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Dämonische Intrige
von Ian Rolf Hill
"Sie werden mich töten! Bitte, machen Sie schnell, sonst ist es zu spät!"
Die Angst der Anruferin war aus jedem einzelnen Wort deutlich herauszuhören. Ich hatte Mühe, die offenbar noch junge Frau zu verstehen. Nicht nur wegen der schluchzenden Laute, sondern auch, weil sie sehr holprig mit deutschem Akzent sprach.
"Wieso rufen Sie ausgerechnet mich an? Woher kennen Sie mich?"
Ich hatte einfach schon zu viel erlebt, um sofort aufzuspringen und blindlings in die Falle zu laufen. Dass es sich um eine solche handelte, davon musste ich zunächst ausgehen.
"Sie sind doch John Sinclair. Der Sohn des Lichts. Der Feind der Hölle."
Mein Puls wurde schneller. "Das beantwortet nicht meine Frage", erwiderte ich gepresst.
"Sie beten den Teufel an", wisperte die Unbekannte. "Er fordert ihren Kopf. Sie ... Oh Gott! Sie haben mich gefunden. Bitte beeilen Sie sich. Kommen Sie nach Trevescan. Schnell ... nein, nein, bitte nicht. Ich ... ich habe euch doch nichts getan. Ihr könnt doch nicht einfach ..."
Ein Knall, dessen Echo scheinbar von hohen Mauern zurückgeworfen wurde, ein dumpfes Würgen und Ächzen, das in ein schreckliches Gurgeln überging. Dann kehrte Stille ein ...
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Seitenzahl: 136
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Dämonische Intrige
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Timo Wuerz
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7742-2
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Dämonische Intrige
von Ian Rolf Hill
»Sie werden mich töten! Bitte, machen Sie schnell, sonst ist es zu spät!«
Die Angst der Anruferin war aus jedem einzelnen Wort deutlich herauszuhören. Ich hatte Mühe, die offenbar noch junge Frau zu verstehen. Nicht nur wegen der schluchzenden Laute, sondern auch, weil sie sehr holprig mit deutschem Akzent sprach.
»Wieso rufen Sie ausgerechnet mich an? Woher kennen Sie mich?«
Ich hatte einfach schon zu viel erlebt, um sofort aufzuspringen und blindlings in die Falle zu laufen. Dass es sich um eine solche handelte, davon musste ich zunächst ausgehen.
»Sie sind doch John Sinclair. Der Sohn des Lichts. Der Feind der Hölle.«
Mein Puls wurde schneller. »Das beantwortet nicht meine Frage«, erwiderte ich gepresst.
»Sie beten den Teufel an«, wisperte die Unbekannte. »Er fordert ihren Kopf. Sie … Oh Gott! Sie haben mich gefunden. Bitte beeilen Sie sich. Kommen Sie nach Trevescan. Schnell … nein, nein, bitte nicht. Ich … ich habe euch doch nichts getan. Ihr könnt doch nicht einfach …«
Ein Knall, dessen Echo scheinbar von hohen Mauern zurückgeworfen wurde, ein dumpfes Würgen und Ächzen, das in ein schreckliches Gurgeln überging. Dann kehrte Stille ein …
Suko sah mich über den Schreibtisch hinweg stumm an. Sein Gesicht war in den letzten Sekunden bleich geworden. Ich konnte es ihm nachfühlen, auch mir waren das kurze Gespräch und vor allem sein abruptes Ende an die Nieren gegangen.
Jetzt lauschten wir gespannt, was weiter geschah, denn die Verbindung war noch nicht unterbrochen. Die leiser werdenden röchelnden Laute waren nur schwer zu ertragen. Am anderen Ende der Leitung starb ein Mensch, und wir konnten nichts dagegen tun. Wir mussten tatenlos mit anhören, wie ein Leben erlosch.
Wir durften das Gespräch aber auch nicht einfach beenden. Alles, was wir noch zu hören bekamen, konnte uns bei den kommenden Ermittlungen helfen. Ohne dass einer von uns es ausgesprochen hatte, stand fest, dass wir diesen Fall übernehmen würden. Und zwar nicht allein deshalb, weil mein Name ins Spiel gekommen war.
Mit angehaltenem Atem lauschten wir und vernahmen plötzlich näher kommende Schritte.
Etwas schabte über glatten Stein.
Kurz darauf drang schnaufendes Atmen aus dem Lautsprecher unseres Telefons.
Ich hielt die angespannte Stille keine Sekunde länger aus. Wer wusste, ob es mir nicht gelang, den Mörder aus der Reserve zu locken?
»Wer sind Sie?«, fragte ich mit krächzender Stimme und hätte mich gerne geräuspert. Ich unterdrückte den Impuls, damit mir nicht das geringste Detail entging.
Die Antwort bestand aus einem Kichern, von dem ich nicht einmal mit Gewissheit sagen konnte, ob es von einem Mann oder einer Frau stammte. Das Knacken in der Leitung verriet mir, dass der Teilnehmer aufgelegt hatte. Aus dem Lautsprecher drang das schnelle Tuten des Besetztzeichens. Ich legte auf und merkte erst jetzt, wie sehr meine Hände zitterten.
Ich hatte schon verdammt viel erlebt, aber so etwas eher selten. Wieder einmal war mir drastisch vor Augen geführt worden, wie schnell und brutal der Tod zuschlagen konnte.
Sekundenlang starrte ich auf das Telefon, dann gab ich mir einen Ruck und wählte den Rückruf. Angespannt warteten wir, bis die Verbindung hergestellt war. Wie erwartet meldete sich die Mailbox. Leider nicht mit Namen, sondern lediglich mit der Nummer, die wir ohnehin schon kannten.
Sukos Finger klapperten über die Tastatur seines Laptops. Auch ohne dass wir uns abgesprochen hatten, wusste ich, dass er gerade versuchte, herauszufinden, auf wen die Telefonnummer zugelassen war.
»Ich geb dem Alten Bescheid«, sagte ich rau und erhob mich.
Ich eilte durch Glendas Büro. Meine Assistentin saß ebenfalls vor ihrem Notebook und hämmerte auf die Tastatur ein, als gälte es, einen Wettbewerb zu gewinnen. Sie tippte den Bericht unseres letzten Falls, was ich daran erkannte, dass sie die Kopfhörer des Diktiergeräts in den Ohren hatte. Deshalb hatte Glenda auch nichts von dem Anruf mitbekommen, obwohl die Tür zu unserem Büro offen stand und ich das Gespräch nach den ersten Worten auf Lautsprecher geschaltet hatte.
Aus Zeitgründen gaben Suko und ich unsere Berichte seit geraumer Zeit als Sprachdateien an Glenda weiter, die sie dann in Reinform brachte. Dabei ging es vor allem um Angelegenheiten, die sich im Nachhinein als gewöhnliche Vorfälle entpuppten. So wie der des besessenen Mädchens und dessen religiös fanatischer Mutter, die ihre Tochter sukzessive in den Wahnsinn getrieben hatte.
Statt einen guten Psychiater aufzusuchen, hatte sie versucht, dem Kind den Teufel auszutreiben. Zunächst mit Hilfe eines Pfarrers, doch als dieser den Fall abgelehnt hatte, hatte sie es selbst probiert. Daraufhin hatte das Mädchen seine Mutter mit dem Messer attackiert. Der Fall war für beide glimpflich ausgegangen, und sowohl Mutter als auch Tochter befanden sich mittlerweile in Behandlung.
Glenda blickte erstaunt auf, als ich wortlos an ihr vorbeistürmte und mir nicht einmal die Zeit nahm, ihre farbenfrohe Frühjahrsmode zu bewundern. Ich klopfte energisch an die Tür zum Büro unseres Vorgesetzten Sir James Powell, der mich nach kurzem Zögern hereinbat.
Ich sah, wie er den Hörer des Telefons auf den Apparat legte und mich verwundert hinter den dicken Gläsern seiner Brille anblinzelte.
»Was ist passiert?«
Einer der Vorteile einen Chef wie den Superintendenten zu haben, war der, dass man nicht lange um den heißen Brei herumreden musste. Ich setzte mich gar nicht erst, sondern stellte mich hinter einen der Besucherstühle, die Hände auf die Rückenlehne gestemmt.
»Ich habe eben den Anruf einer jungen Frau, vermutlich einer Deutschen, bekommen. Sie wurde ermordet. Suko und ich werden heute noch losfahren.«
»Nun mal langsam, John! Berichten Sie bitte in Ruhe.«
Das tat ich, nachdem ich doch Platz genommen hatte und Sir James hörte aufmerksam zu. Lange benötigte ich nicht, um die Fakten zusammenzufassen. Abschließend meinte ich: »Suko versucht gerade, über die Nummer den Namen der Frau herauszufinden.«
Sir James lehnte sich zurück. »Die Anruferin kannte also Ihren Namen und wusste sogar von ihrem Titel ›Sohn des Lichts‹. Angeblich, weil sie ihn bei dieser Teufelsanbetung gehört hat.«
»Davon gehen wir aus.«
»Sie wissen, dass es genauso gut eine Falle sein könnte? Ich meine, im Prinzip sind es genau die Informationen, über die unsere Gegner verfügen.«
»Die Angst klang echt. Der Schuss ebenfalls. Wir müssen annehmen, dass die Anruferin während des Telefonats ermordet wurde.«
»Genau das ist der springende Punkt, wir müssen es annehmen. Oder besser gesagt, wir sollen es annehmen.«
»Sie halten es für eine Finte?«
Sir James verschränkte die Arme vor der Brust und atmete durch die Nase ein. »Wie gesagt, ich halte es nicht für ausgeschlossen und sogar für wahrscheinlich.«
»Das Dumme ist nur, dass wir überhaupt keine andere Wahl haben, als dieser Spur nachzugehen. Wenn nur die geringste Chance besteht, dass dieser Anruf echt war, dann wurden Suko und ich Zeuge eines kaltblütigen Mordes, in dessen Zusammenhang mein Name fiel.«
»Wie hieß der Ort doch gleich?«
»Trevescan, wenn ich recht verstanden habe. Sie hat mit einem deutlichen Akzent gesprochen und zwischendurch heftig geweint.«
Sir James nickte vor sich hin, während er den Namen in den Computer hackte.
»Trevescan ist ein Weiler zwischen dem Dorf Sennen und Land’s End, westlich von Penzance«, las er vor. »Hatten Sie schon mal in der Gegend zu tun?«
Ich hob die Schultern. »Schwer zu sagen. Gut möglich. In Cornwall hatten wir öfter zu tun. Vor Jahren haben wir dort Satans Killerhai gejagt und den Dämonenschrein gesucht.«
»Ja, ich erinnere mich. Dabei ging es um die Reliquie des Spuks. Hoffen wir mal, dass dieser Fall nichts damit zu tun hat.«
»Das heißt, ich darf fahren?«
»Sie müssen sogar, John. Aber sie werden sich nicht alleine auf den Weg machen. Suko wird Sie begleiten. Solange wir keine Leiche haben, sollten Sie davon ausgehen, dass Ihre Gegner Sie in eine gut vorbereitete Falle locken wollen. Es wäre fahrlässig, alleine hineinzutappen. Wir bleiben in Verbindung. Viel Glück.«
»Danke, Sir!«
Ich fühlte mich aufgeputscht, denn insgeheim hatte ich mehr Widerstand erwartet und damit gerechnet, dass Sir James erst die örtlichen Kollegen zu Rate ziehen wollte. Aber offenbar hatte die Anruferin nicht nur die richtigen Worte gewählt, um mich zu überzeugen, sondern auch den Alten.
Dass sogar Suko mitkommen durfte, war natürlich noch besser.
Da konnte ja gar nichts schiefgehen. Dachte ich …
☆
Schon kurze Zeit später machten wir uns im Dienstwagen auf den Weg. Inzwischen hatten wir herausgefunden, dass die Handynummer auf eine gewisse Bianca Dörfling zugelassen war. Mit Hilfe des Namens hatten wir sogar ein Foto aus einem sozialen Netzwerk speichern können.
Knapp sechs Stunden veranschlagte das Navigationsgerät des Audi für die Fahrt von London nach Trevescan, einem winzigen Örtchen am äußersten Zipfel von Cornwall. Für uns bedeutete dies, dass wir keine Zeit verlieren durften und alles andere zunächst hinten anstellen mussten.
Aber so war das Leben eines Geisterjägers nun einmal. Immer auf Achse. Absolut tödlich für ein Familienleben oder eine funktionierende Beziehung. Es sei denn, man lebte mit einer derart toleranten Partnerin zusammen wie mein Kollege Suko – dachte ich …
»Ich habe doch gesagt, ich weiß nicht, wie lange es dauert. Wenn wir gut durchkommen, sind wir am späten Nachmittag da. Vielleicht stellt sich der Anruf auch als heiße Luft heraus. Dann bin ich um Mitternacht wieder bei dir.«
Suko verdrehte die Augen. Ob es wegen Shao war, die er scheinbar auf dem falschen Fuß erwischt hatte, oder wegen der Baustelle, die bei Bristol den Verkehr auf der M5 zum Stocken brachte, wusste ich nicht. Als sein bester Freund würde ich natürlich behaupten, es läge an Letzterer.
»Ich soll raten, wann wir wieder zurück in London sind«, sagte Suko und hielt das Smartphone vom Ohr weg.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ein paar Tage, höchstens eine Woche!«, rief ich laut und grinste breit, als ich Sukos entgeisterten Blick wahrnahm. Bist du wahnsinnig?, formte er mit den Lippen, dann genoss ich für eine Weile seine hilflosen Bemühungen, Shao zu beruhigen.
Das vertrieb mir zumindest die zähe Fahrt durch die verengte Spur, in der ich die Kraft der sechs Zylinder unter der Haube meines neuen Dienstfahrzeugs leider nicht einmal ansatzweise ausspielen konnte. Stattdessen musste ich achtgeben, dass mir nicht irgendein Vollpfosten den Außenspiegel abrasierte. Das hätte Sir James kaum gefallen, und ich sah mich schon in dem Smart sitzen, den er mir zuerst hatte aufs Auge drücken wollen.
Dann hatten wir es endlich geschafft. Ich die Baustelle, Suko seine Freundin zu besänftigen.
Kurz danach machten wir Mittagspause. Die Hälfte der Strecke lag hinter uns, und damit der Haussegen nicht schief hing, durfte Suko den Rest des Weges fahren.
»Eigentlich ist das ja mein Dienstwagen«, sagte ich beiläufig, als ich auf dem Beifahrersitz Platz nahm. »Aber als mein Partner bist du ja als Fahrer ebenfalls eingetragen«, fügte ich schnell hinzu, als Suko mir einen Blick zuwarf, der so eisig war, dass ich mich nicht gewundert hätte, wäre mein Atem vor den Lippen kondensiert.
»Eigentlich wollte ich deinem Gesicht eine neue Form verpassen, aber ich weiß ja wie schwer sich Sir James mit Veränderungen tut.«
»Schon gut, ich hab verstanden«, erwiderte ich und hob beide Hände. Lange brauchte ich zum Glück nicht zu warten, bis sich Sukos Laune besserte, was in erster Linie an dem sensationellen Fahrgefühl meines neuen Autos lag, weniger an meinen Fähigkeiten als Unterhalter. Erst als wir gegen siebzehn Uhr Trevescan erreichten, wurde seine Miene ernster.
»Hier liegt ja der Hund begraben«, kommentierte Suko, als wir zwischen die Ansammlung windschiefer, aus grauen Bruchsteinen errichteter Häuser rollten.
Der triste Eindruck wurde durch die tief stehende Sonne und die aufziehenden Wolken noch verstärkt. Vermutlich würde es in der Nacht anfangen zu regnen. Bislang war es trocken geblieben, und der Frühling verwöhnte uns mit angenehm milden, fast sommerhaften Temperaturen. Ich ließ die Seitenscheibe nach unten fahren und lauschte.
Es herrschte eine beklemmende Stille in der winzigen Siedlung, die Sir James als Weiler bezeichnet hatte. Verwaltet wurde sie von dem Örtchen Sennen, das eine halbe Meile nördlich lag und durch das wir auf dem Weg hierher gefahren waren. Dort waren zumindest ein paar Menschen auf der Straße unterwegs gewesen. In Trevescan aber bellte nicht mal ein Hund, was den Verdacht nahelegte, dass das von Suko zitierte Sprichwort möglicherweise der Wahrheit entsprach.
Nur aus der Ferne vernahmen wir das Kreischen der Möwen, die uns verrieten, dass wir uns dicht am Meer aufhielten.
Ich deutete auf die palmengesäumte Einfahrt eines Cafés.
»Halt dort vorne mal an. Vielleicht kann man uns da Auskunft geben.«
Suko nickte und setzte den Blinker. Die Reifen knirschten über den Kies und mein Freund und Kollege stoppte neben den einzigen Fahrzeugen, die auf dem Parkplatz standen, einem silbernen Peugeot und einem blaugrauen Opel Corsa.
Wir stiegen aus und gingen auf den Eingang des Cafés zu, einer grün gestrichenen Bohlentür, neben der die Besitzer Agavensträucher gepflanzt hatten. Die Südwestspitze Englands war bekannt für ihre mediterrane Vegetation und das milde Klima. Das warme Wasser des Golfstroms machte es möglich, und normalerweise waren selbst solche Nester wie Trevescan wahre Touristenmagnete.
Zumal Land’s End nur knapp eine Meile entfernt lag, jener Ort, dessen Name Programm war.
Suko rüttelte an der Tür, die jedoch verschlossen war. Er drehte sich zu mir um und zuckte mit den Schultern. Seine Miene drückte Ratlosigkeit aus und ich trat zurück und ließ den Blick über die Fassade des lang gestreckten, einstöckigen Baus schweifen. Die Fenster waren dunkel, nichts regte sich dahinter.
»Scheint geschlossen«, murmelte ich und deutete auf den Durchgang zum Hof, auf dem sich hölzerne Bänke verteilten. Auch dort konnten Gäste bewirtet werden, sofern es welche gab.
»Was sagt dein Kreuz?«, erkundigte sich Suko.
»Nichts. Alles ganz normal. Vielleicht sollten wir erst mal was essen – wenn wir denn was finden, wo es was zu essen gibt«, sagte ich und ging an dem Café vorbei. Dahinter erhob sich ein zweigeschossiger Bau mit Satteldach, spitzem Giebel und einem verglasten Vorbau.
»Donnerwetter«, sagte Suko. »Damit hätte ich hier nicht gerechnet.«
»Land’s End Bed & Breakfast«, las ich von einer Tafel ab. »Na, da sind wir ja schon goldrichtig.«
Ich betrat als Erster das rustikal und gemütlich eingerichtete Gasthaus. Ein hoher, dunkel gebeizter Tresen empfing die Besucher. Gerahmte Ölmalereien, die die raue Landschaft Cornwalls zeigten, hingen an den weiß gestrichenen Wänden.
Links führt ein Flur in den Schankraum, der allerdings verwaist war. So wie übrigens auch der Empfangstresen. Dafür sah ich eine altmodische Tischglocke, und da die Tür offen gewesen war, ging ich davon aus, dass die Pension geöffnet hatte.
Also klingelte ich und wir mussten auch nicht lange warten, bis sich jemand rührte. Schritte näherten sich der offen stehenden Tür, rechts hinter der Theke, wo offenbar die Büroräume der Pension lagen.
Eine Frau, ungefähr Anfang dreißig, mit heller Bluse und schwarzen Hosen begrüßte uns. Das dunkle Haar war im Nacken mit einer Spange befestigt. Der Pony war fransig geschnitten, und ihre gesamte Erscheinung erinnerte mich an die junge Demi Moore.
Sie machte einen sportlichen Eindruck und war ausnehmend hübsch, wie ich feststellte.
»Guten Abend, die Herren. Was kann ich für Sie tun?«
Sie sah uns abwechselnd an, und ich verlor mich ein wenig in ihren haselnussbraunen Augen, sodass sich Suko bemüßigt sah, zu antworten.
»Mein Name ist Inspektor Suko, und der Herr neben mir hört auf den Namen …«
»Sinclair, John Sinclair«, sagte ich schnell, bevor mein Freund allzu förmlich werden konnte. »Freut mich sehr Ihre Bekanntschaft zu machen, Miss …?«
»Sagen Sie einfach Molly. Das tun hier alle.« Sie lächelte fröhlich, doch ihre Miene verdüsterte sich schlagartig, als ihr Suko seinen Ausweis unter die Nase hielt.
»Nun, Miss Molly, wir arbeiten für Scotland Yard und sind auf der Suche nach einer deutschen Touristin. Ihr Name ist Bianca Dörfling. Haben Sie von ihr gehört, oder hat sie womöglich sogar hier gewohnt?«
Sie schürzte die Unterlippe und machte ein betrübtes Gesicht. »Oh, ich fürchte nein. Aber ich schaue gerne mal ins Gästebuch. Eine Deutsche, sagten Sie? Hm, daran müsste ich mich eigentlich erinnern.«
Sie neigte den Kopf und blätterte in einem großen, in Leder gebundenen Buch. »Wann soll sie denn hier gewesen sein?«
»Das kann nicht lange her sein.«