren Ritt jetzt fort«, sag­te der Rit­ter und streb­te ohne Um­schwei­fe den Pfer­den zu.

 

Ka­pi­tel 2

In der Kommende zu Plauen

 

 

Kurz vor dem Abend­ge­bet er­reich­te der Trupp die Kom­men­de. In ge­ord­ne­ten Rei­hen streb­ten die Or­dens­mit­glie­der, ge­führt vom Kom­tur, der Or­dens­kir­che zu. Ni­ko­laus von Frei­berg mus­ter­te die ein­rei­ten­den Män­ner und sein Blick blieb an dem jun­gen Mann mit der ab­ge­ris­se­nen Klei­dung hän­gen, der jetzt ne­ben Rit­ter Lu­tol­dus von Metsch her­lief. Die Ja­kobs­mu­schel an der Ta­sche hat­te es ihm an­ge­tan. Er er­in­ner­te sich und blieb ab­rupt ste­hen. Die Män­ner hin­ter ihm lie­fen auf und eine kur­ze Un­ord­nung ent­stand.

Er ent­schul­dig­te sich bei sei­nen Brü­dern und wand­te sich an Jobst:

»Bist du Si­mon von Ber­gens Schü­ler und hast die Wall­fahrt nach San­tia­go de Com­pos­te­la be­en­det?«

»Ja Herr«, ant­wor­tet Jobst un­ter ei­ner tie­fen Ver­beu­gung.

»Dann muss ich un­be­dingt mit dir spre­chen.«

For­dernd streck­te er den Arm aus und füg­te hin­zu:

»Mit dem Bart und der Auf­ma­chung habe ich dich gar nicht er­kannt. Be­glei­te uns zum Abend­ge­bet und an­schlie­ßend be­rich­test du mir von dei­ner Rei­se.«

Jobst setz­te sich in Be­we­gung, doch Rit­ter von Metsch trieb sein Pferd an und schnitt ihm den Weg ab. Er wand­te sich an den Kom­tur und sag­te un­ter ei­ner leich­ten Ver­beu­gung:

»Herr, ent­schul­digt, aber ich er­hof­fe mir von dem jun­gen Mann noch auf­schluss­rei­che In­for­ma­tio­nen zu Eu­rem ver­wüs­te­ten Vor­werk und möch­te nicht, dass sie durch neue­re In­for­ma­tio­nen ver­fälscht wer­den.«

»Was soll­te er dar­über denn wis­sen?«, press­te der Kom­tur un­ge­hal­ten her­vor. »Er kann noch nicht lan­ge zu­rück sein und der Brand ist schon vor über ei­nem Mo­nat ge­we­sen, als er noch fern des Lan­des weil­te.«

»Aber er ist ein Ein­woh­ner von Bo­dschwicz und kann viel­leicht von Din­gen be­rich­ten, die zu der Ka­ta­stro­phe führ­ten.«

»Das kann der Pries­ter­bru­der Lo­renzt* auch. Er hält sich auf mei­nen Wunsch hin noch hier auf und leb­te schon dort, als der jun­ge Mann hier, noch nicht ge­bo­ren war.«

»Aber ich gehe da­von aus, dass Jobst Din­ge be­rich­ten kann, die der Pries­ter nicht weiß. Des­halb wäre es…«

Un­ge­hal­ten un­ter­brach Ni­ko­laus von Frei­berg Lu­tol­dus.

»Von mir aus, aber er wird tun, was ich von ihm ver­langt habe. Und Euch so­wie Eu­ren Man­nen täte ein Abend­ge­bet auch sehr gut. Ihr seid herz­lich ein­ge­la­den und könnt auch dem an­schlie­ßen­den Ge­spräch bei­woh­nen.«

Ge­hor­sam schlich Jobst ums Pferd und reih­te sich ganz hin­ten in die Pro­zes­si­on ein. Die Män­ner des Trupps hin­ge­gen mach­ten un­be­schreib­li­che Ge­sich­ter. Ih­nen hat­te der Sinn nach ei­nem herz­haf­ten Abend­es­sen und ei­nem großen Krug Bier ge­stan­den. Nicht nach Ge­sän­gen und dem He­r­un­ter­ras­seln von Va­terun­sern.

»Die Pfer­de kann ja ei­ner von euch zum Stall­knecht brin­gen. Kommt, es wird Eu­rer See­le gut tun«, rief der Kom­tur über die Schul­ter.

Lu­tol­dus und sei­ne Män­ner wag­ten es nicht, die Auf­for­de­rung aus­zu­schla­gen und der, der die Pfer­de über­nahm, wur­de mit nei­di­schen Bli­cken be­dacht. Zum Glück konn­ten sie das zu ei­nem laut­lo­sen La­chen ver­zo­ge­ne Ge­sicht des Kom­turs nicht se­hen, der sehr wohl wuss­te, was die Män­ner dach­ten. Der Wi­der­spruch des Rit­ters hat­te ihn aber ver­är­gert und er woll­te auch gleich klar­stel­len, wer im Kom­mend das Sa­gen hat­te.

Nach den li­tur­gi­schen Ge­sän­gen, Ge­be­ten und dem Se­gen zo­gen die Or­dens­brü­der als ers­te aus der Kir­che aus.

Ni­ko­laus von Frei­berg war­te­te vor dem Ein­gang auf Jobst und die an­de­ren und sprach Rit­ter Lu­tol­dus an:

»Ich habe der Kü­che An­wei­sung ge­ge­ben, ein gu­tes Mahl für Euch be­reit­zu­stel­len. Auch an or­dent­li­chen Ge­trän­ken wird es nicht feh­len«, setz­te er mit schel­mi­schem Lä­cheln hin­zu. »Folgt Bru­der Bal­zer hier, er wird Euch füh­ren.«

Alle wand­ten sich dem Halb­kreuz­ler zu, der ne­ben dem Kom­tur stand, doch von Frei­berg hielt Lu­tol­dus auf.

»Ihr nicht, Rit­ter ...?«, fra­gend sah er ihn an.

»Lu­tol­dus von Metsch.«

»Ahh, der Ver­mitt­ler. Ich bin er­freut Euch ken­nen­zu­ler­nen.« Ni­ko­laus von Frei­berg deu­te­te eine Ver­beu­gung an und fuhr fort: »Ich hat­te noch nicht das Ver­gnü­gen Eure Be­kannt­schaft zu ma­chen, aber alle lo­ben Euch in den höchs­ten Tö­nen. Vor­hin nahm ich an, Ihr ge­hört zu den Män­nern des Hau­ses Lob­de­burg, wes­halb ich auch et­was barsch re­agier­te. Seit die Her­ren heu­te Nach­mit­tag an­ka­men, muss ich mich ge­gen Be­schul­di­gun­gen ver­tei­di­gen. Es hört sich ge­ra­de so an, als hät­te ich selbst Vor­werk und Dorf an­ge­zün­det.«

Hän­de­rei­bend lä­chel­te er Lu­tol­dus of­fen an.

»Sehr schön, das passt doch gut. Wir hat­ten viel­leicht einen schlech­ten Be­ginn, aber ich den­ke, das wird sich gleich än­dern.«

Er griff nach hin­ten und zog den war­ten­den Jobst nach vor­ne.

»Ich lade Euch ein, in mei­nen Räu­men ein or­dent­li­ches Abend­es­sen ein­zu­neh­men und dann wer­den wir uns von un­se­rem Pil­ger hier«, er klopf­te Jobst freund­schaft­lich auf die Schul­ter, »ein paar Rei­se­er­leb­nis­se zum Bes­ten ge­ben las­sen.«

»Ich dach­te, es gibt Wich­ti­ge­res zu be­spre­chen, Herr«, warf der über­rum­pel­te Lu­tol­dus ein.

»Dazu ist in den nächs­ten Ta­gen noch ge­nü­gend Zeit. Vor al­lem soll­ten alle Par­tei­en da­bei an­we­send sein, sonst gibt es wie­der neu­es Ge­ze­ter. Au­ßer­dem las­se ich mir nicht nach­re­den, dass ich un­se­ren Ver­mitt­ler schlecht be­han­delt habe.«

Schon mit den letz­ten Wor­ten setz­te sich der Kom­tur in Be­we­gung und Lu­tol­dus blieb nichts an­de­res üb­rig, als ihm zu fol­gen.

 

Wie im­mer war Jobst ge­bannt von der Aus­strah­lung der Or­dens­rit­ter. Dazu trug si­cher auch die Tracht bei. Selbst wenn es sich im Mo­ment um eine zi­vi­le ohne Ket­ten­hemd und Schwert han­del­te. Der we­hen­de wei­ße Um­hang mit dem auf­ge­näh­ten schwar­zen Kreuz. Dar­un­ter die schwar­ze Tu­ni­ka, zu­sam­men­ge­rafft von ei­nem brei­ten Le­der­gür­tel, an dem aber we­gen des Kir­chen­be­su­ches kein Schwert hing. Die eben­falls wei­ße Kap­pe über dem wet­ter­ge­gerb­ten Ge­sicht des Kom­turs stand im kras­sen Kon­trast zu sei­nem tief­schwar­zen, dich­ten Voll­bart. Nur der An­satz des kurz­ge­scho­re­nen Haupt­haa­res war im Ge­nick und an den Schlä­fen zu se­hen. Al­les Wei­te­re war bei Ni­ko­laus von Frei­berg sau­ber ab­ra­siert. Kraft- und schwung­voll, wie er jetzt vor­an­schritt, wirk­te er ju­gend­lich und hat­te doch schon fast die die 50 er­reicht. Män­ner aus Bo­dschwicz lie­fen, wenn sie über­haupt so alt wur­den, meist ge­beugt von der schwe­ren Ar­beit und wirk­ten müde von der Last der Jah­re.

Der Blick des jun­gen Bas­tards hat­te sich ver­klärt und sein Herz schlug schnel­ler. Die­ser Ge­samtein­druck war es, der ihn auch im­mer bei Rit­ter Si­mon von Ber­gen an­ge­rührt hat­te. Aus die­sem Grund war schon in sei­nem jun­gen Her­zen der Wunsch ent­stan­den da­zu­zu­ge­hö­ren. Viel­leicht war ja doch noch nicht al­les ver­lo­ren und er könn­te we­nigs­tens als un­ter­ge­ord­ne­tes Mit­glied die­sem er­le­se­nen Kreis bei­tre­ten.

Im­mer noch den Klang der tie­fen, kraft­vol­len Män­ner­stim­men im Ohr, mit de­nen die Or­dens­brü­der beim Sin­gen der Li­tur­gie, das Kir­chen­schiff aus­ge­füllt hat­ten, folg­te er in auf­ge­hell­ter Stim­mung den bei­den Män­nern.

 

Als sie das Haus des Kom­turs be­tra­ten, wur­de ge­ra­de die Ta­fel ein­ge­deckt. Große Krü­ge mit Bier stan­den schon be­reit. Eine Ka­raf­fe mit Wein und eine mit Was­ser für den Kom­tur am Kopf­en­de der Ta­fel so­wie ein Laib Brot wa­ren auch schon da, doch al­les Wei­te­re wür­de noch ein biss­chen dau­ern, da die Kü­che so­eben erst die An­for­de­rung er­hal­ten hat­te.

Von Frei­berg bat Lu­tol­dus rechts ne­ben ihm Platz zu neh­men und for­der­te auch Jobst, der an der Tür ste­hen ge­blie­ben war, auf, sich zu ih­nen zu ge­sel­len. Da er wuss­te, dass sich das ei­gent­lich für einen wie ihn nicht ge­hör­te, schlich Jobst mög­lichst un­schein­bar wir­kend zum Tisch und ließ sich in ei­ni­gem Ab­stand von den bei­den Män­nern nie­der.

»Hier her, sonst musst du nach­her ja fast schrei­en, da­mit wir dei­nen Be­richt ver­ste­hen kön­nen«, sag­te Ni­ko­laus von Frei­berg barsch und wies auf den zwei­ten Stuhl links von sich.

Mit bis zum Hals klop­fen­den Her­zen und ein­ge­zo­ge­nem Kopf schob sich Jobst auf den an­ge­wie­se­nen Stuhl. Lu­tol­dus schi­en auch nicht ganz mit die­ser An­wei­sung ein­ver­stan­den zu sein, doch der Kom­tur war der Herr des Hau­ses und die Ge­pflo­gen­hei­ten des Or­dens wa­ren ihm un­be­kannt, wes­halb er sei­ne Miss­bil­li­gung nur mit ver­stei­ner­te Mie­ne zum Aus­druck brach­te.

»Ihr seid si­cher sehr durs­tig nach dem lan­gen Ritt, also trinkt erst ein­mal einen Schluck, bis das Es­sen kommt«, for­der­te von Frei­berg sei­ne Gäs­te auf.

Lu­tol­dus be­dank­te sich und griff so­fort nach ei­nem der Bier­krü­ge, doch Jobst rühr­te sich nicht. Auch ohne den ste­chen­den Blick des Rit­ters von Metsch hät­te er es nicht ge­wagt, zu­gleich mit dem Rit­ter Bier zu trin­ken.

Der Kom­tur hat­te in­zwi­schen in ei­nem Be­cher Wein mit Was­ser ver­dünnt und setz­te ihn an die Lip­pen, als er den reg­los da­sit­zen­den Jobst be­merk­te.

»Was ist, hast du kei­nen Durst?«, frag­te er und setz­te den Be­cher ohne zu trin­ken wie­der ab.

Mit Schweiß auf der Stirn und eis­kal­ten Hän­den schüt­tel­te Jobst den Kopf und brach­te nur ein Kräch­zen he­r­aus.

Nach ei­nem kur­zen Blick auf Rit­ter Lu­tol­dus von Metsch schlug der Kom­tur mit der fla­chen Hand auf den Tisch, so­dass die Krü­ge wa­ckel­ten.

»Hört zu, mir steht nicht der Sinn nach so ei­nem Ge­ha­be und ich wer­de das jetzt nur ein­mal sa­gen.« Lu­tol­dus setz­te er­schro­cken den Krug ab und Jobst sank noch mehr in sich zu­sam­men. »An die­sem Tisch spei­sen und trin­ken alle ohne Wer­tung des Ran­ges mit­ein­an­der! Beim Ein­tritt in den Or­den muss je­der ge­lo­ben, die Or­dens­re­geln be­din­gungs­los zu be­fol­gen und beim Ge­bot der Keusch­heit, des Ge­hor­sams und der Ar­mut heißt es: In die­sen drei Din­gen - Keusch­heit, Ge­hor­sam und ohne Ei­gen­tum zu le­ben - liegt die Kraft die­ser Re­gel, so­dass sie so un­ver­än­dert bleibt, dass nicht ein­mal dem Meis­ter des Or­dens die Ge­walt zu­kommt, je­man­dem die Er­laub­nis zu ge­ben, von die­sen drei Din­gen ab­zu­se­hen. Bricht man ei­nes, so wäre wohl die gan­ze Re­gel ge­bro­chen.«

Ni­ko­laus von Frei­berg sah Rit­ter Lu­tol­dus mit feu­ri­gen Au­gen an.

»Also nichts er­hebt mich über einen an­de­ren an die­sem Tisch. Nur in der Füh­rung der Kom­men­de ste­he ich über mei­nen Brü­dern und Au­ßen­ste­hen­de. Das be­trifft aber kei­ne per­sön­li­chen Be­find­lich­kei­ten. Ob ich von Adel bin oder nicht, spielt an die­sem Tisch kei­ne Rol­le. Das be­trifft – wenn das viel­leicht auch manch an­de­rer im Or­den an­ders sieht – auch alle mei­ne Gäs­te, so­lan­ge ich der Kom­men­de hier vor­ste­he.«

Der Kom­tur streck­te sich und leg­te sei­ne lin­ke Hand auf die zit­tern­de von Jobst.

»Die­ser jun­ge Mann hier hat eine um­fang­rei­che Aus­bil­dung bei Si­mon von Ber­gen ge­nos­sen. Das weiß ich, weil ich dar­über stän­dig un­ter­rich­tet wur­de, da es von Ber­gens Wunsch war, ihn als Sa­ri­ant­bru­der auf­zu­neh­men. Jobst hat sich, ohne dass es schon not­wen­dig ge­we­sen wäre, streng an die Or­dens­re­geln ge­hal­ten.«

Der fra­gen­de Blick des Kom­turs such­te die Be­stä­ti­gung in den Au­gen von Jobst, was auch von die­sem um­ge­hend mit ei­nem leich­ten Ni­cken be­stä­tigt wur­de.

Freund­lich lä­chelnd drück­te Ni­ko­laus von Frei­berg des­sen Hand und wand­te sich Lu­tol­dus von Metsch wie­der zu.

»Er hat man­chem hoch­wohl­ge­bo­re­nen Mann ei­ni­ges vor­aus. Sei­en es sei­ne geis­ti­ge oder kämp­fe­ri­sche Fer­tig­kei­ten, in al­lem hat er sich nach Aus­sa­gen Rit­ter Si­mon von Ber­gens stets her­vor­ge­tan. Auch die ab­sol­vier­te Pil­ger­rei­se un­ter­streicht das noch ein­mal. Nach mei­nem Er­mes­sen steht ei­ner Auf­nah­me in den Or­den auch nichts mehr im Wege. Ein­zig die Er­eig­nis­se um das Vor­werk wer­den es ver­zö­gern, denn erst nach Ab­schluss der Ver­hand­lun­gen wer­de ich mich da­mit be­schäf­ti­gen kön­nen.«

Noch ein­mal drück­te der Kom­tur die Hand des jun­gen Man­nes und lehn­te sich dann mit sei­nem Glas in der Hand zu­rück. Er sah von ei­nem zum an­de­ren, hob es und lä­chel­te dem ver­le­gen drein­schau­en­den Jobst zu.

»In die­sem Sin­ne möch­te ich mit Euch an­sto­ßen und hof­fe auf eine bes­se­re Stim­mung für den rest­li­chen Abend.«

»Herr, erst nach ei­ner Beich­te und ei­nem ab­schlie­ßen­den Se­gen sehe ich mei­ne Rei­se als be­en­det an. Ich möch­te des­halb heu­te Abend noch bei Was­ser und Brot blei­ben, was ich auch zum größ­ten Teil auf der Pil­ger­rei­se zu mir nahm.«

Mit hei­ßen Wan­gen und zit­tern­der Stim­me hat­te Jobst sich zu Wort ge­mel­det und erst jetzt wag­te er, den Blick von sei­nen Hän­den zu lö­sen und den Kom­tur of­fen an­zu­se­hen.

»So soll es sein.« Ni­ko­laus von Frei­berg goss Was­ser in einen Be­cher und reich­te ihn dem jun­gen Mann. »Pries­ter­bru­der Lo­renzt soll mor­gen dei­nen Wunsch er­fül­len und jetzt trink!«

In ei­nem Zug leer­te der Kom­tur sei­nen Be­cher und stell­te ihn nach ei­nem tie­fen Atem­zug ge­räusch­voll auf den Tisch.

Schmun­zelnd be­merk­te er, dass auch Lu­tol­dus einen tie­fen Zug aus sei­nem Bier­krug mach­te. Die ver­stei­ner­te Mie­ne zeig­te aber des­sen Miss­be­ha­gen an, wel­ches sich je­doch zum großen Teil ver­flüch­tig­te, nach­dem er die Spei­sen sah, die in die­sem Mo­ment auf den Tisch ge­stellt wur­den.

Eine große Plat­te mit kal­tem Fleisch von Schwein und Wild, in Schei­ben ge­schnit­ten und mit Ge­mü­se gar­niert, But­ter und aus­ge­las­se­nes Fett zum Be­strei­chen des Bro­t­es so­wie ein Schäl­chen Salz und ei­nes mit ei­ner Meer­ret­tich­pas­te zum Wür­zen. Auch eine große Scha­le mit Obst fehl­te nicht und Ni­ko­laus von Frei­berg selbst schnitt kräf­ti­ge Schei­ben des fri­schen Bro­t­es ab.

Hung­rig, wie er war, griff Lu­tol­dus aus­gie­big zu, wo­bei sich sei­ne Stim­mung zu­se­hends bes­ser­te. Auch Jobst wag­te es, nach an­fäng­li­chem Zö­gern, große Bis­sen vom dar­ge­bo­te­nen Brot zu neh­men. Al­les gute Zu­re­den des Kom­turs konn­te ihn aber nicht zu be­we­gen, Fett oder But­ter dar­auf zu strei­chen, wes­halb er es mit Was­ser hi­n­un­ter spül­te.

Für kur­ze Zeit um­fing Schwei­gen die Män­ner und der Kom­tur, der schon zu Abend ge­ges­sen hat­te, be­ob­ach­te­te mit dem Be­cher in der Hand sei­ne Gäs­te. Erst als alle ge­sät­tigt wa­ren und Rit­ter Lu­tol­dus mit ver­söhn­li­chem Ge­sichts­aus­druck große Schlu­cke aus dem Bier­krug nahm, brach der Kom­tur das Schwei­gen.

»Nun, Herr Rit­ter, wie kommt es, dass Ihr die Ver­mitt­lung in die­ser An­ge­le­gen­heit über­nom­men habt«, frag­te er, um den Edel­mann nicht wie­der zu krän­ken, in­dem er Jobst gleich um den er­hoff­ten Rei­se­be­richt bat.

»Ich hielt mich in ei­nem un­se­rer Gü­ter auf, das zum Ge­biet Vogt Hein­rich II ge­hört, und traf dort auf den Reu­ßen. Er be­rich­te­te mir von dem Vor­fall und wir er­gin­gen uns aus­gie­big über die Um­stän­de. Nach ei­ni­gen Krü­gen Bier ver­fiel er auf den Ge­dan­ken, mei­ne Mit­wir­kung zu er­bit­ten und ich konn­te mich dem schlecht ent­zie­hen«, ant­wor­te­te Lu­tol­dus sach­lich.

»Dies er­scheint mir auch als au­ßer­or­dent­lich klug ge­wählt, Herr von Metsch. Mir ist sehr wohl be­kannt, wie ver­mö­gend und reich an Be­sit­zun­gen Ihre Fa­mi­lie ist. Die Ver­bin­dun­gen Ih­rer Fa­mi­lie zum Kaiser­hof sind wohl be­kannt. Ihr Wort hat Ge­wicht im böh­mi­schen so­wie im rö­misch-deut­schen-Kö­nig­reich. Selbst der Or­den, der sich nur der Kir­che – dem Papst – ver­pflich­tet fühlt, hat Ihre Mit­wir­kung vor­be­halt­los an­ge­nom­men.«

Lu­tol­dus setz­te eine selbst­ge­fäl­li­ge Mie­ne auf, denn Schmei­che­lei­en war er nicht ab­ge­neigt.

»Ja, das …«

Wei­ter kam er nicht, denn in die­sem Mo­ment wur­de die Tür auf­ge­ris­sen und ein atem­lo­ser Halb­kreuz­ler stürm­te he­r­ein.

»Herr«, stieß er nach Luft rin­gend he­r­aus, »die reu­ßi­schen Män­ner sind mit der Lob­de­bur­ger Be­gleit­mann­schaft an­ein­an­der­ge­ra­ten und schla­gen un­se­re Schen­ke kurz und klein.«

Das lau­te Kra­chen des um­ge­fal­le­nen Stuh­les, den der Kom­tur beim Auf­sprin­gen nach hin­ten wegs­tieß, ließ Jobst den Kopf ein­zie­hen.

»Das ist doch …«, wut­ent­brannt hieb Ni­ko­laus von Frei­berg so stark mit der Faust auf den Tisch, dass sein Trink­be­cher um­fiel und die an­de­ren be­denk­lich wa­ckel­ten. »Sind die hoch­wohl­ge­bo­re­nen Her­ren auch mit da­bei?«, frag­te er und wich dem vom Tisch lau­fen­den Be­che­rin­halt aus.

»Nein, mein Herr. Hein­rich der Reu­ße sitzt mit den Or­dens­brü­dern im Rem­ter* bei ei­nem Be­cher Wein zu­sam­men und der Herr von Lob­de­burg hat sich in den ihm zu­ge­wie­se­nen Raum zu­rück­ge­zo­gen, weil er nicht mit Vogt Hein­rich an ei­nem Tisch sit­zen will.«

»Es tritt ein, was ich be­fürch­tet habe, die Her­ren tra­gen all ihre Zwi­s­tig­kei­ten mit in die Kom­men­de.«

Bei die­sen Wor­ten griff der Kom­tur nach sei­nem Schwert, das an der Wand hin­ter ihm lehn­te, und wand­te sich an Lu­tol­dus von Metsch:

»Ent­schul­digt mich bit­te, ich muss die­se Män­ner in ihre Schran­ken wei­sen.«

Ohne den Rit­ter zu Wort kom­men zu las­sen, gab er dem Halb­kreuz­ler An­wei­sun­gen:

»Geh zu den ho­hen Her­ren und bit­te sie höf­lich zur Schen­ke.

---ENDE DER LESEPROBE---