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Im Jahr 1333 war die Annektierung Thüringens und Sachsens durch fränkischen Adel und Ministerialen des Kaisers Geschichte. Bedeutende Geschlechter bemühten sich, ihren Einflussbereich zu erweitern. Die Wettiner waren, nach anfänglichen internen Machtkämpfen, besonders erfolgreich und besaßen mittlerweile die Markgrafschaft Meißen und Landgrafschaft Thüringen. Die Grafen Schwarzburg, Weimar-Orlamünde, Lobdeburg und die Vögte von Gera / Greiz / Plauen stellten jedoch ernstzunehmende Konkurrenten dar. Bündnisse wurden geschlossen und gebrochen. Territoriale Machtkämpfe offen und verdeckt ausgefochten. Der Deutschritterorden erhielt in diesem Gebiet Schenkungen und die bedeutendste Kommende befand sich in Plauen. Diese Konstellation bildet den Hintergrund zur fiktiven Geschichte um Jobst von Wüstenteich. Jobst ist ein Bastard, der über seine Abstammung erst im Laufe der Handlung mehr erfährt. Er wächst in einem der wenigen noch rein slawischen Dörfer und einem Vorwerk des Deutschritterordens auf. Sein Vater ist ein ehemaliger Deutschritter, der die Ordensregeln gebrochen hat und deshalb zum Halbkreuzler wurde. Diese sehr milde Bestrafung seiner Vergehen begründet sich in seiner Herkunft, über die nur wenige Näheres wissen. Als bekannt wird, wer sein Vater ist, kommt es zu Konflikten, bei denen sein Halbbruder umkommt. Jobst, dem eine Teilschuld zugewiesen wird, unternimmt stellvertretend für seinen mittlerweile alten Vater eine Pilgerreise nach Santiago de Compostela. Nach seiner Rückkehr findet er nur Schutt und Asche vor. Diese Geschichte ist als fiktives intrigantes Vorspiel zum Thüringer Grafenkrieg (1342-1346) gedacht. Beteiligt daran waren die Grafen von Schwarzburg, Weimar-Orlamünde und Hohnstein, sowie die Vögte von Gera und Plauen gegen Friedrich den Ersthaften (Thüringer Landgraf und Markgraf von Meißen). Die Grafen Lobdeburg waren verwandtschaftlich mit einigen dieser Linien verbunden und immer wieder in territoriale Streitigkeiten verwickelt, durch die ihr Einfluss zunehmend schwand. Im damals umstrittenen Grenzgebiet der Herren Lobdeburg zu Elsterberg und Heinrich dem Reußen zu Greiz liegt die Flur Wüstenteich an einer alten Handelsverbindung, die von der Talquerung bei Elsterberg nach Weida / Gera führte.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Joachim R. Steudel
Jobst von Wüstenteich
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Cover
Titel
Hinweise zur Navigation
Karte der Herrschaftsgebiete
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Die Wüstung am Teich
Kapitel 2
In der Kommende zu Plauen
Kapitel 3
Beginn der Wallfahrt
Kapitel 4
Erste Gespräche
Kapitel 5
Rätselhafte Vergangenheit
Kapitel 6
Heuernte mit Folgen
Kapitel 7
Furcht vor Unbekanntem
Kapitel 8
Erste Anhaltspunkte
Kapitel 9
Am Ziel und zurück
Kapitel 10
Väter und Söhne
Kapitel 11
Auf bekannten Wegen
Kapitel 12
Nichts bleibt wie es war
Kapitel 13
Vom Regen in die Traufe, oder?
Glossar und Nachwort
Pilgerweg von Jobst
Impressum
Buchliste
Kapitel 1
Im Jahre des Herrn 1333 verfolgte ein kleiner Trupp Reiter im umstrittenen Grenzgebiet des Vogtes zu Greiz und der Herrschaft Lobdeburg* zu Elsterberg, wie ein junger Mann voller Wut mit verkohlten Palisadenüberresten um sich warf. Mit ungläubigem Staunen brachten sie ihre Pferde zum Stehen und beobachteten das Treiben. Sie waren auf dem Weg nach Plauen und wollten sich ein Bild von der Wüstung* am Teiche machen. Der Anführer, Lutoldus von Metsch*, hatte auf Bitten Vogt Heinrich II* von Plauen zu Greiz, genannt der Reuße, diesen Auftrag übernommen, um als unabhängiger Vermittler die Umstände mit aufzuklären. Da diese Angelegenheit drei Parteien betraf, die in der Landesentwicklung eine erhebliche Rolle spielten, waren auch übergeordnete kaiserliche sowie kirchliche Interessen betroffen. Der Plauener Komtur des Deutschritter-Ordens*, dem diese Wüstung als Vorwerk* zugeordnet war, hatte geklagt, weil er Streitigkeiten der beiden anderen Parteien als Grund vermutete. Ritter Lutoldus war begütert und geachtet bis in die höchsten Kreise und sein Wort würde Gewicht haben, weswegen alle seine Vermittlerrolle akzeptierten.
Inzwischen hatte sich das wutentbrannte Gezeter des jungen Mannes in lautes Schluchzen verwandelt. Er war mit dem Rücken zu den Reitern auf die Knie gesunken und barg den Kopf in seinen rußverschmierten Händen. Lutoldus stieg vom Pferd und gab seinen Begleitern mit Zeichen zu verstehen, dass sie sich bereithalten, aber leise sein sollten. Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, näherte sich der Ritter dem mit sich selbst beschäftigten Mann. Erst wenige Schritte vor seinem Ziel ließ Lutoldus alle Achtsamkeit fallen und sprang auf sein Opfer zu. Der junge Mann schnellte hoch, konnte aber die Umklammerung nicht mehr verhindern. Der Ritter hatte die Reaktion des Mannes jedoch falsch eingeschätzt, denn dieser war kein eingeschüchtertes Opfer, das sich widerstandslos gefangen nehmen ließ. Ohne zu zögern, trat er nach hinten gegen das rechte Knie seines Häschers und als sich dadurch der Griff des Ritters ein wenig lockerte, schlüpfte der schmächtige Körper, gewandt wie eine Katze, aus dessen Armen. Kaum frei, hetzte er, ohne sich auch nur einmal umzusehen, mit großen Sprüngen in Richtung Wald. Dieses bedachte Handeln verwirrte Lutoldus so sehr, dass er, sein Knie reibend, auf der Stelle verharrte. Seine Mannen reagierten aber schnell, trieben ihre Pferde an und noch vor den ersten Bäumen sprang einer der Verfolger, mitten im Galopp vom Pferd und begrub den Flüchtenden unter sich.
Der Sturz war heftig, der Schmerzenslaut durchdringend und mit ihm erlahmte auch der Widerstand. Das jetzt kraftlose Opfer wurde an den Haaren emporgezogen und bekam eine schallende Ohrfeige.
Zur nächsten ausholend, fuhr der Fänger das Häuflein Elend an:
»Nach meinem Herrn zu treten wird dir noch schlecht bekommen!«
»Lass gut sein, Barthel* und bring ihn her«, rief Lutoldus, doch dass der Handrücken die andere Wange traf, ließ sich nicht mehr verhindern.
Missmutig schnaufend kam Barthel der Anweisung nach. Der eiserne Griff um den Oberarm des Gefangenen wäre aber gar nicht mehr nötig gewesen, denn dieser hatte jeden Gedanken an Flucht aufgegeben, da die anderen Reiter um ihn herum dies schnell vereitelt hätten. Leicht gekrümmt und humpelnd lief er neben seinem Fänger her.
Beim Ritter angekommen, wurde er zu Boden gestoßen und blieb einfach kraftlos liegen. Die instinktive Flucht war gescheitert, und da sich anscheinend alles gegen ihn verschworen zu haben schien, war jeder Lebensmut aus ihm gewichen.
»Wie heißt du?«, fragte Lutoldus.
Der zusammengekrümmte Mann reagierte in keiner Weise, woraufhin Barthel ihn leicht in die Seite trat.
Beschwichtigend hob Lutoldus die Hand und ging in die Hocke.
»Wir können das auf eine vernünftige Art zu Ende bringen, oder ich lasse Barthel freie Hand, der dann schon die gewünschten Antworten aus dir herausbringen wird.«
Barthel schien dieser Aufgabe nicht abgeneigt zu sein, denn ein höhnischer Zug umspielte seine Lippen. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch von der großen Brandnarbe, die vom Hals über einen Teil der rechten Wange bis zum oberen Teil des verstümmelten Ohrs reichte. Der Mann am Boden sah das aus den Augenwinkeln und hob sein rußverschmiertes Gesicht.
»Jobst*«, knurrte er verdrossen.
»Wessen Sohn bist du?«
»Der Mann meiner Mutter war Bodric aus Bodschwicz*«, antwortete er und verzog das Gesicht, als wäre ihm die Erwähnung schmerzlich.
»Jobst, Sohn von Bodric«, wiederholte Lutoldus und setzte sich ins Gras, da sein Knie noch vom Tritt schmerzte. »Was für eine seltsame Namensfolge. Jobst passt doch gar nicht zum slawischen Bodric.«
»Das ist so, weil ich ein Bastard bin und mein Erzeuger«, er hatte dieses Wort regelrecht ausgespien, »kein Slawe ist.«
Nachdenklich rieb sich der Ritter sein Knie.
»Bodric … War nicht ein Bodric der Dorfvorsteher dort drüben?«
Mit der Rechten deutete er bei diesen Worten auf die Blockhausüberreste jenseits des Weges.
»Ja, mein Va…« Jobst stockte kurz. »Der Mann meiner Mutter ist«, wieder unterbrach er sich und blickte auf die Überreste des Dorfes, »war der Dorfvorsteher dort.«
»Wo sind die Dorfbewohner jetzt und was weißt du über den Brand?«
»Nichts weiß ich. Und wenn ich etwas wüsste, würde mir das auch nicht mehr helfen. Alles, was ich mir erträumte und was mir versprochen war, ist verloren. Alles, was ich in meinem Leben und vor allen in diesem Jahr tat, war umsonst. Macht doch mit mir, was Ihr wollt. Am besten Ihr erschlagt mich gleich hier, dann habe ich es wenigstens hinter mir.«
Bei den ersten trotzigen Worten dieser Antwort wollte Zorn in Lutoldus aufsteigen, doch nachdem er die Leere in den Augen seines Gegenübers sah, bevor der junge Mann seinen Kopf senkte, verrauchte diese Aufwallung gleich wieder. Eine kleine Zurechtweisung musste aber sein, schon um seine Stellung zu wahren.
»Sprich vernünftig mit mir, du Tagedieb, denn ich bin nicht irgendein Lümmel aus deinem Dorfe«, knurrte Lutoldus und griff unter das Kinn von Jobst, um dessen Kopf zu heben. »Und weiche meinem Blick nicht aus, denn ich will sehen, ob die Antwort ehrlich ist.«
Der Ritter lehnte sich etwas zurück, streckte das Bein und rieb wieder sein schmerzendes Knie.
»Für einen Bauern hast du sehr beherzt reagiert«, sagte er aus seinen Gedanken heraus, ohne eine Antwort zu erwarten. Bevor er jedoch fortfahren konnte, erwiderte Jobst mit Selbstbewusstsein:
»Ich bin kein einfacher Bauer. Wäre hier nicht alles verwüstet und der Ordensritter Simon von Bergen* anwesend, könnte er Euch sagen, dass ich sein Schüler war und er mir in Aussicht gestellt hat, nach Abschluss meiner Pilgerreise Sariantbruder* des Ordens zu werden.«
Ritter Lutoldus lehnte sich ein wenig zurück, als könne er ihn dadurch besser erkennen, und musterte die abgerissene Gestalt von oben bis unten.
»Du, Sariantbruder des Ordens? Das wird ja immer interessanter. Und was hat es mit dieser Pilgerreise auf sich?«
»Ich war in Santiago de Compostela* und bin heute erst wieder hier angekommen. Im Glauben, fast am Ziel meiner Träume zu sein, bin ich schon in den Nachtstunden aufgebrochen, weil ich es nicht mehr erwarten konnte. Doch vorgefunden habe ich nur Schutt und Asche.«
Die letzten Worte konnte Lutoldus kaum noch verstehen, weil sein Gegenüber wieder den Kopf gesenkt hatte und seine Stimme fast versagte.
Der Ritter musste diese Informationen erst einmal verarbeiten und suchte in Barthels Augen die Bestätigung, dass er sich vielleicht verhört hatte. Der blickte aber genauso erstaunt drein und sich Jobst wieder zuwendend fragte Lutoldus:
»Kannst du das beweisen?«
»Geht dort hin«, Jobst deute auf eine Stelle außerhalb des verwüsteten Vorwerkes. »Ihr werdet im Grase meinen Pilgerstab und die dazugehörige Tasche finden. Außen an der Tasche hängt die Jakobsmuschel, die ich dort bekommen habe und drinnen werdet Ihr die in Santiago de Compostela ausgestellte Indulgentia* finden – die ich nach Vorlage des Geleitbriefes, den Simon von Bergen geschrieben und der Komtur* von Plauen gesiegelt hatte, bekommen habe.«
Jobst wirkte bei diesen Aussagen so selbstsicher, dass keiner der Anwesenden mehr so recht wusste, wie er sich verhalten sollten. Nur der Ritter behielt halbwegs die Fassung und bedeutete Barthel mit einem Wink des Kopfes, dass er die Sachen holen sollte.
Lutoldus musterte Jobst erneut und fragte:
»Für welche Sünden hast du den Ablass bekommen?«
»Nichts, was ich je getan habe, hätte einer Indulgenz bedurft. Die Sünden und Verfehlungen eines Anderen habe ich mit dieser Wallfahrt getilgt, um zu zeigen, dass ich es wert bin, in den Orden aufgenommen zu werden.«
Mit hasserfüllter Stimme und funkelnden Augen hatte Jobst geantwortet. Ritter von Metsch musterte ihn zum wiederholten Male, aber das Äußere des jungen Mannes verwirrte ihn immer wieder.
Seine farblosen Hosen waren die eines slawischen Bauern. Zerschlissen, vor Dreck und Ruß starrend, hätte sie aber keiner dieser Männer mehr angezogen. Das Obergewand sah nicht besser aus und der Umhang, der über die Schultern fiel, hatte auch schon bessere Tage gesehen. Am Stoffgürtel, der um die schmale Taille gewunden war, hing eine kleine Tasche und ein Messer, was Lutoldus vorher gar nicht aufgefallen war. Jobst hatte es immer geschickt mit Arm und Umhang verborgen. Als er merkte, dass der Ritter es entdeckt hatte, verzog er seine Lippen zu einem Schmunzeln, das eine lückenlose Zahnreihe durchblitzen ließ, und schlug den Umhang wieder darüber.
Lutoldus sah ihm tief in die Augen, erwiderte das Schmunzeln und schüttelte leicht den Kopf.
'Was für ein seltsamer Kerl', dachte er. Wenn man sich den dünnen ungepflegten Bart wegdachte, das Gesicht von Ruß und anderem Dreck befreite, käme sicher ein einnehmendes junges Gesicht zum Vorschein. Der muntere Blick der blaugrauen Augen, mit denen Jobst den Ritter jetzt offen ansah, offenbarte Selbstsicherheit, Wissen und innere Stärke. Die Niedergeschlagenheit, die ihn eben noch umfangen hatte, schien wie weggeblasen.
Genau dieser Wechsel der Ausstrahlung machte den jungen Mann aber irgendwie unberechenbar und Lutoldus nahm sich vor, sorgsam vorzugehen.
»Wie alt bist du?«
»Ich bin im letzten Winter zweiundzwanzig Jahre alt geworden.«
Zwölf Jahre jünger, und er hatte anscheinend schon Dinge gesehen, die der Ritter vielleicht nie zu Gesicht bekommen würde.
»Wann bist du zu deiner Wallfahrt aufgebrochen?«
»Fünfzehn Tage vor Walpurgis*«, war die knappe Antwort.
»Dieses Jahres?«, fragte Lutoldus mit hochgezogenen Brauen.
»Ja sicher! Ich hätte es mir nicht leisten können, dort zu überwintern.«
»Aber ich dachte, Santiago de Compostela ist sehr weit im Süden und es fehlen uns nur noch zehn Tage bis Martini*.«
Jobst merkte, dass er dem Ritter einiges an Wissen über die Welt voraushatte, und gewann eine Selbstsicherheit, die er nur selten zeigte.
»Es ist auch sehr weit im Süden«, begann er mit stolzer Stimme. »Als ich Mitte April loslief, hatte ich noch keine Vorstellung von der Entfernung, die ich zurücklegen musste, aber ich wollte es hinter mich bringen und war frohen Mutes. Für den Hinweg brauchte ich sechsundneunzig Tage, obwohl ich fast jeden Tag von früh morgens bis spät abends wanderte. Nachdem ich gebeichtet und den Ablass erhalten hatte, was mich fünf Tage kostete, trat ich den Rückweg an. Aber nicht wieder durch das Gebirge hinter Konstanz, sondern westlich an ihm vorbei, was nicht so kräftezehrend ist. Dennoch benötigte ich auch für den Rückweg achtundneunzig Tage, weil mich Unvorhergesehenes aufhielt.«
Lutoldus strich sich sinnend übers Haupt und setzte zur nächsten Frage an, doch Barthel war mit der Tasche zurück und hielt sie ihm entgegen.
Der Ritter wies sie zurück und sagte:
»Er soll uns den Ablassbrief zeigen.«
Jobst öffnete die überreichte Tasche und entnahm ihr ein Lederfutteral, das er öffnete. Mit spitzen Fingern, um es nicht zu beschmutzen, zog er ein gesiegeltes Dokument heraus, das in lateinische Sprache verfasst war. Es überreichte es dem Ritter und sagte stolz:
»Der Erzbischof selbst hat die Indulgentia ausgestellt, nachdem er den Geleitbrief des Ordens gelesen hatte.«
Lutoldus entrollte das Dokument und betrachtete das unten angehängte Siegel. Ohne den Text zu lesen, rollte er es wieder zusammen und streckte fordernd die Hand nach dem Futteral aus.
Jobst reichte es ihm, fragte aber verunsichert:
»Wollt Ihr es nicht lesen?«
»Keiner hier kann lesen oder schreiben. Wir werden es – wie dich auch – mit nach Plauen* in die Kommende* nehmen und uns dort den Inhalt bestätigen lassen.«
Dass sie ihn mitnehmen wollten, schien Jobst egal zu sein, doch dass der Ritter nicht lesen konnte, erstaunte ihn anscheinend.
»Ihr seid doch ein Ritter und könnt nicht lesen!?«
»Die wenigsten Ritter können das. Auch hochgestellten Herren geht das oftmals ab, also müssen wir uns auf die schriftgelehrten Mönche, Priester und Schreiber verlassen.«
Anscheinend war der junge Mann von anderem ausgegangen, denn die Verwunderung war ihm ins Gesicht geschrieben.
»Aber ich kann es doch auch. Soll ich Euch das Dokument vorlesen?«
Jetzt klappte Lutoldus der Kiefer herunter.
»Du kannst Lesen und Schreiben?«
»Ja, sicher. Gebt her und ich lese Euch den Brief vor.«
Für einen Augenblick war der Ritter versucht, Jobst den Brief wieder auszuhändigen, doch dann schob er das zusammengerollte Dokument ins Futteral und stand auf.
»Nein, du kannst mir sonst was erzählen, was ich aber nicht überprüfen kann. Die Ordensbrüder sollen uns den Inhalt wiedergeben.«
Prüfend blickte er auf die vor ihm kauernde Gestalt.
»Du wirst uns nach Plauen begleiten. Unter Zwang oder freiwillig, was ist dir lieber?«
»Freiwillig, denn hier habe ich nichts, was mich hält«, kam die sofortige Antwort.
»Kann ich mich darauf verlassen?«
»Bei meiner Ehre als Pilger«, kam es stolz über die Lippen von Jobst, als er sich auch erhob.
Lutoldus nickte zufrieden.
»Gut, aber nicht so schmutzstarrend, wie du jetzt bist. Geh dort runter zum Teich und reinige dich, denn du stinkst wie ein Schwein.«
Jobst sah an sich herunter und seine Wangen färbten sich rot.
»Entschuldigt, das ist sonst nicht meine Art, aber ich besitze leider außer der Bruoch* in meiner Tasche nur das, was ich anhabe. Die Kleidung hat auf der langen Reise sehr gelitten und als ich hier ankam, war mir alles egal«, sagte er auf seine schwarzen Hände blickend.
»Dann wasch die Sachen mit und zieh erst mal die Unterhosen aus deiner Tasche an.« Nach einem prüfenden Blick zum Himmel, fügte Lutoldus hinzu. »Die Sonne steht hoch und es ist ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Die Kleidung wird schnell trocknen und du nicht frieren.«
Ritter von Metsch griff nach Barthels Arm und zog in einige Schritte weg.
»Pass auf ihn auf, denn so ganz traue ich ihm noch nicht«, raunte er diesem zu und begab sich zu seinen anderen Begleitern.
Wortlos drehte sich Barthel um und folgte Jobst zum Teich, der sich dort ungeniert entkleidete und ins Wasser stieg.
Lutoldus begutachtete inzwischen mit seinen Männern das verwüstete Vorwerk. Er suchte in den Trümmern nach verwertbaren Spuren und ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen.
Das eigentliche Vorwerk bestand ursprünglich aus einem ansehnlichen Gutshof mit einer kleinen, frei stehenden Kapelle im Schutz eines hohen Palisadenwalles. Nichts von all dem stand mehr. Alles war ein Raub der Flammen geworden. Sicher hatten in der Zwischenzeit auch Bewohner der nächstgelegenen Dörfer Verwertbares geborgen, was der Ritter anhand der auseinandergezogenen Trümmerreste vermutete. Erkennbar war noch die geschlossene Anordnung der vier Gebäude. In der Front, gleich gegenüber dem Palisadentor, das große Wohn- und Wirtschaftsgebäude, das vermutlich nur einen Eingang vom Hof her hatte. Seitlich im rechten Winkel angebaut, die Stallgebäude und auf der Rückseite, ein großes Scheunengebäude mit Tordurchfahrt. Es war also immer nötig gewesen, die Gebäude den Weg rechts an den Palisaden entlang zur Hälfte zu umfahren, um in den Innenhof zu gelangen. Eine kluge Schutzeinrichtung und Lutoldus fragte sich, wie es den Angreifern gelungen war, hier schnell und unbemerkt einzudringen, denn angeblich sollte alles in einer Nacht geschehen sein.
Links vom Palisadendurchgang, nahe der Umwallung, hatte die Kapelle gestanden und eine Lücke zwischen Wohn- und Seitengebäude ließ vermuten, dass hier eine Pforte den kurzen Weg zum Gotteshaus ermöglicht hatte. So wie der Ritter die Deutschherren kannte, war anzunehmen, dass all diese Öffnungen nachts gut verschlossen wurden und auch die eine oder andere Wache am Rundgang auf den Palisaden patrouillierte.
Kopfschüttelnd verließ Lutoldus den inneren Bereich und begutachtete die fünf außerhalb der Palisaden gelegenen Gebäude. Eine Schmiede, noch erkennbar am großen Kamin des Schmiedefeuers, hatte gleich neben dem Palisadentor gestanden, die vier anderen Katen links daneben. Der Platz für die Bewohner des Vorwerks hatte vermutlich nicht mehr ausgereicht, um alle innerhalb der Palisaden unterzubringen.
Nach einiger Zeit wechselte er zu den Resten der Siedlung, die etwa dreihundert Schritt* entfernt auf der anderen Seite des Weges gelegen hatte.
Die Struktur des Runddorfes konnte Lutoldus noch gut erkennen. Der ovale Platz in der Mitte wurde von einem überdachten Brunnen beherrscht, der als einziges unbeschadetes Objekt einen skurrilen Eindruck hinterließ. Die zehn großen slawischen Blockhäuser hatten den Platz hufeisenförmig umschlossen, bestanden aber nur noch aus Aschehaufen, in denen der eine oder andere verkohlte Stamm herausspießte. Selbst die Gartenzäune und Bäume waren zum großen Teil den Flammen zum Opfer gefallen. Nur die Hecke, die das Dorf – bis auf die Öffnung zum Vorwerk hin – umschloss, hatte überdauert.
Hier war einen Monat nach dem Brand allerdings kaum noch Verwertbares zu finden. Der Ritter hatte das auch nicht anders erwartet und brach die Suche nach einiger Zeit ab.
Auf dem Weg hinab zum Teich ließ Lutoldus den Blick schweifen und kam nicht umhin den klug gewählten Standort des Vorwerks zu bewundern. Die Anlage hatte den Handelsweg, der sicher bald noch mehr an Bedeutung gewinnen würde, vollkommen beherrscht.
Aus Richtung Elsterberg kommend, mussten die Benutzer des Weges über den befestigten Damm des großen Teiches der leichten Windung zum Vorwerk hoch folgen. Genau beim Vorwerk beschrieb der Weg einen Bogen und führte dann auf der freien, von Feldern begrenzten Höhe, in Richtung Weida. Durch diese Schleife wurde der Anstieg entschärft und gleichzeitig die Reisenden am Vorwerk vorbeigeführt, was eine sichere Kontrolle gewährleistete. Es war anzunehmen, dass hier einmal Zölle erhoben werden sollten, aber vorerst war nach Kenntnis des Ritters nichts dergleichen geschehen.
Von den Palisaden aus hatte man mit Sicherheit in jeder Richtung den Weg gut im Blick gehabt. Aller Waldwuchs war weit um die Anlage entfernt. Nur in Richtung Osten näherte sich ein kleiner Ausläufer bis auf etwa hundert Schritt. Den Talgrund durchfloss in dieser Richtung ein kleiner Bach, der aus dem großen Teich entsprang. Oberhalb des Teiches lagen Wiesen. Sie waren locker von Laubbäumen bestanden, an denen nur noch vereinzelt Blätter hingen, und zogen sich bis auf etwa fünfzig Schritt an das Slawendorf heran. Die Felder des Dorfes lagen hauptsächlich auf dem Höhenzug.
Beim Teich angekommen, beobachteten die Männer einen sauberen, nackten Jobst beim Waschen seiner Kleidung. Bis zum Bauch im Wasser versuchte der, Ruß und anderen Schmutz heraus zu reiben, was ihm aber nicht vollständig gelingen wollte.
Ritter Lutoldus verfolgte diese Bemühungen immer ungeduldiger, bis er unwirsch ausrief:
»Genug jetzt, wir müssen aufbrechen, sonst sind wir nicht vor Einbruch der Nacht in Plauen.«
Ein bisschen erschrocken ob der harschen Worte, sah Jobst hoch und beeilte sich die Kleidung auszuwringen. Er stieg aus dem Wasser und sah sich unschlüssig um.
Lutoldus ahnte, was ihn beschäftigte und streckte fordernd die Hand aus.
»Gib her, wir hängen die Fetzen zum Trocknen an unsere Sättel und du ziehst deine Bruoch an, damit wir endlich aufbrechen können.«
Wortlos tat Jobst wie ihm geheißen, nahm Stab, Gürtel und Tasche auf und zeigte an, dass er bereit sei.
»Hast du keine Stiefel?«, fragte der Ritter mit gerunzelter Stirn.
»Die sind mir schon vor über einer Woche von den Füßen gefallen und ich laufe seitdem, wie auch vorher schon des Öfteren, barfuß.«
Lutoldus schwang sich in den Sattel und ritt ohne Umschweife auf dem Dammweg in Richtung Moschwitz*.
Auf der Flur der Siedlung zogen die Bauern gerade die Herbstfurche und arbeiteten den ausgebrachten Mist ein. Argwöhnisch beäugten sie den bewaffneten Trupp, der in Richtung Elsterberg zog. Die Zeiten waren unsicher und man musste mit allem rechnen, wenn die hohen Herren unterwegs waren. Ritter Lutoldus machte aber Druck und ging in einen schnellen Trab über, den Jobst auf die Dauer nicht mithalten konnte. Er fiel immer weiter zurück und der Ritter knurrte ungeduldig:
»Barthel, nimm ihn mit auf dein Pferd, wir müssen Boden gut machen.«
Der Angesprochene machte ein verdrießliches Gesicht, da es ihm schon die ganze Zeit nicht gefiel, dass der junge Bastard ihm einiges voraushatte. Lutoldus schloss das Richtige aus der Miene und ließ sich zurückfallen.
»Ach, lass gut sein, mein Pferd ist ohnehin stärker als deins.«
Der zornige Blick, den er Barthel dabei zuwarf, ließ diesen beschämt die Augen senken, aber es war zu spät für eine Reaktion, denn der Ritter griff schon nach unten und hob den abgemagerten Körper mit Leichtigkeit hoch.
»Heilige Jungfrau, du bist ja nur Haut und Knochen«, stieß er erschrocken aus.
»Das ist so, wenn man über Wochen so große Strecken läuft und nur früh und abends das zu sich nimmt, was einem andere aus Gnade geben können.«
Auch wenn er vom schnellen Lauf außer Atem war und sich aus vielerlei Gründen schämte, hatte Jobst mit einer gewissen Würde in der Stimme geantwortet. Beide verfielen in Schweigen und hingen ihren Gedanken nach, was sich auch bis Elsterberg nicht ändern sollte.
Als sie von der Höhe in das Elsterberger Tal hinabritten, ließen sie die Stadt links liegen und warfen nur einen kurzen Blick auf die imposante Burg, die die Lobdeburger Herren hatten bauen lassen. Der Ritt in deren Sichtweite verlief ohne Störung, da die Besatzung von ihren Herren über Ritter Lutoldus von Metsch unterrichtet war. Burckhardt von Lobdeburg* war mit seinem Gefolge schon vor ihnen nach Plauen aufgebrochen, um den Verhandlungen beizuwohnen.
Ritter Lutoldus folgte dem Weg, der diesseits der Elster auf dem Höhenrücken Plauen zustrebte. Eine Flussquerung war nicht notwendig, denn die von Zwickau kommende Via Imperii auf der anderen Seite der Elster war zwar besser ausgebaut, wäre jedoch ein großer Umweg gewesen.
Nach einiger Zeit, als die Pferde dampften und wieder einmal einen ruhigeren Schritt brauchten, brach Lutoldus das Schweigen.
»Vielleicht kannst du uns bei der Aufklärung der Brandumstände helfen. Bist du bereit, mir wahrheitsgetreu zu antworten, auch wenn es dir vielleicht zum Nachteil gereicht?«
»Wie meint Ihr das mit dem 'zum Nachteil gereichen'?«, fragte Jobst argwöhnisch.
»Nun, es könnte sich ja herausstellen, dass du doch etwas mit dem Brand zu tun hast, denn immerhin bist du ein Mitglied der Dorfgemeinschaft.«
»Ich sagte doch schon, ich bin ein Bastard und nur der Mutter nach ein Mitglied des Dorfes«, antwortete er unter trockenem Auflachen. »Außerdem bin ich mir keiner Schuld bewusst und war weit weg in den letzten Monaten. Also fragt.«
»Hmm, gut.«
Der Ritter suchte nach einem günstigen Ausgangspunkt und richtete seinen Blick nach innen, was er aber sofort bereute, als ihm ein kleiner Ast ins Gesicht peitschte.
»Autsch, arg…«, knurrte er und rieb sich die Wange, doch die Richtung der Befragung stand für ihn fest.
»Wo lebtest du? Im Dorf oder im Vorwerk?«
»In beiden, zu fast gleichen Teilen, wobei ich die Nächte immer im Haus meiner Mutter zubrachte«, war die knappe Antwort.
»Erkläre das näher«, sagte Lutoldus ungeduldig und rieb jetzt sein tränendes Auge, das er kaum offen halten konnte.
»Die wahren Gründe erfuhr ich erst kurz vor meiner Pilgerreise, denn keiner hatte sich mir vorher erklärt. Auch dass ich ein Bastard bin, erfuhren die meisten, mich inbegriffen, erst kurz vorher. Der Mann meiner Mutter wusste es, hatte aber mit Simon von Bergen eine Abmachung wegen meiner Erziehung und Ausbildung getroffen. Das lag daran, weil mein Erzeuger ein Halbkreuzler* in besonderer Stellung ist.«
Lutoldus registriert, das Jobst keinen als Vater bezeichnete und besonders alles, was mit seinem richtigen Vater zu tun hatte, mit großer Verachtung aussprach. Währenddessen sprach Jobst weiter und der Ritter bemühte sich, den Faden nicht zu verlieren.
»Von niederem Adel zwar, und ehemals Ordensritter, wurde er nach einigen Verfehlungen zum Halbkreuzler herabgestuft. Das war dem aber gar nicht unrecht, denn jetzt stand es ihm frei, sich eine Frau zu nehmen, was er auch umgehend tat. Vorher hatte er meine Mutter aber beim Beerenpflücken im Wald mit Gewalt genommen. Der Mann meiner Mutter hat bei Simon von Bergen geklagt, woraufhin der gute Ordensritter versuchte, den Schaden einzudämmen. Dem Dorf wurden große Zugeständnisse gemacht, und als sich herausstellte, dass meine Mutter mich in sich trug, auch auf mich ausgedehnt. Deshalb bin ich von klein an viel im Vorwerk gewesen und habe beim Ritter und dem Priester, der mit dort lebte, eine gute Ausbildung bekommen. Lesen und Schreiben, sowie anderes, habe ich bei den beiden gelernt. Kämpfen, den Umgang mit dem Bogen und der Armbrust musste ich bei meinem Erzeuger lernen, weil von Bergen wegen seines abgeschlagenen Armes und fehlenden Auges nicht mein Lehrmeister sein konnte.«
Jobst schluckte vernehmlich und machte eine längere Pause, da ihm die Erinnerungen sehr zu schaffen machten. Als Lutoldus gerade nachhaken wollte, sprach er aber weiter:
»Von den Arbeiten auf den Feldern und Wiesen des Dorfes, Gänse hüten und anderem, war ich aber nicht befreit. Wann immer es nötig war, musste ich da mit zugreifen. Nirgends schien ich richtig dazuzugehören, weshalb ich auch viel Spott ertragen musste. Der Mann meiner Mutter verhielt sich immer sehr halbherzig mir gegenüber, während er meine Halbgeschwister oft innig herzte. Das verstand ich aber erst, als ich erfuhr, dass ich nicht sein Sohn bin. Als Kind hat mich das sehr bedrückt, doch alles, was ich unternahm, um seine Liebe zu erringen, war nicht genug. Jetzt weiß ich, dass er mich doch gern gehabt haben musste, denn obwohl ich nicht sein Fleisch und Blut bin, wurde ich nie geschlagen und anderen gegenüber immer in Schutz genommen. Er hat es sicher auch meiner Mutter zuliebe getan, denn nie sah ich, dass einer achtsamer mit seiner Frau umging als er.«
»Wie hieß … heißt dein Vater«, verbesserte sich Lutoldus hastig und rieb sich wieder das Auge, das immer noch stark tränte.
»Jobsten Deuhlich*« war die ausgespiene Antwort.
»Von Deuhlich«, verbesserte der Ritter.
»Keiner, weder im Vorwerk noch im Dorf, hat ihm je die Herrenehre erwiesen, was ihm auch egal zu sein schien, denn er hat nie darauf beharrt. Ich erfuhr auch erst in diesem Frühjahr, dass er dem Adel angehört.«
Lutoldus fluchte leise vor sich hin, weil er sein tränendes Auge immer noch nicht richtig öffnen konnte, setzte aber die Befragung fort:
»Wie war das Verhältnis zwischen Dorf und Vorwerk sonst? Gab es weitere Streitpunkte?«
»Es gab gar keine Streitpunkte. Auch das was ich eben sagte, war nichts, was das Verhältnis trübte, denn nur Ritter Simon von Bergen, der Mann meiner Mutter, der Priester, mein Erzeuger und meine Mutter wussten davon. Erst in diesem Frühjahr erfuhren es die anderen, doch ich denke nicht, dass es das Verhältnis getrübt hat. Sonst verlief alles sehr friedlich zwischen Bodschwicz und dem Vorwerk, was sicher auch an den Zugeständnissen lag, die Ritter von Bergen wegen der Vergewaltigung gemacht hatte. Die Bewohner leisteten zwar Frondienste, hatten aber auch viel Gutes von dem, was der Orden aufbauen ließ. An den Teichen und der Fischzucht durften sie ebenfalls teilhaben. Auch wenn sie es anfangs nicht verstanden, später waren alle sehr stolz auf die Teiche.«
»Teiche? Ich habe nur den gesehen, in dem du dich gewaschen hast.«
»Ein bisschen oberhalb des großen gab es noch einen kleinen Teich, der zur Aufzucht der Fische da war. Der Priester hat da viel Wissen mitgebracht und das so angeregt. Der große Teich war für mehrere Dinge gut. Das Wichtigste war die Fischhaltung und aufgrund der großen Fläche konnten wir da jedes Jahr einige herausholen. Die sumpfige Talsohle erhielt damit auch eine gute Funktion und mit dem Damm konnte eine gute Wegführung durchs Tal geschaffen werden. Sonst versank jeder Wagen bis zu den Achsen im Dreck und nur in trockenen oder Frostzeiten konnten überhaupt schwer beladene Wagen das Tal queren. Der Ritter prophezeite, dass wir alle einmal davon profitieren würden, wenn der Handel zunähme und öfter Wagen aus Richtung Elsterberg nach Weida oder umgekehrt unterwegs sein würden. Bevor der Damm fertig war, mussten alle einen großen Haken nach Westen und wieder zurück fahren, weil der Weg auf der Höhe trockener ist. Es war auch noch ein weiterer, noch größerer Teich das Tal weiter hinunter geplant. Das Brechen des Schiefers, der zur Befestigung des Dammes gebraucht wird, ist aber eine harte und langwierige Arbeit, weswegen der Bau immer wieder verschoben wurde. Auch einiges an Wald hätte da noch gerodet werden müssen.«
»Mussten die Steine von weit hergeholt werden?«
»Nein, es gibt mehrere Steinbrüche ganz in der Nähe.«
»Warum hat der Ordensritter es dann nicht als Frondienst erzwungen?«
»Simon von Bergen hat nie etwas erzwungen. Er hat die Leute überzeugt, oder wenn das nicht möglich war, gewartet, bis er eine andere Möglichkeit fand, das Gewünschte zu erreichen. Und er hat fast immer bekommen, was er wollte.«
Der junge Mann zeichnete hier ein Bild vom Vorwerk und seinem Verwalter, das keinen Grund erkennen ließ, warum die Dorfbewohner in die Brandschatzung verwickelt sein sollten. Dennoch waren sie allesamt seitdem mit Hab und Gut spurlos verschwunden. Kein Schaf, kein Hund, keine Schüssel oder etwas anderes waren in und um die Brandstelle zu finden. Es schien, als hätten sie alles mitgenommen und ihre Häuser selbst in Brand gesteckt. Beim Vorwerk sah das anders aus. Das war geplündert, aber es waren auch eine Menge zerschlagener Krüge, Schüsseln, ein zerbrochener großer Schleifstein und zerstörte Einrichtungsgegenstände zu finden. All das fehlte beim Dorf, was wieder den Schluss zuließ, dass die Dorfbewohner das Vorwerk geschleift hatten und dann aus Angst vor den Folgen mit all ihren Habseligkeiten den Ort verließen.
Lutoldus Gedanken drehten sich im Kreis. So kam er nicht weiter. Er brauchte einen anderen Anhaltspunkt und mehr Informationen. Er suchte immer noch nach einem neuen Ansatz, als Barthel ihn darauf aufmerksam machte, dass an dem zu querenden Bachlauf eine günstige Stelle zum Tränken der Pferde war.
Alle stiegen ab und führten nacheinander die Tiere ans Wasser. Jobst nutzte die Gelegenheit, um seine inzwischen trockene Kleidung wieder anzulegen und schöpfte oberhalb der Pferdetränke mit seiner Jakobsmuschel Wasser für sich. Das erinnerte den Ritter daran, dass er immer noch nichts über die Hintergründe der Wallfahrt wusste und er gesellte sich zu Jobst.
»Warum musstest du die Pilgerreise antreten und wieso wurde im Frühjahr bekannt, dass der Dorfvorsteher nicht dein Vater ist?«
Jobst ließ sich Zeit mit der Antwort, schöpfte noch einmal Wasser mit der Muschel und trank ohne Hast. Zum einen hatte er versprochen wahrheitsgemäß zu antworten, zum anderen gab es da ein noch viel älteres Versprechen.
»Darüber darf ich Euch ohne Zustimmung des Ordens nichts sagen«, antwortete er schließlich und sah Lutoldus dabei offen in die Augen. »Wenn wir in der Kommende sind und mich der Ritter von Bergen oder der Komtur von diesem Schwur befreit, hole ich das aber gerne nach.«
Lutoldus von Metsch schnaufte missmutig.
»Simon von Bergen k…« Einer plötzlichen Eingebung folgend, brach er ab und sagte: »Aber du hast recht, das besprechen wir im Beisein des Komturs Heinrich von Kurbitz*.«
»Von Kurbitz? Nein, der ist nicht mehr Komtur in Plauen. Seit vier Jahren hat Nikolaus von Freiberg* dieses Amt inne.«
Erst jetzt bemerkte Jobst Lutoldus lauernden Blick und lachte leise auf.
»Ihr traut mir immer noch nicht und denkt, ich bin ein unwissendes Bürschchen. Nun, da irrt Ihr euch aber gewaltig. Ritter Simon hat mich auch in der Ordenshierarchie und allem anderem, was den Orden betrifft, umfangreich unterwiesen. Außerdem hat Komtur Nikolaus von Freiberg mir vor meiner Pilgerreise selbst das Schweigegelübde betreffs der Umstände abgenommen.«
Von Metsch merkte, dass er durchschaut war, und erwiderte das Lachen.
»Gut, gut, aber so wie wir dich vorgefunden haben und wie du auch immer noch aussiehst, ist es schwer, dir den gebildeten Mann abzunehmen. Also wirst du sicher auch verstehen, dass ich dem auf den Grund gehen musste.«
Jobst nickte verstehend, sah kurz zu Boden und begann dann zögernd:
»Darf ich Euch jetzt eine Frage stellen?« Der Ritter nickte. »Was könnt Ihr mir über den Brand sagen?«
Jetzt ließ sich Lutoldus Zeit mit der Antwort und sagt dann sinnend:
»Darüber … möchte ich jetzt nicht mit dir sprechen, denn sonst sind deine Antworten bei der weiteren Befragung vielleicht nicht mehr so hilfreich.«
Jobst schien enttäuscht fragte aber weiter:
»Und wo sind die Bewohner des Vorwerks und von Bodschwicz jetzt?«
»Auch das werde ich dir aus den gleichen Gründen jetzt nicht beantworten. Hast du noch andere Fragen, die nicht mit der Wüstung zusammenhängen?«
Jobst schüttelte enttäuscht den Kopf.
»Gut, dann setzen wir unseren Ritt jetzt fort«, sagte der Ritter und strebte ohne Umschweife den Pferden zu.
Kapitel 2
Kurz vor dem Abendgebet erreichte der Trupp die Kommende. In geordneten Reihen strebten die Ordensmitglieder, geführt vom Komtur, der Ordenskirche zu. Nikolaus von Freiberg musterte die einreitenden Männer und sein Blick blieb an dem jungen Mann mit der abgerissenen Kleidung hängen, der jetzt neben Ritter Lutoldus von Metsch herlief. Die Jakobsmuschel an der Tasche hatte es ihm angetan. Er erinnerte sich und blieb abrupt stehen. Die Männer hinter ihm liefen auf und eine kurze Unordnung entstand.
Er entschuldigte sich bei seinen Brüdern und wandte sich an Jobst:
»Bist du Simon von Bergens Schüler und hast die Wallfahrt nach Santiago de Compostela beendet?«
»Ja Herr«, antwortet Jobst unter einer tiefen Verbeugung.
»Dann muss ich unbedingt mit dir sprechen.«
Fordernd streckte er den Arm aus und fügte hinzu:
»Mit dem Bart und der Aufmachung habe ich dich gar nicht erkannt. Begleite uns zum Abendgebet und anschließend berichtest du mir von deiner Reise.«
Jobst setzte sich in Bewegung, doch Ritter von Metsch trieb sein Pferd an und schnitt ihm den Weg ab. Er wandte sich an den Komtur und sagte unter einer leichten Verbeugung:
»Herr, entschuldigt, aber ich erhoffe mir von dem jungen Mann noch aufschlussreiche Informationen zu Eurem verwüsteten Vorwerk und möchte nicht, dass sie durch neuere Informationen verfälscht werden.«
»Was sollte er darüber denn wissen?«, presste der Komtur ungehalten hervor. »Er kann noch nicht lange zurück sein und der Brand ist schon vor über einem Monat gewesen, als er noch fern des Landes weilte.«
»Aber er ist ein Einwohner von Bodschwicz und kann vielleicht von Dingen berichten, die zu der Katastrophe führten.«
»Das kann der Priesterbruder Lorenzt* auch. Er hält sich auf meinen Wunsch hin noch hier auf und lebte schon dort, als der junge Mann hier, noch nicht geboren war.«
»Aber ich gehe davon aus, dass Jobst Dinge berichten kann, die der Priester nicht weiß. Deshalb wäre es…«
Ungehalten unterbrach Nikolaus von Freiberg Lutoldus.
»Von mir aus, aber er wird tun, was ich von ihm verlangt habe. Und Euch sowie Euren Mannen täte ein Abendgebet auch sehr gut. Ihr seid herzlich eingeladen und könnt auch dem anschließenden Gespräch beiwohnen.«
Gehorsam schlich Jobst ums Pferd und reihte sich ganz hinten in die Prozession ein. Die Männer des Trupps hingegen machten unbeschreibliche Gesichter. Ihnen hatte der Sinn nach einem herzhaften Abendessen und einem großen Krug Bier gestanden. Nicht nach Gesängen und dem Herunterrasseln von Vaterunsern.
»Die Pferde kann ja einer von euch zum Stallknecht bringen. Kommt, es wird Eurer Seele gut tun«, rief der Komtur über die Schulter.
Lutoldus und seine Männer wagten es nicht, die Aufforderung auszuschlagen und der, der die Pferde übernahm, wurde mit neidischen Blicken bedacht. Zum Glück konnten sie das zu einem lautlosen Lachen verzogene Gesicht des Komturs nicht sehen, der sehr wohl wusste, was die Männer dachten. Der Widerspruch des Ritters hatte ihn aber verärgert und er wollte auch gleich klarstellen, wer im Kommend das Sagen hatte.
Nach den liturgischen Gesängen, Gebeten und dem Segen zogen die Ordensbrüder als erste aus der Kirche aus.
Nikolaus von Freiberg wartete vor dem Eingang auf Jobst und die anderen und sprach Ritter Lutoldus an:
»Ich habe der Küche Anweisung gegeben, ein gutes Mahl für Euch bereitzustellen. Auch an ordentlichen Getränken wird es nicht fehlen«, setzte er mit schelmischem Lächeln hinzu. »Folgt Bruder Balzer hier, er wird Euch führen.«
Alle wandten sich dem Halbkreuzler zu, der neben dem Komtur stand, doch von Freiberg hielt Lutoldus auf.
»Ihr nicht, Ritter ...?«, fragend sah er ihn an.
»Lutoldus von Metsch.«
»Ahh, der Vermittler. Ich bin erfreut Euch kennenzulernen.« Nikolaus von Freiberg deutete eine Verbeugung an und fuhr fort: »Ich hatte noch nicht das Vergnügen Eure Bekanntschaft zu machen, aber alle loben Euch in den höchsten Tönen. Vorhin nahm ich an, Ihr gehört zu den Männern des Hauses Lobdeburg, weshalb ich auch etwas barsch reagierte. Seit die Herren heute Nachmittag ankamen, muss ich mich gegen Beschuldigungen verteidigen. Es hört sich gerade so an, als hätte ich selbst Vorwerk und Dorf angezündet.«
Händereibend lächelte er Lutoldus offen an.
»Sehr schön, das passt doch gut. Wir hatten vielleicht einen schlechten Beginn, aber ich denke, das wird sich gleich ändern.«
Er griff nach hinten und zog den wartenden Jobst nach vorne.
»Ich lade Euch ein, in meinen Räumen ein ordentliches Abendessen einzunehmen und dann werden wir uns von unserem Pilger hier«, er klopfte Jobst freundschaftlich auf die Schulter, »ein paar Reiseerlebnisse zum Besten geben lassen.«
»Ich dachte, es gibt Wichtigeres zu besprechen, Herr«, warf der überrumpelte Lutoldus ein.
»Dazu ist in den nächsten Tagen noch genügend Zeit. Vor allem sollten alle Parteien dabei anwesend sein, sonst gibt es wieder neues Gezeter. Außerdem lasse ich mir nicht nachreden, dass ich unseren Vermittler schlecht behandelt habe.«
Schon mit den letzten Worten setzte sich der Komtur in Bewegung und Lutoldus blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Wie immer war Jobst gebannt von der Ausstrahlung der Ordensritter. Dazu trug sicher auch die Tracht bei. Selbst wenn es sich im Moment um eine zivile ohne Kettenhemd und Schwert handelte. Der wehende weiße Umhang mit dem aufgenähten schwarzen Kreuz. Darunter die schwarze Tunika, zusammengerafft von einem breiten Ledergürtel, an dem aber wegen des Kirchenbesuches kein Schwert hing. Die ebenfalls weiße Kappe über dem wettergegerbten Gesicht des Komturs stand im krassen Kontrast zu seinem tiefschwarzen, dichten Vollbart. Nur der Ansatz des kurzgeschorenen Haupthaares war im Genick und an den Schläfen zu sehen. Alles Weitere war bei Nikolaus von Freiberg sauber abrasiert. Kraft- und schwungvoll, wie er jetzt voranschritt, wirkte er jugendlich und hatte doch schon fast die die 50 erreicht. Männer aus Bodschwicz liefen, wenn sie überhaupt so alt wurden, meist gebeugt von der schweren Arbeit und wirkten müde von der Last der Jahre.
Der Blick des jungen Bastards hatte sich verklärt und sein Herz schlug schneller. Dieser Gesamteindruck war es, der ihn auch immer bei Ritter Simon von Bergen angerührt hatte. Aus diesem Grund war schon in seinem jungen Herzen der Wunsch entstanden dazuzugehören. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren und er könnte wenigstens als untergeordnetes Mitglied diesem erlesenen Kreis beitreten.
Immer noch den Klang der tiefen, kraftvollen Männerstimmen im Ohr, mit denen die Ordensbrüder beim Singen der Liturgie, das Kirchenschiff ausgefüllt hatten, folgte er in aufgehellter Stimmung den beiden Männern.
Als sie das Haus des Komturs betraten, wurde gerade die Tafel eingedeckt. Große Krüge mit Bier standen schon bereit. Eine Karaffe mit Wein und eine mit Wasser für den Komtur am Kopfende der Tafel sowie ein Laib Brot waren auch schon da, doch alles Weitere würde noch ein bisschen dauern, da die Küche soeben erst die Anforderung erhalten hatte.
Von Freiberg bat Lutoldus rechts neben ihm Platz zu nehmen und forderte auch Jobst, der an der Tür stehen geblieben war, auf, sich zu ihnen zu gesellen. Da er wusste, dass sich das eigentlich für einen wie ihn nicht gehörte, schlich Jobst möglichst unscheinbar wirkend zum Tisch und ließ sich in einigem Abstand von den beiden Männern nieder.
»Hier her, sonst musst du nachher ja fast schreien, damit wir deinen Bericht verstehen können«, sagte Nikolaus von Freiberg barsch und wies auf den zweiten Stuhl links von sich.
Mit bis zum Hals klopfenden Herzen und eingezogenem Kopf schob sich Jobst auf den angewiesenen Stuhl. Lutoldus schien auch nicht ganz mit dieser Anweisung einverstanden zu sein, doch der Komtur war der Herr des Hauses und die Gepflogenheiten des Ordens waren ihm unbekannt, weshalb er seine Missbilligung nur mit versteinerte Miene zum Ausdruck brachte.
»Ihr seid sicher sehr durstig nach dem langen Ritt, also trinkt erst einmal einen Schluck, bis das Essen kommt«, forderte von Freiberg seine Gäste auf.
Lutoldus bedankte sich und griff sofort nach einem der Bierkrüge, doch Jobst rührte sich nicht. Auch ohne den stechenden Blick des Ritters von Metsch hätte er es nicht gewagt, zugleich mit dem Ritter Bier zu trinken.
Der Komtur hatte inzwischen in einem Becher Wein mit Wasser verdünnt und setzte ihn an die Lippen, als er den reglos dasitzenden Jobst bemerkte.
»Was ist, hast du keinen Durst?«, fragte er und setzte den Becher ohne zu trinken wieder ab.
Mit Schweiß auf der Stirn und eiskalten Händen schüttelte Jobst den Kopf und brachte nur ein Krächzen heraus.
Nach einem kurzen Blick auf Ritter Lutoldus von Metsch schlug der Komtur mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass die Krüge wackelten.
»Hört zu, mir steht nicht der Sinn nach so einem Gehabe und ich werde das jetzt nur einmal sagen.« Lutoldus setzte erschrocken den Krug ab und Jobst sank noch mehr in sich zusammen. »An diesem Tisch speisen und trinken alle ohne Wertung des Ranges miteinander! Beim Eintritt in den Orden muss jeder geloben, die Ordensregeln bedingungslos zu befolgen und beim Gebot der Keuschheit, des Gehorsams und der Armut heißt es: In diesen drei Dingen - Keuschheit, Gehorsam und ohne Eigentum zu leben - liegt die Kraft dieser Regel, sodass sie so unverändert bleibt, dass nicht einmal dem Meister des Ordens die Gewalt zukommt, jemandem die Erlaubnis zu geben, von diesen drei Dingen abzusehen. Bricht man eines, so wäre wohl die ganze Regel gebrochen.«
Nikolaus von Freiberg sah Ritter Lutoldus mit feurigen Augen an.
»Also nichts erhebt mich über einen anderen an diesem Tisch. Nur in der Führung der Kommende stehe ich über meinen Brüdern und Außenstehende. Das betrifft aber keine persönlichen Befindlichkeiten. Ob ich von Adel bin oder nicht, spielt an diesem Tisch keine Rolle. Das betrifft – wenn das vielleicht auch manch anderer im Orden anders sieht – auch alle meine Gäste, solange ich der Kommende hier vorstehe.«
Der Komtur streckte sich und legte seine linke Hand auf die zitternde von Jobst.
»Dieser junge Mann hier hat eine umfangreiche Ausbildung bei Simon von Bergen genossen. Das weiß ich, weil ich darüber ständig unterrichtet wurde, da es von Bergens Wunsch war, ihn als Sariantbruder aufzunehmen. Jobst hat sich, ohne dass es schon notwendig gewesen wäre, streng an die Ordensregeln gehalten.«
Der fragende Blick des Komturs suchte die Bestätigung in den Augen von Jobst, was auch von diesem umgehend mit einem leichten Nicken bestätigt wurde.
Freundlich lächelnd drückte Nikolaus von Freiberg dessen Hand und wandte sich Lutoldus von Metsch wieder zu.
»Er hat manchem hochwohlgeborenen Mann einiges voraus. Seien es seine geistige oder kämpferische Fertigkeiten, in allem hat er sich nach Aussagen Ritter Simon von Bergens stets hervorgetan. Auch die absolvierte Pilgerreise unterstreicht das noch einmal. Nach meinem Ermessen steht einer Aufnahme in den Orden auch nichts mehr im Wege. Einzig die Ereignisse um das Vorwerk werden es verzögern, denn erst nach Abschluss der Verhandlungen werde ich mich damit beschäftigen können.«
Noch einmal drückte der Komtur die Hand des jungen Mannes und lehnte sich dann mit seinem Glas in der Hand zurück. Er sah von einem zum anderen, hob es und lächelte dem verlegen dreinschauenden Jobst zu.
»In diesem Sinne möchte ich mit Euch anstoßen und hoffe auf eine bessere Stimmung für den restlichen Abend.«
»Herr, erst nach einer Beichte und einem abschließenden Segen sehe ich meine Reise als beendet an. Ich möchte deshalb heute Abend noch bei Wasser und Brot bleiben, was ich auch zum größten Teil auf der Pilgerreise zu mir nahm.«
Mit heißen Wangen und zitternder Stimme hatte Jobst sich zu Wort gemeldet und erst jetzt wagte er, den Blick von seinen Händen zu lösen und den Komtur offen anzusehen.
»So soll es sein.« Nikolaus von Freiberg goss Wasser in einen Becher und reichte ihn dem jungen Mann. »Priesterbruder Lorenzt soll morgen deinen Wunsch erfüllen und jetzt trink!«
In einem Zug leerte der Komtur seinen Becher und stellte ihn nach einem tiefen Atemzug geräuschvoll auf den Tisch.
Schmunzelnd bemerkte er, dass auch Lutoldus einen tiefen Zug aus seinem Bierkrug machte. Die versteinerte Miene zeigte aber dessen Missbehagen an, welches sich jedoch zum großen Teil verflüchtigte, nachdem er die Speisen sah, die in diesem Moment auf den Tisch gestellt wurden.
Eine große Platte mit kaltem Fleisch von Schwein und Wild, in Scheiben geschnitten und mit Gemüse garniert, Butter und ausgelassenes Fett zum Bestreichen des Brotes sowie ein Schälchen Salz und eines mit einer Meerrettichpaste zum Würzen. Auch eine große Schale mit Obst fehlte nicht und Nikolaus von Freiberg selbst schnitt kräftige Scheiben des frischen Brotes ab.
Hungrig, wie er war, griff Lutoldus ausgiebig zu, wobei sich seine Stimmung zusehends besserte. Auch Jobst wagte es, nach anfänglichem Zögern, große Bissen vom dargebotenen Brot zu nehmen. Alles gute Zureden des Komturs konnte ihn aber nicht zu bewegen, Fett oder Butter darauf zu streichen, weshalb er es mit Wasser hinunter spülte.
Für kurze Zeit umfing Schweigen die Männer und der Komtur, der schon zu Abend gegessen hatte, beobachtete mit dem Becher in der Hand seine Gäste. Erst als alle gesättigt waren und Ritter Lutoldus mit versöhnlichem Gesichtsausdruck große Schlucke aus dem Bierkrug nahm, brach der Komtur das Schweigen.
»Nun, Herr Ritter, wie kommt es, dass Ihr die Vermittlung in dieser Angelegenheit übernommen habt«, fragte er, um den Edelmann nicht wieder zu kränken, indem er Jobst gleich um den erhofften Reisebericht bat.
»Ich hielt mich in einem unserer Güter auf, das zum Gebiet Vogt Heinrich II gehört, und traf dort auf den Reußen. Er berichtete mir von dem Vorfall und wir ergingen uns ausgiebig über die Umstände. Nach einigen Krügen Bier verfiel er auf den Gedanken, meine Mitwirkung zu erbitten und ich konnte mich dem schlecht entziehen«, antwortete Lutoldus sachlich.
»Dies erscheint mir auch als außerordentlich klug gewählt, Herr von Metsch. Mir ist sehr wohl bekannt, wie vermögend und reich an Besitzungen Ihre Familie ist. Die Verbindungen Ihrer Familie zum Kaiserhof sind wohl bekannt. Ihr Wort hat Gewicht im böhmischen sowie im römisch-deutschen-Königreich. Selbst der Orden, der sich nur der Kirche – dem Papst – verpflichtet fühlt, hat Ihre Mitwirkung vorbehaltlos angenommen.«
Lutoldus setzte eine selbstgefällige Miene auf, denn Schmeicheleien war er nicht abgeneigt.
»Ja, das …«
Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein atemloser Halbkreuzler stürmte herein.
»Herr«, stieß er nach Luft ringend heraus, »die reußischen Männer sind mit der Lobdeburger Begleitmannschaft aneinandergeraten und schlagen unsere Schenke kurz und klein.«
Das laute Krachen des umgefallenen Stuhles, den der Komtur beim Aufspringen nach hinten wegstieß, ließ Jobst den Kopf einziehen.
»Das ist doch …«, wutentbrannt hieb Nikolaus von Freiberg so stark mit der Faust auf den Tisch, dass sein Trinkbecher umfiel und die anderen bedenklich wackelten. »Sind die hochwohlgeborenen Herren auch mit dabei?«, fragte er und wich dem vom Tisch laufenden Becherinhalt aus.
»Nein, mein Herr. Heinrich der Reuße sitzt mit den Ordensbrüdern im Remter* bei einem Becher Wein zusammen und der Herr von Lobdeburg hat sich in den ihm zugewiesenen Raum zurückgezogen, weil er nicht mit Vogt Heinrich an einem Tisch sitzen will.«
»Es tritt ein, was ich befürchtet habe, die Herren tragen all ihre Zwistigkeiten mit in die Kommende.«
Bei diesen Worten griff der Komtur nach seinem Schwert, das an der Wand hinter ihm lehnte, und wandte sich an Lutoldus von Metsch:
»Entschuldigt mich bitte, ich muss diese Männer in ihre Schranken weisen.«
Ohne den Ritter zu Wort kommen zu lassen, gab er dem Halbkreuzler Anweisungen:
»Geh zu den hohen Herren und bitte sie höflich zur Schenke.