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"Sir, es sind Tiger auf dem Anwesen!"
Der Mann mit dem siebenfach geschlungenen Turban, den er selbst im Haus nur selten ablegte, hob überrascht den Blick. "Erstaunlich!", murmelte er. "Ich meine, dass sie sich so dicht an die Stadt heranwagen. Es sind mehrere, sagtest du?"
Der Sikh nickte. "Ja, Sir. Zwei stattliche Exemplare."
"Tiger sind keine Rudeltiere, es sei denn ... Was habt ihr mit ihnen gemacht?"
"Wir haben sie betäubt, Sir. Aber deshalb hätte ich Sie kaum gestört."
"Sondern?"
"Das sollten Sie sich besser persönlich ansehen!"
"Das hatte ich ohnehin vor", erwiderte Mandra Korab und folgte dem Sikh hinaus ins Freie. Was er dort zu sehen bekam, überraschte selbst ihn.
Im Gras des weitläufigen, parkähnlichen Gartens lagen keine Raubkatzen, sondern zwei Frauen. Aber nicht irgendwelche. Mandra Korab kannte sie.
Es waren Sefaya und ihre Mutter Benasir, die Tigerfrauen von Singapur ...
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Phorkys hetzt die Tigerfrauen
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Ballestar/Norma
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9287-6
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
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www.bastei.de
Phorkys hetzt die Tigerfrauen
von Ian Rolf Hill
»Sir, es sind Tiger auf dem Anwesen!«
Der Mann mit dem siebenfach geschlungenen Turban, den er selbst im Haus nur selten ablegte, hob überrascht den Blick. »Erstaunlich!«, murmelte er. »Ich meine, dass sie sich so dicht an die Stadt heranwagen. Es sind mehrere, sagtest du?«
Der Sikh nickte. »Ja, Sir. Zwei stattliche Exemplare.«
»Tiger sind keine Rudeltiere, es sei denn … Was habt ihr mit ihnen gemacht?«
»Wir haben sie betäubt, Sir. Aber deshalb hätte ich Sie kaum gestört.«
»Sondern?«
»Das sollten Sie sich besser persönlich ansehen!«
»Das hatte ich ohnehin vor«, erwiderte Mandra Korab und folgte dem Sikh hinaus ins Freie. Was er dort zu sehen bekam, überraschte selbst ihn.
Im Gras des weitläufigen, parkähnlichen Gartens lagen keine Raubkatzen, sondern zwei Frauen. Aber nicht irgendwelche. Mandra Korab kannte sie.
Es waren Sefaya und ihre Mutter Benasir, die Tigerfrauen von Singapur …
»Bringt sie ins Haus, rasch!«, befahl der Hausherr.
»Aber, Sir!«, hob einer der Sikhs an, die zu Mandras persönlicher Wachmannschaft gehörten. »Es sind …«
»Ich weiß, wer sie sind«, unterbrach der Dämonenjäger seinen Untergebenen. »Ihr habt meinen Befehl gehört. Und nun gehorcht. Aber seid unbesorgt, ich kennen die Frauen. Sie sind nicht unsere Feinde.«
Hoffentlich, fügte er in Gedanken hinzu. So selbstsicher, wie er sich nach außen hin gab, war er in Wirklichkeit nämlich gar nicht. Sicher, als er Benasir und Sefaya zum letzten Mal gesehen hatte, hatten sie Seite an Seite gegen Phorkys, den Vater der Ungeheuer, gekämpft. Doch waren sie deshalb Verbündete oder Freunde?
Er hatte es immerhin mit Menschen zu tun, die sich in gefährliche Raubtiere verwandeln konnten. Wertiger!
Und mit dieser Spezies verknüpfte er keine guten Erinnerungen.
Hinzu kam, dass Benasir und ihre Schwestern einer Dämonin huldigten, die einst zu den gefährlichsten Gegnern seines Freundes John Sinclair gezählt hatte: Asmodina, die Tochter des Teufels.
Dabei hatte sie im Prinzip nur die Funktion der Schutzpatronin für die Tiger-, Panther- und Löwenfrauen übernommen, nachdem Sachmet, die ägyptische Löwengöttin, verbannt worden war. Nach Asmodinas Vernichtung hatten sich ihre überlebenden Dienerinnen in alle Winde verstreut und versucht, ein normales Leben unter den Menschen zu führen.
Zwei Ereignisse hatten diese Absicht untergraben.
Zum einen die Befreiung Sachmets aus der Verbannung und zum anderen das Erscheinen von Phorkys. Der Vater der Ungeheuer hatte die Tigerfrauen von Singapur vor seinen Karren spannen wollen. Vermutlich um sie im Kampf gegen Fenris und seine Werwölfe einzusetzen.
Benasir hatte sich geweigert und somit den Zorn des Monstermachers auf sich und ihre Schwestern gezogen. In ihrer Not hatten sie sich ausgerechnet an Mandra Korab gewandt. Allerdings nicht nur, damit er an ihrer Seite gegen Phorkys und seine Kreaturen kämpfte, sondern auch, weil sie davon ausgegangen waren, dass allein das Blut eines Gerechten die Statue der Teufelstochter, die sie in ihrem Keller angebetet hatten, zu neuem Leben erwecken konnte.
Das war auch geschehen.
Nur war es nicht der Geist von Asmodina gewesen, der ihr steinernes Abbild mit unreinem Leben erfüllt hatte, sondern die Löwengöttin selbst. Mit ihrer Hilfe war es den Tigerfrauen und Mandra Korab gelungen, den Angriff abzuwehren und Phorkys zu vertreiben. Dabei hatte ihn der Dämonenjäger mit seinen Dolchen schwer verwundet, doch auch er war verletzt worden, und es glich einem Wunder, dass er überhaupt noch lebte.
Ein Wunder von göttlicher Hand, denn es war niemand Geringeres als Sachmet gewesen, die ihn gerettet hatte. Schließlich war sie nicht nur die Göttin des Krieges, sondern auch die der Heilung sowie des Schutzes vor Krankheiten.
Nichtsdestotrotz hatten die Tigerfrauen im Kampf gegen Phorkys schwere Verluste erlitten. Von den einst vierzehn Tigerfrauen waren nur noch vier übrig geblieben. Eine von ihnen, Sefaya, die Tochter der Herrin Benasir, war von Phorkys entführt und nach Bulgarien geschafft worden. In eine Höhle in den Rhodopen, in der Carnegra, die Tochter des Monstermachers, gehaust hatte.
Das wusste Mandra Korab aus den Berichten seines Freundes John Sinclair, der ihn regelmäßig über seine Fälle und die neuesten Entwicklungen im Dämonenreich auf dem Laufenden hielt.
Daher wusste Mandra auch, dass Phorkys und Carnegra einige schwere Niederlagen eingesteckt hatten. Die gefährlichen Mantikore, mit denen der Monstermacher die Tigerfrauen attackiert hatte, waren vernichtet worden. Ob Carnegra neue zeugen konnte, blieb ungewiss, aber zumindest Phorkys war abermals verwundet worden. Dieses Mal hatte er ein Auge eingebüßt, das ihm John Sinclair mit dem silbernen Nagel ausgestochen hatte. Den hatte Mandra Korab dem Geisterjäger einst geschenkt, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten.
All dies ging dem Inder durch den Kopf, während er seinen Männern dabei zusah, wie sie Benasir und Sefaya in Decken gehüllt ins Haus trugen, das dem Palast eines Maharadschas glich.
Äußerlich bestand zwischen den beiden Frauen kaum Ähnlichkeit, was vor allem daran lag, dass Benasir ein europäisches Aussehen hatte. Die hohen Wangenknochen ließen auf eine slawische Herkunft schließen. Sefaya dagegen sah auf den ersten Blick wie eine Chinesin aus, ein Erbe ihres Vaters, über den sie und Benasir nie gesprochen hatten.
Vielleicht war er einer von Benasirs zahllosen Freiern gewesen, denn sie hatte in Singapur ein gut gehendes Bordell geleitet, in dem auch Sefaya gearbeitet hatte. Ein Gedanke, der für Mandra Korab befremdlich war, doch er hatte gelernt, nicht über andere zu urteilen.
Das tat er auch jetzt nicht, achtete aber sehr wohl darauf, ob einer der reglosen Körper eine Reaktion zeigte, als sie über die Schwelle des Hauses getragen wurden. Sollten sie einen schwarzmagischen Keim in sich tragen, würden die versteckt angebrachten Dämonenbanner ihn erkennen und entsprechend reagieren.
Im schlimmsten Fall konnte dies den Tod der beiden Frauen nach sich ziehen.
Unwillkürlich hielt Mandra den Atem an und – ließ ihn langsam und zischend entweichen.
Weder Benasir noch Sefaya reagierten auf die Dämonenbanner, und Mandra Korab stellte überrascht fest, dass ihn dieser Umstand erleichterte. Gleichzeitig musste er daran denken, was ihm John Sinclair nach seinem Abenteuer in Singapur erzählt hatte. Dass sie vor Jahren, als sie schon einmal mit Tigerfrauen im Dienste Asmodinas zu tun gehabt hatten, diese mit einem Betäubungsgas unschädlich gemacht hatten.
Dämonen oder dämonischen Wesen konnte man jedoch nicht mit herkömmlichen Waffen beikommen. Schon gar nicht mit Betäubungsgas oder Narkosepfeilen. In dieser Hinsicht nahmen die Tigerfrauen selbst unter den Werwesen eine Sonderstellung ein.
Mandra Korab trug den Männern auf, Benasir und Sefaya in eines der Gästegemächer zu bringen, wo sich zwei weibliche Bedienstete um sie kümmerten. Draußen auf dem Gang wandte er sich an Malik Singh, den Anführer der Sikhs, der ihn auch über den sonderbaren Fund in Kenntnis gesetzt hatte.
Malik war Mandras Vertrauter. Seine dunklen, tief in den Höhlen liegenden Augen hatten einen strengen und zugleich gütigen Ausdruck. Ein prächtiger Bart, wucherte bis auf die Brust. Er war ebenso ergraut wie sein Haar, das der Sikh unter einem schwarzen Turban verbarg. In die bronzene Haut hatten sich tiefe Falten gegraben. Malik war fünfundfünfzig, aber dennoch kräftiger und durchtrainierter als so mancher Jüngling.
»Ich möchte, dass du die Wachen verstärkst, Malik. Schärfe den Männern ein, dass sie wachsam bleiben sollen. Und behaltet vor allem die Gemächer unserer neuen Gäste im Auge.«
»Rechnet Ihr mit einem Angriff?«
»Man kann nie wissen. Ich kenne diese beiden Frauen. Sie stammen aus Singapur und sie sind gewiss nicht ohne Grund hierhergekommen.«
»Ihr geht davon aus, dass sie gejagt werden?«
»So ist es. Dass sie allein gekommen sind, lässt tief blicken.«
Malik Singh neigte den Kopf. »Ich habe verstanden, Sir. Ich werde die Männer entsprechend instruieren.«
»Danke!«
Mandra Korab legte dem älteren Mann eine Hand auf die Schulter und wandte sich wieder der Tür des Gästezimmers zu, als er eine Bewegung am Ende des Flurs ausmachte. Eine junge Frau, eingehüllt in einen schlichten blauen Sari, huschte beinahe lautlos auf Mandra zu. Kaum älter as Sefaya.
Die Frau hieß Narina und war ebenfalls Inderin. Einst hatte sie als Rebellin gekämpft und wäre fast dem beinlosen Gott Nhuri geopfert worden, der der indischen Todesgöttin Kali gedient hatte und das Erbe Buddhas antreten wollte. Mandra Korab hatte sie gerettet und bei sich aufgenommen. Im Laufe der Jahre hatte sich zwischen ihnen ein Verhältnis entwickelt, das am ehesten der Beziehung eines Vaters zu seiner Tochter glich.
»Was hat dieser Aufruhr zu bedeuten, Mandra?«, fragte sie ein wenig außer Atem.
Schweißperlen glitzerten auf ihrer Stirn. Dies und die nachlässige Art, in der sie den Sari um ihren muskulösen Körper gewickelt hatte, verrieten Mandra, dass sie trainiert hatte.
Mandra sparte sich jeglichen Kommentar bezüglich Sports zu fortgeschrittener Zeit. Narina war kein Kind und hasste es, wenn man sie als solches behandelte. Daher setzte er die junge Frau mit knappen Sätzen ins Bild. Narina wusste von seinen Erlebnissen in Singapur. Sowohl von der Jagd auf den Monstermenschen, als auch von dem Kampf gegen Phorkys und die Mantikore.
Nachdem er geendet hatte, runzelte Narina die Stirn. Sie deutete auf die geschlossene Tür. »Du hast sie ins Haus bringen lassen?«
»Natürlich! Oder hätte ich sie im Garten liegen lassen sollen?«
Narina hob die Schultern. »Das vermag ich nicht zu beurteilen. Aber es handelt sich um Wertiger.«
»Es sind Tigerfrauen!«
»Ist das nicht dasselbe?«
»Nicht unbedingt.«
»Und worin liegt der Unterschied?«
»Darin, dass Wertiger den Keim durch einen Biss weitergeben und nur mit speziellen Waffen getötet werden können. Diese beiden wurden von Narkosepfeilen niedergestreckt.«
Narina musterte ihren Gönner und Mentor prüfend. »Du bist neugierig, was sie herführt.«
»Selbstverständlich!«
»Und du magst sie!«
Mandra Korab spürte, wie er ärgerlich wurde. Er mochte Narina wirklich, nein, er liebte sie sogar auf väterliche Weise, doch manchmal ging ihm ihre unverblümte Art gehörig auf die Nerven. Er setzte bereits zu einer harschen Antwort an, als sich die Tür öffnete.
Eine der Dienerinnen stand in der Tür und neigte das Haupt.
»Die beiden Frauen sind erwacht und wünschen Euch zu sprechen, Herr!«
Überrascht hielt Mandra inne. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Sefaya und Benasir das Narkotikum so rasch abbauten.
Narina kam Mandra zuvor. »Danke, Sanija. Wir kümmern uns um sie.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat sie das Zimmer.
☆
Mandra Korab folgte Narina in das feudal eingerichtete Zimmer. Es wurde von einem breiten Bett dominiert, über das sich das feine Gespinst eines Moskitonetzes stülpte, hinter dem die Umrisse der beiden Frauenkörper nur schemenhaft zu erkennen waren.
Die zweite Dienerin huschte zur Tür, an der Sanija auf weitere Anweisungen wartete. Die blieben zunächst aus, denn erst wollte sich Mandra Korab vergewissern, dass es Sefaya und Benasir gut ging. Die Körper von Mutter und Tochter versanken beinahe in den zahllosen Kissen und der seidenen Bettwäsche. Ihre Gesichter wirkten bleich im schwachen Schein der Lampen, die beidseits des Bettes an messingverzierten Armen aus der Wandvertäfelung ragten.
Benasir sah aus, wie Mandra sie in Erinnerung hatte. Langes glatt auf die Schultern fallendes Haar, hoch angesetzte Jochbögen und ein sehniger aber nichtsdestotrotz fraulicher Körper. Mandra hatte das Spiel der Muskeln unter der Haut bewundert. Auch in ihrer menschlichen Gestalt ähnelte Benasir einem Raubtier.
Sefaya war beinahe das glatte Gegenteil ihrer Mutter. Kleiner vom Wuchs, das Gesicht fülliger, die Figur weiblicher. Was sich verändert hatte, war ihr Blick.
Mandra erinnerte sich an eine forsche, junge Frau, die ihn keck und herausfordernd gemustert hatte, nachdem er das Bordell zum ersten Mal betreten hatte. Von dieser jugendlichen Selbstsicherheit und Unbekümmertheit war nichts mehr übrig. Ihr Blick flackerte, die Pupillen zuckten unstet umher, als rechnete Sefaya jeden Augenblick mit einem Angriff. Ob dies allein von der Gefangenschaft in der Monsterhöhle herrührte, vermochte Mandra nicht zu sagen, bezweifelte es aber.
»Mein Name ist Narina«, stellte sich sein Mündel vor. »Ihr seid also Benasir und Sefaya!«
Die dunklen Augen der älteren Tigerfrau hefteten sich auf die Inderin.
»Das stimmt. Ich freue mich, dich kennenzulernen, Narina.«
Sie wirkte noch ein wenig schwach auf der Brust. Mehr als ein müdes Lächeln brachte sie außer der Antwort nicht zustande.
Mandra trat hinter Narina und legte ihr die Hände auf die Schulter. »Sei so gut und schau mal nach, ob du für unsere Gäste nicht was zum Anziehen findest.«
Die Inderin wollte protestieren. »Aber …«
»Bitte!«, sagte Mandra eindringlich.
Daraufhin drehte sich Narina um und verließ das Gästezimmer. Mandra wandte sich an Sanija. »Bereitet eine Kleinigkeit zu Essen zu und setzt Tee auf!«
»Sehr wohl, Herr!«
Sanija und ihre Kollegin verschwanden und schlossen auf Mandras Geheiß die Tür hinter sich, sodass er mit den Tigerfrauen alleine war. Langsam schritt er auf das Bett zu und zog einen Stuhl mit hoher Lehne zu sich heran.
»Warum seid ihr gekommen?«
Wieder verzogen sich Benasirs Lippen zu einem Lächeln. »Freust du dich nicht, uns zu sehen?«
Mandra schwieg. Er schaute auf Sefaya, deren Augen in Tränen schwammen. Benasir folgte seinem Blick und senkte ihn, als sie den stummen Schmerz ihrer Tochter gewahrte. Unvermittelt hob sie die Lider.
»Wir sind hier, weil dich die Tigerfrauen von Singapur um Asyl bitten. Beziehungsweise das, was von ihnen übrig ist.«
Mandra versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen, doch es misslang ihm kläglich. »Was ist passiert?«
»Es fing vor einer Woche an«, begann Benasir mit flüsternder Stimme. Ehe sie weitersprechen konnte, legte Sefaya ihr eine Hand auf den nackten Unterarm.
»Lass mich beginnen, Mutter.«
»Bist du sicher?«
»Ja! Ich muss es tun.«
Bevor sie anfangen konnte, klopfte es leise an die Tür. Noch ehe Mandra dazu kam, etwas zu sagen, wurde sie bereits geöffnet. Narina trat ein. Auf den Armen trug sie zwei Saris. Einer war grün, der andere schwarz.
Sie legte die Kleidungsstücke auf der prunkvollen Truhe am Fußende des Bettes ab. Dann sah sie die beiden Frauen erwartungsvoll an. Sefaya presste die Lippen aufeinander. Sie vertraute Narina nicht, doch darauf wollte und konnte Mandra Korab keine Rücksicht nehmen.
Dieses Mal waren die Tigerfrauen zu ihm gekommen. Und ihre Bitte um Asyl implizierte, dass sie sich verfolgt fühlten und sie den Dämonenjäger um Schutz baten. Es konnte also gefährlich werden.
Mandra Korab hatte sich stets darum bemüht Narina aus seinen Kämpfen gegen die Dämonen herauszuhalten. Sollte ihrem Heim jedoch eine Gefahr drohen, hatte sie ein Recht, zu erfahren, wie diese Bedrohung aussah.
»Ihr könnt vor Narina frei sprechen. Sie genießt mein vollstes Vertrauen. Und ich lege Wert darauf, dass sie aus erster Hand erfährt, welche Gefahr uns eventuell droht.«
Sefaya warf ihrer Mutter einen fragenden Blick zu, und Benasir nickte.
Daraufhin begann die junge Tigerfrau mit ihrem Bericht.
☆
Aus Sefayas Erinnerungen
Nach den schrecklichen Vorfällen in Bulgarien, die ich am liebsten aus meinem Gedächtnis verbannt hätte und die ich trotzdem jedes Mal aufs Neue durchleben muss, sobald ich die Augen schließe, kehrte ich nach Singapur zurück.
Es brach mir das Herz, als ich erfuhr, dass außer Mutter nur Sabitha und Ryoko den Kampf gegen Phorkys und die Mantikore überstanden hatten. Ein zu hoher Preis für den Sieg, der im Grunde genommen keiner war. Selbst der Umstand, dass die Mantikore in Bulgarien scheinbar endgültig vernichtet wurden, konnte den Schmerz über den Tod meiner Schwestern nicht lindern.
Unser Heim in der Desker Road existierte nicht mehr. Niemand wollte länger in dem halb verfallenen Haus leben, das zu viele schmerzvolle Erinnerungen barg. Benasir, Sabitha und Ryoko erwarben zwei Appartements in der Dickson Road, nur ein paar Straßen weiter südlich unseres ehemaligen Heims. Geld war schließlich genug vorhanden.
Trotzdem suchten sich meine Mutter und ihre Schwestern Jobs, denn in den alten Beruf wollte keine von ihnen zurück. Die Zeiten der Prostitution lagen hinter uns. Unwiederbringlich. Außerdem sollten die neuen Jobs Teil der Tarnung sein.
Ryoko beispielsweise arbeitete in einem Frühstücks-Café in der Middle Road, und Sabitha fand einen Job als Landschaftspflegerin im botanischen Garten. Mutter dagegen begab sich erst auf Arbeitssuche, nachdem ich wieder zu ihr zurückgekehrt war.
Sie arbeitete als Verkäuferin in einer Boutique an der Orchard Road und dachte sogar darüber nach, eigene Kollektionen zu entwerfen und Modenschauen auszurichten. So wie sie es früher bereits getan hatte. Gemeinsam mit einer Freundin namens Serena Kyle.
Ich selbst litt zu jener Zeit unter schweren Albträumen. Keine Nacht verging, in der ich nicht schweißgebadet aufwachte und glaubte, die glühenden Augen der Mantikore in der Dunkelheit leuchten zu sehen. Oder ihr widerwärtiges Schmatzen zu hören, mit dem sie ihre Beute zerrissen. Am schlimmsten jedoch war der Gestank nach fauligem Fleisch, den ich noch heute bisweilen rieche.
Es mag seltsam klingen, dies aus dem Mund einer Frau zu hören, die in der Lage ist, sich selbst in eine Raubkatze zu verwandeln. Tatsache ist jedoch, dass ich unter dem Schutz meiner Mutter und meiner Schwestern ein wohlbehütetes Leben geführt hatte.