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Das bleiche Gesicht unter der hellen Kapuze verzerrte sich vor Hass. Die blutunterlaufenen Augen sprühten förmlich vor Zorn. Dünne Finger, die weißen Spinnenbeinen glichen, umklammerten den Griff des knotigen Stocks derart fest, als wollten sie ihn zerbrechen.
Doch trotz des Hasses, der ihn ihm loderte, hielt er sich zurück, denn dieser Stock war die letzte Verbindung zu dem Land, aus dem er stammte und in das er nicht zurückkehren konnte. Dort war er fortan ein Gejagter.
Er, Fachan, der dunkle Druide aus Aibon ...
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Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Im Bann der Schlangensekte
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5844-5
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Im Bann der Schlangensekte
von Ian Rolf Hill
Das bleiche Gesicht unter der hellen Kapuze verzerrte sich vor Hass.
Die blutunterlaufenen Augen mit der rot schimmernden Iris sprühten förmlich vor Zorn. Dünne Finger, die weißen Spinnenbeinen glichen, umklammerten den Griff des knotigen Stockes derart fest, als wollten sie ihn zerbrechen.
Trotz all seiner Wut und des Hasses, der ihn ihm loderte, hielt er sich zurück, denn dieser Stecken war die letzte Verbindung zu dem Land, aus dem er stammte und in das er nicht zurückkehren konnte. Dort war er fortan ein Gejagter. Jedes Lager würde ihn umgehend einfangen und vernichten. Die einen schnell und aus der Notwendigkeit heraus, die anderen langsam und genussvoll, denn in ihren Augen war er ein Versager.
Er, Fachan, der dunkle Druide aus Aibon …
Er presste die Zähne so hart aufeinander, dass sie knirschten. Sein gesamtes Sinnen galt ab sofort nur noch der Rache an jenen Männern, die ihm diese Schmach beigebracht hatten.
Der Rote Ryan und John Sinclair.
Ihnen war gelungen, was er für unmöglich erachtet hatte.
Sie hatten die Killerschlange getötet!
Einst hatte sie als unbesiegbar gegolten. Zumindest hier in dieser Welt hätte dies so sein müssen. Dabei war er vor dem Geisterjäger gewarnt worden. Er erinnerte sich daran, dass sein Gönner, der ihm und der Riesenschlange den Weg in diese Welt geöffnet hatte, von einem Mann erzählt hatte, der gegen die Mächte der Finsternis antrat. Auch gegen Guywano hatte er schon gekämpft und zahlreiche seiner Geschöpfe vernichtet.
Doch das waren nur feige Kreaturen gewesen, die nicht einmal ansatzweise mit der Schlange vergleichbar gewesen waren. Und die Waffen, die dieser Mann, den man auch den Geisterjäger nannte, trug, waren gegen die Magie des Landes Aibon wirkungslos. So hatte es geheißen. Bis Sinclair diesen silbernen Gegenstand geschleudert hatte, der auf den ersten Blick wie eine Sichel ausgesehen hatte.1)
Fachan war nur die Flucht geblieben. Ihm und zwei seiner kleinen Helfer, die er aus der alten Heimat mitgebracht hatte. Es waren die winzigen Drachen, die jetzt auf seinen Schultern hockten und sich mit ihren scharfen Krallen dort festhielten. Die Flügel lagen zusammengefaltet auf den grünschwarz geschuppten Leibern.
Ab und zu krächzte einer von ihnen, denn sie waren hungrig. Fachan konnte es ihnen nicht verdenken. Auch in ihm wühlte das Bedürfnis nach Nahrung durch die fauligen Eingeweide. Doch er musste sich gedulden.
Es hatte nur einen Fluchtpunkt gegeben, an den er hatte zurückkehren können. Die alte Burgruine auf einem Hügel nahe des Dorfes. Der Turm war noch erhalten und dort hatte sich das Tor in seine Heimat manifestiert. Ob es weiterhin vorhanden war, würde sich zeigen, doch bevor er die Burg aufsuchte, hatte sich Fachan mit seinen Drachen im Wald versteckt.
Er war davon ausgegangen, dass Ryan und Sinclair die Burg nach ihm absuchen würden, und im direkten Kampf gegen die beiden Männer hätte er keine Chance. Immerhin war es ihnen gelungen, den großen Guywano zu vernichten, auch wenn dies in Aibon geschehen war.
Am Fuße einer alten, knorrigen Eiche ließ sich Fachan nieder. Er hockte sich auf die Fersen und murmelte leise Beschwörungen. Die Drachen klammerten sich an seinen Leib, schmiegten sich an ihren Herrn und Meister, dessen helle Kutte mit einem Mal stumpf wurde.
Sie schwärzte ein, wurde erst grau, dann immer dunkler, passte sich farblich der Rinde und dem Waldboden an. Fachan hüllte sich und seine beiden Kreaturen in einen magischen Kokon, in dem er tage- und nächtelang ausharrte, bis er sicher war, dass ihn niemand mehr suchte.
Dann erst wagte er sich wieder hervor und schlug den Weg in Richtung Burgruine ein.
Still und verlassen lag sie in der einsetzenden Dämmerung. Die Temperaturen waren in den letzten Tagen immer weiter gefallen, und der Bodenfrost lähmte mittlerweile nicht nur nachts die Kräfte der Natur. Hätte der knorrige Leib Fachans menschliches Leben in sich getragen, wäre der Atem vor seinen strichdünnen Lippen kondensiert.
So aber war nichts zu sehen, und er huschte auf den Eingang zu, der wie ein schwarzer Rachen vor ihm gähnte. Bei diesem Anblick überfielen ihn unweigerlich die Gedanken an die Killerschlange und nährten das Feuer des Hasses.
Fachan wandte sich in der Halle, in der der Rote Ryan beinahe seine vermaledeite Existenz ausgehaucht hätte, nach rechts. Dort führte eine ausgetretene Treppe den noch gut erhaltenen Turm hinauf, und wieder erinnerten ihn ihre Windungen an den Leib der vernichteten Riesenschlange.
Oben im Turm hatte sich das Tor nach Aibon manifestiert. Und dort, so hoffte Fachan, würde er mit seinem Gönner Kontakt aufnehmen können, damit sie gemeinsam ihre Rache planten.
Der dunkle Druide verharrte plötzlich, und die beiden Drachen auf seinen Schultern stießen leise zischende Laute aus, die zeigten, dass sie die Unruhe ihres Meisters ebenfalls spürten.
War es überhaupt eine gute Idee, Kontakt mit dem Götzen aufzunehmen, der ihn hierhergeschickt hatte?
Er war es doch gewesen, der ihn beiläufig vor diesem Sinclair gewarnt hatte. Allerdings so, dass er, Fachan, ihn einfach hatte unterschätzen müssen.
Der Druide ergriff den knotigen Stock mit beiden Fäusten, riss ihn über den Kopf und stieß einen Schrei der Wut und Enttäuschung aus, sodass die Drachen erschrocken die Flügel ausbreiteten und sich in die Lüfte erhoben.
Aufgeregt flatterten sie in die Finsternis davon. Fachan kümmerte sich nicht um die Geschöpfe, er versuchte, seinen lodernden Hass unter Kontrolle zu bringen.
Er hatte ihn absichtlich ins offene Messer laufen lassen.
Fachan war sich sicher, dass es so gewesen war. Dravotan, dieser Bastard, hatte ihm den Weg geöffnet, damit er entweder den Roten Ryan für ihn aus dem Weg räumte oder aber bei dem Versuch selbst vernichtet wurde.
Fürchtete Dravotan ihn so sehr, dass er ihn einfach so verriet und über die Klinge springen ließ?
Offenkundig. Der Schlangenpriester spie vor Verachtung einen Batzen grünlich schimmernden Schleims aus, in dem sich winzige Würmer ringelten. Dann gab er sich einen Ruck und rannte die Wendeltreppe hinauf in die Spitze des Turms.
Die Stufen waren glatt und ausgetreten. Für die Öffentlichkeit war die Ruine wegen Einsturzgefahr gesperrt, doch Fachan war kein Mensch und musste sich nicht vor einem Absturz und Knochenbrüchen fürchten.
Ein Mensch wäre überdies außer Atem gewesen, wäre er in diesem Tempo hinaufgerannt, wo die Treppe in einem kleinen, runden Turmzimmer endete.
Der Boden war übersät mit Vogelkot, und ein altes Nest vom Sommer lag wie weggeworfen an der Wand unter einem der Fenster. Wie Schießscharten verteilten sich die Öffnungen rundum im Mauerwerk. Der Wind pfiff eiskalt hindurch und spielte mit dem Stoff der Kutte. Flatternd zerrte sie an der hageren Gestalt des Druiden, der im Raum herumlief und den Blick seiner fiebrigen Augen umherschweifen ließ. Das Zimmer war leer. Keine Spur von einem Dimensionstor.
Er war schmählich im Stich gelassen worden, und die Ahnung wurde zur Gewissheit.
Dravotan hatte ihn verraten.
Die Gedanken hinter Fachans Stirn überschlugen sich. Er überlegte, was zu tun sei. Am besten ging er hinunter ins Dorf, suchte sich ein Opfer und schleppte es hierher in die Burg, um sich durch sein Fleisch und Blut zu stärken. Dann erst konnte er darangehen, seine Macht in dieser Welt zu festigen.
Fachan wollte sich abwenden und den Weg zurück in die Halle nehmen, als er in der Bewegung verharrte. Etwas hatte sich verändert.
Es war nicht sichtbar, dafür umso deutlicher spürbar. Zumindest wenn man über magisch sensitive Sinne verfügte wie der Eichenkundige und Schlangenpriester Fachan.
Eine Welle purer Bosheit schwappte ihm entgegen und lähmte ihn auf der Stelle.
Und dann huschten die Schatten über das dunkle, feucht schimmernde Mauerwerk. Die Sonne stand tief über dem Horizont, und dichte Wolken zogen über das Firmament. Doch sie waren für die Schatten nicht verantwortlich.
Das Licht, das sie schuf, hatte nämlich keine Quelle, und es leuchte auch nicht orangerot, sondern kalt und blau. Die Strahlen rasten um das kreisförmig errichtete Mauerwerk und fanden ihren Fokus schließlich in der Mitte des Raumes, dort wo einst das Tor gewesen war, das ihn hierhergebracht hatte.
Das Licht formte ein wunderschönes ebenmäßiges Gesicht mit Augen, aus denen Fachan die pure, unverfälschte Bosheit entgegensprang.
Der Druide krümmte sich unter dem Blick und brach in die Knie. Er stützte sich auf den Stock, konnte sich aber nicht mehr auf den Beinen halten und senkte schließlich sogar den Kopf.
Hätte er nur eine Sekunde länger auf das Antlitz gestarrt, wäre er vermutlich wahnsinnig geworden oder auf der Stelle der Vernichtung anheimgefallen.
Er hatte dieses Gesicht nie zuvor gesehen, doch er wusste sofort, wer sich ihm dort zeigte.
Luzifer!
***
»Du bist vollkommen verrückt, Barry!«
Angela Simmons zog die Brauen zusammen, sodass sich eine scharfe Unmutsfalte bildete. Für den Einundzwanzigjährigen ein deutliches Alarmsignal. Jetzt war Vorsicht geboten. Schließlich wollte er das hübsche Mädchen nicht vergraulen, sondern in sein Bett bekommen.
»Aber warum denn?«, ereiferte er sich. »Die Location ist doch der Oberhammer. Absolut episch, oder nicht?«
Er drehte sich auf dem Autositz um und sah durch die Rückenlehnen hindurch in den Fond, auf den sich Alex und Lorraine quetschten. Viel Platz hatten sie dort nicht. Der Mini Cooper mochte für die Stadt ein tolles Auto sein, doch als Taxi war er denkbar ungeeignet.
Der picklige Alex, der seine Akne erfolgreich aus der Pubertät hinübergerettet hatte, zuckte nur mit den Schultern und murmelte unsicher: »Weiß nicht. Vielleicht?«
Barry verdrehte die Augen. Sein alter Kumpel aus Kindertagen konnte wirklich eine Mimose sein. Ach was, er war ein regelrechtes Weichei. Bloß keine eigene Meinung haben und immer schön in Deckung bleiben, damit man auch ja nichts Falsches tat oder sagte. Man könnte ja seine Mitmenschen verärgern.
So würde der Feigling nie bei Lorraine landen.
Barry indes hätte nur mit dem Finger zu schnippen gebraucht, damit sie sich ihm hingab, doch Angies Freundin war ihm zu klein und pummelig. Ganz im Gegensatz zu der hochbeinigen Angela mit ihrem langen schwarzen Haar und den glutvollen braunen Augen. Nicht zu vergessen ihr praller Hintern und der ansehnliche Vorbau, der aber auch nicht zu üppig war. Genau richtig, wie Barry fand. Nein, mehr noch. Angie war perfekt. Er musste sie einfach rumkriegen.
Wenn sie bloß nicht so eine Zicke gewesen wäre.
In dieser Hinsicht war Lorraine doch merklich verträglicher, beziehungsweise offener und unternehmungslustiger. Daher fokussierte Barry seinen Blick auf sie, wohl wissend, dass sie gar nicht anders konnte, als ihm Rückendeckung zu geben.
»Also, ich finde es auch super!«
Barry schenkte ihr zur Belohnung ein Lächeln, das ihr die kommende Nacht versüßen würde. Er ließ sich zurück auf den Sitz sinken und sah Angie von der Seite an, die gelangweilt die Augen verdrehte. Er konnte deutlich sehen, was sie dachte. War ja klar!
Lorraine aber plapperte munter drauflos. »Stell dir doch mal vor, wie das hier aussieht, wenn wir die Ruine bei Nacht mit Fackeln und Scheinwerfern ausleuchten. Dazu Musik, Alk und jede Menge Böller und Feuerwerk. Dieses Silvester wirst du dein Leben lang nicht vergessen.«
Barry nickte eifrig zu ihren Worten. »Genau. Ich meine, sieh es dir doch wenigstens mal an.«
»Aber es ist kalt und windig, und dort gibt es nicht mal Toiletten.«
»Na, und? Du kannst doch in den Wald pinkeln. Da wird dich schon niemand beobachten.«
Wieder war Barry dankbar, dass Lorraine für ihn in die Bresche sprang. Er hätte sich vermutlich anhören müssen, was für ein pervers veranlagter Spanner er wäre.
»Komm schon«, bekräftigte der junge KFZ-Mechaniker. »Nur kurz gucken, dann gehen wir irgendwo was trinken.«
Angie seufzte ergeben. »Also schön. Aber nur fünf Minuten.«
Lorraine jauchzte triumphierend, während Alex wie immer die Klappe hielt und sich vermutlich weit wegwünschte.
Barry lachte. »Alles klar«, rief er und öffnete die Tür. »Fünf Minuten. Mehr nicht.«
Keiner der vier jungen Leuten ahnte, dass diese fünf Minuten schon zu lang waren.
***
»Versager!«, zischte das Antlitz des absolut Bösen, und Fachan glaubte zu vergehen.
Er sackte noch tiefer zusammen. Der Stock entglitt seinen Fingern und fiel klappernd auf den schmutzigen Steinboden. Der dunkle Druide krümmte sich wie ein Wurm im blauen Licht, das von der Fratze des gefallenen Engels ausging.
»G …Gnade, Herr. Ich …«
»Du bist ein Nichts, Fachan. Der Rote Ryan war dir ausgeliefert. Wir wären schon längst auf dem Vormarsch, wenn du nicht versagt hättest. Ich will Aibon. Es ist mein!«
»Er … es war dieser Mann. Er hatte eine silberne Sichel, oder so, mit der er …«
»Sinclair!« Hass triefte aus diesem einen Wort, diesem Namen, der für all das stand, was Luzifer und die Hölle negierten.
»Dravotan hat mir nichts darüber gesagt, was für Waffen er besitzt. Er meinte nur, dass er gegen die Magie des Landes Aibon machtlos wäre.«
»Narr! Selbst Guywano wusste, dass er Sinclair nicht unterschätzen durfte. Der Tod der Schlange geht auf dein Konto, Druide. Damit hast du auch deine Existenz verwirkt.«
Fachan heulte auf, als er sein Todesurteil vernahm. Die Panik verlieh ihm ungeahnte Kräfte. Sein Oberkörper ruckte hoch, als würde er von unsichtbaren Fäden emporgezogen werden. Flehend reckte er die Arme dem wunderschönen Gesicht des Engels entgegen.
Der blickte hochmütig auf seinen Diener hinunter. Die Augen durchbohrten Fachan, und er spürte mit jeder Faser seines dämonischen Leibes, wie die Kraft aus ihm wich. Er würde hier einfach verdorren wie ein Regenwurm, der dem gleißenden Licht der Sonne schutzlos ausgeliefert war.
Minutenlang sprach Luzifer nicht, starrte lediglich erbarmungslos auf den Todgeweihten.
»Bitte«, keuchte der schwarze Druide. »Bitte, ich … ich werde alles tun, was du verlangst. Mich dürstet nach Rache. Töte mich nicht, Luzifer, ich flehe dich an.«
Das Antlitz des gefallenen Engels bewegte sich, deutete ein Nicken an.
»Ich gewähre dir eine zweite Chance, Fachan. Du warst mir immer ein treuer Diener, daher will ich Gnade walten lassen. Du bist Schlangenpriester, und mir ist die Gestalt der Schlange durchaus vertraut, wie du weißt. Der Kult der Ophiten hat in Aibon seinen Ursprung. Sinclair glaubt, ihn zerschlagen zu haben. Das ist ein Irrtum. Es gibt noch jemanden, der auf Rache sinnt. Er ist dabei, den Kult der Paradiesschlange neu entstehen zu lassen. Er wird dir helfen. Gemeinsam könnt ihr erst John Sinclair und dann den Roten Ryan vernichten. Danach wird es niemanden mehr geben, der mir Aibon streitig machen wird.«
Von einem Augenblick zum anderen erlosch das blaue Licht. Es dauerte einige Sekunden bis Fachan sich dessen bewusst wurde. Neue Kraft erfüllte seinen ausgemergelten Körper, doch er war immer noch weit davon entfernt, seine alte Stärke zurückzuerlangen. Er brauchte ein Menschenopfer.
Wie eine große, weiße Spinne kroch seine bleiche Hand über den steinernen Boden, ergriff den krummen Stock und zog ihn zu sich heran. Mit beiden Fäusten stützte er sich auf den Knauf und stemmte sich auf die Beine. Fleisch und Blut. Es würde ihm neue Kraft verleihen.
Und als hätte Luzifer seine Gebete erhört, da drangen aus der Halle der Burg leise Stimmen zu ihm hinauf.
Die schmalen Lippen des Druiden verzogen sich zu einem faunischen Grinsen.
Es war die Vorfreude auf das Kommende.
Schon gellten die ersten Schreie.
***
»Da hinten bauen wir die Theke auf und dort, gegenüber vom Eingang, kommt die Anlage hin.«
Barrys Augen leuchteten im Schein der Taschenlampen, die die jungen Leute vorsorglich mitgenommen hatten.
Angie stand mit verschränkten Armen in der Mitte des Raums. Sie trug eine pinke Daunenweste und darunter einen beigen Wollpullover. Gelangweilt strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, ehe sie die Arme wieder vor der Brust verschränkte.
»Hätten wir uns das nicht auch bei Tage ansehen können?«
Barry trat an ihre Seite und legte einen Arm um ihre Schulter. Angie ließ es geschehen, ohne zu auffällig in seine Umarmung zu sinken. Er kannte das Spiel zur Genüge, sie wollte ihn zappeln lassen. Er hasste diese Spielchen, aber andererseits ließ er es ja auch mit sich machen.
»So ist es doch viel romantischer«, hauchte er ihr ins Ohr.
Angie prustete und wand sich aus seinem Griff. »Lass dir was Besseres einfallen.«
»Aber authentischer«, meldete sich Lorraine zu Wort. »In der Silvesternacht ist es ja auch dunkel. Da kann man sich viel besser vorstellen, wie die Atmosphäre wirkt.«
Gutes Mädchen, dachte Barry und grinste zustimmend. »Da siehst du’s. Komm ich zeig dir den Turm.«
Angie schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage. Ich hab genug gesehen. Ich will ins Warme.«
»G …gibt’s hier Ratten?«
Barry verdrehte die Augen. Wenn Alex das Maul aufmachte, kam nur Mist raus. Entnervt ließ er die Schultern sacken und drehte sich zu seinem Kumpel um.
»Ratten sind da, wo es Nahrung gibt. Schau dich doch mal um, hier gibt’s nichts außer Steinen und Geröll. Vermutlich habt ihr im Keller mehr Ratten als hier in der gesamten Ruine.«
»A …aber da war was.«
»Wo?«
Alex bewegte den Arm mit der Taschenlampe und ließ ihn über einen Schutthaufen neben dem Eingang wandern. Der fahle Lichtkegel zitterte.
Dieser Feigling erschrickt sogar vor seinem eigenen Schatten, dachte Barry verächtlich.
»Da ist doch gar nichts!« Er wurde langsam wütend und ging auf Alex zu. »Wenn du mir hier die Tour vermasselst …«, begann er leise, sodass die beiden jungen Frauen kaum was hören konnten.
»Da war wirklich etwas«, rief Alex mit schriller Stimme und wich zurück.
Im selben Moment schrie Angie hinter ihnen auf. Barry wirbelte auf der Stelle herum, und der Strahl seiner eigenen Taschenlampe machte die Bewegung mit. Angies wachsbleiches Gesicht wurde aus der Dunkelheit gerissen. Die Augen unnatürlich weit geöffnet, die Haare hingen zerzaust von ihrem Kopf.
»Verdammt«, kreischte sie mit weinerlicher Stimme. »Das sind Fledermäuse.«
»Was?«, schnappte Barry entgeistert. »Fledermäuse? Deshalb rastet ihr aus?«
»Sie hat sich in meinen Haaren verkrallt. Sie war riesig.«
»D …das sind diese Viecher. Du weißt doch, die angeblich vor einigen Wochen in Hothfield aufgetaucht sind«, flüsterte Lorraine.
»Ihr spinnt doch alle miteinander«, stieß Barry hervor, der seine Felle davonschwimmen sah.
Natürlich kannte er die Geschichten, die man sich um Hothfield erzählte. Da war die Rede von irgendwelchen fliegenden Echsen und einer Anakonda, die im Ort einen Menschen getötet haben sollte. Die Gerüchte waren bis nach Ashford gedrungen, doch Barry hielt sie für reichlich übertrieben. Da waren irgendeinem verschrobenen Sonderling seine exotischen Haustiere ausgebüxt, und schon drehten die Bauerntölpel durch. Vermutlich hatte diese Schlange bloß eine Katze verschluckt.
»Ich will weg hier«, bat Angie, und echte Angst schwang in ihrer Stimme mit.
Barry überlegte kurz. Vielleicht kam er ja dadurch ans Ziel seiner Wünsche. »Habt ihr gesehen, wohin das Vieh geflogen ist?«
»Nein, es war viel zu schnell«, erwiderte Lorraine. »Lass uns einfach abhauen.«
Barry wollte einlenken, als Alex einen gurgelnden Schrei ausstieß. Die Taschenlampe entglitt seinen Fingern und fiel klappernd auf den Steinfußboden, wo sie in einem Halbkreis herumrollte. Ihr Licht riss die bleichen Gesichter von Angela und Lorraine aus der Finsternis.
Barry aber hatte nur Augen für seinen Freund Alex, der beide Hände vor das Gesicht geschlagen hatte. Von dort versuchte er, das zappelnde Tier herunterzureißen, das den geschuppten Kopf mit den messerscharfen Zähnen immer wieder nach vorne stieß.
Barry sprang vor und schlug die Taschenlampe auf den Schädel des Tieres, das ihn an einen winzigen Drachen erinnerte. Doch das Geschöpf war schneller und ließ von seinem Opfer ab. Ein Stück Fleisch, das sich schmatzend aus der Wange des Freundes löste, hing noch in seinem Maul. Alex stöhnte und sackte in die Knie.
Barry wollte ihn anfahren, dass er sich gefälligst zusammenreißen solle, als die beiden jungen Frauen unvermittelt zu kreischen anfingen.
Ein zweiter, geflügelter Schatten fegte aus der Finsternis und stürzte sich auf Angie.