John Sinclair 2079 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2079 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Selten hatten wir unseren Chef Sir James Powell so ernst gesehen. Seine Miene war wie in Stein gemeißelt. Er kam ohne Umschweife auf den Punkt. "Packen Sie Ihre Sachen, meine Herren! Sie fliegen heute noch nach Moskau!"
Das war wirklich eine Überraschung und keine angenehme. Wenn Sir James mit einer derartigen Begrüßung einen Auslandseinsatz ankündigte, an dem wir beide teilnehmen sollten, dann drohte höchste Gefahr!
"Warum hat uns Karina Grischin nichts davon erzählt?", murmelte mein Freund Suko und sprach damit aus, was auch mir durch den Kopf gegangen war.
Traurig schüttelte Sir James den Kopf und ließ die Bombe platzen, die meine Welt nachhaltig erschütterte. "Das ist leider nicht möglich, denn Karina Grischin wird vermisst und ist höchstwahrscheinlich tot."

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Seitenzahl: 155

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Rasputin-Offensive

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6431-6

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Rasputin-Offensive

(1. Teil)

von Ian Rolf Hill

Selten hatten wir unseren Chef Sir James Powell so ernst gesehen. Seine Miene war wie in Stein gemeißelt. Er kam ohne Umschweife auf den Punkt. »Packen Sie Ihre Sachen, meine Herren! Sie fliegen heute noch nach Moskau!«

Das war wirklich eine Überraschung und keine angenehme. Wenn Sir James mit einer derartigen Begrüßung einen Auslandseinsatz ankündigte, an dem wir beide teilnehmen sollten, dann drohte höchste Gefahr!

»Warum hat uns Karina Grischin nichts davon erzählt?«, murmelte mein Freund Suko und sprach damit aus, was auch mir durch den Kopf gegangen war.

Traurig schüttelte Sir James den Kopf und ließ die Bombe platzen, die meine Welt nachhaltig erschütterte. »Das ist leider nicht möglich, denn Karina Grischin wird vermisst und ist höchstwahrscheinlich tot.«

Aufzeichnung der Operation Rasputin des Spezialkommandos Wolfsrudel

»Volchitsa Alpha an Peshchera! Rudel hat Ziel erreicht.«

Die Stimme Karinas war unter dem Knattern der Rotoren nur schwach zu verstehen, obwohl das Mikrofon ihres Headsets dicht vor den Lippen hing. Anhand der niedrigen Perspektive und des wellenförmig wehenden Grases war zu erkennen, dass sie sich nahe eines der beiden Helikopter aufhielt, die, stählernen Riesenvögeln gleich, in den klaren Himmel aufstiegen.

»Verstanden, Alpha. Gehen Sie rein! Ziel sichern und Bericht erstatten! Peshchera Ende«, quäkte die Antwort aus dem winzigen Lautsprecher in Karinas Ohr.

Leicht geduckt, die automatischen Gewehre fest an die Schultern gepresst, näherten sich die Mitglieder des Sondereinsatzkommandos dem umzäunten Gelände.

NATO-Draht glänzte im Schein der Sonne auf der doppelt mannshohen Umzäunung. Im Hintergrund erhob sich das Massiv des Urals, das im Rhythmus von Karinas Schritten wackelte, deren Bewegungen sich auf die Helmkamera übertrugen.

Schwarze Rauchsäulen stiegen von den Gebäuden innerhalb des Areals auf, das wie ein Fort angelegt war. Das eiserne Tor hing schief in der Verankerung, so als ob es gesprengt worden wäre. Nur nicht von Angreifern außerhalb des Forts, bei dem es sich offensichtlich um einen Militärstützpunkt handelte, sondern von innen heraus!

Wie Schatten huschten die Mitglieder des Spezialkommandos, genannt Speznas, an Karina vorbei, verlangsamten ihre Schritte und postierten sich beidseits des gewaltsam freigelegten Durchgangs, aus dem ebenfalls Rauchfahnen wehten und kurzzeitig die Sicht vernebelten.

»Pak Odin vorrücken!«, erklang Karinas Befehl!

Die behandschuhte Linke löste sich vom Lauf des AK-12-Sturmgewehrs und deutete mit zwei aneinandergelegten Fingern auf den Durchgang. Karina sank auf ein Knie, postierte sich mittig vor dem Tor und richtete die Mündung in gerader Linie auf die aus dem Inneren quellenden Rauchschwaden, bereit, den vorrückenden Männern Deckung zu geben. Die verschwanden nacheinander wie Schatten in dem Fort und verteilten sich lautlos.

Sekunden verstrichen, in denen Karina stumm den Qualm durch das spiegelblanke Plexiglas ihrer Schutzbrille hindurch beobachtete. Die Flammen vereinzelter Feuer zuckten hinter der Wand aus fettigem Rauch.

»Volk Beta an Volchitsa Alpha. Bereich gesichert.«

Das war die Nachricht, auf die Karina offenbar gewartet hatte. Ohne zu zögern setzte sie sich in Bewegung, gefolgt von den restlichen Mitgliedern ihres Teams. Der Rauch wurde für einige Herzschläge dichter, bevor sich der Kamera ein Bild des Schreckens präsentierte.

Ein Munitionsdepot musste explodiert sein. Von dort stammte der meiste Qualm. Weiter hinten brannten die Wracks mehrerer Hubschrauber und Laster. Das Knistern von Feuer wurde lauter, und die Kamera zeigte die Überreste eines ausgebrannten Jeeps, hinter dessen Lenkrad die verkohlte Leiche eines Soldaten klemmte. Den Mund zum Schrei geöffnet, die Uniform mit der darunterliegenden Haut und dem Fleisch zu einer schwarzen Masse verschmolzen.

Ein weiterer Mann lag bäuchlings neben der Beifahrerseite. Er musste versucht haben, zu fliehen, bevor ihn das Feuer erreicht hatte. Der Lauf von Karinas Gewehr schwenkte herum, richtete sich auf eine Gestalt zu ihren Füßen, die den Granatwerfer noch umklammerte, als handele es sich um eine Reliquie. Auch dieser Mann war bei lebendigem Leib verbrannt.

Karina hob den Kopf. Das war anhand der sich verändernden Kameraperspektive zu sehen. Im selben Atemzug kam die Meldung eines Speznas-Soldaten: »Keine Überlebenden.«

»Gebäude durchsuchen und sichern.«

Die Männer verschwanden in Baracken und Nebengebäuden. Karina eilte an dem zerstörten Munitionsdepot vorbei auf das höchste Gebäude zu, das wie der Tower eines Flughafens emporragte. Die gläserne Kanzel war geborsten.

Ein Mann mit einem Rammbock stieß die Tür auf.

Das heißt, er wollte es, doch die Tür schien von innen verbarrikadiert worden zu sein. Ein zweiter Soldat mit Trennschleifer drängte sich vor und schob das Blatt zwischen die Türhälften. Funken sprühten, und eine Kette rasselte zu Boden. Der Speznas zog sich zurück, und ein dritter Mann mit Sturmgewehr übernahm die Führung, gefolgt von Karina.

Im unteren Bereich der Zentrale war so gut wie keine Zerstörung auszumachen. Erst weiter oben fand das Sondereinsatzkommando Ruß- und Blutspuren, kurz darauf die erste Leiche.

Ebenfalls verkohlt.

Der Mann war scheinbar brennend aus der Kommandozentrale geflohen und nur wenige Meter weit gekommen, ehe ihn sein Schicksal ereilt hatte.

Karina schritt über den Toten hinweg und betrat hinter dem Soldaten die Zentrale.

Wind fuhr ungehindert durch die geborstenen Scheiben, brachte Rauch und Aschepartikel mit sich, wirbelte Staub und Dreck auf und zerrte am Papier herumliegender, teils angesengter Akten.

Derselbe Anblick wie unten im Freien.

Verbrannte Leichen, wohin die Kamera auch schwenkte.

Die Zeichen eines kurzen, aber heftigen Kampfes waren unverkennbar.

»Volk Gamma an Volchitsa Alpha. Überlebende gefunden! Wiederhole: Überlebende gefunden!«

Selbst durch die Optik der Kamera war zu erkennen, wie Karina Grischin, deren Name im oberen rechten Bildschirm-Rand eingeblendet wurde, versteifte.

»Volchitsa Alpha an Volk Gamma. Bestätige. Geben Sie Ihre Position durch!«

»Mannschaftsbaracke Zwei. Westseite. Erbitte Anweisung.«

Karina war bereits auf dem Weg zur Treppe, die nach unten zum Ausgang der Zentrale führte, als sie verharrte.

»Volchitsa Alpha an Volk Gamma. Situationsbericht!«, schnarrte Karina. Die Anspannung war ihrer Stimme deutlich anzuhören. Die Antwort wurde begleitet vom Echo der Tritte auf den Metallstufen.

»Überlebende ist ein Kind! Wiederhole: Überlebende ist ein Kind!«

Die Echos verstummten sekundenlang. Durch den Helmlautsprecher war heftiges, stoßweises Atmen zu hören, das lauter wurde, als würde sich der Träger des Mikros der Quelle der Geräusche nähern, sich zu ihm hinunterbeugen.

Ein leises Kichern war zu vernehmen.

Karinas Tritte polterten schneller auf den Stufen der Metalltreppe, als sie aus der Zentrale hechtete. »Volchitsa an Volk. Bleiben Sie von dem Kind weg! Ich wiederhole: Bleiben Sie von dem Kind weg!« Die Russin brüllte in das Helmmikro.

Einen Atemzug später schrie Volk Gamma wie am Spieß. Ein feuchtes Schmatzen war über den Lautsprecher zu hören. Der Schrei brach in einem Gurgeln ab, und im selben Moment erklangen von oben Schüsse, dicht gefolgt von Schreien und einem ohrenbetäubenden Brausen.

Karina wirbelte herum, wollte scheinbar zurück in die Zentrale eilen, als sich die Meldungen aus ihrem Headset überschlugen. Die Russin stand an der aufgebrochenen Tür, durch die das Sonnenlicht schien. Ein Schatten schob sich davor, und die Agentin fuhr abermals herum.

Der Angriff erfolgte mit der Sonne im Rücken, sodass der Feind nicht zu erkennen war. Nur dieser riesige Schemen, der zu den Seiten hin auseinanderfächerte. Karina stieß einen undefinierbaren Laut aus und riss die Waffe hoch, als ihr die Flammenwolke auch schon entgegenwallte.

Darunter war für den Bruchteil einer Sekunde eine kleine Gestalt mit dunkelblonden Haaren zu sehen, die in die Kamera winkte. Dann zerplatzte die Linse unter dem Ansturm der mörderischen Hitze.

Das Brüllen der Männer, das Krachen der Schüsse und das Brausen der Flammenwerfer war weiterhin hörbar, begleitet von einem schrillen Wimmern, das nur aus dem Munde Karinas stammen konnte.

Ein widerliches Knirschen war zu vernehmen, dann brach die Übertragung mit einem dumpfen Knacken ab.

Im Büro meines Chefs war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Niemand sprach ein Wort.

Sir James ließ uns Zeit, das Gesehene und Gehörte zu verdauen, und das war alles andere als leicht. Meine Kehle fühlte sich trocken und rau an, als hätte ich den ganzen Tag über nichts getrunken. Mein Puls raste und der kalte Schweiß trat aus sämtlichen Poren. Meinem Freund und Kollegen Suko auf dem Stuhl neben mir ging es nicht besser. Er war kalkweiß, und sein Gesicht sah aus, als wäre es mit Öl eingeschmiert worden.

Waren wir wirklich gerade Zeuge geworden, wie eine Freundin von uns auf grauenhafte Weise ihr Leben aushauchte?

Trotz der Warnung des Superintendenten war mir das Video an die Nieren gegangen. Und auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, so musste ich doch einsehen, dass das, was wir gesehen und gehört hatten, für sich sprach. Die Wahrscheinlichkeit, dass Karina diesen Einsatz überlebt hatte, war verschwindend gering.

Mir wurde speiübel!

Ich wandte den Blick von dem Flachbildschirm, der rechts an der Wand hing, ab. Er zeigte nur noch Schneegestöber, sodass Sir James ihn abschaltete.

Suko fand als Erster die Sprache wieder.

»Von wann ist diese Aufzeichnung?« Seine Stimme klang kratzig und fremd.

»Die Aufnahmen sind genau fünf Tage alt«, antwortete Sir James.

»Und wo wurden sie gemacht?«

»Südöstlich des Urals, in einer Militärbasis in der Oblast Tscheljabinsk, nahe der Grenze zu Kasachstan.«

Die Worte drangen wie aus weiter Ferne an meine Ohren. Der Blick ging ins Leere, und in meinem Geiste entstand ein Bild von Karina: wie sie auf mich zukam, das braune Haar schwungvoll zurückwerfend, auf den vollen Lippen ein glückliches Lächeln.

Ich schluckte und strich mir über die Augen.

Himmel, ich wusste ja, dass Karina einen gefährlichen Job hatte. Mit einer mindestens so niedrigen Lebenserwartung wie der Unsrigen. Das Schicksal ihres Partners Wladimir Golenkow, mit dem ich lange vor Karinas Zeit schon befreundet gewesen war, stand mir plastisch vor Augen.

Beide hatten beim russischen Geheimdienst gearbeitet, Wladimir sogar noch zu Zeiten des KGB, und beide hatten dort einen ähnlichen Job verrichtet wie wir bei Scotland Yard. Zu ihren ärgsten Feinden gehörte eine Gruppierung, die sich die Erben Rasputins nannte und der es unter der Führung einer Frau namens Chandra gelungen war, den sagenumwobenen Magister wiederzuerwecken.

Das hatte Wladimir Golenkow das Genick gebrochen. Bildlich gesprochen, denn zunächst hatte ihn eine Kugel in den Rollstuhl gebracht, danach war er entführt und zu einem untoten Killer gemacht worden. Ein grausames Schicksal, das Karina nur schwer akzeptieren konnte. Fortan führte sie den Kampf gegen Rasputin und seine Anhänger noch verbissener, obschon sie beinahe allein auf weiter Flur stand.

Der FSB hatte sie zwischenzeitlich sogar fallen gelassen, nur um sie später vor seinen Karren zu spannen, damit sie die Kastanien aus dem Feuer holte. Zum Glück für Karina zählten auch wir zu Rasputins erklärten Feinden, dessen langer Arm bis nach Großbritannien reichte.

Zuletzt schien er den Bogen überspannt zu haben, als er uns in Riga, der Hauptstadt Lettlands, seinen Leibwächter, ein untotes Ungeheuer, auf den Hals gehetzte hatte.

Das hätte Karina beinahe getötet und allein dem Eingreifen Chandras war es zu verdanken, dass sie noch lebte. Anschließend war es still um Rasputin geworden.

Karina Grischin waren wir danach noch einmal im Kampf gegen Lykaons Werwolf-Armee in Sibirien begegnet, und das lag nun auch schon fast zwei Jahre zurück. Von Rasputin und seinen Erben hatten wir in der Zwischenzeit ausgerechnet hier in Großbritannien wieder gehört. In Schottland hatten seine Killer das Vogelmädchen Carlotta entführt und es in eine Privatklinik in der Nähe von London gebracht.

Die war außerdem ein Schlupfwinkel des wahnsinnigen Genies Nikolai Kunasjanow gewesen, den ich unter den Pseudonymen Frank N. Stone und Dr. Satanos kannte. Als Letzterer hatte er mir zu Beginn meiner Karriere als Geisterjäger das Leben zur Hölle gemacht, bevor er die Klippen hinabgestürzt und für tot erklärt worden war.

Ein fataler Irrtum und jetzt paktierte er ausgerechnet mit Rasputin.

Zumal er auch einer Vereinigung fehlgeleiteter Wissenschaftler vorstand, den sogenannten VISIONÄREN. Von denen war ich in meiner Laufbahn bereits mehreren begegnet, und die wenigsten hatten es überlebt. Sie hatten früher schon Interesse an Carlotta gezeigt, deren Schöpfer, Professor Elax, ebenfalls zu diesem illustren Kreis gezählt hatte.

Carlotta hatten wir damals befreien können, doch Kunasjanow war uns entkommen. Gemeinsam mit einer seiner Schöpfungen, dem Zombie-Mädchen Galina Smarow, der Tochter des Londoner Medienmoguls Ivan Smarow, der für Rasputin hier in England die Fäden in der Hand gehalten hatte – bis wir seine Leiche in einem ausgebrannten Geländewagen unweit der Klinik gefunden hatten.

Ob das bedeutete, dass Rasputin Großbritannien aufgegeben hatte, wagte ich zu bezweifeln, aber meine Gedanken blieben ohnehin bei Galina hängen, deren Namen ich leise vor mich hinmurmelte.

Die überraschten Blicke von Sir James und Suko richteten sich auf mich.

»Was hast du gesagt, John?«, fragte mein Partner.

Ich hob den Kopf. »Galina Smarow. Das Mädchen, das der Soldat gefunden hat, kann nur Galina Smarow gewesen sein. Sie ist kurz vor Abbruch der Aufzeichnung zu sehen gewesen!«

Sir James rief das Video erneut auf und begann am PC zu hantieren, während wir die Ergebnisse seiner Arbeit auf dem Monitor an der Wand verfolgen konnten. Der Superintendent ließ das Geschehen am Ende, als sich der Schatten herabsenkte, im Standbildmodus ablaufen. Der Angreifer war trotzdem nicht zu identifizieren. Eine menschliche Gestalt, so viel stand fest, auch wenn ihre Konturen im oberen Drittel verschwammen und auseinanderliefen.

Wichtig für uns aber war das Mädchen, das nur einen winzigen Lidschlag lang zu sehen war. Sir James vergrößerte den entsprechenden Bereich. Das Bild sah reichlich verpixelt aus, trotzdem war ich sicher, dass es Galina Smarow war, das Zombie-Kind.

»Dann steckt Rasputin hinter der Aktion«, resümierte Sir James und entlockte mir dadurch ein abfälliges Schnauben.

»Ich bitte Sie, Sir. Gab es daran Zweifel? Das ist genau seine Handschrift. Lange haben wir nichts von ihm gehört, und jetzt geht er in die Offensive.«

Ich ballte die Hände zu Fäusten.

»Die Frage ist, was will er«, meinte Suko.

»Was wohl?«, rief ich zornig. »Er will Macht. Er will die Kontrolle über Russland, um seinen Einflussbereich von dort über den ganzen Erdball auszuweiten.«

»Schon klar«, erwiderte Suko und knetete sein Kinn. »Aber wieso fängt er ausgerechnet dort an?«

Sir James beugte sich vor und schaltete das Bild an der Wand um. Auf dem Flachbildschirm konnte er nicht nur Videos abspielen oder die Nachrichten auf BBC verfolgen, das Gerät war auch internettauglich. Sir James rief eine Karte des betreffenden Gebiets auf und zoomte den Ort des Geschehens heran.

»Fällt Ihnen nichts auf?«, fragte er, und es dauerte ein wenig, bis bei mir der Groschen fiel.

»Moment mal, ist das nicht die Gegend, in der vor gut einem halben Jahr die radioaktive Wolke entdeckt wurde?«

Sir James nickte grimmig. »Ganz recht.«

Sukos Augen wurden groß. »Soll das heißen, dass Rasputin dahintersteckt?«

Der Superintendent zuckte mit den Schultern. »Das soll zunächst gar nichts heißen, Suko. Aber die Korrelation der Ereignisse fällt auf, das muss ich zugeben. Ob Rasputin für den Anstieg der Radioaktivität direkt oder indirekt verantwortlich ist oder sie sich einfach zunutze macht, werden Sie herausfinden. Sofern der Angriff auf die Militärbasis tatsächlich auf sein Konto geht.«

»Er ist es«, knirschte ich. »Daran besteht kein Zweifel.«

»Langsam, John«, ermahnte mich Suko. »Gesetzt den Fall, du hast recht.« Er hob die Hand, als er sah, dass ich protestieren wollte. »Dann ist es nicht ratsam, zu emotional an die Sache heranzugehen. Ich muss dir nicht erst sagen, wie gefährlich Rasputin und Chandra sind. Und ihre Gefährlichkeit dürfte nach ihrem Pakt mit Kunasjanow noch zugenommen haben.«

Ich hob die Augenbrauen. »Wenn Chandra überhaupt noch mit von der Partie ist.«

»Sie meinen, Rasputin hat sie fallen gelassen?«, fragte Sir James neugierig.

»Ich meine, er hat sie beseitigt«, korrigierte ich.

Suko schüttelte den Kopf. »Kann ich mir nicht vorstellen. So eine wertvolle Verbündete findet er so schnell nicht wieder. Warum sollte er sie beseitigen? Nur weil sie seinen komischen Leibwächter erledigt hat?«

»Und einer Todfeindin zur Flucht verholfen«, erinnerte ich Suko. »Du weißt, wie unsere Gegner ticken. Speziell Rasputin. Er ist ein größenwahnsinniger Despot. Er kann es sich nicht leisten, dass seine Leute aufmüpfig werden, und sollte es dennoch geschehen, muss er ein Exempel statuieren. Aber kommen wir auf die radioaktive Wolke zurück.« Ich deutete auf den Monitor. »Das ist genau das, was Rasputin braucht. Die Bevölkerung ist sauer, weil sie denkt, dass die Regierung sie hintergangen und die Gefahr verschwiegen, beziehungsweise heruntergespielt hat.«

»Glauben Sie ernsthaft, er nutzt den Skandal, um politischen Einfluss zu gewinnen?«

»Möglich. Der Zeitpunkt wäre ideal. Vor allem, wenn er sich als Retter in der Not aufspielt.«

Suko schüttelte den Kopf. »Sorry, John. Aber da komme ich nicht mehr mit. Dafür müsste Rasputin aus dem Schatten heraustreten und sich in die Öffentlichkeit begeben. Die Russen werden wohl kaum einem untoten Magier die Geschicke ihres Landes anvertrauen.«

Ich verzog die Lippen, als hätte ich in eine Zitrone gebissen. »Er wird sich nicht als Rasputin zu erkennen geben. Vielleicht schickt er auch einen Strohmann vor, keine Ahnung. Aber der Anschlag auf die Militärbasis trägt die Handschrift von Terroristen. Wenn mich nicht alles täuscht, sind da Flammenwerfer zum Einsatz gekommen.«

»Richtig. Aber wir konnten nicht sehen, wer oder was sie abgefeuert hat. Die einzige Spur ist der Hinweis auf das Mädchen.«

»Und Karinas Reaktion. Sie wusste von Galina, schließlich habe ich sie persönlich über die Entwicklungen informiert.«

»Mag sein, aber die Beweislage ist dürftig. Trotzdem beharren Sie darauf, dass es sich um Rasputin handelt.«

Ich lächelte kantig. »Ganz recht und wissen Sie wieso?«

Sir James schüttelte den Kopf, doch bevor ich eine Antwort formulieren konnte, kam Suko mir zuvor. »Weil es eine Falle ist!«

Jetzt war es an Sir James, die Augen aufzureißen, was ihn durch die dicken Brillengläser noch stärker wie eine Eule aussehen ließ. »Eine Falle?«, echote er.

»Davon ausgehend, dass die Aufzeichnungen direkt an den Geheimdienst gesendet wurden, wirkte das ganze viel zu inszeniert. Karina muss ähnlich gedacht haben und konnte sich vermutlich denken, dass ihre Vorgesetzten sich an uns wenden würden, wenn sie nicht zurückkäme. Warum sonst hätte sie den Funkverkehr auf Englisch laufen lassen sollen?«

»Aber warum das Ganze?«

Jetzt war ich es, der die Antwort gab. »Wie schon gesagt, weil Rasputin in die Offensive geht. Er hatte lange genug Zeit, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Wer weiß, was er und Kunasjanow in der Zwischenzeit geschaffen haben?«

»Dann ist es ja gut, dass Sie offiziell einreisen dürfen, mit sämtlichen Waffen, die Ihnen notwendig erscheinen.«

Ich nickte bloß. Das war immerhin etwas, rechtfertigte aber nicht den Tod Karinas.