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Benasir wusste, dass es Ärger gab, noch bevor Natahra in ihre Gemächer stürmte.
"Was ist los, Nati?" Die Leiterin des Bordells hielt inne und sah ihre Freundin besorgt an. Der Ausdruck der Furcht in Natahras Augen beunruhigte sie.
"Unten wartet ein Mann auf dich, der mit dir sprechen möchte."
Benasir entspannte sich und schmunzelte. "Nur sprechen?" Sie zuckte mit den Schultern. "Wenn er genug Geld dabeihat, kann er mir die ganze Nacht die Ohren vollsülzen. Schaff ihn herauf."
Natahra schüttelte den Kopf. "Bena, du verstehst nicht. Dieser Kerl ... er ist widerlich ... und ..."
"Und was?", fragte Benasir ungeduldig, als Natahra verstummte.
"Ich glaube, er ist kein Mensch!"
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Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Der Feind meines Feindes
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Jozef Klopacka; Ondrej Chvatal/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7115-4
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Feind meines Feindes
von Ian Rolf Hill
Benasir wusste, dass es Ärger gab, noch bevor Natahra in ihre Gemächer stürmte.
Die Leiterin des Bordells stieg gerade aus der Dusche und trocknete sich die schwarzen Haare ab, die lang und seidig auf ihre samtweichen Schultern fielen. Es störte sie keineswegs, dass ihre Vertraute unangemeldet hereinplatzte und sie splitterfasernackt erblickte.
»Was ist los, Nati?« Benasir hielt inne und sah ihre Freundin besorgt an. Der Ausdruck der Furcht in Natahras Augen beunruhigte sie.
»Unten wartet ein Mann auf dich, der mit dir sprechen möchte.«
Benasir entspannte sich und schmunzelte. »Nur sprechen?« Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn er genug Geld dabeihat, kann er mir die ganze Nacht die Ohren vollsülzen. Schaff ihn herauf.«
Natahra schüttelte den Kopf. »Bena, du verstehst nicht. Dieser Kerl … er ist widerlich … und …«
»Und was?«, fragte Benasir ungeduldig, als Natahra verstummte.
»Ich glaube, er ist kein Mensch!«
Mandra Korab war nervös, was Sefaya sichtlich amüsierte.
Die Halbchinesin mit dem runden Puppengesicht reichte dem baumlangen Inder gerade mal bis unter die Brust und spielte kokett mit einer Strähne ihres glänzenden Haares, die sie sich um den Finger wickelte. Sie saßen sich in Baststühlen gegenüber, die in einer Ecke der feudal eingerichteten Empfangshalle standen, direkt neben dem Eingang des unscheinbaren Hauses in der Desker Road.
Der Begriff Halle erschien Mandra allerdings reichlich übertrieben. Es war mehr ein langer Schlauch, an dessen Wänden dicke Teppiche mit kunstvoll gestickten Motiven hingen. Ein Flokati dämpfte die Schritte und umschmeichelte Sefayas nackte Füße.
Auch Mandra hatte die Schuhe ausziehen müssen, was ihn nicht störte. Im Gegensatz zu der Art des Etablissements, in das er eingeladen worden war. Dabei war es weniger die Tatsache, dass es sich um ein Bordell handelte, als vielmehr der Umstand, dass die Frau die ihn begrüßt und sich mit dem klangvollen Namen Sefaya vorgestellt hatte, mehr einem unschuldigen Mädchen glich als einer erfahrenen Prostituierten.
Obwohl es draußen noch hell war und die Straßen voller Leben, herrschte drinnen eine gedämpfte Atmosphäre. Durch die Schlitze der ebenfalls aus Bast bestehenden Jalousien vor den winzigen Fenstern sickerte nur wenig Licht. Gegenüber dem dunkel gebeizten Tresen, der zurzeit noch verwaist war, hingen zwei Leuchter an der Wand, die einen warmen, einschmeichelnden Schein verbreiteten.
Der süßliche Geruch von Kräuterstäbchen legte sich schwer und klebrig auf Mandras Atemwege. Ihm war warm, und er schwitzte nicht nur unter den Achseln, auch die Handinnenflächen fühlten sich klamm an. Das Bedürfnis, den sorgfältig geschlungenen Turban abzunehmen, wurde übermächtig.
Doch er widerstand dem Impuls, er war schließlich nicht zum Vergnügen hier. Daran erinnerte ihn auch der Druck der sieben Dolche, die seitlich und am Rücken in eigens dafür angefertigten Futteralen steckten.
»Warum sind Sie so nervös, Mandra?«
Sefaya hatte die nackten Beine angezogen und hockte im Lotossitz auf der Sitzfläche ihres Stuhls. Sie trug nicht mehr als einen seidenen Kimono, der in der oberen Hälfte aufklaffte, als sie sich vorbeugte und dem Inder tiefe Einblicke gewährte. Nein, warum sollte sie auch einen Büstenhalter tragen, wo sie offenbar schon nicht viel von Slips hielt.
Versuchte das kleine Luder etwa, ihn einzulullen und zu verführen?
In seinem Metier musste er jederzeit damit rechnen in eine Falle gelockt zu werden. Und nichts lenkte die Aufmerksamkeit eines Mannes effektiver ab als die Anwesenheit einer schönen Frau, noch dazu, wenn diese es verstand, ihre Reize richtig einzusetzen.
Nur war Mandra nicht unbedingt ein gewöhnlicher Mann und wusste aus eigener leidvoller Erfahrung, wie oft sich hinter den schönsten Fassaden das absolute Grauen verbarg. Davon abgesehen hätte seine Gastgeberin wissen müssen, dass er selbstbewusste Frauen bevorzugte, keine kokettierenden Mädchen, die versuchten mit naivem Charme ihre Freier zu becircen.
Außerdem wurde sein Geduldsfaden merklich dünner. Wie schon erwähnt, er war nicht zum Vergnügen hier und hätte dafür auch nicht extra nach Singapur fliegen müssen. Seine Heimatstadt Kalkutta bot dahingehend reichlich Abwechslung.
»Warum bin ich hier, Sefaya?« Er ging gar nicht auf ihre Frage ein, die sie mit gekonntem Augenaufschlag gestellt hatte. Hätte nur noch gefehlt, dass sie sich schwungvoll auf seinen Schoß gesetzt hätte.
»Weil meine Herrin Benasir mit Ihnen sprechen möchte. Das wissen Sie doch?«
Mandra nickte. »Ja, das weiß ich. Deshalb wundert es mich ja, dass sie mich jetzt so lange warten lässt.« Er sah sich demonstrativ um. »Oder hat sie gerade einen wichtigen Kunden bei sich?«
Sefaya lächelte. »Der reguläre Betrieb öffnet erst in einer Stunde.«
»Und der nicht-reguläre?«
»Ist Männern wie Ihnen vorbehalten. Wenn Sie mögen, verkürze ich Ihnen die Wartezeit entsprechend. Ich versichere Ihnen, dass Sie sich danach wünschen werden, die Herrin Benasir hätte sie länger warten lassen.«
Sefaya richtete sich auf, drückte den Rücken durch und zog am Ausschnitt des Kimonos. Bevor ihre kleinen Brüste frei lagen, winkte Mandra schnell ab. »Nein, danke.«
Die zierliche Chinesin schloss den Kimono und kicherte. Sie genoss das Spiel.
»Warum nennst du Benasir Herrin?«
»Weil Sie meine Herrin ist.« Sefaya runzelte die Stirn, als müsse sie das Offensichtliche aussprechen.
»Besteht sie etwa darauf? Ich meine gehörst du ihr?«
Milde lächelnd schüttelte seine Gesprächspartnerin den Kopf. »Weder noch. Sie ist wie eine große Schwester. Meine Beschützerin, und ich würde alles für sie tun. Alles, verstehen Sie?«
Mandra rieselte eine Gänsehaut über den Rücken. Einem anderen Mann wäre die Veränderung im Tonfall der jungen Prostituierten sicherlich ebenso wenig aufgefallen wie das kalte Glitzern in den Augen. Doch er ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.
»Also ist sie deine Zuhälterin«, stellte er ungerührt fest.
Sefayas Miene versteinerte. »Keineswegs. Ich kann tun und lassen, was ich will. So wie alle Mädchen hier. Wir brauchen keine Zuhälter, Beschützer, Abkassierer oder Rausschmeißer.«
»Offenkundig.« Tatsächlich hatte Mandra bislang keinen einzigen Mann in dem Etablissement gesehen. Was aber nichts bedeuten musste, schließlich hatte er außer dem Eingangsbereich bisher keine weiteren Räumlichkeiten zu Gesicht bekommen. Genauso wenig wie eine der anderen Frauen. Sefaya war bislang die Einzige.
»Wie viele Frauen arbeiten hier?«
»Mit Benasir sind es vierzehn.«
»Also empfängt sie ebenfalls Kunden?«
Sefaya hob leicht die Augenbrauen. »Aber sicher. Sie ist eine sehr attraktive Frau«, erwiderte sie irritiert, als würde das bereits als Erklärung ausreichen.
»Wo kommst du her, Sefaya?«
Sie lächelte.
»Du willst es mir nicht sagen, nicht wahr?«
»Ich werde nicht fürs Reden bezahlt. Nur für das Vergnügen.« Sie legte den Zeigefinger an ihr Kinn, verdrehte die Augen, um an die Decke zu schauen, und überlegte kurz. »Oder eher für die Erleichterung.« Sie neigte den Kopf und blickte Mandra ins Gesicht. »Und nicht nur im rein körperlichen Sinne.« Sie deutete auf ihre Ohren.
»Und wenn ich dich dafür bezahle, dass du mir mehr über dich verrätst?«
Sefayas Lächeln wurde breiter. »Selbst in unserer Branche gibt es Dinge, die man für Geld nicht kaufen kann.«
Die fröhliche Unbekümmertheit der jungen Frau wirkte ansteckend auf Mandra.
Die Kleine versteht ihr Handwerk, dachte er amüsiert und entspannte sich unwillkürlich. So locker und eloquent war niemand, der dazu gezwungen wurde, seinen Körper zu verkaufen. Trotzdem blieb Mandra wachsam. Schließlich waren seine Gegner wahre Meister in der Kunst der Täuschung.
»Ich würde gerne mehr über dich erfahren«, wagte er einen weiteren Vorstoß und wurde abermals von der jungen Frau verblüfft.
»Was möchten Sie denn wissen?« Sie legte den Kopf schräg und musterte ihn aus mandelförmigen Augen, deren grüne Iris Sefaya selbst für hiesige Verhältnisse exotisch aussehen ließ.
»Hast du Familie? Einen Freund? Eine eigene Wohnung? Hast du einen Beruf erlernt?«
»Viele Fragen auf einmal und nur eine Antwort, die ich Ihnen geben kann.« Sie hob die angewinkelten Arme und richtete die offenen Handflächen nach oben. Mandra benötigte einen Augenblick, um zu verstehen, dass das ihre Antwort war.
»Moment mal, willst du mir sagen, dass du hier lebst?«
Sefaya nickte. »Benasir und die anderen Frauen sind meine Familie. Was ich hier tue, ist mein Beruf, und ich genieße den Luxus, zu Hause arbeiten zu können.«
»Ist das nicht gefährlich?«
»Nicht gefährlicher als andere Berufe.« Sefaya schmunzelte. »Wichtig ist doch nur, dass wir das, was wir tun, mit Freude machen.« Es klang nicht einstudiert oder auswendig gelernt, sondern absolut authentisch.
»Selbstverständlich gibt es immer wieder Männer, und sogar Frauen, die gewisse Spielregeln nicht anerkennen und Grenzen überschreiten. Das tun sie allerdings nur ein einziges Mal.« Und da war sie wieder diese lauernde Kälte in ihrer Stimme, die Mandra erschauern ließ.
Wie sollte er den letzten Satz auffassen? Als Drohung, Warnung oder schlicht und ergreifend als Feststellung?
»Wie meinst du das?«, fragte er geradeheraus und prompt wurde ihr kleines Gespräch unterbrochen, sodass Mandra sich ein wenig vorgeführt vorkam und das Gefühl nicht loswurde, die ganze Zeit über beobachtet worden zu sein.
Eine Bewegung jenseits des Tresens, am gegenüberliegenden Ende des Raumes, erregte seine Aufmerksamkeit. Eine Asiatin mit kurzen blondierten Haaren, die mit Gel zu fingerlangen Stacheln geformt worden waren, schälte sich aus der Dunkelheit. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug und ein eng anliegendes Top darunter.
»Genug Sefaya!«, sagte sie, aber in ihrer Stimme lag keine Strenge, sondern lediglich ein milder Tadel. »Du kannst dich jetzt frisch machen. Die ersten Gäste kommen gleich. Ich nehme mich unseres Gastes an.« Mit diesen Worten wandte sich die geschäftsmäßig gekleidete Frau an Mandra Korab. Sie verbeugte sich leicht, wobei ihre Beine steif und kerzengerade nebeneinanderstanden. Sie trug hochhackige Pumps, die vorne spitz zuliefen.
Für Mandra war es ohnehin ein Rätsel, wie Frauen darin laufen konnten. Auf dem hochflorigen Teppich den Halt zu bewahren erschien ihm dagegen wie ein kleines Wunder.
»Mein Name ist Natahra. Ich bin die persönliche Assistentin von Benasir. Die Herrin ist jetzt bereit, Sie zu empfangen, Mister Korab.«
☆
Nachdem er sich von Sefaya verabschiedet hatte, folgte der Inder der zierlichen Asiatin durch einen engen Flur mit dezenter Beleuchtung. Mehrere Türen lagen dicht nebeneinander, sodass die Räume dahinter maximal zweieinhalb Yards in der Breite messen konnten. Gerade Platz genug für ein Futonbett oder eine Massageliege.
»Machen Sie eigentlich auch Hausbesuche?«, fragte Mandra neugierig, und Natahra antwortete, ohne sich umzudrehen. »Natürlich. Gegen entsprechende Bezahlung machen wir alles.« Am Ende des Flurs blieb sie stehen und sah ihrem Gast in die Augen. »Nun ja, fast alles.«
Über eine schmale Stiege mit hölzernen Stufen, die unter Mandras Gewicht ächzend protestierten, gelangten sie in die oberen Etagen. Er wunderte sich darüber, wie geschmeidig und lautlos sich seine Führerin bewegte. Dabei beobachtete er, dass sie nur die vorderen Fußballen aufsetzte und die Pfennigabsätze gar nicht belastete.
Auf dem Absatz zum ersten Stock blieb Natahra stehen. »Hier befinden sich die Zimmer, in denen die Frauen und Mädchen wohnen. Gearbeitet wird ausschließlich im Erdgeschoss.« Sie drehte sich um und ging die Treppe hinauf zur dritten Etage, dem zweiten Obergeschoss. Dort zog sie eine Tür auf, hinter der ein mit Teppich ausgelegter Gang lag.
An den hell gestrichenen Wänden hingen gerahmte Landschaftsfotografien. Sie zeigten allesamt dichten Dschungel sowie die geschmeidigen Leiber von Raubkatzen. Mandra erkannte schwarze Panther, Tiger, aber auch Jaguare aus Südamerika.
Zwei offene Durchgänge mit rundem Sturz lagen sich gegenüber. So erhielt Mandra Einblick in ein opulent eingerichtetes Wohnzimmer mit einer halbkreisförmigen Couch, die vor einem Flachbildfernseher stand, der die Ausmaße einer kleinen Kinoleinwand hatte.
Rechts befand sich eine Küche von der Größe eines Speisesaals. Mandra erkannte eine Tafel mit jeweils sechs Stühlen an den Längsseiten und einem an jedem Ende.
Platz für vierzehn hungrige Mäuler, dachte er und folgte Natahra zum Ende des Korridors. Zwei geschlossene Türen lagen sich gegenüber, ein weiterer offener Durchbruch führte geradeaus in ein großzügig geschnittenes Arbeitszimmer, in dessen Mitte ein riesiger Schreibtisch aus schwarz lackiertem Holz schräg vor zwei verglasten Wänden stand, durch die man auf die Skyline von Singapur blicken konnte. Sie trafen im Rücken des Schreibtischsessels rechtwinklig aufeinander, sodass man unweigerlich das Gefühl bekam, im Freien zu stehen.
Hinter den Scheiben erstreckte sich ein schmaler Balkon, von dem eine eiserne Wendeltreppe hinaufführte. Vermutlich auf eine Art Dachterrasse, von der der Ausblick atemberaubend sein musste. Auch hier oben wurden Mandras Schritte von dichtem Teppich gedämpft. Überrascht registrierte er, dass der hochlehnige Stuhl aus weichem Nappaleder, der hinter dem Schreibtisch stand, leer war.
Irritiert, aber auch leicht verärgert, wollte sich Mandra zu Natahra umdrehen, die ihm den Vortritt gelassen hatte. Er schaffte die Drehung nicht einmal zur Hälfte. Er erstarrte mitten in der Bewegung und sah ungläubig auf die Wand links neben dem Eingang. Doch es war nicht der bis zur Decke reichende, entrindete Baumstamm mit dem Durchmesser zweier ausgewachsener Männer, der in der Ecke stand und seine Blicke wie magisch anzog.
Auch die beiden Äste von der Dicke eines Oberschenkels, die in Brusthöhe aus dem Stamm und in den Raum hineinragten, brachten Mandra nicht aus der Fassung.
Es war der riesige orange-schwarz gestreifte Bengaltiger, der träge auf dem kahlen Ast ruhte und Mandra aus grüngelben Augen taxierte.
»Darf ich vorstellen?«, flüsterte Natahra hinter ihm. »Benasir, die Herrin der Tigerfrauen von Singapur!«
Das Blut sackte Mandra schlagartig aus dem Kopf. Ihm wurde nicht nur schwindelig, sondern abwechselnd heiß und kalt. Also doch, dachte er grimmig, und seine Hände fuhren gedankenschnell zu den Dolchen, deren Scheiden in Höhe der Hüften hingen.
In diesem Moment riss der Tiger das Maul auf und stieß ein knappes Brüllen aus.
Mandras Finger berührten gerade einmal die blutroten Griffe der Waffen, als sich zwei kräftige, behaarte Pranken von hinten um seinen Oberkörper schlangen und die gekreuzten Unterarme vor dem Bauch fixierte.
Dicht neben seinem rechten Ohr vernahm er das Fauchen eines zweiten Tigers. Stinkender Raubtieratem strich heiß über seine Wange.
Die Falle war zugeschnappt.
☆
Jede Sekunde musste der tödliche Biss erfolgen, der ihm den Hals zerfetzte!
Mandra spannte die Arme an, rief ein magisch wirksames Wort in einer uralten, vergessenen Sprache, das er in alten Schriften gefunden hatte, und rammte gleichzeitig den Hinterkopf auf die Schnauze des Wertigers in seinem Rücken.
Die Enttäuschung darüber, dass der eisenharte Griff der Kreatur nicht augenblicklich gesprengt wurde, währte nur kurz. Mandra nutzte den um wenige Zentimeter erweiterten Spielraum. Sein Körper erschlaffte, und er ließ sich einfach fallen.
Wie ein Aal rutschte er zwischen den Pranken hindurch, störte sich nicht an den Kratzern an den Armen, die die fingerlangen Krallen hinterließen. Er befand sich kaum in der Hocke, da streckte er das rechte Bein, wirbelte herum und senste dem Monster in seinem Rücken die Füße unter dem Körper weg, noch bevor die zum Schlag erhobenen Pranken auf ihn niederfahren konnten.
Er nutzte das Bewegungsmoment, um sich in die Höhe zu schrauben, riss die beiden Dolche aus den Scheiden, und streckte die Arme in entgegengesetzte Richtungen aus, sodass die Spitze der Waffe in seiner linken Faust auf die Tigerin wies, die andere jedoch auf die auf dem Rücken liegende Natahra.
Sie bot einen bizarren Anblick, denn bei ihr hatten sich lediglich Arme und Kopf in den einer Tigerin verwandelt. Der restliche Körper war menschlich geblieben und trug immer noch den geschäftsmäßigen Hosenanzug. Nur die Ärmel und der Hemdkragen waren durch die angeschwollenen Muskeln gesprengt worden. Gerade schickte sie sich an, die Verwandlung zu vervollständigen, und fast hätte sich Mandra von dem Schauspiel ablenken lassen, als er die Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Die Tigerin sprang von dem Ast herunter. Mandra rechnete mit einem Angriff – und wurde abermals überrumpelt.
Dort, wo eben noch eine zähnefletschende Raubkatze mit tellergroßen Pranken gestanden hatte, erhob sich jetzt eine vollständig unbekleidete Frau, deren jettschwarzes Haar glatt und seidig über ihre Schultern fiel und auch die Brüste verbarg.
Ausgeprägte Wangenknochen und eine gerade Nase in einem ausdrucksstarken Gesicht, dessen Willensstärke von den kalt funkelnden Augen noch unterstrichen wurde. Sie war keine Asiatin und hatte eher slawische Züge.
»Halt!« Obwohl die Frau nackt und waffenlos war, wohnte ihrer Stimme eine immense Befehlsgewalt inne, der sich selbst Mandra nicht entziehen konnte.
Er wurde zur menschlichen Statue und rührte sich nicht mehr. Nicht, weil er es nicht gekonnt hätte, sondern weil er den unwiderstehlichen Drang verspürte, dieser Frau zu gehorchen.
Zum Glück verhielt es sich bei Natahra ähnlich. Das aggressive Brüllen und Fauchen in Mandras Rücken verstummte wie ausgeschaltet. Kurz darauf vernahm er das Rascheln von Kleidung. Er kümmerte sich nicht weiter um Benasirs Assistentin, denn die unbekleidete Frau trat auf ihn zu, bis die Spitze des Dolchs nur wenige Zentimeter von der Haut zwischen ihren Brüsten entfernt war.
»Nimm deine Waffen herunter! Es droht keine Gefahr!«
Und wieder gehorchte Mandra, der ahnte, weshalb man Benasir Herrin nannte.
Er senkte die Arme, froh darüber, die angespannten Muskeln lockern zu können. Normalerweise hätte er längst ein leichtes Ziehen in den Oberarmen verspürt, schließlich nötigte eine derart starre Haltung einiges an Kraft ab, und die Dolche hatten ein nicht unbeträchtliches Gewicht.
Dieses Mal jedoch überlagerten die brennenden Schmerzen, die ihren Ursprung in den Kratzern und Rissen an seinen Unterarmen hatten, sämtliche Empfindungen. Die Krallen der Tigerfrau hatten die Ärmel des Jacketts und des darunterliegenden Hemds zerfetzt wie dünnes Pergament.
»Natahra, hol Verbandszeug und Salbe! Wir müssen die Wunden versorgen.«
Endlich schaffte es Mandra, sich umzudrehen. Die Dolche aber behielt er weiterhin in den Fäusten, bereit, sie sofort wieder hochzureißen, um sich zu verteidigen. Doch von Benasirs Assistentin ging keine Bedrohung mehr aus. Die Arme präsentierten sich wieder schlank und hellhäutig, das Gesicht war menschlich. Nur die Haare lagen nicht länger so exotisch frisiert auf dem Kopf, sondern standen wirr nach allen Seiten hin ab und hätten dringend eines Kamms bedurft.
Die Pumps waren Natahra während des Kampfes und der Verwandlung, die Benasirs Befehl noch im Ansatz vereitelt hatte, von den Füßen gerutscht. Die Assistentin hob sie auf und verließ auf nackten Sohlen das Arbeitszimmer, um das Gewünschte zu holen.
Benasir aber trat zur Seite und deutete auf einen flachen Tisch, vor dem zwei Sitzkissen lagen.
»Bitte nehmen Sie Platz, Mister Korab. Dann erkläre ich Ihnen, weshalb Sie hier sind.«
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