John Sinclair 2112 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2112 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Das Summen des Handys riss Molly aus dem ohnehin schon unruhigen Schlaf!
Sie nahm noch das Erlöschen der winzigen Signallampe wahr, die die Dunkelheit mit fahlem Licht erhellte. Kurz darauf starrte sie mit weit geöffneten Lidern in die Finsternis. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und kalter Schweiß brach ihr aus sämtlichen Poren, während ihr Atem schneller ging.
Ohne das Smartphone in die Hand zu nehmen und auf das Display zu starren, wusste sie, dass eine Chat-Nachricht eingegangen war. Selbst der Absender war ihr bekannt. Und sie wusste auch, welche Konsequenzen es hatte, wenn sie die Mitteilung las. Am besten drehte sie sich einfach um, schloss die Augen und schlief weiter.
Doch das tat Molly nicht. Stattdessen griff sie mit zitternder Hand nach dem Smartphone.
Sie öffnete die Nachricht - und erschrak buchstäblich zu Tode ...

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Krähenfrau

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Joe Therasakdhi/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7464-3

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Krähenfrau

von Ian Rolf Hill

Das Summen des Handys riss Molly aus dem ohnehin schon unruhigen Schlaf!

Sie nahm noch das Erlöschen der winzigen Signallampe wahr, die die Dunkelheit mit fahlem Licht erhellt hatte. Kurz darauf starrte sie mit weit geöffneten Lidern in die Finsternis. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, und kalter Schweiß brach ihr aus sämtlichen Poren, während ihr Atem schneller ging.

Ohne das Smartphone in die Hand zu nehmen und auf das Display zu starren, wusste sie, dass eine Nachricht per WhatsApp eingegangen war. Selbst der Absender war ihr bekannt. Und sie wusste auch, welche Konsequenzen es hatte, wenn sie die Mitteilung las. Am besten drehte sie sich einfach um, schloss die Augen und schlief weiter.

Doch das tat Molly nicht. Stattdessen griff sie mit zitternder Hand nach dem Smartphone.

Sie öffnete die Nachricht – und erschrak buchstäblich zu Tode.

Die andächtige Stille im Büro wurde nur von zwei Geräuschen unterbrochen: dem Klappern der Computer-Tastaturen und dem Röcheln der Kaffeemaschine. Eine echte Seltenheit, denn normalerweise war es nie so ruhig, wenn wir alle anwesend waren.

Wir, damit meine ich natürlich Glenda Perkins, unsere Sekretärin, Suko und mich. Das morgendliche Herumgealbere hatten wir hinter uns gebracht und warteten jetzt sehnsüchtig auf die Mittagspause. Da bis dahin noch mehr als zwei Stunden Zeit waren und sich die Arbeit erfahrungsgemäß nicht von selbst erledigte, hauten wir gemeinsam in die Tasten, dass es qualmte.

Nur im sprichwörtlichen Sinne, denn das Einzige, was hier rauchte, waren unsere Köpfe.

Berichte, Spesenabrechnungen, Anlegen von Akten für die Personendatenbanken – der ganz alltägliche Bürowahnsinn, vor dem wir uns auch als Geisterjäger nicht drücken konnten.

Genauso wenig wie vor der Annahme von Telefonaten.

Das Bimmeln des Apparats riss mich aus der Konzentration. Mein Blick begegnete dem meines Partners Suko, der mich über die Ränder der aufgeklappten Laptops hinweg fixierte.

»Du oder ich?«, fragte er.

Ich musste grinsen. »Du weißt doch, wer sich bewegt, hat verloren«, erwiderte ich in Anlehnung des alten Beamtenmikado-Kalauers.

»Ich bin heute gefahren, also bist du dran.«

»Aber ich bin der Dienstältere und …«

»Hoffentlich nimmst du gleich ab oder der Kaffee landet im Ausguss«, erklang von nebenan Glendas Stimme.

Ich murmelte etwas von Erpressung und schnappte mir den Hörer.

»Gott sei Dank, Sie sind im Büro«, sagte die Anruferin, nachdem ich mich gemeldet hatte.

»Ähm, wer spricht da bitte?«

»Oh, Verzeihung, hier ist Doktor Peterson. Ich bin Ärztin im St. Mary’s Hospital. Sie kennen mich.«

»Tatsächlich?«, fragte ich und sah Suko an, der heftig nickte. Ich hatte das Gespräch auf Lautsprecher geschaltet.

»Ja, ich war einer der behandelnden Ärzte, als ihr Partner im Koma lag.1) Es ist schon zwei Jahre her, aber ich habe den Fall nicht vergessen. Damals ist ein Kollege von mir, Doktor Burke, ums Leben gekommen.«

»Ich erinnere mich«, sagte ich wahrheitsgemäß, und vor meinem geistigen Auge entstand das Bild einer attraktiven, dunkelhaarigen Frau Anfang Dreißig im weißen Arztkittel. Allein die Erwähnung von Sukos Koma sorgte bei mir für einen Erinnerungsschub.

Es war kurz vor Sheilas Tod gewesen. Als Doktor Burke getötet wurde, befand ich mich allerdings einige hundert Kilometer nördlich in Schottland. Asmodis selbst hatte einen seiner gefürchteten Kugeldämonen geschickt, um Suko zu töten. Glücklicherweise erwachte dieser rechtzeitig aus dem Koma, um dem Monster mit der Dämonenpeitsche den Garaus zu machen und Schlimmeres zu verhindern.2)

»Was können wir für Sie tun, Doktor Peterson?«, fragte ich. Die Ärztin hatte genug von unserer Arbeit mitbekommen, um nicht grundlos anzurufen. Dass sie sich ausgerechnet an unsere Abteilung wandte, musste einen besondere Grund haben.

»Bitte kommen Sie ins St. Mary’s. Intensivstation. Es gibt da ein Problem, das möglicherweise in Ihr Spezialgebiet fällt.«

»Möglicherweise?«

»Ja, um ehrlich zu sein, ich stehe vor einem Rätsel. Es geht um zwei tote Teenager.«

»Bitte, Doktor Peterson, das ist zwar tragisch, aber ich wüsste nicht, wie wir Ihnen da behilflich sein könnten.«

»Nun, vielleicht deshalb, weil ich keine Todesursache feststellen kann. Vom medizinischem Standpunkt aus betrachtet müssten Molly Jenkins und Christian Harper noch am Leben sein. Aber sie sind es nicht.«

»Wir sind unterwegs«, rief ich und legte auf.

Keine halbe Stunde später stoppte Suko seinen BMW auf dem Besucherparkplatz des St. Mary’s Hospital, das nördlich des Hyde Parks im Stadtteil Paddington stand, der durch den gleichnamigen Bären berühmt geworden war, sowie durch einen Kriminalroman von Agatha Christie.

Ein Pulk Raben kreiste über der Klinik und veranstaltete einen Heidenlärm. Es war ein schauriger Anblick, aber nichts Außergewöhnliches. In der Nähe von Menschen fanden diese Tiere Nahrung, und in Krankenhäusern wird viel weggeworfen.

Suko eilte voran, und wir erreichten eben die elektronische Schleuse, hinter der sich die Intensivstation befand, als diese sich öffnete und Dr. Peterson vor uns stand.

Sie lächelte verkrampft und reichte uns nacheinander die Hand.

»Es freut mich, Sie beide wohlauf zu sehen«, sagte sie, und es klang ehrlich. Dr. Peterson war niemand, der sich mit Floskeln aufhielt.

Wir folgten der Ärztin in einen Raum, in dem zwei fahrbare Pflegebetten standen. Darin lagen die ausgezehrten Leiber zweier Teenager, die an lebenserhaltende Apparate angeschlossen waren.

Neben den obligatorischen Überwachungsmonitoren sahen wir Herz-Lungen-Maschinen sowie Infusionspumpen, die für künstliche Ernährung zuständig waren.

Eine dunkelhäutige Schwester stand zwischen den Betten und hängte gerade einen frischen Beutel Nährlösung an den Infusionsständer des jungen Mannes. Sie lächelte uns an, als wir eintraten.

»Das ist Schwester Berengar, die Ihnen ebenfalls bekannt sein dürfte.«

»Inspektor Suko«, rief sie erfreut. »Schön Sie zu sehen. Und Sie natürlich auch Inspektor Sinclair.«

Die Korrektur meines Dienstrangs verkniff ich mir, da ich ohnehin keinen Wert auf Titel legte. Nachdem wir die Begrüßung hinter uns gebracht hatten, trat ich an das Bett, das der Tür am nächsten stand. Molly Jenkins war ein hübsches Mädchen von fünfzehn oder sechzehn Jahren, mit kastanienbraunem Haar. Ihre Wangen wiesen noch etwas Babyspeck auf, und sie hatte sicherlich niedliche Grübchen beim Lächeln gehabt. Jetzt lag sie wie aufgebahrt vor uns, und ihre bleiche Haut hob sich kaum von dem weißen Laken ab.

Ich achtete auf eine Reaktion des silbernen Kreuzes, doch die blieb aus. Suko trat zwischen die Betten in mein Sichtfeld, während Dr. Peterson am Fußende stehen blieb. Schwester Berengar stellte die Infusionspumpe an und erkundigte sich leise, ob sie noch gebraucht wurde.

»Nein, danke. Du kannst gehen.«

Die Pflegerin nickte uns zu, lächelte schüchtern und ließ uns mit den beiden leblosen Teenagern allein.

»Was unterscheidet sie von anderen Komapatienten?«, erkundigte sich Suko.

»In erster Linie, dass unsere Komapatienten nicht hirntot sind!«, antwortete die Ärztin barsch und deutete auf einen der Monitore. Weder Suko noch ich nahmen ihr den Tonfall krumm.

Es genügte ein Blick in das Gesicht von Dr. Peterson, um zu erkennen, dass sie unter Stress stand. Winzige Schweißtropfen perlten auf ihrer Stirn.

Ich hob die Hände. »Also schön, wenn diese Beiden hier hirntot sind, warum erhalten Sie dann ihre Körper am Leben?«

Doktor Peterson seufzte und schloss die Augen. »Weil sämtliche sicheren Todeszeichen fehlen! Der Körper hätte längst mit der Autolyse beginnen müssen. Aber es gibt keine Totenflecken, und die Leichenstarre hat ebenfalls noch nicht eingesetzt.«

»Sie sprachen von sicheren Todeszeichen. Ich gehe davon aus, dass die unsicheren Zeichen vorliegen.«

Die Ärztin nickte heftig. »Und zwar alle! Ohne die Apparate würden Molly Jenkins und Christian Harper nicht atmen. Es gibt auch keinen Puls, keine Reflexe. Der Muskeltonus ist schlaff, die Leichenblässe ist ebenfalls vorhanden, das nennt man Palor mortis. Selbst die Körpertemperatur ist mit dem Leben nicht vereinbar. Und sehen Sie hier!«

Sie drängelte sich an Suko vorbei und zog aus der Brusttasche ihres Kittels einen Stift. Als sie hinten auf den Knopf drückte, sah ich, dass es sich um eine Taschenlampe handelte, wie auch wir sie verwendeten. Doktor Peterson beugte sich über Molly und zog Ober- und Unterlid des rechten Auges auseinander. Der Lichtstrahl traf die Pupille, die sich keinen Millimeter zusammenzog.

»Lichtstarr«, kommentierte die Ärztin und sah mich ernst an.

»Und diese Zeichen können auch dann vorliegen, wenn der Patient nur …« Ich zögerte, denn das letzte Wort wollte mir nicht so recht über die Lippen kommen.

»Scheintot ist, richtig. Aber keine Bange, die Zeiten, in denen Menschen lebendig begraben wurden, sind lange vorüber, und selbst im berüchtigten Mittelalter dürfte dies höchst selten vorgekommen sein. Das ist mehr eine urbane Legende.«

Ich presste die Lippen aufeinander und verzichtete darauf, der Ärztin zu erklären, dass mich diese urbane Legende schon mehrfach fast das Leben gekostet hatte.

»Aber der Hirntod ist ein sicheres Todeszeichen?«, hakte ich nach.

»Ja, festzustellen über das EEG. Andere sichere Todeszeichen sind Verletzungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind, wie beispielsweise Enthauptungen oder eine sogenannte Enthirnung. Totenflecken und Leichenstarre habe ich bereits erwähnt. Hinzu kommt noch das Einsetzen der Fäulnis.«

»Okay, Doktor«, schaltete sich Suko ein. »Nehmen wir mal an, ein solcher Fall wird irgendwo anders eingeliefert. Dort wo ein Arzt tätig ist, der nicht Ihre Kenntnisse in Sachen übernatürlicher Phänomene hat oder zumindest nicht so offen dafür ist. Was würde dann passieren?«

Über die Schulter hinweg nickte sie zu dem jungen Mann hinüber. »Christian Harper wurde bereits vor drei Tagen in das St. Thomas eingewiesen. Die Kollegen haben ihn künstlich am Leben erhalten. Stehen wir vor so einem Rätsel beraten wir in der Ärztekonferenz und ziehen auch die Weltgesundheitsorganisation zu Rate. Wir sind gut vernetzt, müssen Sie wissen. Als heute Morgen Molly Jenkins eingeliefert wurde, bat ich darum, die beiden Patienten zusammenzulegen. Es kostete mich nicht viel Mühe, die Kollegen vom St. Thomas zu überreden, Harper hierher zu verlegen. Ein Zeichen dafür, wie ratlos die Kollegen sind und wie wenig Hoffnung sie haben.«

Ich nickte und scheute mich davor, die nächste Frage zu stellen. »Und was ist, wenn man streng nach Lehrbuch vorgehen würde?«

Doktor Peterson senkte den Kopf. »Der Hirntod ist eindeutig. Wenn keine Todesursache festgestellt werden kann, wird in der Regel eine Obduktion vorgenommen.«

Mir drehte sich der Magen um, und selbst Suko wurde bleich. »Sie meinen, die … die Patienten werden aufgeschnitten?«

Die Ärztin nickte wortlos.

Ich atmete scharf durch die Nase ein. »Wie lange?«, fragte ich. »Wie lange, bis man diesen Schritt geht?«

»Das ist schwer zu sagen. Gehen Sie von achtundvierzig Stunden aufwärts aus. Der Hirntod muss eindeutig erwiesen sein, dann müssen die Angehörigen zustimmen. Lehnen diese ab, muss ein Richter sein Okay geben. Bei unklarer Todesursache wird ohnehin die Polizei verständigt und die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.«

Plötzlich wurde ich hellhörig, und ich nickte Suko knapp zu.

»Du Sir James, ich Purdy.«

Ich hörte noch, wie er Doktor Peterson fragte, ob sie sich in den anderen Krankenhäusern der Stadt nach ähnlichen Fällen erkundigt hatte, und angelte das Smartphone aus der Innentasche meines Jacketts.

Die Zeiten, in denen der Betrieb der medizinischen Geräte durch Mobiltelefone gefährdet war, war lange vorbei. Hoffentlich befand sich die Person, die ich anrufen wollte, nicht in einer Verhandlung, doch ich hatte Pech.

»Tut mir leid, Mister Sinclair. Aber Miss Prentiss ist bei Gericht«, gab mir ihre Assistentin zu verstehen.

»Dann holen Sie sie bitte trotzdem ans Telefon. Es ist dringend!«

»Tut mir leid, aber das geht nun wirklich nicht. Was denken Sie …?«

»Ich denke, dass Miss Prentiss ziemlich sauer sein wird, wenn Sie es nicht tun. Ich rufe nicht zum Spaß an. Und wenn Sie es eben nicht richtig verstanden haben sollten, dann wiederhole ich gerne, dass ich von Scotland Yard bin. Sie können gerne dort anrufen und sich von Superintendent Sir James Powell meine Identität und meine Befugnisse bestätigten lassen. Also entweder Sie rufen Doktor Prentiss an, oder ich lasse die Verhandlung polizeilich unterbrechen. Was glauben Sie, wäre ihrer Chefin lieber?«

Meine Gesprächspartnerin schwieg endlose fünf Sekunden lang, dann meinte sie: »Ich werde veranlassen, dass Doktor Prentiss Sie zurückruft. Auf die Nummer, die ich hier im Display sehe?«

»Ja, bitte!«

»Sehr gerne!«, flötete die Assistentin.

Ich atmete auf und steckte das Handy weg.

»Bislang sind keine weiteren Fälle gemeldet worden«, sagte Suko, der sein Smartphone gleichfalls verstaute.

»Zumindest nicht, dass ich wüsste«, schränkte Doktor Peterson ein.

Ich winkte ab. »Wenn das stimmt, was Sie sagen, werden Scotland Yard und die Staatsanwaltschaft die Betroffenen ausfindig machen und hierher verlegen lassen. Sollte es Personalprobleme geben …«

Die Ärztin winkte ab. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Tatsächlich machen diese zwei hier relativ wenig Arbeit. Gerätschaften können wir zur Not von anderen Abteilungen oder Häusern beziehen. Das werden wir schon schaffen, wenn die Patienten nicht gleich dutzendweise eingeliefert werden.«

Ich schluckte trocken bei dem Gedanken an ein solches Szenario. Bilder von Lazaretten erschienen vor meinem geistigen Auge. Sollte es sich um eine Epidemie oder Pandemie handeln und der Ausnahmezustand ausgerufen werden, würde es zu einer Panik kommen.

»Was werden Sie jetzt unternehmen?«

»Wir werden uns mit dem Umfeld der beiden Betroffenen auseinandersetzen und mit den Angehörigen reden. Ist Ihnen etwas bekannt?«

Sie lächelte schmal. »Nur dass sich die beiden Opfer kannten.«

Hoppla, dachte ich. Das war eine Überraschung. »Flüchtig oder gut?«

»Gut, würde ich sagen. Sie glauben gar nicht, was hier los war, als Mollys Eltern Christian Harper im Bett haben liegen sehen. Die zwei waren in einer Clique.«

Ich sah, wie Suko aufatmete, und konnte es ihm nicht verdenken. Zumindest schränkte das die Gefahr einer Seuche ein. Natürlich konnte eine solche trotzdem vorliegen, schließlich folgte eine Krankheit bestimmten Ansteckungs- und Verbreitungswegen. Aber selbst dann standen die Chancen gut, dass wir den Patienten Null, also den zuerst Infizierten, im Umfeld der Clique fanden.

Doktor Peterson wollte uns gerade die Adressen holen, als mein Handy summte.

Es war Purdy Prentiss, die Staatsanwältin. »John, ich hoffe du hast einen verdammt guten Grund.«

»Den habe ich«, sagte ich knapp und schilderte ihr im Telegrammstil, was vorgefallen war und was ich von ihr wollte. »Du musst prüfen, ob es weitere solcher Fälle gibt und Anträge auf eine Obduktion gestellt wurden.«

»Ich gehe davon aus, dass du dich nicht allein auf London beschränken willst.«

»Landesweit, Purdy.«

Sie seufzte. »Ich tu, was ich kann.«

»Danke dir, dafür hast du dir ein Essen verdient.«

»Das wird aber nicht billig, mein Lieber.«

»Ich dachte, ich koche für dich.«

»Du?« Sie lachte. »Speck und Spiegeleier werden für diesen Job nicht reichen.«

»Schade, dann bleibt uns wohl nur eine Tiefkühlpizza.«

»Alter Geizhals.«

»Vergiss nicht, dass meine Familie ursprünglich aus Schottland stammt. Die Sparsamkeit wurde mir in die Wiege gelegt.«

»Darüber sprechen wir noch, mein Lieber.«

»Jederzeit gerne«, erwiderte ich lächelnd, dann verabschiedeten wir uns. Das Geplänkel hatte mir gutgetan, doch rasch hatte mich die Gegenwart wieder. Von Alltag wollte ich nicht sprechen, denn an dieser Situation war überhaupt nichts Alltägliches.

Ich trat noch einmal an das Bett von Molly Jenkins und nestelte das Kreuz unter der Kleidung hervor. Reglos lag es auf der Hand. Nur das Licht der Neonlampen reflektierte auf dem Silber, das die Wärme meines Körpers abstrahlte. Mehr jedoch nicht. Kein Hitzeimpuls, der auf schwarze Magie hindeutete, kein Schatten oder Farbschimmer, der mir zeigte, dass hier eine fremde Kraft wirksam war. Ich muss gestehen, dass mich dieser Umstand irritierte, denn dass der Zustand der beiden Teenager nicht mit rechten Dingen zuging, lag auf der Hand.

Andererseits wusste ich auch, dass es Kulturkreise und Magien gab, auf die das Kreuz nicht reagierte. Allein weil sein Erschaffer Hesekiel sie nicht gekannt hatte.

In diesen Momenten wünschte ich mir einen unserer zahlreichen Verbündeten an meine Seite, die sich mit fremden Magien auskannten, und ich überlegte, ob ich Mandra Korab konsultieren sollte. Er stammte aus Indien, wo es die geheimnisvollen Totsprecher gab. Hatten wir es möglicherweise mit einem Solchen zu tun?

Meine Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Während meines ersten Falles als Geisterjäger hatte ich es mit einer Zombie-Armee zu tun bekommen, die von einem Medium aus den Gräbern geholt worden war. Auch diese Frau war eine Totsprecherin gewesen.

»John, alles okay?« Ich schrak zusammen, als Suko plötzlich hinter mir stand und mir die Hand auf die Schulter legte.

»Wie? Ja, ja, alles gut. Ich musste nur gerade an Indien und die Totsprecher denken.«

Mein Partner nickte. »Das Kreuz reagiert nicht?«

»Nein. Willst du es mit der Dämonenpeitsche probieren?«

Suko warf Molly Jenkins einen langen Blick zu, wobei er andeutungsweise mit dem Kopf schüttelte. »Um ehrlich zu sein, traue ich mich nicht. Wir wissen nicht, wer oder was für ihren Zustand verantwortlich ist. Vielleicht ist die Magie der Peitsche zu stark. Sie könnte die Kinder töten.«

»Ja, das kann ich verstehen. Ich habe mit dem Kreuz auch keinen Körperkontakt hergestellt. Ich wollte zunächst sehen, ob es überhaupt reagiert.«

»Natürlich hast du daran gedacht, Mandra Korab zu fragen.«

Ich hob überrascht die Augenbrauen. »Bist du unter die Gedankenleser gegangen?«

»Nein, aber ich bin immer noch Polizist. Du hast doch selbst eben von Indien gesprochen.«

»Touché. Trotzdem sollten wir erst einmal mit den Eltern der beiden Teens sprechen. Und hoffen, dass nicht noch mehr Kids betroffen sind oder schon unter dem Messer liegen.«

Es hatte locker klingen sollen, doch meine Stimme krächzte wie die eines alten Raben. Der Gedanke, lebendig begraben zu werden, war schlimm genug. Lebendig obduziert, war jedoch mindestens genauso schrecklich.

Wer steckte dahinter?

Was hatten die Kinder getan, dass sie jemand auf diese Weise bestrafte?

»Molly ist tot!«, rief Kelly schluchzend und klammerte sich an Jay, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.