John Sinclair 2080 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2080 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Zu Lebzeiten war er ein Genie.
Verkannt und gefürchtet gleichermaßen, bereit, die Welt aus den Angeln zu heben. Bis ein Mann gekommen war, der ihn im wahrsten Sinne des Wortes zu Fall brachte.
Ein Inspektor namens John Sinclair ...

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Seitenzahl: 155

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Frankenstein-Protokoll

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6432-3

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Frankenstein-Protokoll

(2. Teil)

von Ian Rolf Hill

Früher

Zu Lebzeiten ist er ein Genie gewesen.

Verkannt und gefürchtet gleichermaßen, bereit, die Welt aus den Angeln zu heben. Bis ein Mann gekommen ist, der ihn im wahrsten Sinne des Wortes zu Fall brachte.

Ein Inspektor namens John Sinclair.

Doch er, der Mann, den man Satanos nannte, und der mit bürgerlichem Namen Nikolai Kunasjanow heißt, überlebte, nur um kurz darauf trotzdem zu sterben.

Fortan fristet er sein Dasein als körperloses, denkendes Bewusstsein im Reich eines mächtigen Dämons. Des Spuks.

Sammler der Seelen vernichteter Schwarzblütler und Herr im Reich der Schatten.

Obwohl er, Satanos, ein Mensch gewesen ist, ging auch er in die Dämonenhölle des Spuks ein. So wie viele andere vor und nach ihm ebenfalls. Und der Spuk denkt sich immer neue Teufeleien aus, mit denen er die Seelen knechten und martern kann.

So wie jetzt.

Eben noch ein Gefangener in der Schlucht der jammernden Steine, wo er ausnahmslos Schmerzen und Qualen litt, findet sich Satanos plötzlich in einem weiten Tal wieder, das von rauen Bergen umgeben ist.

Auch dieses Mal ist sein körperloses Bewusstsein in einen Stein gebannt, nur dass er seine Umwelt viel deutlicher wahrnimmt.

Und er ist nicht alleine!

Der Geist seines Schülers Marvin Mondo ist dem Spuk ebenfalls in die Klauen gefallen. Kein Wunder, starb er doch in seinem Reich. Ebenso wie der Dämonenrichter Maddox, der ihn einst kalt lächelnd zu jenen Torturen verurteilte, die er nun selbst erdulden muss.

Ein schwacher Trost. Aber in den Dimensionen des Schreckens ist die Genugtuung über die Qualen anderer häufig die einzige Freude.

Auch Vampire befinden sich unter den restlichen Fratzen, für die er plötzlich keinen Blick mehr hat, als zwei Männer durch das Tal schreiten. Einer von ihnen hat asiatische Züge, der andere ist hochgewachsen und blond.

Tief verwurzelter Hass bahnt sich seinen Weg, und Satanos spürt regelrecht, wie er sich als verzerrte Grimasse auf dem Stein abbildet.

Er erkennt seinen Todfeind auf Anhieb wieder.

John Sinclair.

Nikolai ist außer sich. Er brüllt und tobt, doch kein Laut dringt aus den Steinen. Anders als in der Schlucht im Reich des Spuks bleiben seine Schreie ungehört. Er sieht die Überraschung im Antlitz seines Rivalen, der ebenfalls nicht glauben kann, was ihm hier präsentiert wird.

Mit einem Mal ergreift Neugier von Satanos Besitz, als er beobachtet wie der Asiate einen Stab hervorholt und mit der Öffnung einen Kreis über dem Boden beschreibt.

Drei dunkle Schnüre ringeln sich wie Schlangen daraus hervor.

Es ist eine Peitsche, deren Riemen der Asiate im nächsten Augenblick auf die Fratze eines Vampirs niederfahren lässt. Und dann erscheint derjenige, dem sie ihr derzeitiges Schicksal zu verdanken haben.

Der Spuk.

Sinclair und sein Freund scheinen mit ihm zu reden, kurz darauf verschwindet der Dämon und die beiden Männer betreten eine Art Höhle.

Nikolai ist außer sich vor Wut. Jegliches Zeitgefühl ist ihm abhandengekommen.

Er will nicht länger in den Schatten darben, im absoluten Nichts dahinvegetieren.

Er will zurück in seinen Körper, um Rache zu nehmen, und sein Hass kennt keine Grenzen. Unvermittelt bietet sich ihm die einmalige Gelegenheit, mit der er schon nicht mehr gerechnet hat.

Ein grelles Licht brandet aus dem Eingang der Höhle, begleitet vom infernalischen Brüllen, wie es nur Dämonen auszustoßen imstande sind.

Die vollkommene Schwärze des Spuks wallt heran, reißt die Seelen wieder mit sich in die Verdammnis.

Licht und Schatten ringen um die Vorherrschaft, und mit einem Mal empfindet Nikolai nackte, kreatürliche Angst. Die Welt verwandelt sich in einen wirbelnden Strudel und dann zerbirst der Stein, in den der Spuk seine Seele gebannt hat, und alles wird anders.

Ein gewaltiger Sog reißt ihn hinfort.

Suko ging voll in seinen Gegner rein, um den Angriff des Geflügelten im Keim zu ersticken.

Doch ein auf den Wellen eines Sees schwankendes Luftkissenfahrzeug bot alles Mögliche, aber gewiss keinen sicheren Stand. Zumal der Antrieb wieder auf Hochtouren lief und der Fahrtwind an Sukos Kleidung zerrte.

Mit einem Satz sprang er auf das Dach des Cockpits und auf den Vermummten mit den dunklen Schwingen zu.

Kurz erhaschte er einen Blick auf Irinas entsetztes Gesicht hinter der Windschutzscheibe. Pjotr hielt sich dicht neben der Soldatin auf und duckte sich reflexartig, als Suko über ihn »hinwegflog«.

Dieser konnte sich nicht weiter um seine Gefährten kümmern, denn der bevorstehende Kampf forderte seine ganze Aufmerksamkeit.

Der Inspektor duckte sich, streckte das linke Bein aus und versuchte dem Maskierten die Beine unter dem Körper wegzusäbeln.

Es blieb beim Versuch, und Suko hätte beinahe vor Schmerzen aufgeschrien. Er hatte das Gefühl gegen eine Betonsäule getreten zu haben. Der verdammte Todesengel wankte nicht einmal, dafür ging er zum Gegenangriff über.

Er hob beide Arme, um die geballten Fäuste senkrecht auf Suko niederfahren zu lassen.

Instinktiv erfasste der Inspektor die Gefahr und warf sich zur Seite. Der Schlag verfehlte ihn, und der Geflügelte taumelte tatsächlich einen Schritt vorwärts. Jetzt hätte Suko nachsetzen können, doch er hatte andere Sorgen.

Er rutschte seitlich am Aufbau entlang und knallte auf den nachgiebigen Wulst des Luftkissens, der gerade einmal so breit wie ein menschlicher Körper war. Nur hatte er keine Reling, und heißer Schrecken durchfuhr den Inspektor, als er ins Wasser zu fallen drohte.

Im letzten Moment gelang es ihm, eine der diagonalen Streben, die den Propeller stützten, zu packen und sich festzuhalten. Seine Beine aber rutschten ab und hingen plötzlich im eiskalten Wasser.

Glücklicherweise verstummte in derselben Sekunde das Knattern des Antriebs, sodass das Hovercraft an Fahrt verlor. Das kam auch dem Geflügelten zugute, und der wollte seine Beute nicht entkommen lassen. Er sprang vom Dach der Kabine und breitete die Schwingen aus, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Die das Sonnenlicht reflektierenden Plexiglasaugen verliehen dem Angreifer ein gespenstisches, seelenloses Aussehen, und Suko zweifelte keine Sekunde daran, dass sich unter der Maske kein lebendes Wesen befand. Nicht umsonst galt Rasputin als Zombie-Macher, und mit Nikolai Kunasjanow hatte er einen kongenialen Partner gefunden, der das genetische Material des Vogelmädchens Carlotta auf ebenso schaurige wie effiziente Weise zu nutzen gewusst hatte.

Suko war weit davon entfernt, in Topform zu sein, und er hätte diesen Kampf gerne so rasch wie möglich beendet. Doch wie sollte er diesem Gegner beikommen, der nicht einmal durch die Magie von Buddhas Stab zu stoppen war?

Gegen Geschosse, ob nun aus herkömmlichem Blei oder aus geweihtem Silber, war er ohnehin gefeit. Wie schon auf dem Militärflugplatz nahe Moskau, so hätte Suko auch dieses Mal versucht, die Augen zu treffen, wenngleich das gar nicht so einfach war und die Sichtscheiben ebenfalls kugelfest waren.

Eine wirklich teuflische Kreatur, die Rasputin und Satanos da erschaffen hatten.

Die Hoffnung, dass es sich um eine Maschine handelte, die man mit Hilfe eines elektromagnetischen Impulses lahmlegen konnte, hatte sich leider nicht erfüllt.

Kurz überlegte Suko, sich ins Wasser sinken zu lassen, aber auch dort war ihm der Geflügelte überlegen. Nach dem Einschalten des EMPs war dieser tatsächlich abgestürzt. Jedoch nur, um Suko und seine russischen Gefährten in Sicherheit zu wiegen, unter dem Luftkissenboot hindurch zu tauchen und erneut anzugreifen.

Also wieder nach oben. Suko spannte die Oberarmmuskeln an, wollte sich mit einem kraftvollen Klimmzug zurück an Deck ziehen und wusste, dass er es nicht mehr rechtzeitig schaffen würde.

In seinem Rücken vernahm er eine Detonation, die ziemlich weit entfernt erklang.

Trotzdem konnte Suko die Richtung lokalisieren, und er hoffte inständig, dass es nicht das Hovercraft gewesen war, mit dem sein Freund John Sinclair gemeinsam mit Oberst Jegor Sokolow und Danilo unterwegs war.

Das flackernde Feuer, das sich sogar in den Augengläsern der Maske seines unheimlichen Kontrahenten widerspiegelte, belehrte ihn jedoch eines Besseren.

Nur war er weit davon entfernt, seinem Partner beistehen zu können, und er rechnete damit, dass der Geflügelte ihm den Absatz des Kampfstiefels ins Gesicht rammen würde. Bei der übermenschlichen Kraft des Todesengels würde ihm ein solcher Tritt den Schädel zerschmettern.

Aber der Unhold schien andere Pläne zu haben und befürchtete wohl, die sichere Beute im See verlieren zu können, wenn Suko sich erst einmal fallen ließ.

Und ehe sich der Inspektor versah, bückte sich der Geflügelte, ergriff den Kragen seiner Jacke und zerrte Suko mit spielerischer Leichtigkeit wieder hinauf auf den Wulst.

Suko machte sich schwer, bereitete sich auf den Gegenangriff vor, doch der Maskierte war schneller. Sein Hieb durchbrach mühelos Sukos Deckung und die Faust krachte auf sein bandagiertes Ohr, dessen Trommelfell bei dem Angriff auf den Flugplatz arg in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Ein scharfer Schmerz durchzuckte Sukos Schädel, als würde ihm jemand eine glühende Stricknadel durch den Kopf treiben. Ohne es zu wollen, brüllte er auf, und die Welt fing an sich zu drehen.

Einen Atemzug später wurde er mit Brust und Bauch gegen den Aufbau gepresst. Der Stoß war so heftig, dass ihm die Luft wegblieb.

Aus dieser Lage kam er nicht mehr heraus.

Als sich die Finger der behandschuhten Faust in sein Haar wühlten und den Kopf nach hinten rissen, während die zweite Klaue ihn weiterhin gegen die Kabine drückte, da wusste Suko, dass der Todesengel ihm jeden Moment das Genick brechen würde.

Für mich brach eine Welt zusammen!

Ich hielt Karina Grischin im Arm und wollte nicht wahrhaben, was ich hier, südöstlich des Urals in einem vergessenen Bunkerkomplex aus dem Zweiten Weltkrieg, erlebte.

Die Kälte, die ihr Körper aussandte, hatte ich ebenso erfolgreich ignoriert, wie den modrigen Geruch, der von ihrem Haar und der schmutzigen Kleidung ausging. Die schwache Erwärmung des Kreuzes war kaum der Rede wert. Einfache Untote entlockten meinem Talisman keine selbstständige Reaktion. Um einen Wiedergänger damit auszuschalten, erforderte es einen direkten Kontakt.

Doch die Tatsache, dass sie nicht atmete, war für mich nicht länger zu leugnen und die Wahrheit traf mich mit der Wucht eines Vorschlaghammers.

Karina Grischin war zu einem Zombie geworden!

Somit hatte sie dasselbe Schicksal ereilt wie ihren Partner Wladimir Golenkow.

Und ebenso wie mein alter russischer Freund, so wurde auch Karina für mich zur tödlichen Gefahr!

Ein kehliges Knurren drang an mein Ohr, und schlagartig verstärkte sich der Druck ihrer Arme.

Ich bekam das Gefühl in einem riesigen Schraubstock zu stecken oder in der Umklammerung eines Bären. Ich versuchte, den Griff zu sprengen. Vergebens.

Schon schnappte Karina mit ihren Zähnen nach mir und hätte sich fast in meinem Ohr verbissen oder gar ein Stück der Wange erwischt. Im buchstäblich letzten Augenblick gelang es mir, den Kopf zur Seite zu nehmen. In der Rückwärtsbewegung stieß ich die Stirn nach vorne, gegen ihre Nase, die knackend brach.

Kein Blut schoss hervor, ein weiterer Beweis dafür, dass mich eine lebende Leiche festhielt.

Ich presste den Ballen der linken Hand gegen ihren Kiefer, drückte den Schädel zurück und erschauerte bei dem Anblick ihrer trüben Augen, deren starrer Totenblick mir im Halbdunkel zuvor gar nicht aufgefallen war.

Die rechte Hand schob ich zwischen unsere Körper und in den Ausschnitt der Uniformjacke. Ich musste mich beeilen, denn lange konnte ich dem Druck nicht standhalten. Karina hatte als Untote eine geradezu mörderische Kraft.

Gewissensbisse, die ehemalige Freundin von ihrem Dasein zu erlösen hatte ich keine. Ich fühlte nur Wut und Trauer, wusste aber, dass es keine andere Möglichkeit gab, Karina ihren ewigen Frieden zu geben.

So, wie ich es schon bei zahlreichen Weggefährten hatte tun müssen.

Ich fühlte den Griff der Beretta und schnappte danach wie ein Verdurstender nach dem Glas mit Wasser, riss die Pistole hervor und rammte sie Karina in das abermals zuschnappende Maul.

Ich zog den Stecher, und das Blut sackte mir aus dem Kopf, sodass mir schwindelig wurde.

Kein Schuss löste sich, ja es klickte nicht einmal.

Ladehemmung, dachte ich und presste die Beretta noch fester in den Schlund der Untoten. Sie musste dem Druck Folge leisten und tat endlich das, was ich mit meiner Verzweiflungstat bezweckte.

Sie ließ mich los, griff nach meinem Hals und ich taumelte rückwärts, außerhalb ihrer Reichweite. Fast wäre ich über meine eigenen Beine gestolpert, konnte mich jedoch fangen und ließ die Beretta fallen, um die Hände frei zu haben und an das Kreuz zu gelangen.

»Karina«, krächzte ich, um vielleicht doch noch an einen Funken ihres alten Selbst zu appellieren. Ein törichtes Unterfangen, denn obwohl diese Wiedergängerin offenbar dazu in der Lage war, zu sprechen, antwortete sie mir nicht, sondern griff abermals an.

Ich duckte mich zur Seite und trat ihr die Beine unter dem Körper weg.

»Verdammt«, keuchte ich. »Wer hat dir das angetan?«

Eine dämliche Frage, ich weiß, dafür kam schließlich nur einer infrage.

Rasputin.

Möglicherweise hatte noch Satanos seine Finger im Spiel, gleichwohl ich keine Nähte in Karinas Gesicht oder an ihrem Hals ausmachte. Aber die konnten genauso gut unter der Kleidung verborgen oder kosmetisch versteckt worden sein. In dem Spiel aus Licht und Schatten, das die trübe Funzel an der Decke abgab, waren schließlich nicht alle Einzelheiten zu erkennen.

Karina gab mir keine Antwort, stieß lediglich dieses widerwärtige Knurren aus und wälzte sich wieder herum.

Plötzlich wurde sie für einen tumben Zombie erstaunlich schnell.

Bäuchlings auf dem Boden kauernd, fuhr sie herum wie eine Schlange. Ihr Arm schoss vor und schien länger und länger zur werden, bekam den Knöchel meines Fußes zu fassen und riss mir das Standbein weg.

Ich knallte mit dem Hinterkopf gegen die Mauer und sah Sterne.

Schatten einer Ohnmacht wallten heran, und ich wusste, dass ich aus dieser nur als Zombie erwachen würde, wenn überhaupt.

Vermutlich würde mich mein Kreuz sofort erlösen, sollte sich in mir ein schwarzmagischer Keim ausbreiten, um meinen Leichnam zu reanimieren.

Ein schweres Gewicht legte sich auf mich, und als sich meine Sicht wieder klärte, starrte ich direkt in das wächserne Antlitz der lebenden Leiche namens Karina Grischin.

Wieder wollte sie mir an die Kehle, und im letzten Augenblick riss ich den rechten Unterarm hoch und presste ihn gegen den Hals der Untoten. Zugleich winkelte ich das Bein an und stieß ihr das Knie in die Rippen. Es gelang mir, den Zombie von mir hinunter zu wuchten.

Ich rollte mich auf die entgegengesetzte Seite, nestelte mit der Hand in der Tasche der Cargohose und förderte einen schmalen Gegenstand hervor, der auf den ersten Blick wie ein Lippenstift aussah.

Die magische Kreide.

Auf den Knien wischte ich das Stroh beiseite und zog einen waagerechten Strich zwischen mir und der untoten Bestie. Sie fauchte, und ihr ausgestreckter Arm zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt.

Ich staunte einmal mehr über die Gesetze der Magie und wie viel Macht so ein einfacher Kreidestrich haben konnte. Im Stillen dankte ich Mandra Korab für die Rezeptur, und endlich bekam ich die Zeit, das Kreuz unter der Kleidung hervorzuholen.

Das Licht der Glühbirne warf funkelnde Reflexe auf das polierte Silber. Der Zombie wich augenblicklich zurück, kippte auf den Rücken und kroch wie ein Wurm auf die offene Tür der Zelle zu. Er wollte sich aus dem Staub machen.

Dagegen hatte ich was, überschritt den Kreidestrich mühelos und folgte dem Zombie, um ihn zu erlösen. Vielleicht bekam ich ja vorher doch noch ein paar Antworten. Möglicherweise konnte ich die Wiedergängerin auch als Führerin durch das unterirdische Labyrinth nutzen.

Zuvor aber musste ich mir Gewissheit verschaffen, was mit Jegor geschehen war.

Ich dachte an die Soldaten und an Rasputin, die erschienen waren, kurz bevor ich in den Bunker gestoßen worden war. Gestoßen von Oberst Jegor Sokolow.

Hatte er gewusst, was mich hier erwartete?

Ich dachte an die Beretta, die ich aufhob und wieder zurück ins Holster steckte.

Von wegen Ladehemmung, dachte ich. Der Bastard hatte die Schlagbolzen entfernt!

Na warte Bürschchen, wenn ich dich zwischen die Finger bekomme.

Karina war schon an der Tür, und ich stutzte, als ich den hellen Schimmer auf dem Betonboden sah.

»Aber, aber, Sinclair«, hörte ich auch schon die Stimme Rasputins aus dem Dunkel hinter der Tür. »Du wirst doch meinem kleinen Hündchen nichts antun wollen.« Er lachte dreckig und ich wollte schon die Formel rufen, als in das Dunkel hinter der Tür Bewegung kam.

Kurz darauf starrte ich in ein halbes Dutzend Gewehrmündungen, die die Soldaten Rasputins mit unbewegten Mienen auf mich richteten.

Jegor Sokolow brüllte wütend, riss die Maschinenpistole hoch und feuerte auf Rasputin.

Der warf den Kopf in den Nacken und lachte, wobei er die Arme ausbreitete.

Keine einzige Kugel erreichte den Magier. Noch in der Luft zerstoben sie Funken sprühend und zogen eine grell leuchtende Spur hinter sich her.

Dann fühlte er den heftigen Schlag an der Hüfte, wenig später an seiner linken Schulter. Zugleich wurde die Waffe in seinen Händen tonnenschwer und glühend heiß. Er vermochte sie nicht länger zu halten, musste hilflos zusehen, wie sie seinen Fingern entglitt und auf den moosbewachsenen Beton fiel, der sich vor dem Eingang des Bunkers befand.

Sein linker Arm fühlte sich taub an, und auch von der rechten Hüfte ging ein lähmendes Gefühl aus. Jegor Sokolow sackte in die Knie und konnte sich im letzten Moment mit der rechten Hand abstützten, bevor er mit dem Gesicht voran auf den Boden schlug.

Jeden Augenblick rechnete er mit dem finalen Schuss.

Stattdessen hörte er die Stimme jenes Mannes, dem ihre waghalsige Mission, die ihm plötzlich wie ein Himmelfahrtskommando vorkam, überhaupt galt.

»Feuer einstellen«, rief Rasputin.

Jegor Sokolow starrte vor sich auf die Erde. Seine Sicht verschwamm, klärte sich wieder, nur um von Neuem zu verwischen. Wie hypnotisiert beobachtete er, wie das Blut aus der Wunde an seiner Hüfte auf den Boden tropfte und eine größer werdende Lache bildete. Normalerweise hätte er sich die linke Hand auf die Wunde pressen müssen, doch momentan hatte er das Gefühl, überhaupt keinen linken Arm mehr zu haben, geschweige denn eine entsprechende Hand.

Schmerzen verspürte er dagegen kaum.

Noch, aber das würde sich bald ändern. Sofern er die kommenden Sekunden oder Minuten überlebte.

Sein Sichtfeld verdunkelte sich, als Rasputin an ihn herantrat und vor ihm in die Hocke ging. Eine bleiche Hand mit langen, dünnen Fingern schob sich unter sein Kinn und hob den Kopf an.

»Was für ein törichtes Unterfangen. Aber ich danke dir, dass du uns deine kleine Abteilung und zwei unserer größten Feinde gewissermaßen auf dem Silbertablett serviert hast. So steht meiner baldigen Machtergreifung nicht mehr viel im Weg.«

Er wartete die Erwiderung Sokolows gar nicht erst ab, der sich ohnehin nicht in der Lage sah, zu antworten. Ein kaltes Gefühl breitete sich von der Schusswunde ausgehend in seinem Leib aus.