John Sinclair 2122 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2122 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Mein Berserkergang

von Ian Rolf Hill

"Das Vieh, das so was anrichten kann, muss riesig sein!"
Amaruk hörte den Worten seines alten Freundes Totega nur mit halbem Ohr zu. Sein Blick klebte wie gebannt an den Resten des Kadavers, der eindeutige Fraßspuren aufwies. Die Gedanken hinter seiner Stirn überschlugen sich. Es war bereits der dritte Kadaver dieser Art, den sie innerhalb der letzten zehn Tage während ihrer Patrouillen gefunden hatten. Und wie bei den ersten beiden Funden stellte sich Amaruk auch dieses Mal Frage, wer oder was in der Lage war, einen ausgewachsenen Eisbären derart zuzurichten.
Die Antwort lag auf der Hand: ein anderer Bär!
Amaruk erschauerte, denn er wusste, dass Totega recht hatte. Der Bär musste riesig sein!
Und er war ein Killer!

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Mein Berserkergang

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Kozlik; bluefish_ds/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7740-8

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Mein Berserkergang

von Ian Rolf Hill

»Das Vieh, das so was anrichten kann, muss riesig sein!«

Amaruk hörte den Worten seines alten Freundes Totega nur mit halbem Ohr zu. Sein Blick klebte wie gebannt an den Resten des Kadavers, der eindeutige Fraßspuren aufwies. Die Gedanken hinter seiner Stirn überschlugen sich.

Es war bereits der dritte Kadaver dieser Art, den sie innerhalb der letzten zehn Tage während ihrer Patrouillen gefunden hatten.

Und wie bei den ersten beiden Funden stellte sich Amaruk auch dieses Mal die Frage, wer oder was in der Lage war, einen ausgewachsenen Eisbären derart zuzurichten.

Die Antwort lag auf der Hand: ein anderer Bär!

Amaruk erschauerte, denn er wusste, dass Totega recht hatte.

Der Bär musste riesig sein!

Und er war ein Killer!

»Das können wir nicht länger ignorieren!«, meinte Panuk, der Dritte im Bunde. »Wir müssen das melden.«

Totegas Kopf fuhr herum. Eiskristalle hatten sich in dem dichten Bart verfangen, der die untere Hälfte seines Gesichts wie drahtiges Gestrüpp umwucherte. »Kommt nicht infrage. Darum kümmern wir uns selbst. Wir brauchen hier oben keine Regierungsangestellten und bezahlten Ranger. Das hier ist unser Land. Und dieser Killer ist nicht umsonst gekommen.«

Amaruk atmete tief die kalte Luft ein, die als gespinstartige Wolken vor seinen Lippen kondensierte, als er sich zu Wort meldete.

»Fängst du wieder mit diesem mythischen Unsinn an, Totega?«

»Das ist kein Unsinn«, begehrte der Ältere auf. »Ihr tätet besser daran, euch mehr mit den alten Lehren der Schamanen auseinanderzusetzen, als den ganzen Abend über im Internet Pornos zu gucken. Wir haben uns an der Natur versündigt, und jetzt bezahlen wir dafür.«

Panuk schüttelte den Kopf. Sein glatt rasiertes Gesicht mit den Pausbacken erinnerte Amaruk stets an ein Riesenbaby. Besonders wenn es unter dem Rand der pelzbesetzen Kapuze hervorlugte. Allerdings sollte man Panuk nicht unterschätzen, denn er war ein geschickter Jäger und ein noch besserer Fischer.

»Wir tun das, was unsere Vorfahren schon immer getan haben, Totega. Das hat nichts mit Versündigen zu tun, sondern mit Überleben.«

»Überleben?«, echote Totega. »Was mit der Erde geschieht, hat nichts mit Überleben zu tun. Schau dir diesen Kadaver doch mal genauer an. Was siehst du dann?«

»Einen toten Eisbären.«

Amaruk blendete das Streitgespräch seiner beiden Freunde aus und tat das, was Totega verlangt hatte. Auch er sah natürlich einen toten Eisbären, aber das war es nicht, worauf der ältere Jäger hinauswollte, und er wusste das. Es ging ihm um die Konstitution des Tieres, den Habitus. So viel man davon noch erkennen konnte.

Nein, Amaruk verbrachte gewiss nicht den ganzen Abend mit Pornos. Vor dem Computer schon, allerdings aus gänzlich anderen Gründen, als Totega ihm unterstellte. Amaruk hatte nämlich keineswegs vor, sein gesamtes Leben in Kaktovik, einem winzigen Dorf im Norden Alaskas, zu verbringen. Und wenn man etwas erreichen wollte, half es in der Regel nicht, sich zurückzulehnen und auf den großen Erfolg zu warten.

Man musste sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Aus diesem Grund hatte Amaruk sich für das Fernstudium entschieden, auch wenn es sämtliche Ersparnisse schluckte, die er besaß. Und selbst die hätten nicht ausgereicht, hätten seine Eltern nicht ebenfalls noch den einen oder anderen Dollar zusammengekratzt.

Umso mehr sah sich Amaruk in der Verpflichtung, voranzukommen und Ergebnisse zu erzielen. Während die meisten seiner Freunde sich abends bei Inuk volllaufen ließen, büffelte er Biologie, Ökologie und Verhaltensforschung.

Sein Traum war es, als Zoologe in einem der Rangerposten von Anchorage Dienst zu tun, wo er für den Schutz und Erhalt des Chugach State Parks verantwortlich gewesen wäre. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg, den er dazu nutzte, um hier in Kaktovik seine ersten Sporen zu verdienen und Erfahrungen zu sammeln. Und wo konnte ein angehender Park Ranger das besser als in der sogenannten Bear Town? Diese war nicht nur bekannt, sondern auch berüchtigt für die vielen Eisbären, die von Jahr zu Jahr immer dreister wurden.

Grund dafür war in erster Linie die Nahrungsknappheit, die die Polarbären dazu zwang, menschliche Siedlungen aufzusuchen. Für Amaruk war es unbegreiflich, dass es noch Leute gab, gebildete Menschen wohlgemerkt, die den Klimawandel weiterhin für einen Mythos hielten, so wie er selbst die Religion seiner Vorfahren.

Amaruk war ein Iñupiat, ein Eskimo, und Kaktovik gehörte zu einem der wenigen Dörfer, in denen noch Angehörige seines Volkes lebten. Vor der Missionierung zum Christentum hatten seine Ahnen an die beseelte Tierwelt geglaubt, was nichts anderes bedeutete, als dass ein Jäger mit furchtbaren Konsequenzen zu rechnen hatte, wenn er ein Tier misshandelte oder quälte.

In Anbetracht des toten Eisbären war dieser Glauben gar nicht mal so abwegig, denn trotz der tiefen Wunden und der aufgerissenen Bauchhöhle, die Amaruk auf drastische Weise vor Augen führte, dass dieses Tier regelrecht ausgeweidet worden war, erkannte er, worauf Totega anspielte.

Der Eisbär war bereits zu Lebzeiten alles andere als stolz und erhaben gewesen. Das weiße Fell war grau und stumpf. Schmutzig vom Unrat, in dem sich das Tier gewälzt hatte. Hinzu kam, dass dieser Bär abgemagert und kraftlos gewesen war. Normalerweise fraßen sich die Tiere vor dem Winter eine dicke Fettschicht an, damit sie die eisigen Temperaturen überstehen konnten. Dazu jagten sie weit draußen auf dem zugefrorenen Meer Robben und Kleinwale, die sie aus den Löchern zerrten, die sie zuvor mit ihren riesigen Pranken ins Eis schlugen.

Aber die dicken Eisschichten brachen schneller auf, und selbst hier oben am siebzigsten Breitengrad gab es im Spätsommer kaum noch zusammenhängende Eisflächen. Die Bären fanden immer weniger Nahrung, sodass ihnen im Winter nichts anderes übrig blieb, als den Müll der Bewohner zu plündern. Dass es dabei vermehrt zu Übergriffen kam, verstand sich von selbst.

Es war ein Teufelskreis, denn durch die Mangelernährung litten Verfassung und Kondition der Eisbären, die sich fortan auf leichte Beute konzentrieren mussten. Und im Gegensatz zu ihren Artgenossen weiter südlich, den Grizzly- und Kodiakbären, waren die Polarbären dringend auf Fleisch angewiesen.

Jetzt fielen sie also schon übereinander her, und in Amaruks Augen war es ein Wunder, dass es noch keine Opfer unter den Bewohnern von Kaktovik gegeben hatte.

»Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Killer sich auf die ersten Menschen stürzt«, sprach Panuk just in dem Moment aus, was Amaruk insgeheim befürchtete.

»Dann werden wir eine Treibjagd machen und den Bastard töten«, sagte Totega und lud seine Repetierbüchse demonstrativ durch. »He, was machst du da?«

Amaruk ließ sich von Totegas herausfordernd gestellter Frage nicht aus der Ruhe bringen. Während sein Freund mit dem Gewehr herumhantierte und den starken Mann markierte, hatte er sein Handy gezückt und ging langsam um den Kadaver herum, um diesen zu filmen. Anschließend würde er Fotos von dem toten Tier machen, speziell von den Wunden, die Rückschlüsse auf die Größe des Angreifers möglich machten.

»Er dokumentiert, das siehst du doch!«, gab Panuk an seiner Stelle die Antwort.

»Ja, aber ich frage mich, wozu das gut sein soll.«

»Das verstehst du nicht!«

»Willst du damit sagen, dass ich zu dämlich bin?«, begehrte Totega auf, und Panuk verzog sein Babygesicht zu einem feisten Grinsen.

»Ich hab gar nichts gesagt, aber da du es schon mal erwähnst …«

Amaruk seufzte, setzte gedanklich die rosarote Brille auf und malte sich die Zukunft in den schillerndsten Farben aus. Ach, wäre er doch längst in Anchorage …

Zehn Minuten später machten sie sich auf den Rückweg ins Dorf, das nicht mehr als eine Ansammlung windschiefer Häuser und Wohncontainer war, die man anderswo bestenfalls als Baracken bezeichnet hätte.

Reich wurde man vom Fischfang und der Karibujagd jedenfalls nicht. Zumal man hier fast autark lebte. Wo sollte man seine Beute auch groß verkaufen?

Ab und zu verirrten sich Erlebnistouristen hierher, die bereit waren, tief in die Tasche zu greifen, um ein paar Schnappschüsse von den Eisbären zu machen. Aus diesem Grund waren die Tiere nicht nur eine Plage, sondern durchaus ein Segen und bewiesen Amaruk einmal mehr, dass die Medaille immer zwei Seiten hatte.

Bis auf die Bären hatte Kaktovik wahrlich nichts Interessantes zu bieten. Die Landschaft, so unberührt und weit sie auch sein mochte, war karg und trostlos. Nicht ansatzweise mit den endlosen Wäldern und Gebirgen der Chugach Mountains zu vergleichen oder dem Postkarten-Idyll des Yukon, mit dem Touristen vorgegaukelt wurde, dass Alaska der schönste Bundesstaat der USA war.

Jetzt, Anfang März, lag eine dichte Schneedecke über der Landschaft und erstickte sämtliches Leben. Hinzu kam der düstere graue Himmel, der wie geschaffen war für Trübsinn und Melancholie. In Gedanken versunken stapften die drei Männer auf den roten Ford Pick-up zu, mit dem sie auf Bärenpatrouille gefahren waren. Er stand abseits der Müllhalde, die außerhalb des Dorfes angelegt worden war, um die Bären von den Behausungen abzulenken.

Dass sie außer dem Kadaver kein weiteres Tier entdeckt hatte, ließ ebenfalls tief blicken. So als spürten die Eisbären die Gefahr, die von einem ihresgleichen ausging. Neben dem alltäglichen Müll, der anfiel, und der in Plastiksäcken hier abgeladen wurde, stapelten sich auch Metallteile und vom Rost zerfressene Autowracks auf der Schrotthalde.

Sobald der Schnee geschmolzen war, würden die Einwohner das Alteisen heraussuchen und verkaufen. Aber bis dahin gehörte die Müllhalde einzig und allein den Bären. Die Aufgabe von Amaruk und seinen Freunden war, lediglich dafür zu sorgen, dass die Tiere nicht übermütig wurden und in Kaktovik einfielen.

Panuk ging voran, Amaruk dicht hinter ihm und Totega bildete den Schluss der kleinen Prozession. Sie waren noch zwanzig Schritte vom Ford entfernt, als Amaruk das Schaben von Metall hörte. Kurz darauf ein Scheppern, als ein lockeres Teil sich aus dem Verbund löste und den Hang hinabrollte.

Der Iñupiat verharrte auf der Stelle, und seine Kameraden taten es ihm gleich, denn auch ihnen waren die Geräusche nicht entgangen. Amaruk drehte sich und erhaschte einen Blick in Totegas versteinerte Miene, der vorsichtig den Gewehrriemen von der Schulter gleiten ließ und sich dann langsam umwandte.

Amaruks Magen zog sich zusammen, und ein bitterer Geschmack legte sich auf seine Zunge. Mund und Kehle trockneten aus, während sein Herz unvermittelt zu rasen anfing. Hinter ihm stieß Panuk einen erstickten Laut aus. So wie Amaruk und Totega hatte auch er den Koloss erblickt, der sich im schummrigen Licht der anhaltenden Dämmerung aus dem Schatten der Müllhalde löste.

Noch schien er die Männer nicht bemerkt zu haben, denn er zerrte und riss an etwas, das Amaruk von seiner Position aus nicht erkennen konnte. Das Einzige, was er sah, war, dass dieser Bär riesig war, und er musste sich schon sehr täuschen, wenn sie nicht den Killer gefunden hatten.

Totega nahm das Gewehr in beide Hände und löste die Sicherung.

»Totega, nicht«, wisperte Amaruk und trat einen Schritt rückwärts.

»Verschwindet«, raunte der ältere Jäger. »Geht zum Wagen, ich …«

Unvermittelt warf sich der Bär herum, stieß ein dumpfes Röhren aus und wurde plötzlich schnell. So schnell wie man es einem solch plumpen Tier niemals zugetraut hätte. Selbst dann nicht, wenn man wusste, wozu ein Bär fähig war. So wie Amaruk und seine Kameraden.

Der Eskimo fühlte, wie seine Glieder förmlich vereisten.

Sein Herz hämmerte in der Brust, und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Trotzdem konnte er sich mit einem Mal nicht mehr bewegen, musste tatenlos zusehen, wie Totega das Gewehr an die Schulter riss und feuern wollte.

Kein Schuss erklang!

Totega fluchte und nestelte an dem verklemmten Verschluss herum. Amaruk sah den Bär vor seinem Freund größer werden. Wie ein Gebirge ragte das Ungeheuer über ihm auf. Das Gewehr glitt Totega aus den Händen. Amaruk hörte Panuk hinter sich schreien, vernahm die stapfenden Schritte und konnte selbst nicht mal den kleinen Finger rühren. Sein eigenes Gewehr, das an einem Riemen an der Schulter hing, war nutzlos und schien Tonnen zu wiegen.

Totega riss die Arme schützend vor das Gesicht, brüllte, während Amaruk hilflos und mit geweiteten Augen zusehen musste, wie der Bär über den Freund herfiel. Die Kiefer schlossen sich um den Unterarm, dessen Knochen knackend zersprang. Das Tier warf den Schädel von einer Seite zur anderen, schleuderte den brüllenden Totega über den schneebedeckten Boden. Dabei angelte der Killerbär mit der Tatze nach dem Oberkörper des Mannes.

Blut spritzte, und aus dem schrillen Gebrüll wurde ein dumpfes Gurgeln. Ein feuchtes Knirschen drang an Amaruks Ohren, und sein Verstand weigerte sich, das Gesehene zu akzeptieren. Totegas erschlaffter Leib wurde wie von der Feder geschnellt zur Seite geschleudert. Nur sein Arm klemmte weiterhin zwischen den Kiefern des Bären, der geradewegs auf den wie erstarrt dastehenden Amaruk zu rannte.

Der Eskimo hatte das Gefühl, von einem fahrenden Auto gerammt zu werden. Er verlor den Boden unter den Füßen, segelte durch die Luft, überschlug sich und prallte irgendwo in den Schnee. Seine Arme und Beine zitterten unkontrolliert, als läge er auf einem Rüttelsieb. Die Zähne klapperten wie Kastagnetten, und sein Blick verschwamm. Trotzdem bekam er den Tod seines Freundes in allen Einzelheiten mit.

Panuk war vor dem Ford ausgerutscht, hatte es aber noch geschafft, den Arm auszustrecken und die Tür aufzureißen. Jetzt versuchte er verzweifelt, sich in das Innere des Wagens zu ziehen. Das war der Augenblick, in dem der Bär seine Beute erreichte. Er röhrte und schlug die Krallen in das Fleisch der Schenkel und Hinterbacken, riss Panuk mit einer derart spielerischen Leichtigkeit zurück, die Amaruk erschütterte.

Es schien den Bären überhaupt keine Kraft zu kosten.

Panuk kreischte, als der Bär die Kiefer in seinen Nacken grub und den kräftigen Eskimo hin und her schleuderte. Allein der dicken Jacke hatte es Panuk zu verdanken, dass er noch lebte. Doch Amaruk bezweifelte, dass dies ein Segen war. Andernfalls hätte der Freund es wenigstens hinter sich gehabt. Er war bei vollem Bewusstsein, als der Bär mit der Pranke ausholte und die Jacke in Fetzen riss.

Mit dem Vorderlauf stemmte sich der Koloss auf den rechten Oberschenkel seines Opfers. Die Bestie knurrte, während sie mit der linken Pranke ausholte und zuschlug. Der zweite Hieb zerfetzte den darunterliegenden Pullover und zog tiefe Furchen ins Fleisch des Mannes, dessen schrilles Gebrüll in Amaruks Ohren schnitt.

Ich muss was tun. Ich muss was unternehmen, hämmerte es in seinem Kopf, doch er war wie gelähmt.

Der dritte Prankenhieb legte Panuks Wirbelsäule frei. Der Bär senkte den Schädel, grub die Schnauze in den Körper des Mannes. Der Eskimo ächzte und stöhnte, bis sein Rückgrat mit einem trockenen Knacken zerbrach.

Schwarze Schleier vernebelten Amaruks Sicht. Er hörte ein sonores Brummen, das feuchte Reißen von Fleisch, sowie das Brechen der Knochen, als der Bär die Leiche seines Freundes zerriss.

Kalter Wind wehte mir ins Gesicht und brachte meine Augen zum Tränen.

Ich ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern unter Kontrolle zu bringen, doch es übertrug sich von den Fingerspitzen bis auf die Arme. Es war nicht allein die Kälte, die meinen Körper so reagieren ließ, hinzu kam eine gehörige Portion Furcht. Obwohl ich durchaus freiwillig hierhergekommen war.

Nun, vielleicht nicht ganz freiwillig.

Vor meinem Abflug nach Alaska hatte Suko gemeint, dass man mich moralisch unter Druck setzte, womit er nicht unrecht gehabt hatte. Nicht, dass er mich dazu hatte überreden wollen, in London zu bleiben. Ganz im Gegenteil. Er hatte lediglich gefordert, dass er mich begleitete. Aber abgesehen davon, dass dabei Sir James und Christina Dick sowieso nicht mitgespielt hätten, hatte ich von vornherein abgelehnt.

Das hier war etwas, das allein mich anging. Es betraf im weitesten Sinne Morgana Layton!

Nur dass es dieses Mal nicht die Herrin der Wölfe selbst gewesen war, die mich in ihre Werwolf-Kolonie eingeladen hatte. Es war jemand anderes, mit dem – oder besser gesagt: mit der – ich eher weniger gerechnet hatte.

Ganz recht, es handelte sich ebenfalls um eine Frau.

Allerdings nicht um eine Werwölfin, und es war auch nicht Aleksandra Jorgovanovic, die Jägerin.

Es war Lykke, die Schamanin der Berserker.

»Wir erwarten dich in der Kolonie, John Sinclair. Dort wirst du dich für deine Taten rechtfertigen!«

Das waren ihre Worte gewesen, die sie mir auf fast schon profane Weise per Telefon mitgeteilt hatte. Nicht mehr. Und ich hatte eingewilligt, denn ich wusste genau, worum es ging.

Um den Mord an Milena Szabó und Morgana Layton.

Und nicht nur sie hatte ich getötet, sondern noch sechs weitere Werwölfe, die mit Morgana nach Bulgarien gekommen waren, um Lykaon und seine Mantikore zu vernichten. Das Argument, dass ich in Notwehr gehandelt hatte, zählte leider nur bedingt.

Zwar hatte Morgana befohlen, das Dorf niederzubrennen, doch erst nachdem ich Milena eiskalt erschossen hatte. Ich hätte zu meiner Verteidigung anbringen können, dass ich unter dem Einfluss der Magie des Schwarzen Doms gestanden hatte, von dem Lykaon einen Splitter in seine Gewalt gebracht hatte, bevor dieses Geschwür aus geballter Bosheit implodiert war.

All das würde ich Lykke und den Werwölfen auch sagen, aber gewiss nicht am Telefon.

In Bulgarien war es nicht nur zur ersten Entscheidung zwischen Fenris und Lykaon gekommen, sondern auch zwischen mir und Morgana Layton.

Fünf geweihte Silberkugeln hatte ich ihr in die Brust gejagt. Zwei weitere in den Schädel.

Es war mehr eine Hinrichtung gewesen als ein Kampf, und obwohl Morgana und ich Feinde gewesen waren, hatte ich im Nachhinein keinen Triumph verspürt.

Im Gegenteil. Die Schuld nagte in mir wie eine hungrige Ratte, sodass ich fast erleichtert gewesen war, als Lykke mich anrief.

Und jetzt wartete ich hier in Anchorage auf das Wasserflugzeug, das mich abholen sollte. Dieses Mal war kein Fenris erschienen, um mich mit Hilfe der Wolfsmagie zu der Kolonie zu bringen, die unter seinem Schutz stand. Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, hatte Lykaon ihn mit der silbernen Axt in die Knie gezwungen, während ihn Stränge aus schwarzer Magie festgehalten hatten.

Es war also anzunehmen, dass er geschwächt und überhaupt nicht in der Lage war, meine Reise zu verkürzen. Aber bedeutete das nicht auch, dass er die Kolonie nicht länger zu schützen vermochte?

Unter diesem Aspekt konnte man Lykkes Aufforderung, nach Alaska zu kommen, auch anders verstehen. Gut möglich, dass es Lykaon gelungen war, die Kolonie seines alten Feindes ausfindig zu machen.

Aber falls wirklich ein Angriff von Lykaon und seinen Kreaturen bevorstand, hätte Lykke sicherlich darauf bestanden, dass mich Suko begleitete. Wie ich es auch drehte und wendete, ich musste alles auf mich zukommen lassen.