John Sinclair 2019 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2019 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Es war so weit. Der Inugami stand kurz vor seiner Geburt.

Bodennebel kroch heran und umfing die Kreatur mit seinen geisterhaften Armen. Aus der nebligen Finsternis huschte ein langer, silbrig funkelnder Schemen heran.

Der Nebel wallte auf und schien ein Eigenleben zu entwickeln.

Der Inugami erhob sich.

Die Zeit der Rache war gekommen ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Inugami – die Bestie

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock/tsuneomp; Verkhovynets Tars; mythja

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4533-9

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Inugami – die Bestie

von Ian Rolf Hill

»Ladies and Gentlemen, der ehrwürdige Richter Lathrop. Bitte erheben Sie sich!«

Für eine Sekunde herrschte Totenstille in dem Gerichtssaal. Eine Welle von Geräuschen durchbrach sie, als sich die Anwesenden erhoben. Der Richter glitt lautlos wie ein Gespenst hinter sein hohes Pult, die weiße Pferdehaarperücke wie immer akkurat auf dem Haupt.

Er nahm auf seinem hochlehnigen Stuhl Platz und wartete geduldig, bis sich die Menge wieder gesetzt hatte. Danach wandte er seinen Kopf nach links, wo sich die Geschworenen auf zwei hintereinander stehende Bänke verteilten.

»Nun, meine Damen und Herren Geschworenen, sind Sie zu einem Urteil gekommen?«

Der Sprecher der Jury, ein hochgewachsener Mann im maßgeschneiderten Anzug erhob sich.

»Ja, euer Ehren. Wir befinden die Angeklagten für … nicht schuldig.«

Hinter dem Tisch der Anklagevertretung brach eine junge Frau wimmernd zusammen …

So lautet der Titel des neuen Sinclair-Romans. In einer Woche liegt er für Sie bereit.

»Jungs, heute wird gefeiert!«, rief Alfie Sexton und sah seine beiden Söhne durch den Rückspiegel hindurch an. Zusammengelümmelt kauerten sie im Fond und machten auf Sexton einen selbstzufriedenen Eindruck.

Wie eine dicke Katze, die ihrem Besitzer gerade die Wurst vom Teller geklaut hat, dachte er. Wenn da mal nicht doch mehr an den Vorwürfen dran gewesen war.

Angeblich sollten Harvey und Joshua gemeinsam mit ihrem Freund Felix Conroy das japanische Dienstmädchen Chiko vergewaltigt haben. Völliger Mumpitz, wenn man Sexton fragte. Seine Söhne mochten keine Vorzeigejugendlichen sein und waren gewiss hoffnungslos verhätschelt worden, woran seine Frau Samantha nicht ganz unschuldig war, doch das bedeutete noch lange nicht, dass die Jungs skrupellose Verbrecher waren.

Zum Glück war dieser Albtraum jetzt vorbei, und Alfie Sexton hatte zur Feier des Tages extra einen renommierten Catering-Service beauftragt, damit seine Familie zu Hause ein feudales Festessen genießen konnte.

Das hatte er wohlweislich schon zwei Tage zuvor geordert. Selbst wenn seine Söhne verurteilt worden wären, was für Sexton undenkbar gewesen war, hätte er das Essen nicht verkommen lassen. In diesem Fall wäre es nämlich das perfekte Trostpflaster gewesen. Zumindest für ihn, denn sein Wahlspruch lautete, dass Essen Leib und Seele zusammenhielt, was man seiner Figur nur allzu deutlich ansah. Sein Gesicht verschwand beinahe hinter den vielen Fettpölsterchen.

Seine Frau Samantha war das glatte Gegenteil von ihm. Schlank, fast dürr zu nennen, so als ob Alfie Sexton ihr das Essen vor dem Munde stahl. Während Harvey und Joshua, die in Figur und Charakter ganz nach ihrem Vater kamen, lautstark johlend seine Ankündigung kommentierten, saß Samantha wie ein Häufchen Elend auf dem Beifahrersitz.

Ja, ihre Söhne waren freigesprochen worden, ebenso wie Felix Conroy. Doch seit die Vorwürfe gegen die drei Jugendlichen, die bald ihre Volljährigkeit erreichten, erhoben worden waren, hatte Samantha dieses ungute Gefühl im Bauch, und das war während der zermürbenden Wochen voller Unterredungen mit Anwälten und Verhandlungen nicht gewichen. Samantha hatte sicherlich noch einmal fünf Kilo an Gewicht verloren und sah aus wie ein lebendiges Skelett, über das man eine künstliche Haut gespannt hatte.

Im Gegensatz dazu hatten ihre Männer ordentlich zugelegt. Stress machte hungrig.

Auch jetzt, nach dem offiziellen Freispruch fühlte sich Samantha alles andere als befreit. Sie wusste, zu was ihr Mann in der Lage war, und sie wusste ferner, dass die Äpfel Harvey und Joshua viel zu dicht am Stamm gefallen waren.

Wie oft hatte Alfies Geld unschöne Situationen bereinigt? Nur zu deutlich erinnerte sich Samantha an die Vorwürfe, die eine Babysitterin vor Jahren erhoben hatte. Auch damals war Geld geflossen, obwohl Alfie bis heute seine Unschuld beteuerte.

Verdammt, sie wusste es besser und sie fühlte sich schuldig. Sie hätte Chiko bei deren ersten Anblick sofort die Anstellung kündigen müssen. Zu Chikos eigenem Schutz.

Jetzt war es zu spät, und eine junge Frau blieb gebrochen zurück, während zwei Jugendliche, die auf den falschen Pfad geraten waren, in ihrem dissozialen Verhalten bestärkt worden waren.

Vermutlich waren dafür nicht nur die Anwälte der Familien Sexton und Conroy fürstlich honoriert worden, sondern auch einige Mitglieder der Jury. Dass der ehrenwerte Richter Lathrop bestechlich war, das konnte und wollte Samantha nicht glauben, obwohl er das letzte Wort gehabt hatte.

Doch letztendlich stand immer noch Aussage gegen Aussage. Die Unschuldsbeteuerungen dreier englischer Jugendlicher aus einflussreichen Familien gegen die Vorwürfe einer japanischen Einwandererfamilie.

Samantha machte sich nichts vor. Bei solchen Prozessen hatten Frauen per se immer schlechtere Karten, und die ethnischen Grundvoraussetzungen taten ihr Übriges, sodass der Ausgang des Verfahrens von vornherein klar gewesen war. Nur dass jetzt noch die Würde der jungen Frau an die Öffentlichkeit gezerrt und mit Füßen getreten worden war.

Alfie Sexton steuerte den schweren Lexus durch die nächtlichen Straßen von London. Das Anwesen der Familie lag im vornehmen Stadtteil Belgravia und bestand aus einer doppelstöckigen Villa mit griechischen Säulen, die durch eine Auffahrt erreicht werden konnte. Das Tor zur Straße ließ sich aus der Limousine heraus per Fernsteuerung öffnen. Normalerweise parkte der Wagen in den eigens für diesen Zweck angelegten Parktaschen.

Doch heute Abend fuhr Alfie direkt bis vor das Anwesen.

Harvey und Joshua sprangen aus dem Fond und rannten zu ihrem Vater, der seinen beiden Söhnen die fleischigen Arme um die Schultern legte. Gemeinsam stolzierten sie zur Eingangstür der Villa. Samantha folgte langsamer und schien um Jahre gealtert.

»So, meine Söhne. Jetzt gehen wir erst einmal in mein Arbeitszimmer«, rief Sexton mit dröhnender Stimme.

»Ähm, und was sollen wir da?«, fragte Joshua misstrauisch.

Alfie warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Da gönnen wir uns einen ordentlichen Schluck Whiskey und eine richtige Zigarre.« Er nahm die Arme von den Schultern der beiden Jugendlichen und kramte den Schlüssel aus den Taschen seiner maßgeschneiderten Hose. Als er ihn gefunden hatte, drehte er den Kopf, soweit es sein mit Fett gepolsterter Nacken erlaubte und warf einen Blick über die Schulter zu seiner Frau. Oder besser gesagt, dorthin, wo er sie vermutete.

»Liebes, kümmerst du dich um den Catering-Service? Sie müssten jeden Moment eintreffen.«

»Natürlich, Alfie«, murmelte Samantha, doch ihr Mann hatte gar nicht erst auf eine Antwort gewartet und war mit seinen beiden Söhnen bereits im Arbeitszimmer verschwunden. Ihr Gelächter wehte durch das Haus und verursachte bei Samantha eine Gänsehaut.

***

Der Hund winselte. Das Geräusch drang dem Zuhörer durch Mark und Bein. Das jämmerliche Fiepen wurde immer wieder von heulenden Tönen durchbrochen, doch man hörte dem gequälten Tier deutlich an, dass es kaum noch Kraftreserven hatte.

Es handelte sich um einen Mischling von der Straße, den keiner vermissen würde. Zumindest nahm derjenige, der für die Misshandlung des Tieres verantwortlich war, dies an.

Bis zum Hals in die feuchte Erde eingegraben blieb dem Hund nichts anderes übrig, als auf seinen baldigen, unvermeidlichen Tod zu warten.

Das war dem Tier jedoch nicht bewusst. Unermüdlich hatte es versucht, sich aus der kalten Klammer des Erdreichs zu befreien. Irgendwann war er vor Erschöpfung eingeschlafen, und sein Peiniger hatte die Folter noch auf die Spitze getrieben, indem er eine mit saftigem Fleisch gefüllte Schale dicht vor die Schnauze des Tieres platziert hatte. Dicht, aber knapp außerhalb der Reichweite des Hundes. Das Tier war vor Angst und Hunger bald wahnsinnig geworden.

Das hatte selbst seinen Peiniger nicht ungerührt gelassen, doch er war standhaft geblieben. Er musste standhaft bleiben, denn es gehörte zum Ritual und musste bis zum bitteren Ende durchgehalten werden.

Das kam, kurz bevor das Herz des Hundes vor Entkräftung seinen Dienst versagte.

Es war so weit. Der Inugami stand kurz vor seiner Geburt.

Bodennebel kroch heran und umfing die sterbende Kreatur mit seinen geisterhaften Armen. Hinter dem Kopf des Hundes erschien aus dem Dunkel der Nacht die riesenhafte Gestalt des Folterknechtes. Mit dem rechten Arm holte dieser weit aus. Der Hund spürte zwar die Erschütterungen des Bodens, als sich sein Peiniger erneut näherte, doch er war nicht mehr dazu in der Lage, zu reagieren. Was hätte er auch tun können?

Aus der nebligen Finsternis huschte ein langer, silbrig funkelnder Schemen heran. Schräg von oben schoss er dicht über dem Erdboden auf den Nacken des Tieres zu.

Die scharfe Klinge der Machete trennte das Haupt des Hundes mit einem einzigen Schlag vom Rumpf.

Der Schädel rollte nach vorne und stieß dabei den gefüllten und unangetasteten Napf mit dem Fleisch um. Aus dem Halsstumpf des im Boden vergrabenen Rumpfes aber quoll mit den letzten mühsamen Schlägen des sterbenden Herzens das Blut des Hundes. Es bildete eine kleine Pfütze, die den Anblick des offenen Halses gnädig verbarg. Auf ihrer Oberfläche spiegelte sich für einen kurzen Augenblick das Antlitz des Henkers.

Es war vollbracht.

Der Nebel wallte auf und schien ein Eigenleben zu entwickeln.

Der Inugami erhob sich.

Die Zeit der Rache war gekommen.

***

Der Catering-Service hatte sich Mühe gegeben und ein Buffet aufgefahren, das für eine ganze Kompanie gereicht hätte. So zumindest kam es Samantha vor, als sie die reichhaltig belegten Platten sah, bei deren Anblick der Frau bereits der Appetit verging. Nicht etwa, weil die opulenten Speisen nicht exquisit oder geschmackvoll angerichtet waren, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil die Dekadenz dieser Maßlosigkeit Samantha auf den Magen schlug.

Da gab es eine Platte mit auserwählten Käsespezialitäten aus Frankreich und den Niederlanden, Fisch- und Kaviar-Köstlichkeiten, sowie feinstes Fleisch, angeblich sogar vom Kobe-Rind.

Was Samantha anbetraf, hätten sie sich auch eine Pizza bestellen können. Kaum anzunehmen, dass Joshua und Harvey diese Delikatessen überhaupt zu würdigen wussten. Genauso wenig wie die feinen Zigarren aus Havanna oder den schottischen Whisky, für dessen Genuss Alfie sogar extra abgefülltes Wasser aus den besten Quellen Schottlands anliefern ließ.

Ihre Männer saßen immer noch in Alfies Arbeitszimmer, von wo aus der Dicke, wie Samantha ihren Gatten im Geiste wenig schmeichelhaft titulierte, seine Geschäfte führte. Dumpfes Gelächter und undeutliches Stimmengemurmel drangen durch die geschlossene Mahagoni-Tür.

Samantha verabschiedete die Mitarbeiter des Catering-Service und wartete an der Eingangstür, bis der Wagen mit den beiden jungen Männern das Grundstück verlassen hatte. Mit einem Knopfdruck verschloss sie das schmiedeeiserne Tor am Ende der Auffahrt wieder. Die Rechnung war bereits beglichen. Der Catering-Service, bei dem Alfie Stammkunde war, buchte einfach vom Konto des Immobilienmaklers und Börsenspekulanten ab.

Kaum hatte Samantha die Haustür geschlossen, da wurde hinter ihr im Flur die Tür zum Arbeitszimmer schwungvoll aufgeworfen. Als ob der feiste Sack das Essen gerochen hätte, dachte Samantha angewidert und verdrehte die Augen. Selbst wenn Alfie in diesen Momenten Augen für seine Frau gehabt hätte, hätte er das nicht sehen können, denn sie stand immer noch mit dem Gesicht zur Eingangstür.

Noch bevor sie sich umdrehte, roch sie bereits den Rauch der kubanischen Zigarren, die angeblich zu derselben Marke gehörten, die auch Fidel Castro genossen hatte. Das Buffet war im riesigen Wohnzimmer angerichtet worden. Um es zu erreichen mussten die Sexton-Männer das kleinere Foyer des Hauses passieren. Samantha ließ sich Zeit damit, ihnen zu folgen.

Alfie stand mit ausgebreiteten Armen vor dem reichhaltigen Buffet. In der rechten Hand die Zigarre, in der linken das Whiskey-Glas. Er sah aus wie der Hohepriester einer archaischen Sekte, die der Völlerei huldigte. Ein wahrer Moloch, der alles in sich hineinfraß, dessen er habhaft wurde.

Joshua und Harvey standen wenige Schritte hinter ihm, schräg versetzt, und ihre Augen glänzten in den speckigen Gesichtern nicht weniger als die ihres Vaters. In diesem Augenblick glichen sie ihrem Erzeuger so sehr wie nie zuvor, und Samantha spürte in ihrem Herzen einen Stich des Bedauerns. Was war nur aus ihren süßen kleinen Engeln geworden? Trug sie vielleicht Mitschuld daran, dass sie so sehr nach ihrem Vater gerieten? Hatte sie die Bengel tatsächlich zu sehr verwöhnt?

Plötzlich verspürte sie ebenfalls den Wunsch nach Alkohol. Zum Glück befand sich auch im Wohnzimmer eine reichhaltig bestückte Bar mit allem, was das Herz begehrte. Unter anderem auch Wodka, den sich Samantha mit einem Schuss Martini und einer Olive veredelte. Währenddessen lauschte sie Alfies dröhnendem Bass.

»Jungs, ist das ein Anblick?«

Joshua und Harvey murmelten irgendetwas.

»Was?«, rief Alfie. »Ich kann euch nicht hören.«

»Ja, Sir!«, riefen die beiden Jugendlichen unisono, als ob sie auf dem Exerzierplatz einer Kaserne stünden. Sie wollten sich ausschütten vor Lachen.

»Na, das will ich doch meinen«, bestätigte Alfie und steckte sich die Zigarre zwischen die feucht schimmernden, fleischigen Lippen und zog genüsslich an dem Lungentorpedo. Eine Wolke blaugrauen Rauches ausstoßend eröffnete er das große Fressen: »Also schön, dann wollen wir es uns mal schmecken lassen. Essen fassen, Jungs! Und lasst nichts verkommen!«

Das ließen sich seine Söhne nicht zweimal sagen. Wie die Schweine stürzten sie sich grunzend auf das Buffet, und Alfie schloss sich ihnen an. Als er sah, mit was für einem Heißhunger sich Joshua und Harvey über die Köstlichkeiten hermachten, bekam er natürlich Angst, dass für ihn nicht mehr genug übrig bleiben würde.

Samantha wandte den Blick ab und stürzte den Wodka-Martini mit Verachtung hinunter. Dabei fiel ihr Blick auf das große Panorama-Fenster, dessen Scheibe von langen, weißen Gardinen verdeckt wurde. Sie wollte sich gerade abwenden, um sich einen weiteren Drink zu mixen, als sie den Schatten sah, der hinter der Scheibe größer wurde und dessen Umrisse durch die Gardinen nicht erkennbar waren. Samantha hielt den Schemen, der plötzlich hinter den Gardinen erschien und sich im Wohnzimmer manifestierte, zunächst für eine Einbildung.

Bei dem Anblick des grauenhaften Monstrums bekam die Frau Angst.

Ein Schwall eiskalter Lauft wehte ihr von der Erscheinung entgegen und lähmte sie auf der Stelle. Sie öffnete den Mund, wollte schreien und auf sich aufmerksam machen, doch es gelang ihr nicht.

Die drei Männer am Buffet bekamen von all dem nichts mit. Sie machten sich über die Speisen her, als ob sie seit Tagen nichts mehr zu essen bekommen hätten. Erst als Joshua sich zu seinem Bruder Harvey umdrehte, um diesem über den gesenkten Kopf des Vaters hinweg, ein Stück Sushi entgegenzuwerfen, sah er das schwarze Etwas, dass sich drohend vor seiner Mutter aufrichtete. Ein quiekender Laut drang aus Joshuas Mund und erregte die Aufmerksamkeit seines Bruders und des Vaters.

Sie sahen aus wie ihre eigenen, lebendig gewordenen Karikaturen, wie sie da standen mit offenen Mündern, in denen noch das Essen lag. Aus Harveys Faust ragte sogar ein Wiener Würstchen, während in seinem Mund das Ende eines weiteren steckte.

Die Sextons erstarrten zur Salzsäule.

Plötzlich kam Bewegung in den riesigen Schatten, der sich brüllend auf die Menschen stürzte. Der Schock löste sich, und Panik ergriff von ihnen Besitz, doch da war es längst zu spät. Die unnatürliche Kälte lähmte auch die drei Männer, die tatenlos mit ansehen mussten, was mit ihrer Frau und Mutter geschah.

Samantha rutschte das Glas aus der Hand, das auf den Boden schepperte aber nicht zerbrach, sondern in einem Halbkreis herumrollte. In seiner Oberfläche fing sich die Reflexion des Angreifers.

Endlich konnte sich die Frau wieder bewegen. Samantha öffnete den Mund und stieß einen lauten, schrillen Schrei aus. Sie hob die Hände und verkrallte die Finger in ihrem Haar. Sie wollte davonlaufen, doch ihr Mörder war schneller. Mit einem Sprung erreichte er Samantha und stieß sie zu Boden, bevor er ihren Schädel zwischen seine Pranken nahm und ihn ruckartig herumdrehte, bis das Genick brach.

Danach wandte sich der Mörder den drei Sexton-Männern zu. Keiner entkam!

Doch ihr Sterben dauerte deutlich länger als das ihrer Frau und Mutter.

***

Eines der Dinge, auf die ich mich jeden Morgen freute, wenn ich ins Büro fuhr, war der Kaffee unserer Sekretärin und Assistentin Glenda Perkins. Und in all den Jahren wusste ich immer noch nicht genau, was eigentlich ihr Geheimnis war, denn sie kochte die schwarze Köstlichkeit mit einer simplen Filtermaschine.

Ausnahmsweise waren mein Partner Suko und ich pünktlich im Büro eingetroffen, was uns zwar Glendas tadelnden Blick ersparte, jedoch nicht ihren süffisanten Kommentar.

»Donnerwetter, dass ich das noch erleben darf«, meinte sie und zog die Augenbrauen nach oben. »So zeitig habe ich euch gar nicht erwartet.«

Mein erster Blick galt natürlich Glenda, die sich wie immer sehr viel Mühe mit ihrem Outfit gegeben hatte. Ein rotes Halstuch, ein taillierter, dunkelgrauer Blazer und darunter eine helle Bluse.

Ich grinste, bevor ich antwortete und auf die Kaffeemaschine deutete, der mein zweiter Blick galt. »Das sehe ich, denn der Kaffee ist noch nicht fertig.«

»Sieh mal einer an«, sagte Glenda spitz. »Jetzt weiß ich auch gleich wieder, warum du Oberinspektor bei Scotland Yard bist. So eine Beobachtungsgabe hat nicht jeder.«

»Oh, was bist du wieder nett zu mir. Sag mal, möchtest du demnächst Flugbegleiterin bei British Airways werden?«, fragte ich unschuldig lächelnd und machte eine unbestimmte Geste um meinen Hals herum, mit der ich auf Glendas rotes Halstuch anspielte.

»Vorsicht, Freundchen, sonst spucke ich in deinen Kaffee.«