John Sinclair 2062 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2062 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

"Verdammt, Leroy, lass uns verschwinden. Da kommt keiner. Die haben uns verarscht!"
Der Angesprochene wirbelte herum und stieß seinem Kumpan die flache Hand vor die Brust, sodass dieser zwei Schritte nach hinten taumelte.

"Halt die Klappe! Nur weil du die Hosen gestrichen voll hast, bedeutet das noch lange nicht, dass wir den Schwanz einziehen. Was meinst du, Caruso?"

Der Dritte im Bunde nickte bloß, er war kein Mann vieler Worte, sondern der Taten. Vielleicht vertraute ihm Leroy deshalb deutlich mehr als diesem Waschlappen Trevor.
Dem stand bereits der Angstschweiß auf der Stirn, und Leroy hätte es nicht gewundert, wenn er sich tatsächlich in die Hosen gemacht hatte.
"A...aber das sind schließlich nicht irgendwelche kleinen Fische, mit denen wir es zu tun haben. D...das ist die ... Yakuza!"

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Seitenzahl: 146

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Inhalt

Cover

Impressum

Inugami – die Rückkehr

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5846-9

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Inugami – die Rückkehr

von Ian Rolf Hill

»Verdammt, Leroy, lass uns verschwinden. Da kommt keiner. Die haben uns verarscht!«

Der Angesprochene wirbelte herum und stieß seinem Kumpan die flache Hand vor die Brust, sodass dieser zwei Schritte nach hinten taumelte.

»Halt die Klappe! Nur weil du die Hosen gestrichen voll hast, bedeutet das noch lange nicht, dass wir den Schwanz einziehen. Was meinst du, Caruso?«

Der Dritte im Bunde nickte bloß, er war kein Mann vieler Worte, sondern der Taten. Vielleicht vertraute ihm Leroy deshalb deutlich mehr als diesem Waschlappen Trevor.

Dem stand bereits der Angstschweiß auf der Stirn, und Leroy hätte es nicht gewundert, wenn er sich tatsächlich in die Hosen gemacht hatte.

»A…aber das sind schließlich nicht irgendwelche kleinen Fische, mit denen wir es zu tun haben. D…das ist die … Yakuza!«

»Und wenn schon! Wenn die Schlitzaugen mir blöd kommen, schlitz ich sie auf wie die Schweine. Was meinst du, Caruso?«

Gleiche Frage, gleiche Antwort.

Caruso, ein hagerer Kerl mit kantigem Kinn und herunterhängenden Mundwinkeln, nickte. Er stammte aus Italien und gehörte noch zur alten Garde. Vermutlich hatte er mehr Erfahrung, als seine beiden Kumpane zusammen. Trotzdem hatte ausgerechnet Leroy Jenkins das Sagen, obwohl jeder wusste, dass er ein Großmaul war.

Caruso verstand nicht, warum der Boss ausgerechnet ihn als Unterhändler geschickt hatte. Noch dazu in Begleitung seines verweichlichten Bruders Trevor.

Der Chef hatte vermutlich seine Gründe, und Caruso war in der Regel nicht der Typ, der die Anweisungen von oben infrage stellte. Andererseits war der Boss seit einem Jahr irgendwie nicht mehr derselbe. Seit er im Bandenkrieg mit irgend so einer komischen Sekte seine besten Männer verloren hatte. Mit einigen von ihnen war Caruso befreundet gewesen, der sich zu jener Zeit im Ausland aufgehalten hatte.

Vielleicht lag es aber auch an dem Flittchen und dem Balg, die er sich kurz danach ans Bein gebunden hatte. Manchmal geschahen im Leben eines Mannes Dinge, die ihn nachhaltig veränderten. Ein Außenstehender hätte vielleicht »läuterten« gesagt, doch Caruso war der Ansicht, dass er schlicht und ergreifend seine Coglioni, seine Eier, verloren hatte.

Er fühlte so etwas wie Bedauern, wenn er daran dachte, was aus dem einst so großen Costello-Clan geworden war, zu dem der Boss gehört hatte. Vielleicht wurde es Zeit für einen Machtwechsel, überlegte Caruso, der auch schon daran gedacht hatte, zurück nach Italien zu gehen.

Während Leroy und Trevor sich weiterhin ihrem kindischen Gezänk hingaben, ließ er den Blick über die Docks schweifen. Der Londoner Hafen war eine Welt für sich, und wie die Metropole selbst, so kam auch er nie zur Ruhe. Über das Plätschern der Wellen, hörte er deutlich das Pfeifen der Alarmsignale, die von den Kränen und Gabelstaplern abgegeben wurden, die auch jetzt, mitten in der Nacht, im Schein greller Scheinwerfer Container verluden und Ladungen löschten.

Über allem lag ein strenger, modriger Geruch, der nicht nur vom schmutzigen Wasser der Themse herrührte, sondern auch von der nahe gelegenen Tierkörperbeseitigungsanstalt.

Dass dort nicht nur Kadaver tierischer Herkunft entsorgt worden waren, ahnten nur wenige.

Caruso verzog die Lippen zu einem schmallippigen Grinsen, wenn er daran dachte, dass auch die Reisfresser dort ihr Grab finden würden. Sie gründeten ihre Macht auf Angst und festigten diese durch Drohungen und Einschüchterungen. Eine Rechnung, die bei Feiglingen wie Trevor Jenkins aufgehen mochte, ja, selbst bei Leroy, der zwar den starken Mann markierte, aber nur, weil er ihn, Caruso, im Rücken wusste.

Seine Großmäuligkeit war doch auch nur ein Ausdruck von Furcht. Wie ein räudiger Köter, der die Zähne fletschte und bellte, während der Schwanz schon zwischen den Beinen klemmte.

Die drei Männer standen abseits des nächtlichen Trubels im Schatten eines Lagerhauses in dem eine besondere Ware zur weiteren Verschiffung untergebracht war: Zucker. Hier in Silvertown befand sich nämlich die größte Raffinerie Englands und auch die Verarbeitung von Zuckerrohr und -rüben verbreitete einen bitteren Gestank, der sich schwer auf die Atemwege legte.

Tief atmete Caruso ein und beobachtete, wie die vom Körper erwärmte Luft beim Ausatmen in der Kälte der Nacht zu weißen Schwaden kondensierte. Nicht nur, dass er sich mit diesen beiden Vollpfosten die Beine in den Bauch stand, zu allem Überfluss würde er sich auch noch den Hintern abfrieren.

Langsam trat er an die Ufermauer heran, dicht neben einem eisernen Poller. Er warf einen raschen Blick über die Schulter, doch außer den zwei Brüdern war keine Menschenseele zu sehen. Es näherte sich auch kein Wagen mit abgeblendeten Scheinwerfern.

Das gefiel ihm gar nicht. Die verdammten Reisfresser waren schon zehn Minuten überfällig. Für wen hielten sich die Schlitzaugen eigentlich?

Eine Gänsehaut kroch über seinen Rücken, und die feinen Härchen in seinem Nacken richteten sich auf. Das Ganze roch nach einer Falle!

Automatisch wanderte sein Blick zum Dach des lang gestreckten Lagerhauses, aber auch dort zeichneten sich keine Gestalten ab. Es war zwar Nacht, und Mond und Sterne verbargen sich hinter einer dichten Wolkendecke, doch allein durch die zahllosen Lichter der Millionenstadt, sowie die Scheinwerfer der Arbeiter, wurde es nie richtig dunkel.

Caruso überprüfte gewohnheitsmäßig den Sitz seiner Beretta im Schulterhalfter und wollte sich zu seinen Begleitern umdrehen, als ihn ein Geräusch innehalten ließ. Es war ein lautes, wässriges Klatschen, das das leise Plätschern der Wellen überlagerte.

Caruso wandte sich wieder dem Kai mit den klobigen Pollern zu, verengte die Augen und lauschte. Zumindest wollte er das, doch Trevors Greinen und Leroys Tirade wurden immer lauter und störender. Wenn die so weitermachten, würden sie als Erstes in der Tierkörperbeseitigungsanstalt landen, schwor sich Caruso.

»Haltet die Schnauze«, zischte er, und augenblicklich verstummten die beiden Brüder.

Es kam selten genug vor, dass der schweigsame Italiener etwas sagte, doch wenn er es tat, war es besser, man hörte ihm zu und befolgte das Gesagte. Caruso kümmerte sich nicht weiter um die Männer, die für ihn ohnehin nicht mehr als Ballast waren. Vor allem der weinerliche Trevor.

Vielleicht hatte der Boss sie deshalb mitgeschickt. Als Kanonenfutter für die Reisfresser, damit sich Caruso ihnen in Ruhe widmen konnte. Damit hätte der Boss zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Vielleicht war er doch nicht so verweichlicht, wie der Italiener argwöhnte.

Dass Leroy ebenfalls mit von der Partie war und vermutlich ins Gras beißen würde, war eine bedauerliche Notwendigkeit. Er war ein guter Laufbursche und ein passabler Schläger. Ein abgerichteter Hund, der auf Kommando gehorchte.

Sein Fehler war nur, dass er Trevors Bruder war und nach dessen Ableben vermutlich nicht mehr zu gebrauchen war.

Caruso schob die Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Er zog die Pistole aus dem Schulterhalfter und entsicherte die schwere Automatik. Die Waffe hatte ihm bereits gute Dienste geleistet und würde es wieder tun, da war sich Caruso sicher. Er pflegte sie besser als seine Zähne, und die waren schon makellos.

Caruso legte die rechte Hand unter den Kolben der Beretta und schlich lautlos auf den Rand des Kais zu. Die Mündung wies schräg nach unten, die Arme waren gestreckt. Sollten es die Reisfresser tatsächlich wagen, bei dieser Scheißkälte ins Wasser zu gehen und ihre Konkurrenten in voller Tauchermontur zu belauern?

Trevor hätte jetzt vermutlich irgendeine Bemerkung über Ninjas oder so einen Quatsch gemacht, doch davon wollte Caruso nichts hören. Selbst irgendwelche bekloppten Möchtegern-Ninjas, wären nicht so dämlich, bei Nacht durch die Themse zu schwimmen, um drei Leute auszuschalten.

Und das im Winter!

Wieder dieses Klatschen.

Irgendetwas war dort. Vielleicht ein Tier?

Caruso schob den Oberkörper über den Rand der Ufermauer, bereit, sofort zu schießen, sollte er auch nur den Umriss eines Menschen ausmachen.

Die Schüsse würde hier sowieso niemand hören und selbst wenn, wäre niemand so dumm, nachzusehen. Und bis die Bullen kamen, waren sie längst über alle Berge.

Doch da war nichts!

Das Wasser der Themse plätscherte in schwarzen Wellen, auf die die Lichter des Hafens zuckende Reflexe warfen, gegen den Kai.

Vielleicht doch nur irgendein dämlicher Fisch, dachte Caruso und wollte sich abwenden.

Die Wellen explodierten in einer Kaskade eiskalten Wassers, das auf Caruso hinabregnete, als stünde er mit voller Montur unter der Dusche. Seine weit aufgerissenen Augen starrten in den Vorhang aus Wasser, aus dem ein offenes Maul mit spitzen Zähnen jagte.

Im Reflex drückte Caruso ab, doch die Kugel fuhr wirkungslos ins Wasser.

Ein irrsinniger Schmerz durchfuhr seinen Unterleib, während sich spitze Zähne in seinen Hals gruben. Er hatte das Gefühl seine Kehle würde zwischen den Backen eines Schraubstocks stecken. Er wollte schreien, – nein, kreischen – aber sein Mund füllte sich bereits mit einer warmen, klebrigen, süßlich schmeckenden Flüssigkeit, die in einem Schwall herausschwappte.

Ein greller Schmerz zuckte durch seinen Oberkörper und die Kehle, in der etwas knackend und ruckartig nachgab, dann verschwamm die Welt um ihn herum, und ein greller Lichtblitz löschte sein Bewusstsein aus.

Dass sein Körper mit einem Ruck in die Fluten der Themse gerissen wurde, spürte er nicht mehr. Auch nicht, dass sein abgebissener Kopf mit einem feuchten Klatschen auf das kalte Pflaster schlug.

Da war er längst tot, obwohl sein Mund noch auf und zu klappte, als wollte er etwas sagen.

***

In der Halle herrschte eisige Kälte!

Kenneth Purnell schlug die Arme um seinen Oberkörper und beobachtete, wie sein Atem in der Luft kondensierte. War die Klimaanlage defekt?

Verdammt, hier drin war es ja noch kälter als draußen, und selbst dort bewegten sich die Temperaturen gerade mal im einstelligen Bereich. Aber immerhin im Plus, während er hier in der Arbeitshalle den Eindruck hatte, in einer Gefrierkammer zu stehen.

»Verdammt, wenn Granger sich nicht drum kümmert, melde ich mich morgen krank, da kann er drauf wetten.«

Zornig stapfte der Endvierziger aus dem Flur, der zu den Umkleiden und dem Pausenraum mit der Kantine führte, in die Werkhalle hinein. Der Betrieb lief rund um die Uhr, und obwohl es keine angenehme Arbeit war, die er seit mehr als zwanzig Jahren verrichtete, so war sich Purnell im Klaren darüber, dass sie nun mal gemacht werden musste.

Und so schrecklich es sich anhören mochte, aber man gewöhnte sich daran. Seinen beiden Kindern hatte er nicht erzählt, was er genau machte. Die wussten nur, dass er tagtäglich zur Arbeit fuhr und für ein sauberes London sorgte.

Früher oder später würde er es ihnen natürlich sagen müssen, aber das war kein Problem. Herrgott, letztendlich war es ein Job wie jeder andere auch, obwohl es nicht wenige Menschen gab, die angewidert die Nase rümpften, wenn er erzählte, was er beruflich tat.

Bigottes Pack, pflegte er dann stets hinterher zu seiner Frau zu sagen. Was glaubten die eigentlich, was mit ihren geliebten Vierbeinern passierte, wenn sie sie beim Tierarzt einschläfern ließen? Oder mit den nicht verwertbaren Teilen, die in den Schlachthöfen anfielen? Von den zahllosen Wildunfällen in und um London herum ganz zu schweigen.

Schließlich war es die Aufgabe einer Tierkörperbeseitigungsanstalt, dafür zu sorgen, dass infektiöse oder risikobehaftete Kadaver nicht zu einer Gefahr wurden.

Und es fiel genug Material an, sodass die Anlage im Prinzip rund um die Uhr laufen musste.

Allein heute Vormittag erwarteten sie die Lieferungen dreier Schlachthöfe aus dem Großraum London, die im Laufe des Tages zerkleinert und zu einem organischen Brei verkocht werden würden. Seine Aufgabe war es, das angelieferte Material zu prüfen und den Zerkleinerungsvorgang zu überwachen. Nicht, dass versehentlich noch etwas zwischen die Messer geriet, das dort nicht hingehörte. Sie waren schließlich kein Bestattungsinstitut.

Angeblich war es Kollegen schon passiert, dass sie einen menschlichen Leichnam entdeckt hatten. Ihm zum Glück noch nie, obwohl das wenigstens etwas Abwechslung in den drögen Alltag gebracht hätte, denn letztendlich war das, was er tat, nichts anderes als Fließbandarbeit. Tagein, tagaus immer dasselbe.

Die Lieferungen würden außerhalb der Halle in einen Trichter geschüttet werden. Von dort rutschte das Zeug eine Rampe hinab auf ein Fließband, das das Material zum Häcksler transportierte. Das System war hermetisch abgeriegelt, sodass er die Reste der Kadaver nicht direkt sehen oder riechen musste.

Kenneth hielt zielstrebig auf die Konsole zu. Sein Kollege hatte ihm eine kurze Übergabe der Nachtschicht gegeben, bei der es angeblich zu keinen Auffälligkeiten gekommen war.

Aber was sollte auch schon passieren?

Komisch nur, dass Bert diese Scheißkälte nicht aufgefallen war.

Das war doch nicht normal. Allein durch den Betrieb der Maschinen und der Anlage, in der Knochen, Fleisch und Blut verkocht wurden, hätte hier drin eine höhere Temperatur herrschen müssen. Und doch war es ihm, als kröche eisige Kälte durch seine Glieder. Oder wurde er tatsächlich krank?

Er dachte an seine kleine Tochter, die mit Fieber daheim im Bett lag. Hatte er sich womöglich angesteckt? Das fehlte ihm gerade noch. Kenneth verharrte vor der Bedienkonsole mit den Monitoren, auf denen er beobachten konnte, wie das angelieferte Material in den Häcksler befördert wurde. Trotz der Kälte brach ihm der Schweiß aus allen Poren. Wieso, zum Teufel, lief die Anlage überhaupt? Während des Schichtwechsels wurde der Häcksler abgeschaltet, das war Vorschrift!

Und dann glaubte Kenneth, ihn träfe der Schlag. Adrenalin peitschte durch seine Adern und sorgte für eine kurze Hitzewelle, ehe die lähmende Kälte mit Gewalt zurückkehrte.

Deutlich konnte er erkennen, wie ein menschlicher Körper die Rampe hinunterglitt.

Kurz darauf ein zweiter.

Worüber er eben noch im Scherze nachgedacht hatte, war schlagartig blutiger Ernst geworden.

Er musste die Anlage stoppen!

Dazu brauchte er nur nach vorne zu stürzen und die flache Hand auf den roten Alarmknopf zu drücken.

Nur gelang ihm das nicht. Keinen Finger konnte er mehr rühren. Er war gelähmt!

Wie Blitze schossen die Gedanken durch seinen Kopf, und sein Herz begann zu rasen. Panik wallte in ihm auf. Vielleicht ein Hirnschlag oder so was in der Art?

Eine Bewegung aus dem Augenwinkel sorgte für einen neuerlichen Adrenalinschub, dem es jedoch auch nicht gelang, ihm seine Bewegungsfähigkeit zurückzugeben. Nur seine Augen weiteten sich im Angesicht des Grauens.

War das ein Tier, das da zwischen den Stützten der Arbeitsstraße hindurchlief?

Schwarzes, wallendes Fell, das ständig in Bewegung zu sein schien mit den Schatten unterhalb der Anlage verschmolz. Rote Augen glühten in dem Schädel des Viehs.

Ein Hund, schoss es Kenneth durch den Kopf. Das war ein Hund. Aber was für einer!

Er musste an die alten Legenden von Old Shuck denken, dem schwarzen Geisterhund, der angeblich im Osten Englands umging und schon Sir Arthur Conan Doyle zu seinem »Hund der Baskervilles« inspiriert haben sollte.

Der Hund glitt unter der Anlage hervor und hob den Kopf mit der vorspringenden Schnauze. Kenneth sah, dass etwas Großes, Rundes zwischen den Kiefern steckte, und er erbleichte.

Das war ein Kopf.

Kenneth würgte. Hätte er sich bewegen können, er hätte auf dem Absatz kehrtgemacht und wäre geflohen. So musste er tatenlos mit ansehen wie der schreckliche Geisterhund auf die Konsole sprang, den Kopf auf die Armaturen fallen ließ und zu fressen begann.

***

»Es ist eine verdammte Schweinerei!«

Das Gesicht unseres alten Freundes Chiefinspektor Tanner war puterrot angelaufen. Hektisch kaute er auf dem Zigarrenstummel herum, der in seinem Mundwinkel hing, und schob sich den schäbigen Filzhut in den Nacken. Kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn und verrieten uns, wie aufgeregt der Leiter der Mordkommission war.

Wir hatten schließlich Mitte Januar, und die Temperaturen fielen zumindest in der Nacht deutlich unter null Grad. Doch selbst tagsüber kam man nicht gerade ins Schwitzen.

Dass dies bei dem alten Kämpen geschehen war, musste einen Grund haben, und ich brauchte kein Sherlock Holmes zu sein, um zu wissen, dass es derselbe war, der ihn veranlasst hatte, uns aus dem morgendlichen Büroschlaf zu wecken.

»Warum bist du überhaupt zuständig?«, wollte mein Freund und Kollege Suko wissen. »Silvertown liegt doch nun wirklich nicht mehr in deinem Revier.«

Tanner verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse. »Das ist allein eure Schuld«, rief er anklagend und stieß mir sogar den Finger gegen die Brust.

Ich hob beide Arme. »Moment mal«, protestierte ich. »Was haben wir denn damit zu tun? Du warst es doch, der uns hergeholt hat.«

»Ja, genau. Aber mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass wir häufiger miteinander zu tun haben. Offenbar ist mein Ruf schon genauso ruiniert wie eurer.«

Mir blieb vor Überraschung die Spucke weg. Ich kannte Tanner schon verflixt lange, doch manchmal konnte ich immer noch nicht einschätzen, ob er etwas ernst meinte oder einen seiner derben Scherze mit uns trieb.

»He, unser Ruf ist tadellos«, protestierte Suko und fing sich von Tanner ein abfälliges Schnauben und einen strengen Seitenblick ein.

»Da kann man durchaus geteilter Ansicht sein. Jedenfalls scheine ich mittlerweile immer dann gerufen zu werden, wenn die Verbrechen besonders scheußlich oder schlicht und ergreifend so sonderbar und unerklärlich sind, dass sich sonst niemand die Zähne daran ausbeißen möchte.«

Ich grinste schief und rümpfte die Nase, während ich den Blick über den Gebäudekomplex schweifen ließ, vor dem uns Tanner in Empfang genommen hatte.

»Und in welche Kategorie gehört dieser Mord?«

»Ich würde sagen: besonders scheußlich. Ihr werdet es ja gleich selbst sehen. Am besten ihr kommt mit. Und zieh nicht so ein Gesicht, John. Der Gestank stammt nicht von den Kadavern, die hier verwertet werden, sondern ist angeblich der Eigengeruch des Biofilters dieser Anlage.«